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Full text of "Jahresbericht über die Fortschritte der klassischen Altertumswissenschaft"

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WHBING  LIST  F£ß  1  5  1922, 


I 


JAHRESBERICHT 


ÜBER  DIE 


FORTSCHRITTE  DER  KLASSISCHEN 

ALTERTÜMSWISSENSCHAFT 


BEGRÜNDET 

VON 

CONRAD  BURSIAN. 

HERAUSGEGEBEN  VON 

A.  KÖRTE. 


SUPPLEMENTBAND. 
HUNDERTSECHSUNDACHTZIGSTER  BAND. 


LEIPZIG. 
0.   R.   REISLAND. 

1921. 


et  M\{e\ 


BERICHT 


ÜBER  DIE 


LITERATUR  ZUR  ANTIKEN 

MYTHOLOGIE  UND 

RELIGIONSGESCHICHTE 

AUS  DEN  JAHREN  1906-1917 


VON 

0.  GRUPPE 

IN  CHARLOTTENBURG. 


LEIPZIG. 

O.   R.   REISLAND. 

1921. 


Alle  Rechte  vorbehalten. 


Alteiibarg 
Pisrersch«  Ilofbnchdrnckerei 
•Stephan  Ueibei  &  Co. 


Inhalt. 

Seite 

Vorbemerkung 1 

I.  Schriften    zur    Greschiclite    der    antiken    Religions- 
wissenschaft undMythologie     2 

11.  Richtungen  innerhalb   der  klassischen  Mythologie 

und  Religionswissenschaft 3 

a)  Allgemeine  Übersicht 3 

b)  Die  Vergleichung  von  Vorstellungen  primitiver  Völker  (An- 
thropologische Richtung) 4 

c)  Naturalistische  Mythendeutung 16 

III.  Religionsgeschichte 29 

1)  Die  antike  Religion  im  allgemeinen 29 

2)  Griechische  Religion 30 

a)  Schriften  über  das  Gesamtgebiet  der  griechischen  Religion  30 

b)  Herleitung    griechischer    Mythen    und    Kulte    axxs    indo- 
germanischer Urzeit 37 

c)  Herleitung   griechischer   Kulte  und   Mythen   aus   vorder- 
asiatischen    41 

d)  Die  Religion  der  vorhellenischen  Bewohner  Griechenlands  49 

e)  Die  Übergangszeit , 55 

f)  Die  griechische  Mystik  des  6.  Jahrhunderts 62 

g)  Religion  des  Hellenismus 64 

3)  Römische  Religion  im  allgemeinen  und  in  der  republikanischen 
Zeit 67  j 

4)  Griechisch-römische  Religionsgeschichte  in  der  Kaiserzeit.    .  80 ' 

a)  Untersvichungen  über  die  Kaiserzeit  im  allgemeinen  ...  80 

b)  Untersuchungen  über  einzelne  Perioden  der  Kaiserzeit.    .  81 

c)  Die  einzelnen  Erscheinungen  der  Kaiserzeit 82 

tt)  Arbeiten  über  die  Religionsmischung  in  der  Kaiserzeit  83 

ß)  Arbeiten  über  das  Eindringen  orientalischer  Kulte    .    .  84 

Herrscherkulte  89.    Heidentum  und  Judentum  95. 

IV.  Der  Kultus 97 

1)  Zum  Fortleben  antiker  Riten  im  heutigen  Aberglauben    .    .  97 

2)  Götter  und  Dämonen.     Ihre  Stätte 100 

Sanctus,  sacer,  religiosus  103.    Tempel  106.    Grotten  109. 
Nabelsteine  HO.    Andere  heilige  Steine  112.    Statuen  115. 

3)  Abzeichen IH 

Gesamtdarstellungen  der  göttlichen  Abzeichen 117 


VI  Inhalt. 

Seite 

Einzelne  Attribute  und  Symbole 118 

a)  Lichterscheinungen  und  Gestirne 118 

b)  Mineralische  Abzeichen 119 

c)  Die  Pflanzenwelt  im  Mythos.  Kult  und  Aberglauben.    .  120 

d)  Insekten 129 

e)  Fische 131 

f)  Amphibien 133 

g)  Vögel 136 

h)  Säugetiere 144 

i)  Abzeichen  von  Menschenhand 156 

k)  Teile  des  tierischen  und  menschlichen  Körpers  und  ani- 
malische Produkte  als  Abzeichen 163 

4)  Verfluchung,  Gottesurteil,  Eid 165 

5)  Heil-  und  Abwehrzauber 173 

Amulette  174.  Reinigungsgebräuche  176.  Kleidung  und 
Entblößung  im  Gottesdienst  177.  Obszöne  Riten  179. 
Wollenes  Gewand  und  Schaffell  183.  Pharmakoi  185. 
Steinigung  187.  Durchkriechen  durch  ein  Loch  187.  Täto- 
wieren 188.    Buße  189. 

6)  Priester  und  Geweihte  190 190 

Mysterienriten  192. 

7)  Tanz,  CFmzug.  Wettlauf 195 

8)  Dramatische  Aufführungen 199 

Ursprung  der  Tragödie  200.  Ursprung  der  Komödie  206. 
Verkleidung  207. 

9)  Opfer  und  Gebet 210 

Speiseopfer,  Verspeisung  der  Gottheit  211.  Menschen- 
opfer 212.    Dankopfer  213.    Gebete  214. 

10)  Weissagung 214 

Lekanomantie214.  Stemdeutung  215.  Traumdeutung  219. 
Prodigien  219.  Eingeweideschau  221.  Würfel-  und  Los- 
orakel 222. 

11)  Anlaß  und  Zeit  des  Zaubers  und  des  Kultus 224 

a)  Im  Leben  des  einzelnen 224 

«)  Liebeszauber 224 

ß)  Hochzeitsgebräuche 224 

y)  Maßregeln  zur  Erzielung  von  Nachkommenschaft  .   .   .  230 

d)  Geburt 231 

Namengebung  232. 

i)  Bestattung  und  Totenkult 235 

C)  Vorstellungen  vom  Schicksal   der  Seele  nach  dem  Tode    249 
Eingang  zur  Unterwelt  256.    Unterweltsrichter  256. 
ünterweltsstrafen    der    Frevler    257.      Elysion    und 
Inseln   der  Seligen  258.     Die  Seelen   als  Sterne  259. 
Seelenwanderungslehre  260. 

b)  Zeit  und  Veranlassung  der  öffentlichen  Gottesdienste     .    .     262 
1)  Einmalige  Begehungen  aus  besonderer  Veranlassung.    .     262 

«)  Das  Wetter 262 


Inhalt.  \;i^ 

Seite 
ß)  Zauberei  und  gottesdienstliche  Handlungen   aus  An- 
laß von  Kriegen 264 

Kriegstanz  265.  Friedensopfer  266.  Trophäen  und 
Triumphe  266. 

2)  Regelmäßige  Feste 268 

In  Griechenland  268.  Römischer  Festkalender  269. 
Kalender  270.  Mondmonate.  Jahresfeste  und  Sonnen- 
jahr 270.    Neujahr  278.    Zahlensymbolik  280  ff. 

V.  Antike  Schriftquellen  zur  Religionsgeschichte  und 

Mythologie 283 

Orphika  283.     Unteritalische  Goldplättchen  289. 

Kultlieder  und  Gebete 291 

Zaubertexte 293 

Schriften  von  Antiquaren  und  Theologen  über  den  Kult    .    .     295 

Mythographische  Literatur 296 

Der  mythologische  Roman 300 

Philostratos  304.  Manippos  305.  Apuleius  und  das  Psyche- 
märchen 306.    Alexanderroman  313. 

Philosophen 314 

Antike  Mythendeutung  318.  Poseidonios,  Plutarch  320. 
Labeo  321.  Apollonios  von  Tyana  322.  Hermetische  Lite- 
ratur 322  ff.     Philo  324.    Neuplatoniker  324.    Julian  325. 

VI.  Lokalkulte  und  Mythen 325 

Attika 325 

Athen  326  ff.    Eleusis  330. 

Boiotien 343 

Lokris 344 

Lokrische  Mädchen  345. 

Delphoi 350 

Thessalien 354 

Peloponnes 355 

Megara  355.  Achaia  356.  Elia  356  ff.  Messenien  362. 
Lakonien  364.    Argolis  365.    Arkadien  366. 

Die  Nordländer  der  Balkanhalbinsel 367 

Makedonien  und  Thrakien  368. 

Inseln  des  Ägäischen  Meeres 370 

Aigina  Delos  370.  Euboia  371.  Ikos,  Keos  372.  Kos  375. 
Kreta  375.  Lemnos  379.  Lesbos  379.  Rhodos  379.  Sala- 
mis 381.  Samos381.  Samothrake381.  Sikiros  381.  Skyros381. 
Tenos  382.    Thasos  382.    Thera  382. 

Kleinasien 382 

lonien  383.  Pergamon  389.  Troas,  Mysien  390.  Nord- 
küste Kleinasiens  391.  Lydien391.  Phrygien  392.  Galatia394. 
Südküste  Kleinasiens  394. 

Der  semitische  Orient 395 

Ägypten 398 

Kyrene 399 

Das  nordwestliche  Afrika 404 


VIII  Inhalt. 

Soite 

Der  Nordwesten  der  Balkanhalbinsel 406 

Italische  Inseln 409 

Unteritalien 412 

Latium 418 

Etrurien 421 

Nordländer 421 

VII.  Mythologie 422 

1)  Verwandte  Züge  in  verschiedenen  Mythen 422 

2)  Sagenkreise 429 

Welt-  und  Menschenschöpfiing  429.  Weltalter  48U. 
Sintflutsage  4ol.  Argonautensage  483.  Thebanischer 
Sagenkreis  484.    Troischer  Kreis  436. 

Namenverzeichnis 441 


Jahresberieht  über  die  Literatur  zur  antiken  Religions- 
gesctiiclite  und  Mytliologle  aus  den  Jaliren  1906-1917. 

Von 
Otto  Grappe  in  Charlottenburg. 


Vorbemerkung  ^). 

Furchtbare  Ereignisse  haben  neben  so  vielem  Wichtigeren  auch 
die  rechtzeitige  Herstelhing  dieses  Jahresberichtes  verhindert.  Noch 
jetzt  wird  er  viele  Lücken  enthalten,  aber  diese  auszufüllen,  muß 
dem  nächsten  Bericht  vorbehalten  bleiben ,  der  bereits  angefangen 
ist  und  bald  folgen  soll.  Eine  noch  längere  Verzögerung  hätte  die 
vorliegenden  Besprechungen  wertlos  gemacht,  ihnen  außerdem  einen 
übermäßigen  Umfang  gegeben.  Schon  jetzt  mußten  gegenüber  den 
bisherigen  Jahresberichten  außerordentliche  Beschränkungen  ein- 
treten. Nur  solche  Arbeiten  sind  besprochen ,  die  entweder  neue 
hterarische,  epigraphische  oder  kunstarchäoiogische  Zeugnisse  be- 
handeln oder  die  bisher  bekannten  vollständiger,  als  es  früher  ge- 
schehen war,  sammeln  oder  neue  beachtenswerte  Probleme  wenigstens 
aufstellen.  Aber  auch  von  diesen  Untersuchungen  sind  die  über- 
gangen, die  an  leicht  auffindbaren  Stellen  der  Handbücher,  z.  B. 
bei  Hastings,  Encyclop.  ßelig.  and  Eth.,  Daremberg-Saglio, 


^)  [Leider  war  es  unter  den  gegenwärtigen  Verhältnissen  schlechter- 
dings unmöglich,  den  ganzen  von  Herrn  Professor  Gruppe  schon  im 
Frühjahr  1919  eingereichten  Bericht  zum  Abdruck  zu  bringen,  da  sein 
Umfang  von  der  Druckerei  auf  .55  Bogen  geschätzt  wurde.  Der  Herr 
Verfasser  überließ  es  mir,  die  starken,  unumgänglichen  Kürzungen  vor- 
zunehmen, und  so  habe  ich,  da  kleinere  redaktionelle  Eingriffe  kein  ge- 
nügendes Ergebnis  hatten,  nach  langem  Überlegen  größere  Abschnitte 
der  Kapitel  HI  und  V,  vor  allem  aber  in  Kapitel  VH  den  allein  80U  Quart- 
seiten des  Manuskripts  füllenden  Abschnitt  „Untersuchungen  über  einzelne 
Gestalten  des  Mythos"  fortgelassen.  Daß  mein  Verfahren  weder  bei  dem 
Verfasser  noch  bei  den  Benutzern  des  Berichts  unbedingte  Billigung 
finden  wird,  weiß  ich  wohl,  aber  nur  eo  war  es  dank  dem  weitgehendt  n 
Entgegenkommen  der  Verlagsbuchhandlung  möglich,  wenigstens  die 
Hauptstücke  des  Berichts  für  die  Wissenschaft  zu  retten. 

Der  Herausgeber.] 
Jahresbericht  für  Altertums-wissonschaft.    Bd.  183  (Supplementband).  1 


2  Vorbemerkung.    Kagarow. 

im  M(ytLolof:;ischen)  L(exikon),  der  R(eal)  E(ncyklopädie),  in 
Wissowas  Religion  und  Kultus  der  Römer,  oder  in  andern  von 
jedem  Mythologen  und  Religionshistoriker  ständig  benutzten  Werken, 
bereits  ausgeschöpft  sind.  Es  hätte  keinen  Zweck,  bloß  der  Voll- 
ständigkeit willen  Werke  und  Aufsätze  zu  nennen,  die  seit  Jahren 
in  den  Händen  aller  sich  dafür  Interessierenden  sind.  Aus  diesem 
Grund  sind  auch  jene  Handbücher  selbst  und  allbekannte  Spezial- 
untersuchungen höchstens  kurz  erwähnt  worden.  Die  so  zustande 
gekommene  Auswahl  muß  freilich  befremden ,  wenn  die  Nicht- 
erwähnung als  das  Urteil  des  Referenten  über  den  Wert  einer 
Arbeit  betrachtet  wird ;  aber  nur  so  konnten  wertvolle  Mitteilungen 
und  Vermutungen  vor  der  Gefahr  geschützt  werden,  in  Vergessen- 
heit zu  geraten.  Diese  Gefahr  war  auf  dem  schwer  zu  über- 
schauenden Gebiet  der  Mythologie  und  Religionsgeschichte  immer 
sehr  groß ,  aber  nie  so  groß  wie  jetzt ,  wo  viele  Fäden  zerrissen 
sind  und  die  Aufmerksamkeit  so  lange  auf  anderes  gerichtet  ge- 
wesen ist.  Auch  der  vorliegende  Bericht,  in  dem  doch  alles  Wert- 
lose ausgeschieden  ist,  nennt  zahlreiche  Arbeiten,  die  anders  aus- 
gefallen wären,  wenn  die  Verfasser  ihre  Vorgänger  gekannt  hätten. — 
Die  zusammenfassende  Besprechung  einer  größeren  Zahl  von  Arbeiten 
hat  die  Form  des  Berichtes  an  einigen  Stellen  äußerlich  der  Dar- 
stellung eines  Handbuchs  genähert,  und  einem  solchen  vorzuarbeiten, 
ist  in  der  Tat  sein  Zweck  und  seine  Aufgabe.  Aber  er  will  auch 
nicht  vorübergehend  ein  Handbuch  ersetzen,  kann  es  ja  auch  schon 
deshalb  nicht,  weil  nur  Fragen  erörtert  werden,  die  zufällig  in  der 
Berichtsperiode  behandelt  sind. 

I.  Schriften  zur  Geschichte  der  antiken  Religions- 
wissenschaft und  Mythologie. 

Eugen  Kagarow  gibt  in  den  russisch  geschriebenen  Mytho- 
logischen Skizzen,  Charkow  1913,  Buchdruckerei  „Friedensarbeit", 
1 — 79  einen  Al)riß  des  gegenwärtigen  Zustandes  der  mythologischen 
Forschung  und  S.  80 — 124  einen  Abriß  der  Entwicklung  der  Mytho- 
logie. Die  er.ste  Abhandlung  bespricht  in  5  Abschnitten  die  Theorie 
der  Übernahme  europäischer  Mythen  aus  dem  Orient  (S.  2 — 11), 
die  solaren  und  meteorologischen  Theorien  von  A.  Kuhn,  M.  Müller 
und  ihren  Schülern  (12—31),  die  dämonologische  Richtung  von 
W.  Schwartz  und  W.  Mannhardt,  Usener ,  Röscher  ( — 42),  die 
historisch-philologische  und  (5(i  fF.)  die  anthropologische  Richtung. 
In    dem    zweiten    Aufsatz    werden    besprochen :    Animismus  (80  ff.)» 


Kagarow.    Hauptrichtungen  innerhalb  der  Mythologie.  3 

Fetischismus  (86),  Pflanzenkult  (92),  Tierkult  (9ü),  Magie  (107), 
Jenseits-  und  Zukunftsglauben  (109),  endlich  die  eigentliche  Mytho- 
logie sowohl  nach  ihrer  materiellen  (117)  wie  nach  ihrer  formalen 
(119)  Seite  und  den  die  Mythenbildung  auslösenden  Vorgängen. 
Der  Berichterstatter,  des  Russischen  nicht  kundig,  ist  auf  Angaben, 
die  ihm  der  Verfasser  selbst  gesprächsweise  und  brieflich  über  sein 
Buch  gemacht  hat,  sowie  auf  einen  Auszug  angewiesen,  den  er  der 
Güte  von  Herrn  Orlt  verdankt.  Soweit  danach  ein  Urteil  statthaft 
ist,  scheint  Kagarow,  eic  gründlicher  Kenner  auch  der  deutschen 
mythologischen  Literatur,  die  wichtigsten  Richtungen  der  neueren 
Mythologie  ohne  zu  scharfe  Hervorhebung  des  eigenen  Standpunktes 
gezeichnet  zu  haben.  —  Wenigstens  z.  T.  gehört  in  diesen  Jahres- 
bericht auch  J.  Toutain,  La  section  des  sciences  religieuses  de 
r^cole  pratique  des  hautes  etudes  de  1886  ä  1911,  son  histoire, 
son  Oeuvre,  der  eine  für  uns  Deutsche  in  mancher  Beziehung  nach- 
ahmenswerte Zusammenfassung  der  religionswissenschaftlichen 
Forschung  erkennen  läßt.  Einen  gewissen  Ersatz  bietet  jetzt  die 
Religionswissenschaftliche  Vereinigung  in  Berlin. 

n.  Richtungen  innerlialb  der  klassischen  Mytho- 
logie und  Religionswissenschaft. 

a)  Allgemeine  Übersicht. 

Früher  ließen  sich  die  religionsgeschichtlichen  und  mytholo- 
gischen Untersuchungen  einteilen  nach  der  Stellung,  die  sie  gegen- 
über dem  am  meisten  in  die  Augen  fallenden  Problem,  der  Über- 
einstimmung griechischer  und  römischer  Vorstellungen  mit  solchen 
anderer  Völker,  einnahmen.  Je  nachdem  Kulte  und  Mythen  von 
nur  indogermanischen  oder  auch  von  andern  antiken  Völkern  oder 
von  heutigen  Kulturvölkern  oder  von  Wilden  verglichen  wurden, 
und  je  nachdem  die  gefundenen  Übereinstimmungen  als  Zeugnisse 
für  eine  ehemalige  Völkergemeinschaft  betrachtet,  als  nachträglich 
von  Volk  zu  Volk  übertragen  angesehen  oder  endlich  auf  eine  ge- 
meinsame Veranlagung  des  Menschengeistes  zurückgeführt  wurden, 
sonderten  sich  in  der  ungeheuren  Literatur  verschiedene  Gruppen 
aus.  Nur  zwei  der  früher  nach  jenen  beiden  Gesichtspunkten  sich 
sondernden  Richtungen  haben  noch  heute  eine  so  große  und  so 
geschlossene  Anhängerschaft,  und  es  ist  überdies  so  schwer,  ihre 
Ergebnisse  in  einem  andern  Zusammenhang  zu  erwähnen,  daß  ihnen 
vorweg  einige  Worte  gewidmet  werden  müssen:  die  jetzt  sehr  be- 

1* 


4  Anthropologische  Richtung. 

lieht  gewordene  Vergleichung  der  religiösen  Vorstellungen  primitiver 
Völker  und  die  naturalistische  M^'thendeutung. 

b)  Die  Vergleichung  von  Vorstellungen  primitiTer  Völker 
(Anthropologische  Richtung). 

Von  den  beiden  Voraussetzungen  aus,  daß  erstens  die  antiken 
Religionsvorstellungen  in  eine  Zeit  zurückgehen,  in  denen  Griechen- 
land und  Italien  auf  einer  ähnhchen  Kulturstufe  standen  wie  die 
heutigen  Wilden,  und  daß  zweitens  alle  Völker  ungefähr  die  gleiche 
Entwicklungsstufen  durchlaufen  haben ,  gelangte  man  zu  der  heute 
in  weiten  Kreisen  herrschenden  Annahme,  daß  die  beste  Auskunft 
über  die  Entstehung  der  ältesten  Kulte  Griechenlands  und  Italiens 
bei  den  am  meisten  zurückgebliebenen  Völkern  der  heutigen  Welt 
zw  erhalten  sei.  Beide  Voraussetzungen  sind  unbewiesen  und 
■wahrscheinlich  falsch.  Die  Griechen  haben  bei  ihrem  Einbruch 
in  die  Balkanhalbinsel ,  dort  eine  hochentwickelte  Kultur  vor- 
gefunden, sodaß  gerade  ihre  ältesten  religiösen  Vorstellungen,  die- 
jenigen, die  sie  den  früheren  Bewohnern  entnahmen,  ihre  Wurzeln  in 
einer  bereits  reichen  Kulturwelt  haben;  gleiche  Entwicklung  aber  ist 
nur  da  möglich,  wo  dieselben  von  den  Vorfahren  ererbten  Keime 
vorliegen,  also  nur  bei  dem  einzelnen,  nicht  bei  einem  ganzen  Volk, 
das  im  Sinne  der  Abstammungslehre  als  solches  keine  Vorfahren 
hat.  Trotzdem  ist  die  Hoffnung,  bei  den  vermeintlich  leicht  fest- 
zustellenden Vorstellungen  heutiger  Wilder  ein  Licht  zu  finden,  das 
in  die  dunkelen  Anfänge  der  antiken  Religion  hineinleuchtet,  so 
groß,  daß  jene  in  steigendem  Maße  namentlich  in  England  und 
Frankreich  in  dieser  Absicht  untersucht  werden.  Obwohl  bei  der 
geringen  Zahl  der  dem  Wilden  möglichen  Handlungen  und  der  ihm 
zu  Gebote  stehenden  Vorstellungen  die  Zufälligkeit  einer  gefundenen 
Übereinstimmung  selten  auszuschließen  ist,  macht  sich  bisher  gegen 
diese  Methode  nur  vereinzelter  Widerspruch  geltend,  z.  B.  bei 
Gräbner,  Methode  d.  Ethnol.,  Kulturgesch.  Bibl.  I.  1,  Heidelb. 
1911,  der  S.  62  ff.  hervorhebt,  daß  die  schon  bei  der  Vergleichung 
stammverwandter  oder  in  Kulturaustausch  stehender  Völker  schwer 
vermcidliche  Irrtumsmöglichkeit  ins  Ungemessene  wächst,  wenn 
zwei  allophyle  und  getrennt  wohnende  Völker  in  bezug  auf  ihre 
religiösen  Vorstellungen  verglichen  werden.  Es  ist,  wie  Gräbner 
a.  a.  0.  63  hervorhebt,  „ein  zunächst  nicht  gerechtfertigter  Schluß, 
daß  gleichen  Äußerungen  auch  der  gleiche  Sinn  zugrunde  liegt". 
Selbst  wo  eine  Vorstellung  über  weite  voneinander  gesonderte  Ge- 
biete   verbreitet   ist,    läßt   die   "Übereinstimmung   fast   nur   in    dem 


Anthropologische  Kichtung.  5 

seltenen  Fall  einen  Schluß  auf  ihre  Entstehung  zu,  daß  über  die  Art 
und  Zeit  der  Verbreitung  eine  einigermaßen  sichere  Vermutung 
möglich  ist.  Wenn  Gräbner  über  dieses  eng  begrenzte  Gebiet 
hinaus  Verwertung  religiöser  Übei-einstimmungen  mit  der  Maßgabe 
für  statthaft  erklärt ,  daß  nicht  einzelne  Vorstellungen ,  sondern 
größere  Vorstellungsreihen  oder  Kulturkomplexe  verglichen  werden, 
80  reichen  wenigstens  die  von  ihm  selbst  zur  Erläuterung  angeführten 
Beispiele  nicht  aus,  um  die  Möglichkeit  solcher  verwertbarer  Ähn- 
lichkeit als  hoffnungsvoll  erscheinen  zu  lassen.  Wird  vollends  die 
Vergleichung  ohne  solche  Vorsicht  ausgeführt,  so  wird  fast  nie  ein 
wissenschaftlicher  Erfolg  erreicht.  Diese  Art  vergleichender  Mytho- 
logie ,  die  z,  B.  von  Goblet  d'Alviella  Act.  IV  Cougi\  intern, 
d'hist.  de  rel.  57  ff.  wenigstens  neben  der  historischen  empfohlen 
wird,  vermeidet  einen  Fehler  nicht ,  den  die  vergleichende  Sprach- 
forschung bereits  vor  über  100  Jahren  abgeworfen  hatte,  als  sie 
erkannte ,  daß  nicht  alle  Sprachen  wahllos  miteinander  verglichen 
werden  können,  daß  vielmehr  größere  und  kleinere  Sprachfamilien 
unterschieden  werden  müssen,  die  miteinander  näher  oder  entfernter 
verwandt  sind.  Um  die  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  war  die 
Mythenvergleichung  diesem  Vorgang  gefolgt,  freilich  in  der  Voraus- 
setzung, daß  Mythos  und  Kultus  ebenso  wie  die  Sprache  in  die 
Zeiten  zurückreichen  müssen,  in  der  die  Völker  derselben  Völker- 
familie sich  nicht  getrennt  hatten,  und  daß  demnach  sprachverwandte 
Völker  auch  ähnliche  Mythen  besitzen.  Diese  Annahme  ist  zwar 
durch  die  Tatsachen  widerlegt  worden,  aber  methodisch  war  diese 
Art  von  Mythenvergleichung  besser  als  die  jetzt  übliche,  denn  diese 
geht  auf  einen  Standpunkt  zurück,  der  dem  Vorboppschen  der 
Sprachvergleichung  entspricht.  Übereinstimmungen,  wie  sie  die 
Anthropologie  und  Völkerpsychologie  nachzuweisen  suchen,  können 
in  keinem  Fall  einen  sicheren  Aufschluß  über  einen  antiken  Ritus 
oder  Mythos  geben;  offenbare  Ähnlichkeiten  sind  zwar  zu  buchen, 
weil  sie  später  vielleicht  sich  als  auf  einem  geschichtlichen  Zu- 
sammenhang beruhend  herausstellen,  unter  Umständen  auch  auf 
eine  sonst  unbeachtet  bleibende  Erklärungsmöglichkeit  aufmerksam 
machen;  aber  die  wirklichen  Fortschritte  in  der  antiken  Eeligions- 
geschichte  sind  bisher  fast  ausnahmslos  von  solchen  Forschern  ge- 
wonnen ,  die  sich  wesentlich  auf  diejenigen  Zeugnisse  gestützt 
haben,  die  das  klassische  Altertum  selbst  bietet.  Mit  Recht  warnt 
P.  Wendland,  De  faheUis  antiquissimis  earumque  ad  Christianos 
propagaiione,  Gott.  1911  Universit.-Progr.,  am  Schluß  die  Studenten, 
vergleichende    Eeligionsgeschichte    zu   treiben,    statt   die  religiösen 


6  Anthropologische  Richtung. 

"Urkunden  einzelner  Völker  mit  philologischer  Genauigkeit  zu  er- 
forschen, und  bezeichnet  dies  als  die  unerläßliche  Vorbedingung 
für  eine  erfolgreiche  Vergleichung.  Trotzdem  werden  fortwährend 
griechische  und  römische  Religionsvorstellungen  aus  solchen  heutiger 
Wilden  erklärt.  Schon  im  Titel  verkündet  diese  Auffassung  der 
von  R.  R.  Marett  herausgegebene  Sammelband  Anthropology  and 
the  Classics,  Six  Lectures  delivered  before  the  University  of  Oxford 
(Oxford  1908;  ins  Deut.sche  übersetzt  von  Hoops  u.  d.  Titel  „die 
Anthropologie  und  die  Klassiker")  mit  fünf  für  das  Altertum  in  Be- 
tracht kommenden  Aufsätzen:  II  Lang,  Homer  and  Anthropolog}-- ; 

III  Murray,  Anthropology  in  the  Greek  epic  tradition  outside  Homer  •, 

IV  Je  von  s,  Graeco-Italian  Magic-,  V  My  res,  Herodotus  and  Anthro- 
pology; VI  Fowler,  Lustratio. —  Das  bedeutendste  Werk  der  eng- 
lischen anthropologischen  Religionswissenschaft  ist  die  dritte  ganz 
umgearbeitete  Auflage  von  Frazers  Golden  Bough,  fast  ein  neues 
Buch,  das  schnell  weite  Verbreitung  gefunden  hat,  nachdem  die  erste 
Auflage  unter  dem  Titel  Rameau  d'or  von  Stiebel,  2.  Bd. nach  dessen 
Tode  1908  von  To utain  ins  Französische  übersetzt  worden  war. 
Seinem  Umfang  nach,  der,  wie  die  aufeinanderfolgenden  Buchhändler- 
ankündigungen zeigen ,  noch  wähi'end  der  Niederschrift  beständig 
gewachsen  ist,  gehört  das  Werk  zu  den  größten,  die  jemals  in 
unserer  Wissenschaft  erschienen  sind ;  ursprünglich  nur  zwei  Bände 
umfassend ,  ist  es  jetzt  auf  elf  angeschwollen ,  die  in  sieben  Ab- 
teilungen gegliedert  sind:  1)  The  magic  Art  (2  Bde.  1911);  2)  Taboo 
and  the  perils  of  the  Soul;  3)  The  dying  God  (1911);  4)  Adonis, 
Attis,  Osiris  (2  Bde.  1911;  unter  demselben  Titel  war  eine  eben- 
falls als  dritte  bezeichnete  Auflage  bereits  1907  in  einem  Band 
erschienen);  5)  Spirits  of  the  Com  and  the  wild  (2  Bde.  1912); 
6)  The  Scapegoat  (1913);  7)  Balder  the  Beautiful  1913).  Trotz 
des  großen  Umfanges  seines  Werkes  gelangt  der  Vf.  nicht  dazu, 
die  Voraussetzungen,  auf  denen  er  fußt,  zu  prüfen,  und  wo  aus 
diesen  Voraussetzungen  verschiedene  Schlüsse  gezogen  werden 
können,  wird  er  öfters  weniger  durch  sachliche  Erwägungen  be- 
stimmt als  durch  Zufälligkeiten ,  z.  B.  durch  den  Zusammenhang, 
in  dem  er  auf  eine  Frage  geführt  wurde.  Nicht  in  der  Aufstellung 
und  Begründung  neuer  Voraussetzungen  noch  in  der  richtigeren 
Durchführung  der  alten  liegt  der  Wert  des  Buches.  Alle  Haupt- 
gedanken sind  ihm  von  außen  zugeführt:  der  Gedanke,  daß  auf 
einer  gewissen  Stufe  Vegetationsdämonen  verehrt  wurden ,  von 
Mannhardt,  dessen  Theorie  von  dem  Feuerzauber  als  einem  sympathe- 
tischen   Sonnenzauber    er  jetzt    freilich   durch  Westermarcks  Ver- 


Frazer.  7 

mutung  ersetzt,  daß  er  ursprünglich  eine  Sühnungs-  und  Reinigungs- 
jnaßregel  war  (VII  1,  S.  VII),  die  Anschauung,  daß  das  Sakra- 
ment älter  sei  als  das  Opfer,  von  Robertson  Smith,  dem  er  freilich 
in  der  Erklärung  des  Sakraments  als  Totem  nicht  folgt  (I  1,  S.  XXII). 
Die  meisten  der  allgemeinen  Voraussetzungen  des  Vf.s  sind  die  in  der 
anthropologischen  Literatur  zeitweilig  herrschenden  oder  wenigstens 
vorherrschenden,  so  glaubt  er  z.  B.  mit  S.  Rein  ach  (z.  B.  Cultes 
mythes  rel.  III  101)  u.  a. ,  daß  die  Zauberei,  die  er  als  falsche 
Naturerklärung  auffaßt  (I  1,  224),  also  auch  wie  Ed.  Meyer  aus 
einer  Irreleitung  des  Kausalitätstriebes  erklärt,  älter  sei  als  die 
Religion  (dagegen  haben  nach  J  e  v  0  n  s  ,  An  Introduction  to  the 
Study  of  Comparative  Religion,  New  York  19Ö8,  hervorgegangen 
aus  Vorlesungen  für  Missionare  am  theologischen  Seminar  zu  Hart- 
ford [vgl.  Jevons'  Aufsatz  in  Maretts  Anthropol.  and  the  Class. 
93  ff.]  beide  überhaupt  nichts  mit  einander  zu  tun,  da  der  Zauberer 
ursprünglich  weder  zu  den  Göttern  bete  noch  sie  zwinge,  sondern 
lediglich  eine  ihm  vermeintlich  innewohnende  persönliche  Macht 
ausübe,  und  Foucart  erklärt  öfters,  z.  B.  Compt.  rend.  AIBL 
1912,  134  Magie  und  Religion  für  gleichzeitig).  In  der  Frage  nach 
dem  Verhältnis  von  Ritus  und  Mythos  stellt  sich  Frazer  auf  die 
Seite  derer,  die  diesen  für  jünger  halten  und  glauben,  daß  er  be- 
stimmt sei,  jenen  zu  erklären  (genauer  sagt  Reuterskiöld,  Die 
Entstehung  der  Speisesakramente,  übers,  von  Sperber,  Heidel- 
berg 1912,  S.  67,  daß  der  Ritus  erst  dann  mit  einem  Mythos  in 
Verbindung  trete,  wenn  er  unverständlich  geworden  sei ;  Richard 
M.  Meyer,  Arch.  f.  Rlw.  1910,  275,  Internat.  Monatsschr.  1914, 
451  ff.  bestreitet,  daß  grundsätzlich  der  Ritus  vor  den  Mythos  zu 
setzen  sei).  —  Das  Königtum  ist  nach  Frazer  aus  der  Zauberei 
hervorgegangen.  Den  Gedanken,  daß  sich  die  religiöse  Entwicklung 
der  verschiedenen  Völker  übereinstimmend  vollzogen  habe ,  spricht 
der  erfahrene  Kenner  so  vieler  Religionen  zwar  nicht  aus,  er  hebt 
sogar  hervor,  daß  die  Elemente  der  Religion  zu  mannigfaltig  und 
zu  verwickelt  seien,  um  auf  einfache  Formeln  gebracht  zu  werden. 
Aber  wenn  er  —  allerdings  mit  vorsichtiger  Zurückhaltung  —  V  2, 
S.  35  f.  für  Ägypten  drei  aufeinanderfolgende  Systeme  erschließt, 
eines,  in  welchem  die  Scheu  vor  wilden  Tieren  und  Pflanzen  über- 
wog, ein  zweites ,  in  denen  zahme  Tiere ,  und  ein  drittes ,  in  dem 
die  in  den  Kulturpflanzen  angenommenen  Vegetationsgötter  verehrt 
wurden,  so  hat  diese  Vermutung,  die  aus  den  Tatsachen  selbst 
nicht  erschlossen  werden  kann ,  nur  dann  einen  Sinn ,  wenn  ein 
dauerndes  Verhältnis  zwischen  den  Religions-  und  den  allgemeinen 


8  Frazer. 

Kulturstufen  angenommen  wird ;  und  da  der  Vf.  die  jenen  drei  ver- 
meintlichen Religionsepochen  entsprechenden  Kulturperioden  des 
Jagd-,  Hirten-  und  Bauerulebens  sich  ofifonbar  als  allgemeine  Ent- 
wicklungsstadien denkt,  so  muß  er  trotz  der  ihm  nicht  unbekannten 
Schwierigkeiten  der  Durchführung  doch  das  Bestehen  allgemeiner 
Entwicklungsgesetze  auch  für  die  religiösen  Vorstellungen  mindestens 
als  wahrscheinlich  annehmen. 

Wie  hier,  so  zeigt  sich  Fr.  auch  sonst  unsicher  und  schwankend 
sowohl  hinsichtlich  der  allgemeinen  Voraussetzungen  wie  auch  hin- 
sichtlich der  Stellung  der  Probleme  und  der  Methode ,  die  er  bei 
ihrer  Lösung  einzuschlagen  hat.  Wenn  er  Vorstellungsketten  aus 
Ideen  bildet,  die  sich  vereinzelt  über  die  ganze  Ei-de  verstreut 
finden ,  und  dabei  nicht  prüft ,  wie  und  ob  sie  an  die  Stellen  ver- 
sprengt werden  konnten,  bei  denen  sie  erhalten  sind,  so  erklärt  sich 
dies  wohl  z.  T.  wenigstens  aus  den  Schwierigkeiten  und  Wider- 
sprüchen ,  in  die  ihn  die  Untersuchung  geführt  hätte.  Er  selbst 
äußert  sich  darüber  VII  1,  S.  XI,  daß  es  ihm  weniger  darauf  an- 
komme, bestimmte  Gedanken  zu  erweisen,  die  sich  doch  vermutlich, 
wie  dies  noch  bei  allen  bisherigen  Systemen  der  Fall  gewesen  sei, 
nach  einiger  Zeit  als  falsch  herausstellen  würden,  als  darauf,  Pflöcke 
zu  finden,  an  denen  er  seine  reichhaltigen  Sammlungen  aufhängen 
könne.  Das  Werk  hat  sich  immer  mehr  zu  einem  ungeheuren 
Speicher  für  religionsgeschichtliche  Parallelen  erweitert.  So  finden 
sich  z.  B.  Sammlungen  über  ßegenzauber  (I  1,  247  0".),  Baumkultus 
(I  2,  1  if.),  Feuerreibung  (I  2,  207  ff.),  ewige  Feuer  (ebd.  253  ff.), 
Zauber  mit  Haaren  (II,  258  ff.),  Kinderopfer  (III,  160  ff),  über  die 
Tötung  oder  Austreibung  der  Jahreszeiten  oder  des  Todes  (IV,  205  ff.), 
die  Bedeutung  der  Plejaden  für  den  Kalender  (V  2,  307  ff.),  Geister- 
austreibung (VI,  109  ff.),  über  das  Verbot,  unter  gewissen  Um- 
ständen in  die  Sonne  zu  sehen  (VII  1,  18  ff.),  über  den  Ritus  des 
Kriechens  durch  ein  Loch  (VII  1,  283;  VII  2,  168  ff.),  über  die 
Wünschelrute  (VII  2,  67  ff.),  über  Lebenszeichen  (VII  2,  95  ff.), 
über  die  Seele  im  Haar  (VII  2,  158,  165),  über  Regenzauber  mit 
Hilfe  donnerähnlicher  Geräusche  (ebd.  227  ff.).  Vollständig  sind 
diese  Sanunlungen ,  von  denen  einzelne  sich  fast  zu  Monographien 
erweitem,  natürlich  nicht,  aber  an  Reichhalt'gkeit  lassen  sich  nur 
die  von  Mannhardt  vergleichen ,  dem  der  Vf.  auch  in  der  Auf- 
fassung, namentlich  im  fünften  Teil  nahesteht.  Freilich  schöpft 
Fr.  nicht,  wie  Mannhardt  fast  immer,  aus  den  ursprünglichen  Quellen 
selbst,  meist  bedient  er  sich  abgeleiteter  und  nicht  immer  un- 
verfälschter Kanäle  oder  Sammelbecken,  und  manches  Üble  hat  er 


Frazer.    Karsten.  9 

selbst  aus  Mißverständnis  hinzugeian.  Gerade  auf  dem  Felde  der 
klassischen  Altertumswissenschaft,  das  schon  längst  nicht  mehr 
im  Mittelpunkt  von  Frazers  Arbeitsgebiet  liegt ,  finden  sich  zahl- 
reiche Fehler,  darunter  auch  solche,  die  obwohl  längst  widerlegt, 
aus  den  früheren  Auflagen  herübergeschleppt  werden.  Dazu  gehört 
vor  allem  die  Auffassung  des  Ritus  von  Aricia,  die  den  Ausgangs- 
und Schlußpunkt  des  ganzen  Werkes  bildet  und  diesem  auch  den 
Namen  gegeben  hat  (vgl.  Berl.  phil.  Wochenschr.  1912  S.  745  ff. ; 
1914  1556).  Überhaupt  steht  in  der  Auslegung  und  Verwertung 
der  antiken  Zeugnisse  der  Übersetzer  und  Erklärer  des  Tansanias 
hinter  dem  Germanisten  Mannhardt  zurück;  daß  Frazers  Samm- 
lungen nicht  bloß ,  wie  die  seines  Vorgängers  gewöhnlich ,  Europa 
umfassen ,  sondern  die  ganze  Erde,  ist  nur  ein  bedingter  Vorzug, 
weil  die  Vergleichung  um  so  unsicherer  wird ,  je  mehr  Zwischen- 
glieder zwischen  den  verglichenen  Vorstellungen  liegen  müssen. 
Die  im  Ritual  und  im  Mythos  niedergelegten  Vorstellungen  sind  viel- 
gestaltig, und  ihre  Wandlungsfähigkeit  schafft  immer  neue  Ähnlich- 
keiten ,  daher  gestattet  die  ungeheure  Fülle  der  jetzt  gesammelten 
Vorstellungen,  durch  Zusammenschließen  des  Ähnlichen  ganz  ver- 
schiedenartige Ideenketten  zu  bilden,  die  wegen  ihrer  Lückenlosig- 
keit  unzerreißbar  scheinen ,  in  Wahrheit  aber  schon  deshalb  nicht 
fest  zusammenhängen  können,  weil  sie,  obwohl  einander  ausschließend,, 
doch  mit  gleichem  Recht  zusammengefügt  werden  können.  Mit 
Recht  bezeichnet  es  Gräbner,  Meth.  d.  Ethnol.  S.  68  als  zweifel- 
haft, ob  die  von  Frazer  verglichenen  Erscheinungen  überhaupt  'aus 
gleichen  kulturellen  Grundanschauungen  heraus  verstanden  werden 
dürfen'. 

Von  ähnlichen  Voraussetzungen  wie  Frazer  geht  Rafael 
Karsten  in  den  Studies  in  primitive  Greek  Religion  (Oversight  af 
Finske  Vetenskaps  Societetens  Förhandlinger  XLIX,  1906,  Helsing- 
fors  1907)  aus,  der  nicht  allein  (S.  50)  bestreitet,  daß  die  Völker 
ihre  religiösen  Vorstellungen  wie  Handelswaren  austauschen  und  es 
als  eine  fundamentale  Wahrheit  der  Anthropologie  bezeichnet,  daß 
die  Gleichföx'migkeit  der  religiösen  Ideen  aus  der  Gleichförmigkeit 
der  Gesetze  entspringe,  die  das  menschliche  Denken  regeln,  sondern 
auch  geradezu  behauptet,  daß  nie  andere  Vorstellungen  entstehen 
konnten,  als  solche,  die  sich  noch  heute  finden,  und  daß  lediglich 
die  psychologische,  d.  h.  die  anthropologische,  nicht  die  philologisch» 
Betrachtungsweise  zur  Erkenntnis  der  griechischen  Religions- 
geschichte führen  könne.  Im  einzelnen  wandelt  Karsten  z.  T. 
eigenartige  Wege.     Er  will  S.  48  ff.  ausführlich   die   im  Handbuch 


^0  Anthropologische  Richtung. 

der  griechischen  Mythologie  nnd  Religionsgeschichte  gegebenen 
Erklärungen  für  die  heiligen  Tiere,  Pflanzen  und  Steine  bekämpfen, 
aber  in  Wahrheit  bestreitet  er  Anschauungen ,  die  gar  nicht  auf- 
gestellt sind,  z.  B.  die,  daß  Steine  deshalb,  weil  das  Himmelsfeuer 
auf  sie  gefallen  sein  sollte,  oder  Tiere,  weil  sie  als  vom  Himmels- 
feuer erfüllt  galten ,  für  heilig  und  wundertätig  gehalten  wurden. 
In  "Wahrheit  ist  lediglich  auf  eine  kleine  Anzahl  bezeugter,  nicht 
erschlossener  Vorstellungen  hingewiesen ,  aus  denen  sich  ergibt, 
daß  zwischen  den  so  verschiedenartigen  Gedankenkreisen,  die  sich 
an  die  Entflammung  des  Opferfeuers  und  an  die  vermeintlichen 
Wunderwirkungen  mancher  Steine ,  Pflanzen  und  Tiere  knüpften, 
in  einzelnen  Punkten  früh  Ausgleichungen  eingetreten  sind.  Diese 
Schlußfolgerung  wird  keinesfalls  durch  die  Behauptung  erschüttert, 
daß  die  Belebung  und  Vergötterung  von  Naturobjekten  sich  auch  bei 
Völkern  finden,  die  keine  Vorstellung  von  Feuerphänomenen  haben. 
Durch  die  Vergleichung  der  religiösen  Vorstellungen  wilder 
Völker  war  die  antike  Religionsgeschichte  zunächst  dahin  gedrängt 
worden,  den  von  Tylor  zuerst  gründlich  behandelten  Animismua 
als  Grundlage  auch  der  griechischen  und  römischen  Vorstellungen 
anzusehen.  Auch  Herbert  Spencer  glaubte  an  einen  uralten,  fast 
allen  Völkern  gemeinsamen  Ahnen-  und  Seelenkult,  den  er  frei- 
lich etwas  anders  auffaßte  als  Tylor.  In  Deutschland  hat  ßohde 
diesen  Auffassungen ,  und  zwar  bisweilen  mit  ausdrücklicher  Be- 
rufung auf  die  Vorstellungen  von  Naturvölkern ,  Zugeständnisse 
gemacht,  nicht  immer  mit  Recht,  obwohl  tatsächlich  der  Totenkult 
und  der  Seelenglaube  bei  den  Völkern  des  Altertums  wichtig  ge- 
wesen sein  müssen.  Als  einziger  Ausgangspunkt  und  als  wichtigstes 
Element  aller  Religion  ist  der  Animismus  jetzt  fast  allseitig  auf- 
gegeben ,  sogar  für  die  Religionen  der  Wilden  (vgl.  die  Kritik  bei 
Durkheim,  Formes  elem.  67 — 100);  er  wurde  in  dieser  Eigen- 
schaft zunächst  ersetzt  durch  den  Animatismus  oder  Praeanimismus 
Maretts,  d.  h.  den  Glauben  an  eine  übernatürliche  allgemeine  Be- 
seelung der  Natur.  Diesen  Gedanken  verbindet  P.W.  Schmidt, 
der  Herausgeber  der  hauptsächlich  von  katholischen  Missionaren 
mit  redlichem,  aber  nicht  immer  erfolgreichem  Streben  nach  wissen- 
schaftlicher Freiheit  geschriebenen  Zeitschrift  Anthropos,  mit  der 
Ansicht  von  A.  Lang,  daß  die  Gottesidee,  die  einfachste  ursprüng- 
liche Vorstellung  von  der  persönlichen  Ursache,  etwas  ganz  Eigen- 
artiges, aber  Gegebenes  und  deshalb  der  Erklärung  nicht  Bedürftiges 
sei.  Schmidt,  der  selbst  (Anthrop.  III,  125  ff.;  336  ff.»  559  ff.; 
801  ff. ;   1081  ff. ;  IV,  207  ff. ;  505  ff'  ;  1075  ff. ;  V,  231  ff.)  eine  sehr 


Anthropologische  Richtung.  H 

ausführliche  Übersicht  über  die  Theorien  von  der  P^ntstehung  der 
Religion  gegeben  hatte,  hält  (der  Ursprung  der  Gottesidee,  I  Münster 
1912)  einen  praeanimistischen  Monotheismus  für  ursprünglich.  Die 
Schwäche  der  praeanimistischen  Hypothese  liegt  darin,  daß  die  allen 
Denk-  und  Anschauungsformen  widersprechende  Vorstellung  des 
Übernatürlichen  doch,  wenn  überhaupt  das  Problem  zu  Ende  ge- 
dacht wird ,  als  in  der  menschlichen  Natur  gegeben  betrachtet 
werden  muß,  das  Problem  also  nicht  gelöst,  sondern  nur  ver- 
schoben wird.  In  Wahrheit  ist  das  Problem  unter  der  Voraus- 
setzung des  Praeanimismus  sogar  unlöslich.  Denn  es  begreift  sich 
zwar,  daß  die  spielende  Einbildungskraft  Dinge  in  Beziehung  setzt, 
zwischen  denen  ein  natürlicher  Zusammenhang  nicht  bestehen  kann, 
daß  mit  der  Zeit  diese  im  geistigen  Spiel  gewonnenen  Beziehungen 
ernst  genommen  und  festgehalten  werden,  auch  nachdem  die  Un- 
möglichkeit eines  natürlichen  Zusammenhanges  zum  Bewußtsein  ge- 
kommen ist,  endlich,  daß  der  große  Vorteil,  den  der  vermeintliche 
Besitz  einer  übernatürlichen  Macht  dem  einzelnen  und  der  Gesell- 
schaft bringt,  die  Vorstellung  des  Übernatürlichen  überaus  stark 
werden  läßt.  Aber  immer  handelt  es  sich  dann  um  einzelne  Objekte, 
die  diese  Macht  verleihen,  oder  um  einzelne  Menschen,  die  sie  be- 
sitzen sollen.  Sowie  die  Vorstellung  verallgemeinert  wird,  sinkt 
das  Übernatürliche  in  die  Sphäre  des  Natürlichen  zurück,  oder  es 
wird  eine  zweite  höhere  Natürlichkeit  angenommen.  Nach  dieser 
Vorstellung  einer  Welt,  die  zwar  von  den  Gesetzen  der  natürlichen 
Welt  entbunden,  aber  in  sich  ebenso  gesetzmäßig  und  folgerichtig 
ist  wie  diese,  streben  die  höheren  Religionen  hin;  aber  sie  ist  Ziel, 
nicht  Ausgangspunkt  der  religiösen  Entwicklung.  Auch  die  Be- 
trachtung der  antiken  Religionen  lehrt,  daß  das  Übernatürliche 
ursprünglich  an  das  Einzelwesen  gebunden  ist.  Deshalb  wird  die 
praeanimistische  Hypothese  in  neuster  Zeit  wenigstens  für  die 
griechisch-römische  Religion  gewöhnlich  aufgegeben.  Die  Richtung, 
in  welche  die  Erforscher  dieser  jetzt  durch  die  Vergleichung  der 
Kulte  und  Mythen  von  Naturvölkern  geleitet  werden,  läßt  sich  durch 
die  Einführung  der  Begriffe  Tabu,  Orenda,  Mana  und  Totem  kenn- 
zeichnen. Die  drei  ersten  von  ihnen  sind  nahe  verwandt  und 
schwer  zu  trennen ;  sie  bezeichnen  das  Übernatürliche  oder  Dämo- 
nische, jedoch,  wie  es  scheint,  von  verschiedenen  Seiten  aus.  So- 
weit eine  Unterscheidung  im  Gebrauch  nicht  bloß  der  Anthropologen, 
sondern  der  wilden  Völker  selbst  möglich  ist,  bedeutet  das  der 
Sprache  eines  Südseevolkes  entnommene  Tabu  das  Dämonische  nach 
seiner  Wirkung  auf  den  mit  ihm  in  Berührung  kommenden  Menschen, 


12  Anthropologische  Richtung. 

die  gut  oder  übel  sein  kann-,  das  Wort  schließt  also  die  Begriffe 
Heilig,  Gefährlich  und  Unrein  ein.  Orenda,  das  der  Irokesensprache 
angehört ,  bezeichnet  dagegen  das  Zauberhafte  als  Eigenschaft 
eines  Wesens,  einer  Sache  oder  einer  Erscheinung,  endlich  Mana, 
das  wiederum  melanesisch  ist ,  scheint  damit  ungefähr  gleich- 
bedeutend, jedoch  mit  der  kleinen  Besonderheit,  daß  die  über- 
natürliche Eigenschaft  die  Steigerung  der  dem  Träger  eigentlich 
zukommenden  natürlichen  ist.  Alle  diese  drei  Vorstellungen  und 
auch  die  von  Jane  Harrison  Themis  S.  68  ff.  zur  Erklärung 
griechischer  Kulte  herangezogene  des  Wa-kon'-da,  über  die  Alice 
Fletcher  nach  dreißigjährigem  Aufenthalt  bei  den  Omaha-Iudianern 
berichtet  und  bei  der  —  soweit  die  wenig  klaren  Auseinander- 
setzungen in  der  „Themis"  ein  Urteil  gestatten  —  die  übernatür- 
liche Ki'aft  durch  einen  oder  in  einem  ekstatischen  Zustand  er- 
worben zu  werden  scheint,  hängen  also  eng  mit  der  vom  Über- 
natürlichen ziisammen ,  sie  müssen  daher  oder  können  wenigstens 
überall  da  vorhanden  sein,  wo  Zauberei  oder  Kultus  geübt  wird. 
In  der  griechischen  und  römischen  Religion  sind  sie  festgestellt 
worden,  lange  bevor  versucht  wurde,  diese  aus  den  Vorstellungen 
wilder  Völker  zu  erklären.  Insofern  ist  der  Ersatz  des  von  den 
Griechen  selbst  geprägten  Begriffes  des  Dämonischen  durch  die 
genannten  indianischen  oder  melanesischen  zwar  überflüssig,  aber 
an  sich  nicht  geradezu  schädlich;  das  wird  er  erst,  sobald  an- 
genommen wird ,  daß  damit  irgend  etwas  gewonnen  sei.  Jene 
Worte  bezeichnen  doch  nur  eine  begriffliche  Stufe  des  Glaubens 
an  das  Übernatürliche ,  nämlich  die ,  wo  die  ethischen  und  die 
Gottesvorstellungen  fehlen  oder  wenigstens  fehlen  können;  wa 
diese  durch  Entartung  wieder  beseitigt  sind  oder  weggedacht 
werden  können ,  bleiben  daher  auch  in  der  griechischen  und 
römischen  Religion  Vorstellungen  übrig,  die  den  durch  jene 
amerikanischen  und  melanesischen  Worte  bezeichneten  ähnlich  sein 
müssen.  Scheidet  man  z.  B.  aus  den  Abstinenzgeboten  oder  aus 
manchen  Reinheitsvorschriften  alle  Sittlichkeit  und  jede  Gottes- 
vorstellung aus,  so  ist  der  Rest  freilich  Tabu,  auf  demselben  Wege 
lassen  sich  manche  Mysterien  auf  Wa-kon'-da  zurückführen.  Aber 
daß  dieser  begriffliche  Prozeß  sich  mit  dem  geschichtlichen  Werde- 
gang decke  oder  gar  eine  notwendige ,  sich  immer  wiederholende 
Entwicklung  darstelle ,  ist  eine  unerwiesene ,  in  einzelnen  Fällen 
erweislich  unrichtige  Voraussetzung.  Mit  Recht  weist  G.  Prichard, 
Rev.  6t.  anc.  XIV  1912  443  die  Herleitung  antiker  Religions- 
vorschriften   aus  dem  Tabugedanken  zurück.     Manche  Enthaltsam- 


Anthropologische  Richtung.  13 

keits-  und  Reinheitsvorschriften,  auch  mancher  ekstatisch  mystische 
Kult  ist  auf  anderem  Wege  entstanden,  als  die  zum  Vergleiche 
herangezogenen  Vorstellungen  der  Wilden  vermuten  lassen ;  und 
schließlich  sind  diese  seihst  wahrscheinlich  erst  das  Ergebnis  einer 
längeren  und  nicht  immer  gleichartigen  Umbildung.  —  Noch  ge- 
fährlicher als  die  genannten  Begriffe  ist  der  von  John  Long  1791 
aus  dem  Aberglauben  der  Indianer  in  die  europäische  Literatur 
eingeführte  des  Totems,  aiif  den  besonders  Tylor  hingewiesen  und 
den  Robertson  Smith  für  die  Erklärung  altsemitischer  Opfer- 
gebräuche herangezogen  hatte.  Diese  Erscheinung  gehört  zu  den 
am  meisten  umstrittenen  der  gesamten  Religionsgeschichte ;  nicht 
einmal  darüber  herrscht  Übereinstimmung ,  was  unter  diesem  Be- 
griff zu  verstehen  sei.  Der  ursprünglich  indianische  Name  wird 
jetzt  überall  angewendet,  wo  eine  Sippe  mit  einem  Tier  oder  einer 
Pflanze  in  einer,  auf  natürlichem  Wege  nicht  zu  erklärenden  Be- 
ziehung zu  stehen  scheint.  Dieser  Glaube  geht  unmittelbar  aus 
dem  bei  Kindern  und  jugendlichen  Völkern  besonders  stark  ent- 
wickelten Spieltrieb ,  d.  h.  der  für  die  Sprachbildung  und  das 
Sprechenlemen  so  wichtigen  Neigung  hervor,  disparate  Dinge  in 
Verbindung  zu  setzen;  indem  das  Spiel  weiter  fortgesetzt  wird, 
verdunkelt  sich  allmählich  das  Bewußtsein,  daß  die  Zusammen- 
stellung nicht  ernst  gemeint  war ,  zu  dem  Gefühl ,  daß  ein  natür- 
licher Zusammenhang  zwischen  den  verglichenen  Dingen  nicht  be- 
stehen könne,  und  weil  oder  wenigstens  insofern  als  dieses  Gefühl 
der  Übernatürlichkeit  des  Zusammenhangs  vorhanden  ist,  muß  der 
Totemglaube,  obwohl  er  nur  selten  zu  einer  Verehrung  des  Totems 
geführt  hat  (Loisy,  Rev.  hist.  et  litt.  rel.  n.  s.  II,  1911,  413),  als 
religiös  bezeichnet  werden.  So  wurzelt  der  „Totemismus",  d.  h.  die 
Annahme  der  Beziehung  eines  Naturv/esens  oder  einer  Natur- 
erscheinung zu  einer  Sippe  oder  einem  einzelnen  in  letzter  Linie 
in  der  Tat  in  einer  allgemein  menschlichen  Anlage,  entstanden  aber 
ist  er  auf  sehr  verschiedene  Weise,  z.  B.  aus  einfachem  Fetischis- 
mus,  d.  h.  aus  dem  Glauben,  daß  einem  Tier,  einer  Pflanze  oder 
dergleichen  eine  übernatürliche  Macht  innewohne,  indem  angenommen 
wird,  daß  diese  vermeintliche  Macht  sich  besonders  bei  einer  be- 
stimmten Menschenklassfe  äußere ;  oder  aus  Wappenbildern ,  die 
wiederum  sehr  verschiedenen  Ursprungs,  nämlich  entweder  Ab- 
zeichen des  Stammes  selbst  oder  aber  Attribute  seines  Gottes, 
z.  B.  wegen  dessen  vorausgesetzter  Wirksamkeit  oder  wegen  des 
ähnlich  klingenden  Namens  sein  können.  Wer  so  entstandene 
Beziehungen  zwischen  dem  Menschen  oder  seinen  Göttern  und  den 


1  4;  Anthropologische  Richtung. 

Tieren  nur  für  scheinbai-eu  Totemismus  hält,  muß  zugeben,  daß 
die  Grenze  zwischen  diesem  und  dem  behaupteten  wirklichen  Tote- 
mismus nicht  zu  ziehen  ist,  wenn  man  sich  nicht  entschließt,  den 
willkürlich  erweiterten  Begriff  ebenso  willkürlich  wieder  einzuengen 
oder  auf  sein  ursprüngliches  Geltungsgebiet,  den  Indianerglauben 
zu  beschränken.  Goldenweiser,  Totemism,  an  analytic  Study, 
Journ,  of  Amer.  Folkl.  1911,  179  ff.  bezweifelt  sogar  bei  dem 
Totemismus  der  amerikanischen  Wilden  irgendeinen  gemeinsamen 
Kern,  an  dem  das  übrige  sich  ansetzen  konnte.  Noch  viel  größer 
wird  die  Mannigfaltigkeit  des  Wesens  und  der  Entstehungsmöglich- 
keit, sobald  auch  bei  andern  Völkern  die  Spuren  des  „Totemismus" 
untersucht  wei-den.  Der  Totemglaube  erscheint  hier  verbunden  mit 
allen  möglichen  Vorstellungen,  Gebräuchen  und  Einrichtungen,  z.  B. 
dem  Glauben,  daß  der  einzelne  oder  die  Sippe  von  dem  Totem  abstamme, 
dem  Gebote  das  Totem  zu  schonen,  dem  Kult  der  Mutter  Erde,  der 
sakramentalen  Verspeisung  des  Totem,  dem  Matriarchat,  der  Endo- 
oder  Exogamie,  die  beide  in  Verbindung  mit  dem  Totemismus  auftreten 
können  usw.  Daher  geben  die  Anthropologen  je  nach  dem  Gebiet,  auf 
das  sie  ihre  Aufmerksamkeit  vorzüglich  richten,  dem  Begriffe  einen  ver- 
schiedenen Inhalt;  und  weder  Prazers  Buch  Totemism  and  Exogamy, 
das  zuerst  1887  als  kleine  Abhandlung  erschienen  war,  1910  aber, 
nachdem  der  Verfasser  mehrmals  seine  Ansichten  stark  geändert  hat,  zu 
einem  vierbändigen  Werk  angeschwollen  ist,  noch  die  ausführliche 
Besprechung  der  von  Frazer  behandelten  Probleme  durch  Thomas, 
Westermarck,  A.  Lang,  A.  v.  Gennep,  Hartland  und 
Gomme,  die  der  Herausgeber  des  Folklore  (XXI  1910,  XXII 1911) 
veranstaltete,  noch  die  von  W,  Schmidt,  Anthropos  IX  1914, 
287  ff. ,  622  ff.  eröffnete  Diskussion,  an  der  sich  Swanton, 
W.  Wundt,  Rivers,  Reuterskiöld,  Gräbner,  Golden- 
weiser, Schmidt  und  Thurnwald  beteiligten,  noch  A.  v.  Genneps 
Aufsatz :  Publications  nouvelles  sur  la  theorie  du  totemisme,  Eev. 
hist.  rel.  LXV,  1912^,  340  ff.  noch  Ankerman  n  s  Vortrag  in  der 
Berliner  Religionswissenschaftlichen  Vereinigung  12.  6.  1917  (Neue 
Jahrbb.  1917;  vgl.  Zs.  f.  Ethnolog.  XLVII,  J915,  114  ff)  konnten 
eine  Klarheit  herbeiführen,  weil  unter  dem  Namen  verschiedene  Er- 
scheinungen zusammengefaßt  werden,  die  nur  in  einzelnen  Punkten 
tibereinstimmen.  So  unbestimmt  danach  der  Begriff  ist,  läßt  sich 
der  Totemismus  doch  nicht  als  allgemein  menschliche  Erscheinung, 
als  eine  notwendige  Entwicklungsstufe  bezeichnen;  selbst  W.  Wundt, 
Völkerpsych.  II  2,  S.  238,  der  ihn  dafür  hält,  gibt  zu,  daß  sich 
von  ihm  in  Afrika,   Nordsibirien  und  in  alter  Zeit  bei  Babyloniern, 


Anthropologische  Richtung.  15 

Arabern ,  Israeliten  ,  Ägyptern ,  Griechen ,  Römern  und  Germanen 
nur  vereinzelte  und  dunkele  Spuren  finden ,  von  denen  am  besten 
abgesehen  werde.  Mit  Hilfe  dieses  unklaren  Begriffes  das  Wesen 
der  antiken  Religion  ergründen  zu  wollen,  ist  ein  wenig  hoffnungs- 
volles Unternehmen,  das  aber  noch  vielfach  gewagt  wird.  So  ver- 
sucht Günther  Roeder  (Arch.  f.  Religionsw.  XV,  1912,  75)  im 
Anschluß  an  Pietschmann  den  ägyptischen  Tierdienst,  aus  dem 
noch  jetzt  in  Afrika  weitverbreiteten  Totemismus  herzuleiten,  ob- 
wohl, wie  Wiedemann,  ebd.  XVII,  1914,  211  hervorhebt,  dessen 
Haiptkeunzeichen,  der  Glaube  an  die  Abstammung  von  dem  heiligen 
Tier,  in  Ägypten  nicht  nachweisbar  ist  und  zwei  mit  dem  Tote- 
mismus meist  verbundene  Besckränkungen ,  nämlich  Speiseverbote 
und  geschlechtliche  Tabus  (das  Gebot  oder  Verbot  der  Verwandten- 
ehe) im  alten  Ägypten  zwar  bestanden ,  aber  nicht  mit  dem  Tier- 
kult begründet  wurden.  Für  vor-  und  urgriechischen  Totemismus 
treten  außer  Frazer  u.  a.  ein  S.  Reinach,  der  totemistische  Reste 
z.  B.  in  den  Sagen  von  Hippolytos,  Pentheus,  Orpheus,  Aktaion  und 
Phaethon  findet  (s.  dagegen  H.  Hubert  und  M.  Mauß ,  Rev.  bist, 
rel.  LVIII,  1908^,  173  ff.,  der  höchstens  paraphernalia  totemiques 
de  religions  non  totemiques  zugesteht),  und  A.  J.  Reiuach,  der 
in  der  Rev.  et.  d'  ethn.  et  de  soc.  I,  1908,  296  schon  in  der  alt- 
kretischen Kultur  Spuren  des  Totemismus  erkennen  will  (s.  dagegen 
Du  s Saud,  Civilisation  prehellen  253  ff.)  und  (Rev.  bist.  rel.  LX, 
1909^,  345  f.)  z.  B.  die -/.vrij  der  Athena '/rwn'a,  das  Löwenfell  des 
Herakles ,  die  Aigis ,  die  Sage  von  der  Säugung  des  Zeus  durch 
eine  Kuh  oder  eine  Bärin  in  totemistischem  Sinne  deutet.  Gelegent- 
lich haben  auch  zahlreiche  andere  Forscher  versteinerte  totemistische 
Vorstellungen  in  griechischen  Mythen  angenommen,  z.  B.  Perdrizet^ 
Ann.  de  l'Est  Uli,  1910,  39 f.,  der  die  Bassai  oder  Bassarai  die 
„Füchse'^,  die  als  Propheten  an  das  Dionysosheiligtum  auf  dem 
Pangaion  berufen  wurden,  für  eine  totemistische  Sippe  hält,  Svoronos^ 
Journ.  intern,  d'arch.  num.  XVI,  1914,  144  ff.,  der  aus  gewissen 
Schifföbezeichnungen  wie  (fdor^loi  (146)  altgriechischen  Totemismus 
erschließt;  Costanzi,  Rendicont.  RAL  Vxxii,  1913,  34,  der  dea 
SiTaloi  als  Totem  die  Kuh,  den  Hirpinern  den  Wolf,  den  Picentern 
den  Specht  zuweist;  Pais,  Stör.  crit.  di  Roma  I  338,  der  das  dem 
Ver  sacrum  vorausziehende  Tier  als  Totem  auffaßt;  Jane  Harrison,. 
Themis  128  meint  sogar,  nur  aus  Totemismus  könne  die  griechische 
Religion  verstanden  werden,  wobei  sie  freilich  nicht  an  ein  ent- 
wickeltes totemistisches  System ,  sondern  an  die ,  wie  sie  glaubt^ 
allen    primitiven    Völkern   gemeinsame    totemistische   Anschauungs- 


lt>      Anthropologische  Richtung.     Naturalistische  Mythendeutung. 

■weise  denkt.  Von  andern  Forschern  werden  derartige  Deutungen 
zurückgewiesen,  außer  den  bereits  genannten  z.  B.  auch  von 
Lagrange,  Rev.  bibl.  n.  s.  VII,  1910,  129  ff.;  Farnell  an  zahl- 
reichen Stellen  der  Cults  of  Greek  States,  z.  B.  III  50  ff.  (hin- 
sichtlich Demeter  Erinys) ;  III  61  ff.  (betreffs  der  Demeter  Mt)Miva)\ 
IV  22  (hinsichtlich  des  Poseidon  Hippios);  von  Toutain,  Trans- 
act.  3  Intern.  Congr.  Hist.  Eel.  1908,  II  121  ff.  (vgl.  Rev.  hist. 
rel.  LVII,  1908»,  333  ff.  =  tt  de  niythol.  et  d'hist.  des  relig. 
antiqn.,  Paris  1909,  56  ff.) ,  der  sich  gegen  ein  älteres  Werk  von 
Ch.  Renel,  Cultes  militaires  de  Rome,  Les  enseignes,  Par.  1903 
wendet  (s.  gegen  Toutain  v.  Gennep,  Rev.  hist.  rel.  LVIII, 
1908*,  34  ff.,  299  ff.;  Hebert,  Rev.  bist.  litt.  rel.  n.  s.  I,  1910, 
66);  A.  della  Seta,  der  in  seinem  Werke  Religione  e  Arte  figur. 
?8  ff.  die  ursprüngliche  Tiergestalt  griechischer  Götter  bestreitet, 
yXav/MTtig  und  ßoc'jftig  als  „eulenäugig",  und  „rundäugig''  nicht  als 
„in  Eulen-  oder  Kuhgestalt"  übersetzt;  Deonna,  Rev.  d'ethnogr. 
et  de  SOG.  III,  1913,  22  ff.,  der  darauf  hinweist,  daß  die  Mischgestalten 
der  ältesten  griechischen  (und  auch  der  orientalischen)  Kunst  oft  nichts 
mitTotemismus  zu  tun  haben,  sondern  lediglich  aus  der  primitiven  Un- 
fähigkeit, die  Menschengestalt  rein  darzustellen,  erklärt  werden  müssen. 

c)  Naturalistische  Mythendeutung. 

Die  einst  namentlich  in  den  Kreisen  der  vergleichenden  Mythologie 
herrschende  Neigung,  die  Mythen  aus  Gleichnissen  für  natürliche,  be- 
sonders himmlische  Erscheinungen  entstanden  zu  denken,  nimmt 
ebenso  wie  die  Zahl  der  Anhänger  jener  mythologischen  Richtung 
noch  immer  ab ;  die  Gründe ,  die  gegen  diese  Erklärung  sprechen, 
faßt  Durkheim,  Les  formes  element.  de  la  pensee  et  de  la  vie 
relig.  1912,  S.  100 — 138  zusammen,  und  R.  Sciava  protestiert 
in  mehreren  Aufsätzen ,  die  in  Atene  e  Roma  erschienen  sind,  be- 
sonders in  der  Untersuchung  über  BeUerophontes  (ebd.  XVI.  1913, 
226)  gegen  die  naturalistische  Mythendeutung:  er  siebt  in  den  von 
ihm  behandelten  Sagen  das  freie  Spiel  der  Einbildungskraft.  Sie 
sind  ihm  Novellen.  Dann  ergibt  sich  als  die  eigentliche  Auf- 
gabe der  Mythenforschung  nicht  die  Mythendeutung,  sondern  die 
Feststellung  der  Bedingungen ,  unter  welchen ,  der  Anlässe ,  aus 
denen,  der  Seelenverfassung,  in  der  die  Phantasie  jene  Mythen 
schuf  und  ihnen  nach  und  nach  die  überlieferte  Form  gab.  Er- 
wägungen solcher  Art  sind  zwar  nicht  widerlegt  worden,  sie  haben 
aber  andrerseits  die  bequeme  und  als  geistiges  Spiel  lockende  Mythen- 
deutung, die  schon  im  Altertum  geübt  ward  und  deren  Berechtigung 


Naturalistische  Mythendeutung.  17 

durch  die  Veden  neu  erwiesen  zu  sein  schien,  nicht  so  überwunden, 
daß  nicht  auch  in  der  Berichtsperiode  versucht  worden  wäre,  zahl- 
reiche griechische  Mythen  als  allegorische  Beschreibung  natürlicher, 
besonders  himmlischer  Vorgänge  zu  deuten.  Ja,  wie  die  M^'then- 
vergleichung ,  so  tritt  auch  die  Neigung  zur  allegox'ischen  Mythen- 
auslegung in  neuerer  Zeit  sogar  wieder  stärker  hervor.  E.  Kuhn 
leitet  die  Herausgabe  der  hinterlassenen  mytliologischen  Abhand- 
lungen seines  Vaters  (Adalbert  Kuhn,  Mythologische  Studien, 
Gütersloh  1912)  mit  der  Bemerkung  ein,  daß  die  schon  1886  ge- 
plante, aber  wegen  der  anscheinend  über  die  vergleichende  Mytho- 
logie hereingebrochenen  Katastrophe  unterbliebene  Veröffentlichung 
zum  100.  Geburtstag  des  Verfassers  nachgeholt  werde,  „da  sich 
eine  unbefangenere  Beurteilung  Bahn  zu  brechen  beginne".  Von 
den  in  dem  Baude  vereinigten  Abhandlungen  kommt  für  die  grie- 
chische Mythologie  der  Schluß  der  zweiten  Abhandlung  über  die 
Zwerge  als  Lichtwesen  (82  if.)  und  das  „Fragment  über  die  Be- 
deutung der  B-iuder  in  der  indogermanischen  Mythologie"  (bes.  111 
bis  121,  164  ff.,  177  ff.)  in  Betracht.  In  jenem  soll  gezeigt  werden, 
daß  das  Schiff  Argo  den  flimmernden  Nachthimmel,  die  Argonauten 
die  als  Sterne  gedachten  Seelen  der  Abgeschiedenen  und  lason 
vielleicht  den  Mond  bedeuteten ;  das  „Fragment"  behandelt  von 
griechischen  Mythen  zunächst  die  Wegführung  der  Rinder  des 
Geryones  durch  Herakles,  des  Apollon  durch  Hermes,  die  mit  dem 
Rinderraub  der  Pani  verglichen  werden.  Hinsichtlich  des  Geryonea- 
mythos  wird  (113)  die  Vermutung  geäußert,  daß  Erytheia  vielleicht 
ursprünglich  im  Osten  lag;  im  Mythos  von  Apollon  ist  es  nach 
K.  offenbar,  daß  Hermes  die  Rinder,  d.  h.  den  Lichtglanz,  in  der 
Nacht,  Apollon  am  Tage  hütete  (117);  auch  die  Schafherden  des 
., Sonnenriesen"  Polyphemos,  bei  deren  Ein-  und  Austrieb  ein  Feuer 
entzündet  wird,  beziehen  sich  auf  die  lichten  Wolken  des  Abend- 
und  Morgenhimmels;  der  goldene  Widder  des  Atreus  und  des 
Phrixos  sind  das  Seitenstück  zum  Sonnenstier  oder  zur  Sonnen- 
kuh (119).  Die  Haut  des  getöteten  Stieres,  in  die  sich  Argos 
(=  ^^Qyiqg)  hüllt,  ist  der  Himmel  der  funkelnden  Sternennacht  (165), 
\4QyE(o)i(f6rT)]g  heißt  Hennes  als  Vernichter  der  Sternennacht  (166). 
In  der  Amaltheiasage  bedeutet  das  Hörn  den  Sonnenstrahl;  die 
Verbindung  des  erwärmenden  Sonnenstrahles  mit  dem  Regen  der, 
Wolken  (179),  den  als  Kühen  oder  Stieren  am  Himmel  wandelnden 
Wassern  (180),  führte  zur  Vorstellung  von  Wunschtieren,  die  un- 
aufhörlich neue  Gaben  schaffen  und  zugleich  den  Sonnenstrahl  als 
alles  überwältigende  Waffe  gegen  die  Dämonen  führten. 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  186  (Snpplementband).  2 


13  Naturalistische  ^[j'thendeiitung. 

"NVie  in  diesen  Abbandlmifien  tritt  auch  in  den  meisten  neueren 
Untersuchungen ,  die  durch  Vergleichung  den  vormuteten  natur- 
sjnnbolischen  Sinn  griechischer  Mythen  feststellen  wollen,  die  einst 
für  derartige  Arbeiten  so  bedeutungsvolle  Etymologie  zurück.  Unter 
den  nicht  zahh-eichen  Ausnahmen  sind  am  eigenartigsten  drei 
Königsberger  G3'mnasialprogramme  von  A.  Döhring,  Etymologische 
Beiträge  zur  griechischen  und  deutschen  ]\l3'thologie ,  1907  (I); 
Etymologische  Skizzen,  1912  (II) ;  Griechische  Heroen  und  Abend- 
geister, 1913  (III).  Die  Sterne  spielen  in  dieser  Mythendeutung 
eine  M'ichtige  Rolle :  Niobe  z.  B.  soll  den  stets  sich  erneuernden 
Trotz  der  Sterngottheit  bezeichnen  (I  23),  die  mit  i,Arxi/  gebildeten 
Namen  sind  nach  D.  als  Bezeichnungen  von  Lichtgottheiten  der 
Nacht,  z.  T.  von  Abendsterngottheiten  (I  15)  zu  fassen.  Hera 
(=  Sera)  „Die  Späte"  ist  dem  lichten  Tageshimmel  entgegengesetzt. 
Daneben  kommen  nach  D.  in  der  Mythologie  Sonne  und  Mond  in 
Betracht,  die  seiner  Ansicht  nach  von  den  Griechen  wie  von  den 
Germanen  sowohl  als  männlich  wie  als  weiblich  gedacht  werden 
konnten.  In  den  „Skizzen"  (II)  betrachtet  er  einige  mythische 
Spinnerinnen,  z.  B.  Klotho,  Atropos,  Frau  Holle,  die  weißgraue 
Berchtha  und  die  ihr  verwandten  Phorkiden,  die  „Winderin" 
Helene  u.  a.  als  die  Mondfrau,  die  an  den  wie  lange  Fäden  sich 
hinziehenden,  wie  Faserbüschel  erscheinenden  Cirrocumuluswolken 
arbeitet.  Es  folgen  zahlreiche  einzelne  Etymologien,  die  sich  großen- 
teils auf  mythische  Namen  beziehen  '). 

Gelegentliche  Natiirs3'mbolik  findet  sich  in  zahlreichen  Unter- 
suchungen und  zwar  auch  bei  solchen  Forschern ,  die  sonst  auf 
anderem  Standpunkt  stehen  wie  Frazer  (o.  S.  Off.),  der  z.  B.  die 
Mythen  von  Britomartis  und  Europa  mit  Mitteln  der  Deutung,  wie 
sie  M.  Müller  hätte  anwenden  können,  auf  den  Mond  bezieht 
(Dying  God  =  Golden  Boiigh  III  73).  —  Luigi  Colangelo 
wandelt  in  dem  Aufsatz  über  das  Orakel  von  Dodona  {luv.  dt 
filol.  1906.  491  ff.)  ebenfalls  in  den  Bahnen  der  älteren  Mythen- 
vergleichung :  Zeus  entspricht  nach  ihm  dem  Varuna,  Dione  der 
Prthivi   mütar. 

Einen  allgemeinen  Sonnenkult  folgert  für  die  Urzeit  der  Mensch- 
heit J.  Dechelette,  Le  culte  du  Soleil  aux  temps  historiques, 
Paris  1909  namentlich  aus  bildlichen  Darstellungen;  s.  dagegen 
A.  v.  Gennep,    Rev.   d'ethnogr.    et    de    soc.    I,    1910,    186  f.  — 


')  In  in  werden  mehrere  Heroen  und  Heroinen  als  alte  Mondgott- 
heiten vermutet,  z.  B.  Phaethon  (11  ff.),  Hilaeira,  Phoibe,  Ixion  (28  ff.), 
Aflklepios  (-52),  Orpheus  (53). 


Gesellschaft  für  vergleichende  Mythenforschung.  l<j 

Menrad,  Der  Urmythos  der  Odyssee  und  seine  dichterische  Er- 
neuerung, Des  Sonnengottes  Erdenfahrt,  Mtlnchen-Lindau  1910,  will 
Odysseus  (von  Iva.  ,  lux  abgeleitet)  als  Sonnengott ,  Penelope  als 
■lie  alles  webende  Erde,  Kirke  als  Mond  und  Kalypso  als  die  den 
Sonnengott  umhüllende  Nacht  erweisen. 

Eine  ausführliche  Besprechung  erfordern  die  Untersuchungen 
'ler  Forscher,  die  sich  1907  zur  „Gesellschaft  für  vergleichende 
Mythenforschung"  in  Berlin  zusammengetan  haben  und  in  Leipzig 
ein  in  zwanglosen  Heften  erscheinendes  Organ,  „Die  mythologische 
Bibliothek",  herausgeben.  Bisher  liegen  dem  Berichterstatter  vor: 
I  E.  Siecke,  Drachenkämpfe, Untersuchungen  zur  indogermanischen 
Sagenkunde.  1907.  2)  Ernst  Böklen,  Adam  und  Qain  im  Sinn 
1er  vergleichenden  Mythenkunde.  3)  Leßmann,  Aufgaben  und 
Ziele  der  vergleichenden  Mythenforschung.  1908.  —  II  1)  Siecke, 
Hermes  der  Mondgott,  Studien  zur  Aufhellung  der  Gestalt  dieses 
Gottes.  1908;  Nachträge.  1909.  2)  G.  Hüsing,  Die  Iranische 
Überlieferung  und  das  arische  System.  1909.  —  III  1)  Wolfg. 
Schultz,  Eätsel  aus  dem  hellenischen  Kulturkreis :  I  Die  Rätsel- 
überlieferung. 1009.  2)  Böklen,  Schneewittchenstudien  I:  75  Vari- 
anten im  engeren  Sinn.  1910.  —  IV  1)  Ehrenreich,  Die  all- 
gemeine Mythologie  und  ihre  ethnologischen  Grundlagen.  2)  G.  H  ü  - 
sing,  Krsaaspa  im  SchJangenleibe  und  andere  Nachträge  zur  Ira- 
nischen Überlieferung.  1911. —  V  1)  W.  Schultz,  Rätsel  aus  dem 
hellenischen  Kulturkreis :   II  Erläuterungen  zur  Rätselüberlieferung. 

1912.  2)  Böklen,  Die  Unglückszahl  Dreizehn  und  ihre  mythische 
Bedeutung.    1913.      3)    G.   Hüsing,    Beiträge    zur    Rostahmsage. 

1913.  —  VI  1)  Pohorilles,  Das  Popol  Wuh,  die  mythische  Ge- 
schichte des  Kice  Volkes  von  Guatemala  nach  dem  Originaltext 
übersetzt  und  bearbeitet.  1913.  2)  W.  Schultz,  Einleitung  in 
das  Popol  Wuh.  1913.  3)  E.  Siecke,  Der  Vegetationsgott.  19U. — 
VII  1)  E.  Siecke,  Püshan ,  Studien  zur  Idee  des  Hirtengottes 
im  Anschluß  an  die  Studien  über  Hermes  den  Mondgott.  1914. 
2)  Böklen,  Schneewittchenstudien  II.  1915.  —  Schon  im  Pro- 
gramm -ward  eine  ziemlich  eng  umschriebene  Grenze  für  Ziel  und 
Methode  der  in  der  Gesellschaft  zu  treibenden  Forschung  aufo-estellt. 
Es  wird  der  Grundsatz  vertreten,   „daß  die  Urheber  mythischer  Er- 

'  Zählungen  bestimmten  Vorstellungen  Ausdruck  verliehen  haben,  die 
in  augenfälliger  Weise  in  allen  Mythologien  wiederkehren.  Diese 
Vorstellungen  aufzufinden  ist  die  Aufgabe  der  vergleichenden  Mythen- 
forschung".  Da  nur  solche  Vorstellungen  aufgefunden  werden 
können ,    die    von  Haus    aus  verborgen   gewesen    oder   nachträglich 

2* 


20  Gesellschaft  für  vergleichende  Mythenforschung. 

verloren  gegangen  sind,  wird  damit  vorausgesetzt,  daß  die  Mythen 
etwas  anderes  bedeuten,  als  sie  zu  sagen  scheinen.  In  der  Tat 
werden  in  den  Abhandlungen  der  Gesellschaft,  soweit  sie  nicht 
bloß  .Stoffsammlungen  bieten,  die  Mythen  als  Allegorien,  und  zwar 
wie  in  der  Schule  M.  Müllers  als  Allegorien  auf  Naturerscheinungen 
gefaßt.  „Die  Personifikation  der  Naturerscheinungen  und  Vorgänge" 
ist  nach  Ehrenreich  (IV  1.  43)  „als  Hauptmoment  des  mythischen 
Denkens  erkannt".  ..als  gemeinsame  Urform  des  Mythos  im  weitesten 
Sinn"  ist  ..das  sog.  natursymbolische  Märchen  gegeben."  Aus- 
führlicher spricht  sich  in  diesem  Sinn  Leßmann  in  dem  Aufsatz 
I  3  31  u.  ö.  aus,  der  auch  den  Namen  Mythos  auf  solche  Mythen 
beschränkt,  die  das  Schicksal  der  Himmelskörper  behandeln  (ebd.  33). 
Dieser  Aufsatz  ist  als  ein  erweitertes  Programm  der  Gesellschaft 
gedacht,  das  sie  freilich  nicht  binden,  sondern  zunächst  nur  dem 
Zwecke  dienen  soll,  daß  alle  gegenwärtigen  und  künftigen  Mitglieder 
und  übei'haupt  alle,  die  sich  für  mythologische  Fragen  interessieren, 
mit  den  darin  ausgesprochenen  Grundsätzen  abrechnen.  Erreicht 
soll  dies  Ziel  durch  Vergleichung  wei-den  (ebd.  S.  11);  doch  be- 
steht diese  Vergleichung  in  den  bisher  erschienenen  Aufsätzen  meist 
einfach  darin,  daß  eine  große  Anzahl  verschiedener  Mythen  auf 
dieselbe  Naturerscheinung  bezogen  wird.  Wer  nicht  von  vorn- 
herein von  der  Richtigkeit  der  allegorischen  Auslegung  überzeugt 
ist,  kann  zweifeln,  ob  solche  Fälle  sich  gegenseitig  stützen  können, 
ob  ihre  große  Zahl  für  und  nicht  vielmehr  gegen  eine  Methode 
spricht,  die  sich  so  leicht  auf  alle  Mythen  mit  gleichem  Recht  an- 
wenden läßt.  Von  den  Heroen  behauptet  Siecke  I  1,  S.  62  grund- 
sätzlich zwar  nur.  daß  sie,  soweit  ihr  Kult  sich  über  ein  weites 
Gebiet  erstreckte ,  von  ihrer  ehemaligen  Höhe  herabgesunkene 
Götter  seien,  aber  in  der  Anwendung  wird  diese  Schranke  nicht 
innegehalten.  In  der  Tat  sind  die  Anforderungen ,  die  an  den 
Nachweis  der  Beziehung  auf  eine  Naturerscheinung  gestellt  werden, 
so  gering,  daß  nicht  nui'  alle  Mythen  aller  Völker,  sondern  selbst 
viele  Begebenheiten  des  wirklichen  Lebens  ebenso  gut  in  dem- 
selben Sinn  gedeutet  werden  könnten.  Die  Motivierung  wird  ganz 
bei  Seite  gelassen,  da  sie  „überall  erst  nachträglich  hineingetragen 
ist"  (Siecke  I  1,  S.  57);  damit  die  Mythen  sich  den  Deutungen 
fügen,  werden  sie  sehr  frei  umgemodelt,  was  z.  B.  damit  gerecht- 
fertigt wird,  daß  durch  die  ümkehrung  des  Geschlechtsverhältnisses 
von  Sonne  und  Mond  „der  Sinn  vieler  Mythen  arg  ins  Schwanken 
geraten"  sei  (Siecke  I  1,  66).  Damit  wird  die  Geschichte  des 
Mythos  nach    dessen  vorausgesetztem  Wesen    konstruiert:    das    ist 


Gesellschaft  für  vergleichende  Mythenforschung.  21 

etwas  anderes ,  als  wenn  der  Philologe ,  den  Spuren  der  Über- 
Überlieferung folgend,  die  älteste  erreichbare  Form  eines  Mythos 
festzustellen  versucht.  Was  die  vergleichbaren  Mythen  anbetrifft, 
so  sucht  Leßuiann  diese,  wie  die  vergleichenden  Mythologen  der 
älteren  Schule,  nur  bei  den  indogermanischen  Völkern:  „bisher," 
meint  er  (S.  2),  „fehlt  der  Nachweis,  daß  es  in  der  alten  Welt 
andere  als  arische  M^^then  gegeben  hat'' :  ein  Satz ,  der  freilich 
seltsam  in  dem  Organ  einer  Gesellschaft ,  zu  deren  Begründern 
H.  Winckler  gehörte,  und  in  einem  Bande  anmutet,  in  dem  un- 
mittelbar vorher  Böklen  Adam,  „den  ßoten"  als  Mondgott  und 
seine  Ferse  (Genes.  III  15)  als  Bild  der  Mondsichel  erweisen  will. 
In  der  Tat  lassen  sich,  wie  bemerkt,  die  Mythen  von  Völkern,  die 
anderen  Völkerfamilien  augehören,  mit  gleichem  Recht  vergleichen, 
und  so  werden  denn  auch  in  anderen  Aufsätzen  der  Vereinszeit- 
schrift auch  diese  und  sogar  die  Mythen  der  Primitiven  heran- 
gezogen, z.  B.  von  W.  Schultz  VI  2.  114,  der  zwar  die  furcht- 
bare Verderbnis  ihrer  Übei'lieferung  anerkennt ,  aber  doch  meint, 
daß  „die  Formen,  auf  welche  diese  Zufallserzeugnisse  hinweisen", 
alt  und  hin  und  wieder  sogar  altertümlicher  sein  können  „als  das 
entsprechende  altweltlicli  erhaltene  Gut".  In  diesem  Punkt  gehen 
also  die  Ansichten  der  Vereinsmitglieder  noch  auseinander,  und 
Ehrenreich  (IV  1,  27)  spricht  von  „der  anscheinenden  Hoff- 
nungslosigkeit einer  befriedigenden  Erklärung  derartiger  Divergenzen" . 
Eine  andere  Meinungsverschiedenheit  betrifft,  wie  es  scheint,  die 
Frage,  wie  weit  das  heutige  Natur  empfinden  für  die  Mythendeutung 
verwertbar  sei.  S  i  e  c  k  e  ist,  wenn  ich  ihn  recht  verstehe,  geneigt, 
diese  Frage  zu  bejahen,  während  Hüsingll2  S.  4  mit  Recht 
hervorhebt,  daß  das  Empfinden  und  ganz  besonders  unser  Empfinden 
gegenüber  der  Natur  erst  ein  Kulturerzeugnis  ist.  Im  allgemeinen 
aber  herrscht  unter  den  für  die  Zeitschi'ift  arbeitenden  Vereins- 
mitgliedern eine  Übereinstimmung  der  Ansichten,  wie  sie  sonst  in 
derartigen  Gesellschaften  selten  begegnet  und  auch  nicht  zu  wünschen 
ist,  weil  durch  die  schnell  gefundene  Zustimmung  die  Forscher 
leicht  verführt  werden,  die  Sicherheit  ihrer  Beweisführung  zu  über- 
schätzen, vorschnell  auf  den  Ergebnissen  weiter  zu  bauen  und  dem 
Zweifler  Mangel  nicht  allein  an  Einsicht,  sondern  auch  an  gutem 
Willen  zuzuschreiben ,  wie  dies  in  der  Zeitschrift  oft  geschieht. 
Einig  sind  sich  die  Autoren  der  Zeitschrift  zunächst  darin,  daß  sie 
die  Einwirkung  der  frei  schaffenden  Phantasie  auf  die  Mj-then- 
gestaltuug  gegenüber  der  auslösenden  Ursache ,  d.  h.  der  Natur- 
erscheinung   herabsetzen.      „Wir    sehen    das    Mondschiff    auf  dem 


■22  Gesellschaft  für  vergleichende  Mythenforschung. 

Himmelsozeau ,  wir  sehen  das  Mondweib  aus  der  Rippe  ihres 
schlafenden  Vorgängei's ,  des  verdunkelten  Mondes  entstehen" 
(Ehrenreich  IV  1,  120).  Diese  seltsame  Verwechsehmg  von 
Phantasie  und  Wahi'uehmung  ist  wohl  durch  den  Einwand  ver- 
anlaßt, den  diese  Forscher  sich  selbst  machten,  daß  jene  nach 
allen  Richtungen  hin  ausgreift  und  daher,  wenn  ihr  Einfluß  nicht 
sehr  beschränkt  wäre ,  nicht  die  behauptete  Einförmigkeit  des 
Mj-thos  aufkommen  ließe.  Zweitens  geht  durch  alle  Aufsätze  der 
Zeitschrift  die  Auffassung,  daß  wenigstens  der  Kern  der  Mythen, 
worunter  alles  Tatsächliche,  selbst  nebensächliche  Einzelheiten  ver- 
standen werden,  uralt  und  vorliterarisch  sei.  Es  ist  z.  B.  nach 
Siecke  II,  49  „undenkbar  und  unmöglich,  daß  ein  über  weite 
Landstriche  hin  verbreiteter,  dabei  aber  mit  erstaunlichen  Ab- 
weichungen erzählter  Mythos  seinen  Ursprung  von  bestimmten 
literarischen  Zentren  aus  genommen  hat" ;  ein  Satz ,  der  durch 
Dähnhardts  „Natursagen",  namentlich  deren  zwei  erste  Bände 
gründlich  widerlegt  wird.  Der  wichtigste  Einiguugspunkt  der  an 
der  Zeitschrift  arbeitenden  Gelehrten  ist  jedoch  die  Ansicht,  daß 
die  meisten  Mythen  sich  auf  den  Kalender  beziehen  (Leßmann 
I  3,  S.  33)  und  nicht  aus  dem  Naturempfinden  erwachsen  sind, 
sondern  aus  der  Astronomie  (Hü sing  II  2,  S.  2  f.).  Eine  aus- 
reichende Erklärung  dafür,  daß  Kalenderbeobachtungen  in  mythische 
Form  gekleidet  wurden,  wird  nicht  gegeben,  und  insofern  ist  die 
neuere  Mj'thenvergleichung  sogar  weniger  begründet  als  die  alte 
vor  60  Jahren,  die  einer  solchen  nicht  bedurfte,  weil  die  Freude 
an  der  Naturschönheit  und  das  Bedürfnis  der  Naturerkläi'ung  die 
Phantasie  anregen  mußten,  und  die  nur  darin  litt,  daß  die  poetische 
Freude  an  der  Natur  sich  erst  bei  höherer  Bildung  einzustellen 
))flegt  und  daß  der  regelmäßige  Übergang  der  durch  poetisches 
Gleichnis  geschaffenen  Gestalten  zu  Göttern,  zu  Opferempfängern 
nicht  erklärt  werden  konnte.  Und  doch  muß  sich  für  die  Kalender- 
beobachtungen ein  Grund  zu  jDoetischer  Fassung  ausfindig  machen 
lassen,  da  es  tatsächlich  Kalendermythen  gibt,  nur  nicht  in  dem 
Umfang,  wie  die  Mythenvergleicher  dieser  Richtung  annehmen. 
Freilich  ist  mit  der  Erkenntnis  dieses  Grundes  zugleich  die  Ein- 
sicht verbunden,  daß  diese  Erklärung  nicht  verallgemeinert  werden 
darf:  nach  dem  Kalender  richteten  sich  nämlich  Zauberei  und 
Feste,  dabei  wurde  gesungen,  und  in  diesen  Liedern  konnte  auch 
auf  die  kalendarische  Bestimmung  hingewiesen  werden.  Immerhin 
bleibt  dies  ein  nebensächlicher  Punkt.  Die  Mitarbeiter  an  der  ge- 
nannten Zeitschrift   machen    ihn   zum  wichtigsten,    sie  gehen  sogar 


Gesellschaft  für  vergleichende  Mythenforschung.  23 

noch  weiter  in  der  Beschränkung  des  Inhaltes  der  Mythen,  indem 
sie  behaupten,  daß  sie  sich  fast  ausschließlich  auf  den  Mondlauf 
beziehen.  Mondmythen  sind  nach  Ehren  reich  IV  1,  114  die 
universellsten  und  gleichartigsten  aller  Naturmythen.  Es  gibt  zwar 
auch  Jahi'eszeit-  und  Vegetationswechselmythen ,  aber  diese  ent- 
lehnen ihre  Formen  dem  Mondwechselmythos  (ebd.  184).  Nach 
Hü  sing,  der  früher  an  Gewittermj^then  geglaubt  hatte  (II  2,  S.  IX), 
aber  durch  Leßmann  auf  den  Mond  hingewiesen  wurde  (ebd.  S.  V), 
sind  zwar  „Mythen  oder  richtiger  einzelne  ihrer  Gestalten  auf  die 
Sonne  bezogen  worden ,  die  Erzählungen  aber  wurden  dabei  den 
Sonnenschicksalen  nicht  angepaßt:  sie  blieben  Mondmythen  und 
sind  auch  als  solche  zur  Welt  gekommen"  (ebd.  S.  VII).  Bedeutet 
ijhog  auch  später  „Sonne",  so  ist  doch  Helios  seinen  Mythen 
nach  Mondgott,  und  vermutlich  bezeichnete  auch  tjXiog  ursprüng- 
lich in  erster  Reihe  den  Mond.  Der  Mondgott  Apollon  ccgyLgöto^og 
wurde  zum  Sonnengott  erst,  als  man  unter  babylonischem  Einfluß 
zum  Sonnenjahr  überging  (Leßmann  13,  S.  36  f.).  Auch  mit  dem 
Namen  mehrerer  Sternbilder,  z.  B.  der  Plejaden,  Kallistos  (II  1,  27) 
und  Orions  (ebd.  60)  wurde  nach  Siecke  entweder  von  Anfang 
an  der  Mond  gemeint  oder  es  gingen  doch  nachträglich  auf  die 
nach  ihnen  genannten  mythischen  Gestalten  Züge  des  Mondgottes 
über.  Das  Überwiegen  der  Mondmythen  wird  damit  erklärt,  daß 
die  ungeteilten  Indogermanen,  die,  wie  bereits  erwähnt,  den  Kern 
der  meisten  Mythen  geschaffen  haben  sollen ,  nur  Mondmonate 
hatten  (Leßmann  13,  33  f.;  Hü  sing  II  2,  S.  7  f.),  kein  Sonnen- 
jahr. Wenn  in  Mäi'chen  und  Sagen  die  Drei-  und  Neunzahl  durch 
die  Sieben-  und  Zwölfzahl  ersetzt  sei,  so  wird  dies  daraus  erklärt, 
daß  diese  sich  auf  das  Sonnenjahr,  jene  auf  den  Mondmonat  be- 
ziehen (Hü sing  II  2,  7  f.),  da  man  die  29^2  Tage  des  synodischen 
Monats  zunächst  auf  30  abgerundet,  dann  die  3  dunkelen  Tage  als 
Epagomenen  besonders  gezählt  an  den  Anfang  gestellt  und  den 
Rest  in  drei  neuntägige  Wochen  geteilt  habe.  Die  Zahl  der  neun 
Musen  gestattet  keine  andere  Deutung  als  auf  die  Zahl  der  Mond- 
wochennächte (Leßmann  I  3.  37;  vgl.  45).  Auf  die  drei  mond- 
losen Nächte  werden  die  drei  Tage,  die  Zeus  bei  Alkmene  bleibt 
(Siecke  I  1,  65),  die  drei  Tage,  während  deren  Hera  die  Geburt 
des  Herakles  verhindert  (Siecke  II  1,  15),  und  die  drei  Schwestern 
gedeutet ,  denen  der  schlangengestaltige  Erichthonios  übergeben 
wird  (ebd.  32);  auf  das  Wiedererscheinen  des  Mondes  am  vierten 
oder  dritten  Tag  soUen  u.  a.  die  Mythen  zielen ,  die  Hei'mes  am 
vierten  (ebd.  66;    II  1,  13),    Athena    am  dritten  Tag   (I  1,  S.  21) 


24  Naturalistische  Mythendeutung:  Fries. 

geboren  werden  und  ApoUon  den  Drachen,  Herakles  die  Schlaugen 
am  vierten  Tage  töten  lassen  (I,  1.  43).  Diese  Proben  mögen 
genügen;  last  die  ganze  griechische  Götter-  und  Heroenwelt  wird 
auf  den  Mond  bezogen. 

Mit  den  in  der  Mythologischen  Bibliothek  zu  Wort  kommenden 
Forschern  berührt  sich  vielfach  Karl  Fries,  der  Vf.  der  Studien 
zur  Odyssee  (I  Mitteilungen  der  Vorderasiatischen  Gesellschaft 
XV,  2—4.  Leipzig  1910;  II  ebd.  XVI,  4.  1911)  und  der  „Grie- 
chischen Götter  und  Heroen  vom  astralmythologischen  Standpunkte 
aus  betrachtet"  (Berlin  1911),  der  aber  andrerseits  auch  der  Astral- 
mythologie der  „Pambabylonisten"  nahesteht.  Vor  den  Mitarbeitern 
an  der  Mythologischen  Bibliothek  hat  Fries  voraus,  daß  er  ein- 
dringlich nach  der  Entstehung  des  Ritus  fragt;  er  läßt  ihn  aus 
einer  Nachahmung  des  Naturvorganges  sich  entwickeln.  „Das  Tun 
der  Götter  selbst"  wird  „von  Priestern  erstens  erzählt,  zweitens 
nachahmend  dargestellt.  In  der  Maske  des  Gottes  tritt  sein  Diener 
auf".  Behaupten  die  meisten  Anthropologen  die  Priorität  des  Kultus 
(,vgl.  0.  S.  7),  so  hält  dagegen  Fries  im  allgemeinen  daran  fest, 
daß  dieser  jünger  sei  als  der  M3-thos,  den  er  darstellen  soll;  doch 
wird  damit  nicht  ausgeschlossen ,  daß  unverständlich  gewordene 
Riten  einen  neuen  Mythos  hervorrufen  konnten  (z.  B.  Stud.  I  236); 
so  soll  vielleicht  aus  den  mimetischen  Darstellungen  des  Gottes 
durch  den  Priester  die  Vorstellung  von  der  m3-thischen  Inkar- 
nation des  Gottes  entstanden  sein  (ebd.  294).  Die  dargestellten 
Naturvorgänge  findet  auch  Fries  z.  T.  im  Mondlauf,  doch  hält  er 
Sieckes  Mythendeutung  für  einseitig  und  nennt  sogar  (Stud.  I  315) 
den  Jahreslauf  der  Sonne  „den  Mythos,  den  einzigen  großen,  den 
es  gibt,  die  gewaltige  Naturlegende",  die  alle  Weltliteratur  predige. 
Indessen  führt  er  diese  Ansicht  nicht  durch,  sucht  vielmehr  zu 
vermitteln  und  meint  (Stud.  I,  98) :  „Es  lassen  sich  etwa  drei 
Gruppen  von  Naturvorgängen  herausheben,  deren  der  Nachahmungs- 
trieb sich  am  stärksten  bemächtigte ,  das  ist  der  Wandel  der  Ge- 
stirne am  nächtlichen  Horizont"  (Himmel?),  „das  ist  ferner  das 
Aufleuchten  der  Sonne,  bzw.  des  Mondes"  (?)  „am  morgendlichen 
Himmel  und  endlich  der  Kampf  der  erwachenden  Frühlingsnatur 
mit  dem  alten  Winter".  Warum  die  himmlischen  Vorgänge  und 
warum  gerade  diese  immer  wieder  nachgeahmt  wurden,  erklärt  Fries 
90  wenig  als  Winkler  und  Jeremias,  auf  die  er  sich  beruft. 

Noch  stärker  als  Fries  betont  Jane  Harris on  in  der  Themis 
(Cambridge  1913)  S.  407,  daß  die  Naturgötter  eigentlich  Jahres- 
dftmonen  waren.    Die  Untersuchungen  der  Verfasserin  werden  haupt- 


Naturalistische  My thendeutung :  J.  Harrison,  Ed.  Meyer.         25 

sächlicli  durch  neuere  Richtungen  bestimmt,  die  von  der  Natur- 
symbohk  weit  abführen  (o.  S.  7,2),  allein  auf  einem  Umweg  ge- 
langt sie  doch  dazu,  auch  def  Mythendeutung  erhebliche  Zugeständ- 
nisse machen  zu  können.  Sie  faßt  (447)  die  Götter  zwar  nicht  als 
Naturmächte,  aber  doch  als  the  expression  of  man's  focus  of  atten- 
tion on  nature ,  womit  sie ,  wie  es  scheint ,  sagen  will ,  daß  die 
Gottesvorstellung  den  Eindruck  wiedergebe,  den  die  Naturerscheinung 
auf  das  menschliche  Gemüt  ausübe.  Mit  der  Hervorhebung  dieser 
eigentlich  selbstverständlichen ,  aber  allerdings  von  den  Anthropo- 
logen oft  vergessenen  Subjektivität  des  Mythos  wird  nun  die  Rück- 
kehr zur  Mythendeutung  geöffnet,  und  diese  beschränkt  sich  nicht 
auf  die  vermeintlichen  Jahreszeitmythen ,  sondern  zieht  auch  die 
Sonne  (z.  B.  Phaethon,  454),  den  Mond  (Phoibe,  ebd.)  und  seine 
Phasen  (Moiren,  Hören,  Charites ,  389),  den  Himmel  (z.  B.  Titan 
454;  Okeanos,  457)  und  andere  Naturgegenstände  mit  oft  seltsamen 
Begründungen  in  ihren  Bereich. 

Den  Jahreszeitgöttern  räumt  auch  Ed.  Meyer  ein  weites 
Gebiet  im  antiken  Kult  ein,  er  glaubt  z.  B.  (Reich  und  Kultur  der 
Chetiter,  Berlin  [1914],  S.  90)  an  ein  großes  Frühlingsfest,  das 
überall  in  Kleinasien  und  Nordsyrien  beim  Erwachen  der  Vegetation 
begangen  und  bei  dem  die  Vermählung  der  Erdgöttin  mit  dem 
Himmelsgott  gefeiert  wurde ,  wie  er  es  auf  einem  Rlf.  dar- 
gestellt zu  sehen  glaubt.  —  Einen  griechischen  und  italischen 
Prühlingsgott,  der  während  des  Winters  in  der  Erde  schlafen  sollte 
und  der,  weil  die  Heere  im  Frühling  ins  Feld  zogen,  auch  als 
Kriegs-  und  Todesgott  gegolten  habe  und  unter  dem  Abzeichen  der 
Lanze  oder  des  Doppelbeils  verehrt  worden  sei,  sucht  A.  Roß- 
bach,  Castrogiovanni,  das  alte  Henna  in  Sizilien,  nebst  einer  Unter- 
suchung über  griechische  und  italische  Todes-  und  Frühlingsgötter 
(Leipzig-Bei-lin  1912)  aus  den  Sagen  und  den  Namen  von  Adranos, 
Aias  ,  Aleuas  ,  Amphiaraos  ,  Anytos  ,  Kadmos  ,  Kaineus  ,  Ki'onos, 
Lykurgos ,  Neleus  ,  Odysseus,  Oinomaos  und  Phrixos  zu  erv/eisen. 
Wiederholt  kehrt  in  den  erwähnten  Sagen  der  Zug  wieder ,  daß 
der  Held  oder  die  mit  ihm  gepaarte  Heroine  (Hemithea,  Bianna) 
in  die  Erde  oder  (Helle)  in  das  Meer  versinkt  oder  (Odysseus)  in 
die  Unterwelt  hinabsteigt  oder  (Kronos)  in  ihr  (?)  schläft  oder 
(Ares,  Lykurgos)  gefangen  gehalten  wird.  Aus  dem  Sarkophag  von 
Hagia  Triada  (Paribeni,  Monum.  ant.  RAL.  1908,  1  ff.)  wird  ge- 
folgert, daß  dieser  Kult  in  die  minoische  Zeit  hinaufreichte. 

Zahlreiche  Vermutungen,    die  sich  nur  auf  einzelne  mythische 
Gestalten  beziehen,    müssen    in    diesem  Bericht    unerwähnt  bleiben 


2(5  Naturalistische  Mythendeutung:  Beloch. 

<.<?.  0.  1  Anm.  1).  Ohne  Frage  ist  die  naturalistische  Mythendeutung 
wieder  im  Fortschritt  begriffen,  und  deshalb  empfiehlt  es  sich,  auf  das 
„Religion  und  Mythos"  überschriebene  sechste  Kapitel  der  zweiten 
Auflage  von  Belochs  gi-iechischer  Geschichte  (I^  1,  S.  144  ff.),  der 
auf  ihrem  Boden  steht,  etwas  genauer  einzugehen,  als  dies  im  Bd.  CII, 
S.  142  dieses  Jahresberichtes  für  das  entsprechende  dritte  Kapitel  der 
ersten  Auflage  erfordei-lich  erschien,  das  1 893  mit  seinen  Behauptungen 
ziemlich  vereinsamt  stand.  Daß  Apollon  ursprünglich  ein  Sonnengott 
gewesen  sein  müsse,  scheinen  nach  Beloch  seine  Beinamen  yivy.iog, 
(Dolßog,  XQioäiOQ,  agyigoio^og  zu  beweisen  (156);  als  Lichtgott 
tötet  Apollon  nach  B.  Pj^thon,  den  Dämon  der  Finsternis,  hilft  er 
den  Menschen  in  der  Not  der  Krankheit,  befreit  er  die  Herden 
von  den  Gefahren  des  nächtlichen  Dunkels  als  v6(.iLog  und  Kagvelog,  \ 
schützt  er  endlich  die  Seefahrer  im  Sturm;  und  da  das  Erscheinen 
der  Sonne  am  Morgen  mit  Liedern  begrüßt  wurde ,  auch  der  Ge- 
sang in  der  Heükunst  primitiver  Völker  eine  wichtige  Rolle  spielt, 
so  ist  Apollon  zum  Schutzgott  der  Musik  gewox-den.  Sonne  und 
Mond  sind  die  himmlischen  Zwillinge ;  sowohl  die  Dioskuren ,  die  ^| 
deshalb  auf  weißen  Rossen  reiten  oder  auch  selbst  als  weiße  '  * 
Rosse  gelten  und  von  denen  Tag  um  Tag  abwechselnd  der  eine 
oben,  der  andere  im  Schattenreich  lebt,  als  auch  Amphion 
und  Zethos ,  Agamemnon  iind  Menelaos ,  Herakles  und  lolaos, 
Theseus  und  Peirithoos,  Achilleus  und  Patroklos  sollen  solche 
Paare  sein  (161  f.).  Mondgott  ist  nach  B.  auch  Hermes,  der  des- 
halb den  strahlenden  Argos  tötet,  die  Rinder  des  Apollon  Helios 
raubt,  die  Augen  der  Menschen  schließt  und  öffnet,  endlich  auch 
als  Gott  der  Nacht  Schützer  der  Diebe  ist  (160).  Häufiger  galt 
nach  B.  in  Griechenland  der  Mond  als  weiblich.  Die  leuchtenden 
Arme  sollen  Hera  als  Lichtgöttin  kennzeichnen  (159  f.);  der  Zug 
des  Aufhängens ,  der  sich  bei  Artemis  ^u^Trayxo/uivrj  (und  vielen 
Heroinen)  findet,  wird  auf  das  Schwinden  des  Mondes  bezogen  (148). 
Als  Göttin  des  nächtlichen  Dunkels  tötet  Artemis,  welchen  sie  will 
(159  f.).  Der  Mythos  von  Athenas  Geburt  läßt  nach  B.  (154)  keinen 
Zweifel  über  ihre  Natur  als  Blitzgöttin  zu.  Als  solche  führt  sie 
die  Lanze  und  deshalb  wird  sie  Kriegsgöttin,  als  solche  auch  Städte- 
eroberin  und  -erhalterin  (igtaiTiToXtg,  JloXidg)  und  weiterhin 
Schirmerin  der  friedlichen  Arbeit.  Zeus  ist  zum  unterirdischen 
Gott  geworden,  „da  er  im  Blitzstrahl  in  die  Erde  hinabfährt.  Dort 
haust  er,  'der  unsichtbare  Gott'  (y^idr^g,  ^^idiovei'g),  in  der  finsteren 
Tiefe  als  Herrscher  der  Toten".  Man  denkt  ihn  sich  in  Höhlen 
wohnend  (Zeus  TQorpcjviog.  ^^/nqidgaog  S.  164  f.).    Wie  die  Götter, 


Naturalistische  Mythendeutung:  Belocli.  27 

-30  werden  auch  die  Heroen  als  verkörperte  Naturerscheinungen 
gefaßt;  denn  aus  dem  Ahnenkult  ist  nach  B.  (169)  der  Heroendienst, 
der  schon  für  das  Epos  vorausgesetzt  werden  muß ,  obwohl  er  im 
Zeitalter  der  Heroen  selbst  nicht  erwähnt  werden  konnte ,  nicht 
entstanden  (168),  vielmehr  wurden  die  Götter,  „deren  Kult  nur 
eine  beschränkte  Verbreitung  hatte,  auch  im  Glauben  ihrer  eigenen 
Verehrer  ihres  göttlichen  Charakters  entkleidet"  (107).  Indem  so- 
viele  Lokalgötter  zu  Heroen  herabsanken,  entwickelte  sich  aus  dem 
Götterhymnos  der  Heldengesang  (181).  Obwohl  nach  einer  grund- 
sätzlichen Bemerkung  des  Vf.s  (IG 8)  das  Schicksal  der  Vermensch- 
lichung besonders  die  chthonischen  Götter  betraf,  weil  diese  ihrer 
Natur  nach  an  den  Stätten  haften ,  wo  sie  verehrt  werden ,  also 
nur  in  seltenen  Fällen  eine  weitere  Verbreitung  erlangen  konnten, 
werden  doch  auch  die  meisten  Heroen  für  Lichtwesen  erklärt.  Als 
„Sonnenheld"  wandert  Odysseus  wie  Helios  selbst,  wie  Herakles, 
wie  Theseus  in  das  Schattenreich  (185),  wo  er  wie  Helios  (Stesich. 
fr.  8)  seine  Mutter  findet;  im  Schlaf  wird  er  vom  Phaiakenland 
nach  Ithaka  gebracht,  wo  er  am  Apollonfest  die  Freier  erlegt. 
Ereuthalion,  der  Diener  des  „Sonnenhelden"  Lykoorgos ,  trägt  die 
Waffen  seines  Herrn  im  Kampf,  ebenso  Patroklos  die  Waffen  des 
Achilleus.  Dar  Kampf  der  Danaer  gegen  die  Kadmeionen  ist  nur 
eine  andere  Form  ihres  Kampfes  gegen  die  Lykier,  die  Lichtgötter 
(197).  lason  raubt  dem  Drachen  der  Finsternis  das  von  diesem 
bewachte  goldene  Vließ  und  fährt  auf  seinem  Lichtschiff  heim  (148). 
Daß  die  Nacht  entweicht,  wenn  ihr  Sohn,  die  Sonne,  aufgeht,  wird 
nach  B.  (147)  in  Orestes'  Muttermord  dargestellt.  Der  ApoUon- 
priester  Chryses  ist  eigentlich  der  Sonnengott  Apollon  selbst  (188). 
Die  Blendung  und  die  Analogie  der  Telegonossage  lassen  keinen 
Zweifel,  daß  es  sich  auch  bei  Oidipus  um  einen  Sounenmythos 
handelt  (196).  Selbst  von  den  Gesetzgebern  sollen  Lykurgos,  „der 
Lichtbringer",  Zaleukos,  „der  Hellstrahlende"  und  Charondas,  „der 
Helläugige",  Sonnengötter  gewesen  sein  (350).  Die  Heroinen  werden 
meist  als  Mondgöttinnen  gefaßt,  so  z.  B.  Helena  (158,  185);  Pasiphae, 
Kallisto  (158)  und  wegen  des  Mythos  vom  Felsensprung  die  vor- 
griechische Diktynna  (112).  —  Es  war  bei  der  Auswahl  dieser 
Stichproben  nicht  wohl  möglich ,  die  Pflicht  des  Berichterstatters, 
möglichst  nur  die  neuen  und  eigenartigen  Behauptungen  hervor- 
zuheben ,  mit  der  andern  zu  vereinigen ,  auch  die  Begründung  an- 
zugeben; denn  diese  besteht  in  diesem  Fall  beinahe  ausscliließlich 
darin ,  daß  die  verschiedenen  Behauptungen  sich  gegenseitig 
stützen    sollen.      Es    wird    von   niemand    bezweifelt,    daß    einzelne 


JÖ 


Naturalistisolie  Mythendeutung:  Beloch. 


griechische  Götter  Naturerscheinungen  entsprachen  und  daß  einzelne 
Götter  Heroen  geworden  sind.  Durch  solche  Einzelerscheinungen 
i^laubt  der  Vf.  sich  berechtigt,  das  ihnen  zugrunde  liegende  Prinzip 
zu  verallgemeinern.  Statt  zu  untersuchen ,  welche  Umstände  die 
Heroisierung  der  Götter  begünstigten,  setzt  er  sich  über  den  von 
ihm  selbst  aufgestellten,  übrigens  nicht  zutreffenden  Grundsatz,  daß 
die  späteren  Heroen  meist  Gottheiten  der  Unterwelt  gewesen  seien, 
kühn  hinweg.  So  wie  B.  es  denkt,'  sind  nur  selten  Heroen  und 
Heroinen  unmittelbar  aus  Gottheiten  entstanden,  z.  B.  vielleicht 
Asklepios,  der  wenigstens  bei  Homer  ein  Mensch  ist;  die  großen 
Gestalten  des  griechischen  Heldenmythos  sind,  soweit  ihr  Ursprung 
sich  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  nachweisen  läßt,  von  Haus  aus 
Menschen  gewesen,  und  wenn  es  Götter  gibt,  die  ihren  Namen  als 
Beinamen  führen,  sind  sie  keineswegs  aus  diesen  entstanden.  Ent- 
weder sind  sie  frei  erfunden  und  haben  einen  ihi'er  Heimat  an- 
gemessenen Gottesnamen  empfangen ,  weil  es  bei  den  Fürsten- 
häusern üblich  wai,  bei  der  Naraengebung  an  den  Geschlechtskultus 
anzuknüpfen  und  deshalb  die  Berücksichtigung  der  religiösen  ört- 
Uchen  ÜberUeferung  die  Erfindung  zu  beglaubigen  schien,  oder  sie 
stammen  aus  älteren,  religiösen  Überlieferungen,  die  aus  sehr  ver- 
schiedeneu Ursachen,  z.  B.  um  ein  unverständlich  gewordenes  Epi- 
theton eines  Gottes  zu  erklären ,  ebenfalls  an  den  Kult  anknüpfen 
konnte.  Daß  aus  den  vom  Gotte  berichteten  Zügen  leicht  einzelne 
auf  den  ihm  gleichnamigen  oder  sonst  mit  ihm  verknüpften  Heros 
übergehen  konnten,  ist  richtig;  aber  das  berechtigt  nicht,  diesen 
dem  Gotte  gleichzusetzen.  Noch  willkürlicher  ist  die  Schlußfolgerung, 
daß,  weil  einige  Gottheiten  zeitweilig  als  Sonne,  Mond,  Blitz  usw. 
gedacht  ^vurden ,  allen  oder  den  meisten  Gottheiten  eine  Natur- 
erscheinung zugrunde  liegen  müsse.  B.  fragt  nicht,  aus  welchen 
Ursachen  und  unter  welchen  Umständen  ein  natürlicher  Vorgang 
oder  ein  unbelebter  Körper  vermenschlicht  und  vergöttlicht  werden 
könne,  und  steht  in  dieser  Beziehung  sogar  hinter  Natursymbolikem 
aus  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  zurück,  von  denen  zwar 
viele  irrten,  wenn  sie  meinten,  daß  die  ästhetische  Freude  an  der 
•Schönheit  der  Natur  das  leicht  erregbare  Gefühlsleben  des  primi- 
tiven Menschen  aufs  äußerste  spannen,  seine  Einbildungskraft  beflügeln 
und  ihn  schließlich  dahin  bringen  könne,  den  durch  diese  geschaffenen 
Wesen  einen  manchmal  kostspieligen  Kultus  zu  widmen,  die  aber  doch 
wenigstens  z.  T.  das  darin  liegende  Problem  bereits  erkannten. 


29 


III.    Religionsgeschichte. 

1)  Die  antike  Religion  im  allgemeinen. 

8.  Rein  ach,  Transact.  3  Internat.  Congr.  Hist.  Relig.,  Oxford 
1908,  II  117  ff.  beschreibt  den  gegenwärtigen  Standpunktder  griechi- 
schen und  römischen  Rehgionsgeschichte  vind  Mythologie  mit  dem 
Streben  nach  Unparteilichkeit,  aber  doch  mit  stiller  Bevorzugung  der 
„anthropologischen"  Methode.  —  Auf  demselben  Kongreß  behandelt 
T.  R.  Glover,  ohne  zu  wesentlich  neuen  Ergebnissen  zukommen, 
den  Dämonenglauben  im  späteren  Altertum.  —  Toutain  sammelt 
in  den  Etudes  de  mythologie  et  d'histoire  des  religions,  Paris  1909 
13  in  den  Jahren  1892  — 1908  erschienene  Aufsätze  über  all- 
gemeine und  methodische  Fragen  (85)  La  religion  en  Grece  et  ä 
Rome,  ses  characteres  generaux  und  (110)  Les  rites  dans  la  religion 
grecque  et  la  reHgion  romaine,  sowie  über  einzelne  Gottheiten  der 
Griechen  und  Römer,  z.  B.  über  Prometheus  (182),  lanus  (197)' 
Melikertes  (185)  und  Liber  pater  (218),  die  zuerst  in  Daremberg 
und  Saglio,  Dictionnaire  des  Antiquites  grecques  et  romaines  ver- 
öffentlicht waren.  —  Die  auf  das  klassische  Altertum  bezüglichen 
Artikel  der  Encyclopaedia  Britannica  (11.  Aufl.)  sind  von  der  Cam- 
bridge TJniversity  Press  1911  besonders  herausgegeben.  Über 
gTiechische  und  römische  Religion  haben  meist  Farn  eil  und 
Bailey  gehandelt.  —  R.  Wünsch,  Arch.  f.  Religionswiss.  XIV, 
1911 ,  517  ff.  berichtet  über  selbständige  Publikationen  auf  dem 
Gebiete  der  griechischen  und  römischen  Religionsgeschichte  1906 
bis  1910.  —  A.  Dieterich,  Kleine  Schriften,  Leipz.  u.  Berl.  1911 
enthalten  an  religionsgeschichtlichen  Arbeiten  die  Zeitschriftenartikel 
(mit  Ausschluß  der  Rezensionen),  den  Dresdener  Vortrag  über  den 
Gott  Sarapis,  die  kurze  in  der  Strena  Helbigiana  veröffentlichte  Notiz 
über  Matris  cena  und  die  Habilitationsschrift  über  die  orphischen 
Hymnen,  Hinzugefügt  sind  zwei  ungedruckte  Stücke :  ein  Aufsatz 
über  die  verhüllten  Hände  und  die  Vorlesung  über  den  Untergang 
der  antiken  Religion.  —  Für  A.  Gerckes  und  E.  Nordens  Ein- 
leitung in  die  Altertumswissenschaft  hat  S.  Wide  einen  Abriß  der 
griechischen  und  römischen  Mythologie  und  Religionsgeschichte  ge- 
schrieben. Der  gegenwärtige  Zustand  unserer  Wissenschaft  wird 
kurz,  klar  und  im  ganzen  auch  richtig  wiedergegeben.  Wichtige 
eigene  Untersuchungen  wird  man  in  einer  derartigen  Skizze  weder 
suchen  noch  finden ;    aber  Ansichten ,    die  bei  ihrer  Abfassung  zu- 


30  Farneil. 

i^Uig  populär  wareu,  von  dem  dauernden  Ergebnis  der  Wissenschaft 
zu  unterscheiden,  hätte  doch  Avohl  auch  zu  den  Aufgaben  eines  der- 
artigen Abrisses  gehört. 

2)  Griechische  Religion. 

a)  Schriften  über  das  Gesamtgebiet  der  griechischen 

Religion. 

1907  tY.  Nach  längerer  Pause  sind  drei  weitere  Bände  von 
L.  R.  Farne  11s  Cults  of  Greek  States  erschienen.  Der  dritte 
(Oxford  1907)  behandelt  Ge,  Demeter  und  Köre  (29  ff.),  Hades 
Pluton  (280  ff.),  die  Göttermutter  und  Rheia-Kybele  (289  ff.),  der 
vierte  den  Poseidon  und  (89  ff.)  ApoUon,  der  fünfte  den  Hermes^ 
ferner  (85  ff.)  Dionysos,  (345  ff.)  Hestia,  (374)  Hephaistos,  (396  ff.) 
Ares  und  (415  ff.)  die  vergötterten  Naturkräfte,  wie  Blitz  und 
Wind,  den  Gestirndienst,  Quellen  und  Flüsse,  die  Nj^mphen,  Hören, 
Chariten,  Pan,  die  Musen,  die  Erinyen  und  die  ihnen  verwandten 
Gottheiten,  endlich  die  Personifikationen.  Die  nur  in  Kultvereinen 
verehrten  Gottheiten  und  die  Privatdienste  sind  grundsätzlich  aus- 
geschlossen: der  Heroeukult  sollte  in  einem  besonderen  Werk 
behandelt  werden ,  für  den  der  Stoff  bereits  1906  gesammelt  war, 
von  dessen  Erscheinen  ich  aber  nicht  sichere  Kunde  erhalten 
konnte.  Die  Anordnung  innerhalb  der  einzelnen  Kapitel  ist  ge- 
wöhnlich so .  daß  zuerst  die  Kulte ,  dann  das  Ritual  besprochen 
werden;  darauf  folgt  die  Behandlung  der  Kultdenkmäler,  endlich 
werden  die  Idealtypen  ausführlicher  besprochen  als  in  einem  Werke 
über  die  griechischen  Staatskulte  zu  erwarten  wäre.  Der  Über- 
sichtlichkeit ist  diese  Art  der  Stoffverteilung  nicht  günstig ;  zwischen 
Kultus  und  Ritual  läßt  sich  ebenso  wenig  scharf  sondern  wie 
zwischen  Kult-  und  Idealbildern  einer  Gottheit.  Durch  das  Fehlen 
eines  alphabetischen  Verzeichnisses,  das  wenigstens  in  den  mir 
vorliegenden  fünf  Bänden  nicht  enthalten  ist,  wird  bei  Farnell  das 
Auffinden  einer  Notiz  sehr  erschwert.  Darum  ist  das  Buch  für 
wissenschaftliches  Weiterarbeiten  nicht  leicht  zu  benutzen,  so  les- 
bar und  verständlich  es  dadurch  geworden  ist,  daß  der  Vf.  sein 
Augenmerk  auf  verhältnismäßig  wenige  Fragen  beschränkt.  Damit 
hängt  zusammen ,  daß  die  Probleme  in  Farnells  Darstellung  dem 
Leser  und  wahrscheinlich  auch  ihm  selbst  oft  einfacher  erscheinen, 
als  sie  in  WLi'klichkeit  sind,  und  da  er  über  die  Zeugnisse,  soweit 
sie  ihm  vorliegen,  meist  besonnen  und  umsichtig  urteilt,  so  erweckt 
er  nicht  selten  den  Anschein,  endgültig  eine  umstrittene  Frage  be- 
antwortet zu  haben,  deren  ganze  Schwierigkeit  er  nicht  durchschaut 


Farneil.  31 

hat.  Ein  großer  Teil  des  Buches  ist  der  Widerlegung  von  Ver- 
mutungen gewidmet ,  die  namentlich  englische  und  französische 
Forscher  auf  Grund  anthropologischer  Parallelen  aufgestellt  haben. 
Er  hat  meistens  recht;  aber  wenn  er  ausdrücklich  den  hohen 
Wert  dieser  Methode  (III,  S.  IV)  anerkennt  und  erklärt,  nur 
ihre  Auswüchse  bekämpfen  zu  wollen ,  so  beweist  er  damit  doch 
nur,  daß  er  auch  hier  nicht  bis  auf  den  Grund  des  Fehlers  vor- 
gedrungen ist,  vielmehr  hauptsächlich  dem  gesunden  Menschen- 
verstand folgt,  der  in  der  Wissenschaft  zwar  auch  viel  wert  ist,  aber 
fast  nur  Falsches  ausmex'zt,  keine  großen  Fortschritte  herbeiführt. 
Mit  Entschiedenheit  wendet  Farnell  sich  von  Useners  Theorie 
der  Sondergötter  ab,  und  trotz  der  Einwendungen,  die  L.Ziehen 
GGN,  1911,  115  in  der  ausführlichen  Besprechung  des  3.  und 
4.  Bandes  erhebt,  hat  er  nicht  selten  das  Richtige  gesehen ;  aber 
wenn  Farnell  in  dem  Aufsatz  The.  place  of  the  Sondergötter  in 
Greek  Polytheism  (Anthropol.  Ess.  presented  to  Tylor  1907,  81  ff.) 
glaubt,  daß  nur  sehr  wenige  Götter  in  Griechenland  ohne  einen 
eigenen  Namen  verehrt  wurden  (93),  und  zwar  meist  junge,  z.  T. 
wie  Amphidromos  (95)  und  Myiagros  (99)  literarisch  erfundene,  so 
zeigt  er  auch  hier,  daß  er  das  eigentliche  Problem  nicht  erfaßt  hat. 
In  Wahrheit  hat  es  seit  den  ältesten  Zeiten  in  Griechenland  so- 
wohl solche  Götter  oder  Dämonen  gegeben,  deren  Namen,  oft  viel- 
leicht die  Übersetzung  eines  vorgriechischen,  ihr  Wesen  und  Wirken 
klar  bezeichnete ,  also  Sondergötter  im  Sinne  Useners ,  als  auch 
solche ,  deren  meist  vorgriechische  Benennung  dem  Griechen  früh 
unverständlich  wurde ;  und  da  die  Wesen  dieser  zweiten  Klasse 
sowohl  untereinander  als  auch  den  „Sondergöttern"  gleichgesetzt, 
außerdem  oft  auch  durch  Beinamen  genauer  bestimmt  wurden ,  so 
entstanden  zahlreiche  Doppelbezeichnungen ,  die  unter  Umständen 
nachträglich  wieder  gespalten  wurden.  Es  laufen  durch  die  ganze 
Geschichte  der  griechischen  Religion  zwei  Bewegungen  neben- 
einander her:  eine  die  zur  Gleichsetzung,  eine  andere,  die  zur 
Trennung  führt;  und  jeder  der  beiden  Prozesse  konnte  sich  unter 
sehr  verschiedenen  Umständen  vollziehen.  Durch  eine  Anordnung 
des  Staates  oder  der  priesterlichen  Behörde,  durch  spontanes  Volks- 
empfinden oder  durch  allmähliche  Gewöhnung  der  Sprache,  durch 
die  Doktrin  von  Theologen  und  Altertumsforschern  konnte  sowohl 
die  Gleichheit  verschiedener  Gottheiten  zur  Anerkennung  gebracht 
als  auch  eine  vorher  einheitlich  verehrte  Gottheit  in  mehrere  ge- 
spalten werden.  Alle  diese  Fälle  sind  durch  sichere  Beispiele  zu 
belegen,  weit  häufiger  aber  ist  eine  Entscheidung  darüber,  welches 


32  Griechische  Religionsgeschichte:  Famell,  J.  Adam. 

Verhältnis  vorliegt,  nicht  zu  gewinnen ;  auch  in  einem  TeU  der  von 
Ziehen  augeführten  Beispiele  ist  es  nicht  so  klai-,  wie  dieser  glaubt. 
Das  Wissen,  ob  die  Einheit  oder  die  Sonderung  zweier  Gottheiten 
ursprünglich  ist,  hat  unmittelbar  für  die  Wissenschaft  nicht  einmal 
Wert,  denn  so  fruchtbar  die  Einsicht  in  die  Möglichkeit  dieser 
Fälle  für  die  Erkenntnis  der  Wandelbarkeit  religiöser  Vorstellungen 
ist,  so  wenig  wichtig  ist  an  und  für  sich  die  Feststellung  des  Ver- 
hältnisses im  einzelnen  Fall;  nur  in  Verbindung  mit  andern  Tat- 
sachen kann  sie  das  Verständnis  für  das  Entstehen  einer  Gottheit 
fördern. 

1908.  James  Adam  hat  in  einer  Reihe  von  Vorträgen,  die 
von  seiner  Witwe  unter  dem  Titel  The  Religious  Teachers  of  Greece 
being  Gififord  lectures  on  natural  religion  delivered  at  Aberdeen, 
Edinburg,  herausgegeben  sind,  das  Verhältnis  der  griechischen 
Denker  iind  Dichter  zur  Religion  zu  zeichnen  versucht.  Es  werden 
behandelt  Homer  (in  der  3.  Vorlesung),  die  Dichter  von  Hesiod 
bis  zu  Bakchjdides  (4),  die  Orphiker  (5),  Pindar  (6),  Aischylos  (7), 
Sophokles  (8),  die  Denker  von  Thaies  zu  Xenophanes  (9),  Hera- 
kleitos  (10  und  11),  Philosophen  von  Parmenides  bis  Anaxagoras 
(12),  das  Zeitalter  der  Sophisten  (13),  Eui'ipides  (14  f.),  Sokrates 
(16  f.),  Piatons  Kosmologie  (18),  Spuren  von  Askese  und  Mystik 
bei  Piaton  (19),  Piatons  Erziehungslehre  (20),  Piatons  Ideenlehre 
(21).  Als  Ziel  der  Entwicldung  der  griechischen  Philosophie  be- 
trachtet Adam  (zuerst  114)  die  Durchkämpfung  der  Überzeugung 
von  der  Göttlichkeit  der  Seele  und  der  sich  daraus  ergebenden 
Forderung,  daß  der  Mensch  nach  der  Göttlichkeit  streben  müsse. 
Nachdem  diese  Lehre  durch  die  Orphiker  zuerst  in  mythologischer 
Form  ausgesprochen  war,  wurde  sie  von  dieser  nach  Adam  durch 
Piaton  gereinigt,  sie  wurde  „intellektualisiert".  Die  Bedeutung  der 
Eleaten  und  des  Empedokles  für  die  Religionsgeschichte  wird  be- 
stritten ,  dagegen  Anaxagoras  als  Begründer  des  Theismus  in  der 
Westwelt  hervorgehoben.  Bei  Euripides  kann  Adam  bestimmte 
positive  religiöse  Prinzipien  nicht  als  herrschend  erkennen;  da- 
gegen soll  die  Sokratische  Gebetsformel  in  ihrer  vollendeten  Gläubig- 
keit und  Selbstunterdrückung  ganz  religiös,  und  zwar  mehr  christ- 
lich als  griechisch  sein.  Piatons  Timaios  bereitete  nach  Adam  den 
Weg  für  Philon  und  die  Lehre  von  der  di£Ferentiated  unity  der 
Gottheit  die  christliche  Dreieinigkeitsvorstellung  vor.  Die  platonische 
„immanente  Transszendenz"  der  Idee  soll  die  tiefsten  Gedanken  in 
Paulus'  Briefen  und  Evangelium  sowie  den  Briefen  des  Johannes 
ausgelöst  haben.  — Für  K.  Schmidts  Schrift  Das  Geheimnis  der 


Griechische  Religionsgeschichte:   Reisch,  Fairbaiiks.  33 

griechischen  Mythologie  und  der  Stein  von  Lemnos  (Gleiwitz  1908) 
kann  auf  Pedersens  Besprechung,  Berl.  Phil.  Wochenschr.  1910, 
243,  verwiesen  werden. 

1009.  Reisch,  Entstehung  und  Wandel  griechischer  Götter- 
gestalten,  Wien.  —  In  Franz  Polands  Geschichte  des  griechischen 
Vereinswesens,  einer  Preisschrift  der  Pürstl.  Jablonowskischen 
Gesellsch.  (XXXVIII,  1909),  ist  S.  173  ff.  von  don  religiösen 
Vereinen  und  der  Götter  Verehrung  gehandelt. 

Das  Jahr  1910  brachte  A  Handbook  of  Greek  Religion  von 
A.  Fairbanks  (Greek  Series  for  Colleges  and  Schools  ed.  under 
the  Supervision  of  Herbert  Weir  Smyth ,  New  York,  Cincinnati, 
Chicago),  das  aber  in  Wahrheit  keineswegs  ist  oder  sein  will,  was 
es  im  Titel  zu  sein  verspricht.  Auf  eine  lange  Einleitung,  in  der 
hauptsächlich  erörtert  wird,  ob  man  überhaujit  von  einer  griechischen 
Religion  sprechen  könne  und  wie  sich  die  Götter  im  Kultus  und 
Mythos  unterscheiden ,  folgt  (39  ff.)  eine  Darstellung  der  Formen 
des  religiösen  Glaubens  und  der  Riten;  in  vier  Kapiteln  werden 
Offenbarung  und  Inspiration,  die  Götterverehrung  (G5  ff.),  die 
griechischen  Götter  (138  ff.),  die  Seelen  und  das  Leben  nach 
dem  Tode  (168  ff.)  behandelt.  Der  zweite  Teil,  der  eine  Skizze 
von  der  griechischen  Religionsgeschichte  geben  soll ,  ist  in  fünf 
Kapitel  gegliedert,  von  denen  das  erste  (189  ff.)  die  Anfänge,  das 
zweite  (215  ff.)  das  griechische  Mittelalter,  das  dritte  (230  ff.)  die 
griechische  Religion  im  7.  und  6.  Jh.,  das  vierte  (249  ff.)  die  Blüte- 
zeit des  5.  und  4.  Jhs.,  das  fünfte  (273  ff.)  endlich  die  Ausgänge 
darstellen  soll.  Der  dritte  Teil  (294  ff.)  trägt  die  Überschrift 
Religion  and  other  phases  of  life  in  Greece ;  es  wird  hier  ge- 
handelt über  das  Verhältnis  der  Religion  zur  bildenden  Kunst  und 
zur  Literatur,  zur  Gesellschaftsordnung  (306  ff.),  zur  Philosophie 
(322)  und  über  die  eigentümliche  Natur  der  griechischen  Religion 
(334).  Den  Beschluß  machen  drei  Anhänge,  von  denen  der  erste 
eine  Geschichte  des  Artemisdienstes ,  der  zweite  eine  Übersicht 
über  die  wichtigsten  athenischen  Feste ,  der  dritte  eine  Auswahl 
aus  der  Bibliographie  geben  will.  Natürlich  kann  in  diesem  Rahmen 
eine  einigermaßen  gleichmäßige  Übersicht  über  die  griechische 
Religion  auch  nur  von  einem  einzelnen  Gesichtspunkt  aus  nicht 
geboten  werden.  Die  Ausführung  entspricht  der  seltsamen  Anlage 
des  Buches,  s.  Berl.  Phil.  Wochenschr.  XXXII,  1912,  912.  — 
Farn  eil,  Class.  Quart.  IV,  187  hebt  hervor,  daß  im  Griechischen 
ein  Gott  nach  seinen  Verehrern  heißen  kann:  so  erklärt  er  Zeus 
Iktcoq,  ^(pi7ci;wQ,  '^ly.eirjg,  ^IdazoQog,    recogyog,   "^Of-iDynog,   Hera 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  186  (Supplemeutband).  3 


34  Griechische  Religionsgeschichte:   Farnell,  Habert. 

rialg,    Te?Ma,    Xi^Qce.     Er    nennt  diese,  wie  er  sagt,   nicht  häufige 
Erscheinung    ein    Greek    magico  -  religious    law.      Die    Erscheinung 
reicht,  wie  mir  scheint,  weiter  als  der  Vf.  meint ;  vgl.  z.  B.  Apollon 
Lykeios,    Zeus  Lykaios ,    die    ursprünglich  wahrscheinlich  von    den 
„Wölfen",    d.  h.  von    den  wegen  Totschlags  Verbannten  angerufen 
wurden ;    andere    Beispiele    für   die    Anähnlichung    der    Gottheit    an 
ihre  Verehrer    bieten  Mythen  wie    die    von    der   Entsühnung    einer 
Gottheit,    an  die  sich  die  der  Sühne  Bedürftigen  wandten,  und  die 
Attribute.     Es  ist  ja  auch  kein  Wunder,  daß  der  leidende  Mensch 
Trost  und  Hilfe  bei  einem  Wesen  sucht,  das  gleichen  Schmerz  er- 
litten haben  soll ,    und   deshalb    sich  sowohl  an  Gottheiten  wendet, 
von  denen  der  M5'thos  das  bereits  erzählt,  als  auch  solche  Mythen 
auf  diejenigen  Wesen  überträgt,    deren  Hilfe  er  im  entsprechenden 
Fall  erhofft.  —  Das  kirchlich  genehmigte  Buch  von  Habert,    La 
religion    de  la  Grece  antique,    Paris  o.  J.,  will  eine  populäre  Dar- 
stellung geben  ohne  den  Anspruch,  immer  eigene  Forschungen  vor- 
zulegen.    Nach  einer  Einleitung,  in  der  zuerst  Dafourcq,  der  Ver- 
fasser   der   in    mehreren  Auflagen    erschienenen  Histoire    comparee 
des  religions  paiennes  et  de  la  religion  juive,  die  Entwicklung  der 
griechischen  Religion    bis    auf  Alexander  allgemein  skizziert,    dann 
Habert    selbst    die  Eigenart  des  Griechenvolkes  kennzeichnet,  wird 
zunächst    die    griechische  Naturreligion   in  drei  Kapiteln  behandelt, 
von  denen  das  erste  die  ßeste  eines  noch  roheren  Zustandes,  das 
zweite    die  Beziehungen  zu  den  orientalischen  Religionen  erörtert; 
es    folgt    eine    Darstellung    der    ältesten    Lokalkulte ,    zuerst    der 
kretischen  und  mykenischen,  dann  der  kleinasiatischen,  endlich  der 
ältesten    griechischen.     Großen  Wert  legt  Habert  auf  ähnliche  Er- 
scheinungen   bei   heutigen  „Wilden",    mit  deren  Hilfe  er  z.  B.  das 
Wesen  der  griechischen  Mj^sterien  aufhellen  zu  können  glaubt  (510); 
darüber  werden  nicht  selten  die  antiken  Zeugnisse  übersehen  oder 
gering    geachtet.     Wie    in    dem  von   ihm  verfaßten  Abschnitt  über 
die  griechische  Religion  in  der  kirchlichen  Veröffentlichung  Oü  en 
est  l'histoire  des  religions,  Bd.  I  Les  religions  non  chretiennes,  dem 
Loisy,    Rev.  hist.  litt,  relig.  1912,  S.  87  erhebliche  Fehler  nach- 
weist,   enthält    auch    dies  Sonderwerk,    das    von    Poussin,    Mus. 
Beige,    bull.  litt.  XIV,    1910,    343    gerühmt   wird,    sonderbare   Irr- 
tümer ;  Habert  verwechselt  z.  B.  nicht  nur  Eleusinien  und  Mysterien 
(523),  sondern  meint  auch,  Herodot  spreche  von  den  Mysterien  als 
einem    fünfjährlichen    Fest.       Der    Hierophant,     der    ebd.    richtig 
Eumolpide  genannt  wird,  soll  (524)  Keryke  gewesen  sein;  525  wird 
eine  phantastische  Beschreibung  des  Festes  gegeben. 


Griechische  Religionsgeschichte:    Lanzani,  Famell.  35 

1911.  Lanzani,  La  religione  Greca  e  gli  stwdi  degli  antichi 
e  dei  moderni,  Atene  e  Roma  XIV,  1911,  224  ff.  enthält  die  Ein- 
leitung zu  Universitätsvorlesungen  über  griechische  Religion,  die 
in  Pavia  gehalten  sind.  Li  seltsamer  Auswahl  bietet  der  Vf.  eine 
Übersicht  über  die  von  ihm  für  besonders  wichtig  gehaltenen 
Theoi'ieu,  ohne  eigene  Ansichten  zu  äußern. 

1912.  Murray,  Four  Stages  of  Greek  Religion.  Oxford. — 
L.  R.  Famell,  The  Higher  Aspect  of  Greek  Relig. ,  Lectm\ 
deliv.  at  Oxford  and  in  London  in  April  and  May  1911,  London 
1912  behandelt  folgende  Punkte  :  1)  Allgemeine  Züge  der  griechischen 
Religion  und  ihren  Ursprung;  2)  Das  religiöse  Band  und  die  Sitt- 
lichkeit der  Familie  5  3)  Stammreligion  und  Stadtreligion ;  4)  Einfluß 
des  Systems  der  Stadtrehgion  auf  das  religiöse  Gefühl,  auf  Sitte 
und  Gesetz ;  5)  Ausdehnung  der  griechischen  Religion  über  die 
Gi'enzen  der  Polis ;  6)  Persönliche  Religion  in  Griechenland.  Trotz 
der  weit  kürzeren  Fassung  treten  einzelne  für  die  Gesamtauffassung 
Fai'nells  wichtige  Gedanken  hier  schärfer  hervor  als  in  dessen  Haupt- 
werk (0.  S.  30).  Es  wird  betont,  daß  die  hellenische  Religion,  ab- 
gesehen von  den  Mysterien ,  niemals  individualistisch  war  (42), 
womit  gemeint  ist  oder,  wenn  ich  den  Vf.  nicht  richtig  verstanden 
habe,  wenigstens  gemeint  sein  sollte,  daß  sie  nicht  sowohl  Bedürf- 
Tiisse  des  einzelnen  befriedigte  als  vielmehr  solche  der  sozialen 
Organismen,  der  Familie,  des  yevog,  des  Stammes,  des  Stadtstaates. 
Die  Familie  wurde  (57)  hauptsächlich  durch  das  gemeinsame  Mahl 
an  dem  Familiengrab  zusammengehalten  •,  der  dort  verehrte  göttliche 
Vorfahr  verschmolz  im  Gefühl  seiner  Nachkommen  mit  dem  Gott, 
so  erklärt  Famell  Gestalten  wie  Zeus  lAyai.ii(xvo)v  und  Poseidon 
'Egex^eig.  Daß  die  Religion  des  Stadtstaates  aus  der  Zusammen- 
fassung von  Religionen  der  kleineren  Verbände  entstanden  ist,  wird 
daraus  gefolgert,  daß  die  Bürger  der  Polis  sich  auch  später  noch 
als  Familie  fühlten,  und  z.  B.  den  Kult  des  Z.  ^Eg/ielog  über- 
nahmen (65).  Famell  bestreitet ,  daß  selbst  der  am  wenigsten 
Gebildete  den  Apollon  von  Athen,  Sparta  oder  Branchidai  für  einen 
von  dem  delphischen  verschiedenen  Gott  gehalten  habe.  Soll  damit, 
wie  es  scheint ,  geleugnet  werden ,  daß  die  gleichnamigen  Götter 
der  verschiedenen  Kultstätten  auch  unterschieden  werden  konnten, 
so  ist  dies  mit  zahlreichen  Zeugnissen  aus  dem  Altertum  schwer 
zu  vereinigen  und  schon  deshalb  unwahrscheinlich,  weil  ja  doch  an 
jeder  bedeutenden  Kultstätte  die  Gottheit  selbst,  und  zwar  oft 
dauernd  anwesend  gedacht  wurde ;  aber  vielleicht  meint  Farnell 
nur,    daß    die  Gleichheit  des  Namens  und  die  durch  die  Dichtung 

.3  * 


36  Griechische  Religionsgeschichte:   Farneil,  Nilsson. 

und  die  bildende  Kunst  geschaffene  Einheitlichkeit  der  Persönlich- 
keit es  ermöglichte,  die  gleichen  Götter  verschiedener  Kultstätten 
auch  für  gleich  zu  halten.  Diese  schon  früher  oft  aufgestellte 
Erklärung  kann  sich  auf  den  gleichen  Gedankenwiderspruch  in  der 
Auffassung  der  katholischen  Heiligen  berufen. 

1913.  Auf  dem  Leidener  Kongreß  warnt  Farnell  (Act.  du 
IV  congr.  intern,  d'hist.  d.  relig.  S.  140)  davor,  jeden  Heros,  der 
später  einen  Kult  hatte,  für  einen  vermenschlichten  Gott  zu  halten ; 
oft  hat  sich  nach  Farnell  der  Kult  erst  aus  dem  Epos  entwickelt.  — 
Auf  demselben  Kongreß  empfahl  und  begi-üudete  Nilsson  (Actes 
131  ff.)  den  Plan  eines  Lexikons  der  griechischen  und  römischen 
Religion,  mit  Ausschluß  der  Mythologie,  das  bei  Teubner  erscheinen 
soll.  Die  verschiedenen  Anschauungen  und  Hj-pothesen  der  Religions- 
wissenschaft sollen  darin  berücksichtigt  werden,  ebenso  religiöse 
Bewegungen  und  Denkrichtungen,  auch  die  allgemeine  Welt- 
anschauung der  Zeiten,  die  philosophischen  Lehren,  soweit  sie  zur 
Religion  Stellung  nehmen ,  auch  einzelne  Persönlichkeiten ,  wie 
Xenophanes ,  Aischylos  und  Piaton ,  das  Örtliche ,  Zeitliche  und 
Persönliche  des  Kultus ,  seine  Beziehungen  zum  Staat ,  Kulthand- 
lungen, Gegenstände  des  Aberglaubens  und  die  Volksmedizin.  Gewiß 
könnte  auch  ein  solches  Werk  förderlich  sein,  obwohl  man  zweifeln 
muß,  ob  die  lexikalische  Form  dafüi'  geeignet  ist;  sie  zeneißt  das 
Zusammengehörige  und  ist  unübersichtlich,  weil  sie  nicht  an  den 
Namen  feste  Lemmata  hat,  wie  das  mythologische  Lexikon;  auch 
hat  dieses  allmählich  immer  mehr  auch  den  Kultus  herangezogen, 
der  in  der  Tat  oft  vom  Mj-thos  untrennbar  ist ,  so  daß  an  vielen 
Stellen  Wiederholungen  des  dort  bereits  Gesagten  unvermeidlich 
sein  würden.  Es  fragt  sich,  ob  das  erstrebenswerte  Ziel,  soweit 
es  überhaupt  lexikalisch  erreicht, werden  kann,  d.  h.  die  Darstellung 
der  Religionsaltertümer  mit  Ausschluß  der  Religionsgeschichte,  nicht 
besser  durch  die  ohnehin  notwendige  und  längst  geplante  Neu- 
bearbeitung der  veralteten  Teile  des  Mythologischen  Lexikons  er- 
reicht wird. 

Anhangsweise  ist  hier  noch  einiger  etymologischer  Arbeiten 
über  mythische  Xamen  zu  gedenken  {vgl.  o.  S.  18).  Die  wertvollsten 
dieser  Untersuchungen  sind  F.  Solmsens  Beiträge  zur  griech.  Wort- 
forschung, Straßburg  1909.  —  H.  Ehrlich,  Zur  indogermanischen 
Sprachgesch.,  Beil.  zum  Jahresber.  des  Altstädtischen  Gymnasiums, 
Königsberg  in  Preußen  1910,  deutet  u.  a.  Apollon  als  den  „Glän- 
zenden'", iQiovnog  als  den  „sehr  Schnellen",  '^Qyeiq6vzT]g  als  den 
„an  Schnelligkeit  Reichen",  loylaiQCi  als  die  .,den  Jagdruf  Gellende".- 


Hypothese  von  der  indogermanischen  Urreligion.  37 

Osk.  Hey,  Die  Wurzeln  der  griech.  Religion  in  besonderem  Zu- 
sammenhang mit  dem  Traumglauben,  Ein  histor.  Versuch,  Progr., 
Neuburg  a.D.  1910,  stellt  (9)  Apollon  zu  pellere,  glaubt  (28.  2), 
daß  Athena  ursprünglich  die  Göttin  des  reinen  Äthers  war,  daß  ihre 
Lanze  ursprünglich  den  Blitz  bedeutete,  daß  die  Göttin  aber  später 
auf  den  Mond  bezogen  wurde.  Bellero-phontes ,  dessen  Namen  zu 
vellera  und  (faivw  gestellt  wird,  soll  die  leuchtenden  Lämmer- 
wölkchen bezeichnen  (51),  Helle  (vgl.  hXdvr])  das  Wetterleuchten  (4), 
Hymen  wird  zu  ind.  Soman  gestellt  (10) ,  Perscphone  (10.  2)  zu 
.cagotiog  oder  zu  n^qd^co. 

Derartige  mythologisch- etymologische  Untersuchungen  zeigen, 
daß  ein  großer  Teil  der  griechischen  Götter  und  Hei'oennamen 
eine  einleuchtende  Erklärung  aus  dem  Griechischen  nicht  zuläßt. 
Solche  undeutbare  Namen  müssen  entweder  aus  untergegangenen 
Perioden  des  Griechischen  beziehungsweise  derjenigen  Sprache 
stammen ,  aus  der  dieses  hervorgegangen  ist ,  oder  aus  fremder 
Sprache  hex-übergenommen  sein.  Je  nachdem  die  eine  oder  die 
andere  Art  der  Namendeutung  ausschließlich  angewendet  oder 
wenigstens  bevorzugt  wird ,  entstehen  verschiedene  Weisen ,  die 
Religion  und  den  Mythos  zu  betrachten. 

b)    Die    Herleitung    griechischer    Mythen    und    Kulte 
aus  indogermanischer  Urzeit 

auf  Grund  der  Gleichsetzung  von  mythischen  Namen  ist  auch  in 
dieser  Berichtsperiode  wieder  wenigei*  versucht  worden  als  in  der 
vorhergehenden ;  doch  streben  von  den  Mitarbeitern  an  der  Mytho- 
logischen Bibliothek  (.9.  0.  S.  19)  mehrere  nach  diesem  Ziel,  z.  B. 
Hü  sing  {s.u.S.iO)  und  Wolfg.  Schultz,  der  aus  der  Ver- 
gleichung  germanischer  und  griechischer  Rätsel  urindogermanische 
Mythen  zu  gewinnen  sucht  (s.  dagegen  Tittel,  Berl.  Phil.  Wochenschr. 
XXXIV,  1914,  1230  ff.);  und  Bloomfield,  The  Religion  of  the 
Veda,  The  ancient  Religion  of  Indra  from  Rgveda  to  Upanisad, 
New  York -London  1908,  trägt  viele  der  alten  von  ihm  selbst 
in  früheren  Schriften  oder  auch  von  andern  aufgestellten  Gleich- 
setzungen indischer  und  gi'iechischer  Götter  wieder  vor.  — 
L.  V.  Schröder,  Mysterium  und  Mimus  im  Rigveda,  Leipz.  1908, 
erschließt  für  die  ungeteilten  Indogermanen  mimetische  Aufführung 
von  Mythen.  Er  faßt  die  Äkhyänalieder  des  Rigveda,  in  denen 
nach  Oldenberg  -die  zur  Herstellung  eines  Zusammenhanges  not- 
wendigen   Stücke    in    Prosa    hinzugefügt    und    daher   nicht    in   die 


38  Hypothese  von  der  indogermanischen  Urreligion. 

Sammlung  aufgenommen  wurden,  als  Reste  einer  primitiven  Dramatik. 
So  soll  z.  B.  (155  A.)  der  Drachenkampf  ein  kultliches  Mysterion 
der  „arischen'",  d.  h.  indogermanischen  Urzeit  gewesen  sein,  von 
dem  sich  eine  Spur  z.  B.  (212)  in  dem  delphischen  Septerion  und, 
wie  aus  der  dramatischen  Gestaltung  der  betreffenden  Eddalieder 
gefolgert  wird  (219),  in  den  nordischen  M3-then  von  Lokis  Flucht, 
Verfolgung  und  Gefangennahme  durch  die  Götter  erhalten  habe. 
Auf  diesem  Umweg  will  Schröder  die  urindogermanische  Mythologie 
wieder  zu  Ehren  bringen.  Daß  auch  Kuhn ,  dessen  „tiefgründige 
Arbeiten"  er  weit  höher  stellt  als  die  „geistreichen  Spielereien" 
M.Müllers,  im  einzelnen  irrte,  wird  dabei  zugegeben;  aber  Gleichungen 
wie  die  von  Mars  und  den  Marutas,  die  Schröder  148  nach  Kuhn 
und  V.  Bradke  aufnimmt,  oder  die  von  Hermeias  und  Sarama,  an 
der  er  trotz  des  verschiedenen  Geschlechtes  festhält  (178),  sind 
schwerlich  besser  als  die  von  ihm  verworfenen,  und  seine  eigenen 
Vermutungen  passen  sich  zwar  heute  beliebten  Ansichten  an,  werden 
sich  aber  wahrscheinlich  auch  nur  z.  T.  behaupten  können.  Er 
erkennt  z.  B.  (124)  das  Seelenheer,  das  unter  Führung  eines  männ- 
lichen Wind- ,  Seelen-  oder  Fruchtbarkeitsgottes  schreckend ,  aber 
zugleich  segnend  durch  die  Lüfte  fährt,  in  dem  Jagdzug  des  Zagreus 
und  der  Hekate-Artemis,  in  den  Amazonensagen,  in  den  Mainaden, 
Satyrn ,  Silenen ,  Nj-mphen ,  Gandharven ,  Apsarasen  endlich  in 
dem  Kinderheer  des  germanisch  -  lettischen  Glaubens  iind  ver- 
einigt damit  Vorstellungen,  die  nur  dadurch  in  die  Urzeit  hinauf- 
gerückt werden,  daß  erstens  die  naheliegende  Möglichkeit  einer 
späteren  Übertragung  außer  acht  gelassen  und  zweitens  nicht  Hin- 
gehöriges  (wie  die  Gandharven  und  Apsarasen)  in  die  Reihe  gestellt 
wird.  Der  Hinweis  auf  dramatische  Darstellungen  des  Mythos 
enthält  einen  richtigen  und  fruchtbaren  Gedanken,  aber  schwerlich 
gehen  solche  Aufführungen,  die  sich,  wie  namentlich  Fries  (o,  S.  24') 
zu  zeigen  versucht,  auch  bei  nichtindogermanischen  Völkern  finden, 
in  die  proethnische  Urzeit  zurück,  und  in  der  Regel  ist  das  Ver- 
hältnis von  Mythos  und  Mimus  wohl  umgekehrt ,  als  es  Schröder 
und  ihm  folgend  auch  Fries  annehmen ,  d.  h.  der  Mythos  ist  erst 
eine  Projektion  des  Ritus.  Es  ist  doch  z.  B.  ungleich  wahrschein- 
licher, daß  die  göttlichen  Kureten  und  Korybanten  mythische  Gegen- 
bilder zu  irdischen  Tänzern  sind,  als  daß  diese  den  Göttertanz 
nachahmten,  wie  Schröder  (131  ff.)  glaubt.  —  Am  weitesten  geht 
in  der  Annahme  indogermanischer  Götter  Brunnhof  er.  Arische 
Urzeit,  Forsch,  a.  d.  Gebiet  des  ältesten  Vorder-  und  Zentralasiens 
nebst   Osteuropa  (Bern  1910J,    der  u.  a.  Baukis  (208  ff.)  zu  Moki, 


Hypothese  von  der  indogermanischen  Urreligion.  39 

Hermes  (176,  190ff.J  zu  ai'(a)mati,  Kentauros  (1,79)  zu  Gandharva 
(=  kam-dharva  „Wasserbewahrer"),  Narkissos  (210)  zu  Nara9ansa, 
Orion  (179  f.)  zu  Varuna,  Polyphemos  (185)  zu  Pururavas  stellt. — 
Arbois  de  Jubainville,  Täin  B6  C u aInge ,  Enlevement  du 
taureau  divin,  Paris  1907,  will  Übereinstimmungen  zwischen  irischer 
und  griechischer  Sage,  A.  Ho  ffmann  -  Kutschke  ,  Reede  trav. 
rel.  ä  la  philol.  et  ä  l'arch,  XXXI,  1909,  66  ff.  altarische  Mond- 
religion erweisen.  —  H.  Eeichelt,  Indog.  Forsch.  1913  23  ff. 
folgert  aus  dem  griechischen  Namen  Akmon  und  aus  den  indischen 
Mythen  von  der  Befreiung  der  Kühe  aus  der  Berghöhle ,  daß  die 
Indogermanen  den  Himmel  sich  als  steinern  dachten  und  dann,  als 
diese  Vorstellung  aufgegeben  wurde,  eine  Spur  davon  in  dem  Mythos 
lebendig  erhielten ,  daß  Indra  den  Berg  gespalten  habe ,  auf  daß 
Licht  und  Regen  zur  Erde  niedersteigen  könne.  In  Wahrheit  ist 
selbst  für  die  Stellen  des  Rigveda,  in  denen  die  Befreiung  der 
Kühe  aus  der  Höhle  erwähnt  wird ,  keineswegs  ganz  sicher ,  daß 
diese,  was  an  sich  doch  fern  liegt,  in  den  Wolken  oder  am  Himmel 
gesucht  wxTrde ;  die  griechischen  Mythen,  die  mit  dem  Siege  Indras 
über  Vrtra  verglichen  zu  werden  pflegen ,  beziehen  sich  auf  die 
Gewinnung  irdischer  Quellen  {Jahresher.  CII  S.  142). 

Andere  Sprachforscher  äußern  sich  jedoch  wenigstens  hinsicht- 
lich der  Namensgleichsetzungen  vorsichtiger.  Mehringe r,  Indog. 
Forsch.  XXI,  1907,  313  erklärt  die  Seltenheit  urindogermanischer 
religiöser  Namen  daraus,  daß  sie  Tabu  waren,  Sehr  ad  er  bei 
Hastings ,  Encycl.  II  33  schreibt  den  ungeteilten  Indogermanen 
nur  einen  ausgebildeten  Animismus  und  Fetischismus ,  dazu  auch 
einzelne  himmlische  Götter ,  Sonne ,  Mond ,  Morgenröte ,  auch  das 
Feuer  zu,  die  jedoch  namenlos,  d.  h.  nur  mit  dem  Namen  der  durch 
sie  vertretenen  Erscheinungen  und  Kräfte  verehrt  wurden.  — 
Meillet,  Einführung  in  die  vergleichende  Grammat.  d.  indogerm. 
Spr. ,  übers,  von  Printz  1909,  246  f.  findet  sogar,  daß  im  ganzen 
der  Wortschatz  der  einzelnen  indogermanischen  Sprachen  auf 
keinem  Gebiet  so  weit  auseinander  geht,  wie  bei  den  auf  die  Religion 
bezüglichen  Begriffen;  er  gibt  sogar  mit  Hü  sing,  Myth.  Bibl.  II  2, 
1909,  S.  93  zu,  daß  altbulg.  bogu  aus  dem  altpersischen  baga  ent- 
lehnt sein  könne,  erkennt  aber  doch  den  ungeteilten  Indogermanen 
gewisse  Vorstellungen  von  der  Gottheit  zu. 

Von  einzelnen  Gestalten  der  Religion  und  des  Mythos  bei 
Griechen  und  Römern  versucht  G.  H  e  m  p  e  1 ,  Transact.  Amer.  Phil. 
Assoc.  XLIV,  1913, 192  f.  Apollons  Gleichsetzung  mit  Agni  Saparyenya 
zu  rechtfertigen,  indem  er  aus  ägyptischen  und  assyrischen  Trans- 


4()  Hypothese  von  der  indogermanischen  Urreligion. 

skriptioneu  auch  für  den  griechischen  Namen  anlautendes  S  er- 
schließt, dessen  regelmäßiger  (boiotisch-attischer)  Ersatz,  der  Spiritus 
asper,  verloren  gegangen  sei,  weil  0oißooau6l)Mv  als  ein  Wort 
empfunden  wurde.  —  Tritovä^  Athen  a  entspricht  nach  Hü  sing, 
Die  iran.  Überliefer.  (Myth.  Bibl.  II  2,  1909)  128  (vgl.  Hoff- 
uiann -Ku  tschke  ,  Reo.  de  trav.  rel.  ä  la  phil.  et  ä  l'arch.  6g. 
et  ass.  XXV,  1908,  141)  der  sakischen  Tritona  Ad'wijSna,  dem 
Patronymikon  zu  Trito  A^wija.  —  Elysioii  stellt  Schrader 
in  Hastings  Encycl.  of  Rel.  and  Eth.  II  30  zu  lit.  Vielona  und 
altnord.  Valhcll,  folgert  aber  daraus  nur  eine  arische  Wurzel:  *vel, 
*vol,  *vel,  ..Totenseele"  und  hält  die  Annahme  eines  indogermanischen 
Totenreichs  für  unerweislieh.  —  Er  inys  ist  nach  Farn  eil,  Cults 
of  Gr.  St.  III  soff,  von  Saramni  zu  trennen.  —  A.  Beriedale 
Keith,  Class.  Rev.  XXI,  1907,  172  gibt  diese  sprachliche  Gleich- 
setzung zwar  ebenfalls  preis,  glaubt  aber,  daß  genug  sachliche 
Übereinstimmungen  bleiben.  —  Den  Kabiros,  der,  wie  aus  den 
in  die  Erde  versenkten  Opfern  geschlossen  wird,  ein  chthonischer 
Gott  war,  setzt  Wackernagel  in  der  Zs.  f.  vgl.  Sprachforsch. 
1907,  317  dem  indischen  Ki\bera,  dem  Vertreter  der  Geister  der 
Tiefe,  gleich,  weil  phoinikische  Kabiren  unbezeugt  und  im  ältesten 
Griechenland  nicht  mehrere  Kabiren  verehrt  worden  seien.  S.  da- 
degen  Sittig,  De  Graecor.  nominib.  theophoris,  Halle,  Diss.  1911, 
S.  143.  2.  —  Die  Gleichung  Kentauros  Gandharvä  verteidigt  aus- 
führlich Hü  sing,  Die  iran.  Überlief,  und  das  ar.  System  (Myth. 
Bibl.  II  2),  1909,  S.  217  ff.  —  Die  lernaiische  Hydra  und 
Kerheros  entsprechen  nach  Hüsing  a.  a.  0.  154  der  dreiköpfigen 
Schlange  ^^^'^ara,  die  (169)  ursprünglich  eine  Mischgestalt  aus 
einem  hundeartigen  Tier  und  einer  Schlange  gewesen  sein  soll.  — 
Endlich  sei  angeführt,  daß  L  e  ß  m  a  u  n  ,  Die  K3T0Ssage  in  Europa, 
Progr. ,  Charlottenb.  1906,  den  Zug  der  Aussetzung  eines  Kindes 
infolge  einer  dem  Vater  von  ihm  drohenden  Gefahr  durch  die  Ver- 
gleichung  keltischer,  germanischer,  litauischer  und  slavischer  Sagen 
als  einen  zusammenhängenden  indogermanischen  Mythos ,  wie  er 
bisher  nicht  bekannt  gewesen  sei,  erweisen  will. 

Mehr  als  in  der  Mythologie  der  klassischen  Völker,  die  dank 
der  größeren  Zahl  von  Zeugnissen  und  auch  infolge  einer  feiner 
ausgebildeten  Methode  im  Durchschnitt  weiter  in  die  Geschichte  der 
einzelnen  Mythen  hinaufzudringen  vermag  und  die  dadurch  auch 
mehr  gegen  übereilte  Vergleichung  sekundärer  Sagenformen  ge- 
schützt ist ,  blüht  die  komparative  Mythenforschung  unter  der 
Sagenüberlieferung  anderer  indogermanischer  Völker:  doch  liegt  es 


Hypothese  über  das  Verhältnis  der  griech.  Religion  zu  asiatischen.     41 

nicht   im  Plan    dieses  Jahresberichtes ,    auf  diese    Untersuchungen 
weiter,  als  bisher  geschehen  ist,  einzugehen. 

Als  E.  Kuhn  in  der  Vorrede  zum  zweiten  Bande  der  Mythologischen 
Studien  seines  Vaters  A.  Kuhn  (s.  0.  S.  17)  die  Hoifnung  auf  eine 
Erneuerung  der  vergleichenden  Mythologie  im  Sinne  seines  Vaters 
aussprach,  war  ihm  wahrscheinlich  schon  bekannt,  wenn  auch  in 
seiner  Bedeutiing  für  die  Frage  noch  nicht  klar,  ein  Verti'ag,  den 
der  König  der  Mitani  im  Anfang  des  XIV.  Jhs.  mit  dem  Chetiterkönig 
abschloß  und  in  welchem  als  Götter  der  Mitani  Mitra,  Varuna, 
Indra  und  die  Nasatya ,  d.  h.  die  A9vin  erschienen.  Damals  also 
herrschten  Inder  oder  Eranier,  vielleicht  noch  ungetrennt,  im  oberen 
Teil  Mesopotamiens,  sie  konnten  von  den  benachbarten  Assyrern 
Götter  empfangen,  und  da  von  Kleinasien  nach  der  Balkanhalb- 
insel schon  im  zweiten  Jahrtausend  ein  reger  geistiger  Austausch 
nachweisbar  ist  (s.  u.  S.  45ff.),  so  gewinnt  die  früher  nur  als 
Vermutung  mögliche  Meinung  eine  feste  Grundlage,  daß  die  allein 
der  Prüfung  standhaltenden  Übein Stimmungen  zwischen  griechisch- 
römischen und  indischen  Götternamen  Zeus ,  Juppiter  und  Dyäus 
.,der  leuchtende  (Himmel)'',  Dioskuroi  und  Divas  napätä  „die  Söhne 
des  leuchtenden  (Himmels)",  deus  und  devas  „der  leuchtende  (Gott)" 
nicht  aus  gemeinsamer  Religion  der  Indogermanen,  sondern  daraus 
zu  erklären  seien ,  daß  die  Inder  diese  Gottesnamen  direkt ,  die 
Griechen  und  die  von  ihnen  abhängigen  Römer  mittelbar  aus  dem 
assyrischen  Pantheon  entlehnten ,  in  dem  der  Himmel  als  Vater 
der  himmlischen  Zwillinge  und  die  leuchtenden  Sterne  als  Götter 
gelten.  Nachdem  bereits  früher  assyrische  und  andere  semitische 
Dioskuren  nachgewiesen  wsxen  {0.  Bd.  CXXXVII 5?),  ist  jetzt  der 
Kreis  geschlossen  und  für  diese  letzten  als  indogermanisch  geltenden 
Götter  nicht  bloß  die  Möglichkeit,  sondern  eine  hohe  Wahrscheinlich- 
keit gewonnen,  daß  sie  einem  nicht  indogermanischen  Volke  ent- 
lehnt sind. 

c)  Die  Herleitung  griechischer  Kulte  und  Mythen 
aus  vorderasiatischen. 
Während  die  indogermanische  Urreligion  von  einer  zwar  jetrt 
wieder  etwas  wachsenden ,  aber  immer  noch  kleinen  Zahl  von 
Forschern  angenommen  wird,  erfreut  sich  die  lange  fast  aufgegebene 
Ansicht,  daß  die  älteste  griechische  Kultur  mit  der  westasiatischen, 
auch  der  semitischen,  näher  zusammenhärge,  zahlreicherer  Anhänger. 
Allerdings  behauptet  Farn  eil,  Greece  and  Babylon,  a  Comparative 
Sketch  of  Mesopotamian,    Anatolian  and  Hellenic  Religion,   Edinb., 


42  Herleitung  griechischer  Kulte  aus  vorderasiatischen. 

1911,  S.  46  ff.,  daß  die  vorgriechische,  d.  h.  krotisch-mykenische 
Kultur  Griechenlands,  die  kleinasiatische  und  die  assyrische  zwar 
morphologisch  verwandt  seien ,  sich  aber  in  anderer  Beziehung, 
z.  B.  durch  das  Fehlen  selbsterniedrigender  Bußen  bei  den  Griechen 
unterschieden  (190  ff.).  Allein  ein  derartiger  Unterschied  würde, 
falls  er  bestände,  höchstens  für  die  Beurteilung  des  Volkschai'akters 
wichtig  sein,  für  die  Frage  nach  dem  Zusammenhange  zweier 
Religionen  ist  er  jedenfalls  bedeutungslos.  Übrigens  finden  sich 
auch  im  späteren  Griechenland,  wenngleich  nicht  in  so  entwürdigender 
Weise,  Reste  demütigender  Bußübungen,  und  es  läßt  sich  annehmen, 
daß  sie  im  vorgeschichtlichen  Griechenland  weit  öfter  geübt  wurden 
und  drückender  waren.  Daß  die  Übertragung  einer  Vorstellung 
von  Volk  zu  Volk  nur  dann  angenommen  werden  dürfe ,  wenn 
auch  zahlreiche  andere  Übereinstimmungen  zwischen  beiden  Völkern 
sich  finden ,  an  denen  kein  anderes  Volk  teilnimmt ,  ist  eine  zu 
weitgehende  Behauptung  Farnells  (37  ff.),  weil  ein  großer  Teil  der 
religiösen  Ideen  und  Gebräuche  allen  alten  Kulturvölkern  gemein- 
sam ist;  übrigens  finden  sich  innerhalb  des  ganzen  Kulturgebietes 
Teile,  in  denen  die  Griechen  den  kleinasiatischen  Völkern,  andere, 
in  denen  sie  den  Semiten,  wieder  andere,  in  denen  sie  den  Ägyptern 
näher  stehen,  so  daß  die  von  Farneil  verworfene  Ansicht  sogar 
vor  seinen  eigenen  übertriebenen  Forderungen  besteht.  Seine 
"Warnung  hat  daher  auch  nicht  viel  Eindruck  gemacht,  zumal  die 
Erschließung  der  vorgeschichtlichen  Kulturen  Südeuropas  einen, 
freilich  von  dem  früher  eingeschlagenen  abführenden  Weg  zeigt,  auf 
dem  man  zu  einer  Erklärung  für  die  Übereinstimmung  griechischer  und 
semitischer  Mythen  und  Kulte  gelangen  kann.  -^  Was  im  XVII.  Jh. 
so  beliebt  war,  die  Zusammenstellung  griechischer  Mj-then  und 
biblischer  Berichte,  wird  jetzt  nur  noch  von  einigen  Eigenbrödlern 
versucht.  Fourriere  leitet  auf  dem  Oxforder  Kongreß  (Transact. 
of  the  3.  Intern.  Congr.  Eist.  Rel.  II,  183)  den  Sonnendieust  von 
Kreta,  Lakonien  unJ  Arkadien  von  ausgewanderten  Daniten  her, 
die  ihren  Sonnenba'al  mit  dem  goldenen  Kalb  verschmolzen  und  die 
auch,  wie  Fourriere  in  Leiden  (Act.  IV  Congr.  hist.  rel.  126  f.)  be- 
weisen wollte ,  einen  Quell  der  Akropolis  nach  einem  heimischen 
'Ain  Ba'al,  d.  h.  „Quelle  des  Ba'al",  des  durch  Zeus  später  in  die 
Grotte  zurückgedrängten  Apollon ,  nannten;  Haury  verfaßt  eine 
Schrift  „Über  die  Herkunft  der  Kabiren  und  über  Flinwanderung 
aas  Palästina  und  Böotien'",  München  1908  und  eine  andere  „Das 
Eleusische  Fest  ursprünglich  identisch  mit  dem  Laubhüttenfest  der 
Juden",    München,    1914;    in    der    letzteren  Arbeit   deutet  er  u.  a. 


Annahme  phoinikischer  Bestandteile  in  der  griechischen  Religion.    43 

(S.  14)  lobakchos  als  Jahwe  Bokek,  „Jahwe  ist  der  sich  sehr 
Ausdehnende"  oder  „der  üppig  Si)rießeude".  Haury  folgert  übrigens 
aus  Apollon  Tltioog,  den  er  dem  Ptah,  und  aus  Orion,  den  er  dem 
Horos  gleichsetzt,  daß  auch  Ägypter  sich  in  Boiotien  nieder- 
ließen. An  ägyptischen  Einfluß  auf  Argolis  und  Eleusis  glaubt  wie 
in  früheren  Schriften  P.  Foucart,  Les  mysteres  d'Eleusis,  Par. 
1914,  S.  1  ff .  Aber  auch  diese  Vermutungen  haben  wenig  An- 
klang gefanden.  Dagegen  hat  Berards  Ansicht,  daß  sich  namhafte 
Reste  der  Phoiniker  in  der  vom  griechischen  Epos  geschilderten 
Zeit  auf  den  Mittelmeerinseln  erhalten  hatten,  noch  immer  nicht 
ganz  wenige  Vertreter.  Ph.  Campanet,  Pheniciens  et  Grecs 
d'apres  l'Odyssee,  Etüde  geographique  et  sociale,  par  une  methode 
nouvelle,  Paris  1906  (s.  dagegen  Terzaghi,  Atena  e  Roma,  1907, 
98  ff.;  vgl.  auch  A.  J.  Reinach,  Rev.  et.  gr.  XIX,  1906,  323  ff.; 
Brugnola  ebd.,  1908,  84 ff.),  hält  z.B. die  Phaiaken,  „die  Schwarzen", 
für  Semiten,  die  sich  auf  Scheria  (phoin.  die  „Schwarze")  oder  Ischia, 
d.  h.  Iscla,  I-schra  „schwarze  Insel"  bei  Kyme  (phoin.  „die  Hohe") 
niedergelassen  hatten.  Beifall  hat  er  u.  a.  bei  Hennings,  Neue 
.Jbb.  XXV,  1910,  296  ff.  gefunden.  —  M.  Kraus,  Class.Rev.,  1908,  17 
hält  Aphaia  (ins"')  für  die  phoinikische  Entsprechung  von  /.aXliaTr. 
Mit  ausführlicher  Begründung  hat  Aß  mann  (Zur  Vorgeschichte 
von  Kreta,  Philol. ,  1908,  161  ff.)  Phoiniker  oder,  wie  er  jetzt 
vorsichtiger  sagt  (164),  Semiten  als  Träger  der  mykenisch-kretischen 
Kultur  erweisen  wollen.  Er  stützt  sich  erstens  auf  die  Einrichtungen 
namentlich  des  Kultus,  die  er  teils  aus  altkretischen  Darstellungen 
(191),  teils  aber  aus  ihrem  Bestehen  im  geschichtlichen  Gi'iechen- 
land  erschließt ,  zweitens  auf  zahlreiche  m3^thische  Namen  der 
Griechen,  z.  B.  Kastalios  (kassat  eli  „Bogenschütze  meines  Gottes"), 
Akakallis  (Chakak  el,  „Gott  hat  festgestellt"),  Python  („Schlange"), 
Atjonnios  („der  Verborgene"),  Rheia  („die  Geliebte"),  die  er  aus 
dem  Phoinikischen  erklärt.  —  Eis  1er,  Philo!.  LXVIII,  1909, 
118  ff. ;  161  will  enge  Beziehungen  zwischen  der  kleinasiatischen 
Mischkultur  und  der  westsemitischen,  auch  der  arabischen  Kultur 
nachweisen.  —  Phoinikischen  Einfluß  auf  die  Demophonlegende  bei 
Hom.  vi.iv.  V  erkennt  Sourdille,  Rev.  et.  anc.  XIV,  1912, 
275  an.  Gegen  die  Unterschätzung  des  Einflusses  semitischer 
Kultur  auf  Griechenland,  wie  sie  in  Reaktion  gegen  die  lange  Über- 
spannung dieser  Erklärung  altgriechischer  Kunstformen  schon  bei 
Furtwängler,  dann  besonders  bei  Evans  und  auch  bei  M.  J.  Lagrange, 
La  Crete  ancienne,  Paris  1908,  herrscht,  wendet  sich  Fr.  Poulsen, 
Der    Orient    und    die    frühgriechische    Kunst,    Leipz.    1912.      Von 


44  Annahme  phoinikischer  Bestandteile  in  der  griechischen  Religion. 

relif^iüsou  Übereinstiniinungen  betont  er  die  Göttin ,  welche  die 
Brüste  hält,  die  Tauben-,  Schlangen-,  Löwen-  und  Blumeugöttin, 
und  schließt,  daß  schon  die  minoische  Kunst  durch  Phoiniker  be- 
einflußt war,  die  aber  selbst  durch  Chotiter  Anregung  erfahren  hatten. 
S.  dagegen  A.  Rein  ach,  Rev.  et.  anc.  XV,  1913,  206.  —  Daß 
trotz  des  Einspruches  berufener  Forscher  die  Vermutung  immer 
wieder  geäußert  wii-d,  an  dem  vorauszusetzenden  Einströmen  fremder 
Bestandteile  in  die  griechische  Religion  habe  Phönizien  einen  er- 
heblichen Anteil,  ist  bis  zu  einem  gewissen  Grad  natürlich.  Homer 
kennt  die  Phoiniker  im  Agäischen  Meer  als  Kaufleute,  die  griechische 
Sage  läßt  Phoiniker  früh  in  Griechenland  und  selbst  im  Westbecken 
des  Mittelmeers  Städte  gründen,  endlich  gibt  es  einige  griechische 
Namen,  deren  phoinikischer  Ursprung  sehr  wahrscheinlich  ist.  In 
Wahrheit  führt  keiner  dieser  Gründe  sicher  über  das  7.  Jh., 
d.  h.  über  eine  Zeit  hinaus ,  in  der  die  wichtigsten  griechischen 
Sagen  bereits  gebildet  waren.  Zwar  läßt  der  Name  Kadmos,  der 
in  Ostboiotieu  und  Kleinasieu  erscheint  und  daher  vermutlich  wie 
die  meisten  diesen  Landschaften  gemeinsamen  Namen  uralt  ist,  der 
auch  nicht,  wie  zuletzt  Ziel  in  ski,  Arch.  f.  Religionsw.  IX,  1906, 
57  vorschlägt,  zu  ■A.oai.iog  (nach  Brugmann,  Indogerm.  Forsch. 
1911,  '3bS&-  =*y.6QTioi^og)  zu  stellen  ist,  vielleicht  eine  phoini- 
kische  Etymologie  zu;  doch  wird  diese  in  neuerer  Zeit  bestritten, 
und  selbst  wenn  sie  richtig  ist,  könnte  eine  nachträgliche  An- 
gleichung  erfolgt  sein  oder  es  könnte  ein  der  vorgi-iechischen  Be- 
völkerung Griechenlands  und  Kleinasiens  angehöriger  Name  aus 
einer  anderen  semitischen  Sprache  entlehnt  sein.  Nun  hat  freilich, 
auch  abgesehen  vom  Namen,  die  Überlieferung,  die  Kadmos  zum 
Phoiniker  macht,  eine  gewisse  Bedeutung,  aber  die  Stammtafel, 
die  ihn  Sohn  des  Agenor  nannte,  braucht  nicht  älter  zu  sein,  als 
die  argivisch-rhodische  Kolonisation  am  Rande  des  östlichen  Mittel- 
meerbeckens :  hatten  deren  Begründer  ihi-en  Perseus  von  Belos 
abstammen  lassen,  so  folgte  daraus,  daß  auch  Agenor,  der  Ahn  der 
den  Argivern  feindlichen  Thebaner,  welche  die  Sage  von  Thebens 
Eroberung  zu  Verwandten  der  Perseiden  machte,  Phoiniker  wurde. 
Auch  diese  Sage  führt  also  nicht  über  das  7-  Jh.  hinaus.  In  die- 
selbe Zeit  fällt  die  zeitweihge  Ausgleichung  des  t\Tischen  Stadt- 
gottes mit  dem  Agonalgott  am  Isthmion  (R.  E.,  3.  Suppl.  98-3,  66) 
und  mit  dem  Herakles  und  Kronos  von  Olympia  (ebd.  1107,  50  ff.); 
nicht  älter  braucht  auch  der  gi-iechische  Adoniskult  zu  sein.  Unter 
diesen  Umständen  ist  die  Zurückhaltung,  welche  die  meisten  neueren 
Forscher  gegenüber  der  Annahme  sehr  alter  phoinikischer  Bestand- 


Hypothesen  über  „  Vorgriechisches"  in  der  griechischen  Religion.    45 

teile    in    der  griechischen  Religion  äußern,    so  lange  gerechtfertigt, 
als  nicht  wenigstens  einige  sicher  nachgewiesen  sind. 

d)  Die  Religion  der  vorhellenischen  Bewohner 
Griechenlands 
muß  als  Ausgangspunkt  griechischer  religiöser  Vorstellungen  um 
so  mehr  betrachtet  werden,  je  mehr  sich  die  Wahrscheinlichkeit 
mindert,  daß  die  Griechen  aus  der  proethnischen  Zeit  eine  Religion 
mitbrachten  oder  eine  solche  von  Phoinikern  empfingen.  Es  kommt 
hinzu,  daß  die  Kluft,  die  früher  zwischen  der  „ägäischen"  und  der 
griechischen  Kultur  Griechenlands  angenommen  wurde ,  sich  all- 
mählich ausfüllt.  Es  liegt  kein  Grund  vor,  die  aus  dem  Griechischen 
nicht  deutbaren  mythischen  Namen  anders  zu  beurteilen  als  die 
z.  T.  mit  ihnen  übereinstimmenden,  eng  verbundenen  oder  von 
ihnen  abhängigen  Ortsnamen ,  die ,  wenn  sie  nicht  griechisch  sind, 
allgemein  —  natürlich  unter  Zugeständnis  einzelner  Ausnahmen  — 
der  ägäischen  Kultur  zugeschrieben  werden.  Wahrscheinlich  wurde 
vorgriechische  Sprache  im  geschichtlichen  Griechenland  weit  länger 
gesprochen ,  als  noch  vor  kurzem  angenommen  wurde.  Es  ist 
bedenklich,  den  Diskos  von  Phaistos ,  der  wahrscheinlich,  und 
mit  Pettazzoni.  Rendiconti  RAL  Vxvii,  4908,  652  die  In- 
schi'ift  von  Lemnos ,  die  sicher  ungriechisch  ist,  als  Weihungen 
von  Fremden  zu  beti'achten  (s.  dagegen  K.  Fr.  W.  Schmidt, 
ßerl.  Phil.  Wochenschr.  XXXI,  1911,  1265).  Homers  Eteokretes 
(Od.  r  176)  werden  jetzt  fast  allgemein  als  „Vorgriechen"  ge- 
deutet. Daß  die  in  Mykenai  und  auf  Kreta  zutage  getretene 
Kultur  nicht  griechisch  ist,  wird  jetzt  nur  noch  von  wenigen  wie 
T.  W.  Allen,  Class.  Rev.  XXV,  1911,  233  ff.  bezweifelt: 
0.  Schrader,  Festschr.  der  Schles.  Ges.  f.  Volksk.  (Mitteilungen 
XIII/XIV,  1911),  465,  der  dies  aus  m.  E.  nicht  überzeugenden, 
dem  homerischen  Sprachgebrauch  entlehnten  Gründen  tut,  gibt 
wenigstens  zu  (476),  daß  die  griechische  Bevölkerung  der  myke- 
uischen  Zeit  unter  die  Herrschaft  von  kleinasiatischen  Fürsten- 
geschlechtern gekommen  war.  Man  hat  sogar  Darstellungen  von 
Griechen ,  die  aber  von  der  eigenthchen  minoischen  Bevölkerung 
deutlich,  z.  B.  durch  Schnurrbarte  unterschieden  sind,  finden  wollen 
(Dussaud,  Les  civihs.  prehellen.  dans  le  bassin  de  la  mer  Egee, 
Par.  1910,  289).  Im  Kult  scheinen  Reste  der  älteren  Sprache  sehr 
lange  in  Gebrauch  gewesen  zu  sein,  wie  v.  Wilamowitz,  IL  und 
Homer  450  ff.  aus  den  Gesängen  der  Deliades  (Hom.  \(xv.  1  158), 
der  Geschichte    von   dem  Karer  Mys  am  Ptoon  (Herod.  VIII  135) 


4(5     Annahme  von  Resten  vorgriechischer  Kulte  in  den  griechischen. 

usw.  folgert ,  die  in  der  Tat  ähulich  wie  die  milesische  liturgische 
Formel  bei  Klem.  arg.  X  8,  48,  4,  die  ^Ecptoia  ygäf-iiiaza  und  die 
:ra?Mic(  öidleyiiog  in  den  samotbrakischen  Mysterien  (Diod.  V  47) 
aufgefaßt  werden  zu  müssen  scheint.  In  alten  M3'sterien  scheinen 
überhaupt  Reste  der  unterjochten  Bevölkerung  erhalten  zu  sein ; 
so  erklärt  es  sich,  daß  manche  Mysterien,  z.  B.  die  eleusinischen^ 
die  sonst  sich  streng  absonderten,  nach  der  politischen  Zugehörig 
keit  der  Aufzunehmenden  nicht  fragten,  sondern  auch  Sklaven  weihen 
ließen ,  wenn  sonst  die  Bedingungen  erfüllt  waren.  Der  Name 
i^laoog  selbst  hat  bisher  (Boisacq,  Dict.  etym.  ^54 5)  eine  be- 
friedigende Ableitung  nicht  gefunden  und  ist  wahrscheinlich  vor- 
griechisch. An  manchen  Festen  feierten  die  Sklaven  und  wurden 
bisweilen  von  den  HeiTen  bedient  (vgl.  Malten,  Herrn.  LIII,  1918, 
151  ff.);  W.  R.  Halliday,  Ann.  Br.  Seh.  Ath.  XVI,  1909/10, 
216  ff.  faßt  sie  als  rites  de  passages  und  meint,  daß  der  Beginn 
einer  neuen  Zeit  angenommen  worden  sei ,  der  durch  eine  Um- 
kehrung der  natürlichen  Verhältnisse  gefeiert  werden  müsse.  Auch 
andere,  humanere  Gründe  könnten  die  Sitte,  die  ja  auch  an  ein- 
zelnen Stellen  des  Orients  (Athen.  XIV  44,  639'»)  bezeugt  ist,  be- 
gründet oder  wenigstens  befestigt  haben ;  aber  da  es  gerade  Kronos, 
der  aus  andern  Gründen  als  vorgriechisch  zu  erschließende  Gott 
von  Olympia,  ist,  dem  solche  Feste  gelten,  scheint  die  Sitte  aus 
der  Tendenz  entstanden,  den  verknechteten  Urbewohnern  wenigstens 
die  Feier  ihrer  alten  Feste  zu  gestatten.  Wie  bei  den  Mysterien 
zeigt  sich  hier,  daß  die  Hellenen  nachträglich  an  den  feierlichen 
Begehungen  ihrer  Sklaven  teilgenommen  haben ,  daß  also  die  von 
ihnen  vorgefundene  höhere  Kultur  nicht  bloß  bei  der  Einwanderung 
z.  T.  übernommen  wurde,  sondern  auch  später  noch  auf  sie  ein- 
w^irkte.  Die  Griechen  haben  diese  unter  ihnen  z.  T.  noch  fort- 
lebende Urbevölkerung  Pelasger  genannt,  die  Bezeichnung  dann 
freilich  auf  andere  Völker  übertragen ,  daran  weitere  Vermutungen 
geknüpft,  die  trotz  E.  Fischer,  Zs.  f.  Ethnologie  XL  VI  49  ff. 
(bes.  57)  z.  T.  irrig  sind,  und  so  den  Namen  in  Mißkredit  gebracht. 
Er  ist  eigentlich  auch  jetzt  noch  der  geeignetste-,  wer  ihn  auf  die 
Träger  der  mykenischen  oder  kretischen  oder,  wie  man  sie  jetzt 
zusammenfassend  nennt,  der  ägäischen  Kultur  anwendet,  muß  sich 
aber  bewußt  sein,  daß  er  damit  eine  —  wenn  auch  wahrscheinliche  — 
Voraussetzung  macht. 

Die  Erkenntnis ,  daß  die  Urbevölkerung  einen  starken  Einfluß 
auf  die  Kulte  der  einwandernden  Hellenen  ausübte,  macht  zwar 
viele  künstliche  Ableitungen  griechischer  Götter-  und  Heroennamen 


J 


Annahme  von  Resten  vorgriech.  Religion  in  der  griechischen.      47 

von  griechischen  Wörtern  überfüssig  und  schafft  freie  Bahn  für 
deren  Verständnis,  bringt  dies  aber  nicht  selbst,  da  die  prähelle- 
nische Religion  bisher  sehr  wenig  bekannt  ist.  Die  Versuche  einer 
zusammenfassenden  Darstellung  und  die  meisten  Vermutungen  über 
einzelne  Punkte,  z.  B.  die  von  Evans  auf  dem  Oxforder  Kongreß 
geäußerten  (Trausact.  3.  Intern.  Congr.  Hist.  Relig.  II  195  if.),  gehen 
von  den  erhaltenen  Denkmälern ,  z.  B.  dem  Sarkophag  von  Hagia 
Triada  (Paribeni,  Mon.  ant.  RAL  1908,  1  ff . ;  vgl.  Pestalozza, 
Rendic.  Reale  Inst.  Lomb.  IIxlit,  1909,  744)  und  dem  eben  dort 
gefundeneu  Vasenbruchstück  aus ,  auf  dem  Dechelette,  Com])t. 
rend.  AIBL  1912,  91  ff.  einen  Opferzug  erkennen  wollte,  der  aber 
nach  P.  Girard,  ebd.  97  f. ,  überhaupt  keine  religiöse  Handlung 
darstellt;  wie  diese  sind  jedoch  solche  bildliche  Darstellungen  meist 
mehrdeutig,  sie  erhellen  das  Dunkel  der  griechischen  Vorstellungen 
nicht,  sondern  müssen  von  diesen  beleuchtet  werden.  Wären  genügend 
viele  Wörter  aus  der  Sprache  der  vorgriechischen  Bevölkerung  bekannt 
und  die  aus  ihr  entnommenen  Namen  des  griechischen  Mythos 
deutbar,  so  wären  die  Aussichten,  aus  der  Religion  der  Urbewohner 
Aufschlüsse  über  die  griechische  zu  erhalten,  günstiger.  Aber  davon 
sind  wir  noch  weit  entfernt,  da  die  vorgriechische  Sprache  nicht 
bekannt  ist.  Zwar  kennen  wir  eine  ziemlich  große  Zahl  altgriechi- 
scher Wörter,  die  nicht  indogermanisch  und  nicht  semitisch,  also 
wenigstens  z.  T.  wahrscheinlich  aus  der  Sprache  älterer  Bewohner 
entlehnt  sind.  Es  sind  auch  mehrere  Glossare  dieser  Wörter  auf- 
gestellt, Densusian,  dessen  Dacia  preistorica, Bukarest  1913, 1070ff. 
ich  jedoch  nur  aus  Fischer,  Anthrop.  IX,  1914,  776  kenne,  scheint 
die  minoischen  Kreter  (779)  für  Indogermanen  zu  halten;  wenigstens 
verzeichnet  Fischer,  wahrscheinlich  im  Anschluß  an  Densusian, 
nebeneinander  kretische,  thrakische,  pannonische,  etruskische,  phry- 
gische,  libysche  und  skythische  Wörter.  In  Wahrheit  herrscht  über 
das  Volkstum  der  vorgriechischen  Bevölkerung  weder  Sicherheit 
noch  Übereinstimmung  der  Meinungen;  vgl.  die  ausführlichen  Dar- 
legungen von  V.  Luschan,  Zs.  f.  Ethnologie  XLV,  1918,  307  ff. 
Der  aus  der  Form  mancher  Ornamente  gefolgerte  Zusammenhang 
der  mittel  europäischen  (R.  v.  Lichtenberg,  Mitt.  der 
Vorderasiat.  Ges.  X  2,  1906,  XVI  2,  1911,  der  die  Ägäer  für  Indo- 
germanen hält;  S.  Reinach,  Cultes  mythes ,  relig.  III  439,  der 
annimmt,  daß  im  16.  Jahi'h.  v.  Chr.  infolge  einer  Volks-  und  Kultur- 
wanderung Elemente  aus  dem  nordwestlichen  Europa  mit  solchen, 
die  aus  Assyrien  und  Babylon  stammten,  zusammengestoßen  seien) 
oder  wenigstens  der  altserbischen  Kultur  mit  der  „ägäischen",  zum 


4g  Vermutungen  über  vorgriechische  Kulte. 

mindesten  der  alttbessalischen  wird  von  T.  E.  P  e  e  t ,  A.  J.  B.  Wace, 
M.  S.  Thompson,    Class.    Rev.  XXII,  1908,  233  ff.    bestritten; 
doch   folgert    auch    K.  Peuka,    „Die    vorgi-iechische    Bevölkerung 
Griechenlands"    (Beitr.  zur  Rassenk.  IX)  1911  aus  geographischen 
Namen  und  aus  archäologischen  Funden,  daß  die  „Ägäer"  ThraJicr 
waren ,    die    sich    bis    nach    Philistaia ,    Lykien ,    Kreta    und    Süd- 
italien ausdehnten.    Die  Angaben  der  Griechen  über  thrakische  Ele- 
mente   in    boiotischen    Kulten,    in    Delphoi   und   in   Eleusis    glaubt 
Calderon  in  einem  Vortrag  auf  dem  Leidener  Kongreß  (Actes  IV 
Congr.  intern,  bist.  rel.   127  ff.)  durch  den  Nachweis  ähnhcher  Ge- 
bräuche von  Slaven  stützen   zu  können,    denen,    wie  er  meint,    die 
Thraker  nächst  verwandt  waren.    Die  Mehrzahl  der  neueren  Forscher 
entscheidet  sich  für  den  nichtindogermanischen  Ursprung  der  ältesten 
Bevölkerung    Griechenlands.      Als    ursemitisch    will    sie    z.    B. 
K.  Schmidt,    Zs.  f.  Missionsk.  XXVI,  1911,  9  ff.,    97  ff.,  129  ff., 
als    afrikanisch    J.   Gase,    Class.   Rev.    XXII,    1908,    78  f.    er- 
weisen.    Lagrange,    La    Crete    ancienne ,    Paris    1908    hebt   die 
Übereinstimmung  der  altkretischen  Kultur  mit  der  el amitischen 
hervor,  die  sich  z.  B.  in  der  Verwendung  der  gleichen  Sinnbilder,  des 
Kj-euzes,  der  Doppelaxt,  des  Öwastikazeichens,  der  drei  an  der  Kult- 
stätte verbundenen  Baumstümpfe,  in  der  religiösen  Bedeutung  des 
Stieres,  sowie  (98)  in  dem  Typus  der  nackten,  nicht  wie  bei  den  Semiten 
die  Brüste    pressenden ,    sondern   die  Arme  rechtwinklig  unterhalb 
der  Brüste  biegenden  Göttin  zeige.     S.  dagegen  A.  J.  Rein  ach, 
Rev,    et.    d'ethn.    et   de  soc.    I,   1908,  298  f.     Diese   Vermutungen 
beruhen  auf  der  Voraussetzung,  daß  sich  die  ethnische  Zugehörig- 
keit  mit    der   Kulturgemeinschaft    decken   müsse :    aber   diese  An- 
nahme   ist  unbeweisbar  und  in  diesem  Fall  schon  deshalb  wertlos, 
weil  sie  mit  gleichem  Recht  entgegengesetzte  Folgerungen  gestattet. 
Besser  steht  es  mit  der  Vermutung,  daß  die  Träger  der  minoischen 
Kultur  der  ältesten  Bevölkerung  AT/ c/««  5«  ew.<J  verwandt  gewesen 
seien,  die  man  jetzt  meist  einer  besonderen  Völkerfamilie,  der  „kauka- 
sischen",   wie  V.  Luschan    sie    nennt,    zuweist;    für    sie    spricht 
nicht  nur  die  besonders  nahe  Verwandtschaft  der  Kunst,  wenigstens 
des  südlichen  Kleinasiens,  und  der  Religion  (vgl.  E.  Meyer,  Reich 
und  Kultur  d.  Chet.  3),  sondern  auch,  was  auf  sprachliche  Zusammen- 
gehörigkeit   schließen    läßt,    die    zuletzt   von   Fick,    Vorgriechische 
Ortsnamen,  Gott.  1905  hervorgehobene,  weitgehende  Übereinstimmung 
in    der    Bildung    der    Ortsnamen.     So    kommen    denn    die    meisten 
heutigen  Forscher  darin  überein,  daß  die  vorhellenischen  Bewohner 
der   ßalkanhalbinsel   und    Kleinasiens ,    wenn    auch    vielleicht    früh 


Vermutungen  über  vorgriechische  Kulte.  49 

dififerenziert  (Aly,  Philol.  LXXI,  1911,  474A.),  so  doch  urver- 
wandt waren.  Aber  die  Bevölkerung  dieses  war  walirscheinlich  schon 
im  zweiten  Jahrtausend  nicht  einheitlich,  und  welcher  der  Nationen, 
die  vor  oder  nebeneinander  in  der  Levante  herrschten ,  das  A'olk 
angehörte  oder  verwandt  war,  das  die  „ägäische"  Kultur  geschaffen 
hat,  ist  wieder  strittig.  Da  die  Blüte  der  chetitischen  Kultur  etwas 
später  fällt,  als-  die  der  kinetischen,  folgert  Leo n ha r dt,  Chetiter 
und  Amazonen,  Berl.  1911 ,  daß  diese  einem  älteren  kleiuasiatischen 
Volk  angehöre ,  obwohl  er  aus  den  in  Wahrheit  geschichtlich  und 
ethnographisch  wertlosen  Übei'lieferungen  über  Amazonen  in  Griechen- 
land schließt,  daß  auch  die  Chetiter,  die  Träger  der  Amazonen- 
sage ,  wie  er  meint ,  über  das  Agäische  Meer  vorgedrungen  seien. 
Aber  gerade  mit  den  Chetitern  berühren  sich  die  Träger  der  mi- 
noischen  Kultur;  auch  bei  jenen  hat  das  gewöhnlich  als  Doppelaxt 
auftretende  Beil,  das  Leonhardt  selbst  geradezu  als  Nationalwaffe 
der  Chetiter  erkläi-t,  religiöse  Bedeutung  (Ed.  Meyer,  Reich  und 
Kultur  der  Chetiter,  Berl.  1914,  S,  92).  Zwar  findet  es  sich  auch 
bei  den  Mitani  und  in  Babylon  (Ed.  Meyer  a.  a.  0.  G7,  Abb.  56 
und  57) ,  und  es  ist  daher  von  ihm  ebensowenig  wie  von  dem  auf 
dem  Tier  stehenden  Gott  (Ed.  Meyer  a.  a.  0.  159)  auszumachen, 
ob  es  ursprünglich  den  Chetitern  oder  den  Babylonieru  augehört-, 
aber  schwerlich  dürfen  Völker ,  die  ein  so  bezeichnendes  Gerät 
gemeinsam  als  religiöses  Symbol  besitzen,  in  einen  derartigen  Gegen- 
satz gebracht  werden,  wie  es  Leonhardt  tut.  —  Als  weitere 
Übereinstimmungen  der  altkretischen  und  der  chetitischen  Kultur 
werden  bezeichnet  (Prinz,  Ath.  Mitt.  XXXV,  1910,  149  ff.; 
Fr.  Poulsen,  Der  Orient  und  die  frühgriechische  Kunst,  Leipz.- 
Berl.  1912,  74),  die  Göttin,  die  ihre  Brüste  faßt,  und  die  Göttinnen 
mit  Taube,  Schlange,  Löwen.  Deshalb  ist  es  begreiflich,  daß 
J.  Harrison,  die  darüber  ein  besonderes  Buch  ankündigt,  Fick 
und  jetzt  besonders  Ed.  Meyer  (a.  a.  0.  an  vielen  Stellen;  vgl. 
Gesch.  d.  Altert.  I^  2  S.  623  ff.  u.  ö.)  die  vorhellenische  Bevölkerung 
Griechenlands  für  chetitisch  oder  wenigstens  für  den  Chetitern  ver- 
wandt halten.  Es  fragt  sich,  ob  nicht  die  Chetiter,  wofür  gewisse 
in  den  Ortsnamen  sich  zeigende  Spracherscheinungen  und  auch 
einige  allen  Kleinasiaten  und  auch  den  Chetitern  gemeinsame  Götter- 
namen wie  Tarku  oder  Troko  (Ed.  Meyer,  Gesch.  d.  Alt.  1^  2,  95; 
Reich  und  Kult,  der  Chetiter  96 ;  134)  zu  sprechen  scheinen,  der 
älteste  mit  den  Mitteln  der  Geschichte  erreichbare  Volksstamm 
Kleinasiens  und  der  Balkanhaibinsel  waren.  —  Zweifelhaft  ist,  ob 
an  der  minoischen  Kultur  auch  Phryger  teilnahmen.    Allerdings  hat 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bil.  18(i  (Supplementband).  4 


50  Vermutlangen  über  vorgriechische  Kultß. 

lue    phry^ische    Göttermutter    an    griechischen    Erdgöttinneu    eine 
Entsprechung,    aber    ebenso    wie  die  Griechen  können  die  Phiyger 
sie    von  älteren  Bewohnern  übernommen  haben.     Eine  sicher  thra 
kisch  -  phrvgische    Form    der   Erdgöttiu    ist ,    wie    der   Name    zeigt, 
Semele ,    auch  ihr  Sohn  Dionysos  gehört  wahrscheinlich  demselben 
Volk  an ;  allein  vielleicht  haben  die  Griechen  beide  Gottheiten  nicht; 
aus  der  ägäischen  Kultur  übernommen,  sondern  später  im  geistigen 
Austausch  von  Land  zu  Land  kennengelernt.     Bedeutsam  ist,    daß 
die  ältesten  Hellenen  und  wahrscheinlich  schon  ihre  Vorgänger  den 
neben    der  Erdgöttiu    als    deren  Gatte    stehenden  Himmelsgott   nur 
als    Vater   kannten ,    der    er    nach    Ausweis    der   Namen   Attis  und 
Papas  wahrscheinlich  anfangs  auch  in  Kleinasien  gewesen  war,  nicht 
als  jugendlichen    Geliebten    der    Göttin;    aber    so    wenig   wie    eine 
andere  religionsgeschichtlich  zu  erschließende  Tatsache  kann  bisher 
diese    mit    einem  Ergebnis    der   kleinasiatischen  Ethnographie    oder 
Linguistik  erkenntnisfördernd  verbunden  werden.    Der  Name  Bere- 
kynth,  der  in  dem  des  kretischen  Berges  Berekynthos  (Diod.  V  64) 
wiederkehrt,    und  der  vielfach  (z.  B.  von  Ed.  Meyer,    Gesch.  d. 
Altert.  I^ii  S.  648  A.)  auf  Grund  von  Hesych.   Bgexw  zu  dem  der 
Phryger  oder  Br3'ger  gestellt  wird,  hat  vielleicht  mit  diesem  sprach- 
lich   nichts    zu    tun,    kann    wenigstens    auf   diese    oder  einen  ihrer 
Stämme  übertragen  sein,  weil  sie  in  einer  nach  der  Göttin  Berekyntia 
genannten  Landschaft  wohnten.    Die  Endung  spricht  für  nichtphry- 
gischen  Ursprung  des  Namens,    Ed.  Meyer  selbst  bestreitet  Sitz- 
ber.  BAW  1908,  18,  daß  das  erst  im  Anfang  des  12.  Jhs.,  wie  er 
meint,    eingewanderte    Volk   der   Phryger   bei   der   Entstehung   der 
ältesten    Kultur    Kretas    beteiligt    gewesen   sei.  —  Wohl   weil   die 
Gründe    ihm    etwa  gleich  stark  ei'schienen,    die  für  ein  indogerma- 
nisches, aus  Norden  zugewandertes,  und  die,  welche  für  ein  nicht 
indogermanisches,  kleinasiatisches  Volk  als  älteste  Bevölkerung  der 
Balkanhalbinsel    sprechen,    kam  A.  Fick,    Hattiden    und  Danubier 
in  Griechenland,  Weitere  Forschungen  zu  den  vorgriechischen  Orts- 
namen,   Göttingen  1909,  auf  den  Gedanken,    daß  vor  den  Griechen 
zwei    verschiedene    Völkerschichten    zu    unterscheiden    seien ,    die 
Hattiden,    Verwandte    der    nicht    indogermanischen    Chetiter,    das 
Volk,    das    die  Griechen  Pelasger   oder  (46)  P'elagoner  nannte  und 
die  Fick  nach  B  0  c  k ,  Orient.  L.Z.  XV,  1912,  263  besser  „Kaukasier" 
{o.  S.  48)  genannt  hätte,  und  die  Danubier,  eine  zur  yatem-Gruppe 
der  Indogermanen    gehörige  Völkerfamilie ,    die   im  Nordwesten  der 
Balkanhalbinsel  sich  als  Illyrier,  im  Nordosten  als  Thraker  gehalten 
hat.     S.  39  ff.  wird  versucht ,    an    den  Mythen ,    Sagen  und  Kulten 


4 


Vermutungen  über  vorgriechisclie  Kulte.  51 

der  vorgriechischen  Bevölkerung  diese  Sonderung  durchzuführen, 
die ,  indem  sie  zwischen  die  Chetiter  und  die  Hellenen  die  Ein- 
wanderung eines  nördlichen  Stammes  setzt,  die  stärksten  Beweise 
für  das  Fortleben  einer  den  Kleinasiaten  verwandten  Urbevölkerung 
im  geschichtlichen  Griechenland  beseitigt. 

Wegen  ihrer  unmittelbaren  Bedeutung  für  die  griechische  Sagen- 
kunde müssen  in  diesem  Zusammenhang  einige  Untersuchungen  er- 
wähnt werden,  die,  z.  T.  allerdings  nur  nebenbei,  das  Verhältnis  der 
iigäischen  Kultur  zu  den  Philistern  und  zu  den  Etruskern  behandeln. 
Die  zahlreichen,  aus  dem  späteren  Altertum  stammenden  Angaben 
über  die  kretische  Herkunft  des  Marnaskultus  von  Gaza  und  andere 
Überlieferungen  über  kretische  Zuwanderungen  in  Philistaia 
würden  ebenso  wie  andere  derartige  Wanderungssagen  verworfen 
werden  müssen,  wenn  sie  nicht  durch  ägyptische  und  hebräische 
Zeugnisse,  durch  einzelne  Übereinstimmungen  der  archäologischen 
Funde,  endlich  durch  die  Kulte  selbst  und  durch  die  sich  an  sie 
knüpfende  Überlieferung  bestätigt  zu  werden  schienen.  Freilich 
sind  von  den  letzteren  gerade  die  am  meisten  in  die  Augen  fallenden 
und  hauptsächlich  geltend  gemachten  nachträglich  mit  Benutzung 
zufälliger  Namensanklänge  geschaffen  worden,  Gaza  heißt  Minoa 
nicht  nach  Minos,  sondern  führt  einen  einheimischen  Namen  Manoah, 
aus  welchem  die  jüdische  Legende,  als  sie  den  wahrscheinlich  in 
Gaza  verehrten  Gott  oder  Heros  Simson  zu  einem  Hebräerhelden 
machte ,  den  Namen  von  dessen  Vater  (unter  Gleichsetzung  mit 
den  Eponymen  der  Manahiter?  S.  Ed.  Meyer,  Isr.  u.  seine 
Nachbarstämme  340 ,  528)  schöpfte.  Solche  Erweiterungen  der 
Überlieferung  sind  ganz  natürlich  und  drücken  deren  Glaubwürdig- 
keit nicht  herab,  wenn  sie  anderweitig  so  bestätigt  wird  wie  hier; 
vgl.  Lagrange,  Eh.  Mus.  LV,  1910,  20uff.;  Ed.  Meyer, 
Sitzungsb.  BAW,  1909,  1024.  —  Hill,  Journ.  Hell.  Stud.  XXXI, 
1911,  63  f.  (T.  IV  32,  34)  weist  auf  Münzen  von  Ake  Ptolemais 
hin ,  auf  denen  zwischen  Stieren  oder  Bukranien  ein  Gott  mit 
Doppelaxt  (?)  und  Harpe  in  den  Händen  erscheine,  und  in  den  Proc. 
Brit.  Acad.,  1911/12,  426  erinnert  er  daran,  daß  Marnas  sich  zu 
ki'etisch  marna,  Mädchen,  verhalten  könne  wie  -AOiQog  zu  -/.cga. 
Sind  diese  und  andere,  z.  T.  schon  früher  geltend  gemachten  Ent- 
sprechungen nicht  trügerisch ,  so  muß  wohl  die  kietische  Ur- 
bevölkerung, die  Kefti,  wie  sie  auf  den  ägyptischen  Denkmälern  zu 
heißen  scheint,  und  die  ihnen  wohl  trotz  Wiedemann,  Wochenschr. 
f.  klass.  Phü.,  1910,  118  gleichzusetzenden  Kaftor  der  Hebräer,  durch 
die  dorische  Wanderung  nach  Philistaia  gedrängt  sein,  wie  Furt- 


52  Vermutungen  über  vorgriechieche  Kulte. 

wüngler,  Ant.  Gemmen  III  23  ff.,  66  n.  ö. ;  Stäheliu,  Berl. 
PhU.  Wochenschr.  XXIX,  1909,  597-,  Betbe,  Rh.  M.  LV,  1910, 
200  ff.  annehmen.  Diese  Vermutung  wird  von  Wain  wrigt ,  Auu. 
of  Arcbaeol.  and  Anthropol.,  Univ.  of  Liverpool  VI,  1914,  24  mit 
der  von  dem  Ideinasiatischen  Ursjjrung  der  „ägäiscben"  Kultur 
durch  die  weitere  Annahme  verbunden,  daß  die  Kreter  (Kreti)  zu 
dem  Seebund  der  Peleti  (ägj-pt.  Pulosatu ,  Philister)  gehörten ,  die 
ihren  Hauptsitz  in  Kaftor,  d.  h.  wahrscheinlich  in  Kleinasien  hatten 
und  von  hier  aus  sich  nach  der  palästinischen  Küste  verbreiteten. 
Älmlich  lu'teilt  P.  Stähelin  in  einem  1917  zu  Basel  in  der 
Historischen  und  antiquarischen  Gesellschaft  gehaltenen  Vortrag 
(Die  Philister,  Basel  1918),  in  dem  er  annimmt,  daß  die  nicht 
semitischen,  wahrscheinlich  kleinasiatischen  Philister  die  altminoische 
Kultur  in  Kreta,  wo  ihr  ältestes  Denkmal  der  Diskos  von  Phaistos 
sein  soll,  zerstörten  und  in  Philistaia,  wo  sie  semitische  Kultur 
annahmen,  einen  Fünfstädtebund  gründeten.  Durch  die  Annahme 
dieser  Doppelwanderuug  würde  sich  auch  erklären,  daß  dem  kretischen 
Minos  und  dem  sich  in  Griechenland  und  auf  den  Inseln  mehrfach 
findenden  Minoa  in  Pisidien  nach  Fick,  Vorgriech,  Ortsnamen  27 
Minassos  entspricht  und  daß  Gaza  Minoa  heißt.  Alles  dies  paßt 
schön  zueinander,  und  die  ganze  Kombination  würde  als  wahr- 
scheinlich gelten  können,  wenn  sich  ein  Weg  aufzeigen  ließe,  auf 
dem  sich  Erinnerungen  an  eine  so  fernliegende  Vergangenheit  bis 
in  die  Kaiserzeit  fortpflanzen  konnte.  —  Wie  mit  den  Philistern 
bringt  die  gi'iechische  Sage  auch  Sizilien  und  Vnteritalien  mit 
Minos  oder  anderen  altkretischen  Helden  in  Beziehung  (vgl.  Pais, 
Stör.  crit.  di  Roma  I  o06  ff.,  der  an  eine  Übertragung  in  minoischer 
Zeit  nicht  glaubt);  und  da  die  minoische  Kultur  der  kleinasiatischen 
nahe  steht,  könnten  als  Beweis  für  „ägäische"  Ansiedlungen  in 
Italien  auch  die  Sagen  gelten,  welche  die  Etrusker,  die  Turs-ci 
den  lydischen  Tyrsenern  gleichsetzten  und  kleinasiatische  Helden 
nach  Italiens  Westküste  gelangen  ließen.  Einen  geschichtlichen 
Kern  finden  in  den  von  Herodot  erzählten  Minossagen  u.  a.  0  r  s  i , 
Ausonia  I,  1907,  12;  Bethe,  Rh.  M.  LV,  1910,  200  ff.  (s.  dagegen 
Pareti,  Stud.  sie.  ed  ital.,  Contrib.  alla  sc.  dell' ant.  I,  1914,  267); 
Byvanck,  De  Magnae  Graec.  bist,  antiquissima,  Diss.  Leiden, 
1912;  über  die  große  Anzahl  von  Arbeiten,  die  in  den  Etruskern 
eine  der  vorgriechischen  Bevölkerung  der  Balkanhalbinsel,  auch  den 
Chetitem  verwandte  Nation  sehen,  berichtet  A.  Kannengießer, 
Kilo  VIII,  1908,  252,  der  selbst  diese  Ansicht  teilt.  Vgl.  dessen 
Schrift:  Ist  das  Etruskische  eine  hetitische  Sprache?    Progr.  Gelsen- 


Vermutungen  über  vorgriechische  Kulte.  53 

kircheu,  1908,  deren  Ergebnis  A.  J.  Rein  ach,  Rev.  d'ethnogr. 
et  de  soc.  III,  1912,  78  f.  billigt,  während  Bugge,  Die  etruskiache 
Sprache,  1909,  und  seine  noch  immer  nicht  unbedeutende  Gefolg- 
schaft die  Etrusker  für  Armenier,  andere  Forscher  wie  H.  Cushing 
Tolman,  Proc.  Am.  Phil.  Ass.  XL,  1909,  S.  LXXXVIII  f.,  der 
itlaoi.  ^eoi  Inb  TvQQi^nZv  (Hesych.)  zu  alaa  stellt,  und  F.  Müller, 
Mnemos.  XLVJ,  1918,  152,  der  aisar  mit  'tSQug  verbindet,  wenigstens 
für  Indogermanen  halten.  Dagegen  stehen  Modestov,  Introduction 
■A  l'hist.  romaine,  traduite  du  russe  par  Delines,  Paris  1907,  341  ff. 
und  Ducati,  Atene  e  Roma,  1907,  243  den  Überlieferungen  über 
die  lydische  Heimat  der  Etrusker  gläubig  gegenüber;  und  diese 
Angaben  werden,  wie  noch  immer  vielfach,  z.  B.  von  Poulsen, 
Der  Orient  und  die  frühgriechische  Kunst  116,  angenommen  wird, 
bestätigt  durch  eine  lemnische  Inschrift  in  unbekannter  Sprache, 
die  im  Lautsystem  und  z.  T.  auch  in  der  Wortbildung  eine  ge- 
wisse Ähnlichkeit  mit  dem  Etruskischen  hat;  doch  hält  Fredrich, 
Ath.  Mitt.  XXXI,  1906,  84  die  lemnischen  Tyrsenoi  für  thrakische 
Sintier  oder  Saier,  die  zu  Seeräubern  geworden  und  deshalb  „Turm- 
männer" genannt  seien,  und  in  IG  XII  8,  S.  2  gibt  er  zwar  ihren 
kleinasiatischen  Ursprung  zu ,  hält  sie  aber  für  Phryger ,  die  vor 
den  Kimmeriern  flohen.  Auch  die  archäologischen  Funde  soUen, 
wie  vielfach  angenommen  wird ,  für  einen  Zusammenhang  der 
kretisch-kleinasiatischen  und  der  italischen  Kultur  sprechen.  Wenn 
V.  Macchioro,  Ausonia,  1912,  1  ff.  aus  den  von  ihm  ver- 
öffentlichten Denkmälern,  namentlich  des  Museums  von  Pavia,  mit 
Recht  folgert,  daß  in  der  altumbrischen  Kultur  das  Bild  der 
ägyptischen  alles  befruchtenden  Göttin  bekannt  war  und  von  dort 
in  die  etruskische  Kunst  gelangte,  müssen  wohl  vorgriechische  Be- 
wohner Griechenlands  die  Vermittler  gewesen  sein.  Altkretische 
oder  altmykenische  Einflüsse  in  Unteritalien  und  Sizilien  werden 
von  vielen  Forschern  angenommen,  z.  B.  von  A.  Reinach,  Neapolis, 
1914,  244;  Bethe  a.  a.  0.;  Cook  in  einem  Vortrag  auf  dem 
Oxforder  Kongreß  (Transact.  Intern.  Congr.  Eist.  Rel.  I  188)  und 
besonders  von  M.  Mayer  an  mehreren  Stellen  seines  gi'oßen 
Werkes  über  Unteritalien.  —  Von  den  Denkmälern  der  religiösen 
Kunst  sind  nach  Anziani,  Mel.  Cagnat  26  ff.  die  ältesten  etrus- 
kischen Gräber  den  mykenischen  ähnlich,  und  Brandenburg, 
Rev.  et.  ethnol.  et  social.  II,  1909,  321  ff.  bezeichnet  es  als  vor- 
läufiges Ergebnis  seiner  Untersuchungen  über  mittelitahsche  und  klein- 
asiatische Höhlenheiligtümer,  daß  der  Typus  im  Osten  entstanden  und 
von  dort  nach  Italien  übernommen  sei.    Er  schreibt  diese  Art  Heilig- 


54  Vermutungen  über  vorgriechische  Kulte. 

tümer  mit  Felsarcbitektur  (vgl.  Zs.  f.  Ethnol.  XLIV,  1912,  23  ff.)  einer 
Bevölkerung  zu,  die  er  mit  v.  Luschan,  Zs.  f.  Authi-op.  XLY, 
1913,  399  als  „armenoid'"  bezeichnet.  Weiter  wird  für  die  klein- 
asiatische Heimat  der  Etrusker  die  Übereinstimmung  ihrer  Harus- 
spizin  mit  der  assyrischen  (vgl.  darüber  Jastrows  Vortrag  auf 
der  109.  Versamml.  der  Amer.  Or.  Soc,  DLZ  XXVIII,  1907, 
1566)  angeführt,  s.  Kanne ngießer,  Klio  VIII,  1908,  258. 
Doch  ist  diese  wahrscheinlich  weit  später  erst  im  6. — 4.  Jh. 
nach  dem  Westen  übergegangen ,  ebenso  wie  die  Astrologie 
und  andere  religiös-wissenschaftliche  Einrichtungen;  s.  Ed.  Meyer, 
Papyrusf.  aus  Elephantine  127  f.  —  Aus  dem  bisher  Bemerkten  er- 
gibt sich ,  wie  unsicher  noch  die  Entscheidung  über  die  für  die 
Religionsgeschichte  so  wichtige,  aber  auch  umgekehrt  nur  mit  ihrer 
Beihilfe  zu  beantwortende  Frage  nach  der  Herkunft  und  der  ethno- 
graphischen Stellung  der  „ägäischen"  Bevölkerung  ist.  Außerdem 
darf  aber  keineswegs  vorausgesetzt  werden,  daß  die  Hellenen  bei 
ihrer  Einwanderung  überall  das  gleiche  Volk  vorfanden;  dagegen 
spricht  die  Verschiedenheit  der  Schriftsysteme,  wie  Ed.  Meyer, 
Sitzungsber.  BAW  1909,  1028  hervorhebt,  der  allerdings  die  Möglich- 
keit eines  Importes  für  den  phaistischen  Diskos  (gegen  Pernier, 
ßendiconti  RAL  Vxvii,  1908,  S.  642  ff.,  aber  mit  della  Seta, 
ebd.  V  xviii,  1909,  297)  zugibt.  Auf  Kreta  unterscheidet  Od.  t 
176  f.  Pelasger  und  Eteokreter,  die  wahrscheinlich  beide  nicht 
griechisch  sind;  das  kann  freilich  auf  politischer  Sonderung,  braucht 
nicht  auf  nationaler  Verschiedenheit  zu  beruhen.  Aber  wenn  es 
auch  verschiedene  Völker  gewesen  sein  sollten,  welche  die  Griechen 
vorfanden,  so  müssen  sie  doch  eine  verwandte  Kultur  besessen  haben, 
und  diese  muß  in  weiterem  Sinne  auch  mit  der  vorderasiatischen 
und  der  ägyptischen  verwandt  gewesen  sein,  und  zwar,  was  sich 
aus  dem  Verhältnis  der  „Ägäer"  zu  den  Chetitern  und  dieser  zu 
den  Assyrern  erwarten  läßt,  sich  aber  auch  im  einzelnen  bestätigt, 
mit  jenen  näher  als  mit  diesen.  Natürlich  gab  es  wie  in  jedem  großen 
Kulturverband,  so  auch  in  diesem  zahlreiche  größere  und  kleinere 
Kreise,  die  sich  nicht  immer  deckten,  sondern  oft  überschnitten; 
aber  soweit  ist  die  Wissenschaft  noch  nicht,  daß  sie  diese  kleineren 
Einheiten  scharf  unterscheiden  oder  auch  nur  das  Maß  ihrer 
Differenzierung  annähernd  feststellen  könnte.  Selbst  bo  allgemeine 
Sätze  sind  anfechtbar  wie  der  von  A.  della  Seta,  Relig.  e  arte 
figurata  98  ff.  (vgl.  Rendiconti  RAL  V  xvii,  1908,  429  ff.,  441) 
aufgestellte,  daß  die  mykenische  Religion  im  Gegensatz  gegen  die 
theriomorphe,    materialistische  und  fetischistische   der  Ägypter  und 


Vermutungen  über  vorgriechische  Kulte.  55 

auch  gegen  die  anthropomorphe  spätere  griechische  ähnlich  wie 
die  assyrische  die  unsichtbar  gedachte  Gottheit  nur  durch  Symbole 
verehrte. 

e)  Die  Übergangszeit. 
Wann  und  wie  die  später  in  Griechenland  herrschenden  indo- 
germanischen Stämme  in  ihre  geschichtlichen  Wohnsitze  gelant'ten, 
ist  strittig;  aber,  soweit  die  meist  zurückhaltenden  Äußerungen 
ein  Urteil  gestatten,  neigt  die  Mehrzahl  der  Forscher  jetzt  immer 
mehr  der  Ansicht  zu,  daß  sie  etwa  zu  derselben  Zeit  wie  die  Phryger 
in  Kleinasien  sich  in  Griechenland  festsetzten,  d.  h.  in  den  letzten 
Jahrhunderten  des  zweiten  Jahrtausends.  Ist  dies  richtig,  so  fäUt 
ihre  Einwanderung  mit  dem  Untergang  der  vorgriechischeu  Kultur 
oder  mit  deren  Überführung  in  eine  zunächst  niedere  griechische 
zusammen.  Die  Überlieferung  meldet  von  Wanderungen  mehrerer 
griechischer  Stämme,  und  die  neuere  Forschung  bemüht  sich,  diese 
Nachrichten  durch  das,  was  sich  aus  der  Verbreitung  der  Dialekte, 
der  Ortsnamen  und  der  Kulte  erschließen  läßt,  zu  bestätigen,  zu 
ergänzen  und  im  einzelnen  zu  berichtigen;  auch  werden  andere 
Mythen  von  Wanderungen  einzelner  Heroen  herangezogen,  die  als 
Vertreter  von  Stämmen  gelten  sollen.  Wohl  am  freiesten  steht 
der  antiken  Überlieferung  Ridgewaj^  gegenüber,  der  in  den 
Anthropol.  Essays  presented  to  Tylor  1907 ,  295  ff. ,  die  teilweis 
mißverstandenen  Ideen  seines  Buches  Early  Age  of  Greece  287 
ausführend ,  die  Dorier  nach  den  physischen  Eigenschaften ,  der 
Haartracht ,  dem  Dialekt ,  den  Sozialgebräucheu  und  der  Toten- 
bestattung für  lUyrier  und  den  Makedonern  nahe  verwandt  hält.  — 
Gewöhnlich  werden  die  Stämme  und  Sprachen  Griechenlands  in 
zwei  große  Klassen  eingeteilt:  zuerst  soll  es  von  dem  Stamm  der 
Achaier  bewohnt  gewesen  sein ,  der  sich  in  Nord-  und  Südachaier 
sonderte  (so  Fick;  s.  u.)  oder  aus  dem  später  loner  und  Aioler 
hervorgingen  und  zu  dem  auch  die  Pelasger,  d.  h.  Pelagskoi  „Be- 
wohner des  Flachlandes"  gehörten  (Kretschmer,  Glotta  II  16  f.). 
Dann  soll  von  Norden  her  der  Stamm  der  Dorier  durch  ganz 
Griechenland  gezogen  sein  und  sich  schließlich  in  der  Peloponnes 
festgesetzt  haben.  Indem  zwei  große  Völkerzüge  angenommen 
wurden,  die  beide  fast  sämtliche  Teile  Griechenlands  berührt  haben 
sollten  und  deren  Mischung  sich  in  der  Sprache  beliebig  ausdrücken 
konnte ,  war  es  natüi'lich  nicht  schwer ,  die  mythische  Stammes- 
geschichte oder  was  dafür  galt,  durch  den  Befund  der  Dialekte 
scheinbar  zu  beglaubigen.  Außer  vielen  gelegentlich  geäußerten 
Vermutungen  ist  in  dem  Aufsatz  „Dorer  und  Achaier"  von  R.Meister 


5Ö  Vermutungen  über  vorgriechische  Kulte. 

(Abb.  SGW  1906, 1)  der  zusammenfassende  Versuch  gemacht,  die  über- 
lieferten Stauimsagen  auf  dem  Wege  der  Dialektforschung,  dem  einzigen, 
der  seiner  Ansicht  nach  zum  Ziele  führen  kann,  zu  prüfen.  Allerdings 
werden  auch  andere  als  sprachliche  Tatsachen  beigebracht,  um  die 
von  der  mj'thischen  Übei'lieferung  geforderte  Stammesverschieden- 
heit der  Könige  und  des  Adels  von  Sparta  und  der  herrschenden 
und  beherrschten  Bevölkerungen  in  Lakonien  und  Argolis,  mit 
denen  er  sich  haujitsächlich  befaßt,  zu  beweisen,  z.  B.  (S.  19)  die 
dauernden  Reibungen  zwischen  dem  Adel  und  den  Königen  in 
Sparta ;  allein  der  Nachdruck  der  Beweisführung  liegt  auf  der 
sprachlichen  Seite.  In  Lakonien  z.  B,  soll  a  bei  den  Spartiaten 
zwischen  zwei  Vokalen  durch  h  (z.  B.  ^llXevhvvia)  wiedergegeben, 
bei  den  Perioiken  dagegen  ebenso  wie  in  Tarent  und  Herakleia 
erhalten  geblieben  sein-,  so  lange  das  Heiligtum  am  Tainaron  spar- 
tanisch war,  hieß  der  Gott  nach  Meister  TIoliOLdäv-,  nach  der  Los- 
reißung der  Perioiken  trat  die  achaiische  Namensform  llooeiödv  ein 
(S.  8  Anm.  1).  Ebenso  soll  das  0-  der  Perioiken  in  jüngeren  spar- 
tanischen Inschriften  (X,  das  Z  jener  bei  den  Spartanern  im  Anlaut 
J,  im  Inlaut  dö  ^  das  S  der  Perioiken  in  Tarent  und  Sparta  ß 
lauten,  dem  eo  und  ea  jener  spartanisches  lo  und  la  entsprechen. 
Diese  und  ähnliche  Versuche  werden  mit  Recht  von  Thumb,  Neue 
Jahrbb.  XV  385  und  Solmsen,  Rh.  M.  LXII  335  zurückgewiesen. 
Sie  beruhen  auf  willkürlicher  Zuweisung  der  überlieferten  Sprach- 
formen an  die  eine  oder  die  andere  Gruppe  und  wären  gar  nicht 
aufgestellt  worden,  wenn  nicht  der  Verfasser  geglaubt  hätte,  in  den 
mythischen  oder  in  geschichtlichem  Gewände  auftretenden  Berichten 
liege  echte  Geschichtsüberlieferung  vor.  —  Eine  doppelte  griechische 
Bevolkerungsschicht  in  der  Peloponnes  nimmt  auch  Malten, 
Kj'rene,  Berlin  1911,  S.  112  ff.  an.  Er  vermutet,  daß  Libyen  zuerst 
von  der  älteren  besiedelt  wurde,  „zu  der  Zeit,  als  die  von  Norden 
her  erfolgenden  Völkerschiebungen,  zuletzt  die  Einfälle  der  Dorier, 
die  ältere  Bevölkerung  aus  ihren  alten  Sitzen  übers  Meer  drängten". 
Eine  Bestätigung  findet  auch  er  im  Dialekt.  Zu  dieser  ersten  Be- 
siedelung  soll  der  von  Akesandros  (schol.  Pind.  Pyth.  IV,  57)  über- 
lieferte Stammbaum  gehören,  nach  dem  Emypylos'  Bruder  Triton 
Poseidons  Sohn  und  Eurypylos'  Gattin  Sterope  Helios'  Tochter 
war.  Gewiß  knüpft  diese  Stammtafel  an  die  Legenden  des  Tainaron 
an,  und  die  Fassung  der  Sage  bei  Pindar  ist  eine  jüngere  Version, 
durch  welche  die  ältere  zugleich  erklärt  und  widerlegt  werden  soll ; 
aber  daraus  ergibt  sich  nur ,  daß  ein  Dichter  —  wahrscheinlich 
nicht  lange  vor  Pindar,  der  ihm  folgt  —  den  Ahnherrn  der  Battiaden 


Vermutungen  ttber  Wanderungen  griechischer  Stämme.  57 

Euphamos  dem  alten  Euphemos  der  Argouautensage  gleichgesetzt 
hat.  —  Xach  Fick,  der  (KZ  1914,  G7  fF.)  über  „Griechische 
Stammverbände"  schreibt,  spiegelt  sich  (121)  in  der  Ilias  der 
Gegensatz  der  durch  Achilleus  vertretenen  Nordachaier  zu  den  mit 
ihnen  in  der  Aiolis  Kleinasiens  zusammenstoßenden  Sddachaiern, 
deren  Held  Agamemnon  ist.  Die  Aiakiden  sind  (107  f.)  von  Aiginion 
an  den  Quellen  des  Peneios  nach  der  Insel  gewandert,  die  sie 
Aigina  nannten,  und  haben  den  Zeus  Hellanios  mitgebracht;  den 
Asopos,  den  sie  bei  dieser  Wanderung  überschritten,  machten  sie 
zum  Vater  der  Aigina.  —  Die  diesen  Vermutungen  zugrunde  liegende 
Vorstellung,  daß  die  griechischen  Sagenhelden  Vertreter  ihres 
Stammes  seien,  bekämpft  Chadwick  {The  Heroic  age.  Cambridge 
Archaeol.  and  Eihnoh  Scrics.  Cambridge  1912.  S.  272  ff.)  haupt- 
sächlich deshalb ,  weil  Stammsagen  nur  im  Stamm  sich  erhalten 
können,  während  die  in  der  troischen  Sage  am  meisten  verherr- 
lichten Helden  gerade  nicht  den  beiden  Stämmen  der  louer  und 
Aioler  angehören,  bei  denen  die  Sage  hauptsächlich  gepflegt  ist  (289). 
Chadwick  trennt  nämlich  die  Süd-  und  Nordachaier,  die  er  mit 
den  Doriern  zu  den  westgriechischen  Stämmen  rechnet ,  von  den 
thessalischen  Aiolern,  die  auch  die  nördlichen  Inseln  der  Agäis 
und  den  Nordwesten  Klein asiens  besiedelten.  Er  folgert  teils  (280) 
aus  phthiotischen  Inschriften,  teils  aber  (285)  aus  der  Verbindung 
zweier  herodoteischer  Angaben ,  von  denen  die  eine  (I  56)  die 
Hellenen  von  den  Pelasgern  sondert,  die  andere  (VII  95)  die  Aioler 
zu  den  Pelasgern  stellt ,  daß  die  Bewohner  von  Phthia ,  wo  auch 
Hellen  gewohnt  haben  soll ,  ebenso  wie  die  Südachaier  zu  den 
Hellenen  zu  rechnen  seien.  Die  Grenze  zwischen  den  „ost- 
griechischen" Aiolern  und  den  „westgriechischen"  Hellenen  soll 
in  Thessalien  der  Othrj'S  gebildet  haben.  Demnach  ist  Achilleus 
kein  Aioler,  und  da  Cauers  Vermutung  zurückgewiesen  wird,  daß 
Agamemnon  eigentlich  über  das  thessalische  oder  pelasgische  Argos 
geboten  habe  (274  ff.),  so  werden  auch  der  König  von  Mykene  und 
sein  Bruder  den  Hellenen ,  also  den  Westgriechen  zugesprochen. 
Überhaupt  werden  alle  führenden  Helden,  Nestor,  Idomeneus,  beide 
Aias ,  Diomedes  und  auch  Odysseus  als  „hellenisch"  bezeichnet; 
Eurypylos  wird  zwar  als  Aioler  anerkannt,  aber  er  spielt  im  Epos 
keine  bedeutende  Rolle.  Diese  Verherrlichung  stammfremder 
Fürsten  durch  die  Aioler  und  loner  beweist  nach  Chadwick,  daß 
die  Helden  nicht  Vei-treter  ihrer  Stämme  sein  können.  Tritt  der 
englische  Forscher  damit  den  Versuchen  entgegen,  die  Überlieferung 
über  die  Wanderungen  griechischer  Stämme  durch  die  Heldensage 


5g  Vermutungen  über  Stammwanderungen. 

zu  erweitern,  so  hält  er  diese  doch  im  Kern  für  geschichtlich. 
Er  verwirft  die  Ansicht,  daß  die  homerischen  Helden  Hypostasen 
von  Göttern  oder  Verkörperungen  von  Naturerscheinungen  seien 
(2G3  ff.) ,  und  gibt  auch  der  freien  Erfindung  nur  einen  eng  be- 
gx-enzten  Spielraum.  Er  gesteht  sie  zwar  z.  B.  für  die  Irrfahrten 
des  Odysseus,  für  die  der  Dichter  ältere  Yolksüberlieferuugen  be- 
nutzt haben  soll,  und  auch  für  die  Namen  von  Penelopes  Freiern 
(301)  zu.  meint  aber,  daß  im  ganzen  namentlich  in  der  Ilias  the 
emploijmcni  of  ficiion  is  to  hc  sccn  raiher  in  the  prcscntaiion  than 
in  ihr  coucepiion  of  the  siory.  Fast  noch  weiter  gehen  in  dieser 
Beziehung  Chadwicks  Landsleute  John  L.  Myres  und  K.  T.  Frost, 
Klio  XIV.  1914,  447  iF.,  die  den  troischen  Krieg  in  einen  prag- 
matischen Zusammenhang  mit  dem  Sieg  Ramses  III.  über  die  See- 
völker bringen,  und  Casson,  Class,  Rev.  XXVII,  1913,  153  ff., 
der  in  den  an  manchen  Orten  haftenden  Sagen  von  eingewanderten 
Troern  Reste  einer  Erinnerung  au  die  Flucht  der  Küstenbewohner 
Kleinasiens  vor  den  eindringenden  Chetitern  findet.  Als  Beweis 
wird  auch  von  Chadwick  die  germanische  Heldensage  angeführt. 
Zwar  erkennt  er  (221  ff.)  einen  Unterschied  zwischen  dem  deutschen 
und  dem  griechischen  Epos  insofern  an,  als  er  sich  jenes  jahr- 
hundertelang durch  Volksdichter,  dieses  aber  durch  höfische  Dichter 
fortgepflanzt  denkt,  bevor  beide  ihre  letzte  kunstmäßige  Gestalt  er- 
hielten ;  er  sieht  aber  nicht  die  ebenso  große  Verschiedenheit,  die 
darin  begründet  ist,  daß  die  griechischen  Dichter  von  Anfang  an 
nicht  die  Fürsten,  für  die  sie  sangen,  selbst,  sondern  deren  mj'thische 
Ahnen  zu  feiern  pflegten,  deren  erdichtete  Ruhmestaten  die  wirk- 
lichen ihrer  Nachkommen  zugleich  widerspiegelten  und  legitimierten. 
Er  vergißt  ferner,  daß  die  Macht  des  altgriechischen  Adels  zugleich 
rehgiös  war,  daß  jedes  große  Fürstenhaus  und  jeder  Ritterbund 
Heiligtümer  besaß ,  deren  Legenden  mit  der  Geschichte  der  Ge- 
schlechter verbunden  waren  und  bei  der  Ausbildung  der  Helden- 
sage mit  benutzt  werden  konnten.  Endlich  wird  von  ihm  die  freie 
Erfindung  unterschätzt,  die  schon  im  einzelnen  Falle,  wenn  sie  nur 
an  etwas  Gegebenes  anknüpfen  oder  gar  dieses  wahrscheinlich  er- 
klären konnte ,  nach  den  Gesetzen  des  griechischen  Heldenliedes 
ziemlich  frei  schaltete,  deren  Einfluß  aber  sehr  groß  gewesen  sein 
muß.  da  Jahrhunderte  hindurch  Erfindung  auf  Erfindung  gehäuft 
■wurde. 

Wie  die  griechische  Heldensage  sind  aber  auch  die  Angaben 
über  die  Stammwanderungen  ohne  geschichtUcheu  Wert.  Die 
Dichter,    die    sie  etwa  vom  7.  Jh.  an  überiiefem,    waren  natürlich 


Vermutungen  über  Stammwanderungen.  59 

nicht  imstande ,  wissenschaftlich  begründete  Vermutungen  auf- 
zustellen ;  was  sie  aber  an  Überlieferung  vorfanden ,  beschränkte 
sich  einerseits  auf  Stammbäume,  die  im  besten  Fall  an  die  Legenden 
eines  von  dem  Fürstengeschlecht  verwalteten  Heiligtums  anknüpften, 
oft  aber  gar  nicht  ursprünglich  von  dem  Geschlecht,  auf  das  sie 
später  bezogen  werden,  erzählt,  sondern  einfach  usurpiert  oder 
wenigstens  durch  Vermengung  mit  einem  schon  bestehenden  ge- 
fälscht waren ,  andererseits  auf  Mythen ,  die  erfunden  waren  ,  be- 
stehende politische  Einrichtungen,  z.  B.  Geschlechterverbindungen, 
Landerwerbungen  und  dergl.  zu  legitimieren.  Von  Dichtungsfonnen, 
in  denen  die  Wanderungen  der  Stämme  erzählt  gewesen  sein  könnten, 
oder  von  Kulteiurichtungen,  die  auch  ohne  feste  Überlieferung  die 
Erinnerung  an  die  ursprüngliche  Heimat  der  eingewanderten  Stämme 
wie  bei  den  späteren  Kolonien  hätten  aufrechterhalten  können,  ist 
nichts  bekannt.  Andere  Quellen  hatten  aber  auch  die  Altertums- 
forscher nicht:  außer  den  Dichtern  zogen  sie,  noch  mehr  als  diese 
selbst,  Übereinstimmungen  religiöser  und  politischer  Einrichtungen, 
sowie  der  Ortsnamen  in  Betracht ;  aber  diese  lehrten  nichts  über 
den  Ausgangspunkt  und  die  Richtung  der  Übertragung. 

Ebenso  unzuverlässig  wie  die  antiken  Überlieferungen  und  die 
ihnen  zugrunde  liegenden  Schlüsse  aus  Institutionen  und  Namen 
sind  aber  die  Folgerungen ,  welche  die  neuere  Forschung  aus  den 
Dialekten  zieht.  Tatsächlich  wissen  wir  über  die  Art,  wie  die 
Eindringlinge  vom  Land  Besitz  ergriifen,  nicht  einmal,  ob  sie  in 
geschlossenen  Zügen  ganzer  Stämme  oder  in  kleineren  Abteilungen 
eingewandert  sind,  ob  sie  das  Land  erobert  oder  in  ihm  als  Gast- 
freunde, etwa  als  Söldner  Aufnahme  gefunden  haben.  Vermutlich 
wird  beides  nebeneinander  hergegangen  sein  wie  in  der  Völker- 
wanderung zu  Anfang  des  Mittelalters.  Es  ist  auch  gar  nicht 
sicher,  daß  die  Gottesdienste  sich  entsprechend  dieser  Bevölkerungs- 
verschiebung verbreiteten.  AVie  bei  den  Ortsnamen  müssen  sich 
auch  bei  den  Kulten  manche  Übereinstimmungen  daraus  erklären, 
daß  eine  Entlehnung  aus  der  vorgriechischen  Kultur  vorliegt,  deren 
einzelne  Teilgebiete  natürlich  einen  Schluß  auf  die  griechischen 
Wanderungen  nicht  gestatten.  Allgemeine  Gründe  sprechen  dafür, 
daß  die  von  Norden  hereinströmenden  Griechen  die  früheren  Be- 
wohner allmählich  vor  sich  her  drängten,  daß  sich  diese  im  äußersten 
Süden ,  auf  Kreta  stauten  und  daß  hier  die  erste  halbgriechische 
Kultur  entstand ,  die  dann  sich  allmählich ,  entgegengesetzt  der 
Richtung,  in  der  die  Völker  gewandert  waren,  nach  Norden  ver- 
breitete.   Dies  würde  sogar  eine  Stütze  an  der  Überlieferung  haben. 


(30  \ennutungeu  über  Stammwanderungen. 

die  mehrere  namhafte  Kultstätten,  z.  B.  Olympia  und  Delplioi,  von 
Kreta  aus  gegründet  sein  läßt.  Dafür  spricht  auch  der  Umstand,  daß 
in  Boiotien,  wo  die  kretischen  Gestalten  Rhadamanthys  und  Europa 
heimisch  sind,  von  letzterer  am  Berge  Teumessos  erzählt  wui'de, 
der  seinen  wahrscheinlich  vorgriechischen  Namen  (Telmessos)  in 
einer  speziell  kretischen  Dialektform  führt.  —  Aber  man  darf  dies 
Erkläi'ungsprinzip  nicht  überspannen.  Bei  ihrem  vielleicht  sich 
allmählich  vollziehenden  Vordringen  können  die  Griechen  von  den 
Urbewohnern  Kulte  übernommen  haben,  die  sie  dann  bei  weiterem 
Vorrücken  nach  Süden  verpflanzten.  So  läßt  A.  Reinach,  Rev. 
liist.  rel.  LX,  1909^,  188  die  zahlreichen  vorgriechischen  Orts- 
namen und  Mythen ,  die  Kreta  mit  Thessalien  gemeinsam  sind 
(Asterion,  Deukalion,  Glaukos,  Itonia  usw.),  durch  Thessaler  über 
Boiotien  nach  Kreta  gelangen ;  was  zwar  schwerUch  für  alle,  aber 
vielleicht  für  einzelne  richtig  ist.  Ob  der  thessalische  Olj-mpos 
nach  dem  kretischen  heißt  oder  umgekehrt,  ist  eine  offene  Frage, 
die  nicht  danach  zu  beantworten  ist,  daß  jener  sehr  berühmt  und 
dieser  fast  vergessen  ist. 

Die  Übernahme  vorgi-iechischer  Dienste  durch  die  stammfremden, 
bildungsfähigeren,  aber  noch  auf  tieferer  Bildungsstufe  stehenden  Ein- 
dringlinge, die  mit  der  älteren  Bevölkerung  zum  Volk  der  Griechen 
zusammenwuchsen ,  brachte  wahrscheinlich ,  wie  dies  unter  ähn- 
lichen Umständen  zu  geschehen  pflegt,  eine  Umformung  der  damit 
verbundenen  Vorstellungen  mit  sich;  aber  besondere  Gründe  für 
diese  Annahme  liegen  nicht  vor.  Aus  Resten  im  griechischen 
Kultus  und  Mythos  wird  gefolgert,  daß  die  Stellung  der  Frau  in 
minoischer  Zeit  günstiger  war  als  bei  den  späteren  Griechen  und 
daß  sich  dies  auch  in  der  Bevorzugung  weiblicher  Gottheiten  und 
in  der  höheren  Würde  der  Priesterinnen  aussprach;  s.  z.  B.  Paribeni , 
Mon.  ant.  R.  A.  L.,  1908,  80  f. ;  v.  Prott  in  den  von  Schrader 
u.  d.  T.  „Mtycr^Q,  Bruchstücke  zur  griechischen  Religionsgeschichte", 
Arch.  f.  Religionswiss.  IX,  1906,  89  ff.  herausgegebenen  Gedanken- 
.spHttern  (vgl.  Pasquali,  Atene  e  Roma  1906,  78  ff.);  J.  Har- 
riso n,  Themis  490  (s.  dagegen  Rose,  Folkl.  XXII,  1911,  277 ff.). 
Aber  daß  dieser  soziale  Unterschied ,  wenn  er  richtig  erschlossen 
ist,  mit  dem  ethnographischen  zusammenfällt,  ist  nicht  so  selbst- 
verständlich, wie  vielfach  angenommen  zu  werden  scheint.  Be- 
zeichnend für  die  ältesten  zu  erschließenden  griechischen  Kulte 
sind  Darstellungen  oder  Erneuerungen  von  Begebenheiten  aus  dem 
Leben  der  Gottheit,  von  ihrer  Geburt,  Vermählung,  ihrem  Tod  und 
ihrer   Wiedererweckung.     Aber    diese    und    ähnliche    Darstellungen 


Vermutungen  über  vorgriechische  Kulte.  61 

haben  wahi'scheinlich  bereits  die  älteren  Bewohner  gekannt,  da  sie 
sich  ebenso  in  KJeinasien  finden.  Angerufen  wurden  hauptsächlich 
der  Vater  Himmel,  der  mit  der  Axt  Biitzfunken  schlagen  oder  seine 
dreizackige  Blitzlanze  schleudern  sollte,  und  die  Mutter  Erde.  Der 
Kult  oder  die  Zauberei  wurden  besonders  in  einsamer  Natur, 
namentlich  auf  Bergen  und  in  Höhlen  vollzogen;  es  handelte 
sich  hauptsächlich  um  die  Gewinnung  von  Regen,  wobei  man 
sich  häufig  des  Regensteins  bediente.  Auch  dies  darf  aus  dem- 
selben Grund  schon  der  von  den  Griechen  vorgefundenen  Religion 
zuerkannt  werden.  —  Nach  S.  Wide,  Arch.  f.  Religionswiss.  X, 
1907,  258,  hatte  das  vorgriechische  Volk  Lokalkulte,  deren  Inhalt 
zum  großen  Teil  chthonisch  war.  In  der  Tat  riefen  sie ,  wie 
es  scheint,  oft  Geister  der  Tiefe  an-,  aber  das  ist  nicht  charak- 
teristisch, vielmehr  haben  wahrscheinlich  die  Träger  der  minoischen 
Kultur  ursprünglich  ihren  Regenzauber  und  ihre  sonstigen  Be- 
gehungen unter  dem  vermeintlichen  Schutz  himmlischer  und  ober- 
irdischer Gottheiten  ausgeführt,  auch  die  Toten  nicht  nur  zum  Zauber 
beschworen ,  sondern  sich  auch  nach  dem  Tode  in  ein  besseres 
Jenseits  zu  versetzen  gesucht;  und  der  unheimliche  Charakter, 
den  der  ägäische  Dienst,  wie  es  scheint,  erst  gegen  Ende  der 
ägäischen  Kultur  angenommen  hatte,  ist  durch  das  Eindringen  de)- 
Griechen  nicht  gleich  beseitigt  worden,  sondei'n  ganz  allmählich.  Zwar 
darf  das  „chthonische"  Element  des  ältesten  griechischen  Kultus 
nicht  übertrieben  werden,  wie  es  Hewitt,  Harv.  Stud.  XIX,  1908. 
61  ff.  und  R.  Karsten,  Studies  in  primitive  Greek  Religion,  Öf- 
versight  af  Finska  Vetensk.  Societetens  Förhandl.  XLIX,  1907 
(s.  dagegen  Glotz,  Rev.  et.  grecques  XXI,  1908,  389)  tun.  Man  darf 
sich  nicht  durch  eine  etymologisch  allerdings  zulässige  allgemeinere 
Bedeutung  des  Begriffs  ;, chthonisch"  irreführen  lassen.  Insofern  die 
vom  Himmel  befruchtete  Erde  Ursprung  aUer  Vegetation  ist,  sind 
freilich  alle  agrarischen  Kulte  chthonisch ;  aber  nicht  dies  ist  das 
Bezeichnende  der  ältesten  griechischen  Religion,  sondern  daß  viele 
andere,  namentlich  übele  Wirkungen  Dämonen  zugeschrieben  wurden, 
die  in  der  Tiefe  der  Erde  hausen  sollten  und  die  meist  als  Seelen 
von  Toten  oder  wenigstens  mit  dem  Totenreich  in  Verbindung 
stehend  gedacht  wurden.  Allein  jedenfalls  fällt  auch  in  diesem  Punkt 
mit  dem  Übergang  der  Religion  zu  einem  andern  Volk  eine  Ände- 
rung der  Vorstellung  nicht  zusammen. 

Die  richtige  Einsicht  in  diese  Verhältnisse  ist  noch  nicht 
seit  langer  Zeit  gewonnen.  Es  wäre  interessant  zu  wissen,  ob 
ein    noch   zu   unserer    Generation   gehöriger    Forscher,    A.  Milch- 


62  Vermutvingen  über  die  Mystik  des  6.  Jahrb.:    Wendland. 

hoefer  diese  Fragen  bereits  aufgeworfen  und  wie  er  sich  zu 
ihnen  gestellt  hat.  Der  Tod  übeiraschte  ihn  über  einem  Werke 
^Neue  Studien  zur  ältesten  Kunst  und  Religion  Griechenlands", 
zu  dem  er  bereits  den  Stoff  gesammelt  hatte.  Die  Handschrift  ist, 
wie  Pf  ister,  Arch.  f.  Religionswiss.  XVII,  1914  berichtet,  der 
Kieler  Universitätsbibliothek  übergeben  worden. 

f)    Die   griechische    Mystik   des    6.  Jahrhunderts 
gehört    bekanntlich    zu    den    am  meisten  umstrittenen  Gebieten  der 
ganzen  Altertumsforschung.    Bezeugt  ist  sie  fast  nur  durch  Schrift- 
steller der  hellenistischen  Zeit,  und  da  sie  überdies  sich  nahe  mit 
orientalischen  Vorstellungen  berührt,  die  wenigstens  in  den  Griechen- 
land  am  frühesten  zugänglichen  Barbarenländern  des  Ostens  eben- 
falls   meist    erst    aus   den  letzten  Jahrhunderten  v.  Chr.  beglaubigt 
sind,    so   ist  die  besonders  von  Ed.  Zeller  vertretene  Ansicht  weit 
verbreitet,  daß  die  wesentlichen  Züge  dieser  M\'stik  erst  im  Hellenis- 
mus entstanden  seien.    So  hat  sie  auch  P.  Wendland  im  6.  Ab- 
schnitt der  Hellenistisch-römischen  Kultur  in  ihren  Beziehungen  zu 
Judentum  und  Christentum,  Tübingen  ^1907,  ^1912,  aufgefaßt.     In 
einer   Vorbemerkung   der   ersten  Auflage   wendet   er   sich    in  Aus- 
drücken ,    die    eine    ruhige    Abwägung    der    sich    entgegenstehenden 
Wahrscheinlichkeitsgründe  weder  bezeugen  noch  erleichtern,  gegen 
die   Auffassung,    daß    die    wichtigsten    Gedanken    dieser  Mystik   in 
Griechenland    wie   im   Orient  auf  das  6.  Jh.  zurückgehen.     Er  ver- 
gißt,   worauf  doch    schon    oft    hingewiesen  ist,    daß  einzelne  nicht 
ablösbare  Gedanken  dieser  zwar  nicht  einheitlichen,  aber  doch  von 
demselben  Grundgedanken  beherrschten  Mystik  einwandfrei  für  das 
6.  Jh.  in  Griechenland  bezeugt  sind,  daß  sie  gleichzeitig  in  Indien 
und    bald    nachher   in   Hinterasien    eine   gewaltige    Bewegung   aus- 
gelöst  haben ,    und    daß    ein  wesentlicher  Bestandteil   dieser  Lehre 
für  Ägj-pten  im  5.  Jh.  durch  griechische  Schriftsteller  bezeugt  ist, 
die  doch  nicht  deshalb  für  unglaubwürdig  gelten  können,  weil  ihre 
Angaben  in  den  älteren  ägyptischen  Texten  nicht  bestätigt  werden. 
Außerdem  scheint  es,  daß  die  hellenistische  Mystik,  die  heidnische 
und  die  christliche  Gnosis,  die  zwar  nicht  dieselben  Lehren,  aber 
doch  aus  ihnen  weitergebildete  vortragen,  mehr  aus  barbarischem  als 
aus  hellenischem  Kulturkreis  entnahmen.    Man  muß  dabei  nicht  ein- 
seitig die  ägyptische  Herkunft  dieser  Mystik  betonen,  wie  es  früher 
namentlich  ßeitzenstein,    aber  auch  Lieblein  in  seinen  Auf- 
sätzen Ober  nlorig  ^Offta  (zuletzt  Christ.  Vidensk.-Selsk.  Forhandl. 
1909j  tun.  In  Wahrheit  hatten  sich  im  Orient  vor  dem  Hellenismus  die 


Vermutungen  über  die  Mystik  des  6.  Jahrb.:  Wcndland.  63 

verschiedenen  nationalen  Religionen  zwar  nicht  zu  einem  großen 
Synkretismus  vereinigt,  aber  doch  so  weit  abgeschliffen,  daß  unter 
dem  einigenden  Bande  der  Mystik  einzelne  Bestandteile  einer  von 
andern  aufgenommen  werden  konnten.  Im  Grunde  gibt  das  auch 
Wendland  selbst  zu ;  er  hätte  darin  noch  weiter  gehen  können, 
wie  namentlich  Reitzenstein  in  seiner  Besprechung  GüN  11)08, 
783  hervorhebt,  der  z.  B.  auf  die  orientalischen  Elemente  in  dem 
von  Wendland  nicht  erwähnten  Timaioskommentar  des  Poseidonios 
aufmerksam  macht.  Werden  alle  diese  Gründe  in  Betracht  gezogen, 
so  liegt  doch  die  überwiegende  Wahrscheinlichkeit  bei  der  An- 
nahme ,  daß  die  gleichzeitigen  und  gleichartigen  indischen  und 
griechischen  Lehren  von  der  Seelenwanderung  und  deren  Beendi- 
gung durch  die  Wiederaufnahme  der  Seele  in  das  All-Eine  in  ge- 
schichtlichem Zusammenhang  stehen.  Wendland  selbst  erkennt  die 
Ähnlichkeit  dieser  Vorstellungen  an;  er  spricht  z.  B.  ('  130,  ^'  ^228) 
von  auffallend  parallelen  und  konvergierenden  Entwicklungslinien, 
die  man  auf  dem  Gebiet  der  Religion  und  der  Spekulation  bei  den 
antiken  Völkern  beobachten  könne;  aber  anstatt  ihn  an  die  Möglich- 
keit denken  zu  lassen,  daß  die  jetzt  zwischen  den  so  ähnlichen  An- 
schauungen klaffende  Lücke  nur  in  der  Überlieferung  bestehe, 
machen  ihn  diese  Ähnlichkeiten  nur  skeptisch  gegen  die  Annahme 
einer  geschichtlichen  Abhängigkeit,  wo  Wege  und  Medien  der  Ver- 
mittlung nicht  nachweisbar  sind.  Dieser  Einwand  wäre  dann  be- 
rechtigt, wenn  innerhalb  der  assj'rischen  oder  ägyptischen  Literatur 
das  Auftreten  dieser  Mystik  zu  erwarten  wäre.  Allein  die  er- 
haltenen Texte  geben  überhaupt  kein  Bild  von  der  gesamten  Literatur, 
sondern  nur  von  einzelnen  Zweigen,  wie  sie  der  Zufall  ausgewählt 
hat;  gerade  für  das  6.  und  5.  Jh.  sind  sie  bisher  besonders  lücken- 
haft. Immerhin  läßt  sich  das  Vorhandensein  dieser  Mystik  in  den 
Ländern  Vorderasiens  und  Ägyptens ,  das  als  Mittelglied  zwischen 
den  nahe  verwandten  und  gleichzeitigen  mystischen  Systemen 
Griechenlands,  Indiens  und  Hinterasiens  gefordert  wird,  mit  Wahr- 
scheinlichkeit auch  daraus  erschließen ,  daß  die  Gnosis  zum  Aus- 
druck ihrer  Gedanken  oft  Formen  —  Mythen  und  mythische 
Namen  —  verwendet,  die  altorientalischen  Religionen  entstammen; 
denn  es  handelt  sich  bei  diesen  Elementen  nicht  etwa  um  selb- 
ständige Fortbildungen  der  alten  nationalen  Religionen,  sondern  um 
den  Ausdruck  ganz  neuer  Anschauungen,  die  den  bisherigen  wider- 
sprachen, aber  nur  mit  Hilfe  der  gegebenen  Sprachbilder  dem  Ver- 
ständnis näher  gebracht  werden  konnten.  Die  Feststellung  dieses 
Verhältnisses  ist  wichtig;  nur  so  werden  die  noch  jetzt  verbreiteten 


()4  \'erinutiingen  Ober  die  Mystik  des  6.  Jahrb.:   Wendland. 

Irrtiliner    vermieden,    daß    entweder   die   hellenistische  Mystik    un- 
mittelbar  an    Religionen    des    alten  Orients    angeknüpft   wird,    von 
denen    sie    doch    durch   eine    tiefe  Kluft   geschieden  ist,   oder  aber 
der  Bruch   in  die  hellenistische  Zeit  verlegt  wird,    in  der  die  bar- 
barischen Religionen,    obwohl   äußerlich  z.  T.  noch  glänzend,    doch 
schwerlich    so    viel    inneres  Leben    besaßen ,    um   den  neuen  Ideen 
ihre    Fonn    aufzuzwingen.      Aber    die    Überlieferung    ermöglicht    es 
auch,    etwas    über   die    bloße  Erkenntnis  eines  geschichtlichen  Zu- 
sammenhanges   zwischen    der    griechischen    und    der    orientalischen 
Mystik    hinauszukommen.      Die    Nachwirkungen    dieser   mystischen 
Religion  in  den  Lehren  der  verschiedenen  gnostischen  Sekten,  dem 
Mandäismus  und  Manichäismus,  dann  aber  auch  bei  Buddha,  Pytha- 
goras   und  bei  den  Orphikern,   sind  so  bestimmt,  daß  sie  ein  nicht 
nur  sicheres,  sondern  —  bis  zu  einem  gewissen  Grade  wenigstens  — 
sogar   deutliches    Bild   von  den   Ideen  jener  verschollenen  Denker 
Vorderasiens  zu  zeichnen  gestatten.    Ein  Zweifel  bleibt  hauptsäch- 
lich noch,  wann  und  in  welcher  Reihenfolge  die  den  älteren  Systemen 
fehlenden  gnostischen  Vorstellungen  hinzugekommen  sind,  und  wie- 
viel von  ihnen  schon  der  ursprünglichen  Gestalt  dieser  mystischen 
Philosophie  zugeschrieben  werden  darf.    Um  ein  einheitliches  System 
handelt  es  sich  schon  im  (>.  und  5.  Jh.  nicht,  sondern  um  zahlreiche 
Lehrmeinungen  von  Männern.'   die  jeder  auf  seine  Weise  den  Ge- 
danken   der   Erlösung   aus    dem    Kreis   der   Wiedergeburten   durch 
Unterdrückung    der    Sinnlichkeit    ausgestaltet   hatten ;    andererseits 
beherrschte  aber  sowohl  bei  ihnen  wie  auch  bei  ihren  Nachfolgern 
die  Befreiung  von  dem  Kerker  der  Sinnlichkeit  so  das  ganze  System, 
daß    sie   wohl   untereinander,    aber    nicht   eigentlich  von  dem  Aus- 
gangspunkt abweichen,  also  auch  keinen  Anhalt  bieten,  die  späteren 
von  den  ursprünglichen  .Stücken  zu  sondern.    Wenn  es  schon  kaum 
möglich    ist ,    die    buddhistischen ,    pythagoreischen    und   orphischen 
Vorstellungen  in  ihrer  allmählichen  Ausbildung  zu  verfolgen,  so  ist 
die  Hoffnung    eitel,    mit   den  jetzt    vorhandenen   Mitteln    die   Vor- 
geschichte   der  A^orstellungen  zu  erkennen ,   deren   letzte  Formulie- 
rungen in  den  gnostischen  Systemen  erhalten  sind. 

g)    Die    Religion    des    Hellenismus. 

1906.  R.  Reitzenstein,  Hellenistische  Wundererzählungen, 
Leipz,,  befaßt  sich  weniger  mit  hellenistischer  Rehgion,  als  nach 
dem  Titel  erwartet  werden  könnte.  Der  erste  Teil  sucht  über 
die  Literaturgattung  der  Aretalogie  Licht  zu  verbreiten;  er  dehnt 
den  Begriff  so,    daß    schließlich    z.  B.  die  ^^h^i^i^g  laiOQia,   Hör. 


Religion  des  Hellenismus.  66 

Sat.  I  8  und  Juven.  S.  XV  unter  ihn  fallen.  Der  zweite  Teil  behandelt 
die  Thomasakten ,  insbesondere  die  in  sie  eingelegten  lyrischen 
Stücke ,  den  Seelenhymnos  und  das  Hochzeitslied ,  in  denen  er 
Nachwirkungen  der  heidnischen  Aretalogie  sieht.  Umfassende  Kennt- 
nisse sowohl  dieser  wie  der  christlichen  Wundergeschichten  er- 
möglicheu  es  dem  Verfasser ,  für  seine  m.  E.  nicht  richtige 
GesamtaufFassung  Gründe  beizubringen,  deren  Widerlegung,  wie 
sie  z.  B.  Granger,  Class.  Rev.  XXIII,  1909,  84  ff.  versucht, 
Scharfsinn  und  weiten  Umblick  erfordert,  die  insofern  also  an- 
regend wii'ken. 

1907.  P.  Wendland,  Die  hellenistisch-römische  Kultur  in 
ihren  Beziehungen  zum  Judentum  und  Christentum  stellt  sich,  indem 
er  ein  wissenschaftliches  Werk  nach  der  persönlichen  religiösen 
Überzeugung  des  Verfassers  bemerkt,  auf  einen  unwissenschaftlichen 
Standpunkt,  enthält  aber  einzelne  beachtenswerte  Gedanken  (^S.  62). 

1900.  J.  K  a  e  r  s  t ,  Geschichte  des  hellenistischen  Zeitalters, 
Leizig,  handelt  (II  1,  202  if.)  ausführlich  auch  über  die  hellenistische 
Religion.  Er  bestreitet  u.  a.  Kornemanns  Auffassung,  daß  der  Hellenis- 
mus nicht  im  Mutterland,  sondern  in  Kleinasien  geboren  sei,  meint 
vielmehr,  daß  er  dort  nur  einen  besonders  günstigen  Nährboden 
antraf  (389,  2).  Die  Gründe  für  das  höhere  Alter  der  zuerst  im 
Hellenismus  bezeugten  Vorstellungen  verwirft  Kaerst.  Bei  ver- 
schiedenen babylonisch-assj'rischen  Göttern,  wie  Marduk  und  Istar, 
erkennt  er  (260  ff.)  zwar  das  Bestreben  an,  sich  zu  universalen 
Gottheiten  auszubilden,  aber  erst  der  Hellenismus  soll  in  dem 
philosophischen  Pantheismus  (264),  im  Euhemerismus  (263)  und 
auch  in  den  allgemeinen  politischen  und  Kulturverhältnissen  die  Be- 
dingungen vorgefunden  haben,  die  das  Zusammenwachsen  dieser  Vor- 
stellungen begünstigten.  Auch  die  Achaimeniden  haben  nach  Kaerst 
nicht  eine  synkretistische  Religiouspolitik  befolgt,  obwohl  sie  fremde 
Religionen  nicht  bloß  geschont,  sondern  sogar  begünstigt  haben : 
sie  blieben  stets  Verehrer  Ahura  Mazdas,  der  trotz  der  universalen 
Züge  seines  Wesens  ein  national  iranischer  Gott  war.  Erst 
Alexander  hat  bewußt  eine  religiöse  Verschmelzung  herbeizi;führen 
gesucht,  und  trotz  der  politischen  Teilung  blieb  die  kulturelle 
Einheit  seines  Reiches  groß  genug,  um  eine  synkretistische  Politik 
zu  begünstigen ,  wie  sie  besonders  von  den  Ptolemaiem  getrieben 
wurde.  Diese  Sätze  treffen  bis  zu  einem  gewissen  Grad  für  die 
öffentlichen  Gottesdienste  zu ,  obwohl  schon  das  Beispiel  der 
mit  Kj'bele  und  Artemis  in  Sardes  ausgeglichenen  Anähita  zeigt, 
daß     der     persische    Staat     die    Ausgleichung     seiner     Gottheiten 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  186  (Snpplementband).  -5 


66  Religion  des  Hellenismus. 

mit  fremden  entweder  nicht  verhindern  wollte  oder  nicht  verhindern 
konnte.  Ganz  unwahrscheinlich  aber  sind  Kaersts  Ansichten  in 
Beziehung  auf  die  Privatkulte  und  die  religiösen  Vereine.  Schon 
der  Handelsverkehr  zwischen  den  verschiedenen  Teilen  des  un- 
geheuren Reiches ,  noch  mehr  die  langsamen ,  aber  andauernden 
Völkerverschiebungen  und  -mischungen  durch  Zu-  und  Abwanderung, 
mußten  auch  religiöse  Ausgleichungen  herbeiführen,  und  zwar  nicht 
nur  die  Gleichsetzung  von  Göttern,  an  die  Kaerst,  wie  es  scheint, 
zunächst  denkt ,  die  aber  für  den  Hellenismus  gar  nicht  be- 
sonders bezeichnend  ist,  sich  vielmehr  schon  im  5.  Jh.,  z.  B.  bei 
Herodot  findet,  sondern  auch  das,  was  in  Wahrheit  das  Wesen 
der  hellenistischen  Religion  ausmacht,  den  Zusammenschluß  von 
Vorstellungen,  die  urverwandt,  aber  doch  verschieden  entwickelt 
waren. 

1910.  Hatte  Kaerst  überwiegend  die  öffentlichen  Kulte  ins 
Auge  gefaßt,  so  erörtert  R.  Reitzenstein,  Die  hellenistischen 
Mysterienreligionen,  ihre  Grundgedanken  und  Wirkungen,  Vortrag, 
gehalten  in  dem  wissenschaftl.  Predigerverein  für  Eis. -Lothringen, 
Leipzig,  zwar  gelegentlich  in  Anmerkungen  auch  viele  andere  Dinge, 
hauptsächlich  aber  doch  das,  was  der  Titel  verspricht.  Er  unter- 
sucht besonders  den  Isiskult  mit  Hilfe  des  gewöhnlich  dem  Apuleius 
zugeschriebenen  „Goldenen  Esels",  neigt  aber  zur  Verallgemeinerung 
der  gewonnenen  Ergebnisse  in  der  Annahme,  daß  die  hellenistischen 
Weihen  im  wesentlichen  gleichartige  Lehren  vortrugen  und  ähn- 
liche Sitten  vorschrieben.  Ohne  selbst  eingeweiht  zu  sein,  sollen 
die  frühesten  Christen ,  insbesondere  Paulus ,  die  in  ihnen  fort- 
gepflanzten Vorstellungen  aus  der  Literatur  übernommen  haben. 
Vgl.  Berl.  Phil.  Wochenschr.  XXXI,  1911,  930  ff. 

1912.  W.  Weber,  Ägyptisch-griechische  Götter  im  Hellenis- 
mus, Antrittsrede. 

1915.  Auf  die  griechisch-ägyptischen  Mischkulte  beziehen  sich 
mehrere  in  den  Ox3Th.  Pap.  XI,  1915  veröffentlichte  Texte;  darunter 
befindet  sich  eine  Anrufung  an  Isis  mit  ihren  unzähligen  Beinamen,  ein 
Preis  des  göttlichen  Arztes  Imuthes  (no.  1381)  und  eine  Aretalogie 
des  Sarapis  (no.  1382). —  In  die  Mysterienwelt  führt  Gillis  P.Wetter, 
Phos  ((Z>ß— ),  eine  Untersuchung  über  hellenistische  Frömmigkeit, 
zugleich  ein  Beitrag  zum  Verständnis  des  Manichäismus,  Skrifter 
utgifna  af  K.  Humanistika  Vetensk.  —  Samfundet  i  Uppsala  XVII  1, 
I^eipz.  Im  ersten  Teil  werden  die  Vorstellungen  besprochen, 
in  denen  das  Licht  mehr  physisch,  im  zweiten  die,  in  denen  es 
mehr   religiös   gedacht   ist,    doch   läßt    sich   diese  Sonderung  nicht 


Hellenistische  und  römische  lieligion.  67 

glatt  durchführen,  und  der  Vf.  selbst  betont  (98  ff.),  daß  dem  Be- 
griff auch  auf  den  höheren  Stufen  etwas  Uugeibtiges  und  Magisches 
anhafte,  so  daß  göttliche  Menschen  als  leuchtend  beschrieben  und 
den  Erlösten  oder  Geweihten  Strahlenkränze  beigelegt  werden.  Im 
dritten  Teil  (28  ff.)  soll  gezeigt  werden,  daß  die  Vergleichung  der 
Erlösung  mit  der  Erleuchtung  in  altgriechischen  Mysterien  zwar 
einen  Anknüpfungs-,  aber  nicht  den  Ausgangspunkt  gehabt  habe, 
auch  nicht  aus  der  griechischen  Philosophie  stamme ,  die  zwar 
iCVQ,  aber  nicht  q>wg  als  Gleichnis  für  Seele  und  Leben  verwende, 
endlich  auch  nicht  spontan  entstanden  sei,  vielmehr  im  Hellenismus 
wie  in  Mandäismus  und  Manichäismus  schließlich  auf  babylonische 
Vorstellungen  zurückgehe,  und  daß  auch  die  orientalische  Astrologie 
mitgewirkt  zu  haben  scheine.  Am  Schluß  wird  eine  zusammen- 
fassende Übersicht  über  hellenistische  Frömmigkeit  gegeben,  —  Gegen 
einen  Teil  dieser  Aufstellungen  erhebt  Nilßon  GGA,  1916,  42  ff'. 
Einwendungen. 

1916.  Die  Wechselwirkung  von  Philosophie  und  Religion  im 
Hellenismus  schildert  R.  Reitzen stein,  Hist.  monach.  u.  hist. 
Laus.  (Forsch,  zur  Relig.  u.  Literat,  des  A  u.  NT  II  7,  1916), 
S.  235  ff. 

3)  Römische  Religion  iui  allgemeiuen  und  in  der 
republikanischen  Zeit. 

1906.  J.B.Carter,  The  Religion  ofNuma  and  other  Essays 
on  the  Religion  of  Ancient  Rome,  London,  unterscheidet  in  der  Ent- 
wicklung der  römischen  Religion  fünf  Abschnitte,  von  denen  der  erste 
die  Religion  Numas,  die  ältesten  römischen  Kulte,  die  di  Indigetes,  ent- 
hält, der  zweite  die  in  der  zweiten  Hälfte  der  Königszeit  namentlich 
unter  Servius  aufgenommenen  latinischen  Götter,  die  Novensides.  Der 
dritte  Abschnitt  soll  die  Wirkung  der  sibyllinischen  Bücher  während 
der  ersten  800  Jahre  der  Republik  zeigen.  Auf  Anregungen  dieser 
Orakel  hin  werden  bald  nach  dem  Sturze  des  Königtums  mehrere 
Götter  aus  den  unteritalischen  Städten  und  selbst  aus  Epidauros  ge- 
holt; nach  längerer  Zwischenzeit  folgte  205,4  die  Einholung  der 
großen  Göttermutter,  deren  Dienst  nach  Carter  mehr  zur  Zerstörung 
der  römischen  Religion  beitrug  als  alle  übrigen  fremden  Gottheiten 
zusammengenommen  (?).  Der  vierte  Abschnitt  enthält  den  Verfall 
der  römischen  Religion  während  der  letzten  beiden  Jahrhunderte 
der  Republik,  von  denen  jedes  nach  Carter  einen  besonderen 
Charakter   trägt.     Im  2.  Jh.  v.  Chr.  bekämpfte  der  Staat  noch  die 

5* 


gy  Römische  Religionsgeschichte. 

auf  deu  Sturz  der  Staatsreligiou  gerichteten  Bestrebungen  der  ein- 
dringenden orgiastischen  Dienste  des  Dion^'sos  (118)  und  der 
Gottheiten  des  Morgenlandes ,  sowie  den  philosophischen  Skepti- 
zismus (106  f.),  im  1.  ,Ih.  gab  der  in  die  Hände  von  Parteiführern 
geratene  Staat  diesen  Kampf  (127)  auf  Der  letzte  Abschnitt  der 
römischen  Religionsgeschichte ,  der  von  Carter  behandelt  wird 
(14t>ff.)'  enthält  die  P]rneuerung  der  Religion  durch  Augustus, 
dessen  Bedeutung  als  Mensch  und  Staatsmann  er  weit  höher  ein- 
schätzt als  z.  B.  Mommsen.  —  Von  Einzelheiten  sei  hervorgehoben, 
daß  Carter  (42)  den  etruskischen  Einfluß  auf  Rom  sehr  gering 
bewertet.  Die  Templumlehre  sogar  soll  allgemein  itahsch  gewesen 
sein.  Er  erklärt  die  Geringfügigkeit  der  Einwirkung  von  Seiten  der 
etruskischen  Kultur  daraus,  daß  diese  nur  durch  äußere  Einflüsse 
begünstigt,  nicht  innerlich  entwickelt  und  gefestigt  war,  und  daß 
das  aufstrebende  Rom  instinktiv  das  etruskische  Gift  von  sich  wies. 
Daß  die  sibyllinischen  Bücher  nach  Rom  erst  in  der  republi- 
kanischen Zeit  gelangten,  wird  daraus  erschlossen,  daß  ihre  Auf- 
seher, die  duumviri  sacris  faciundis  im  Titel  an  den  republikanischen 
Kommissionen  eine  Parallele  haben  (66) ;  sie  sollen  aus  dem  Dienst 
des  ApoUon  von  Cumae  stammen ,  der  selbst  schon  vorher  als 
Heilgott  nach  Rom  übernommen  war.  Griechische  Götter  sollen 
erst  im  zweiten  punischen  Krieg  innerhalb  des  Pomeriums  auf- 
genommen sein  (95).  Den  Formalismus  der  römischen  Religion 
hat  Carter,  wie  Mars  hall,  Class.  Rev.  XX,  1906,  332  m.  R. 
hervorhebt,  übei'schätzt,  zu  sehr  betont  er  m.  E.  die  politische  Be. 
deutung  der  priesterlichen  Beamten ,  die  suUanischen  Reformen 
(128)  und  die  nach  Carter  hauptsächlich  durch  sie  verursachte 
Politisierung  des  Priestertums,  sowie  die  damit  zusammenhängende 
zunehmende  Unkenntnis  der  priesterlichen  Überlieferung,  der  u.  a. 
auch  die  Unordnung  des  Kalenders  zugeschrieben  wird  (132).  Die 
mißbräuchliche  politische  Verwendung  der  Religion  soll  ihr  den 
Gnadenstoß  gegeben  haben. 

1907.  H.  Wolf,  Die  Religion  der  alten  Römer,  Gymnasial- 
Bibliothek  42,  Gütersloh,  schließt  sich  im  ganzen  m.  R.  an  "Wissowas 
Darstellung  an. 

1909.  A.  v.  Dom  aszewski ,  Abhandlungen  zur  römischen 
Rehgion.  mit  2G  Abbildungen  im  Text  und  einer  Tafel,  Leipzig, 
enthält,  nach  der  Zeit  des  Erscheinens  geordnet,  und  fast  un- 
verändert, 24  Abhandlungen,  von  denen  gerade  die  Hälfte  in  die 
Berichtsperiode  fällt.  Sie  werden,  da  sie  nicht  von  einem  gemein- 
samen Gesichtspunkt  aus  vfrfaßt  oder  zusammengestellt  sind,  einzeln 


Römische  ßeligionsgeschichte.  69 

besprochen  werden,  soweit  als  es  im  verengten  Rahmen  dieses  Be- 
richtes noch  möglich  ist. 

1911.  W.  Warde  Fowler  bezeichnet  sich  in  The  Religious 
Experience  of  the  Roman  People  from  the  earliest  times  to  the 
age  of  Augustus  (Gifford  Lectures  1909/10,  Edinb.),  London,  als 
Anhänger  Wissowas,  von  dem  er  z.  B.  die  Auslegung  der  dii  Indigites 
und  Novensides  übernimmt,  gibt  aber  mehr  Religionsvergleichung, 
darunter  auch  zahlreiche  Parallelen  aus  den  Religionen  der  primi- 
tiven Völker,  und  betont  im  Gegensatz  zu  dem  deutschen  Forscher, 
der  seine  einseitige  Hervorhebung  des  Pontifikalrechtes  damit  recht- 
fertigt, daß  er  die  Religion  vom  römischen  Gesichtspunkte  aus 
betrachte,  die  religiöse  Bedeutung  des  römischen  Gottesdienstes, 
worunter  er  mit  Ira  W,  Howerth  the  effective  desire  to  be  in  right 
relation  to  the  Power  manifesting  itself  in  the  universe  versteht. 
Wie  alle  Religion  soll  auch  die  römische  ihren  Ursprung  in  einem 
besonderen,  im  Herzen  des  Volkes  nie  ausstei'benden  (329)  Instinkt, 
der  Furcht  vor  dem  Unbekannten ,  und  dem  Abhängigkeitsgefühl 
gehabt  und  die  Pax  deorum,  d.  h.  die  Vermeidung  alles  den  Göttern 
Mißfälligen  bezweckt  haben.  Natürlich  steht  es  jedem  frei,  die 
überlieferten  Ausdrücke  so  zu  verwenden ,  wie  er  es  für  passend 
hält,  vorausgesetzt,  daß  er  den  ihnen  beigelegten  Sinn  klarmacht; 
aber  die  willkürliche  Zusammenfassung  und  Sonderung  von  Vor- 
stellungen führt  unbewußt  zu  der  Auffassung,  daß  das  in  der  Be- 
zeichnung Vereinigte  und  Getrennte  auch  in  Wirklichkeit  zusammen- 
hänge oder  nicht  zusammenhänge.  Daß  Fowlers  Begi-iffsbe Stimmung 
nicht  zweckmäßig  ist,  ergibt  sich  aus  den  Folgerungen,  zu  denen 
sie  ihn  führt.  Er  muß  den  Ursprung  der  Religion  aus  der  Magie 
bestreiten  (253),  aber  andererseits  doch  zugeben,  daß  sich  in  der 
Religion  der  Römer  und  auch  anderer  Italiker  zahlreiche  Reste  von 
Zauberei,  z.  B.  (208)  im  Lied  der  Arvalbrüder  und  in  dem  iguvinischen 
Gebet  an  luppiter  Grabovius  (186  ff.),  bei  der  Devotion  des  Decius  und 
(210)  der  Sühne  durch  das  februum  finden.  Das  scheint  mir  ein  Wider- 
spruch. Gewiß  stehen  diese  und  viele  ähnliche  Begehungen  in  offen- 
barem Gegensatz  zu  andern  Bestandteilen  der  römischen  Religion, 
aber  deshalb  dürfen  sie  nicht  aus  ihr,  von  der  sie  einen  großen, 
vielleicht  den  größeren  Bestandteil  bilden,  ausgeschieden  und  noch 
weniger  darf  diese  auch  ihrem  Ursprung  nach  von  der  Magie  ganz 
getrennt  werden.  Indem  Fowler  einen  möglichst  erhabenen  Begriff 
von  der  Religion  durchzuführen,  andererseits  aber  auch  die  römische 
Kultur  zu  idealisieren  sucht,  widerspricht  er  aber  auch  seinen 
anthropologischen  Neigungen.    Er  ist  m.  R.  bestrebt,  die  römischen 


70  Römische  Religionsgeschichte. 

Kulte  in  die  allgemeine  Religionsgeschichte  einzuordnen ;  aber  ehe 
Vergleiche  mit  den  Riten  entfernter  primitiver  Völker  gezogen 
werden ,  empfiehlt  es  sich ,  wie  mir  scheint ,  das  Verhältnis  dei- 
römischen  Religion  zu  denen  der  Völker  ins  Auge  zu  lassen,  die 
in  ihrer  Gesamtkultur  den  Römern  am  nächsten  stehen.  Da  erheben 
sich  Fragen,  auf  die  Fowlcr  die  Antwort  schuldig  bleibt,  z.  B.  die, 
wie  die  Römer  zu  ihrem  verwickelten  System  der  Indigites  kamen, 
wenn  sie  doch  in  der  Bezeichnung  der  Götter  als  der  Himmlischen 
oder  der  Glänzenden,  die  auf  eine  Verehrung  der  Sterne  schließen 
läßt,  und  in  der  Verehrung  des  Himmels  als  Vater  und  der  Erde 
als  Mutter  mit  den  Griechen  übereinstimmten.  Die  Frage  wird 
noch  schwieriger,  wenn,  wofür  m.  E.  vieles  spricht,  beide  Be- 
zeichnungen von  den  Römern  nicht  aus  der  indogermanischen  Heimat 
mitgebracht,  sondern  ihnen  von  außen  zugeführt  sind  (o.  S.  41).  Der 
Einfluß  fremder,  besonders  griechischer  Kultur  ist  dann  viel  früher 
anzusetzen,  als  es  Fowler  tut.  Dann  hält  er  (109)  nicht  m.  R. 
die  Religion  des  latinischen  Landmanns  für  ein  organisches  Ge- 
wächs, das  in  jedem  Punkte  den  ihm  bei  seiner  Arbeit  begegnenden 
Gefahren  entsprach  und  das  erst  im  Stadtstaat  seinen  Sinn  teil- 
weise verlor.  Vielmehr  ist  die  römische  Religion  seit  ältester  Zeit 
gewissermaßen  ein  Sammelbecken,  in  das  nicht  wenige  Ströme, 
verschieden  ihrem  Ursprung  und  ihrer  Art  nach,  zusammengeflossen 
sind.  Natürlich  herrschen  von  Anfang  an  gewisse  Grundgedanken 
vor,  aber  auch  wo  sie  sich  mangels  ausreichender  Überlieferung 
durchführen  lassen,  ist  dies  prinzipiell  nicht  richtig.  Im  Gegensatz 
zu  Frazer  und  Cook,  aber  in  Übereinstimmung  mit  Wissowa,  Aust, 
Carter  u.  aa.  hebt  Fowler  hervor,  daß  die  ältesten  römischen 
Götter  ohne  bestimmte  Gestalt  und  hinsichtlich  ihres  Geschlechtes 
nur  80  weit  bestimmt  waren,  als  die  Namensform  einen  Anhalt  bot : 
so  soll  sich  die  Formel  sive  deus  sive  dea  erklären.  Ehen  zwischen 
Gottheiten  werden  bestritten.  Nerio  Martis  soll  eine  Eigenschaff 
(\'irtus)  des  Mars  bezeichnen  und  so  zu  fassen  sein  wie  Virites 
Quirini.  (Vgl.  v.  Domaszewski,  Abb.  z,  römischen  Relig. 
105  und  u.  {S.  76)).  Ohne  die  Einwirkung  griechischer  Vor- 
.steUungen  hätte  sich  aus  der  altrömischen  Religion  ein  poly- 
theistisches System  persönlicher  Götter  nach  Fowler  nicht  ent- 
wickeln können;  luppiter  und  Terra  mater  sind,  wie  er  meint  (157), 
nur  figürlich,  und  zwar  mit  Beziehung  auf  ihre  Verehrer  zu  verstehen. 
Es  gab  (145)  im  ältesten  Stadtstaat  adjektivisch  benannte  Numina 
(Satumus,  Vertumnus  usw.),  die  über  die  Vorgänge  in  der  Natur 
und  im  Menschenleben  walteten,  und  substantivisch  benannte  (z.  B. 


ßömische  Religionsgeachichte.  71 

Tellus ,  Robigus ,  Terminus),  die  in  den  Dingen  selbst  gedacht 
wurden.  Aus  ihrer  Zahl  waren  ein  paar  (lanus,  luppiter,  Mars, 
Quirinus ,  Vesta  und  vielleicht  einige  andere)  herausgehoben ,  die 
besondere  Priester  oder  wenigstens  Feste  und  heilige  Stätten  hatten 
und  im  Begriff  waren,  persönliche  Götter  zu  werden;  Statuen  und 
Tempel  aber  gab  es  noch  nicht,  erst  der  etruskische  Capitolinus- 
tempel  führte  die  Sitte  ein. 

Während  Fowler  (200)  das  magische  Element  der  römischen 
Religion  möglichst  gering  anschlägt  und  auch  das  Opfer  nicht  mit 
Mommsen  als  eine  Art  Kaufmannsgeschäft  ansieht,  vielmehr  glaubt, 
daß  immer  eine  gewisse  Dankbarkeit  vorhanden  war ,  wenn  der 
Gott  das  Gelübde  erfüllte  (202),  das  mehr  eine  einseitige  Bindung 
der  Gemeinde  enthalten  habe,  will  Deubner,  Zur  Entwicklungs- 
geschichte der  altrömischen  Religion  (Vortrag  im  deutschen  Arch. 
Instit.  zu  Rom,  Neue  Jahrbb.  XXVII,  1911,  321)  nachweisen,  daß 
zahlreiche  Gottheiten  aus  Zauberriten  erwachsen  sind.  Zunächst 
gebrauchte  man  Magie,  Reinigungen  und  apotropäische  Maßregeln, 
mit  denen  man  sich  selbst  half,  ohne  auf  die  Hilfe  der  Götter  zu 
rechnen:  erst  später  rief  man  diese  an.  So  wurde  Mars  nach 
Deubner  in  die  Armilustria  eingeführt,  an  denen  ursprünglich  die 
Waifen  des  ganzen  Volkes  gereinigt  wurden,  und  erst  später  trat 
mit  dem  Anwachsen  der  Gemeinde  eine  83'mbolische  Reinigung 
durch  die  Salier  ein ;  das  Pferderennen  der  Equirria  und  am 
15.  Oktober  soUte  die  Rosse  durch  schnelle  Bewegung  reinigen: 
auch  hier  ist  Mars ,  dem  später  der  equus  October  geschlachtet 
wurde,  nach  Deubner  erst  nachträglich  hinzugefügt.  Die  Saturnaha 
und  die  Divalia  sollen  alte  Neujahrsfeste  gewesen  sein,  die  Kerzen, 
mit  denen  man  sich  an  den  ersteren  beschenkte,  den  Zweck  gehabt 
haben,  dem  Wiederaufstieg  der  Sonne  zu  Hilfe  zu  kommen.  Bei 
den  Suovetaurilia  genügte,  wie  der  Vortragende  meint,  ursprünglich 
die  Umführung  zur  Reinigung-,  erst  später  wurden  die  Tiere  dem 
Mars  geschlachtet.  Überhaupt  stammen  (S.  331)  die  Feste,  die 
nach  Riten  heißen,  also  z.  B.  auch  die  Lupercalia  und  Ambarvalia 
meist  aus  einer  Zeit ,  wo  es  die  später  an  ihnen  verehrten  Gott- 
heiten noch  nicht  gab.  Strenia  ist  aus  dem  Gebrauch  der  Strenae 
erwachsen,  Pilumnus,  Intercidona  und  Deverra  stammen  aus  Riten, 
die  man  bei  der  Geburt  eines  Kindes  vornahm  (332  f.),  Anna 
Perenna  aus  der  Segensformel  ut  annare  perannareque  commode 
liceret.  Als  das  Opfer  hinzutrat,  fand  eine  Art  Verbindung  dieses 
mit  dem  Zauber  in  der  Weise  statt,  daß  die  Opfertiere  an  der 
Ausübung  des  Zaubers  teilnahmen.  —  Auch  wer  mit  dem  Vf.  und 


72  Römische  Religionsgeschiohte. 

dem  BerichterstÄtter  überzeugt  ist ,  daß  wie  bei  andern  ^'^ölkern 
so  auch  bei  den  Römern  viele  Götter  aus  Riten  hervorgegangen- 
und  diese  im  Prinzip  älter  sind  als  jene,  wird  doch  zweifeln  dürfen, 
ob  Deubners  Beweisgründe  genügen ,  die  von  ihm  angenommene 
Entwicklung  auch  in  allen  einzelnen  von  ihm  angeführten  Fällen 
wahrscheinlich  zu  machen.  Die  Entstehung  der  römischen  Religion 
ist  nichts  Originales,  zahlreiche  Bausteine  aus  früheren  Bildungen 
sind  bei  ihrem  Aufbau  mitverwendet  worden ,  und  nur  mit  den 
Mitteln  der  Geschichtsforschung,  d.  h.  durch  sorgfältige  Kritik  und 
Kombination  der  dürftigen  Zeugnisse ,  nicht  durch  begriflfliche 
Konstruktionen  können  wir  hoffen,  ein  Bild  von  ihrer  Entstehung 
zu  gewinnen. 

1912  erschien  die  zweite  Auflage  von  G.  Wissowas  Rehgion 
und  Kultus  der  Römer  (vgl.  o.  Bd.  137,  Suppl.  1908,  S.  103  ff.). 
In  seiner  Grundanlage  ist  das  bewährte  Buch  unverändert  geblieben ; 
das  werden  auch  diejenigen  billigen ,  die  mit  dem  Berichterstatter 
die  von  Wissowa  aufgestellten  Kennzeichen  für  die  ältesten  Kulte, 
die  Priesterliste  und  die  älteste  Festtafel,  für  trügerisch  und  des- 
halb seine  scheinbar  so  fest  gefügten  und  vielfach  anerkannten 
Konstruktionen  der  römischen  Geschichte  für  unsicher  halten  und 
die  der  Meinung  sind ,  daß  nicht  alle  der  Forschung  gestellte 
Probleme  gelöst  werden  können,  solange  die  römische  Religion 
nur  mit  den  Augen  des  Römers  angeschaut  wird.  Die  Rücksicht 
auf  diese  Erwägungen  hätte  größere  Umformungen  nötig  gemacht, 
bei  denen  die  Hauptvorzüge  des  Buches  wahrscheinlich  Einbuße 
erlitten  hätten.  Im  einzelnen  aber  ist  es  durchaus  verjüngt  worden, 
die  zahlreichen  seit  der  ersten  Auflage  erschienenen ,  großenteils 
durch  Wissowa  selbst  angeregten  Untersuchungen  sind  sorgfältig 
geprüft  und  in  einer  fast  immer  zu  billigenden  Auswahl  vorgelegt 
worden ,  wobei  Wissowa  nicht  selten  eigene  frtihere  Vermutungen 
zurücknimmt.  S.  41  gibt  er  Usener  zuliebe  den  giüechischen  Ur- 
sprung der  capitolinischen  Trias  preis,  wie  mir  scheint,  nicht  m.  R. 
Zeus,  Hera  und  Athena  sind  keineswegs  bloß  im  phokischen  Rat- 
haus vereinigt  gewesen ;  inschriftlich  ist  diese  Kultgenossenschaft 
jetzt  an  vielen  Stellen  bezeugt,  und  nicht  überall  läßt  sich  Nach- 
ahmung des  römischen  Kultus  annehmen.  Im  athenischen  Rathaus 
stand  nicht  nur  Zeus  BovXatog  neben  Athena  Bovlaia  (Antiph. 
6,  45),  sondern  es  wurde  dort  auch  Hera  ßovXaia  verehrt  (Wilhelm, 
Beitr.  zur  griech.  Inschriftenk.  44).  Wahrscheinlich  geht  diese  Zu- 
sammenstellung darauf  zurück,  daß  Pheidon  in  dem  Ratszimmer 
seiner  Burg  Larisa    diesen    drei  Gottheiten,    deren  Kult  er  überall 


Römische  Religionsgeschichte.  73 

begünstigte,  geopfert  hat.  Vermutlich  hat  schon  er  die  Trias,  ver- 
breitet, z.  B.  nach  Ki-isa,  wo  in  einer  der  ältesten  erhaltenen 
griechischen  Inschriften  (IGA  1,  Sitzungsber.  BAW,  1887,  704) 
neben  Athena  und  Hera  m.  E.  nur  J{iJ^i)  ergänzt  werden  kann. 
Von  Krisa  aus  wird  schließlich  der  jüngere  phokische  Bund  die 
Trias  empfangen  haben. 

1914.  Laing,  Proceed.  Amer.  Philol.  Soc.  45,  1914,  S.  XXI 
untei'sucht  den  bürgerlichen  Stand  der  Dedikanten  auf  den  römischen 
Weihinschriften  an  luppiter,  Silvanus,  Hercules  und  den  Genius. 
Die  meisten  Freigelassenen  finden  sich  bei  Silvanus  und  Hercules 
(auch  Herakles  erscheint  bisweilen  als  Gott  der  Freigelassenen, 
Pauly-Wissowa-KroU  E.E.  Suppl.  III,  S.  955,  19  ff.),  unverhältnis- 
mäßig viel  Sklaven  bei  Silvanus. 

1915.  Wissowas  Aufsatz  Die  i'ömischen  Staatspriestertümer 
altlatinischer  Gemeindekulte,  Herm.  L,  1  flf.,  behandelt  im  wesent- 
Hchen  —  sich  meist  gegen  A,  Rosenberg  wendend  —  das  Ver- 
hältnis Roms  zu  den  latinischen  Gemeinden.  Im  Gegensatz  zu 
seinen  früheren  Aufstellungen,  in  denen  er  Mommsen  gefolgt  war, 
stellt  sich  Wissowa  (24  ff.)  in  der  Frage  der  Laurentes  jetzt  auf 
die  Seite  Dessaus.  Auch  Rosenbergs  Erwiderung  (ebd.  416  ff.) 
eröi'tert  hauptsächlich  staatsrechtliche  Fragen.  Die  Laurentes 
Lavinates  sind  ihm  eine  fiktive  Gemeinde ,  die  tatsächlich  aus 
römischen  Rittern  besteht,  aber  eine  eigene  respublica  bildet  und 
eigene  Priester  hat. 

Neben  diesen  die  römische  Rehgion  in  ihrer  Gesamtheit  oder 
wenigstens  in  ihren  wichtigsten  Epochen  darstellenden  Untersuchungen 
ist  einiger  Arbeiten  zu  gedenken,  die  einzelne  Probleme  heraus- 
greifen. Die  wichtigste  Frage,  welche  die  römische  Religion  dem 
Forscher  stellt,  betrifft  den  bereits  bei  der  Besprechung  von  Fowlers 
Buch  berührten  Punkt,  in  dem  sich  die  römische  Götterwelt  am  stärksten 
von  allen  übrigen  scheidet :  die  Überzahl  unpersönlicher  Götter,  die 
teils  nach  menschlichem  Tun  und  Leiden  oder  nach  Naturvorgängen, 
teils  aber  nach  dem  Ort  oder  der  Zeit  ihrer  Betätigung  benannt  sind, 
und  die  zu  ihnen  im  Gegensatz  stehende,  aber  doch  mit  ihnen  auch 
verbundene  Zahl  ausgewählter  persönlicher  Götter.  Es  fragt  sich,  wie 
weit  dieser  Gegensatz ,  zu  dem  der  weitere ,  sich  mit  ihm  nicht 
deckende  der  dei  certi  und  incerti  kommt,  in  der  ReHgion  selbst 
ursprünglich  oder  in  sie  erst  nachträglich  durch  Sakralrechtslehrer 
und  Altertumsforscher  hineingetragen  ist.  Diese  Frage  ist  um  so 
dringlicher,  als  die  Listen  der  unpersönhchen  Götter,  der  Indigita- 
menta,    eine    Vollständigkeit    und    Gleichartigkeit    der    Systematik 


74  Römische  Religionsgeschichte. 

zeigen,  die  bei  der  Entstehung  schon  der  ältesten  römischen  Götter- 
weit  durch  das  Zusammenströmen  von  Kulten  aus  verschiedenen, 
darunter  auch  aus  etruskischeu  Städten,  und  zwar  von  Kulten,  die 
z.  T.  auf  weiteutlegene  Entstehungsstätten  zurückgehen,  nicht  zu 
erwarten  ist.  Dies  spricht  gegen  Usener,  der  diese  die  römische 
Relicion  von  allen  andern  unterscheidende  Menge  von  „Augenblicks-" 
und  Sondergüttern"  daraus  zu  erklären  versuchte,  daß  er  in  ihnen 
eine  für  das  ursprüngliche  religiöse  Denken  normale ,  bei  den 
Griechen  melir  oder  weniger  überwundene,  aber  auch  noch,  wie  er 
irri<T  meinte,  bei  den  Litauern  ziemlich  bestimmt  nachweisbare  Stufe 
sah.  Im  Anschluß  an  ihn  suchte  A.  v.  Domasze wski',  der  be- 
reits in  der  Festschrift  für  0.  Hirschfeld  (Ges.  Abh.  104  ff.)  die 
Eicenschaftsgötter  der  altrömischen  Religion  behandelt  hatte  (o. 
Bd.  137,  19u8,  Suppl.  295),  im  Arch.  f.  Religionsw.  X,  1907,  1  ff. 
(Ges.  Abh.  155  ff.)  über  die  dei  certi  und  incerti  ins  klare  zu 
kommen.  Während  Wissowa,  Ges.  Abh.  308,  in  Varros  dei  certi 
solche  Götter  sah,  von  deren  Wesen  der  Altertumsforscher  Sicher- 
heit hatte,  folgert  v.  Domaszewski  aus  Liv.  27,  25,  9,  daß  dei  certi 
ein  fester  Begriff  des  römischen  Sakralrechtes  waren,  der  alle  die- 
jenigen sicher  zu  erfassenden  Götter  umschloß,  von  denen  eine  be- 
stimmte Wirkung  auszugehen  schien  (Ges.  Abh.  1G7).  Hierin  wird 
er  recht  haben,  nicht  aber,  wenn  er  vier  Klassen  römischer  Gott- 
heiten unterscheidet,  die,  wenn  ich  ihn  recht  verstehe,  nacheinander 
entstanden  sein ,  aber  nebeneinander  bestanden  haben  sollen :  die 
Augenblicksgötter  der  Indigitamenta ,  die  festumgrenzten  Einzel- 
numina  von  dauernder  Wirkung,  „das  ausgebreitete  Numen,  das 
mancherlei  Wirkungen  äußert,  aber  keine  Persönlichkeit  gewinnt, 
endlich  den  persönlichen  deus  mit  seinen  Eigenschaften.  Zwar 
lassen  sich  die  römischen  Götter  —  Übergänge  zugegeben  — 
in  diese  Klassen  einteilen,  aber  daß  diese  begriffliche  Entwicklung 
zugleich  die  geschichtliche  gewesen  sei ,  darf  nicht  vorausgesetzt 
werden.  In  neuerer  Zeit  pflegt  man  dies  Problem  der  römischen  Religion 
in  anderer  Weise  zu  lösen.  Schon  Wissowa  hatte  Useners  Theorie 
von  den  Sondergöttern,  was  die  römische  Religion  anbetrifft,  großen- 
teils den  Boden  durch  seine  Kritik  der  Varronischen  Indigitamental- 
liste  entzogen;  Farn  eil,  Anthrop.  Ess.  present.  to  Tylor  1907, 
S.  81  ff.  weist  sie  zurück,  und  Warde  Fowler,  Class.  Rev.  XXIII, 
1909,  2G2  bekämpft  auch  die  auf  ihr  beruhenden  Folgerungen 
V.  Domaszewski 8.  Zwar  versucht  noch  Stolz,  Arch.  f.  lat. 
Lexikogr.  X.  151  Varros  Deutungen  der  Indigitamentalgötter  mit 
den  Mitteln  der  neueren  Sprachforschung  zu  begründen.  Aber  schon 


Römische  Religionsgeschichte.  75 

W.  Schulze,  Zur  Gesch.  lat.  Eigenn.  165  ff.  hatte  zahlreiche  Be- 
ziehungen zwischen  Gentil-  und  Gottesnanien  aufgedeckt,  und 
W.  Otto,  Rhein.  Mus.  LXIV,  1909,  449  tf.  weist  auf  zahlreiche 
Indigitamentalnamen  Varros  hin ,  die ,  wie  er  meint ,  ursprünglich 
fingierte  Heroen  bekannter  Familien  bezeichnet  haben  müssen  wie 
(453)  Caeculus  (Caecilii),  (455)  Edusa,  Potina,  Statilinus,  (456) 
Rusina  (Rusius ,  Rusinius)  Volutina  (Velutius),  (457)  Volumnus, 
Manturnus  (Mantronius  usw.),  (458)  Venilia,  (459)  Carna,  (465) 
Tarpeia,  Laverna.  Die  Übereinstimmung  der  Namen  von  Göttern 
und  Geschlechtern  beweist  nun  zwar  nicht  ohne  weiteres,  daß  jene 
nach  diesen  genannt  waren  oder  mit  ihnen  auch  nur  in  unmittel- 
barer Beziehung  standen,  sie  kann  sich  vielmehr  auf  verschiedene 
Weise,  z.  B.  auch  daraus  erklären,  daß  die  geus  nach  einem  Ort 
und  dieser  nach  dem  Gott  hieß ;  aber  da  die  Geschlechter  nicht 
nach  den  Göttern  heißen  können ,  wie  sie  Varros  Liste  aufgestellt 
hatte,  versagt  sein  Erklärungsprinzip  in  so  vielen  Fällen ,  daß  es 
nicht  als  auf  ältester  Überlieferung  beruhend  angesehen  werden 
kann.  Nach  Fowler,  Relig.  Exp.  Rom.  People  159  waren 
die  Indigitamenta  priesterliche  Anweisungen  zur  richtigen  An- 
rufung der  Götter,  Van-o  soll  die  Liste  aus  einzelnen  Gebets- 
formularen gesammelt  und  falsche  Etymologien  hinzugefügt, 
Tertulhan  obenein  die  Varronische  Lehre  verfälscht  haben;  doch 
war  nach  Fowler  die  zugrunde  liegende  Vorstellung,  daß  das 
Göttliche  sich  nicht  bloß  in  belebten  und  unbelebten  Gescen- 
ständen ,  sondern  auch  in  Handlungen  und  Abstraktionen  zeige, 
schon  in  der  Volksreligion  gegeben.  —  In  einem  späteren  Auf- 
satz,  Wiener  Stud.  XXXIV,  1912,  318  ff.  versucht  Otto  in 
mehreren  römischen  Gottheiten  Ahnenseelen  wirklicher  Menschen 
und  Geschlechter  nachzuweisen.  —  Wenigstens  etwas  von  den 
Indigitamentalgöttem  sucht  Rose,  Italian  „Sondergötter",  Journ. 
Rom.  Stud.  III,  1913,  233  ff.,  zu  retten.  Er  gibt  Farnell  {0.  S.  ?4y 
und  Wissowa  (Ges.  Abh.  304  ff.)  zwar  zu ,  daß  die  langen 
Listen  Varros  durch  künstliche  Konstruktionen  gewonnen  sind, 
glaabt  aber,  daß  es  daneben  echte  volkstümliche  Sondergötter, 
Reste  eines  älteren  Religionsstratums  gab.  Es  werden  namentlich 
diejenigen  Gottheiten  besprochen,  die  einer  menschlichen  Tätigkeit 
vorstehen.  —  Das  Urteil  über  die  Indigitamenta  geht  demnach  noch 
weit  auseinander,  aber  als  allgemeines  Ergebnis  läßt  sich  schon 
jetzt  bezeichnen ,  daß  der  Wert  der  Varronischen  Verzeichnisse, 
auch  wenn  sie  in  der  Pontifikallehre  eine  Stütze  haben,  herab- 
gemindert und  damit  die  Kluft,    welche  die  römische  Religion  von 


76  Römische  Religionsgeschichte  und  Sage. 

andern  antiken  zu  trennen  schien ,  teilweis  ausgefüllt  ist.  Viele 
der  nur  begrifflich  bestimmten  römischen  Götter  haben  ihre  Persön- 
lichkeit vielleicht  erst  nachträglich  verloren  infolge  der  Umdeutung 
ihres  unverständlich  gewordenen  Namens ,  der  Lösung  von  ihrer 
ursprünglichen  Kultstätte  und  der  Übernahme  in  die  römische 
Rehgion,  die  der  Ausprägung  göttlicher  Persönlichkeiten  nicht  günstig 
war ,  weil  die  Dichter  erst  spät  anfingen ,  auch  um  die  römischen 
Götter  Mythen  zu  weben.  So  notwendig  es  war,  daß  zunächst  die 
Theorien  der  römischen  Saki'alrechtslehrer  und  der  Antiquare  fest- 
gestellt wurden,  so  ist  ein  volles  Verständnis  der  römischen  Religion 
erst  möglich,  wenn  jene  Theorien  überwunden  sind. 

Wir  kommen  damit  auf  die  römischen  Sagen,  mit  denen 
sich  die  Forschung  wie  gewöhnlich  so  auch  in  den  letzten  12  Jahren 
weniger  als  mit  den  Kulten  der  Römer  befaßt  hat.  Jene  werden 
meist  als  späte ,  der  ursprünglichen  Auffassung  widersprechende 
Erfindungen  betrachtet.  Eine  Ausnahme  bildet  E.  Siecke,  der 
an  mehreren  Stellen  seines  Buches  Götterattribute  und  sog.  Symb. 
(z.  B.  S,  78)  sich  gegen  die  Auffassung  wendet,  daß  die  von  den 
römischen  Göttern  erzählten  Mythen  nicht  echt  italisch  sein  können. 
Diese  Stellungnahme  erklärt  sich  aus  der  Leichtigkeit,  mit  der  die 
von  ihm  und  seinen  Anhängern  angewendete  Methode  die  Erklärung- 
aller  Mythen  aus  dem  von  ihm  als  „uralt  arisch"  betrachteten 
Mond-  „und  dem  damit  bis  zu  einem  gewissen  Grad  untrennbar 
verbundenen  Sonnenkultus"  (118)  gestattet.  Dagegen  sprechen 
Carter,  Fowler  und  Wissowa,  wie  bereits  erwähnt  wurde  (o.  S.  70)y 
den  Römern  sogar  Götterehen  ab,  wogegen  F  r  a  z  e  r ,  Adonis,  Attis, 
Osiris  (Golden  Bough  IVn^,  230  ff.)  mit  ausführlicher  Begründung 
und  in  einzelnen  Fällen  mit  Glück  ankämpft.  Die  Sache  scheint 
mir  so  zu  liegen ,  daß  die  römischen  Götter  nach  der  sakralrecht- 
lichen Theorie  ehelos  sein  sollten  und  im  allgemeinen  auch  waren^ 
daß  dies  aber  erst  nachträglich  und  nie  restlos  durchgeführt  ist. 
Die  bekannte  Stelle,  wonach  Varro  den  alten  Römern  ausdrücklich 
Götterehen  zuschrieb  (Aug.  c.  d.  IV,  32),  glaubt  Reid,  Journ. 
Rom.  Stud.  II,  1912,  45  m.  E.  nicht  m.  R.  durch  die  Annahme  be- 
seitigen zu  können,  daß  Varro  schrieb  maiores  mei  und  damit  seine 
literarischen  Vorgänger  meinte.  —  Wie  der  Göttermythos,  so  pflegt 
auch  das,  was  die  Römer  von  den  Helden  ihrer  fernen  Vergangenheit 
zu  erzählen  wußten ,  als  unechte  Sage  der  griechischen  entgegen- 
gestellt und  deshalb  gering  geschätzt  zu  werden ,  wobei  unbewußt 
die  früher  allgemein  verbreitete  Anschauung  mitwirkt,  daß  die 
griechische    Heldensage    eine    von    den    Dichtem    nur   aufgegriffene 


Römische  Sage.  77 

Schöpfung  der  Volksphantasie,  nicht  von  den  Dichtern  selbst,  von 
denen  jeder  auf  Erfindungen  seiner  Vorgänger  weiter  baute ,  ge- 
schaffen sei.  Dem  gegenüber  schien  die  römische  Sage,  weil  sie 
vorzugsweise  von  Geschichtschreibern  überliefert  wird,  auch  ein 
Werk  dieser  zu  sein;  noch  in  neuester  Zeit  hat  Ettore  Pais,  der 
früher  einen  starken  poetischen  und  auch  religiösen  Gehalt  in  der 
römischen  Sage  gesucht  und  sogar  z.  T.  auf  Niebuhrs  Annahme 
einer  volkstümlichen  Sage  zurückgegriffen  hatte,  diese  jetzt  in  seiner 
Storia  critica  di  Roma  1913  großenteils  auf  Erfindungen  helle- 
nistischer Schriftsteller  und  römischer  Annalisten  zurückgeführt. 
Gewiß  haben  auch  diese  einen  Anteil  an  ihr-,  aber  andererseits 
scheint  mir  auch  der  besonders  von  W.  S  o  1 1  a  u ,  Die  Anfänge  der 
römischen  Geschichtsclu-eibuug ,  Leipz.  1909  (und  etwas  anders 
Klio  X,  1910,  129  ff.),  vertretene  Standpunkt  beachtenswert,  der 
aus  der  Übereinstimmung  der  Motive  in  der  angeblichen  Geschichte 
Roms  und  in  den  griechischen  Sagen  folgert,  daß  jene  von  römischen 
Dichtern  der  fabulae  praetextae,  (S.  17  ff.  des  größeren  Werkes) 
und  Ennius  (ebd.  60  ff.)  sowie  von  den  Verfassern  der  Laudationes 
(ebd.  132  ff.)  nach  griechischen  Vorbildern,  und  zwar  meistens  nach 
Dichtern,  gelegentlich  aber  auch  nach  Historikern  (z.  B.  Herod.  I, 
116  f.)  erfunden  wui-den.  Daß  Soltiiu  wieder  auf  diese  Quelle  der 
römischen  Sage  nachdrücklich  hingewiesen  hat ,  ist  in  jedem  Fall 
dankenswert.  Überspannen  darf  man  freilich  auch  dies  Erklärungs- 
prinzip nicht:  bei  der  Bildung  der  römischen  Sage  sind  sehr  ver- 
schiedenartige Kräfte  tätig  gewesen.  Daß  die  Erfindungen  der  Dichter 
später  als  Geschichte  betrachtet  wurden,  erklärt  Soltau  durch  die 
Annahme  einer  Vermittlung  durch  griechische  Mythographen  und 
Historiker,  die  sie  den  Annalisten  überlieferten.  Diese  soUen  noch 
über  ein  nicht  unbedeutendes  Material  zur  Erkundung  der  früheren 
Geschichtsperioden  verfügt  und  ihre  Berichte  eben  das  Gerüste 
gebildet  haben ,  an  das  die  Dichter  ihre  Erfindungen  knüpften 
und  das  deshalb  mit  ihnen  leicht  ausgefüllt  werden  konnte.  Der 
zweite  Teil  dieses  Erklärungsversuches  leuchtet  ein,  aber  die 
Annahme  griechischer  Mythogi*aphen,  die,  wenn  ich  Soltau  richtig 
verstehe,  im  3.  Jh.  v.  Chr.  aus  römischen  Tragödien  und  Epen 
geschöpft  haben  sollen ,  ist  bedenklich.  Soltau  hat  sie  wohl  nur 
gemacht,  weü  er  irgendein  „Gerüst"  für  notwendig  hielt,  an 
das  die  römischen  Dichter  sich  halten  konnten ,  andererseits 
den  Beginn  der  römischen  Geschichtschreibung  nicht  so  hoch 
hinaufrücken  mochte.  In  der  Tat  mögen  den  ältesten  römischen 
Dichtern    auch   für   die    römische    Geschichte    griechische    Berichte 


78  Römische  Sage  und  Religionsgeschichte. 

vorgelegen  haben;  aber  dazu,  daß  ihre  Erfindungen  in  die  An- 
nalistik  eindrangen,  bedurfte  es  der  griechischen  Vermittlung  nicht; 
aelbst  Cic.  Brut.  XV,  57  hat  sich  nicht  gescheut,  den  Eunius 
als  einen  idoneus  auctor  zu  bezeichnen,  was  immerhin  bezeichnend 
ist ,  auch  wenn  es  sich  in  diesem  Fall  nicht  um  eine  dichterische 
Erfindung  handeln  kann.  Dazu  kommt  der  stille  Einfluß ,  den  des 
Dichters  Schöpfung  unbewußt  noch  heute  auf  unsere  Beurteilung 
der  Geschichte  ausübt,  der  aber  in  einer  Zeit  unentwickelter  Kritik 
viel  stärker  sein  mußte.  Diese  nur  scheinbare  Schwierigkeit,  die  bei 
der  Annahme  eines  Eindringens  poetischer  Erfindungen  in  die 
Annalistik  bleibt,  und  die  Art,  wie  Soltau  sein  Erklärungsprinzip 
durchzuführen  A-ersucht .  hat  bewirkt,  daß  dieses  z.  T.  auf  einen 
Widerspruch  gestoßen  ist,  der  m.  E.  ebenfalls  über  das  berechtigte 
Maß  hinaus  geht.  Nach  M  ü  n  z  e  r .  Cacus  der  Rinderdieb,  Basel 
1911,  S.  -1,  hat  Soltau  eine  so  alte,  reiche  und  so  nachhaltig 
wirkende  dramatische  Produktion  bei  den  Römern  nicht  nach- 
weisen können,  die  künstlich  eine  sofort  vom  ganzen  Volk  als  die 
Geschichte  seiner  eigenen  Vergangenheit  anerkannte  Überlieferung 
geschaffen  habe;  nach  Gubernatis,  Riv.  di  fil.  XL,  1912,  444ff. 
haben  Naevius  und  Ennius  diese  Sagen  zwar  vorgetragen,  aber  nicht 
erfunden.  Teils  schreibt  man  die  poetisch  anmutenden  Teile  der 
römischen  Vorgeschichte  wieder  der  echten  Volkssage  zu,  wie  wir 
es  von  Pais  gesehen  haben  (vgl.  auch  Münz  er  bei  Pauly-Wissowa 
RE  VII,  334f ),  teils  aber  den  Annalisten. 

Weiter  kommt  für  die  Anfänge  der  röni  i sehen  liel ig i o n 
die  wichtige  Frage  in  Betracht,  welche  Vorstellungen  die  einzelnen 
Volksteile ,  aus  denen  man  sich  den  populus  Romanus  zusammen- 
gewachsen denkt,  mitbrachten  und  welche  aus  den  Nachbarländern 
nach  Rom  übertragen  wurden.  Gegenüber  der  gewöhnlichen  An- 
nahme ,  daß  die  römische  Religion  hauptsächlich  von  Etrurien  aus 
beeinflußt  sei,  weist  fG.  Körte,  Rom.  Mitt.  XX,  1905,  369 f. 
darauf  hin,  daß  umgekehrt  auch  die  Etrusker  schon  in  sehr  früher 
Zeit  einige  Gottheiten  wie  Menrva,  üsil  (=  Sol,  sabin.  ausel),  Uni, 
Maris  von  den  Italikern  entlehnt  zu  haben  scheinen.  Ridgeway 
(Proceed.  Brit.  Acad.  1907/8,  22  ff.)  meint,  daß  die  Ligurer  oder 
Aboriginer,  die  Träger  der  Terramarekultur ,  Indogermanen  waren, 
welche  in  Rom,  von  den  Sabinern  unterdrückt,  die  Plebs  bildeten, 
aber  den  Siegern  ihre  Sprache,  das  Lateinische,  aufzwangen,  auch 
zum  römischen  Pantheon  einige  Gottheiten  beisteuerten,  jedoch 
nicht  lanus ,  Mars  und  Quirinus ,  deren  Priester  in  konfarreierter 
sabinischer,    patriarchahscher  Ehe  lebten  (28  f).     Gegen  diese  An- 


Römische  Religionsgeschichte.  79 

nähme  macht  R.  W.  Hu s band,  Amer.  Phil.  Soc.  XL,  1909,  63 
geltend ,  daß  die  römische  Religion  in  den  zwei  Heihgtümern  von 
Mars,  luppiter,  luno,  Minerva  und  Fides,  in  den  zwei  Brüderschaften 
der  Salii  und  Luperci,  in  den  zwei  Formen  der  Eheschließung  usw. 
Spuren  einer  Stammischung  zeige.  Er  läßt  das  römische  Volk  aus 
vier  Bestandteilen  zusammengeschmolzen  sein :  den  Sabinern,  denen 
die  meisten  Gottheiten  angehören ,  den  Ligurern ,  den  Etruskern, 
welche  die  Haruspicin  brachten ,  und  den  Römern ,  deren  Sprache 
durchgedrungen  sei.  —  Über  den  Einfluß  der  Etrusker  auf  die 
römische  Religion,  besonders  die  Eingeweideschau,  sprach  Carter 
in  einem  Vortrag  am  Palilientag  des  Deutschen  Arch.  Instituts  in 
Rom;   vgl.    Rom.   Mitt.    XXV,    1910,  74  ff. 

Mit  der  Religion  des  späteren  r  epuhli  Je  ani  s  c  h  e  n 
Rom  beschäftigen  sich,  abgesehen  von  den  an  anderen  Stellen 
der  Jahresberichte  besprochenen  Arbeiten  über  einzelne  Schrift- 
steller nur  die  sechs  in  Oxford  1914  gehaltenen  Vorlesungen, 
die  der  Vortragende,  W.  Warde  Fowler  unter  dem  Titel 
Roman  Ideas  of  Deity  in  the  last  Century  before  the  Christian 
Era,  London  1914  herausgegeben  hat.  Die  erste  Vorlesung 
behandelt  den  Hauskult,  d.  h.  den  Dienst  der  Vesta,  der  Penaten, 
des  Genius  und  auch  der  Toten,  die  aber  in  republikanischer 
Zeit  keine  wirklichen  Opfer  empfangen  haben  sollen.  Alle  diese 
Kulte ,  in  denen  der  Vf. ,  wenn  auch  unvollkommen ,  den  Be- 
griff der  Contitinuit}'  of  Life  (27)  ausgedrückt  findet,  und  in  denen 
er  ein  Gegengift  gegen  die  hereinbrechende ,  alle  Religiosität  zer- 
störende griechische  Religion  sieht,  sollen  im  letzten  Jahrhundert 
noch  in  voller  Kraft  bestanden  haben.  Die  zweitq  Vorlesung 
handelt  über  luppiter  und  die  auf  Monotheismus  zielende  Richtung 
seines  Kultus,  die  dritte  (55  ff.)  zunächst  über  die  schon  durch 
Kleanthes  gelehrte,  aber,  wie  der  Vf.  (58)  mit  Cumont  meint,  erst 
durch  Poseidonios  recht  verbreitete  Verehrung  der  Sonne,  danr  (61) 
über  den  Kult  der  Fortuna.  In  der  vierten  Vorlesung  (81  ff.)  wird 
der  Kult  des  vergötterten  Menschen  besprochen ,  der ,  den  alten 
Römern  fremd,  aus  Griechenland  und  dem  Orient  hergeleitet  wird 
und  mit  dem  sich  auch  die  fünfte  V,orlesung ,  The  deification  of 
Caesar  (107  ff.)  befaßt.  In  der  letzten  Vorlesung  eröffnet  sich  ein 
Ausblick  auf  die  Reform  des  Augustus,  in  der  aber  Fowler  einen 
weiteren  Verfall  sieht.  Abgesehen  von  den  Göttern  des  Land- 
manns, Tellus,  Silvanus,  den  Manen  und  Genien,  denen  z.  B. 
Virgil  mit  offenbarer  Liebe  gegenübersteht,  haben  die  Götter  nach 
Fowler   kein    wirkliches    Leben   mehr,    die    römischen    Dichter  be- 


80  Religionsgeschichte  in  der  Kaiserzeit. 

nutzen  die  Gottheiten  entweder  wie  der  nur  scheinbar  fromme 
Horaz  im  Dienste  der  politischen  Ziele  ihrer  Gönner,  der  Macht- 
haber, oder  wie  der  frivole  Ovid  (155)  als  Stoff  für  dichterische 
Geschicklichkeit. 

4)  Griechisch-röinischc  ReligioiiHgeschichte  iu  der  Kaiserzeit. 

a)  Untersuchungen   über  die  Kaiserzeit  im  allgemeinen. 

Toutain,  Les  cultes  paiens  dans  l'empire  romain.  I.  Les 
provinces  latines  (Biblioth.  de  Tecole  des  Hautes  etudes,  Sciences 
relig.).  Der  mir  bisher  allein  vorliegende  erste  Band  dieses  um- 
fang- und  inhaltreichen  Werkes  (Les  cultes  officiels ,  les  cultes 
romains  et  greco-romains,  Paris  1907)  behandelt  nach  einer  Ein- 
leitung ,  in  der  die  Aufgaben  begrenzt ,  Quellen  und  Methode  dar- 
gelegt werden,  im  ersten  Buch  zunächst  (S.  19  ff.)  den  Ursprung 
der  Staatskulte  (37  ff.) ,  d.  h.  den  Dienst  der  Gottheiten ,  die  in 
enger  Beziehung  zum  Staat  und  zum  Kaiser  stehen,  der  Dea  Roma, 
die  in  den  lateinischen  Provinzen  fast  nur  mit  dem  Kaiser  zu- 
sammen, und  zwar  am  meisten  in  Tarraconensis,  Narbonnensis  und 
den  Tres  Galliae  verehrt  wird  (43  ff.),  der  Herrscher  (181  ff.),  der 
kapitolinischen  Gottheiten,  die  namentlich  auf  Inschriften  Daciens, 
Pannoniens  und  des  Rheinlands  erwähnt  werden,  (195  ff.)  den  Kult 
des  luppiter  Optimus  Maximus  und  (219  ff.)  die  Geschichtn  der 
Staatskulte.  Im  zweiten  Buch  (239  ff.)  werden  die  griechischen 
und  die  griechisch-römischen  I^ulte  besprochen,  und  zwar  zunächst 
die  nicht  offiziellen  Kulte  Roms ,  dann  (245)  lanus ,  Vesta ,  Bona 
dea,  Lares,  Mars,  Silvanus,  ferner  (283  ff.)  die  Götter  und  die  Kulte 
des  griechisch-römischen  Pantheons,  (4 12 ff.)  die  vergötterten  Ab- 
straktionen (Fortuna  und  Victoria),  endlich  (439  ff.)  der  Genienkult. 
Toutain  bemüht  sich,  zu  entscheiden,  ob  die  in  den  Provinzen  ver- 
ehrten Gottheiten  römisch-griechischen  oder  barbarischen  Ursprungs 
sind;  da  zeigen  sich  denn  in  den  Provinzen  Verschiedenheiten. 
Venus  ist  in  Dalmatien  griechischen ,  in  Afrika  karthagischen  Ur- 
sprungs (188),  Volcanus  in  Gallien  meist  an  eine  einheimische 
Gottheit  augelehnt  (391).  Den  nur  in  Afrika  blühenden  Kult  der 
chthonischen  Gottheiten ,  die  in  römischer  Zeit  als  Cereres  und 
Pluto,  vorher  als  „Mutter",  Tanit  P^no  Ba'al  und  Ba'al  Hamman 
auftreten,  leitet  Toutain  (.j38  ff.)  aus  Sizilien  her,  von  wo  Demeter, 
Köre,  Pluton  im  Anfang  des  4.  Jhs.  v.  Chr.  geholt  sein  sollen. 
Nicht  selten  wurden  die  von  den  Römern  eingeführten  Kulte  mit 
den    einheimischen    nicht    ausgeglichen ,    sondern   traten  neben  sie ; 


Religionsgeschichte:  Kaiserzeit.  -  81 

aber  auch  in  diesem  Fall  scheint  es  nicht  zu  einer  Rivalität  zwischen 
ihnen  gekommen  zu  sein  (468).  Dankenswert  ist,  daß  meist  auch 
der  Stand  der  Dedikanten  untersucht  und  daraus  ein  Schluß  auf 
die  Kreise  gezogen  wird,  in  denen  ein  Kult  besonders  blühte. 
Überhaupt  führt  die  Art  der  Abgrenzung  und  Gliederung  des  Stoffes 
nicht   selten  zu  neuen,  manchmal  überraschenden  Gesichtspunkten. 

b)  Untersuchungen  über  einzelne  Perioden  der 
Kaiserzeit. 
2)  Außer  diesen  Untersuchungen,  welche  die  ßeligionsgeschichte 
der  Kaiserzeit  im  ganzen  betreffen ,  sind  hier  einige  Arbeiten  und 
Teile  Aon  Arbeiten  zu  erwähnen ,  die  einzelne  Abschnitte  dieser 
Zeit  oder  einzelne  für  sie  bezeichnende  Erscheinungen  ins  Auge 
fassen.  Viele  religionsgeschichtliche  Fragen  behandelt  W.  Weber, 
Untersuchungen  zur  Geschichte  des  Kaisers  Haar l an ^  Leipzig 
1907  besonders  mit  Berücksichtigung  der  Münzen.  —  "Wilcken, 
Ai'ch.  f.  Papyrusf.,  V  1913,  428  vermutet  zweifelnd,  daß  die  jetzt 
im  Wortlaut  bekannte  Constitutio  Antonina  Car ac alias ■,  durch 
die  fast  alle  Untertanen  außer  den  peregrini  dediticü  das  römische 
Bürgerrecht  erhielten,  durch  religiöse  Gründe  veranlaßt  war.  Es 
war  eine  große  Göttei'mischung  geplant:  wie  die  orientalischen 
Götter  nach  Rom,  so  sollte  der  römische  luppiter  in  den  Orient 
verpflanzt  werden.  —  Nach  J.  Stuart  Ha}',  The  amazing  Em- 
peror  Hei iog ah  alus ,  London  1911  wurde  der  unreife  Knabe 
nicht  wegen  seiner  Grausamkeit  gestürzt ,  sondern  weil  Rom  für 
den  syrischen  Monotheismus  nicht  reif  war.  Indem  Elagabal  die 
Ausgleichung  des  syrischen  Kultes  mit  den  alten  Kulten  erstrebte 
—  und  er  erstrebte  nach  Hay  (S.  275)  mehr  als  eine  bloße  Ver- 
schmelzung — ,  soll  er  zugleich  daran  gedacht  haben,  seine  Macht 
als  pontifex  maximus  zu  erweitern.  Vorübergehend  hatte  Elagabals 
Regierung  nach  Hay  den  unausgesprochenen  Plan,  das  Christentum 
zur  Staatsreligion  zu  machen,  was  Peter,  Berl.  Phil.  Wochenschr. 
XXXII,  1912,  659  bestreitet.  —  Den  Sonnengott  Apollon  auf  den 
um  307  geschlagenen  Münzen  Const antins  erklärt  Jul.  Mau- 
rice, Comptes  rend,  AIBL  1909,  166  ff.  daraus,  daß  dieser  Kaiser 
von  Claudius  Gothicus,  dem  eifrigen  Begünstiger  des  Sonnenkultus, 
abstammen  wollte;  dagegen  werden  die  heidnischen  Attribute  auf 
der  Rückseite  späterer  Münzen  Constantins  (wie  von  Boissier  die 
heidnischen  Wendungen  mancher  Verordnungen)  dem  Einfluß  der 
kaiserlichen  Kanzlei  zugeschrieben.  Vgl.  Maurice,  Rev.  arch. 
XVII,    1911  ^    377  ff.  ~  Daß    Constantin    den   ApoUo    unter   dem 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  186  (Snpplenientbaud).  6 


82  Religionsgesohichte:  Kaiserzeit. 

Namen  Sol.  invictus  comes  verehrte  und  in  Nachahmung  von  Daphne 
Antiocheia  nahe  seiner  Geburtsstadt  Nisch  ihm  ein  Heiligtum  in 
dem  auf  Münzen  genannten  Constantiniana  Dafue  gründete ,  will 
Mowat,  Bull,  de  la  söc.  nat.  des  autiqu.  Fr.  Vllln  ,  1912,  310ff. 
erweisen.  —  Ed.  Schwartz,  Kaiser  Constantin  und  die  christ- 
liche Kirche,  Leipzig  1913,  schildert  in  fünf  am  Frankfurter  Hoch- 
stift gehaltenen  Vorträgen  den  Kaiser  als  einen  genialen  Despoten, 
der  zielbewußt  von  Anfang  an  die  Kiixhe  in  den  Dienst  seiner 
Herrschaft  zu  stellen  versuchte.  —Wie  Kugener  auf  den  Leidener 
Kongreß  (Actes  du  IV  Congr.  intern,  d'hist.  des  rel.  132  ff.)  aus- 
einandersetzt, benutzte  Constantin  den  Blitz,  der  320  das  Colos- 
seum  traf,  mit  Hilfe  der  Augurn ,  die  er  zu  einem  Votum  ver- 
anlaßte ,  als  günstiges  Vorzeichen  in  dem  schon  drohenden  Kampf 
mit  Licinius.  —  Nach  Weinreich,  Triskaidekadische  Studien 
RVV  XVI,  1916,  3  ff.  wollte  Constantin  konsekriert  werden,  und 
der  Senat  hat  ihn  auch  divus  genannt.  Der  Kaiser  selbst  wünschte 
aber  die  Vorstellung  ins  Christliche  umzubiegen  und  die  12  Götter, 
in  deren  Zahl  der  Kaiser  aufgenommen  werden  sollte,  durch  die 
Apostel  zu  ersetzen.  Er  erbaute  an  Stelle  eines  Heiligtums  der 
12  Götter  in  Konstantinopel  die  Apostelkirche  und  daneben  sein 
Mausoleum  inmitten  der  12  Apostel,  wahrscheinlich  als  Rundbau, 
wie  sich  frühere  Kaiser  solche  Kuppelbauten  mit  Heiligtümern 
der  12  Götter  als  Begräbnisstätte  erwählt  hatten.  —  Julians 
Rehgionspolitik  stellt  Joh.  Geffcken,  Kaiser  Julian  (das  Erbe 
der  Alten  VIII),  Leipzig  1914,  33  ff.  dar.  —  Das  geistige  Leben 
Roms,  wie  es  uns  in  den  heidnischen  Kreisen  gegen  Ende  des 
4.  Jhs.  namentlich  in  den  Schriften  des  Macrobius  entgegentritt, 
wird  von  Sihler,  Proc.  Am.  Phil.  Ass.  XL,  1909,  S.  LXXXVff. 
geschildert. 

Mehr  Untersuchungen  als  den  einzelnen  Kaisern ,  sind  den 
wichtigsten  religionsgeschichtlichen  Phänomenen  der  Kaiserzeit  zu- 
gewendet gewesen,  *Glover,  The  Conflict  of  Religions  in 
the  Early  Roman  Empire,  London  1909,  ist  ein  aus  Vorlesungen 
entstandenes  Werk,  das  im  LC,  1909,  S.  1607  f.  rühmend  be- 
sprochen wird. 

c)  Die  einzelnen  Erscheinungen  der  Kaiserzeit. 
Drei  Erscheinungen  sind  es  besonders,    welche  den  Charakter 
der  Religion  in  der  Kaiserzeit  bestimmen :  die  zunehmende  Religions- 
mischung,   d,  h.   das    beschleunigte  Eindringen  orientalischer  Kulte 
in    die    griechische    und   namentlich    in  die  römische  Welt  und  die 


Religionsgeschichte:  Kaiserzeit.  83 

Ausbreitung  griechischer  und  römischer  Gottesdienste  in  den  Pro- 
vinzen des  Westens-,  dann  der  Kampf  gegen  das  Christentum, 
endlich  die  Durchdringung  der  Kulte  und  selbst  der  Zauberei  mit 
neoplatonischen  Ideen. 

«)  Arbeiten  übex*  die  Beli^iousiuischiiiig  der  Kuiserzeit. 

Über  a)  die  Ausgleichung  römischer  und  barbari- 
scher G ottheitenha,Tide\t  Ft.  Richter ,  De  deorum  barbarorum 
interpretatione  ßomana,  quaestiones  selectae,  Diss.  Halle  1906.  Der 
Stoff  ist  geordnet  nach  den  römischen  Göttern;  die  einzelnen 
Barbarengötter  werden  bei  jedem  römischen  nach  der  Buchstaben- 
folge aufgezählt.  Es  ergibt  sich ,  daß  von  römischen  Göttern  in 
den  Westprovinzen  besonders  Mars,  Mercur,  Apollo,  Minerva, 
Diana,  in  Afrika  Saturnus,  Pluto,  Aesculapius,  Neptunus,  Ceres  ver- 
wendet werden  (51).  Bisweilen  wird  sowohl  der  Name  des  römi- 
schen wie  der  des  mit  ihm  ausgeglichenen  barbarischen  Gottes 
o-enannt,  manchmal  aber  nur  der  eine;  in  einigen  Fällen  ist  der 
barbarische  Name  übersetzt  worden.  —  Unter  dem  Titel  Inter- 
pretatio  Romana  erschien  über  denselben  Gegenstand  ein  Aufsatz 
von  G.  Wissowa,  Ai'ch.  f.  Religionswiss.  XIX,  1917/18,  1  ff . 
Das  Stilgesetz ,  das  die  Verwendung  von  ßdQßagoL  cpwvai  verbot, 
zwang  die  ausgebildete  Kunstprosa,  die  barbarischen  Götternamen 
durch  griechische  oder  römische  zu  ersetzen ;  dabei  wurde  oft  will- 
kürlich verfahren  und  weniger  das  innere  Wesen  der  fremden 
Götter  zum  Ausdruck  gebracht  als  die  Eindrücke  und  Bestrebungen, 
von  denen  die  römischen  Schriftsteller  selbst  oder  ihre  Gewährs- 
männer im  fremden  Lande  beherrscht  wurden  (25);  z.  B.  wird  die 
Hauptgottheit  der  Gallier  als  Mercur  bezeichnet,  weil  zuerst  Kauf- 
leute nach  Gallien  kamen.  Im  allgemeinen  ergibt  die  Interpretatio 
Romana  nach  Wissowa  mehr  für  die  Erkenntnis  des  römischen 
Wesens  als  für  die  in  den  Provinzen  ursprünglich  heimischen 
Religionen.  Manchmal  hat  sie  Züge  altrömischen  Glaubens  erhalten, 
die  in  der  Literatur  und  im  Staatskult  zurückgetreten  waren  und 
in  der  Unterschicht  volkstümlicher  Religion s Übung  ihr  Dasein 
fortgeführt  hatten.  Daß  die  durch  denselben  römischen  Gottes- 
namen bezeichneten  Barbarengötter  auch  innerlich  verwandt  ge- 
wesen seien,  ist  nach  Wissowa  (44  ff.)  nicht  notwendig,  umgekehrt 
soll  aber  die  gleiche  römische  Benennung  nachträglich  bisweilen 
zu  einer  Ausgleichung  geführt  haben. 

6* 


§4  Religions^«»o)iiohte :  KaLsexmeit. 

,.<>  Arboitou  über  das  Riiitlriittron  orioiitulisrl>«>r  Kulto 

iu  die  hier  lüclit  zu  trvuueude  griechisch-römische  Weh.  Clitl'ord 
H.  Moore,  The  Disthbutiou  of  Oriental  Cults  iu  the  Gauls  luid 
Germauies,  Tniusact.  Amer.  Phü.  Assoc.  XLXXVIII  1907,  109  ff. 
untersucht  die  geo^n^^phische  Verbreitung  der  Kulte,  die  soiiale 
Stellung  ihrer  Verehrer,  die  Herkimtt  und  Verbr«itungsni?iglichkeit 
der  einzelnen  Dienste,  endlich  ihren  Streit  untereinander  und  mit 
dem  Christentum,  das  gerade  die  Hauptstütten  der  orientalisciieu 
Kulte  als  Verkehn«uiittelpunkte  zu  Bischotssitien  wfthlte  und  mit 
dessen  Ausbreitung  daher  etwa  seit  der  Mitte  des  3.  Jb».  die 
orientalischen  Dienste  allmählich  in  Gallien  und  Germanien  ver> 
schwinden.  —  Fr.  Cumont,  Les  religions  orientales  dauä  le 
paganisme  romain  (Annuales  du  musee  Guimet>  Paris  1907;  danach 
wird  im  folgenden  a.itiert;  die  2.  Aufl.  erschien  1909;  danach  die 
lug  von  H.  G  ehr  ich.  Die  orieutalischen  Beligiouen  im 
Heidentum,  1910.  2.  AnH.,  1914)  stellt  Vorlesungen 
zusammen,  die  1905  am  College  de  France  in  Paris  ttlr  die  Stiftoug 
Michonis  und  einige  Monate  später  in  Oxford  für  den  Hibbert  Truet 
gebalten  sind.  Der  Ausdruck  römisches  Heidentum  klingt  lunächst 
befremdlich,  erklart  sich  aber  daraus,  daß  die  mit  dem  Christentum 

ou.    über    die    Cumont    sich    in    der   Ein- 
.  _  v  doch  mit  einigen  treffenden  Bemerkungen 

äußert,  ausgeschlossen  werden  sollten.  Nachdem  der  Yf.  den  Syn- 
kretismus der  Kaisenteit  als  eine  Fortsetiung  des  alexandrinischen, 
ohne  den  er  nicht  verstanden  werden  könne,  bezeichnet  und  ihm 
( 1  ff.)  die  Stellung  innerhalb  der  Gesamtgeschichte  angewiesen  hat, 
wendet  er  sich  (13  ff.)  den  Quellen  und  der  diurch  sie  bedijigten 
Methode  der  Untersuchung  zu ,  prflft  (22  ff.)  die  Gründe  ftlr  die 
Ausbreitung  der  orientaliscbeu  Kulte  und  bespricht  dann  uaoJi- 
einander  (57  ff.)  die  kleinasiatischen,  (90  ff.)  die  ägyptischen,  (125  ff.) 
die  8_\Tischen  und  (lt>-?)  eranischen  Kulte,  (19t>  ff.)  die  Astrologie 
und  Magie.  Den  Beschluß  bildet  eine  Darstellung  der  durch  diese 
Einflösse  aus  dem  Orient  bewirkten  Umgestaltung  des  r^ümisclien 
Heidentums.  Daß  hierbei  jene  sowohl  an  Bedeutung  wie  an  Wert 
leicht  wichtiger  erscheinen,  als  sie  in  Wirklichkeit  waren  (Geff- 
cken.  D.  L.-Z.  1915,  1221),  scheint  mir  eher  in  dem  Heraus- 
schneiden eines  einzelnen  Problems  aus  einem  größeren  geschieht- 
liehen  Zusammenhai.g  als  darin  begründet  zu  sein ,  daß  Cumont 
die  einheimische  Religion  der  Griechen  und  Römer  unterschttjit. 
Über  den  religiösen  Einfluß   der  Astrologie  auf  die  römische  Wo'.: 


Synkretkinus  der  Kaiserzeit.  85 

sprach  Comont  auch  auf  dem  Oxforder  religionsgeschichtlichen 
Kongreß  1909;  einen  Auszug  geben  die  Transact.  of  the  3  Intern. 
Congr.  Higt.  Eel.  III  197.  —  In  der  ßelijnon  von  Emesa,  die 
Aurelian  nach  dem  Sieg  über  Zenobia  zur  EeichsreUgion  erhobt  sieht 
V.  Domaszewski,  Arch.  f.  Religionswiss.  XI.  1008,  223  ff.  (Abb. 
zur  röm.  Relig.  197  ff.)  den  Ursprung  des  Sonnenkultus  im  aus- 
gehenden Altertum,  was  Jalabert  in  der  sonst  anerkennenden 
Besprechung  Mel.  de  la  fac.  Orient.  St.  Jos.  de  Bejr.  IV,  1910, 
.S.  XXIV  ff.  ebenso  bezweifelt  wie  die  Berechtigung,  den  Staat 
von  Emesa  mit  dem  jüdischen  zu  vergleichen.  —  Cumont,  Le 
mysticisme  astral,  dans  Tantiquite,  Bull.,  Ac.  roy.  de  Belgique,  Classe 
des  lettr.  et  des  sc.  mor.  et  polit.  1909,  256  ff.  berührt  unttr 
anderen  Punkten  auch  die  praktischen  Anforderungen  an  die  Lebens- 
führung, welche  die  Astrologen  an  ihre  SchtÜer  stellten,  und  die 
in  einem  Anhang  f279  ff.j  weiter  ausgeführte  Lehre  mancher  Stern- 
deuter, daß  die  menschliche  Seele  feuriger  Natur  und  den  Ge- 
stirnen verwandt  sei.  —  J.  Maurice,  Eev.  arch.  IVxvii  377  ff. 
glaubt ,  daß  der  aus  Ill\Tien  stammende  Claudius  II.  ebenso  wie 
seine  Nachfolger  den  ill}Tischen  Sonnengott  verehrte  und  daß  Con- 
stantius  Chlorus  diesen  Kult  in  Gallien  mit  dem  dort  herrschenden 
des  Belenus-Apollo  vermischte  und  zugleich  im  Sinn  des  herrschenden 
philosophischen  Sonnenkults  umdeutete.  Aber  schon  Claudius  II. 
soll  auch  den  orientalischen  Sonnengott  auf  seine  Münzen  gesetzt 
haben.  Noch  Constantin  hat  sich  seiner  Abstammung  von  der 
Sonne  gerühmt  und  Münzen  mit  der  Legende  Sol  invictus  schlagen 
lassen:  er  hat  auch  in  Konstantinopel  den  Heiioskoloß  errichtet, 
der  seine  eigenen  Züge  getragen  haben  soll.  —  Cumont,  La 
theologie  solaire  du  paganisme  romain  Olem.  pres.  par  div,  sav.  ä 
lAIBL  Xn^.  1909),  findet  im  Gegensatz  zu  v.  Domaszewski  ('s.  o.) 
den  Ursprung  des  späteren  antiken  Sonnenkultus  in  philosophisch- 
astronomischen  Spekulationen ,  die  sich  mit  altorientalischen  reli- 
giösen Vorstellungen  verbanden.  Während  in  Ägypten  der  Mond 
neben  oder  über  der  Sonne  stand,  ist  er  in  Babylonien  schon  vor 
Alexander  hinter  dieser  zurückgetreten.  Aber  ausgebildet  wurde 
der  .Sonnenkult  nach  Cumont  erst  unter  den  Seleukiden.  Er  ist 
zunächst  ein  wissenschafthches  System,  beruhend  auf  der  Annahme, 
daß  die  Sonne,  der  vierte  Planet,  in  der  Mitte  des  Weltgebäudes 
stehe  und  den  Lauf  der  übrigen  sechs  Planeten  lenke.  In  der 
mittelsten  Sphäre  sich  bewegend,  wurde  die  Sonne  Weltvemunft, 
von  ihr  sollten  alle  menschliclien  Seelen  emaniert  sein.  Diese 
Lehre  war  mit  dem  stoischen  Pantheismus  vereinbar.    In  Gfriechen- 


g(j  Religiousmischuug  in  der  Kaiserzeit. 

laad  bat  sie  nach  Cumout  wahrscheinlich  Poseidonios  heimisch  ge- 
macht, von  welchem  Cicero  im  Somnium  Scipionis  und  Varro  ab- 
hängen sollen.  Als  dann  der  philosophisch-platonische  Dualismus 
wieder  aufkam  und  Gott  als  außerweltlich  betrachtet  wurde, 
stellte  ein  anderer  Syrer,  lambhchos,  der  physischen  Sonne  die 
überweltliche  entgegen.  Die  Lehre  hat  aber  auch  auf  den  Gottes- 
dienst Einfluß  ausgeübt.  Fast  alle  semitischen  Baale  waren  in 
hellenistischer  Zeit  Sonnengötter  geworden,  und  das  erleichterte 
die  ungeheure  Verbreitung,  welche  diese  Vorstellungen  in  der 
Wissenschaft  wie  in  den  Kulten  der  Kaiserzeit  fanden.  Vielleicht 
hat  auch  Cumont  sich  die  jetzt  freilich  noch  nicht  zu  beant- 
wortende Frage  vorgelegt,  ob  die  von  ihm  mit  Recht  erschlossene 
chaldäische  Lehre  in  letzter  Linie  mit  der  von  Chu  en  Aten  ver- 
suchten, aber  in  Ägj'pten  unterdrückten  Einführung  des  Sonnen- 
dienstes zusammenhängen  kann ,  der  ebenfalls  zum  Monotheismus 
di'ängte. 

Über  die  Sitte,  barbarischen  Göttern,  z.  B.  dem  hundeköpfigen 
Anubis,  der  sogar  als  Imperator  gekennzeichnet  wird,  dem  Horos, 
Bes.  Chnubis,  luppiter  Dolichenus,  Malak  Bei  von  Palmyra,  luppiter 
Heliopolitanus ,  dem  Aziz  von  Edessa ,  römische  Bewaffnung  zu 
geben,  handelt  im  Anschluß  an  eine  Bronzestatuette  des  Anubis  im 
Museo  Nazionale  Romano  (Taf.  6  und  7)  und  an  eine  Votivtafel, 
die  den  Zeus  von  Heliopolis  zwischen  zwei  weiblichen  Gottheiten 
darstellt.  Paribeni,  Bull,  de  la  soc.  arch.  d'Alex.  III  2,  1910, 
S.  177  ff.  Er  erklärt  diese  Tracht  daraus,  daß  diese  Götter  in  die 
Religion  des  i*ömischen  Heeres  eingedrungen  waren.  —  Fr.  Cumont, 
Astrolog}'  and  Religion  among  the  Greeks  and  Romans,  American 
Lectures  on  the  History  of  Religions.  New-York  und  London  1912, 
sammelt  die  bereits  nach  früheren  Untersuchungen  hier  dargestellten 
Ansichten  Cumonts  über  die  religiöse  Bedeutung  der  Astrologie.  — 
Die  Wege,  auf  denen  sich  der  Kult  der  orientalischen  Götter  vor- 
zugsweise im  Westen  verbreitete,  glaubt  D.  Nelson  Robinson, 
Transact.  Amer.  Philol.  Ass.  XLIV  1913,  151  ff.  durch  eine  Sta- 
tistik der  Stände  feststellen  zu  können,  denen  die  Dedikanten  der 
Weihinschriften  angehören.  Es  werden  von  Gottheiten  in  Betracht 
gezogen :  Mithra,  die  Göttermutter,  die  ägyptischen,  die  syrischen 
und  andere  Götter:  von  den  Reichsteilen :  Rom,  das  übrige  Italien, 
Britannien,  Spanien,  Afrika,  Gallien,  Germanien  und  die  Donau- 
provinzen. Alle  Stände  sind  vertreten,  aber  die  höheren  verhältnis- 
mäßig reichlicher  als  die  niederen ;  auffallend  selten  erscheinen  die 
Kaufleute,    die.    wie  Robinson  daraus  folgert,    nur  wenig  zur  Ver- 


Religionsmischung  in  der  Kaiserzeit.  87 

breitung  dieser  Kulte  beigetragen  haben  können.  Ob  die  Statistik 
solche  Schlüsse  gestattet ,  ist  aber  doch  zweifelhaft.  Die  wohl- 
habende Bevölkerung,  namentlich  die  festangesessene,  nicht  auf 
der  Durchreise  begriffene ,  wird  überhaupt  leichter  geneigt  sein, 
Votivsteine  zu  setzen  als  Proletarier  und  Reisende.  —  Clifford 
Herschel  Moore,  Harvard  Theolog.  Stud.  VIII  1915,  lG6ff. 
leitet  in  einer  den  Westen  des  Reiches  untersuchenden  Ab- 
handlung den  wachsenden  Einfluß  der  orientalischen  Religionen 
davon  her,  daß  das  Bedürfnis  nach  individueller  Religion,  das  in 
der  Kaiserzeit  hervortrat ,  weder  von  der  altrömischen  Religion 
mit  ihrer  Forderung  der  Unterordnung  des  einzelnen  unter  den 
Staat  noch  von  der  jetzt  ganz  auf  das  Praktische  gerichteten 
Philosophie  so  befriedigt  wurde  wie  von  den  orientalischen 
Diensten,  deren  Anhänger  sich  Brüder  nannten,  sich  zum 
Gehorsam  gegenüber  dem  Haiipt  der  Gemeinde  verpflichteten 
und  dadurch  nicht  allein  stark  zur  Wiederherstellung  der  Sitt- 
lichkeit beitrugen,  sondern  auch  ernste  Rivalen  des  Christentums 
waren. 

Das  Eindringen  der  einzelnen  orientalischen  Götter  in  die  helle- 
nistische und  römische  Welt  kann  nach  dem  jetzt  eingeengten 
Rahmen  (s.  Vorhem.  1.  AT)  in  diesem  Bericht  nicht  mehr  er- 
örtert werden:  nur  auf  die  ägyptischen  Götter,  die  in  mehreren 
Untersuchungen  zugleich  behandelt  sind,  die  Herrscherkulte,  die 
wenigstens  als  Gesaraterscheinung  aus  dem  Morgenland  stammen, 
und  auf  das  Judentum  kann  hier  eingegangen  werden.  0.  Seeck, 
Herm.  XLIII  1907,  642,  schließt  aus  Tertull.  ad  nat.  I  10  in 
Verbindung  mit  Cic.  Att,  II  17,  2,  wo  mit  Ziehen  zu  lesen  sei 
ut  prae  hac  Isis  stare  videatur,  daß  der  Senat  59  die  Altäre 
der  ägyptischen  Götter  zerstören  ließ,  das  Volk  sie  aber  wieder- 
herstellte,  und  der  neue  Konsul  Gabinius  sie  am  1.  Jan.  58 
zum  zweiten  Male  umzustürzen  befahl.  Sie  müssen  aber  bald 
wieder  erneuert  sein,  da  53  eine  dritte  Zerstörung  nötig  wird. 
Infolge  von  Prodigien  wurden  sie  bald  nachher  wieder  erneuert, 
aber  im  Jahre  50  durch  den  Konsul  L.  Aemilius  Paullus  wieder 
zerstört.  —  Über  die  Religionspolitik  der  Ptolemaier  und  der  rö- 
mischen Kaiser  handelt  ausführlich  Otto,  Priester  und  Tempel 
im  hellen.  Ägypten.  Ein  Beitrag  zur  Kulturgeschichte  des  Helle- 
nismus, I,  1905,  II,  1908.  Im  ganzen  schränkt  Otto  die  Bedeutung 
des  Griechentums  für  den  ägyptischen  Hellenismus  ein.  Selbst 
unter  den  nur  griechisch  benannten  Göttern  sind ,  wie  er  meint, 
oft   altägyptische    zu    verstehen,    z.    B.    unter   dem   memphitischen 


83  Religionsmischung  in  Ägypten. 

Hephaistos  auf  dem  Stein  von  Rosette  Ptab.  Schon  Alexander 
und  Soter  waren  gegenüber  der  einheimischen  Religion  absolut 
tolerant  gewesen ,  und  dai'in  sind  ihnen  alle  Ptolemaier  und  auch 
die  römischen  Kaiser  gefolgt.  Die  ägyptischen  Priester  der  Tempel 
einer  Stadt  oder  sogar  einiger  nebeneinander  gelegener  Orte 
scheinen  ziemlich  häufig  zu  einem  großen  Priesterkolleg  vereinigt 
gewesen  zu  sein  (I  20),  bisweilen,  wie  es  scheint,  auch  die  Priester 
räumlich  weit  getrennter  Heiligtümer,  da  z.  B.  die  alexandrinischen 
Ptahpriester  ihr  Gehalt  von  dem  memphitischen  Ptahtempel  be- 
ziehen (I  22).  Die  Priester,  deren  Zahl  außerordentlich  groß  ist 
(I  37),  bilden  eine  vom  Staat  anerkannte  Korporation  und  werden 
von  ihm  durch  Verleihung  von  Sondervorrechten  unterstützt.  Otto 
spricht  deshalb  (II  28  fF.)  sogai'  von  einer  ägyptischen  Kirche, 
während  er  die  Berechtigung  dieser  Bezeichnung  bei  den  nicht- 
äg}-ptischen  Gemeinden  (II  284)  bestreitet.  Man  kann  daher,  ob- 
wohl ein  Teil  dieser  Vergünstigungen  auch  den  griechischen  Kulten 
zugute  kam.  wenn  auch  nicht  unter  den  Kaisern  (II  307),  so  doch 
in  der  Ptolemaierzeit  von  einer  gewissen  Bevorzugung  der  ein- 
heimischen Rehgion  sprechen.  Der  Monarch  war  das  Oberhaupt 
der  Kirche  und  hatte  das  Recht  sowohl  circa  sacra  als  auch  in 
Sacra.  Das  ägj'ptische  Priestertum  mag  sich  innerlich  dagegen  auf- 
gelehnt haben,  aber  gefruchtet  hat  es  ihm  nichts.  Der  Staat  hat 
auf  der  ganzen  Linie  gesiegt.  —  Von  mehreren  Veröffentlichungen 
W.  Webers  über  das  Verhältnis  der  alten  Religion  des  Nillandes 
zu  der  griechischen  ist,  da  sie  meistens  Einzelfragen  behandeln,  an 
dieser  Stelle  nur  die  beim  Antritt  der  ordentlichen  Professur  der 
alten  Geschichte  in  Groningen  am  22.  März  1912  gehaltene  Rede 
'Ägyptisch-griechische  Götter  im  Hellenismus'  zu  erwähnen.  Hier 
werden  die  Elemente ,  die  Entwicklung  und  die  Nachwirkung  der 
im  Hellenismus  und  nach  ihm  im  römischen  Reich  wachsenden 
äg}-ptiBchen  Rehgion  untersucht.  Alexander  fand  in  Rhakotis  den 
Kult  des  Sonnenosiris  vor  und  ließ  deshalb  für  die  ägyptischen 
Einwohner  des  dort  gegründeten  Alexandreia  ein  Heiligtum  der  Isis 
und  ihres  Kreises  errichten.  Später  wurden  daraus  die  Stadtgötter 
uyai^og  dal/utuv  und  dyad^fj  tvyjj  von  Alexandreia.  Die  ersten 
Ptolemaier  haben  mit  Ausnahme  des  elenden  Philopator,  der  sich 
zum  äg}-ptischen  Gottkönig  machte  und  selbst  die  Residenz  nach 
Memphis  verlegen  wollte,  bewußt  und  erfolgreich  die  altägyptische 
Religion  zu  etwas  ganz  Neuem  umgestaltet  (25).  Der  Gottes- 
begriff ist  soweit  gefaßt ,  daß  alle  individuellen  Gestalten  in  ihm 
aufgehen  können :  'Philosophie  und  Theologie,  Kunst  und  Literatur 


Ägyptische  Götter  im  Abendland.  —  Herrscherkulte.  g9 

können  in  dieser  Religion  Anregungen  finden ,  wie  sie  selbst  von 
allen  Kulturzentren  etwas  an  sich  zieht.'  In  Rom  war  der  Dienst 
der  äg3'ptischen  Götter  noch  in  augusteischer  Zeit  nicht  so  ver- 
breitet, wie  nach  den  Schilderungen  der  erotischen  Dichter  an- 
genommen wird.  Aber  seitdem  Alexandreia  Italien  das  Getreide 
lieferte  und  unter  den  kaiserlichen  Freigelassenen  die  Ägypter 
wichtig  wurden,  nimmt,  besonders  unter  Nero,  Vespasian  und  Do- 
mitian  der  ägyptische  Kult  in  Rom  an  Bedeutung  zu  (29  ff.). 
Unter  Iidian  ist  Serapis  ein  Gott  des  Alls  (33).  —  Nicht  nur 
für  die  literarischen  Bestrebungen,  sondern  auch  für  die  Religions- 
pohtik  der  Ptolemaier  in  der  zweiten  Hälfte  des  3.  Jhs.  kommt 
in  Betracht  der  Aufsatz  von  A.  Olivetti,  Neos  Dionysos 
(d.  i.  Philopator)  in  den  Atti  dell'  acc.  di  Tor.  L  1914/15, 
989  ff.  —  Über  die  V'eibreitung  der  ägypt.  Götter  in  den 
lateinisch  sprechenden  Provinzen  des  römischen  Reiches  sprach 
Toutain  auf  dem  Archäologenkongreß  in  Kairo  (Rev.  hist.  rel. 
LIX  1909  ^  233). 

Im  weiteren  Sinne  gehören  zu  den  aus  dem  Orient  eingeführten 
Diensten  auch  die  Herrschericuli e  insofern,  als  die  ihnen  zu- 
grunde liegende  Vorstellung  von  der  übermenschlichen  Bedeutung 
des  Monarchen  aus  orientalischen  Vorstellungen  zuerst  in  den  auf 
barbarischem  Boden  entstandenen  hellenistischen  Reichen  und  von 
dort  aus  in  Rom  Eingang  fand.  Allerdings  läßt  Hadzsits,  Proc. 
Amer.  Phil.  Assoc.  XL  1909,  S.  XXXIX  den  stadtrömischen  Kaiser- 
kult aus  zwei  anderen  Elementen ,  dem  Ahnenkult  und  der  Apo- 
theose der  Staatsidee,  d.  h.  der  Idee  des  wiederhergestellten 
Stadtstaates  sich  zusammensetzen,  und  Kaerst,  Gesch.  des 
hellenistischen  Zeitalters  II  1,  374  ff.  bestreitet,  daß  der  orien- 
talische Begriff  des  Gottkönigtums  oder  die  Messiasidee  die 
Hauptelemente  der  hellenistischen  Herrscherkulte  sind ;  da  er 
auch  den  giiechischen  Heroenkult  als  Ausgangspunkt  ablehnt, 
sieht  er  in  ihnen  Neubildungen,  entstanden,  'weil  die  allgemeine 
Entwicklung  politischer  Anschauungen  und  Verhältnisse ,  nament- 
lich aber  die  Entwicklung  der  geistigen  Kultur  immer  ent- 
schiedener auf  eine  Apotheose  des  herrschenden  Individuums 
hindrängte'  (389).  Nur  eine  Anknüpfung  der  Herrscherkulte  an 
das  ägyptische  Gottkönigtum  gibt  Kaerst  377  zu.  In  der  Tat 
haben  alle  von  ihm  hei-vorgehobenen  Momente  auf  die  Ent- 
stehung der  Apotheose  eingewirkt ;  aber  daß  die  im  Orient  aus- 
gebildete monarchische  Idee  nicht  bloß  nachträglich  mit  dem  Fürsten- 
kult verknüpft  wurde,    ist   schon  deshalb  anzunehmen  ,    weil  dieser 


90  Herrscherkulte. 

als  dauernde  Eiurichtuug  besonders  tief  und  beinahe  ausschließlich 
im  Orient,  und  zwai'  namentlich  in  Ägypten  wurzelt,  wo  die  Vor- 
stellung des  Gottkönigtums  am  sclu'offsten  ausgebildet  war.  —  L  i  e  t  z  - 
mann.  Der  Weltenheiland,  Bonn  1909,  S.  47,  wendet  gegen  Kaerst 
auch  den  Umstand  ein,  daß  der  mit  der  Vergötterung  verbundene 
Heilandsbegriff  sicher  keine  hellenistische  Neuschöpfung  war.  S.  50 
hält  Lietzmann  für  möglich ,  daß  die  hellenistische  Gottköuigsidee 
auf  die  uns  z.  B,  noch  ganz  unbekannten  Vorstellungen  klein- 
asiatischer oder  syrischer  Völker  zurückgehe.  —  Mehrere  neuere  Ar- 
beiten handeln  über  die  Vergötterung  der  Herrscher  im  helle- 
nistischen und  römischen  Äg^-pten.  Dürrbach,  Bull,  corr.  hell. 
XXXI  1907,  208  ff.  weist  darauf  hin,  daß  aus  der  Inschrift  von 
Nikurgia  bei  Dittenberger ,  Syll.  I^,  no  202  die  Einführung  des 
Soterkultus  im  Jahre  308  nicht  gefolgert  werden  dürfe-,  doch  hält 
Otto,  der  (Priester  und  Tempel  II  270  ff.)  über  die  Apotheose 
handelt,  dies  Datum  wegen  der  halikaruassischen  Inschrift  bei  Ditten- 
berger OGIS  I  16  für  ungefähr  richtig.  Dieser  Kult  ist  durch 
Soters  Sohn  Philadelphos  eingeführt,  der  dann  viel  später  (vgl.  ebd. 
I  146  ff.)  auch  seine  eigene  Verehrung  anordnete.  Im  Gegensatz 
zu  v.  Prott,  der  ein  Seleukidisches  Vorbild  annahm,  sieht  Otto  273 
in  dieser  Schöpfung  des  zweiten  Ptolemaios  den  zeitlich  ersten 
Beleg  für  einen  von  den  Regierenden  selbst  ins  Leben  gerufenen 
Herrscherkult.  Trotzdem  glaubt  er,  daß  das  System  des  Ptolemaier- 
kults  nicht  national-ägyptisch ,  sondern  eine  Einrichtung  des  grie- 
chischen Staates  sei,  da  auch  die  Frauen  offiziellen  Kult  empfangen 
und  die  Herrscher  besondere  Kultnamen  bekommen,  was  beides  un- 
ägyptisch sei.  —  Gerhard  Plaumann,  Ptolemais  in  Oberägypt. 
(Leipz.  histor.  Abh.  XVIII;  1910,  will  (S.  39  ff.,  bes.  51  ff.)  nach- 
weisen, daß  neben  dem  bekannten  eponymen  Kult  des  Ptolemaios 
^(fjTTjQ  (und  der  weiteren  Ptolemaier)  in  Ptolemais  ein  Kult  des 
O^tög  ^lotr^Q  als  Stadtgott  durch  die  ganze  ptolemaüsche  Zeit  be- 
stand und  in  die  römische  Zeit  übernommen  wurde.  Dagegen  blieb 
nach  Otto ,  Hermes  XLV  1910,  48  zwar  der  Kult  Alexanders  unter 
Augustus  bestehen,  aber  der  Ptolemaierkult  wurde  als  Staats- 
gottesdienst aVjgeschafft ,  und  an  die  Stelle  des  Ptolemaios  Soter 
trat  Augustus  mit  dem  gleichen  Beinamen.  —  Daß  die  Bezeichnung 
als  ^onTjQ  bereits  eine  gewisse  Vergötterung  in  sich  schließt,  er- 
gibt sich,  wenn  dieser  Ausdruck  nicht  bloß  in  den  hellenistischen 
Mysterien,  sondern  überhaupt  während  dieser  Periode  gleichbedeutend 
mit  l^tog  ist,  wie  Dölger,  ^lyßvg  I,  Rom.  Quartalsclir.  f.  christl. 
Altert.  XVII  1910,  S.  406  ff.,  besonders  S.  422  zeigen  will.    Über 


Herrscherkulte.  91 

^lüzrJQ  im  Sinne  von  'Erlöser'  s.  H.  Lietzmanu,  Der  Welten- 
heiland, Bonn  1909,  S.  56  ff. ,  über  den  Kaiser  als  i^eov  viog  s, 
ebd.  388.  —  Während  nach  Otto,  Priest,  und  Tempel  I,  138  ff. 
der  Alexanderkult  erst  durch  Ptolemaios  II.  eingeführt  war,  der 
die  Leiche  aus  Memphis  nach  Alexandreia  schaffen  ließ ,  ergaben 
Hibeh-  und  Elej)hantinepapyri,  daß  er  bereits  unter  Soter  bestand. 
O.  Rubens  ohn,  der  in  Arch.  für  Papyrusforsch.  V  1913,  150  ff. 
dies  hervorhebt,  meint,  daß  er  sich  an  das  Grab  in  Memphis  an- 
geschlossen habe ,  das  nicht  als  provisorisch  gedacht  gewesen  zu 
sein  brauche.  Weiter  wird  gezeigt,  daß  Berenike,  die  dritte  Ge- 
mahlin des  ersten  Ptolemaios ,  vergöttert  als  Kultgenossin  des 
lebenden  Herrschers  erscheint,  und  daß  ein  Dekret  gleich  im  An- 
fang der  Regierung  Ptolemaios'  III.  monatliche  Opfer  für  das  lebende 
Herrscherpaar  anordnete.  —  Ebd.  202  nimmt  W^ilcken  seine 
Zweifel  an  der  Begründung  des  ägyptischen  Alexanderkultus  durch 
8oter  zurück.  —  Über  den  Kult  der  Ptolemaier  in  Kypros  handelt 
Toutain,  Act.  du  4.  Congr.  intern,  d'hist.  des  rel.  S.  135,  der 
dem  Kult  einen  zugleich  regionalen  und  munizipalen  Charakter  zu- 
schreibt. Der  inschriftlich  öfters  genannte  Oberpriester  hatte  viel- 
leicht die  Überwachung  des  ganzen  Ptolemaierkultus.  Wilckens 
Schüler  Fr.  Blumenthal,  der  im  Archiv  f.  Papyrusf.  V  1913, 
317  ff.  die  ganze  Überlieferung  über  den  ägyptischen  Herrscherkult 
von  Antonius  an  zusammenstellt,  leugnet  (329)  überhaupt,  daß  der 
Kaiserkult  den  staatlichen  Dienst  der  Ptolemaier  fortsetzte ,  und 
behauptet ,  daß  er  kommunaler  Art  gewesen  sei.  Zwar  ließ  An- 
tonius sich  als  Dionysos  verehren ,  er  wollte  also  als  Nachfolger 
der  Diadochen  gelten,  doch  wurde  ihm  ein  offizieller  griechischer 
Kult  nicht  errichtet ,  und  er  genoß  auch  keine  Pharaonenehren. 
Der  jüngere  Caesar  ist  sofort  von  der  ägyptischen  Kirche  als  Pharao 
verehrt  worden ,  aber  einen  dem  Ptolemaierkult  entsprechenden 
staatlichen  Kult  der  lebenden  Kaiser  hat  es  nach  Blumenthal  nicht 
gegeben ;  auf  Staatsurkunden  ist  der  Kaiser  bei  Lebzeiten  nicht 
d'Eog,  auch  in  den  Eiden  nicht,  die  allerdings  auch  in  der  Kaiser- 
zeit beim  lebenden  Herrscher  geschworen  wurden  (vgl.  aber  Zeus' 
^EXevd-egiog  in  einer  Schwurformel ,  ebd.  329  ff.).  Seine  Statuen 
heißen  nicht  dyalf-iaTa,  sondern  di'ÖQiavveg.  An  den  ^i.iiQai  ^eßaarai 
wurde  (336  ff.)  nicht  dem  Kaiser  geopfert ,  sondern  für  ihn  und 
seine  Familie ;  wenn  wii-klich  die  Christen  gezwungen  wurden,  dem 
Herrscher  selbst  Opfer  darzubringen,  so  müssen  Übergriffe  der  Be- 
amten vorliegen  (328).  Damit  steht  nicht  ganz  in  Einklang  die 
Feststellung,    daß    diese  Feiern   ursprünglich  auch  nach  dem  Tode 


92  Herrecherkulte. 

der  Kaiser  innegehalten  wurden,  und  daß  nur  ihre  sich  rasch  ver- 
größorude  Zahl  bald  da/Ai  nötigte ,  die  anfangs  monatlichen  Feste 
zu  jährlichen  zu  machen.  Ebenso  wie  den  staatlichen  Kult  des 
lebenden  Kaisers  in  Äg\'pten  bezweifelt  Blumenthal  den  Provinzial- 
kult,  und  zwar  schon  deshalb,  weil  die  Voraussetzung,  eine  offizielle 
Städtevertretung,  fehlte.  Der  in  den  verschiedenen  Sebasteien 
—  auch  Alexandreias  —  ausgeübte  Kult  ist  demnach  als  reiner 
Stadtkult  aufzufassen  (326) ;  als  die  Städte  kein  Geld  mehr  für 
Luxusbauten  hatten,  hörte  die  Errichtung  neuer  Tempel  auf;  die 
letztbezeugten  sind  die  der  Faustinen.  —  In  dem  Archiv  f.  Papyrusf. 
VI  1914,  77  ff.  nimmt  G.  Plaumann  Untersuchungen  über  den 
doppelten  Alexanderkult  in  Ägypten  wieder  auf. 

Über  die  Kaiserverehrung  in  den  übrigen  Provinzen  sind  so 
eingehende  Sonderuntersuchungen  in  den  letzten  Jahren  nicht  er- 
schienen. Allgemein  handelt  über  sie  in  den  Westprovinzen  Toutain . 
Les  cultes  paiens  dans  l'empire  romain  I  1,  19  ff.  Es  wird  u.  a. 
ausgefühi-t,  daß  die  Seviri  und  Augustales  sich  in  ihren  besseren 
Bestandteilen  vorzug.sweise  aus  reich  gewordenen  kleinen  Kaufleuten 
und  Freigelassenen  zusammensetzten ,  die  aus  dem  griechischen 
Orient  stammten,  während  die  Priester  des  Provinzial-  und  Munizipal- 
kaiserkultus sich  besonders  aus  den  besseren  einheimischen  Familien 
rekrutierten,  die  mit  dem  Bürgerrecht  beschenkt  waren.  —  Über 
die  Feier  des  Fürstengeburtstags  handelt  W.  Schmidt,  Geburtst. 
im  Altertum  (RV  u.  V  VII  j,  1908)  S.  53  ff.  —  Pascal,  Credenze 
d'Oltretomba  II  241  ff.  will  vom  religionsgeschichtlichen  Stand- 
punkt aus  die  Kaiservergötterung,  insbesondere  die  des  Cäsar  und 
Augustus,  ihre  Entstehung  und  Bedeutung  betrachten,  was,  wie  er 
glaubt,  bisher  nicht  geschehen  ist.  —  Riewaldt,  De  imperatorum 
Romanorum  cum  certis  dis  et  comparatione  et  aequatione  (Diss.  Hai. 
phil.  XX  3,  1912,  265  ff.)  behandelt  zunächst  die  Dichterstellen, 
dann  (271  ff.)  die  Fälle,  in  denen  ein  Kaiser  sich  selbst  einem 
bestimmten  Gott  verglich  oder  vergleichen  ließ ,  dann  (286  f.)  die 
griechischen  Texte,  in  denen  ein  Gott  einem  Kaiser  gleichgesetzt, 
nicht  bloß  verglichen  wird  (gewöhnlich  so ,  daß  der  Name  des 
Gottes  oder  seine  Epiklesis  hinter  dem  Gottesnamen  erscheint,  oft 
mit  dem  Zusatz  veog),  endlich  diejenigen  Kaiser,  die  avvvaoi  eines 
Gottes  wurden  und  dessen  Epiklesis  empfingen.  Die  Sammlung 
ist  reichhaltig,  aber  die  Anordnung  nicht  bequem ;  sie  läßt  sich  auch 
nicht  glatt  durchführen,  doch  hat  der  Vf.  durch  Indices  locorum 
und  imperatorum  die  Übersicht  erleichtert.  Leider  fehlt  ein  Index 
deorum.    Daß  gelegentlich  auf  alexandrinische  und  sogar  noch  ältere 


Herrscherkulte.  93 

Fälle  der  Apotheose  zurückgegriifen  "wird,  ist  an  sich  zu  loben,  aber 
ein  Grund  ist  nicht  überall  zu  erkennen.  —  Über  Tholosbauten  zu 
Ehren  von  Herrschern,  die  sich  als  Dreizehnte  neben  die  12  Götter 
stellen  wollten  (zuerst  Philipp  von  Maked.,  Diod.  XVI  92,  5;  dann 
Alexander  und  besonders  Hadrian)  s.  Weinreich,  Sitzber.  Heidelb. 
AW  IV,  1913,  VII,  S.  39  f.  —  Lily  Ross  Taylor,  Transact. 
Am.  Phil.  Ass.  XLV,  1914,  231  bespricht  besonders  die  Re- 
organisation der  Kollegien  der  Augustales,  Seviri  Augustales,  Öeviri, 
durch  welche  Traian  ihre  religiöse  Bedeutung  verringert,  ihre 
politische  dagegen  verstärkt  haben  soll.  Die  Augustales  wurden 
dadurch  nach  Taylor  ein  Stand  neben  dem  Munizipalsenat  und  der 
Plebs,  also  ähnlich  den  römischen  Rittern. 

Eigentümliche  Vorstellungsverbinduugen  traten  da  ein,  wo  die 
Apotheose  mit  der  alten  Anschauung  verbunden  wurde ,  daß  die 
vergötterte  Seele  als  Stern  am  Himmel  wohne.  Cumont,  Rev. 
liist.  rel.  LXII,  1910  2,  119  ff.  weist  nach,  daß  die  bei  der 
Konsekration  römischer  Kaiser,  aber  auch  bei  Privatleuten  des 
Okzidents  bezeugte  Vorstellung  von  der  Hinauftragung  der  Seele 
durch  einen  Adler  an  hellenistischen  Grabmälern  Syriens  eine  Ent- 
sprechung und  dort  wahrscheinlich  auch  die  Heimat  habe.  Der 
Adler,  der  sich  überwiegend  bei  Männern  findet,  scheint  hier 
Symbol  der  Sonne  zu  sein;  die  Bedeutung  des  dafür  bei  Frauen 
auftretenden  Korbes  untersucht  Cumont  nicht;  bei  der  nahen 
Beziehung  zwischen  Mysterienkorb  und  Mond  kommt  in  Frage, 
ob  vielleicht  dieser  gemeint  sei.  Ebd.  155  handelt  Cumont  über 
die  Bedeutung  der  Quadi-iga  bei  der  Apotheose ;  vgl.  dazu 
Deubner,  Rom.  Mitt.  XXVII,  1912,  S.  8.  —  In  einem  von 
Kornemann,  Klio  VII,  1907,  278  ff.  herausgegebenen  Papyrus- 
stück steht  a(j(.iazi  kev'/.07tioXi^  Üqtl  TQctiav[ii)\  acvarazelXag  rj-AO) 
üoi  0)  ärjfx[e]  ov/.  ayvcoazog,  Ooißog  dsög  ava^xa  '/.aivop^u^ÖQiavov 
ayy&Xl[iüv].  Der  Herausgeber  vergleicht  die  Himmelfahrt  auf  der 
Augustusara  des  Vatikans  (Abb.  ebd.  zu  S.  280). 

Bisweilen  wird  eine  Bezeichnung  oder  Andeutung  der  Göttlich- 
keit Teil  des  Herrschernamens.  Über  ^cozr^Q  s.  0.  {S.  90).  Auch 
'EnLfpavii'ig  ist  Gottesbezeichnung  gewesen.  —  Aus  einer  Übersicht 
der  Inschriften,  auf  denen  dies  Götterbeiwort  erscheint,  gewinnt 
Steinleitner,  Die  Beicht,  Münchner  Diss.,  1913,  S.  19  das 
Ergebnis,  daß  es  ebenso  wie  eTvigxxveia,  iiiKpavaGzaTOg  zur  Sakral- 
sprache des  Ostens  gehört,  und  zwar  das  unerwartete  hüfreiche  Er- 
scheinen der  Gottheit  bezeichnet.  Wahrscheinlich  von  Kappadokien 
aus  soU  die  Bezeichnung;  auf  die  Könige  übertragen  sein.  —  Divos, 


94  Herrscherkulte. 

die  Bezeichnung  der  konsekrierten  Kaiser  entspricht  Dach  Schwering, 
Indog.  Forsch.  XXXIV,  1914/15,  1  ff.  begriffhch  dem  0 Bug,  das 
nur  ausnahmsweise  als  Beiwort  eines  nichtrömischen  Herrschers 
erscheint.  Im  Gegensatz  zu  dius  „göttlich",  d.  h.  „von  Gott  ab- 
stammend", ist  divus  anfangs  Substantiv;  später,  aber  hauptsäch- 
lich erst  in  chi'istlicher  Zeit,  hat  sich  von  der  Kaiserkonsekration 
aus  die  Umdeutung  vollzogen.  Sind  demnach  divos  und  deus  der 
gi-ammatischen  Funktion  nach  gleichwertig,  so  bestand  doch  im 
Gebrauch  ein  Unterschied  insofern ,  als  deus ,  nicht  aber  divos 
Gattungsbegriff  geworden  ist. 

"Was  die  einzelnen  Konsekrationen  anbetrifft,  so  gibt  Hubert 
Heinen,  Klio  XI,  1911,  129  ff.  eine  Übersicht  über  die  von 
48  V.  Chr.  bis  14  n.  Chr.  beschlossenen.  Es  werden  der  ältere 
Cäsar,  ferner  (137  ff.)  M.  Antonius  und  Sex.  Pompeius,  endlich 
(139  ff.)  Augustus  behandelt.  —  Über  Cäsarf;  Vergötterung  sprechen 
V.  D  0  m  a  s  z  e  w  s  k  i ,  Phil.  LXVII ,  1 908  ,  1  ff.  (Abh.  zur  röm. 
Rel.  193),  der  in  den  luperci  luliani  eine  Nachbildung  der  ^^xTalLaazai 
des  Dionysos  und  in  dem  flamen  des  luppiter  lulius  eine  Nach- 
bildung des  iegeig  ßaoiXtcog  von  Pergamon  sieht,  Stanley  Dünn, 
Proceed.  Amer.  Phil.  Ass.  XL,  1909,  S.  XXVII  und  Fowler, 
Roman  Ideas  of  Deity,  1914,  S.  107  ff.  —  Für  das  Fortschreiten 
der  Vorstellung  von  der  Göttlichkeit  des  kaiserlichen  Hauses  sind 
zwei  von  v.  Domaszewski,  Arch.  f.  Eeligionswiss.  XII,  1909, 
334  ff.  besprochene  kyprische  Kalender  interessant.  Der  eine,  aus 
den  Jahren  21—12  v.  Chr.,  nennt  die  Monate  außer  einem,  der 
nach  (Zeus)  Jianeiio'/aog  heißt,  nach  Mitgliedern  des  kaiserlichen 
Hauses;  der  zweite,  aus  dem  Jahre  2  v.  Chr.,  ersetzt  diese  durch 
die  Amtstitel  des  Kaisers.  —  Die  herkömmliche,  sich  auf  Suet.  div. 
Aug.  52  stützende  Annahme,  daß  Augustus  sich  nur  in  Verbindung 
mit  der  dea  Roma  verehren  ließ,  ist  nach  W.  Otto,  Herrn.  XLV, 
1910,  44S  irrig:  auch  außerhalb  Ägyptens  hat  er  sich  —  nicht 
bloß  seinen  Genius  —  auch  ohne  jene  Göttin  als  Gott  feiern  lassen, 
und  diese  Verehrung  entsprach  seinen  persönlichen  Ansichten.  — 
Daß  Augustus  nicht  bloß  im  Anfang  seiner  Regierung  vorüber- 
gehend ,  sondern  auch  später  als  Mercur  vergöttert  wurde ,  sucht 
Hubert  Heinen,  Klio  XI,  1911,  150,  3  gegen  Wissowa  zu  er- 
weisen.—  Zu  den  Vermutungen  Pascals,  Le  credenze  d'Oltre- 
tomba,  Catania,  1912,  II  248  ff.  vgl.  Berl.  Phil.  Wochenschr.  XXXIII, 
1913,  1070f.  —  Das  Augusteum  in  Rom  wollte  nach  Richmond, 
Essays  and  Stud.  pres.  to  Ridgeway,  1913,  S  205  ff.  Tiberius  im 
Jahre    37    zum    100.  Geburtstag   des   Augustus    fertigstellen,    aber 


Herrscherkulte.  —  Heidentum  und  Judentum.  95 

Caligula  stieß  den  Plan  des  verhaßten  Vorgängers  um  und  verlegte 
den  Augustuskult  vor  den  Tempel  des  Apollo  Palatiuus.  —  Über  die 
Apotheose  des  Antoninus  und  der  Faustina  auf  der  Antoninussäule 
spricht  L.  Deubner,  Rom.  Mitt.  XXVII,  1912,  1  ff.,  der  wie 
Cumont  diese  Darstellungsform  der  Kaiservergötterung  aus  dem 
Seleukidenreich  herleitet.  —  Im  Anschluß  an  die  Herrscherknlte 
sei  einiger  Untersuchungen  über  die  Apotheose  des  Antinoos 
gedacht.  W.  Weber,  zwei  Untersuchungen  z.  Gesch.  d.  ägypt.- 
griech.  Religion,  Progr.  Heidelb.,  1911,  19 ff.  (vgl.  Unters,  zur  Gesch. 
des  Kaisers  Hadr.  248  ff.)  will  nachweisen,  daß  der  Jüngling  deshalb 
als  Hermes  vergöttert  wurde ,  weil  Hadrian,  als  sein  Liebling  in 
Besä  ertrank,  in  dem  gegenüberliegenden  Hennopolis  mit  den 
Hermespriestern  Geheimwissenschaften  trieb.  Deshalb  wird  Antinoos 
mit  dem  Kerykeion  dargestellt.  Nach  Hadrians ,  seines  größten 
Gläubigen,  Sinn  soll  Antinoos  ein  Urgott  der  Panhellenen  gewesen 
sein,  doch  wurde  er  (ebd.  20  ff.)  auch  dem  Bes,  dem  Gott  von  Besä, 
gleichgesetzt.  —  G.  Blum,  Mel.  d'arch.  et  d'hist.  XXXIII,  1913, 
65  ff.,  der  einen  Kopf  des  Antinoos  aus  dem  Thermenmuseum  ver- 
öffentlicht, betont,  daß  es  sich  bei  dem  Antinooskult  —  in  Ägypten 
wenigstens  —  um  einen  wirklichen,  innerlich  empfundenen  Gottes- 
dienst handelte,  der  öfters  einen  lugubren  Charakter  hatte.  Die 
auf  seine  Verehrung  bezüglichen  Münzen  sammelt  Blum  im  Journ. 
intern,  d'arch.  numism.  XVI,  1914,  33  ff.  Es  ergibt  sich  aus 
ihnen,  daß  der  Kult  bis  in  das  4.  Jh.  fortlebt,  und  daß  man  den 
Antinoos  um  Fruchtbarkeit  des  Landes  und  um  die  Ruhe  im 
Jenseits  bat.  —  Wilcken,  Arch.  Jb.  XXXII,  1917,  202  erinnert 
daran,  daß  die  im  Nil  Ertrunkenen,  die  iaieig^  kleine  Opferaltäre 
im  memphitischen  Serapeion  hatten,  also  wohl  als  vergöttert  be- 
trachtet wurden. 

Von  der  großen,  teilweise  durch  Papyrusfunde  angeregten 
Literatur,  die  sich  mit  der  Stellung  des  Judentums  zu  der 
Religion  der  Griechen  und  Römer  und  mit  den  Einwirkungen  be- 
schäftigt ,  die  beide  aufeinander  ausübten ,  können  hier  nur  die 
wenigen  für  die  antike  Religionsgeschichte  wichtigen  Arbeiten  hervor- 
gehoben werden.  Obwohl  die  rechtliche  Stellung  der  Juden  im 
römischen  Reich  gewiß  nicht  ungünstig ,  in  mancher  Beziehung 
sogar  privilegiert  und  jedenfalls  besser  war,  als  die  der  Christen 
(Toutain,  Les  cultes  paiens  I  1,  233;  vgl.  B.  Motzo,  Atti 
acc.  Tor.  IIL,  1912/13,  S.  577,  der  über  die  rechtliche  Stellung 
der  Juden  unter  den  Lagiden  und  in  der  Kaiserzeit  handelt),  war 
ihre  gesellschaftliche  und  wirtschaftliche  Lage  im  allgemeinen  nicht 


96 


Der  heidnische  Staat  und  das  Judentum. 


erfreulich,  und  namentlich  wo  es  ihnen  doch  gelungen  war,   empor- 
zusteigen ,    wurden    sie    gehaßt.      Vgl.    *  S  t  ä  h  e  1  i  u  ,    Der    Anti- 
semitismus des  Altertums,  Basel,  1905;  Bludau,  Zu  den  Juden- 
verfolgungen im  alten  Alexandria,  Münster  i.  W.,  1906  ;  ü.  Wilcken, 
Zum  alexandrinischen  Antisemitismus,  Abh.  SGW  ph.-hist.  Gl.  XXVII, 
1909,  „0  XXIII,  S.   780  ff.,  der  von  einer  Eingabe  ausgeht,  welche 
die    heidnischen  Einwohner  von  Apollinopolis  parva  an  den  Kaiser 
wegen  der  Überlassung  einer  andern  Legion  zum  Schutz  gegen  die 
avoaloi^;^ lovöaiovg  gerichtet  hatten.     Dieser  Gegensatz  verhindert 
aber    nicht ,    daß    an    andern  Stellen  Ausgleichungen   zwischen  dem 
Judentum    und    dem   Heidentum    stattfanden    oder  wenigstens  ver- 
sucht   wurden.      In    dem    Aufsatz   Le    mystere   de    Sabazios    et   le 
judaisme,    Compt.  rend.  AIBL ,    1906,    63  ff.   setzt    Fr.  Cumont, 
seine    Untersuchungen    über    die   jüdisch-heidnische    Mischreligion 
fort,  die  sich  infolge  der  systematischen  Judeuverpflanzungen  nach 
Kleinasien  dort  im  2.  u.  3.  Jh.  gebildet   hatte  und  die  zur  Gleich- 
setzung von  Zebaoth  und  Sabazios  führte.    Vincentius,  dessen  Grab 
in  den  Katakomben  gefunden  ist,  soll  ein  Priester  dieser  jüdischen 
Ketzer   gewesen    sein,    dem  die  Christen  ein  Grab  gewährten,  weil 
sie    an   ihm    manches    Verwandte    erkannten.     Der   Angelus  Bonus 
auf  dem  Wandbüd    des  Grabes    ist   nach    Cumont  jüdisch.     Diese 
Annahme    einer   Verschmelzung   des    Sabazioskultus   mit  jüdischen 
Elementen  verteidigt  Cumont,  Musee  Beige  XIV,  1910,  55  ff.  gegen 
Jamar,  der  ebd.  XIII,   1909,    227  den  jüdischen  Einfluß  auf  den 
Sabazioskult    geleugnet    und    die    monotheistische   Umformung   des 
alten  thrakisch-phrygischen  Dienstes  auf  syrische  Einflüsse  zurück- 
geführt  hatte.  —  Auf  die  synkretistischen  Judengemeiuden  Klein- 
asiens   bezieht    Eisele,    Neue    Jahrb.    XXIII,    1907,    631    Joh. 
uno/..  II  9    und    III  9.  —  Über   die  Ausgleichung   von  Dionysos - 
Sabazios  und  Jahwe-Sabaoth  s.  auch  Perdrizet,  Rev.  et.  anc.  XII, 
1910,  241  ff.,  der  aus  dem  Bruchstück  des  Satyros  über  die  Demen- 
ordnung   von    Alexandreia    folgert,    daß  Ptolemaios  IV.    Philopator, 
selbst  ein  überzeugter  Dionysosverehrer,  einen  neuen,  auch  die  Juden 
umfassenden  Reichskult  stiften  wollte. 

Eine  Übersicht  über  die  Arbeiten,  welche  das  Verhältnis  der 
antiken  Religion  zum  Christentum  behandeln,  muß  aus  Raummangel 
fortfallen. 


97 


IV.    Der  Kultus. 

Entsprechend  dem  Ziele,  das  diesem  Teile  des  Jahresberichtes 
gesteckt  ist,  wird  nur  das  für  die  Religionsgeschichte  Wichtige 
verzeichnet;  Fragen,  wie  die  nach  der  Verwaltung  der  Tempel- 
güter, nach  der  Organisation  und  nach  der  rechtlichen  Stellung  des 
Priestertums,  sind  im  allgemeinen  andern  Teilen  dieser  Jahresberichte 
überlassen.  Dagegen  schien  es  bei  dem  meist  engen  Zusammenhang 
des  Aberglaubens  und  des  Kultus  angemessen,  hier  alle  Untersuchungen 
über  jenen  zusammenzustellen,  auch  wenn  ein  mit  dem  Aberglauben 
verbundener  Zauber  oder  Kultusakt  darin  nicht  erwähnt  wird. 

1)   Zum  Fortleben  autiker  Riten  im  heutigen  Aberglauben. 

John  Cuthbert  Lawson,  Modern  Greek  Folklore  and 
ancient  Greek  Religion,  A.  Study  in  Survivals,  London  1910,  macht 
den  ersten  umfassenden  Versuch ,  die  Ergebnisse  der  weit  zer- 
streuten Arbeiten  über  das  Fortleben  der  alten  Rehgion  und  Sage 
im  heutigen  Griechenland  zu  sammeln;  vieles  hat  er  selbst  dem 
Volksmunde  abgelauscht,  anderes  entnimmt  er  nicht  nur,  wie  natür- 
lich ,  Politis  und  B.  Schmidt ,  sondern  auch  minder  zuverlässigen 
Quellen  wie  Fr.  Lenormant.  Von  der  Dauerhaftigkeit  des  Volks- 
glaubens hat  er  eine  sehr  hohe  Vorstellung;  der  erste  beste  neu- 
griechische Bauer  würde  manche  Stellen  der  Tragiker,  wenn  er  sie 
lesen  könnte ,  seiner  Ansicht  nach  (460)  besser  verstehen  als  der 
gelehrteste  Philologe.  Daß  die  von  ihm  als  altgriechisch  vermuteten 
Vorstellungen  sich  z.  T.  bei  vielen  anderen  heutigen  Völkern  finden, 
weiß  Lawson  wohl  und  ist  bisweilen  über  diese  Übereinstimmungen 
erstaunt  (z.  B.  318);  in  andern  Fällen  erkennt  er  eine  Verschieden- 
heit des  alt-  und  neugriechischen  Volksglaubens  an ,  die  er  durch 
das  Eindringen  slavischer  Vorstellungen  erklärt.  Reinlich  durch- 
führen läßt  sich  diese  Scheidung  aber  nicht;  und  das  Ergebnis  ist 
bisher  nur  das  unbestimmte,  übrigens  von  vornherein  zu  vermutende, 
daß  der  heutige  Volksglaube  Griechenlands  dem  altgiüechischen 
zwar  näher  steht  als  der  Italiens,  Mitteleuropas,  Vorderasiens  oder 
noch  entfernterer  Gebiete,  sich  aber  keineswegs  mit  ihm  deckt.  So 
nahe  es  liegt,  den  modernen  neugriechischen  Volksglauben,  der  auf 
einer  tieferen  Stufe  steht  als  der  in  der  klassischen  Literatur  über- 
lieferte ,  für  dessen  Ausgangspunkt  zu  halten ,  so  ist  es  dennoch 
nicht  gestattet,  dies  Verhältnis,  das  freilich  im  einzelnen  Fall  be- 
standen   haben    kann ,    allgemein    vorauszusetzen ,    die    begriflflich 

Jiihre3bericht  für  Altertumswissenschafi.    Bd.  186  (Siipplenientband).  7 


93  Hellenisches  im  Neugriechischen. 

primitive  Vorstellung  auch  für  die  geschichtlich  ältere  zu  halten 
oder  gar  antike  Überlieferungen  danach  zu  berichtigen.  Lawson 
handelt  hauptsächlich  von  den  Vorstellungen  über  den  Zustand  der 
Seelen  nach  dem  Tode,  und  es  wird  daher  auf  sein  "Werk  auch  bei 
der  Besprechung  dieser  Rücksicht  zu  nehmen  sein.  —  Weniger, 
Arch.  f  Religionswiss.  X,  1907,  252,  bespricht  das  Fortleben  von 
Vorstellungen  des  delphischen  Dionvsoskultus  im  Parnaßgebiet.  — 
Besonders  Svoronos  zieht  gern  neugriechische  Gebräuche  zur  Er- 
kläi-ung  alter  Riten  und  Mythen  heran;  vgl.  z.  B.  seine  Vermutungen 
aber  den  Kledonas,  der  mit  den  altgriechischen  yXtjdoveg  verglichen  wird 
(Journ.  intern,  d'arch.  num.  XII,  19"Ö9/10,  308  ff.),  über  die  Kalli- 
kantzaroi,  die  durch  einen  Speerstoß  in  die  Erde  vertrieben  werden, 
wie  nach  Svoronos  die  bösen  Geister  durch  Athenas  Speerstoß  auf 
der  Burg  (ebd.  XIV,  1912,  244  ff.).  Seine  Auffassung  über  das 
Fortleben  altgriechischer  Mythen  im  neugriechischen  Volksglauben 
sucht  B.  Schmidt.  Neue  Jahrbb.  XIV,  1911,  643  gegen  die  Be- 
denken zu  verteidigen,  die  K.  Dieter  ich  ebd.  1906,  81  in  der 
Besprechung  von  Politis'  nagaSoaeig  erhoben  hatte.  —  Die  zur  Be- 
urteilung solcher  Fragen  erforderlichen  Überlieferungen  werden  be- 
greiflicherweise am  besten  von  I^inheimischen,  Forschern  und  auch 
Laien  gesammelt  werden.  Es  ist  daher  zu  begrüßen,  daß  seit  1908 
auch  in  Griechenland  unter  Führung  von  N.  Po  litis  eine  Gesell- 
schaft für  Volkskunde,  die  )MoyQa(fixr]  traioEia  besteht,  die  eine 
Vierteljahrsschrift,  die  ylaoyqacfia  I,  1909)  herausgibt.  —  Die  seit 
1910  erscheinende  Zeitschrift  Apulia  widmet  wenigstens  einen 
Teil  ihres  Inhalts  dem  Archivio  demografico.  Aber  auch  der  Volks- 
glaube anderer  Länder  ist  heranzuziehen,  denn  wenngleich  noch 
keineswegs  in  jedem  einzelnen  Fall  aufgeklärt  ist,  durch  welche 
Zwischenglieder  der  Aberglaube  und  die  Gebräuche  des  heutigen 
Europa  oder  gar  die  noch  ferner  liegender  Gebiete  mit  den  antiken 
zusammenhängen,  so  kann  doch  die  Tatsache  dieses  geschichtlichen 
Zusammenhangs  und  auch  die  sich  aufdrängende  Beobachtung  nicht 
bestritten  werden ,  daß  im  allgemeinen  eine  P^rscheinung  auf  dem 
Gebiet  des  Volksglaubens  sich  auf  einem  um  so  größeren  Gebiet 
findet,  je  älter  sie  ist.  So  bestimmt  die  Voraussetzung,  daß  der- 
artige Übereinstimmungen  aus  einer  Veranlagung  des  Menschen- 
geschlechtes zu  erklären  seien,  und  der  Schluß  abgelehnt  werden  mußte, 
daß  moderne  Parallelen  ohne  weiteres  antike  Riten  erklären  und  die 
Angaben  darüber  als  gleichwertige  Zeugnisse  unter  Umständen  richtig 
stellen  können  (.s.  S.  4  ff.) ,  so  verdienen  sie  doch  Beachtung 
schon    als  Problem ,    dessen   Lösung   erkenntnisfördemd  sein  kann. 


Volksglaube  und  Volksbräuche.  99 

Die  antike  Religionswissenschaft  darf  daher  an  den  zahh-eichen 
Zeitschriften  für  Volkskunde  und  an  den  Verhandlungen  und  Ver- 
öffentlichungen der  vielen  anthropologis(;hen  xand  ethnographischen 
Vereine  nicht  vorübergehen.  Tatsächlich  gehören  solchen  Gesell- 
schaften auch  viele  Gelehrte  an,  die  auch  auf  dem  Gebiet  der  an- 
tiken Religionsgescliichte  tätig  sind.  Vorsitzender  des  auf  An- 
regung des  Direktors  vom  Trocaderomuseum  Verneau -gegründeten 
Institut  franpais  d'anthropologie  war  während  der  ersten  drei  Jahre 
S.  Reinach,  und  Dussaud,  Durckheim,  Meillet,  Mauß,  Hubert  zählten 
zu  ihren  Mitgliedern.  Auch  Werke,  wie  die  Festschrift  der  schle- 
sischen  Gesellschaft  für  Volkskunde,  Breslau  1911,  die  Zeitschriften 
für  Volkskunde  wie  die  Anthropophyteia,  Jahrbb.  für  folkloristische 
Erhebungen  zur  Entwicklungsgeschichte  der  geschlechtlichen  Moral, 
herausgegeben  von  Dr.  Fr.  S.  Krauß,  die  Bayerischen  Hefte  für 
Volkskunde,  Vierteljahrsschrift  vom  ba3'erischen  Verein  für  Volks- 
kunde (I.  1914;  darin  z.  B.  Rob.  Eisler,  Fischer-  und  SchilBfer- 
gebräuche  aus  alter  und  neuer  Zeit,  I  209 ff.,  II  73ff.),  die  zuerst  von 
A.  Strack  unter  Mitwirkung  von  Usener  und  Dieterich  geleiteten 
Hessischen  Blätter  für  Volkskunde,  jetzt  herausgegeben  im  Auftrage  der 
hessischen  Vereinigung  für  Volkskunde  von  K.  Helm  u.  H.  Hep- 
ding  (darin  z.B.  VII,  1908,  40  eine  Mitteilung  von  Hepding  über 
moderne  griechische  Neujahrsgebräuche  in  Pergamon)  und  viele 
andere  bringen  auch  solche  Untersuchungen,  die  für  die  Erforschung 
des  Altertums  Bedeutung  gewinnen  können.  —  Keltische  Mythen,  die 
er  aus  mittelalterlichen  Quellen  schöpft,  führt  A.  B.  Cook,  Folk- 
loi'e  XVIII,  1907,  24  ff.  an,  um  Einrichtungen  zu  erweisen,  die 
dem  Kult  von  Aricia  verwandt  gewesen  sein  und  diesen  erklären 
sollen.  —  Folklore  aus  dem  heutigen  Palästina  sammeltMos.  H.  Spoer, 
Folklore  XVIII,  1907,  54  ff.  Es  sind  hier  vorläufig  nur  einige 
Arbeiten  namhaft  gemacht,  auf  die  im  folgenden  nicht  besonders 
eingegangen  werden  kann ;  gerade  über  die  für  die  Erforschung  der 
antiken  Religion  wertvollsten  Untersuchungen,  die  sich  in  der  immer 
wachsenden  Zahl  der  Zeitschriften  für  Volkskunde  finden,  ist  teil- 
weis schon  gehandelt  worden ,  teils  wird  von  ihnen  in  anderem 
Zusammenhang  zu  sprechen  sein.  Hier  sei  nur  noch  im  allgemeinen 
hervorgehoben,  daß  der  Wert  dieser  Vergleichung  von  Begehungen 
zunächst  meist  nur  in  der  Sammlung  des  Materials  besteht,  das 
zwar  vielleicht  später  Schlüsse  gestatten  wird ,  vorläufig  aber  fast 
nie  richtigen  und  sicheren  Aufschluß  über  die  Bedeutung  einer 
Begehung  gibt,  weil  diese  oft  weitergeübt  wird,  nachdem  ihr  Sinn 
sich  verändert  hat. 


IQQ  Dämoneuglaube. 

2)   Götter  uwd  Dämoiieu.    Ihre  Stätte. 

Im  Auschluß  an  Apul.  de  mag.  43  handelt  Ad.  Abt,  Apol. 
des  Apul.  von  Madaura  ßV  u.  V  IV  2.  252  tf.  über  die  Dämouen- 
lehre  des  Neuplatonismus .  die  zur  theoretischen  Begründung  der 
Zauberei  benutzt  wurde.  —  Die  antike  Magie  behandelt  Jevons 
in  einem  Aufsatz ,  der  zuerst  in  dem  aus  Vorlesungen  in  Oxford 
hervorgegangeneu  Sammelwerk,  Anthropolog}-  and  the  Classics  1908 
und  später  deutsch  1910  in  der  Übersetzung  dieses  Buches  von 
Joh.  Hoops,  S.  115  iF.  erschienen  ist.  —  Charles  Michel. 
Les  bons  et  les  mauvais  esprits  dans  les  croyances  populaires  de 
Tancienne  Grece  (Rev.  hist.  litt.  rel.  n.  s.  I,  1910,  193)  bespi'icht 
zunächst  die  Volksvorstellungen,  von  denen  einige  wie  die  von 
den  Musen  in  eine  höhere  Sphäre  gehoben  wurden,  dann  die  Lehren 
der  Philosophie.  —  Zwölf  antike  Geister-  und  Gespenstergeschichten 
(„Braut  von  Korinth'" ;  andere  Totenerscheinungen;  Geschichten 
von  dankbaren  Tieren;  Spukgeschichten;  Geschichten  von  Weis- 
sagungen durch  Geister ;  Jenseitsvisionen ;  Geschichten  von  Schein- 
toten; von  gefährlicher  Totenwacht;  von  Werwölfen ;  „die  wandernde 
Glocke";  Liebes  verkehr  mit  übermenschlichen  Wesen:  Verlöbnis 
im  Doppeltraum;  die  Geschichte  von  dem  Philosophen,  der  den 
Spuk  verlacht)  sammelt  und  übersetzt  P.  Wendland,  Festschr. 
der  schles.  Gesellsch.  f.  Volksk.,  1911,  S.  33  ff.  — Die  meist  barbari- 
schen Namen  von  Dämonen,  die  in  der  Lekanomantie  einer  Neapler 
griechischen  Hs.  angerufen  werden,  sucht  Fr.  Boll,  Arch.  f.  Re- 
ligionswisseusch.  XII,  1909.  149 ff.  zu  deuten;  der  Name  des  neu- 
griechischen y.aliy.avTaaQog]  ist  nach  Boll  aus  y.avd^aQog  entstanden.  — 
Über  die  Strix  handeln  Oppenheim,  Wien.  Stud.  XXX,  1908, 
158  ff.,  der  160  A.  1  Otos  mit  Tümpel  bei  Pauly-Wissowa  R.E 
V  2848  für  einen  eulenartigen  Nachtdämon  hält ,  und  0 1  i  p  h  a  n  t . 
Transact.  Amer.  Philol.  Assoc.  XLIV,  1913,  127  ff.,  XLV,  1914, 
49  ff.,  der  u.  a.  die  Vermutung  zurückweist,  daß  die  Strix  als  Eule 
(.<?.  u.  S.  140  das.)  vorgestellt  wurde  und  nur  eine  Ähnlichkeit  gewisser 
Volksvorstellungen  zugesteht.  Auf  Reste  der  Vorstellungen  von 
den  Striges  in  heutigen  neugriechischen  Überlieferungen  weist 
Wit.  Klinger,  Phü.  LXVI,  1907,  344  hin. 

_Zur  Geisterbaimung  im  Altertum"  ist  die  Überschrift  einps 
Aufsatzes  von  Wünsch,  Festschr.  der  Schles.  Gesellsch.  f.  Volksk. 
1911,  S.  9  ff.,  der  au.sführlich  das  Fortsenden  (aycontiJTtecv,  ctno- 
di07rof.i7r£iadai,  was  mit  Et.  Magn.  125,  35  von  Z.  ^^TrorgorraJog 
hergeleitet    und    als    „sich    von  Zeus  einen  bösen  Geist  fortsenden 


Dämonenglaube  und  Volkßbräuche.  101 

lassen"  gedeutet  wird)  böser  Dämonen,  z.  B.  die  Bannung  in  das 
Meer  (25),  in  die  wilden  Berge  (27),  zu  den  wilden  Ziegen  (28) 
und  in  den  Hades  (30)  erörtert.  Im  Anschluß  an  und  in  Er- 
weiterung von  Schmidts  Aufsatz,  Philol.  Jahrb.  CXLIII  561  ff., 
werden  zahlreiche  antike  und  auch  neuere  Gebräuche  besprochen.  — 
Als  eine  athenische  Sitte  will  0.  Kern,  Arch.  f.  Religionswiss. 
XV,  1912,  642  die  Aiistreihung  des  Bidimos  aus  Aristoph.  7tX. 
H70  ff.  erweisen.  Vielleicht  läßt  sich  auch  das  ?j^iov  tteöiov  ver- 
gleichen ,  das  bei  den  Paroimiographen  (z.  B.  Zenob.  4,  93 ;  vgl. 
dazu  Leutsch  -  Schneidewins  Anmerkung)  öfters  erwähnt  wird.  — 
Das  Lärnimachen  mit  Er z geraten  wird  gewöhnlich  als  ein 
Mittel  betrachtet,  Dämonen  zu  vertreiben;  nach  Parmentier, 
Rech,  sur  le  traite  d'Is.  et  d'Osir.  de  Plut.  S.  31,  diente  es  aber 
ursprünglich  gerade  dem  umgekehrten  Zweck,  sie  zu  rufen.  Die 
Begründung  ist  scharfsinnig,  aber  nur  für  einen  Teil  der  Riten 
überzeugend.  Über  die  Verscheuchuug  der  Dämonen  durch  Horn- 
blasen ,  s.  Scheftelo  witz ,  Arch.  f.  Religionswiss.  XV,  1912, 
485  ff.  Über  den  Glauben,  daß  Menschen  von  Dämonen  be- 
.'i essen  seien,  handelt  J.  Tamborino,  De  antiquorum  daemonismo 
RVu.  V  VIT,  1908/9,  III.  (Kap.  II  u.  III  sind  als  Dissertation 
von  Münster  1909  u.  d.  T.,  De  antiquorum  daemonismo  erschienen). 
Das  erste  Kapitel  der  von  Kroll  angeregten  Untersuchung  stellt 
zunächst  die  griechischen,  dann  (mit  sonderbarer,  zu  manchen  Un- 
zuträglichkeiten führender  Unterscheidung)  die  christlichen  Zeugnisse 
zusammen ;  im  zweiten  Kapitel  werden  die  Ansichten  der  Alten 
über  die  besessenen  Menschen ,  über  die  Dämonen ,  die  von  ihnen 
Besitz  ergreifen ,  über  die  Mittel  ihrer  Austreibung ,  über  die  Art 
und  Weise ,  in  der  die  Dämonen  sich  verraten  und  über  die  Be- 
schwörer besprochen.  In  derselben  Reihenfolge  handelt  das  dritte 
Kapitel  von  den  christlichen  Vorstellungen.  Viele  Lesungen  der 
zitierten  Pap}Tusstellen  verbessert  Preisendanz,  Liter.  Zentralbl. 
1900,   1608  f. 

Vielfach  wurden  die  Dämonen ,  namentlich  die  für  schädlich 
gehaltenen  oder  im  Fluchzauber  angerufenen ,  als  Geister  Ver- 
storbener betrachtet.  Man  faßt  diese  Gespenster,  zu  denen  auch 
einige  der  früher  genannten  Arten  gerechnet  werden  können ,  bis- 
weilen vinter  dem  bulgarischen  Namen  Vampir  zusammen ,  aber 
J.  Klapper,  der  in  den  Mitt.  der  Schles.  Gesellsch.  f.  Volksk. 
XI,  1909,  58  ausführlich  diesen  Vorstellungskreis  behandelt  hat, 
empfiehlt  m.  R.  zur  Vermeidung  von  Mißverständnissen  diese  Be- 
zeichnung  auf   den  Sinn   zu    beschränken,    den  sie  in  ihrer  Heimat 


102  Dämonenglaube  und  Yolksbräuche. 

ausdrückt.  —  Zum  Zauber  wurden  namentlich  solche  Geister  be- 
schworen ,  die  vor  der  Zeit  oder  die  gewaltsam  ums  Leben  ge- 
kommen waren  und  deshalb ,  wie  man  glaubte ,  nicht  in  die  all- 
gemeine Ruhestätte  der  Toten  eingehen  konnten.  Wie  die  meisten 
weitverbreiteten  Vorstellungen  scheint  auch  diese  uralt  zu  sein ; 
aber  zu  einer  das  ganze  religiöse  Leben  beherrschenden  Macht  ist 
sie  auf  der  Balkanhalbiusel  wahrscheinlich  erst  in  den  letzten  Jahr- 
hunderten der  vorgi'iechi.schen  und  in  den  Anftiugen  der  griechischen 
Zeit  vorübergehend  gelangt.  Eben  damals  trat  an  die  Stelle  der 
Beerdigung  oder  der  Bestattung  in  einem  Felsengrab  vielfach  die 
noch  in  der  Ilias  herrschende  Sitte,  die  Leichen  zu  verbrennen  (s.  «. 
Bcstaitimg).  und  es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  daß  ihre  Verbreitung 
durch  den  Glauben  begünstigt  wurde,  nach  Zerstörung  des  Körpers 
könne  die  Seele  nicht  mehr  zur  Oberwelt  zurückkehren.  —  Für 
die  Vorstellung ,  daß  die  Seelen  der  acoQOi ,  namentlich  der  früh 
verstorbenen  Kinder  umgingen,  bringt  Eitrem,  Hermes  und  die 
Toten,  Christ.  Vidensk.  Selsk.  Forh.  1909,  V  54  f.  Parallelen  bei.  — 
S.  Eeinach,  Arch.  f.  Religionswissensch.  IX,  1906,  312  ff.  = 
Cultes,  mj'thes  relig.  III  272  ff.  wollte  unter  Vergleichung  der 
Petrusapokalypse  nachweisen,  daß  die  von  Verg.  Aen.  VI  426  ge- 
nannten ab  ubere  rapti  Kinder  sind,  die  durch  Abortus  getötet 
wurden,  und  daß  diese  Vorstellung  aus  einem  orphischen  Gedicht 
stammt.  Abtreibung  versteht  S.  Wide  ebd.  XII,  1909,  224  ff. 
auch  unter  den  (fO^ogeia  und  der  (pO^oga  die  nach  bei  Lindos  und 
bei  Sunion  gefundenen  Inschriften  (Dittenberger  SIG^  567  u.  633) 
eine  40 tägige  Reinigung  erfordern;  diese  Bestimmungen  sollen  nicht 
aus  orphischem,  sondern  aus  jüdischem  oder  christlichem  Einfluß 
stammen.  Doch  hebt  Ilberg  ebd.  1  ff .  hervor,  daß  cpi^ogä  in  der 
medizinischen  Literatm-  nicht  bloß  Abtreibung,  sondern  auch  Fehl- 
geburt bezeichnen,  die  durch  sie  herbeigeführte  Unreinheit  also 
ebenso  beurteilt  werden  könne ,  wie  jede  andere  durch  eine  Ent- 
bindung verursachte.  —  Unter  den  ßiaiot^ävaTOi  verstand  man  schon 
im  Altertum  häufig  besonders  die  Hingerichteten.,  die  keine 
rechtmäßige  Bestattung  erhielten;  eine  Parallele  zu  dem  Glauben, 
daß  diese  als  Dämonen  auf  der  Erde  fortleben  und  dem  Zauberer 
dienstbar  gemacht  werden  können,  findet  man  bei  Hartland,  The 
Cult  of  Executed  Criminals  at  Palermo,  Folklore  XXI,  1910,  168  f. 
Hartland  erinnert  an  die  Chiesa  delle  Anime  de'  Corpi  Decollati  süd- 
lich nahe  Palermo;  er  glaubt,  daß  sich  auch  die  Verehrung  mancher 
Heiligen  aus  ihrem  gewaltsamen  Tode  erkläre.  —  Da  die  Bluturteile 
häufig  an  Kreuzwegen  vollstreckt  wurden,  galten  diese  vielfach  als 


Aberglaube.    Religio.  103 

zum  Zauber  besonders  geeignet,  wofür  Thompson.  Semit.  Magic 
201  semitische  und  andere  Beispiele  beibringt-  Wünsch  bei 
Hasting,  Encycl.  of.  ßel.  and  Eth.  III  330  ff.  sieht  den  Grund  für 
den  Glauben,  daß  die  Dämonen  besonders  die  Kreuzwege  aufsuchen, 
einmal  darin,  daß  sie  überhaupt  an  Wegen  dem  Wandrer  auflauern 
sollten,  und  dann  darin,  daß  die  Wege  häufig  zugleich  Grenzlinien 
waren,  über  welche  die  Gemeinden  die  Dämonen  zu  bannen  pflegten. 
Die  Stätten^  an  denen  die  Gegenstände,  in  denen  die  übernatür- 
lichen Wesen  sich  aufhalten  oder  mit  denen  sie  in  Berührung  ge- 
kommen sein  sollten ,  galten ,  auch  wenn  sie  von  den  Menschen 
ihnen  erst  geweiht  waren,  als  mehi*  oder  weniger  von  ihrem  Geist 
erfüllt  und  daher  als  geeignet,  selbst  übernatürliche  Wirkungen 
hervorzubringen ;  umgekehrt  sollten  auch  Orte  und  Dinge,  an  denen 
auf  natürlichem  Wege  nicht  erklärbare  Vorgänge  sich  zugetragen 
hatten,  von  einem  übernatürlichen  Geist  bewohnt  sein.  Eine  alle 
anderen  Vorstellungen  ausschließende  und  zugleich  diesen  ganzen 
Begriffskomplex  zusammenfassende  Bezeichnung  besitzt  weder  das 
Griechische  noch  das  Lateinische,  aber  es  gibt  in  beiden  Sprachen 
mehrere,  die  sich  ungefähr  mit  ihm  decken.  Über  ihre  Abgrenzung 
gegeneinander  ist  in  der  Berichtsperiode  gestritten  worden.  Kroll, 
der  mehrere  dgr  im  folgenden  zu  nennenden  Untersuchungen  ver- 
anlaßt hat,  glaubt  (Festschr.  der  Schles.  Gesellsch.  f.  Volksk.  = 
Mitteil.  XIII/XIV,  1911,  S.  479  ff'.),  daß  ayiog  eigentlich  das  mit 
Tabu  Behaftete  sei.  In  der  Tat  liegt  beiden  Worten  derselbe 
Gedanke  zugrunde ,  der  fast  von  selbst  entsteht ,  nicht  nur  wo 
etwas  Übernatürliches  angenommen  wird,  also  eine  religiöse  Vor- 
stellung vorhanden  ist,  sondern  selbst  schon,  wo  der  Mensch  vor 
etwas  Unerklärbarem  steht;  gleichwohl  ist  die  Übertragung  des 
Ausdrucks  Tabu  in  die  antike  Gedankenwelt  bedenklich,  weil  er 
zu  dem  Glauben  verführt,  daß  die  von  den  Südseeinsulanern  mit 
ihm  verbundenen  Vorstellungen  auch  in  dem  griechischen  Wort 
vereinigt  seien.  —  Von  den  lateinischen  Wörtern  dieses  Sinnes 
hat  religio,  wie  War  de  Fowler  in  einem  Vortrage  auf  dem 
Oxforder  Kongreß  (Transact.  3.  Intern.  Cougr.  Hist.  Rel.  II,  1908, 
II  S.  169  ff.)  auseinandersetzt,  folgende  Bedeutungsentwicklung 
durchgemacht:  es  bezeichnete  zunächst  die  Scheu  vor  dem  Un- 
erklärlichen, dann  den  Kult  zum  Zweck  der  Versöhnung  der  un- 
bekannten Mächte ,  darauf  den  ganzen  Ki-eis  der  Verehrung  des 
Göttlichen  und  den  Glauben  an  das  Übernatürliche.  Aus  diesem 
verallgemeinerten  Begriff  soll  sich  dann  im  2.  Jh.  n.  Chr.,  als  ver- 
schiedene Religionen  um  den  Vorrang  kämpften,  der  sich  z.  B.  bei 


IQ4  ^Pi'  Begriff  Keligio. 

Minuciiis  Felix  findende  Begriff  der  vera  religio  ausgesondert  haben. 
Schließlich  spezialisiert  sich  der  Name  religiosi  auf  die  Mönche, 
die  sich  von  der  Welt  zurückgezogen  haben ,  weil  es  in  ihr  keine 
religio  gibt.  Den  Unterschied  von  religiosus  und  sacer  sieht 
Fowler  darin,  daß  jenes  nur  auf  dem  Gefühl  des  Unheimlichen 
beruht,  das  dem  unentwickelten  Menschen  alles  Unbegi'eifliche  ein- 
flößt. Zu  ähnlichen  Ergebnissen  gelangt  W.  Otto.  Arch.  f.  Re- 
ligionsw.  XII.  1909.  538  flf..  der  religio  von  legere  im  Sinn  von 
nktyiij  ..beachten'',  „scheuen"  ableitet,  also  religio  als  die  Vorsicht 
gegenüber  geheimnisvollen  Mächten  faßt;  sie  soll  sich  nur  auf  Hand- 
lungen beziehen,  also  weder  Glaube  noch  Wissen  noch  Gefühl  sein. 
Super.stitio  ist  (54:8  ff.)  ursprünglich ,  wie  ebenfalls  aus  der  Ab- 
leitung gefolgert  wird ,  Ekstase  und  hat  die  schlechte  Bedeutung 
nur  erlangt,  weil  der  ernste  Römer  jedem  Enthusiasmus  mit  Wider- 
willen gegenüber  stand.  Dagegen  ist  nach  Kobbert,  De  ver- 
borum  „religio"  atque  „religiosus"  usu  apud  Romanos,  Diss.  Königsb. 
1910.  S.  55  ff.  (vgl.  Pauly- Kroll  Witte  R.E  IIi  565  ff.)  Religio  von 
religare  abzuleiten  und  bezog  sich  ursprünglich  nicht  auf  ein  Ge- 
fülil  oder  einen  Seelenzustand,  sondern  auf  eine  Dingen,  Handlungen, 
Orten  oder  Zeiten  anhaftende ,  vom  Menschen  unabhängige ,  aber 
ihn  hindernde  Eigenschaft.  Wie  Otto  gelangt  auch  Kobbert  schließ- 
lich für  religiosus  auf  die  Bedeutung  tabu ,  und  überhaupt  sind 
beide  Ansichten  mehr  formal  als  sachlich  getrennt:  zu  jeder  Gefühls- 
erregung gehört  ein  die  Empfindung  auslosendes  Objekt,  und  für 
die  Rehgionsgeschichte  kommt  nicht  viel  darauf  an ,  ob  der  Nach- 
druck auf  dieses  oder,  wie  Fowler  und  Otto  wollten,  auf  das  emp- 
findende Subjekt  gelegt  wird.  Gegen  Wissowa  wird  bestritten,  daß 
Gaius  die  loca  religiosa  als  private ,  die  loca  sacra  dagegen  als 
öffentliche  Weihungen  bezeichne .  und  der  Unterschied  vielmehr 
darin  gefunden .  daß  Grab  und  Blitzgrab  von  selbst  (per  se.  Fest. 
289«.  40),  das  Templum  dagegen  erst  durch  einen  Weihungsakt 
sacrum  wird.  Der  Vf.,  der  über  ein  großes  Material  verfügte,  aucli 
die  Zettel  des  Thesaurus  benutzen  durfte,  hat  vielerlei  Zustimmung 
gefunden,  z.  B.  bei  Terzaghi.  Atene  e  Roma  XVI,  1913,  108.  — 
Auch  Wünsch.  Arch.  f.  Religionsw.  XIV,  1911,  529,  äußert 
Bedenken  gegen  die  Eiklärung  Ottos ,  der  inzwischen  ebd.  400  ff. 
seine  Ableitung  des  Wortes  religio  von  relegere  und  die  darauf 
beruhende  schon  von  Fowler  {s.  o.)  vertretene  Ansicht  verteidigt 
hatte .  daß  religio  ursprünglich  ein  Gefühl  bezeichnete.  Im  selben 
Jahi-  hat  auch  Fowler  selbst  seine  Ansichten  im  wesentlichen 
unverändert  in  Relig.  Exper.  of  the  Rom.  People  36  ff.  vorgetragen. — 


Die  Begriffe  Sanctus  und  sacer.  105 

Sanctus,  von  sancire  abgeleitet,  bezeichnet  nach  W.  Link, 
De  vocis  „Sanctus"  usu  pagano,  Königsberg.  Diss.  1910,  ursprüng- 
lich vom  Ort  gebraucht,  die  irgendwie  (z.  B.  durch  Vogelllug,  Fest, 
ep.  1,  16)  abgegrenzte  Stätte,  die  meist  durch  eine  Umzäunung 
oder  einen  Steinwall  als  dämonisch  gekennzeichnet  ist,  weil  ihre 
Verletzung  den  Zorn  der  Gottheit  erregen  würde.  An  solchen 
Stellen  wohnhaft  gedachte  Dämonen  können  aber  auch  Vorteil 
bringen,  werden  deshalb  verehrt,  und  so  erhält  sanctus  die  Be- 
deutung „verehrungswürdig",  „vollkommen",  die  bald  auch  von 
gestorbenen  und  lebenden  Menschen  gebraucht  wird ,  um  die 
Frömmigkeit  und  Reinheit  zu  bezeichnen.  —  Vgl  über  Sanctus  als 
Bezeichnung  von  Sachen ,  Menschen  und  Göttern  und  über  a'ytoc, 
das  in  der  Literatur  nur  von  Kultstätten  und  von  Sachen,  inschrift- 
lich bisw^eilen  auch  von  Göttern  gebraucht  wird,  Hippel.  Dele- 
haye,  Anal.  Boll.  XXVIII,  1909,  145  ff.  —  Sacer  bedeutet  nach 
Fowler,  Journ.  Rom.  Stud.  I,  1911,  57  ff.  Tabu-,  je  nach  dem 
Zusammenhang  erhielt  es  die  Bedeutungen  „heilig"  oder  „verflucht". 
Die  Begründer  des  ius  divinum  sollen  das  Wort  aufgegriffen  haben, 
um  die  verschiedenen  Arten  der  Beziehungen  zu  einem  numen  zu 
bezeichnen,  doch  verschwand  daneben  die  alte  Bedeutung  „ver- 
flucht" nicht.  Vgl.  Fowler,  Rel.  Exp.  Rom.  People  171  ff.-,  192, 
3.- —  Die  juristische  Dissertation  v.  He  rtlin  gs  „Konsekration 
und  res  sacrae  im  römischen  Sakralrecht",  München  1911  will 
nachweisen,  daß  diejenigen  Gegenstände  res  sacrae  heißen,  welche 
durch  einseitige,  an  bestimmte  Worte  und  Formen  gebundene  Er- 
klärung den  Göttern  zugewiesen  sind ,  sofern  diese  Widmung  zum 
Heil  des  Staates  und  öffentlich  vorgenommen  wird.  Seit  dann 
durch  ])ositive  Gesetzgebung  die  Widmung  seitens  Privater  ver- 
boten war,  kam  als  weiteres  Erfordernis  die  Stiftung  durch  den 
Staat  hinzu.  Den  Unterschied  zwischen  res  religiosa  und  res 
Sacra  scharf  zu  fassen,  ist  auch  v.  Hertling  nicht  gelungen;  es 
scheint  fast,  als  hätten  schon  die  römischen  Sakralrechtslehrer  die 
Begriffe  verschieden  definiert. 

Von  jeher  dachte  man  sich  einzelne  Orte  als  dämonisch,  als 
bewohnt  von  einem  oder  mehreren  Dämonen.  Solche  Stätten  lagen 
begreiflicherweise  ursprünglich  meist  außerhalb  der  menschlichen 
Siedelungen,  auf  freiem  Felde  oder  in  finsterem  Walde,  auf  lichter 
Bergeshöhe  oder  in  unheimlichen  Grotten.  Hier  versammelte  sich 
die  Gemeinde  nicht  nur  zur  Zauberei  und  zur  Verehrung  der  Gott- 
heit, sondern  auch  zu  ernsten  Beratungen  oder  zu  fröhlicher  Feier, 
wenn  diese  durch  die  Anwesenheit  des  Dämons    oder  der  Gottheit 


10^^  Die  Kultstätte. 

eine  besondere  Weihe  erhalten  sollte.  Eiuo  Spur  der  religiösen 
Versammlungen  an  abgelegener  Stätte  hat  sich  in  den  weit  ver- 
breiteten Laubhüttenfesten  erhalten,  über  die  Fowler,  Class.  Bev. 
XXII,  1908,  a?  f.  und  Relig.  Exper.  Rom.  People  473  handelt, 
Nicht  richtig  sind  ni.  E,  seine  Vermutungen,  daß  die  Festgenossen 
aus  irgendeinem  Grunde,  z.  B.  wegen  Unreinheit,  ihre  gewöhnlichen 
Häuser  nicht  betreten  durften,  oder  daß  eine  Erinnerung  an  den 
ältesten  Häuserbau  vorliege.  An  den  einsamen  Kultstätten  der 
ältesten  Zeit  waien  solche  Hütten,  namentlich  wenn  die  Feste 
mehrere  Tage  dauerten  oder  in  der  Nacht  begangen  wurden,  kaum 
zu  entbehren,  und  es  ist  begreiflich,  daß  die  Sitte,  an  die  sich 
manche  gemütliche  und  heitere  Erinnerung  knüpfen  mochte,  viel- 
fach beibehalten  wurde,  als  die  Gottheit  aus  der  Einsamkeit  in  die 
Stätte  der  Menschen  gezogen  war. 

Die  älteste  Kultstätte  wird  nach  der  ursprünglich  auch  in 
Griechenland  mindestens  überwiegenden  Anschauung  nicht  durch 
Menschenhand  geschaffen,  sondern  ist  durch  die  Natur  gegeben  und 
durch  vermeintliche  Wunder  oder  wenigstens  durch  auffallende 
Eigentümlichkeiten  beglaubigt.  Auch  in  der  vorgriechischen  Kultur, 
die  sich  doch  sonst  vielfach  mit  der  tempelreicher  orientalischer 
Länder  berührt  und  die  doch  prunkvolle  Profanbauten  geschaffen 
hat,  scheint  der  Tempel  neben  der  natürlichen  Opferstätte  höchstens 
nebensäclüiche  Bedeutung  gehabt  zu  haben,  wie  dies  auch  noch 
von  der  bei  Homer  geschilderten  Kultur  anzunehmen  ist.  L  e  e  u  w  e  n , 
Mnemos.  XXXIV,  1906,  181  ff.  bestreitet  sogar,  daß  vijög  bei  Homer 
überhaupt  ein  Tempel  sei ;  er  faßt  das  Wort  vielmehr  als  Be- 
zeichnung der  Stelle,  die  für  den  Gott  während  des  Opfers  zurecht- 
gemacht und  mit  Laubzweigen  bedeckt  wird.  Darauf  bezieht 
Leeuwen  u4  39  el'  7t Ott  zot  yaQievx  tul  vt^hv  tgeifja,  was  auf 
einen  nur  einmal  zu  enüchtenden  Tempel  nicht  passe.  Das  troische 
Athenabild  stand  vielleicht  unter  einem  Baum  (in  der  Tat  paßt  die 
Darbringung  der  12  Stiere  im  vtjög  Z  93  nicht  für  einen  Tempel). 
Der  '/.aivog  oidog  (I  404)  soll  eher  auf  einen  neQlßoXog  als  auf 
einen  Tempel  weisen;  ij  81  verdächtig  sein.  Ist  es  Leeuwen  auch 
nicht  gelungen,  alle  Stellen  beider  Epen  in  seinem  Sinn  zu  deuten, 
so  zeigen  seine  Ausführungen  doch,  daß  die  sich  nur  z.  T.  aus 
dem  Inhalt  ergebende  Seltenheit  der  Erwähnung  von  Tempeln 
noch  größer  ist  als  bisher  angenommen  wurde ;  nnd  wenn  die 
einzige  sichere  Nennung  eines  Gotteshauses,  die  des  athenischen 
Erechtheions,  auch  schwerlich  erst  nachträglich  in  den  Text  ein- 
gefügt ist,    so    beweist   sie  doch  nicht,    daß  schon  in  der  von  den 


Tempel.  107 

Dichtungen  geschildei-ten  Kultur  die  Götter  in  Tempeln  wohnhaft 
gedacht  wurden,  sondern  erklärt  sich  auch  dadurch,  daß  der  Dichter, 
was  jedem  gelegentlich  zustoßen  wird,  der  die  Handlung  in  einer 
untergegangenen  Kultur  spielen  läßt,  hier  die  von  ihm  sonst  bei- 
behaltenen Umstände  vergessen  hat.-  Vielleicht  wäre  eine  bestimmtere 
Entscheidung  möglich,  wenn  die  ursprüngliche  Bedeutung  von  vaog 
feststände.  Allein  dies  ist  nicht  der  Fall;  während  nach  M  e r  i n g e r , 
Indog.  Forsch.  XXI,  1907,  29(.)  vaog  und  templum  eigentlich  den 
göttlich  verehrten  Balken  bezeichnen,  denken  zweifelnd  Kretschmer, 
Glotta  V,  1914,  259  und  Boisacq,  Dictionn.  etym.  656  an  die 
Entstehung  von  raog  aus  vao,.Fug,  die,  selbst  wenn  sie  sicher  wäre, 
die  Frage  nach  dem  Alter  des  Tempels  nicht  entscheiden  würde. 
Aber  vielleicht  ist  das  Wort  ursprünglich,  worauf  schon  0.  Hoff- 
mann hingewiesen  hat,  überhaupt  nicht  griechisch.  —  Wie  >'>;Cg 
bezeichnete  auch  Templum  ursprünglich  nicht  das  Gebäude,  sondern 
die  Stätte,  wie  A.  L.  Frothingham,  Circular  Templum  and 
Mundus  Amer.  Journ.  Archaeol.  XVIII,  1914,  302  ff.  vermutet. 
In  der  Tat  kann  nach  Varro  1.  1.  VII  (3  ff.  nicht  bezweifelt  werden, 
daß  diese  Bedeutung  von  dem  angesehensten  Grammatiker  der 
caesarischen  Zeit  für  die  ursprüngliche  gehalten  wurde.  Eine 
weitere  Stütze  gewinnt  diese  Ansicht,  wenn  Frothingham  mit  Becht 
gegen  Fowler,  Relig.  Exper.  of  the  Rom.  people  302,  Wissowa, 
ßelig.  d.  Rom.  527  aus  dem  templum  der  Grammatiker,  dem  Biden- 
tal und  dem  Mundus ,  die  seiner  Ansicht  nach  ebenfalls  templa 
waren,  m.  R.  folgert,  daß  das  templum  ursprünglich  rund,  nicht 
viereckig  war,  und  daß  die  aedes  Vestae  nur  wegen  der  Besonder- 
heit des  Kultus,  nicht  wegen  ihrer  Form  nicht  als  templum  galt.  — 
Anders  hatte  den  Unterschied  von  templum  und  aedes  sacra 
W.  Altmann,  Die  ital.  Rundbauten,  Eine  archäolog.  Studie, 
Berlin  1906,  88  ff.  gefaßt,  ebenfalls  unter  Ablehnung  von  Helbigs 
Sonderung  in  rechteckige  Templa  und  runde  aedes.  Nach  ihm 
sind  jene  immer  auguriert,  konsekriert  und  orientiert,  brauchen 
aber  nicht  zu  Kultzwecken  zu  dienen ,  während  die  aedes ,  die 
ebenfalls  sowohl  Bezirke  wie  Gotteshäuser  bezeichnen  konnten, 
nicht  auguriert  waren.  —  Wahrscheinlich  ist  mir,  daß  die  vier- 
eckige .  Tempelform  sich  aus  der  Orientation  ergab  oder  durch  sie 
wenigstens  begünstigt  wurde.  Über  diese  handelt  H.  Nissen, 
Orientation,  Stud.  zur  Geschichte  der  Religion  ] — 3,  1906 — 1910. 
Gestützt  auf  zahlreiche  Messungen  von  Tempelachsen  und  besonders 
auf  die  Arbeiten  von  Penrose  sucht  Nissen  seine  bekannte  Theorie 
zu  erweisen  und  im  einzelnen  zu  berichtigen,  daß  die  Längs-  oder 


\  Q^  Tempelorientierung. 

Querachse  eines  Tempels  oft  mit  der  Richtung  zusammenfalle,  in 
der  am  Gründungstage  die  Sonne  oder  ein  für  den  Kult  wichtiger 
Stern  aufging.  Rein  durchführen  läßt  sich  das  Gesetz  nicht,  und 
um  mehr  Ordnung  in  den  zunächst  ziemlich  verworrenen  Fund- 
l)estand  zu  bringen,  stellt  der  Vf.  verschiedene  andere  Gesetze 
auf,  die  den  Hauptgi-undsatz  durchkreuzen.  Er  unterscheidet  eine 
griechisch-athenische  Ost-  und  eine  kleinasiatische  Westorientation 
(243  ff.);  jene  habe  den  Opfernden  nach  dem  Aufgang  des  Lichtes, 
die  kleinasiatische  nach  dem  Tempelbild  schauen  lassen,  was  eine 
tiefgehende  Wandlung  des  religiösen  Gefühles  bedeute.  Die  Nord- 
und  Sfldorientation  stammt  nach  Nissen  wahrscheinlich  aus  Ägypten. 
Diese  Unterscheidung  ist  zwar  wahrscheinlich  nicht  ganz  unrichtig, 
aber  es  bleiben  erheblich  mehr  Unregelmäßigkeiten  zurück,  als  er 
zugestehen  möchte.  Es  ist  dies  auch  erklärlich ,  wenn  die  ge- 
schlossenen Tempel  erst  verhältnismäßig  spät  und  allmählich,  je 
nachdem  sich  das  Bedürfnis  geltend  machte,  an  die  Stelle  der 
offenen  Kultstätten  getreten  sind.  Aber  schon  die  Altäre  dieser 
sind  wohl  z.  T.  schon  so  gerichtet  gewesen,  daß  der  Priester  die 
Sonne,  den  Mond  oder  den  Stern  erblicken  konnte,  dessen  Auf- 
gang oder  Sichtbarwerden  den  Beginn  des  Festes  bezeichnete.  Da 
die  Neumondsichel  und  der  Abendstern,  die  beiden  für  den  vor- 
griechischen und  den  ältesten  griechischen  Kalender  wichtigsten 
Gestirne,  im  Westen  erscheinen,  stand  ursprünglich  der  Opfernde 
wohl  meist  auf  der  Ostseite  des  Altars ;  wenn  im  griechischen 
Mutterland  die  Tempel,  die  wenigstens  zum  Teil  die  alte  Orientation 
des  Altars  beibehielten ,  trotzdem  ungleich  häufiger  den  Eingang 
im  Osten  haben,  so  erklärt  sich  dies  aus  dem  freilich  nie  ganz 
durchgeführten  späteren  Gesetz ,  daß  man  den  Unterirdischen 
nach  Westen,  den  Göttern  aber  nach  Osten  blickend  opferte.  Daß 
der  alte,  siderisch  bestimmte  Festtag  später  oft  mit  Recht  oder 
Unrecht  als  Stiftungstag  des  Tempels  galt,  kann  kaum  wunder 
nehmen.  Wie  dem  aber  auch  sei,  die  immerhin  zuzugebende  weite 
Verbreitung  gleicher  oder  ähnlicher  Grundsätze  für  die  Orientation 
der  Tempel  beweist  nichts  für  das  Alter  des  Tempeldienstes,  da 
die  Richtung  des  Tempels  durch  die  des  Altars  oft  bestimmt 
wurde.  Selbst  später,  als  der  Tempel  das  Götterbild,  also  wie  man 
meinte,  die  Gottheit  selbst  barg,  hat  sich  der  Glaube  nicht  ganz 
verloren,  daß  das  eigentliche  Heiligtum  der  vor  dem  Tempel  be- 
findliche Altar  sei.  Die  Zahl  der  Legenden  und  der  aus  solchen 
abgeleiteten  Mythen,  die  von  der  Stiftung  von  Altären  reden, 
ist     kaum    geringer    als    die    der    Sagen    von    Tempelgründungen 


Kultstätten.    Grotten.  109 

und  Bilderweihungen.  Aus  dem  Alter  und  der  Heiligkeit  der 
Altäre,  nicht  aus  dem  Verbot  der  sucpoga,  wie  Nilsso  n,  Arcli. 
f.  Religionswiss.  XVI,  1913,  315  aus  Hesych.  iOTi\(  Oivfitv  schließt, 
wird  sich  auch  die  für  manche,  besonders  für  altberühmte  Altäre 
geltende  Vorschrift  erklären ,  die  Asche  der  verbrannten  Opfer 
liegen  zu  lassen. 

Wie  vr^ög  und  templum,  so  war  nach  Kuruniotis,  iw.  uQy. 
1912,  154  eine  Ortsbestimmung  auch  eine  andere  griechische  Be- 
nennung des  Tempels,  (.ityaQOv,  gewesen,  und  zwar  soll  es  vorzugs- 
weise den  Altar  für  die  Unterirdischen,  daneben  aber  auch  den 
für  die  Himmlischen  bezeichnet  haben  und  nachträglich  wie  das 
sinnverwandte  eozia  bei  Homer  Bezeichnung  des  Hauses  geworden 
sein.  Bei  Späteren  ist  besonders  /AtyaQov  die  Schlucht,  in  welche 
Gaben  an  die  chthouischen  Gottheiten  geworfen,  oder  auch  der 
Tempekaum,  in  dem  Geheimopfer  dargebracht  werden.  Der  Ver- 
such, die  vei'schiedenen,  sonst  schwer  vereinbaren  Bedeutungen  von 
fieyagor  auf  eine  Grundbedeutung  zurückzuführen,  ist  beachtens- 
wert; das  eleusinische  fxiyagov  war  schwerlich  das  TeleOTtjgiov, 
dessen  Gleichsetzung  mit  dem  homerischen  Herrenhaus  damit  eine 
Hauptstütze  verliert,  sondern  bezeichnete  wie  bei  Hom.  vf.iv.  5.  379 
die  Kluft,  die  zur  Unterwelt  führt.  Solche  Höhlen  sind  auf  der 
Balkanhalbinsel,  auch  in  Thrakien  und  dem  Getenland  (Kazarow, 
Klio  XIII,  1913,  358),  wie  auf  den  Inseln  und  in  Kleinasien  die 
ältesten  nachweisbaren  Kultstätten  gewesen;  Toutain  warf  auf 
dem  Leidener  religionsgeschichtlichen  Kongreß  (Actes  du  4.  Congr. 
intern,  d'hist.  d.  rel.  133  f.)  sogar  die  Frage  nach  einem  Zusammen- 
hang der  griechischen  Kultgrotten  mit  den  quaternären  Höhlen  auf, 
deren  Wände  mit  Tierbildern  verziert  sind.  Aber  der  ist  wegen 
des  vermutlich  sehr  großen  Zeitabstandes  unwahrscheinlich;  und 
ob  die  im  altgi'iechischen  Gottesdienst  benutzten  Höhlen  auch  schon 
ursprünglich  wie  an  der  angeführten  Stelle  des  Hymnos  und  wie 
so  viele  Höhlen  im  geschichtlichen  Griechenland  immer  als  Hades- 
eingänge galten,  ist  nicht  sicher.  Im  Ausgang  der  vorgriechischen, 
im  Anfang  der  griechischen  Zeit  hat  es  eine  Periode  gegeben,  in 
der  die  Kulte  der  Chthonischen  überwogen  und  ihre  Formen  in 
anderen  Kulten  nachgeahmt  wurden ;  und  diese  finstere  Epoche 
hat,  obwohl  sie  überwunden  wurde,  den  griechischen  Kulten  doch 
so  weit  ihren  Stempel  aufgedrückt,  daß  sich  unschwer  Reste 
chthonischer  Vorstellungen  in  fast  aUen  älteren  griechischen  Kulten 
nachweisen  lassen  und  ganze  Klassen  von  Gottesdiensten,  z.  B.  solche, 
in  denen  die  Kultstätte  nicht  betreten  werden  darf,    von  denen  es 


jj^Q  Kultstätten.     Heilige  Nabelsteine. 

Hewitt,  Transact.  Amer.  Piniol.  Assoc.  XL,  1909,  83 ff.  behauptet, 
als  wenigstens  früher  den  Unterirdischen  geweiht,  vermutet  werden 
können.  Aber  dieser  Schluß  ist  trügerisch,  wenn  damit  zugleich 
die  Frage  nach  dem  ursprünglichen  Sinn  des  Kultus  entschieden 
sein  soll;  denn  oft  liegt  hinter  der  chthonischen  Auffassung  einer 
Gottheit  eine  andere  noch  ältere:  daraufweisen  sowohl  die  Mythen, 
die  in  Höhlen  Himmelsgottheiton  geboren  werden,  sich  verheiraten 
und  eine  Grabstätte  finden  lassen,  als  auch  die  Kulte  hin,  die  auch 
noch  im  geschichtlichen  Griechenland  in  Höhlen  z.  B.  Kegenzauber 
üben  oder  Bittgänge,  die  bei  langer  Dürre  oder  in  der  heißen  Jahr- 
zeit abgehalten  werden,  endigen  lassen.  —  Nach  Leroux,  Les  ori- 
gines  de  Tedifice  hypostjde,  Paris  1913,  S.  24:  bedeutete  iityagov 
ursprünglich  die  Höhle,  dann,  weil  die  Menschen  ursprünglich  in 
Grotten  gewohnt  hatten,  das  Haus,  schließlich  den  Tempel.  —  Über  die 
uralten  Kultgrotten  vgl.  Brandenburg,  Felsarchitektur  im  Mittelmeer- 
gebiet, Mitt.  d.  Vorderasiat.  Gesellsch.  XIX,  2,  Leipz.  1915,  S.  34  ff. 
Lag  die  heilige  Stätte  nicht  in  einer  Höhle,  so  war  sie  in 
Griechenland  wie  in  Westasieu  oft  durch  einen  jener  Steine  be- 
stimmt, die  sich  in  jenen  Ländern  —  in  der  Balkanhalbinsel  meist 
von  weißer  Farbe  —  oft  finden,  sich  zu  Landmarken  eignen  und 
zur  Feststellung  der  Kultstätten  um  so  mehr  dienen  konnten, 
als  die  Bewohner  oder  der  Adel  benachbarter  Ansiedliingen  sich 
oft  zu  Festen  oder  auch  zu  Vorträgen  oder  zur  Beratung  gemein- 
samer Angelegenheiten,  die  ebenfalls  mit  gottesdienstlichen  Hand- 
lungen verbunden  waren,  vereinigen  und  als  Versammlungspunkt 
einen  in  der  Mitte  gelegenen  Ort  wählen  mußte.  Mit  einer  bis 
nach  Indien  hin  sehr  verbreiteten  Bezeichnung  hieß  eine  solche 
Versammlungsstätte  Nabel.  Me  ring  er,  Wörter  und  Sachen 
V,  1913.  43  ff.  leitet  diese  Bezeichnung  davon  her,  daß  an  solchen 
Orten  die  zauberischen  Kräfte  der  nährenden  Nabelschnur  verehrt 
wurden.  Wenn  der  Nabel  in  der  bildenden  Kunst  als  Erhöhung, 
nicht  als  Vertiefung  erscheint,  so  soll  das  von  einem  anderen 
Symbol  übertragen  sein.  Der  Unwahrscheinlichkeit  dieser  letzten 
Vermutung  wiU  A.  Abt,  Hess.  Blatt,  für  Volksk.  XIII,  1914,  132, 
der  sich  im  übrigen  meist  an  Meringer  anschließt  und  aus  dessen 
Deutung  auch  die  häufige  Verbindung  des  Asklepioa  mit  dem 
Omphalos  erklärt,  durch  die  Annahme  entgehen,  daß  der  eigentliche 
delphische  Omphalos  der  Erdspalt  und  der  gewölbte  Stein  nur  die 
Markierung  der  schlecht  sichtbaren  Stätte  war.  Mir  scheint  aber 
der  Omphalos  erst  in  der  Zeit  auf  den  Körperteil  bezogen  zu  sein, 
als   fast   jedes    größere    Heiligtum    im    Besitz    eines  Einganges    zur 


Nabelsteine.  m 

Unterwelt  sein  wollte,  den  man  wohl  einem  menschlichen  Nabel 
vergleichen  konnte.  Ursprünglich  bezeichnete  m.  E.  der  Ausdruck 
von  einer  Kultstiltte  gesagt,  diese  ebenso  wie  der  entsprechende 
Ausdruck  nabhi  im  Veda  vielmehr  als  den  Mittelpunkt,  nämlich 
des  Gebietes,  dem  sie  als  gemeinsamer  Fest-  oder  Gerichtsplatz 
diente.  Die  sehr  zahlreichen  Heiligtümer  und  Städte,  die  in  Griechen- 
land diesen  Namen  führten,  hat  mit  großer  Vollständigkeit  Röscher, 
Omphalos  Abh.  der  SGW  phil.-hist.  Kl.  XXIX,  1913,  IX  auf- 
gezählt und  die  Vermutung  begründet,  daß  die  zahlreichen  ojnffa/.oi 
in  Apollokulten  kleinasiatischer  Städte,  wie  Branchidai  (36  if.) 
Kyzikos  (49  ff.),  Kamiros,  Gryneion,  Patara  von  Delphoi  unabhängig 
seien,  dessen  oufpalog  vielmehr  der  Ideinasiatisch-kretischen  Kultur 
nachgebildet  sei.  Wo  eine  Kultstätte  ökumenische  Bedeutung  er- 
laugt hatte  oder  wenigstens  beanspruchte,  heißt  die  Opferstätte 
Nabel  der  Erde;  daraus  ist  aber  nicht  mit  Jane  Harrison, 
Transact.  Intern.  Congr.  Eist.  Rel.,  Oxf.  II  1908,  162,  nach  der  die 
Himmelsvögel  dem  Nabel  Licht  und  Leben  zuführen,  und  die  sich 
(vgl.  Themis  396  ff.)  den  Omphalos  über  der  Erdschlucht  mit  dem 
Grabe  Pythons  denkt,  und  mit  Maaß,  Österr.  Jahresh.  XI,  1908, 
10,  der  in  dem  6/.iffaX6g  den  Nabel  oder  Schooß  Gaias  (entsprechend 
dem  Phallos)  sieht  und  den  6f.i(palbg  ^lyalog  bei  Hesych.  in 
einen  oucf.  Faiog  verwandelt,  zu  folgern,  daß  man  die  Bezeichnung 
Delphois  als  Nabel  der  Erde  auf  die  Göttin  beziehen  müsse.  Das 
\^ard  durch  die  analoge  Bezeichnung  indischer  Opferstätten  im 
Rigveda  widerlegt  und  ist  auch  deshalb  unwahrscheinlich,  weil  sich 
leichter  der  Übergang  von  dem  Begriffe  des  Mittelpunktes  eines 
bestimmten  Gebietes  zu  dem  des  Erdzentrums  vollziehen  als  ein 
Nabel  der  Erdgöttin  zu  einem  Nabel  von  Kypros  oder  Italien  ab- 
schwächen konnte.  —  Auch  der  Hausaltar,  die  koTia,  wird  als 
6i.i(fa}Mg  bezeichnet,  d.  h.  als  Mittelpunkt  des  Hauses,  dessen  Be- 
wohner sich  an  ihm  zu  gemeinsamem  Gottesdienst  versammeln. 
An  der  Hestia  konnte  die  Hausschlange  wohnhaft  gedacht  werden ; 
es  liegt  daher  nahe .  die  Schlange ,  die  sich  oft  um  den  Omphalos 
windet  und  die  vielleicht  den  Anlaß  zu  der  späteren,  von  J.  Harrison 
(s.  0.)  zu  einem  falschen  Schluß  verwendeten  Angabe  bot ,  daß 
unter  dem  delphischen  Nabelstein  die  Schlange  Pytho  begraben 
sei,  die  Haus-  oder  Tempelschlange  zu  verstehen,  die  in  mehreren 
Heiligtümern  bezeugt  ist.  Schon  Wieseler  Ann.  deU'  inst.  I  857, 
160  ff.  hatte  vermutet,  daß  der  oiicpaXog  in  Delphoi  einst  als  eigent- 
liche Opferstätte ,  als  Altar  gedient  habe.  —  Was  die  aus  Kunst- 
darstellungen   wohl   bekannte  Form    des  Omphalos  anbetrifft,    über 


2]^  2  Heilige  Steine. 

die  Bulard,  Mouumeuts  Piot  XIV,  1908,  57  iu  dem  Aufsatz 
Represeut,  de  TOmph.  handelt,  so  ist  von  der  Nachbildung  eines 
menschlichen  Nabels  bei  der  Erklärung  m.  E.  nicht  auszugehn;  es 
ist  eine  bei  Grenzsteinen  und  Landmarken  gewöhnliche  Gestalt,  die 
hier  im  Gottesdienst  verwendet  und  festgehalten  wird.  Varro  vergleicht 
den  delphischen  Nabelstein  mit  einem  Thesaurus  1.  1.  7,  17,  wobei 
Karo  bei  Daremberg-Saglio  IV  1,  198«  an  eine  bienenkorbähnliche 
Sparbüchse.  Corssen,  Neue  Jbb.  XXXI,  1913,  233  dagegen  an 
das  Gewölbe  eines  der  Kuppelgräber  denkt ,  die  als  Schatzhäuser 
betrachtet  wurden. 

Mit  den  alten  Malsteinen  der  Gerichtsstätte  scheinen  die  Steine 
zusammenzuhängen ,   die  im  späteren  Gerichtsverfahren ,  namentlich 
im   konservativen    Strafprozeß    üblich    waren,    z.  B.    der  Stein   der 
Anaideia   und   Hybris    in    Athen,    den  Svoronos,    Journ.    intern, 
arch.    numism.    XVI,    1914,  220  ff.    auf  Darstellungen    des  Orestes 
und  Kephalos    vor  dem  Areopag  erkennen  will.  —  Über  die  Sitte, 
Verträge    an    einem    Bundesstein    oder    Steinhaufen    zu    schließen, 
handelt  Farn  eil,  Anthrop.  Ess.  present  to  Tylor  1909,  S.  131  ff.  — 
An    solchen   heiligen    Steinen   wurde  in  Griechenland  wie  im  semi- 
tischen Orient  (Lagrange,  Etüde  relig,  semit.  187  ff.;  über  Petra 
Eisler,   Philol.  LXVIII,   1909,  125)  mancherlei  Zauber  und  Kult 
getrieben.      Auch    sie    sollten    oft    den    Eingang    zur  Unterwelt   be- 
zeichnen ,    so    daß    sogar   an  deren  mythischem  "Tor  ein  Felsen  ge- 
dacht wurde,  an  dem  die  Toten  vorbeiziehen  müssen.    Wie  in  den 
heiligen  Grotten    suchte    man    auch    an    den  Steinen  Orakel  zu  er- 
langen und  zwar  besonders  Traumorakel,    die  man  sich  durch  auf- 
steigende Geister    der  Unterwelt   gegeben  denken  konnte  und  des- 
halb gern  an  vermeintliche  Unterweltseingänge  verlegte.     Vorzugs- 
weise   befragte    man  die  Träume  um  Heilung  von  Ki-ankheit ,    aber 
in    der   ältesten   Zeit    scheinen    auch    Richter    und   Ratsherren    bei 
ihren   Beschlüssen    den    Rat    dieser    Geister   nicht   verschmäht    zu 
haben.     Andere  Arten    religiöser   oder  abergläubischer  Verwendung 
der  heiligen  Steine  ergeben  sich,  wenn  A.  J.  Rein  ach,  Rov.  hist. 
rel.  LX,  1909^,  184   m.  R.  die  Sagen  von  dem  Stein  des  Kadmos 
und  von  dem,   welchen  Herakles  gegen  Kyknos  geschleudert  haben 
sollte,    an    solche    heiligen   Steine   anknüpfen.     Faud  an  einem  der- 
artigen Stein   ein  Blutgericht  statt,    so    wurde  der  Verurteilte  bis- 
weilen   symbolisch   vom  Felsen    gestoßen  und  damit  dem  Tode  ge- 
weiht oder  auch,    wenn  die  Felswand  hoch  genug  war,  unmittelbar 
getötet.     Auch   Menschenopfer   wurden   bisweilen  auf  diese  Weise 
den  Göttern    dargebracht.     Befand    sich    am  Fuße    des  Felsens  ein 


Heilige  Steine.  113 

Gewässer,  so  erliielt  dies  oft  den  Namen  Lethe,  wie  der  Toteu- 
strom  hieß.  —  Wie  die  unheimlichen  Stätten  des  Hochgerichtes 
von  jeher  vom  Aberglauben  aufgesucht  sind  ,  so  war  es  auch  hier. 
Unglücklich  Liebende  sprangen  vom  Felsen,  um  ihre  Leidenschaft 
zu  vergessen.  Durch  Sitzen  auf  dem  Stein  glaubten  kinderlose 
Männer  und  Weiber  fruchtbar  zu  werden.  Vgl.  über  diesen  Vor- 
stellungski-eis,  Gruppe.  Arch.  f.  Religionsw.  XV,  1912,  364  ff. — 
Noch  jetzt  reiben  sich  im  Morgenland  Frauen  an  bestimmten  Felsen, 
um  fruchtbar  zu  werden;  ein  Aberglauben,  den  Goldziher,  Arch- 
f.  Religionswiss.  XIV,  1911,  :]08  in  die  vorislamische  Zeit  hinauf- 
rückt. —  Aus  Niket.  Choniates  Ausdruck  von  der  Kaaba,  daß  sie 
ein  inTv/rwua  rijg  ^-/rpQodlri^g  habe,  schließt  R.  Eisler,  Philol. 
LXVIII.  1900,  124  ff.,  Arch.  f.  Religionswiss.  XV,  1912,  305  ff. 
unter  Vergleichung  des  Steines  der  Kybele ,  in  dessen  Form  er 
eine  vulva  zu  erkennen  glaubt .  des  delphischen  6f.t(paXüg  und  der 
OCf'QCcyig  des  Aberkios .  daß  an  ihr  irgendwie  eine  Consummatio 
matrimonii  vollzogen  wurde.  In  den  Masseben  der  Hebräer,  auf 
die  hier  eingegangen  werden  muß,  weil  sie  oft  mit  den  heiligen 
Steinen  Griechenlands  verglichen  worden  sind,  hatte  Movers  Phallen 
gesehen:  wie  schon  früher  v.  Baudissin  weist  dies  Greßmann, 
Zeitschr.  f.  alttestam.  Wiss.  XXIX,  1909,  113  ff.  zurück;  höchstens 
in  sehr  später  Zeit,  meint  er,  sei  aus  dem  ursprünglichen  „Sitz 
der  Gottheit  ein  Bild  ihrer  Fruchtbarkeit  spendenden  Macht  oder 
der  Macht  eines  in  der  Nähe  Begrabenen  (Genes.  XXXV  20)  ge- 
worden". Eerdmans,  Journ.  Bibl.  Archaeol.  XXX^,  1911,  109ff. 
betont  den  sepulkralen  Charakter  mancher  Masseben  ,  die  oft  ver- 
doppelt auftreten  und  dann  bisweilen  Abzeichen,  die  eine  des  männ- 
lichen, die  andere  des  weiblichen  Geschlechtes  tragen.  Nach  S  ellin , 
Orient.  LZ  XV,  1912,  119  ff.  haben  sich  in  der  Masseba  verschiedene 
Vorstellungen  (Wohnsitz  der  Gottheit,  Malstein,  Grabstein)  gekreuzt. 
Die  Massebenpaare  am  Eingang  der  Heiligtümer  sollen  den  zwei  Gipfeln 
des  Erdberges  entsprechen,  zwischen  denen  die  Sonne  hin  und  her- 
läuft. Wie  Eerdmanns  erkennt  auch  Seilin  in  manchen  Masseben  eine 
Beziehung  auf  Phallus  und  Vulva.  Dies  weist  B  u  d  d  e ,  Orient. 
LZ  XV,  1912,  248  ff.  zurück,  ebenso  wie  ebd.  469  einen  Versuch 
S ellin s  (ebd.  371  ff-),  seine  Ansicht  zu  stützen.  Wie  in  den 
heiligen  Höhlen  wurde  auch  an  den  Malsteinen  der  offenen  Kult- 
stätten Regenzauber  getrieben,  der  überhaupt,  entsprechend  den 
klimatischen  Bedingungen  Westasiens  und  Südeuropas ,  im  antiken 
Kult  und  Aberglauben  eine  große  Rolle  gespielt  hat  und  z.  T.  in 
jenen  Gegenden   noch  jetzt   spielt.     Beispiele    für  Regensteine  bei 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    P>(1.  186  (Snpplementhand).  8 


114  Heilige  Steine. 

den  Türken  sammelt  R.  Eis  1er,  Piniol.  LXVIII,  1909,  195  u. 
222  ;  ebd.  131  f.  wird  der  Name  Hobal  von  Nbn  (mingere  ^=  regnen) 
abgeleitet  und  zu  Zeus  y.daiog,  den  Goldziher,  Myth.  d.  Hebr.  89 
in  demselben  Sinn  erklärt  hatte  (vgl.  den  Berg  Quzah,  Wellhausen, 
Reste  arab.  Heident.^  81  f.),  gestellt  •,  der  Stein  des  Hobal  soll  ein 
Regenstein  gewesen  sein.  Zu  solchem  Regenzauber  dienten  aber 
gewöhnlich  nicht  die  unverrückbar  im  Boden  festsitzenden  Felsen, 
sondern  bewegliche  Steine ,  die  mau ,  was  eben  die  erwünschten 
Niederschläge  herbeizaubern  sollte ,  ins  Bad  führen  konnte.  Sie 
galten  oft  als  vom  Himmel  gefallen  und  sollten  wahrscheinlich  von 
•üesem  Ursprung  her  Macht  über  die  himmlischen  Gewässer  be- 
sitzen, mit  denen  zusammen  sie  im  Gewitter,  wie  man  glaubte, 
zur  Erde  hernieder  gekommen  waren.  Aber  nicht  immer  wurde 
solchen  Steinfetischen  eine  günstige  Wirkung  auf  das  Wetter  zu- 
gesprochen; Plin.  n.  h.  II  115  erwähnt  einan  Stein  in  KjTenaika, 
den  zu  berühren  verboten  war,  weil  dann  Samum  eintrat.  Nach- 
dem schon  Studniczka  damit  die  theraiische  Inschrift  fjr^  i^iv- 
yaie  (IG  XII  3,  451,  vgl.  ebd.  230)  verglichen  hat,  macht  L.  Rader- 
macher,  Wiener  Stud.  XXXIX  170  f.  auf  einige  Steine  in 
Languedoc  aufmerksam,  deren  Berülu'ung  Donner,  Hagel  und  Regen 
herbeiführen  soUte. 

Die  Steine  haben  aber  bisweilen  nicht  bloß  die  Opferstätte 
bezeichnet,  sondern  geradezu,  wie  dies  schon  in  einigen  der  bisher 
genannten  Untersuchungen  stillschweigend  oder  ausdrücklich  voraus- 
gesetzt WTirde ,  als  eigentliches  Heiligtum ,  als  Sitz  des  Dämons 
oder  Gottes,  also  als  Fetisch  gegolten.  Untersuchungen  über  den 
Fetischdienst  als  Ausgangspunkt  der  Religion  überhaupt  sind  o.  er- 
wähnt worden ;  Reste  des  Fetischismus  im  altgriechischen  Volks- 
glauben behandelt  Ch.  Michel,  Rev.  hist.  rel.  LX,  1909  2,  Ulff. 
—  S.  Reinach  läßt,  Cultes,  myth.  relig.  III  364  ff.,  seinen  Auf- 
satz Les  monuments  de  pierre  brüte  dans  le  langage  et  les  croyances 
populaires,  von  dem  namentlich  das  zweite  Kapitel  (Croyances  popu- 
laires  relatives  aux  monuments  megalithiques  396  ff.j  Parallelen  zu 
antiken  Vorstellungen  bietet,  aus  Rev.  arch.  1893',  195  ff.,  329  ff. 
mit  vielen  Zusätzen  wieder  abdrucken.  —  Conybeares  Vortrag 
in  Oxford  (Transactions  3  Intern.  Congr.  hist.  rel.  II,  1908,  177  ff.) 
The  Baitul  in  Damascius  handelt,  ohne  zu  wesentlich  neuen  Er- 
gebnissen zu  kommen,  über  Baityle  überhaupt.  Mit  den  Baitylen 
vergleichen  sich  die  von  Nöldeke,  Zeitschr.  f.  Assyriol.  XXIII, 
1910.  184  ff.  behandelten  und  mit  Koran  Sure  106,  3  verglichenen 
zwei  nabatäischen  Inschriften  und  eine  Inschrift  aus  Petra,  welche 


Heilige  Steine.     Statuen.  115 

den  „Herrn  des  Hauses"  Nri"'n  N-i7:  nennen.  Nach  R.  Eisler, 
Philo!.,  LXVIII,  1909,  161  bedeutet  Baitylos ,  Bet-El  nicht  nur 
„Haus  der  Gottheit",  sondern  auch  „Gott  Haus".  —  Denselben 
Baitylos  bewohnen  nach  Lidzbarski,  Epheni.  f.  semit.  Epigraph. 
in,  1909,  247  Seimios  und  sein(e)  ovfißeivXog  d.  i.  wahrschein- 
lich Anat.  —  A.  J.  Reinach,  Rev.  hist.  rel.  LX,  1909 2,  346  f. 
bestreitet,  daß  Baitylos  semitischem  bs-rs  entsprechen  könne, 
weil  die  Vorstellung  (aber  auch  der  Name?)  in  eine  Zeit  zurück- 
reiche ,  wo  semitischer  Einfluß  in  Griechenland  nicht  anzunehmen 
sei.  Er  leitet  ßakvXog  von  ßairr^  „Ziegenfell"  ab,  und  ver- 
mutet, daß  die  alyig  ein  vom  Himmel  gefallener  Blitz,  also  ein 
Stein  war. 

Nicht  überall,  aber  in  Griechenland  zuweilen,  sind  die  un- 
behauenen Steine  der  Urzeit  zu  Statuen  umgeformt  worden.  Wie 
jene  gelten  daher  diese  als  Sitz  der  Gottheit  und  als  wundertätig, 
Weinreich,  Ant.  Heilungswunder  (RV  u.  V  VIII,  1909)  155  ff. 
—  Öfters  wurden  die  Götterbilder  gefesselt,  damit  die  in  ihnen 
vorausgesetzte  göttliche  Macht  nicht  das  Land  zu  dessen  Schaden 
verlassen  oder  aus  ihm  geraubt  werden  könne.  Davon  ist  nicht 
immer  zu  scheiden  die  u.  (^S.  116}  erwähnte  Sitte  der  An- 
knüpfung an  eine  Statue.  —  Aus  Riten  ersterer  Art  sind  nach 
Fr.  Marx,  Sitzber.  SGW",  1906,  122  die  Mythen  von  der  Fesselung 
des  Prometheus  und  der  Hesione  entstanden.  —  Nun  war  es  frei- 
lich nicht  so  leicht,  glaubhaft  zu  machen,  daß  das  göttliche  Numen 
in  einer  von  Menschenhand  geschaffenen  Statue  wohne ,  aber  bis- 
weilen sollten  auch  diese  wie  angeblich  die  alten  unbehauenen 
Steine  vom  Himmel  gefallen  sein,  wenn  sie  für  solche  heimlich 
untergeschoben  werden  konnten;  auch  gab  es  besondere  Zauber- 
maßi-egeln,  durch  die  man  die  Gottheit  in  das  Bild  hineinzwingen 
oder  locken  zu  können  glaubte.  Eine  karthagische  Weihinschrift 
an  Ba'^al  und  Tanit  (Merlin  und  Berg  er,  Compt.  rend,  AIBL, 
1908,  362),  erwähnt  am  Schluß  das  Opfer  zum  „Eintritt"  der 
Gottheiten ,  was  Merlin,  Le  sanctuaire  de  Baal  et  Tanit 
(Notes  et  Documents  IV,  1910,  36)  darauf  bezieht ,  daß  die 
Götter  bei  der  Konsekration  infolge  der  Zeremonie  in  die  Bild- 
säule hineinsteigen  sollen.  Zu  demselben  Zweck  wurde  nach 
Gauckler,  Compt.  rend.  AIBL,  1908,  529  dem  sjanschen  Gott 
ein  Opfer  auf  dem  laniculum  dargebracht.  Zweifelnd  erklärt 
Gauckler  ebd.,  1910,  393  auch  die,  wie  es  scheint,  namentlich  in 
S3rrischen  Kulten  herrschendo  Sitte ,  das  Hinterhaupt  des  Gottes- 
bildes   abzusägen    und,    vermutlich    nach   Vollzug   gewisser   Riten, 


jl(5  Statuen,  Altäre,  Throne  als  Sitz  der  Gottheit. 

wieder  aufzusetzen  oder  aus  besonderem  Stein  herzustellen,  aus 
dem  Bestreben,  die  Gottheit  in  die  Statue  zu  zaubern.  —  Mit  den 
ßegensteinen  und  anderen  Steinfetischen  berühren  sich  die  Götter- 
bilder z.  T.  auch  dai'in,  daß  sie  gebadet  werden,  wofür  C.  Fries, 
Stud.  z.  Odyssee  I,  S.  79  ff.  zahh-eiche  Beispiele  sammelt.  Aus 
einer  solchen  Begehung  soll  sich  auch  der  Zug  vom  Bade  des 
Odysseus  l224  ei-klären.  —  Weil  die  göttliche  Macht  in  der  Kult- 
statue eingeschlossen  und  aus  ihi"  heraus  sich  betätigend  gedacht 
wurde,  entstand  die  Sitte,  daß  sich  im  Falle  der  höchsten  Not  die 
Menschen  durch  ein  Seü  mit  ihi'  verbanden.  Über  diese  schon 
auf  assyrischen  Kunstwerken  bezeugte  Sitte  vgl.  Campbell 
Bonner,  Transact.  Amer.  Phil.  Assoc.  XLIV,  1913,  233  ff.  Der- 
selbe Gebi'auch  findet  sich  übrigens  beim  Altar,  der  bisweilen  sich 
aus  derartigen  vermeintlich  von  der  Gottheit  beseelten  Steinen 
entwickelt  hat.  —  Über  den  griechischen  Altar  handelt  ausführlich 
E.  A.  Gardner  in  Hastings  Encyclop.  of  Relig.  and  Ethics  I,  342 ff. 
Nicht  immer  glaubte  man,  daß  die  Gottheit  beim  Opfer  oder 
Zauber  zugegen  sei.  ßonzevalle,  Mel.  de  la  faculte  orient  III. 
1909^,  765  f.  bekämpft  sogar  die  Annahme,  daß  der  Fetischdienst, 
d.  h.  die  Verehrung  von  Gegenständen,  in  denen  die  Gottheit  wohne, 
älter  sein  müsse  als  der  Glaube  an  Gottheiten,  die  sich  un- 
sichtbar außerhalb  eines  bestimmten  Objektes  befinden.  Er  denkt 
zunächst  an  semitische  Religionen,  und  für  diese  hat  Reicheis  Ver- 
mutung von  den  Götterthronen,  auf  denen  man  sich  das  göttliche 
Wesen  unsichtbar  anwesend  gedacht  habe  {Bä.  CII,  157  dieser, 
Berichte).,  \aele  neue  Anhänger  gewonnen.  Über  Götterthrone  für 
Astarte  aus  der  Umgegend  von  Tyros  spricht  Dussaud,  Rev. 
bist.  rel.  LXI,  1910  ^  99  und  398.  —  Von  dem  kyprischen  Orts- 
namen Thronoi  ausgehend ,  behandelt  die  Frage  C  h  a  p  o  t ,  Bull, 
des  antiqu.  de  France  VIII  i,  1911,  262 fi".  Vgl.  auch  R.  v.  Lichten- 
berg, Orient.  LZ,  1908,  294  ff.  —  Für  die  schon  von  Reichel  und 
Meinliold  in  diesem  Sinn  erklärte  Bundeslade  als  Thron  Gottes 
sind  in  der  Berichtsperiode  besonders  D  i  b  e  1  i  u  s ,  Die  Lade  Jahwes, 
Forsch,  zur  Relig.  und  Literat,  des  A  und  NT,  Göttingen,  1900 
und  Meinhold,  DLZ  XXX,  1909,  2764  eingetreten;  als  Nach- 
trag zu  Dibelius'  Buch  macht  Münz  er,  Arch.  f.  Rel'gionswiss.  IX, 
1906,  517  auf  Tac.  hist.  V  9  aufmerksam.  —  Im  Gegensatz  zu 
den  genannten  Forschern  erklärt  Brandenburg,  Felsarchit.  im 
Mittelmeergeb.  (Mitteil.  d.  vorderas.  Ges.  XIX  2,  S.  47  f.;  vgl.  Rev. 
et.  ethnogr.  et  sociolog.  II,  1909,  321  ff.)  Reicheis  Vermutung  von 
den  Götterthroneii  für  nicht  haltbar.    Die  Stufen  haben  sich  seiner 


Statuen.    Abzeichen.  117 

Ansicht  nach  aus  der  sitzenden  Statue  entwickelt,  und  zwai-  zunächst 
4 — 5  Stufen,  die  später  zum  Throne  vereinfacht  wurden. 

Obwohl  bisher  auch  innerhalb  der  vorgriechischen  Zeit  keine 
Periode  nachweisbar  ist,  in  der  die  Gottesbilder  ganz  fehlten,  ist 
doch  für  Griechenland  ihre  allgemeine  Verwendung  im  Kult,  wie 
seit  lauge  angenommen  und  durch  die  Forschung  auch  in  der 
Berichtsperiode  immer  mehr  bestätigt  wird ,  verhältnismäßig  jung 
gewesen :  die  Neuerung  entspricht  der  Verlegung  der  natürlichen 
Kultstätten  aus  der  Wildnis  des  Waldes  oder  Gebirges  in  die 
Städte  und  ihrer  Umwandlung  in  Tempel.  Die  ältesten  Kult- 
statuen wurden  öfters  wie  Puppen  angezogen,  s.  Fr.  Poulsen, 
Der  Orient  u.  die  frühgriech.  Kunst  lo8:  vgl.  Arch.  Jahrb.  XXI, 
1906,   191  ff. 

3)  Abzeichen. 

Wie  das  Kultbild  durch  Abzeichen  kenntlich  gemacht  wurde, 
so  konnte  es  auch  dui'ch  solche  vertreten  werden,  wobei  aber  fest- 
zuhalten ist,  daß  das  Symbol  älter  sein  kann  als  das  Bild  und 
nicht  notwendig  infolge  künstlerischer  Unfähigkeit  gewissermaßen 
als  Abkürzung  aus  diesem  hervorgegangen,  sondern  bisweilen  sein 
Ausgangspunkt  ist.  —  Mit  den  Götterattributen  werden  hier  zugleich 
die  übrigen  religiösen  und  mythischen  Vorstellungen,  die  sich  an 
sie  knüpfen  und  die  häufig  mit  der  Verwendung  als  Abzeichen 
zusammenhängen ,  wenigstens  in  vielen  neueren  Untersuchungen 
mit  ihnen  zusammen  behandelt  werden,  in  Betracht  gezogen-,  denn 
obwohl  damit  über  den  Begriff  der  Attribute  hinausgegangen  wird 
und  selbst  von  diesen  die  wenigen ,  deren  Ursprung  sicher  fest- 
zustellen ist,  zeigen,  daß  sie  aus  verschiedenartigen  Gründen,  z.  B. 
als  ehemalige  Fetische,  als  Mittel,  mit  denen  die  Gottheit  die  ihr 
zugeschi'iebene  Macht  ausübt,  als  Opfertiere  und  Weihgaben,  als 
Gerät  oder  Schmuck  der  Festteilnehmer  usw.  den  Göttern  bei- 
gelegt sein  können,  so  würde  die  Trennung  nach  dem  Ursprung 
doch  in  den  meisten  Fällen  nur  auf  zweifelhaften  Vermutungen 
beruhen ,  oft  das  Zusammengehörige  auseinanderreißen ,  Wieder- 
holungen erfordern  und  jedenfalls  nicht  so  übersichtlich  sein  wie 
die  hier  befolgte  Zusammenfassung. 

Gesamtdapstellung-en  der  g-öttliehen  Abzeichen 

sind  in  der  Berichtperiode  nicht  erschienen;  größere  Gebiete  be- 
handeln Meringer,  Indogerm.  Forsch.  XXI,  1907,  296  (über 
Pflock-  und  Säulenverehrung  bei  den  Indogermanen);  Karsten,  Studies 
in  primit.  Greek  Religion,    Helsingfors,    1907  (über  Steine    S.  8  ff.. 


118  Symbole. 

Pflanzen  15 ff.,  Tiere  19 ff.);  Ch.  Michel,  Rev.  hist.  rel.  LX,  141  ff. 
(ebenfalls  iu  der  Reihenfolge  Steine,  Pflanzen,  Tiere).  Zahlreiche 
Abzeichen ,  in  denen  er  nicht  Symbole ,  aber  Anschauungsformen 
des  Mondes  oder  der  Sonne  erblickt,  stellt  E.  Siecke,  Götter- 
attribute und  sogen.  Symbole,  Jena  1909,  zusammen.  Über 
Kagarows  russisch  geschriebenes  Werk,  Fetischismus,  Pflanzen- 
kult und  Tierverehrung  kann  ich  nach  gütiger  Mitteilung  des  Ver- 
fassers wenigstens  die  Gliederung  des  Inhaltes  angeben.  I.  Der 
Fctischisnms:  1.  Wesen  und  Ursprung  des  Fetischismus  3  ff . : 
2.  Hauptgruppen  der  altgriechischen  Fetische  17ff. ;  3.  Haupt- 
formen des  antiken  Fetischismus  70  ff.  II.  BatimkuU:  4.  Ursprung 
des  Pflanzenkults  92  ff. ;  5.  Hauptarten  der  Pflanzen  von  rehgiöser 
Bedeutung  99  ff. ;  6.  Hauptformen  des  Pflanzenkults  181  ff.  III.  Tier- 
verehrung: 7.  Theorien  über  den  Ursprung  des  Tierkults  nach  der 
gegenwärtigen  Stellung  der  Frage  in  der  Wissenschaft  193  ff.; 
8.  Hauptarten  der  Tiere  von  religiöser  Bedeutung  216  ff. ;  9.  Haupt- 
arten des  Tierkults  in  Griechenland  H09  ff.  Vgl.  die  Besprechung 
von  Kappus,  Berl.  Philol.  Wochenschr.  XXXVI,  1916,  42. 

Besondere  Bedeutung  haben  die  S\'mbole  natürlich  für  die  vor- 
geschichtliche Zeit,  von  deren  religiösen  Vorstellungen  sie  fast 
allein  Zeugnis  ablegen.  Viele  Abzeichen  der  kretischen  und  mino- 
ischen,  aber  auch  der  altmitteleuropäischen  Kultur,  z.  B.  den  von 
einem  Pferd  gezogenen  Diskus ,  das  Hakenkreuz .  den  Diskus  mit 
Kreuz  oder  Stern,  den  Hirsch,  Delphin  und  Schwan  bespricht 
Dechelette.  Rev.  arch.  IV  xni<  1909^,  305 ff.,  um  nachzuweisen, 
daß  in  vorgeschichtlicher  Zeit  in  Europa  im  allgemeinen  Sonnenkult 
herrschte. 

Einzelne  Attribute  und  Symbole. 

Von  den 

a)  Lichterschein uugen  und  Gestirnen 
wii-d  über  Sonne,  N cum ondsichel  und  Stern  bei  der  Besprechung 
der  Ennaeteris  gehandelt  werden.  Vgl.  auch  u.  {S.  138  „Adler^). 
Der  Blitz  wurde  teils  durch  Werkzeuge  (Axt,  Dreizack, 
Waffen)  oder  auch  durch  Steine  (u.  S.  120)  angedeutet,  die  der 
ßlitzgott  schleudern,  oder  mit  denen  er  den  Wetterstrahl  heraus- 
schlagen sollte,  teils  wurde  er  aber  auch  mehr  oder  weniger  natur- 
getreu nachgeahmt.  Eine  solche  Darstellung  des  mit  beiden  Händen 
einen  Bhtz  werfenden  Gottes  erblickt  Fred.  Poulsen,  Der 
Orient  und  die  frühgriech,  Kunst,  S.  81  zweifelnd  auf  einem  der 
kretischen  Schilde ,  und  da  dieser  Typus  in  der  echtgriechischen 
Kunst    überaus    selten   ist.    vermutet  er  seine  Einführung  aus  dem 


Symbole  und  Attribute.  119 

Morgenland.  Die  griechischen  Künstler  haben  dafür  gewöhnlich 
stilisierte  Formen  gewählt,  die  auch  schon  im  Orient  hilufig  waren. 
Über  sie  handelt  Paul  Jacobsthal,  Der  Blitz  in  der  orientalischen 
und  griechischen  Kunst,  Berlin  1906,  dessen  Arbeit  durch  die 
ßlinkenbergs  (.9.  «.)  z.  T.  überholt  ist.  Eigenartig  i.st  der  Ab- 
schnitt über  den  Blitz  als  Blüte  (vgl.  dazu  Malten,  Arch. 
Jahrb.  XXIX,  1914,  191,  2),  doch  bemerkt  Terzaghi,  Atene  e 
Roma,  1907,  36  f.,  daß  bei  Aisch.  Prom.  7  avi^og  nicht  „Blüte" 
bedeiitet,  sondern  in  übertragenem  Sinn  gebraucht  ist.  —  Blinken- 
berg,  The  Thunderweapon  in  Religion  and  Folklore,  A  Study  in 
comparative  Archaeolog}' ,  Cambr.  1911  führt  die  künstlerische 
Nachbildung  des  Blitzes  (und  des  Feuers  überhaupt)  durch  eine 
dreispitzige  Zickzacklinie  auf  die  babylonische  Kultur  zurück, 
innerhalb  deren  sie  in  der  Hand  des  Bhtzgottes  Adad  erscheint. 
Wie  das  Abzeichen  der  Axt  {n,  S.  156}  verbreitete  sich  auch 
diese  Nachahmung  des  Blitzes  /u  den  Chetitern  und  dann  zu  den 
Griechen,  wo  sie  in  Poseidons  Dreizack,  und  ebenso  zu  den  Indern, 
wo  sie  in  Sivas  Trisnla  erhalten  ist.  Die  Verdoppelung  dieses 
Dreispitzes  führte  zum  griechischen  Blitzsymbol ,  dessen  Vorbild 
ebenfalls  in  Assyrien  nachw'eisbar  ist. 

b)    Mineralische    Abzeichen. 

Über  verschiedene  Mineralien,  die  gegen  Besessenheit  schützen 
sollten,  s.  Tamborino,  De  antiquorum  daemonismo,  RV  u.  V 
VII III,  1G08/9,  83.  —  Einen  heiligen  Stein  im  thessalischen  Ithome 
erschließt  A.  Rein  ach,  Rev.  hist.  rel.  LX,  1909'-^,  182  aus  dem 
des  Heiligtums  zwischen  Alalkomenai  und  Koroneia.  —  Conj'^beare. 
The  Baitul  in  Damascus .  Transact.  3.  Intern.  Congr.  Hist.  Rel.. 
1908,  II  177  ff.  handelt  überhaupt  von  Baitylen  und  anderen  Stein- 
fetischen, ohne  zu  wesentlich  neuen  Ergebnissen  zu  gelangen.  — 
Seilin,  Orient.  Lit.  XV.  1912,  119  ff.  hebt  hervor,  daß  die 
Masseboth  —  was  ebenso  von  den  heiligen  Steinen  in  Griechen- 
land gilt  —  sehr  verschiedenen  Ursprung  haben,  z.  B.  als  Wohn- 
sitz der  Gottheit  oder  als  Phallen  aufgefaßt  gewesen  sein  können.  — ' 
Die  als  Sitz  einer  überirdischen  Macht  betrachteten  Steine  galten 
oft  als  vom  Himmel  gefallen ;  darunter  sind  ursprünglich  nicht 
Meteoriten  im  heutigen  Sinn  des  Wortes,  sondern  „ßlitzsteine"  zu 
verstehen,  Steine,  von  denen  angenommen  wurde,  daß  sie  im  Blitze 
zur  Erde  niedergefahren  seien  und  einen  Teil  der  geheimnisvollen 
Himmels-  und  Blitzkraft  in  sich  bewahrten.  Neben  der  Vorstellung, 
nach    der    die    Blitze    wie    der    Funke    bei    einem    irdischen    Stein- 


120  Symbole  und  Attribute. 

feuerueug  durch  einen  Stein  (oder  eine  Steinwaffe)  herausgeschlagen 
werden,  scheint  nämlich  seit  alter  Zeit  die  andere  bestanden  zu 
haben,  daß  sie  selbst  als  glühende  Steine  oder  Steinwaffeu  nieder- 
taliren.  Spuren  dieser  Vorstellung  finden  sich  z.  B.  in  Rom.  Seh. 
Pers.  II  26  heißt  es:  in  usu  fuit,  ut  augures  vel  aruspices  adducti 
<ie  Etruria  certis  temporibus  fulmina  trausfigurata  in  lapides  infra 
terram  absconderent.  Aus  derartigen  Blitzgräbern  erklärt  Petersen, 
Klio  VIII,  1908,  447  die  Geschichte  von  dem  Wetzstein  und  dem 
Scherniesser ,  die  auf  dem  Forum  bei  dem  Feigenbaum  in  einem 
Puteal  vergraben  sein  sollten  (Cic.  De  div.  I  32,  Dion.  ccq)^.  III  71). 
—  Über  die  Steinwaffe,  welche  der  den  luppiter  darstellende  Pater 
patratus  als  SAnnbol  des  Blitzes  trug,  vgl.  Piuza,  Rendiconti 
RAL  V  XVI,  1907,  514  ff.  Das  alte  luppiterbild,  das  nach  dem 
Verf.  aus  der  Steinzeit  stammen  mußte,  da  dem  Gott  gewiß  nicht 
schlechtere  Waffen  gegeben  wurden,  als  die  Menschen  sie  trugen, 
soll  längst  durch  ein  moderneres  ersetzt  gewesen  sein,  aber  die 
Attribute  wurden  im  Inventar  aufbewahrt,  und  der  Pater  patratus 
entnahm  sie  dort ,  wenn  er  das  Bündnis  schloß.  Daß  der  Stein 
selbst  im  Blitze  niedergefahren  sei  (Sotacus  bei  Plin.  37,  135), 
hält  Pinza  m.  E.  nicht  mit  Recht  für  eine  erst  später  aufgekommene 
und  erst  in  hellenistischer  Zeit  nach  Rom  übertragene  Vorstellung.  — 
Zu  anderem  Ergebnis  als  Pinza  gelangt  Rose,  Journ.  Rom.  Stud.  III, 
1913,  237:  er  bestreitet,  daß  der  Stein  beim  foedus  ursprünglich 
ein  „Donnerstein"  war,  hält  ihn  vielmehr  für  einen  beliebigen 
Kiesel,  der  nur  durch  seine  Verbindung  mit  dem  feierlichen  Eid 
geheiligt  worden  sei.  {Vgl.  u.  S.  172;  s.  auch  o.  S.  112.)  —  Nach 
einem  von  Weber,  Hess.  Blatt,  f.  Volksk.  XI,  1912,  221  mit- 
geteilten Aberglauben  der  Vogelsberger  Bauern  schützt  der  Donner- 
stein gegen  Blitzschaden,  was  eine  neue  Parallele  zu  einer  antiken 
Vorstellung  (Handb.  d.  griech.  Myth.  u.  Religionsgesch.  777,  1)  ist.  — 
Vorschriften  über  die  Verwendung  von  Metallen  im  Kult  stellt 
Wächter,  Reinheitsvorschr.  (RVuV  IX j)  S.  115 ff.  zusammen. 
Gold.  Goldene  und  goldfarbige  Glieder  verbürgen  nach  helle- 
mstischer,  wohl  von  ägyptischem  Glauben  beeinflußter  Vorstellung 
die  Abstammung  vom  Sonnengott;  s.  darüber  L.  Troj  e ,  Sitzungsber. 
Heidelb.  AW  1916,  XVII,  79,  1. 

cj  Die  Pflanzenwelt  im  Mythos,  Kult  und  Aberglauben. 

Allgemeines.    Über  die  Zusammenstellungen  von  Karsten, 

Michel  und  Kagaro  w  s.  o.{S.117  f.),  über  unreine  Pflanzen  handelt 

Wächter  a.  a,  0.  192 ff.  —  Kropatschek,  De  amuletorum  apud 


Symbole  und  Attribute.  121 

«intiquos  usu,  Münster  1907  beschäftigt  sich  im  Hauptabschnitt 
(S.  45  ff.)  mit  der  magischen  Bedeutung  der  Pflanzen.  —  Einzelne 
Zusätze  bietet  C.  J(ullian),  Rev.  et.  anc.  XIII,  1911,  198.  — 
Aigremont,  Volkserotik  und  Pflanzenwelt,  eine  Darstellung  alter 
wie  moderner  erotischer  und  sexueller  Gebräuche,  Vergleiche,  Be- 
nennungen usw.,  I,  Halle  o.  J.,  geht  zwar  nicht  genauer  auf  das 
Altertum  ein,  bietet  aber  doch  manches,  was  auch  für  den  Mytho- 
logen  in  Betracht  kommt,  z.  B.  über  das  Schlagen  mit  der  Lebens- 
rute (19  ff.;  38),  über  Äpfel  (59  ff.),  Birnen  (69  ff.),  Rosen  (110  ff.), 
Fenchel  (127  f.)  und  Lattich  (145  f.). 

Seine  Studien  über  die  italischen  Wälder  „I  boschi  sacri  dell' 
antica  Roma",  Bull.  Commiss.  arch.  comm.  di  Roma  XXXIII,  1905, 
189  ff.,  in  denen  er  die  Lage  von  27  heiligen  Hainen  in  und  bei 
Rom  bestimmt  hatte,  setzt  G.  Stara  Tedde,  ebd.  XXXV,  1907, 
129  in  dem  Aufsatz  Ricerche  sulla  evoluzione  del  cidto  degli  alberi 
dal  principio  del  secolo  IV  in  poi  fort.  Es  wird  darin  die  Stellung 
der  Kirche  gegenüber  dem  antiken  Baumkultus  besprochen,  doch 
liegt  dem  Verfasser  die  volkswirtschaftliche  Seite  der  Frage,  wie 
es  scheint,  näher  als  die  religionsgeschichtliche.  —  jBejottes, 
Le  livre  sacre  d'Hermes  Trismegiste,  Bord.  1911  wiU  nachweisen, 
daß  die  „Dekankräuter"  des  Hermes  noch  jetzt  in  Frankreich  als 
Zauberkräuter  gelten  und  als  solche  schon  vor  der  römischen  Er- 
oberung durch  unmittelbare  Übertragung  aus  dem  Orient  bekannt 
waren.  Die  Römer  sollen  erst  die  gallischen  Namen  ins  Lateinische 
oder  Griechische  übersetzt  haben. 

Von  den  mythischen  Bäumen,  die  sich  in  die  Botanik  nicht 
einordnen  lassen,  hat  der  goldene  Zweig,  mit  dem  Aeneas  sich 
den  Orkus  erschließt  (Verg.  Aen.  VI,  136),  auch  in  neuerer  Zeit 
die  Aufmerksamkeit  auf  sich  gezogen.  Vergil  scheint  aus  einer 
Quelle  zu  schöpfen,  die  den  Abstieg  des  Herakles  beschrieb  (R.  E., 
Suppl.  I  3,  Sp.  1077,  20  ff.);  mit  dem  Zweig  des  Rex  Nemorensis 
hat  jedenfalls  der  goldene  Zweig  nichts  zu  tun,  obw^ohl  F  r  a  z  e  r 
in  der  neuesten  Auflage  des  Golden  Bough  an  seiner  schon  im 
Titel  ausgedrückten,  auf  Mißverständnis  (Berl.  Phil.  Wschr.  XXXII, 
1912,  745)  von  Serv.  Aen.  VI  136  beruhenden  Deutung  festhält. 
Paton,  Class.  Rev.  XXV,  1911,  205  findet  den  goldenen  Zweig 
schon  bei  Piud.  d^QtjV.  fr.  130  erwähnt,  wo  er  schreibt  y.al  lißdri^) 
oxiEQoj  y.ai  xQvao-KdQ7toiai[v]  ßeßQiS^ev,  aber  zugibt,  daß  XQi^'o6/.aQ7iog 
auch  auf  einen  Efeuzweig  mit  goldenen  Beeren  gehen  könne,  — 
Roberts  Vermutungen  über  den  goldenen  Zweig  werden  in 
dem  Abschnitt    über    das  Schicksal    der  Seele  nach  dem  Tode  be- 


122  Attribute  aus  dem  Pflauzenreicli. 

sprechen  werden.  —  Über  den  Zweig  als  Symbol  des  Erlösers  iu 
seiner  Eigenschaft  als  Vegetations-  und  Lebensgott  handelt  zweifelnd 
Drews,  Christusmyth.  I  24. 

Vorstellungen  vom  Lebensbaum  haben  nach  W.  Schultz , 
Philol.  LXVIII,  1909,  497  die  Etrusker  aus  ihrer  lydischen  Heimat 
mitgebracht  und  auf  Herakles  und  Pythagoras  übertragen.  Vgl.  u. 
{S.  1:26  Pappel). 

A  Ir  au n.  Semitische  Parallelen  zu  dem  Glauben  an  die  Zauber- 
kraft dieser  Pflanze  und  an  das  'Erdmännlein'  bringt  H.  Kohl  er, 
Arch.  f.  Religionswiss.  XIII  1910,  70  ff.  bei. 

Über  Apfel  und  Quitte  im  Zauber  (Catal.  cod.  astrol.  VI, 
S.  88  f.).  L.  Bianchi,  Hess.  Blätter  f.  Volksk.  XIII  1914,  107, 
der  zahlreiche  ähnliche  Bräuche  vergleicht.  —  Über  das  Zuwerfen 
eines  Apfels  oder  Balls  als  Liebeserklärung  s.  Haus  er,  Rom. 
Mitt.  XXV  1910,  285.  —Aus  dem  Orakel  bei  Phlegon  FHG  III, 
S.  604  1  folgert  Cornford  in  Jane  Harrisons  Themis  236,  daß 
die  Sieger  in  den  olympischen  Spielen  ursprünglich  mit  einem  Apfel- 
zweig bekränzt  wurden. 

Die  Pflanze  Asterion ^  die  an  dem  Flusse  gleichen  Namens 
unweit  Mykene  wuchs  und  der  Hera  heilig  war ,  stellt  Saint- 
3-ves,  Vierges  meres,  95  tf.,  der  sie  seltsamerweise  für  das  Mai- 
glöckchen hält,  zu  den  Pflanzen,  welche  die  Entbindung  erleichtern 
sollten. 

Sirnba  um.  Über  seine  Bedeutung  im  Zauber  gegen  Im- 
potenz s.  Arch.  f.  Religionswissensch.  XV  1912,  875  f.  Es  wird  an 
die  Ochne-  und  Iphiklossage ,  den  Birnbaum  auf  dem  Kolonos 
Hippios,  Soph.  OK.  1596  und  das  argivische  Herabild,  Paus.  II 
17,  5  erinnert. 

Über  die  Verwendung  des  Bocksdorns  (Lycium  Europaeum, 
Qccfivog)  im  Zauber  s.  0.  Crusius,    Neue  Jahrb.  XXV  1910,  87. 

Eiche.  Cooks  Vermutung,  daß  eine  in  Nemi  gefundene,  am 
Nacken  mit  Laub  versehene  Doppelherme  den  als  Verkörperung 
des  Eichengottes  betrachteten  Rex  Nemorensis  darstelle,  ist,  wie 
Frazer,  Class.  Rev.  XXII  1908,  147  ff.,  der  Begründer  der  letz- 
teren Vermutung,  selbst  hervorhebt,  deshalb  zweifelhaft,  weil  die 
Sachverständigen  das  Laub  nicht  sicher  als  Eichenlaub  erkennen. 
Granger,  ebd.  217  tritt  für  Cooks  Deutung  ein.  —  Über  die 
Eiche  als  Blitzbaum  s.  Frazer.  Balder  the  Beautiful  (Golden 
Bough^  VII)  II  300 ff.  und  Warde  Fowler,  Arch.  f.  Religionsw. 
XVI  1913,  317  ff. ,  der  mit  der  Häufigkeit  des  Einschlags  von 
Blitzen  in  die  seit  alter  Zeit  für  heilig  gehaltenen  Eichen  die  Vor- 


Attribute  aus  dem  Pflanzenreicli.  123 

Stellung  erklärt,  daß  diese  dem  Himmelsgott  heilig  seien.  —  Aus 
der  Eiche  den  Blitz  herzuleiten,  lag  nach  S.  Wide,  Sert.  phil. 
C.  F.  Johannsson  obl.  1910,  68  für  die  Urzeit  sehr  nahe,  als  die 
himmlischen  Götter  noch  nicht  da  waren  und  die  meteorologischen 
Erscheinungen  noch  nicht  vom  Himmel  hergeleitet  wurden,  man 
vielmehr  in  der  Erde  und  den  chthonischen  Mächten  den  Ursprung 
alles  Seienden  suchte.  —  Über  die  Eiche  des  Zeus  vgl.  Jane 
Harrisons  Vortrag  über  die  Eiche  des  Zeus,  Transact.  III. 
Intern.  Congr.  Hist.  Rel.  II  157:  über  heilige  Eichen  und  Tere- 
binthen  im  Alten  Testament  s.  Frazer,  Anthropol.  Ess.  ])resent.  to 
Tylor  1907,   110  ff. 

Die  Feige  war,  wie  seit  lauger  Zeit  aus  ihrer  obszönen  Be- 
deutung (.<?.  w.)  und  auch  aus  der  hebräischen  Paradiessage  ge- 
folgert ist  und  Paton,  Rev.  arch.  1907',  öl  ff.  sowie  ihm  folgend 
Rein  ach.  Cultes  mythes,  rel.  III,  92  ff.  (besonders  117  f.;  vgl. 
361)  aus  der  Zeremonie  mit  den  Pharmakoi  erschließt,  im  Zeugungs- 
zauber wichtig;  ob  diese  Vorstellung  an  eine  Sitte  der  Befruchtung 
oder  Veredelung  des  wilden  Feigenbaumes  anschließt,  wie  Paton 
meint,  ist  meines  Erachtens  zweifelhaft.  Aus  eiuem  Befruchtungs- 
zauber leitet  Rein  ach  a.  a.  0.  auch  den  Namen  Sykophantes  her 
{u.  S.  190).  Wie  in  Eleusis  der  Hierophant  eine  Ähre,  soll  in  Hiera  Syka 
der  Sykophant  eine  heilige  Feige,  deren  Kultur  nach  der  Sage  Demeter 
dem  Phytalos  gezeigt  hatte,  vorgewiesen  haben.  Es  wird  eine  nahe 
Verwandtschaft  der  Kulte  und  Riten  beider  attischen  Kultstätten 
angenommen,  die  sich  auch  in  der  Sage  offenbaren  soll,  daß  Demeter 
wie  in  Eleusis  mit  Keleos ,  so  in  Hiera  Syka  mit  Phytalos  sich 
ehelich  verbunden  habe.  Weil  der  dortige  Sykophant  wie  der 
eleusinische  Hierophant  Unwürdige  von  der  Mj'^sterienfeier  aus- 
schloß, konnte  seine  Amtsbezeichnung  nach  Reinach  die  Bedeutung 
*  Verleumder'  erhalten.  —  Auch  Riff  er,  Indogerm.  Forsch.  XXX 
1912,  388  ff.  geht  bei  der  Erklärung  dieses  Wortes  von  der  obszönen 
Bedeutung  der  higa,  fica,  der  abwehrenden  und  geringschätzigen 
Fingerverschlingung  (Ov.  Fast.  V  433),  aus ;  er  meint  aber ,  daß 
diese  Geste  besonders  bei  Proletariern  und  der  ungebildeten  Be- 
völkerung üblich  gewesen  und  deshalb  'Feigenzeiger'  Bezeichnung 
eines  ungebildeten  Menschen  geworden  sei.  —  Als  Feuer-  und 
Blitzbaum  will  Eitrem,  Festski-,  til  Alf  Torp  1913,  85  ff.  die 
Feige  erweisen.  —  Über  die  beiden  heiligen  Feigenbäume  in  Rom,  die 
Navia  auf  dem  Comitium  und  die  Ruminalis  am  Lupercal,  sowie  über 
die  sich  an  sie  knüpfenden  Legenden  handelt  E.  Petersen,  Klio 
VIII  1908.  446  f.     Die  Ruminalis    bestand   noch  296  v.  Chr. ,    als 


124  Attribute  aus  dem  Pflanzenreich. 

die  Of^ulnii  eine  Nachbildung  der  kapitolinischen  Wölfin  neben  ihr 
aufstellten ;  als  sie  verdorrt  war ,  sagte  man ,  sie  sei  nach  dem 
Com'tium  versetzt  worden.  Dies  Ergebnis  wird  zum  Teil  durch 
eine  neue  Erklärung  der  schwierigen  Stelle  bei  Plin.  n.  h.  XV  77 
gewonnen.  Dagegen  will  G.  de  Sanctis,  Riv.  di  fil.  XXXVIII 
1910.  71  ff.  nachweisen,  daß  es  nur  eine  ficus  Ruminalis,  und  zwar 
beim  Tempel  der  Rumina  auf  dem  Comitium  gab,  und  daß  die  pala- 
tinische  und  deren  Verpflanzung  erst  erdichtet  wurden ,  als  man 
die  Ruminalis  mit  Romulus  in  Verbindung  brachte.  Diese  Er- 
dichtung ist  nach  de  Sanctis  älter  als  296,  da  in  diesem  Jahre  die 
Ogulnier  die  Statue  der  Wölfin  mit  den  Zwillingen  errichteten,  die 
weder  der  weit  älteren  im  Konservatorenpalast  noch  der  von  Die- 
nysios  gesehenen  gleichgesetzt  werden  dürfe. 

Auf  die  Bedeutung  der  Granate  in  einem  florentinischen 
Zauber  gegen  Unfruchtbarkeit  der  Frauen  weist  Saintyves. 
Vierges  meres  94  hin. 

Über  die  Hyazinthe  und  Narzisse  im  Mythos  und  Kult 
Demeters  handelt  aus  Veranlassung  des  Reliefs  von  Torre  Nova 
Rizzo.  Athen.  Mitt.  XXV  1910,  19. 

Daß  Kcu schlämm  {Xiyog,  üyvog) ,  das  später  als  anta- 
phroditisch  galt ,  nach  der  ursprünglichen  Vorstellung  gerade  die 
Fruchtbarkeit  befördern  sollte,  folgert  Fehrle,  Kult.  Keusch- 
heit 139  ff.  unter  anderem  aus  dem  milesischen  und  sonstigen 
Thesmophoriengebräuchen ,  aus  der  samischen  Toneialegende,  die 
nach  Fehrle  einen  ugog  ydfjog  begründen  soll  (173),  und  der 
Verwendung  des  ).vyog  im  Kult  der  Artemis  Orthia,  einer  alten 
Fruchtbarkeitsgöttiu.  Durch  die  lalsche  Etymologie  von  ayvog, 
das  als  ayvug  oder  ayorog  gedeutet  wurde ,  soll  die  umgekehrte 
Auffassung  begünstigt  worden  sein.  Schon  Welcker,  Grieche 
Götterl.  I  362  hatte  vermutet,  daß  es  sich  bei  der  Verwendung 
des  Keuschlamms  um  einen  alten  Fruchtbarkeitszauber  handelt; 
aber  da  ein  solcher  nicht  selten  mit  zeitweiliger  geschlechtlicher 
Enthaltung  verbunden  ist,  bedarf  es  der  Annahme  einer  Umdeutung 
der  Vorstellung  vom  Keuschlamm  kaum. 

Die  apotropäische  Kraft  von  Lauch  und  Zwiebel  erörtert 
Malten,  Herrn.  LIII  1913,  170  f. 

Über  die  Lilie  als  dem  Dionysos  heüige  Pflanze,  die  unter 
Ptolemaios  Philopator  tätowiert  wurde,  s.  Vollgraff,  Rev.  6t. 
auc.  XII  1910,  431,  der  bei  Plut,  de  discem.  adul.  et  am.  12 
i^chreiVjt:  .  .  .  mxc  zviu7cdvcijr  aga^eig  yal  xqivojv  iyxaqa^eig.  — 
Über  die  Lilie  im  Befruchtungszauber  handelt  Saintyves,  Vierge» 


Heilige  und  zauberkräftige  Pflanzen.  125 

ineres  73.  Räuchern  mit  Lilien  schützt  nach  einem  in  der  von 
Brunnhofer,  Arische  Urzeit  215  zitierten  Stelle  Qazwinis  er- 
wähnten persischen  Aberglauben  gegen  Wassermangel. 

Lorheer.  Ogle,  Laurel  in  ancient  Religion  and  Folklore, 
Amer.  Journ.  Phil.  XXXI  1910,  287  bietet  eine  fleißige  Sammlung 
der  Zeugnisse  namentlich  derer,  die  den  Bäum  als  Grabbaum  und 
Sitz  der  Geister  (298)  und  als  von  apotropäischer  Kraft  erfüllt 
(302  ff.)  erweisen  sollen.  —  Über  Lorbeer  im  Zauber  s.  Abt, 
Apolog.  d.  Apuleius  77  ff.  -=  R  Vu  V  IV  151  ff.  —  Die  lustrale  Ver- 
wendung von  Lorbeer  und  Myrte  haben  die  Römer  nach  Reid, 
Journ.  Rom.  Stud.  II  1912,  45  ff.  von  den  Griechen  angenommen. 
Daß  der  Lorbeer,  mit  dem  das  siegreiche  Heer  sich  beim  Triumph 
schmückte,  die  Reinigung  von  Blutschuld  (Fest.  ep.  117,  13  ff.) 
bezweckt  habe,  wird  bestritten,  da  diese  Auffassung  frühestens  mit 
der  Einführung  des  Graecus  ritus  aufgekommen  sein  könnte.  — 
Lorbeerzweige  (Liban.  e'/.cfQ.  5.  7  =  Bd.  VIII  474  F.,  IV  1054  R.), 
verbenas  felicis  arboris,  Sj-ram.  rel.  15  I,  S.  291  ed.  Seeck  schickten 
die  Römer  nach  Deubner,  Glotta  III  34  am  1.  März,  dem  Neu- 
jahrstag ,  den  Freunden  ^  sie  hießen  Strenae  und  wurden  später 
durch  Geldgeschenke  abgelöst.  Mit  der  Verlegung  des  Neujahrs- 
tages ging  die  Sitte  auf  den  1.  Januar  über. 

Das  Zofosblatt  des  Hermes,  das  Furtwängler  für  eine  Feder 
gehalten  hatte,  soll,  wie  R.  Förster,  Rom.  Mitt.  XXIX  1914, 
168  ff.  jetzt  (anders  Arch.  Jahrb.  XIX  1904,  140  ff.)  glaubt,  auf 
den  Segen  des  Nils  hinweisen,  dessen  Steigen  Hermes  zugeschrieben 
wurde  (Luc.  Phars.  X  209);  es  kam  also  zunächst  dem  UXovto- 
doTTqg  zu,  wurde  dann  aber  auch  dem  ^Evaywviog  und  dem  Dis- 
kobolos  (vgl.  die  Erzstatuette  in  Stuttgart)  gegeben.  —  Über  die 
Lotosblume  im  Fruchtbarkeitszauber  s.  Saintyves,  Vierges  meres 

101  ff. 

Mandragora.  *C.  Brewster  Randolph,  The  M.  of  the 
Ancients  in  Folklore  and  Medicine,  Proceed,  of  the  Amer.  Acad. 
of  Arts  and  Scienc.  1905,   Iff.;    Saintyves,    Vierges  meres  78. 

Über  das  Kerykeion  als  Mist el zweig  s.  Berl.  Phil.  Wschr. 
XXXIV  1914,   1557. 

Über  Moly  handelt  Henry,  Class.  Rev.  XX  1906,  434  ff. 
Er  hält  es  für  eine  im  Zauber  verwendete  Pflanze ,  deren  Name 
wahrscheinlich  phönizisch  oder  ägyptisch  sei.  Eher  gehört  der 
Name  der  älteren  Bevölkerung  Griechenlands  an. 

Die  Myrrhe  im  Zauber  bespricht  Abt,  Apol.  d.  Apuleius. 
133-=RVuV.  IV  207. 


126  Heilige  und  zauberkräftige  Pflanzen. 

Über  die  Myrte,  als  Zeichen  der  Liebesvereinigung,  der 
Totenklage  und  der  Keuschheit  s.  F  e  h  r  1  e  ,  Kult.  Keuschh.  (RV  u  V, 
VI)  239  ff.     Vgl.  über  die  M.  auch  o  {S.  125  „Lorbeer"). 

Narzisse.  B  r  u  n  n  h  o  f  e  r ,  Ar.  Urzeit  2 1 5  :  'Die  blendend 
weiße  Blüte  des  JSctQ^iaoog  ließ  die  N.  wohl  schon  im  arischen 
Altertum  als  Repräsentantin  des  Blitzes,  dann  aber  auch  als  regen- 
spendende Zauberpflanze  erscheinen'. 

Olim:  Über  die  Bedeutung  des  Öls  und  der  Salbung  als 
eines  Mittels,  um  in  das  Paradies  zu  gelangen,  s.  L.  Troje, 
Sitzungsber.,  Heidelb.,  AW  1916,  XVII,  83  ff.  —  In  Olympia  soll 
die  Olive  nach  Cornford  in  Jane  Harrisons  Themis  236  ff.  zu- 
erst Abzeichen  der  Erde,  dann  der  Mondgöttin  gewesen  und  endlich 
nach  Einführung  des  Mondsonnenjahrs  zugleich  des  Sonnengottes 
und  der  Mondgöttin  geworden  sein.  —  Über  das  Öl  vgl.  Clot. 
Mayeur,  Das  Öl  im  Kultus  der  Griechen,  Heidelb.  Diss.,  Würzb. 
1917.  Von  den  drei  Kapiteln  dieser  durch  F.  Boll  angeregten 
Arbeit  kommen  für  die  Religionsgeschichte  besonders  das  zweite 
(Salbung   beim  Opfer)    und   dritte  (Öl   als  Opfergabe)   in  Betracht. 

Die  Palme  als  Siegeszeichen  stammt  nach  Frank  Tarbell, 
Amer.  Jouru.  Ai'ch.  XII  1908,  69  wahrscheinlich  aus  der  Einrichtung 
der  delischen  Spiele  (seit  426).  Vor  dem  Ende  des  V.  Jhs.  ist 
sie  nicht  nachweisbar.  —  Svoronos  behauptet,  Journ.  internat. 
d'arch.  num.  XVI  1914,  87;  110  ff.;  118  ff.,  daß  die  Plagge  rpoiviy.lg 
nach  den  trockenen  roten  Palmblättern  heiße.  —  Palmbäume  sind 
auf  Stelen  des  Saturn  bei  Herschir  es  srira  dargestellt.  Saturn 
soll  hier  als  Gott  der  Fruchtbarkeit  gelten,  Hautecoeur,  Mel. 
d'arch.  et  d'hist.  XXIX  1909,  375.  Bisher  waren  fast  nur  Palm- 
sweige  als  Attribut  des  Gottes  bekannt.  Aus  einem  afrikanischen 
Kult  leitet  Hautecoeur,  Mel.  d'arch.  et  d'hist.  XXIX  1909,  376 
das  auf  christlichen  Mosaiken,  Lampen  und  Sarkophagen  erscheinende 
Symbol  der  Palme  her.    S.  u.  {S.  129). 

Pappel.  Die  UUrj  will  Wolfg.  Schultz,  Philol.  LXVIII 
1909,  492  ff.  aus  der  Sage,  daß  Mnesarchos  den  Pythagoras  unter 
einer  Pappel  schlafend  fand  (Porph.  v.  Pyth.  10),  als  Lebensbaum 
erweisen,  doch  soll  die  Weißpappel,  die  sonst  ein  Totenbaum  ist 
wie  die  w^eiße  Zypresse  auf  dem  Goldtäfelchen  von  Petelia,  v.  2 
(Comparetti,  Laminette  Orfiche,  S.  32),  an  die  Stelle  der  Schwarz- 
pappel getreten  sein. 

Über  die  Bedeutung  der  Pinie  im  Attiskult  s.  Frazer. 
Adon.  Att.  Osir.  I  (=  Golden  Bough  IV ^  1),  S.  277  ff.,  über  ihre 
Verwendung   im   Dienste    des    Dionysos  A.  Rein  ach,    Rev.  hist. 


Attribute  aus  dem  Pflanzenreich.  127 

rel.  LXVI,  1912^,  30  f.  Reinach  behandelt  1  ff.  L'origine  du  thyrse. 
Das  Wort  ist  nach  Reinach  thrakisch-phrygisch  und  entspricht, 
wie  auch  von  andern  vermutet  ist  (s.  zuletzt  Boisacii,  Diction. 
etym.  359),  dem  lateinischen  fu(r)stis.  Der  ältere  Name  der  Thyrsoi 
war  (S.  27)  iyvoi^Xa.,  sie  waren  Zweige,  die  heftig  geschwungen 
wurden.  Im  6.  Jh.  wurde  nach  Reinach  (31  f.)  der  Pinienzweig 
im  Kreise  unteritalischer  Orphiker  durch  die  Ferulstaude  ersetzt, 
die  um  die  Mitte  des  5.  Jhs.  mit  dem  aus  Delphoi  stammenden 
Pinienzweig  in  der  "Weise  verschmolz ,  daß  der  Pinienzapfen  auf 
den  Narthexstock  gesetzt  wurde.  —  Vgl.  u.  (ß.  128  „  Weide"). 

Über  die  Quitte  vgl.  o.  {132  „Äpfel"). 

Mose.  Die  Rosalia  werden  von  Carolidis,  Bemerk,  z.  d. 
alten  kleinasiat.  Spr.  und  Mythol.  178  ff.  zu  dem  armenischen 
Vartavarfest  gestellt,  das  ein  Rest  des  alten  kleinasiatischen,  erst 
nachträglich  mit  der  Rosalia  ausgeglichenen  Frühlings-  und  Toten- 
festes gewesen  sein  soll. 

Daß  die  Ter  eb  int  he  dem  ApoUon  heilig  war,  ist  längst  aus 
seinem  Bmnamen  TeQfxivd^evg  (Lykophr.  1207)  geschlossen  worden. 
Eine  Bestätigung  würde  es  sein,  wenn  Menardos '^^/yj^a  XXII, 
1910,  419  f.  (vgl.  Journ.  HeU.  Stud.  XXVIII,  1908,  133)  die  Über- 
lieferung bei  Ptolem.  Heph.  198,  11  in  Westermanns  Mythogr.  Gr. 
mit  Recht  so  verändert  tv  ^^Qoei  (=  äXaei ;  überl.  "Aq-yeL)  noXei 
Ttjg  KvjTQOv  iv  TCü  tov  [Tq]€[u]iU-iov  (überl.  ^EQiif^iov)  '^Ttölhovog 
lEQ(ji.  Aus  Steph.  B3^z.  Tgej-ii^oig  632,  16  ergibt  sich,  daß  in 
Tremithus,  auf  Kypros  Aphrodite  verehrt  wurde,  wie  es  von  dem 
kyprischen  Apollonheiligtum,  in  dem  Aphrodite  den  Adonis  gefunden 
haben  sollte,  vorauszusetzen  ist.  Tgti-iid-og  ist  nach  Steph.  Byz. 
die  kyprische  Bezeichnung  der  Terebinthe.  In  andern  Fassungen 
der  Adonissage  findet  die  Liebesgöttin  den  Leichnam  in  Lattich, 
woraus  geschlossen  werden  darf,  daß  dieser  bei  der  Darstellung 
der  Legende  verwendet  wurde  5  auch  für  den  dem  Terebinthen- 
baum  (Pistacia  Terebinthus)  nächst  verwandten  Mastix  {oxi^ogy 
Pistacia  Lentiscus)  ist  nach  Kallimachos  vfAV.  III  207  eine  Be- 
nutzung bei  den  Festen  zu  erschließen,  bei  denen  der  Tod  einer 
Gottheit  beklagt  wird.  Die  einwandernden  Griechen  haben  die 
Terebinthe  wahrscheinlich  erst  im  Mittelmeergebiet  kennen  gelernt 
und  den  vorgefundenen  Namen  übernommen;  auch  der  Kult- 
gebrauch wird  aus  der  Blütezeit  der  ägäischen  Kultur  stammen, 
die  sich  auch  in  diesem  Punkt  mit  der  vorderasiatischen  berührte ; 
wenigstens  läßt  sich  aus  Gen.  35,  4  erschließen,  daß  auch  in 
Kanaan   Götter   unter    einer  Terebinthe    verehrt   wurden.      Apollon 


128  Heilige  und  zauberkräftige  Pflanzen. 

ist  der  Gott  erst  von  den  Griechen  ifeuannt  worden ;  in  Müet  hieß 
er  Zeus   Tegui'v&tog  (Abh.  BAW,    bist.   ph.  Cl.  1908,  Anh.  I  27). 

Die  Weide  will  als  Baum  des  Adonis  nachweisen  A.  J.  Rein  ach, 
Rev.  hist.  rel.  LX,  1905)2  3^0  Er  beruft  sich  auf  Hesych.  'izaiog- 
iidiovig  und  ddä  .  . .  naqit  TvQioig  dt  ?/  elxtct  (an  "pN  hatte  bereits 
Borchart  gedacht).  Es  wäre  dann  wohl  auch  in  der  byblischen 
Osirissage  die  igeix-tj  (Plut.  le.  15).  d.  h.  walu-scheinlich  die  Tamariske 
(Handb.  d.  griech.  Mythol.  u.  Religionsgesch.  1413,  1)  statt  der 
Weide  eingetreten  oder  umgekehrt,  was  bei  der  gleichartigen  eigen- 
tümlich graugrünen  Färbung  der  schmalen  Bliittchen  beider  Pflanzen 
nicht  als  unmöglich  erscheint.  Doch  vergleicht  Spiegelberg 
(Arch.  f.  Religionswiss.  XIX,  1917/18,  194)  Firm.  Matern.  XXVII  1 
(in  Isiacis  sacris  de  ^wwcff  arbore  caeditur  truncus)  und  schließt 
daraus,  daß  die  fQei/.r^  ein  Nadelholz,  und  zwar  wahrscheinlich,  wie 
schon  Sethe,  Zeitschr.  f.  ägypt.  Spr.  u.  Altertk.  XLV,  1908,  12  ff. 
angenommen  hatte,  eine  Zeder  gewesen  sei. 

Wein.  Kircher,  Die  sakrale  Bedeutung  des  Weins  im 
Altertum  (RVuV  IX  2).  1910.  Aus  dem  Inhalt  des  Buches, 
auf  das  an  anderen  Stellen  dieses  Berichtes  zurückzukommen  ist. 
sei  hier  auf  §  III  3  (S.  82  ff.)  über  die  parallele  Verwendung  von 
Wein  und  Blut ,  z.B.  beim  Blutbund .  hingewiesen .  von  dem  die 
Sitte  des  Zutrinkens  abgeleitet  wird.  —  Über  Venus  als  Göttin 
des  Weinbaus  handelt  H.  L.  Wilson,  Amer.  Journ.  Phil.  XXVIII. 
1907,  450  aus  Anlaß  eines  zu  Cortona  gefundenen  Seihers  mit  der 
Aufschrift  sacro  Matre  Mursina;  vgl.  aber  Wissowa,  Rel.  d.  Röm.^ 
242.  Für  einen  Weinstock  hält  Cumont.  Comptes  rend.  AIBL 
1907,  448  das  Gewächs  auf  einem  Relief,  das  ein  Opfer  an  den 
^€cg  BrjXog  darstellt .  dem ,  wie  er  daraus  schließt ,  der  Wein  wie 
dem  Dionysos  und  Dusares  heilig  war  oder  wenigstens  Weinopfer 
dargebracht  wurden. 

Wermut  in  der  Volksmedizin  behandeln  0.  v.  Hovorka 
und  A.  Kronfeld,  Vergleichende  Volksmed.  II  449  f.  und  Frazer, 
Balder  the  Beautiful  (Golden  Bough  VII),  II  S.  58  ff.,  den  W.  als 
Ausfluß  des  Skorpions  Fr.  BoU,  Aus  der  Offenbarung  Joh.  41  f. 
bei  Besprechung  von  Apokal.  8,  10  f. 

Die  Zwiebel  wurde  nach  A.  Jacoby,  Rec.  trav.  relat.  ä 
la  philol.  et  ä  Tarch.  eg.  et  assj-r.  XXXIV,  1912,  0  ff.  in  der  oft 
erwähnten  Religio  Pelusiaca  deshalb  verehrt  oder  abergläubisch  ge- 
fürchtet, weil  die  ihr  zugeschriebenen  Blähungen  als  das  Werk  von  Dä- 
monen galten.  —  Über  die  Bedeutung  der  Zwiebel  im  apotropäischen 
Zauber  s.  0.  («S.  7?/  ,_  Lnnrh^y.  —  Daß  die  Zwiebel  wegen  ihrer  aphrodi- 


Heilige  Pflanzen  und  Insekten.  129 

sischen  Wirkung  der  Liebesgöttin  heilig  war,  folgert  Menardot;, 
'A^rn'ü  XXII,  1910,  419  aus  Alexis  bei  Athen.  II  G4,  S.  63*^. 
Der  Name  der  Aphroditekultstätte  ro).yoi  soll  kvjjrische  Dialekt- 
form für  BoXßoi  sein.  Stellt  diese  Vermutung  sich  als  richtig  her- 
aus, so  ist  ein  neues  Beispiel  für  das  auffällig  häufige  Zusammen- 
treffen des  Schweines  und  der  Zwiebel  (Handb.  247,  5)  gewonnen. 

Die  Erwähnung  der  weißen  Zypresse  auf  der  Tafel  von 
PeteUa  bringt  W  i  e  t  e  n ,  De  tribus  laminis  aureis  70  ff.  mit  dem 
Z3^pressenhain  der  Titanen  bei  Knossos  (Diod.  V  66)  und  damit 
in  Verbindung,  daß  nach  lambl.  v.  Pythag.  155  die  Pythagoreier 
die  Bestattung  in  Zypressensarkophagen  verboten.  Er  meint,  daß 
die  Pythagoreier  die  Heiligkeit  der  Zypresse  aus  kretischen  Mysterien 
entnahmen ,  womit  auch  die  späteren  Überlieferungen  über  P^-tha- 
goras'  Aufenthalt  in  Kreta  zusammenhängen  könnten.  —  C  o  m  - 
paretti.  Laminette  Orf.  34  hält  die  Xev/.y  KVTTCcQtaaog  der  Tafel 
von  Petelia  für  die  Silberpappel  (die  aber  nicht  wie  die  Zypresse 
pyramidal  ist). 

Eine  gründliche  Untersuchung  ist  nach  gütiger ,  mündlicher 
Mitteilung  von  E.  Kagarow  Klingers  Buch,  „Tiere  in  antikem 
und  modernem  Aberglauben",  Kiew  1911  (russ.).  Der  Vf.  bespricht 
1.  Tiere  der  „Luft"  (Vögel;  Hirsch  und  Pferd,  Fledermaus. 
Schmetterling  usw.);  3.  Tiere  der  „Erde"  (Eidechse.  Schlange. 
Wiesel,  Ratte,  Frosch  usw.);  3.  Tiere  der  „Nacht"  (Wolf,  Hund, 
Katze,  Bär,  Löwe);    4-  Tiere    des  „Feuers"    (Hahn  und  Henne). 

Insekten. 

Über  Dämonen  in  Gestalt  von  Käfern  s.  Fr.  Boll.  Arch. 
f.  Religionswiss.  XII,  1909,  151. 

Der  Schmetterling  ist,  wie  Was  er  in  dem  Aufs.  „Über 
die  äußere  Erscheinung  der  Seele  in  den  Vorstellungen  der  Völker, 
zumal  der  alten  Griechen",  Arch.  f.  Religionswiss.  XVI.  1913. 
382  ff.  zeigen  will,  nicht  erst  spät  als  ein  S}Tnbol  der  Wieder- 
geburt und  Unsterblichkeit  gefaßt.  Die  Bezeichnung  des  Schmetter- 
lings als  H)vx^  ist  nach  W.  nicht  Ursache,  sondern  Folge  der  Vor- 
steDung  vom  Seelenschmetterling .  die ,  wie  er  glaubt ,  vom  Nacht- 
falter ausgegangen  ist.  —  Ihm  steht  Immisch,  Glotta  VI,  1915. 
193  ff.  in  der  Auffassung  nahe;  er  erinnert  daran,  daß  bei  Verg. 
Aen.  VI  284  die  Träume  gleich  Nachtfaltern  unter  allen  Blättern  der 
Ulme  hängen.  Da  auf  Kunstwerken,  z.  B.  einem  Berliner  sf.  Vf.  (in 
Furtwänglers  Katalog  I  S.  222  no.  1634)  ein  Phallos  dargestellt 
wird,    der    sich   auf  einen  Schmetterling  ergießt  und  die  rhodische 

•Tahresbericht  für  AltertumFwisBenschaft.    l'd.  186  (Supplementhand).  9 


130  Insekten  im  Kult  und  Mj'^thos. 

Bezeichnung  des  Nachtfalters  (pdX{X)atra  an  Phallos  erinnert,  so 
erschließt  er  als  Ausgangspunkt  der  ganzen  Vorstellungskette  die 
Vcrgleichung  der  Seele  mit  einem  weihlichen  Nachtfalter,  der  sich 
geheimnisvoll  von  Raupe  zu  Puppe  und  Schmetterling  entwickelt; 
und  zwar  soll  der  lebende  Körper  der  Raupe,  der  tote  dem  Puppen- 
gehäuse und  die  sich  befreiende  Seele  dem  Schmetterling  verglichen 
sein.  Eine  Verbindung  dieser  Vorstellung  mit  der  vom  Phallos 
und  der  cfdXaiva  findet  er  bei  Hsch.  axyjiiiof.ta?)  o  rivsg  {.liv  üivxt/V, 
iivig  öe  q'dXaivav ,  womit  er  die  Doppelbedeutung  von  papilio 
.,Schmetterling"  und  „Zelt"  vergleicht.  Es  ist  nicht  möglich,  im 
Auszug  weiter  die  verwickelte  und  doch  nur  locker  zusammen- 
hängende semasiologische  Fortbildung,  die  Immisch  annimmt,  wieder- 
zugeben ;  die  von  ihm  verbundenen  Gleichnisse  scheinen  in  der  Tat 
aus  verwandter  Grundauffassung  erwachsen ,  aber  wahrscheinlich 
fehlen  uns  wichtige  Zwischenglieder,  ohne  welche  eine  klare  Ein- 
sicht in  den  Ideenkreis  und  seine  Entwicklung  nicht  möglich  ist. 
Vielleicht  liegt  die  Lehre  eines  Mj-sterions  zugrunde ,  bei  dem  die 
Erlösung  der  Seele  aus  dem  Totenreich  mit  ihrer  Befruchtung  durch 
einen  göttlichen  Phallos  verglichen  oder  durch  eine  derartig 
ö}Tnbolisch  angedeutete  Befruchtung  irgendwie  ausgedrückt  war.  — 
Über  den  Phallos  als  Sitz  der  Seele  vgl.  auch  Bethe,  Rh.  Mus. 
LXII,  1907,  465,  A.  62;  Was  er,  Arch.  f.  Religionswiss.  XVI. 
1913,  382. 

Verwandte  Vorstellungen  sind  für  die  JBiene  vermutet  worden. 
Nach  G.  Blum,  Mus.  Beige  XVII,  1913,  316  ff.  bedeutet  Hekates 
Beiname  MeXuiödr^g  „bienenähnlich"  und  bezieht  sich  darauf,  daß 
die  Totenseelen  nach  einer  schon  früher  von  Weicker  erschlossenen 
Anschauung  in  Bienengestalt  auftreten.  Auch  diese  Vorstellung 
scheint  in  Mysterien  fortgepflanzt  zu  sein;  Blum  erinnert  an  Melissa, 
der  Demeter  auf  dem  Isthmos  ihre  Geheimnisse  verkündet  (Interpol. 
Öerv.  Aen.  I  430)  und  die  seiner  Ansicht  nach  ein  Abbild  für  die  Seele 
des  Mysten  ist.  —  Mj-stische  Züge  will  R.  F.  Crook,  Class. 
Rev.  XXIV,  IMO,  49  f.  in  der  Beschreibung  der  Bienen  bei  Verg. 
Georg.  IV  219  ff.  erkennen;  v.  228  liest  er  augustam  statt  angustam, 
V.  230  ore  fave  statt  ora  fove;  haustu  sparsus  aquarum  v.  229 
soll  sich  etwa  auf  eine  religiöse  Waschung  beziehen ,  sideris  in 
numerum  v.  227  an  pythagoreische  Lehren  erinnern.  —  Als  Symbol 
für  die  Wiedergeburt  der  Seele  deutet  die  Biene  Marg.  Verrall, 
Class.  Rev.  XXIV,  1910,  44  f.  Über  die  Biene  als  Seele  auch 
nach  germanischem  Glauben  s.  Was  er,  Arch.  f.  Religionswiss. 
XVI,   1913,  353  f.  —  Die  Sage  von  der  Erzeugung  der  Bienen  aus 


Insekten  im  Kult  und  Mythos.     Fische.  131 

dem  Stierkadaver  erklärt  Lefebvre,  Sphinx  XI,  1908,  18  f.  aus 
ägj'ptischen  Vorstellungen,  nach  denen  die  Biene  die  durch  Stier- 
opfer beförderte  Fruchtbarkeit  bezeichne.  Doch  sollen  Bienen  bei 
den  Ägyptern  auch  als  Weiser  der  Toten  in  die  Unterwelt  gegolten 
haben.  Mit  Benutzung  ägyptischer  Vorstellungen  soll  die  Aristaios- 
sage  in  Kyrene  entstanden  sein.  —  Als  Symbol  der  Todesgottheit 
will  Neustadt,  De  love  Cretico  49  die  Biene  der  ephesischen 
Artemis ,  der  Zeusgrotte ,  der  Thrien  durch  den  Hinweis  auf  die 
Bedeutung  der  Biene  im  Demeter-  und  Persephonekult  er\\^ei8en. 
Daß  diese  griechischen  an  die  Stelle  einer  vorgriechischen  Mutter- 
göttin getreten  sind  (ebd.  o6j,  ist  nicht  unwahrscheinlich;  aber 
schwerlich  weist  schon  die  Endung  von  (xil—iooa  auf  vorgriechischen 
Ursprung,  und  neben  der  Beziehung  auf  die  erlöste  Seele  ist  der 
Biene  und  dem  Honig  in  der  ägäischen  Kultur  eine  Bedeutung 
auch  für  den  Zauber  beizulegen,  durch  den  man  den  Vater  Himmel 
veranlassen  zu  können  meinte ,  die  Mutter  Erde  zu  befruchten.  — 
In  den  rätselhaften  Bienenmasken  von  Ephesos  mit  seltsamen  Auf- 
schriften glaubt  He  ad,  Numism.  Chron.  1908,  281  ff.  einen  Zauber 
zur  Wiedereinfangung  {ndX—VQig'^  vgl.  vqov)  eines  schwärmenden 
Bienenvolkes  zu  erkennen.  Eher  dürften  sie  mit  dem  ephesischen 
Artemisdienst  in  Beziehung  stehen.  Über  die  Bienen  auf  archaischen 
Fibeln  von  Ephesos  s.  Hogarth,  Excavation  at  Ephes.  T.  III.  ff.  — 
Die  Blendung  des  Daphuis,  Anchises  (Serv.  Aen.  I  617),  Rhoikos 
(Seh.  Ap.  Eh.  II  477,  seh.  Theokr.  III  13)  durch  eine  Biene  be- 
spricht Vürtheim,  Versl.  en  Meded.  Vn,  1916,  407.  —  Die  Be- 
deutung der  Biene  für  Delphoi  hebt  Weniger,  Soki\  V,  1917, 
308  f.  hervor.  Durch  Honig  (oder  Met)  werden  die  Thriai  be- 
geistert; die  Worte  v.aza  -/.gatog  TtenalMyfxivai  alcpna  XevAcc  bei 
Hom  vfiv.  III  554  die  nach  Crusius,  Sitz.-Ber.  BaAW  1910, 
102  mit  der  Alphitomantie  zusammenhängen,  werden  auf  die  mit 
Blütenstaub  bedeckten  Köpfe  der  Bienen  bezogen.  —  Als  Honig- 
spenderinnen heißen  die  Thrien  nach  Weniger,  Nährerinnen 
ApoUons.  —  Zu  dem  aus  Wachs  gefertigten  delphischeu  Tempel  ver- 
gleicht er  den  im  Mittelalter  verbreiteten  Glauben,  daß  Bienen 
über  eine  frevelhaft  entwendete  Hostie  kunstvoll  eine  kleine  Kapelle 
erbauten.  —  Über  die  He uschreclce  im  antiken  und  modernen  Aber- 
glauben s.  Fehrle,  Hess.  Blatt,  f.  Volksk.  XI,   1912,  207  ff. 

Fische. 

Eine  Übersicht    über   die   verbotenen  Fische  gibt  Wächter, 
Keinheitsvorschr.  RV  u.  V  IX  1,  1910,  101  f.    Über  Fischkult  vgl. 

9* 


132  Fische  im  Kult  und  Mythos. 

8.  Rein  ach,  Cultes,  myth.  relig.  III  4;1  ff.  —  Schon  in  der  Religion 
der  ägäischen  Kultur  scheint  der  Fisch  symbolische  Bedeutung  ge- 
habt zu  haben;  vgl.  mit  ihm  verbundene  Vorstellungen,  die  R.  Eislei- 
im  zweiten  Teil  seines  auf  dem  3.  Intern.  Congr.  Hist.  Relig.  in  Ox- 
ford gehaltenen  Vortrags  untersucht.  —  In  Itanos  auf  Kreta  ist  nach 
A,  Reinach,  Rev.  hist.  rel.  LX,  1909,  189  auf  den  einheimischen 
Fischkultus  durch  eindringende  Achaier,  die  aus  Thessalien  kamen, 
der  Dienst  des  Schildes  aufgeiifro])ft  worden.  Auch  hier  berühren 
sich  vorgriechische  Vorstellungen  mit  morgenländischen. 

S  ch  ef  t  el  0  witz  ,  das  Fischsymbol  im  Judentum  u.  Christent., 
Arch.  f.  Religionswiss.  XIV,  1911,  1  ff . ,  321  ff.,  führt  die  Ver- 
bindung des  Fisches  mit  der  Messiasidee  auf  astrologische  Vor- 
steDungen  zurück :  als  letztes  Sternbild  des  Weltenjahrs  gehen  die 
Fische  der  Weltemeuerung  vorauf  (47).  (Hätte  es  dann  nicht  näher 
gelegen,  den  Weltheiland  dem  Widder  gleichzusetzen?).  Die  Unter- 
suchung, die  ein  reiches,  freilich  nicht  immer  genügend  gesichtetes 
und  geordnetes  Material  herbeischafft,  kommt  nicht  bloß  für 
das  enge  in  der  Überschrift  bezeichnete  Gebiet  der  Religions- 
geschichte in  Betracht,  denn  der  Verfasser  spricht  gelegentlich 
auch  über  Vorstellungen  und  Kultgebräuche  anderer  Völker,  z.  B. 
über  die  Fische  der  Atargatis  (337)  und  über  die  Fischfigur  auf 
mancherlei  griechischen  Amuleten  (353  f.).  —  Über  die  der  Kybele 
heiligen  Fische  s.  Calder,  Journ.  Rom.  Stud.  II,  1912,  246,  der 
auf  noch  bestehende  Reste  dieses  Kults  hinweist.  Über  Fische  als 
Darstellung  von  Ahnengeistern  s.  Seh eftelo witz  a.  a.  0.  357 ff. ; 
vgl.  über  den  „Seelenfisch"  Waser,  Arch.  f.  Religionswiss.  XVI, 
1913,  356  ff.,  über  Fisch  als  Speise  der  Seligen  Scheftelo witz 
a.  a.  0.  321  ff".,  über  ihn  als  Sj'mbol  der  Fruchtbarkeit  ebd.  376  ff., 
als  glückbringendes  Zeichen  und  als  Schutz  gegen  Dämonen  ebd. 
343 ff-,  über  die  Verwendung  der  Fische  im  Zauber  Abt.  Apolog. 
d.  Apuleius  61  ff.  (=  RV  u.  V  IV,  135  ff.).  —  Wahrscheinlich  in 
Süditalien  ist  im  4.  Jh.  ein  Typus  fischschwänziger  Giganten  ent- 
standen, den  eine  praenestinische  Cista,  Chase,  Amer.  Journ. 
Arch.  XV,  1911,  465  ff.  pl.  XII  zeigt.  —  Seine  Ansieht  daß  der 
ApoUon  Delphinios  ursprünglich  nichts  mit  den  Delphinen  zu  tun 
hatte  und  erst  durch  Volksetymologie  aus  JehpiÖLog  umgedeutet 
sei,  stellt  von  neuem  Aly,  Berl.  phil.  Wschr.  XXXIV,  1914,  1550 
auf.  Er  vergleicht  Et.  Gud.  138  3,  oi  yaq  7COvijQoi  dehfoL:  Del- 
phidios  war  seiner  Ansicht  nach  der  ^Böse",  der  deshalb  außer- 
halb der  Stadt  verehrt  wurde.  —  Die  Geschichte  von  den  Del- 
phinen ,    die    eigentlich    den  Poseidon  verehrende  Menschen  waren. 


/ 


Fische  und  Amphibien  im  Kult  und  Mythos.  133 

aber  von  diesem,  als  er  die  Wasser  erlost  hatte,  die  Vei-wandlung 
in  ein  Meerwesen  erflehten,  gibt  Jos.  Nie.  Sola,  Symbol,  litter.  in 
hon.  Julii  de  Pitra  325  ff.  nach  einem  byzantinischen  Traktat  des 
Holobolus  in  einer  Neapler  Hs.  heraus. 

Amphibien. 

Über  die  zweigeschwänzte  Eidechftc  im  Liebeszauber  s.  Abt, 
Apolog.  d.  Apul.  (RV  u.  V  IV)  184  ff. 

Über  die  Bedeutung  der  Früfiche  im  Regenzauber,  in  dem 
sie  bisweilen  als  Vertreter  des  Vegetatipnsdämons  betrachtet,  bis- 
weilen aber  getötet  werden ,  s.  L.  v.  Schröder,  Mysterium  und 
Mimus  398  ff.,  der  daran  erinnert,  daß  RV  VII  103  noch  jetzt  zum 
Regenzauber  vorgetragen  wird,  und  es  für  möglich  hält,  dali  beim 
Tanz  Menschen  als  Frösche  auftraten. 

An  einen  Krehsgott  denkt  Boll.  Arch.  f.  Religionswissensch. 
XII,  1909,  149  bei  Kao/.ivaq  /.al  i]  yivrj  (yovtj?)  avTOu^Ovoay.elig, 
der  in  einer  Anweisung  zur  Lekanomautie  genannt  wird.  Die  Ver- 
gleichung  von  Hesych.  y(,aQ/,io - ldf.iia  ist  zweifelhaft;  vgl.  ebd.  /.aQyia- 
/.ivy.og,  womit  wohl  ein  Fisch  gemeint  ist. 

Apbrodites  Verbindung  mit  der  Schildkröte  ist  nach  Fricken- 
haus,  Ai-ch.  Jahrb.  XXVIII,  1913,  363  wahrscheinlich  von  Elis 
ausgegangen  und  enthielt  ursprünglich  eine  Anspielung  auf  den  Kult 
am  Chelonatas Vorgebirge.  Außerhalb  Attikas  kommt  das  Attribut 
nur  selten  und  nur  nach  Pheidias  vor. 

E.  Küster,  Die  Schlange  in  der  griechischen  Kunst  und 
Religion.  Mit  32  Textabb.  und  2  Tafeln  (RV  u.  V,  XIII  2)  1913, 
behandelt  zunächst  die  Kunstdenkmäler  in  der  vorgriechischen  und, 
wenigstens  bis  zum  5./6.  Jh.,  auch  in  der  griechischen  Zeit, 
die  aber  nach  dem  Verfasser,  abgesehen  von  der  Schlangensäule 
von  Plataiai  (54),  keine  neuen  Formen  mehr  geschaffen  hat ,  dann 
die  Bedeutung  der  Schlange  in  der  Religion,  die  (58),  wie  er  glaubt, 
in  ihrer  ursprünglichen  Form  überall  auf  gemeinsame  Grund- 
vorstellungen der  Völker  zurückgeht ,  so  daß  jeder  Schlangenkult 
in  seinen  Anfängen  als  bodenständig  gelten  kann.  Man  darf  aber 
in  der  griechischen  Mythologie  und  Religion  nur  von  einem  Grund- 
charakter der  Schlange,  dem  chthonischen,  reden  (157),  im  einzelnen 
herrschen  in  den  Vorstellungen  vom  Wesen  des  Tieres  scharfe  Gegen- 
sätze; es  gilt  als  heilkräftig  (61),  bewacht  Quellen  und  Schätze, 
sorgt  für  tierische  und  menschKche  Fruchtbarkeit  (149  ff.),  erregt 
aber  zugleich  (60)  Schrecken.  Eine  vollständige  Sammlung  will 
Küster    nicht    geben;    es    sollen    nur   typische    Beispiele    vorgelegt 


134  Schlange  im  Kult  und  Mythos. 

werden,  und  zwar  nur  für  den  eigentlichen  griechischen  Glauben 
mit  Ausschluß  des  aus  dem  Ausland  eingeführten.  —  Über  zahl- 
reiche griechische  und  römische  Gottheiten,  die  im  Kult  oder  Mythos 
irgendwie  mit  Schlangen  verbunden  werden,  spricht  A.  J.  Rein  ach, 
Rev.  arch.  IVxvii,  K'll*  221  bei  der  Veröffentlichung  eines  Reliefs 
aus  Xaucy  (pl.  IV) ,  das  einen  Gott  und  eine  Göttin ,  beide  mit 
einer  Schlange  in  der  Hand,  darstellt.  —  S.  Wide,  Arch.  f.  Re- 
ligionsw.  XII,  1909,  221  ff.  sieht  in  Schlangen  auf  Dipylonvasen, 
auf  dem  Altar  von  Knossos  usw.  Tote,  welche  zu  dem  ihnen  dar- 
gebrachten Opfer  emporkriechen  oder  es  verzehren.  —  Über  die 
Totenschlange  auf  lakonischen  Reliefs  s.  Otto  Seifert,  Festschr. 
zur  Jahresfeier  der  Univers.  Breslau  1911,  S.  111  ff.  —  Als  Drache 
erscheint  der  gemordete  Agamemnon  nach  Radermacher,  Zs. 
f.  österr.  Gymn.  1916,  19  im  Stesichoreischen  Traum  der  Klytai- 
mestra.  —  Parallelen  zur  Darstellung  der  Seele  als  Schlange 
verzeichnet  Was  er,  Archiv  füi-  Religionswissensch.  XVI,  1913, 
354  ff.  —  Zur  ^ Hausschi angc"  vgl.  Nilsson,  Ath.  Mitt, 
XXXIII,  1908,  279  ff.  —  Für  ein  Sjnnbol  der  Erde  hält  Deche- 
lette,  Mem.  soc.  antiqu.  de  France  Villi,  1911,  1  ff.  die  gehörnte 
Schlange  auf  den  Denkmälern  des  Mithras  ,  Sabazios  u.  Attis ,  die 
in  römischer  Zeit  auch  auf  ein  Menhir  im  Departement  Saone  et 
Loire  graviert  ist.  —  Die  Frau  mit  Schlangen  in  den  Händen, 
welche  Porzellanfigürchen  aus  dem  Palast  von  Knossos  (mittel- 
minoischer  Zeit)  darstellen  (vgl.  H,  Prinz,  Ath.  Mitt.  XXXV, 
1910,  157),  hält  Beloch,  Griech.  Gesch.  I^  1,  Hl  „wohl  für 
eine  ErdgOttin,  die  ursprünglich  in  Schlangengestalt  gedacht  worden 
ist".  —  Einen  Dämon  des  Wassers  sieht  fGeza  Rohein,  Drachen 
und  Drachenkämpfer  im  Drachen,  Berlin  1912;  der  Gegner  des 
Drachen  soll  ursprünglich  als  Vogel  dargestellt  sein,  z.  B.  Apollon 
als  Rabe ,  Zeus  als  Adler.  —  Die  jöic //kraft  der  Schlange  leitet 
v.  Baudissin.  Adonis  und  Esmun  338  davon  her,  daß  sie  den 
Quell  darstellt.  —  Über  Schlangen  in  Beziehung  zu  Quellen  und 
zum  himmlischen  Wasser  s.  A.  Rein  ach,  Bull.  Mus.  Mulhouse 
XXXVII,  1913,  126  ff.:  aber  auch  der  Blitz  gilt  als  Schlange, 
ebd.  95,  deshalb  erscheint  er  z.  B.  am  Gorgoneion  A.  J.  Reinach, 
Rev.  hist.  rel.  LX,  1909^,  342.  —  Die  totemistische  und  die  kosmo- 
gonische  Deutung  der  Schlangenkampfmythen  und  des  Schlangen- 
kultus sucht  J.  G.  F  r  a  z  e  r .  The  dying  God  (Golden  Bough  III) 
S.  105  ff.  durch  die  Annahme  zu  vereinigen,  daß  die  Schlange  das 
heilige  Tier  des  Königshauses  war ,  zugleich  aber  mythisch  eine 
kosmologische  Erscheinung,  Nässe  oder  Trockenheit  Oll)-  vertrat.  — 


Schlange  im  Kult  und  Mythos.  135 

Die  Bedeutung  der  Schlange  ala  Heilgottheit  erklärt  Gildersleeve, 
Am.  Journ.  phil.  XXIX,  1908,  97,  1  daraus,  daß  sie  die  pest- 
verbreitenden Mäuse  tötet  und  deshalb,  wie  bei  uns  die  Katze,  im 
Haus  gehalten  wurde.  —  Über  die  Schlange  als  sexuelles  Symbol 
s.  Kicklin,  Wunscherfüllung  und  Symb.  im  Märchen  S.  40  flf. — 
Über  die  Schlange  im  Befruchtungszauber  s.  o.  Weinreich,  Hess. 
Bl.  f.  Volksk.  X,  1911,  213,  als  iwopheiisches  Tier  Hunger, 
Babylon.  Tieromina,  Mitt.  d.  vorderasiat.  Gesellsch.  XIV  3,  1909, 
110  ff.  —  Schon  im  GilgameSepos  findet  J.Morgenstern,  Zeit- 
schr.  f.  Assyriol.  XXIX,  1914/5,  284  ff.  den  aus  der  klassischen 
Literatur  bekannten  Glauben  ausgesprochen ,  daß  die  Schlange  mit 
dem  Fell  die  Jugend  erneuere. Schi ange  im  Kult  ein- 
zelner Götter:  Apollo}).  Über  die  Schlange  der  Pythia  handelt 
im  Anschluß  an  die  Schutzflehende  im  Palazzo  Barberini  unter  Ver- 
gleichung  von  Diog.  Laert.  V  91,  Haus  er,  Österr.  Jahresh.  XVI. 
1913,  69  ff.  —  Mit  den  Schlangen  der  Artemis  von  Lykosura  ver- 
gleicht S.  Reinach,  Cultes,  mythes,  rel.  III  213  ff.  eine  gallische 
Diana  von  einem  Zwölfgötteraltar  von  Savigny,  die  einer  alten  Statue 
vom  Forum  Romanum  nachgebildet  wurde.  Diese  ahmte  nach  Reinach 
die  arkadische  Darstellung  nach ,  die  ihrerseits  den  Typus  der 
Schlangengöttin  von  Kuossos  wiedergegeben  haben  soll.  —  AsMepios. 
R.  Herzog,  Arch.  f.  Religionswiss.  X,  1907,  205  weist  scharf- 
sinnig nach,  daß  der  alte  7ceXavüg  für  die  heilige  Schlange  im  4.  Jh.. 
als  an  die  Stelle  des  Schlangengottes  der  anthropomorphe  trat, 
durch  Geld  ersetzt  wurde ,  das  als  Honorar  für  die  Behandlung 
galt  und  von  den  Priestern  zur  Ausrichtung  der  Feste  verwendet 
wurde.  Bisweilen  wird  die  Münze  mit  dem  Bilde  der  Schlange 
geprägt,  bisweilen  auf  den  Deckel  des  Thesauros  eine  Schlange  ge- 
legt (z.  B.  im  Asklepieion  von  Ptolemais).  —  Über  die  Schlange 
im  Dionysoskult  s.  Ricklin,  Wunscherfüllung  und  Symb.  im 
Märchen  43.  —  Als  Schlangen  sind  nach  Picard,  Rev.  arch. 
LXIX,  1914^,  230  auf  der  Basis  von  Magula  die  DiosJcurcn  dar- 
gestellt. —  Über  die  Schlange  im  Dienst  der  Inno  Sospita  von 
Lanuvium  s.  Miß  Douglas,  Journ.  Rom.  Stud.  III,  1913,  70  f.. 
welche  die  Schlange  für  einen  Fruchtbarkeitsdämon  hält.  —  Die 
Schlange  der  Kyhele,  im  phrygischen  Hierapolis  erkennt  Weber. 
Phüol.  LXIX,  1910,  212  ff.  in  der  "Exidra  der  Acta  Philippi.  — 
Die  Schlangengestalt  des  Zeus  KTijGiog,  MeiXr/iog,  OiXiog  sowie  des 
Agathodaimon  erklärt  N  i  1  s  s  o  n  ,  Ath.  Mitt.  XXXIII,  1908,  279  ff.  aus 
der  Vorstellung  der  Schlange  als  Schatzhüterin.  —  Vgl.  femer  zur 
religiösen  Bedeutung  der  Schlange  u.  {S.  138  ^  Adler '^  u.  146  f.  „Hund"). 


136  Vögel  im  Kult  und  Mythos. 

Vögel. 

Über  Vogelkult  in  vorgriechischer  Zeit  spricht  J.  Harris on 
in  dem  Vortrag  Bird  and  Pillar  Worship  in  Connexion  with  Ouranian 
Divinities,  den  sie  in  Oxford  (s.  Transact.  III.  Intern.  Cougr.  Hist. 
Rel.  II  154  ff.)  gehalten  hat.  Die  Vortragende  wollte  darlegen, 
daß  die  Säule  des  Sarkophage«  von  Hagia  Triada,  auf  der  ein  Vogel 
sitzt,  den  heihgeu  Zweig  der  Erdgöttin,  die  in  Griechenland  später 
als  Gaia  .  Rheia ,  Demeter ,  Diktynna ,  Hera ,  Artemis ,  Aphrodite, 
Athena  differenziert  wurde,  darstellt  oder  vertritt,  und  daß  der 
Vogel  (die  Taube,  wie  J.  Harrison  für  möglich  hält;  s.  jedoch  u. 
{S.  142  „Specht"))  darauf  den  Himmel,  das  ganze  Symbol,  also  die 
Vereinigung  von  Erde  und  Himmel  darstelle.  Später,  als  man  vom 
Matriarchat  zur  patriarchalischen  Ehe  fortschi'itt ,  als  der  Vater 
der  Herr  wurde ,  machte  man  umgekehrt  den  Eichenzweig  zum 
Sjonbol  des  Himmelsgottes  Zeus  und  die  Taube  zum  Symbol  der 
Aphrodite,  die  ja  auch  eine  OvQUvia  ist.  —  Verwandte  Anschauungen 
trägt  A.  B.  C  o  o  k  in  einem  auf  demselben  Kongreß  gehaltenen 
Vortrage  (Transact.  II  189)  vor.  Auch  ihm  vertritt  die  Säule  den 
Zweig,  das  Abzeichen  der  Erde.  Im  Blitz  steigt  der  Himmelsgott  zur 
Erde  nieder,  im  Baum  die  Erde  zum  Himmel  empor,  daher  kann  nach 
Cook  die  Vereinigung  von  Himmel  und  Erde  durch  die  Axt  im  Baum 
oder  in  der  an  seine  Stelle  tretenden  Steinsäule  dargestellt  werden. 
Er  vergleicht  die  Taube  auf  dem  Baum  von  Dodona,  wo  auch  die 
von  Helios  zurückgelassene  Axt  (Philostr.  elv..  II  33)  an  die  Äxte 
auf  der  Säule  des  Bildes  des  kretischen  Sarkophages  erinnern  soll. 
Auch  die  kleine  Doppelaxt  von  Dodona  und  das  von  v.  Hahn 
(Griech.  u.  alban.  Märchen  II  Nr.  75)  mitgeteilte  epirotische 
Märchen  von  dem  Holzfäller  werden  verglichen.  —  Dagegen  bezieht 
Evans  auf  einem  ebenfalls  auf  dem  Oxforder  religionsgeschicht- 
lichen Kongreß  gehaltenen  Vortrag  (Transact.  II  195) ,  die  Vögel 
auf  den  Doppeläxten  des  Sarkophages  von  Hagia  Triada  auf  den 
Geist  der  Gottheit,  der  durch  die  Opferhandlung  in  den  Fetisch 
hineingezaubert  werde.  —  S.  Wide  will  in  seinem  Aufsatz  „Baum, 
Vogel,  Axt",  Sert.  philol.  C.  F.  Johannsson  obl.  1910,  62  ff.  nach- 
weisen ,  daß  der  Vogel  die  Seele  des  Baumes  oder  der  ihn  ver- 
tretenden Säule  darstellte.  Er  vergleicht  den  Raben  von  Alal- 
komenai  (Paus.  IX,  3^  3)  und  die  auf  einem  Ölbaum  sitzende  Eule 
der  athenischen  Münzen.  —  Auf  dem  mehrfach  genannten  Oxforder 
Kongreß  hat  Frazer  (Transact.  I  255  ff.)  über  die  Sitte  gesprochen, 
die  an  den  HeiUgttimem  nistenden  Vögel  zu  schonen  (vgl.  z.  B. 
Herod.    I    159J.  —  Über   den    ^Scelenvogel''    handelt    Waser, 


Vogel  und  Ei  im  Kult  und  Mythos,  137 

Aich.  f.  Religionswiss.  XVI.  1913,  337  ff.  Er  weist  auf  viele 
Reste  des  Glaubens  an  das  Fortleben  der  Seele  als  Vogel  hin ; 
selbst  in  der  Darstellung  des  heiligen  Geistes  als  Taube  soll  die 
Vorstellung  vom  Vogel  als  Seelentier  fortleben.  —  Belege  für  die 
Vorstellung  von  dem  Seelenvogel  glaubt  Kühn  au,  Mitt.  d.  Schles. 
Ges.  f.  Volksk. ,  Heft  XVI,  1906,  S.  9G  f.  aus  dem  schlesischen 
Volksglauben  beibringen  zu  können.  —  Über  Vögel  als  Verkörperung 
des  Korngeistes  handelt  F  r  a  z  e  r ,  The  Spirits  of  the  Com  I  (Golden 
Bough  Vi),  S.  295. 

Eine  besondere  Bedeutung  in  der  Symbolik  des  Altertums  hat 
das  Ei.  Auf  dem  Harpyiendeukmal  entsprachen  nach  Ob.  Tonks, 
Amer.  Jpurn.  Arch.  XI,  1907,  326  ff.  die  Dämonen  mit  dem 
eiförmigen  Leib  dem  ägyptischen  „Seelenvogel"  Ba  (336),  dessen 
Bedeutung  jedoch  insofern  mißverstanden  oder  wenigstens  verändert 
worden  sei ,  als  der  Vogel  mit  dem  Toten  davon  fliege.  Auch 
Er.  Heden,  Homerische  Götterstudien  121  leitet  den  griechischen 
Seelenvogel  von  dem  menschenköpfigen  Vogel  der  ägyptischen  Kunst 
her.  —  Oft  werden  Eier  und  Nachbilder  von  Eiern  den  Toten  mit- 
gegeben, auf  vielen  KunstdarsteLlungen,  z.  B.  den  „Totenmahlen", 
trägt  der  Verstorbene  ein  Ei  oder  es  wird  ihm  vorgesetzt.  Nilsso u, 
Arch.  f.  Religionswiss.  XI,  1908,  530  ff. ,  der  das  umfangreiche 
archäologische  Material  gesammelt  hat,  lehnt  Bachofens  phantastische 
Erklärung  ab ,  glaubt  aber  auch  nicht  mit  Poulsen ,  daß  die  Eier 
im  Totenkult  aphrodisische  Bedeutung  haben,  sondern  erklärt  die 
Sitte  daraus ,  daß  dem  Ei ,  wie  sich  aus  vielen  agrarischen  Ge- 
bräuchen ergebe,  eine  besondere  Lebenskraft  zugeschrieben  wurde.  — 
Das  orphische  Weltei,  das  J.  Harrison,  Intern.  Congr.  Hist. 
Relig.  II  163  mit  der  Vorstellung  vom  Himmels vogel  und  der  orphi- 
schen  Lehre  vergleicht,  daß  der  Gläubige,  Sohn  von  Himmel  und  Erde 
sei,  wären  ebenso  wie  die  an  die  Maibäume  gehängten  Eier  m.  E. 
besser  ferngehalten  worden.  —  Vorsichtiger  äußert  sich  über  den 
, Seelenvogel"  L.  Malten,  Arch.  Jahrb.  XXIX,  1914,  246.  Er 
erkennt  zwar  an ,  daß  diese  Erklärung  einen  Fortschritt  gegenüber 
der  früheren  Auffassung  bedeute,  die  in  den  geheimnisvollen  Vögeln 
Dämonen  sah,  mißbilligt  es  aber,  daß  nun  infolge  der  Untersuchungen 
von  Crusius,  Rohde  und  Weicker  einseitig  die  Seele  in  den  Vorder- 
grund gestellt  werde,  und  meint,  daß  von  Anfang  an  sowohl  Töter 
wie  Toter  als  Vogel  dargestellt  seien,  die  (248),  weil  begrifflich 
zusammengehörend  in  der  gleichen  Erscheinungsform  gedacht  und 
(249)  in  älterer  Zeit  auch  in  denselben  Kultformen  verehrt  wurden.  — 
Zum  Ei  als  chthonisches  Abzeichen  vgl.  das  unten  {S.  141  ^Huhn^) 


138  Adler  im  Volksglauben,  Kult  und  Mythos. 

Bemerkte ;    als    Ausdruck    für    Sonne     und    Mond    glaubt    das    Ei 
E.  Siecke,  Götterattrib.   198  ff.  nachweisen  zu  können. 

Einzelne   Vogelarten. 

Zwei  Äillcr  des  Zeus  waren  am  delphischen  Omphalos  auf- 
i>-estellt,  und  dieses  Abzeichen  wurde  in  den  von  Svoronos, 
Joum.  intern,  arch.  numism.  XIII,  1911.  301  ff.  aufgeführten  andern 
Tempeln  des  Pythischen  Apollon  nachgebildet,  J.  Harri son  ver 
gleicht  in  dem  o.  {S.  136)  erwähnten  Vortrag  (Transact.  3.  Intern. 
Congr.  Hist.  Rel.  1908,  II  162)  eine  phoinikische  Stele,  eine  Mz.  von 
Mallos  (Svoronos,  Bull.  corr.  hell.  XVIII,  1894,  107),  eine  Unter- 
weltszeichnung des  ägyptischen  Buches  von  Am-Tuat,  endlich  eine 
Mz.  von  Kyzikos ,  die  alle  einen  omphalosähnlichen  Gegenstand 
mit  zwei  daran  sitzenden  Vögeln  zeigen.  Auf  dem  rf.  Vb.  Ann. 
dell'  inst.  XXXVII,  1865,  Tav.  d'agg.  H.  ist  nur  ein  Vogel  dar- 
gestellt. —  Zum  Adler  des  Zeus  vgl.  noch  Rein  ach,  Rev.  arch. 
IVx,  1907^,  68  ff.  —  Dem  Zeus  Lykaios  ist  der  Adler,  wie 
J.  Harrison  in  dem  mehrfach  ersvähnten  Vortrag  (Transact. 
3.  Intern.  Congr.  Hist.  ßel.  1908,  II  159)  ausführt,  als  dem  Sonnen- 
gott geweiht ;  sie  vergleicht  den  Volksglauben ,  daß  der  Adler  der 
Sonne  entgegen  fliegt,  und  eine  phoinikische  Darstellung,  in  der  sie 
den  Sonnenadler  erkennt.  —  Einen  in  Beirut  befindlichen  Siegel- 
stein ,  der  das  Bild  des  Zeus  von  Doliche  mit  den  Abzeichen  der 
Mondsichel  und  des  Sterns  aber  statt  der  neben  ihnen  zu  erwarten- 
den Sonnenscheibe  mit  dem  des  Adlers  zeigt,  gibt  Lidzbarski, 
Eph.  für  semit.  Epigr.  III  3,  1911,  S.  188  heraus.  —  Schon  kurz 
vorher  hatte  über  die  besonders  sjTische  Vorstellung  von  dem 
Adler  als  dem  Vogel  der  Sonne,  Cumont,  ßev.  hist.  rel.  LXII, 
1910^  147  gehandelt.  Diese  Bemerkungen  gehören  zu  dem  Auf- 
satz L'aigle  funeraire  des  Syriens  et  l'apotheose  des  empereurs 
(ebd.  119  ff.).  Cumont  sieht  in  Schlange  und  Adler  bei  der  Ver- 
brennung Hephaistions  (Diod.  XVII  115)  und  bei  Alexanders  Tod 
(Ps.-Kallisth.  III  33 ;  lul.-Val.  III  56 ;  A  u  s  f  e  1  d ,  Griech.  Alexander- 
rom. 120)  dunkele  Erinnerungen  an  die  assyrische  Sage  von  Etana, 
den  ein  Adler  zum  Himmel  trug,  weil  er  seine  Jungen  gegen  eine 
Schlange  geschützt  hatte.  —  Auf  einen  Brief  Gardiners,  der  die 
Frage  aufgeworfen  hatte ,  ob  nicht  die  Apotheose  der  Seleukiden 
an  eine  durch  Alexanders  Begräbnis  bekannt  gewordene  altägyp- 
tische Sitte  anknüpfe,  erwidert  Cumont  ebd.  LXIII,  1911V  208 ff., 
daß  in  Ägj'pten  nicht  der  Adler,  sondern  der  Falke  genannt  werde, 
er   gibt  aber  die  Möglichkeit  zu.    daß  schon  im  14.  Jh.  v.  Chr.  in 


Adler  und  Eule  im  Volksglauben,  Kult  und  Mythos.  139 

Syrien  sich  ägyptische  Vorstellungen  mit  altsemitischen  mischten.  — 
Schon  in  seinem  ersten  Aufsatz  war  Cumont  auch  auf  den  Adler 
als  Geleiter  der  Toten  zu  sprechen  gekommen,  der,  wie  er  meinte, 
vielleicht  an  die  Stelle  des  selbst  als  Adler  zu  den  Sternen  fliegenden 
Toten  getreten  ist  (ebd.  LXII,  1910^,  146).  Im  Anschluß  daran 
führt  RonzevaUe,  L'aigle  funeraire  en  Syrie  in  den  Mel.  fac. 
Orient.  Beyr.  V,  1911,  *  1  ff. ;  105  ff.  aus,  daß  der  Adler  als  i/'t'xo- 
7iO(J7i6g  in  spät  hellenistischer  Zeit  vom  Schwarzen  Meer  bis  nach 
Arabien  verbreitet  war ;  er  stammt  nach  RonzevaUe  vielleicht  aus 
der  chetitischen  Kultur,  wo  er  freilich  bisher  nicht  nachgewiesen 
ist.  Seine  Hauptverbreitung  föllt  in  die  hellenistische  Zeit,  wo  er 
als  Gräberschmuck  dient.  —  Deubner,  Rom.  Mitt.  XXVII,  1912, 
1  ff.  spricht ,  ebenfalls  im  Anschluß  an  Cumont ,  über  den  Adler 
bei  der  Kaiserapotheose.  Er  erinnert  zugleich  an  die  auf  dem 
Doppeladler  stehenden  chetitischen  Göttinnen,  an  die  Darstellungen 
des  von  einem  Adler  getragenen  Zeus  oder  Se^apis  und  an  die 
Köpfe  des  Serapis  und  der  Isis  über  den  ausgebreiteten  Schwingen 
eines  Adlers.  —  Vgl.  über  den  Adler  als  Totenvogel  Lidzbarski, 
Ephem.  für  semit.  Epigraphik  III  3,  1911,  188  f.  —  Ein  Adler  findet 
sich  auf  Stelen ,  die  im  Saturntempel  der  unbekannten  tunesischen 
Stadt  bei  Henschir-es-srira  gefunden  sind.  L.  Hautecoeur,  Mel. 
d'arch.  et  d'hist.  XXIX,  1909,  373,  erblickt  darin  einen  Ausgleich 
zwischen  dem  allmächtigen  afrikanischen  Ba'al  Saturnus  und  Zeus. 
Tatsächlich  ist  eine  Weüiung  I.  0.  M.  Saturno  Augusto  bei  Henschir- 
Gunifida  gefunden ,  die ,  wie  Hautecoeur  glaubt ,  einem  einzelnen 
Gott  gesetzt  ist.  —  Ein  dem  O^Eog  irluoTog  in  Thyatira  ca.  150  v.  Chr. 
geweihter  Adler,  den  Cumont,  Bull.  Acad.  Beige  1912.  Nr.  5  ver- 
öffentlicht ,  ist  nicht  unwichtig  für  die  Frage  nach  der  Bedeutung 
und  Herkunft  dieses  in  neuerer  Zeit  viel  bebandelten  Gottes.  — 
Nach  A.  Rein  ach,  Bull.  Mus.  Mulhouse  XXXVII,  1913,  89 
wurden  Adler  als  Apotropaia  an  Giebel  der  Tempel  genagelt ,  die 
davon  asTOi  hießen.  —  J.  Harrison,  Rev.  arch.  IVx,  1907^,  429 ff. 
glaubt  S.  Reinachs  Vermutung,  daß  Prometheus  ursprünglich 
selbst  der  Adler  war,  durch  das  Vb.  bei  Gerhard,  Auserl.  Vb.  T. 
LXXXVI  stützen  zu  können ,  wo  über  der  Säule  ein  Adler 
schwebt.  Auch  aus  andern  Denkmälern  erschließt  die  Verfasserin 
die  zoomorphe  Gestalt  einer  Gottheit  vor  der  anikonischen  Ver- 
ehrung. 

Über  Athenas  Etile  handelt  E.  M.  Douglas,  Joum,  HeU. 
Stud.  XXXII,  1912,  174  ff.  im  Anschluß  an  ein  sf.  Vb.  in  Upsala, 
wo  eine  auf  einem  Altar  sitzende  Eule  die  Anwesenheit  der  Göttin 


140  Vögel  im  Volksglauben,  Kult  und  Mythos. 

andeutet.  Gegen  Rouse,  der  bestritten  hatte,  daß  vor  dem  4.  Jh. 
die  tierischen  Attribute  der  Götter  diese  selbst  vertreten,  macht  er 
auf  einige  ähnliche  Kunstdarstellungen  aufmerksam,  u.  a.  auf  ein  Vb. 
im  Vatikan  mit  der  Darstellung  von  Athenas  Geburt;  er  erwähnt  auch 
die  Berliner  Gemme,  die  eine  Eule  mit  dem  behelmten  Kopf  der 
Athena  darstellt.  Ausgegangen  ist  das  Attribut  nach  Douglas  von 
Athena  ^Egym'r^,  wie  aus  den  Darstellungen  der  Webegewichte  ge- 
folgert wird.  —  Vgl.  Pottier.  Bull.  corr.  heU.  XXXII,  1908,  528 C 
und  u.  (-S".  ]41  „Käulchen"). 

Daß  die  Sti'ix  ursprünglich  nicht  als  Eule  gedacht  war,  sondern 
als  Fledermaus  —  die  gemäß  der  Volksvorstellung  hier  unter 
die  Vögel  zu  rechnen  ist — ,  will  Sam.  Grant  Oli  phant ,  Trans- 
act.  Am.  Phil.  Assoc.  XLIV,  1913,  127  ff.  in  einer  sehi'  ausführ- 
lichen Arbeit  erweisen,  in  der  er  die  ganze  Überlieferung  sammelt 
und  auch  verwandte  Erscheinungen  wie  Gello  und  Lamia  heran- 
zieht. Als  Ausgangspunkt  dieser  Vorstellungen  dienen  ihm  Traum- 
erscheinungen und  Animismus.  —  Die  Fledennaus  hat  in  der  Tat 
im  antiken  wie  im  neueren  Zauber  Bedeutung;  vgl.  Fehrle,  Hess. 
Blatt,  f.  Volksk.  XI,  1912,  212  f. 

Die  Gans  ist  nach  S voronos-Barth,  Athen.  Nationalmus. 
I  296  ff.  wegen  der  ihr  zugeschriebenen  Heilwirkungen  dem  Asklepios 
heilig  gewesen;  außerdem  soll  sie  aber  (ebd.  321  ff.)  symbolisch 
die  Fiebersümpfe  und  die  Malaria  bedeuten  und  deshalb  als  von 
laniskos  und  anderen  Heilheroen  gewürgt  dargestellt  werden.  Die 
selben  Ansichten  vertritt  Svoronos,  tff.  ag/.  1909  133  ff.,  U4  ff.,  176, 
wo  in  gleichem  Sinn  auch  die  von  Herakles  bezwungenen  StjTn- 
phalischen  Vögel  gedeutet  werden. 

Der  Typus  des  Greifen ,  der  wohl  an  dieser  Stelle  ein- 
gefügt w^erden  darf,  stammt  nach  Dussaud,  Rev.  ecole  d'anthrop. 
1908,  194  f.;  Rev.  hist.  rel.  LVIII,  1908 2,  370  aus  der  ägäischen 
Kunst  und  ist  erst  über  Cypern  nach  Assyrien  gelangt.  —  Über 
den  als  Sonnenvogel  den  Toten  zu  den  Sternen  tragenden  Greifen 
3.  Cumont,  Rev.  hist.  rel.  LXII.  1910-  154.  —  Über  die  bekannte 
namentlich  im  hellenistischen  Ägypten  beliebte  Darstellung  des  die 
Klaue  auf  ein  Rad  legenden  Greifen,  der  ein  Abzeichen  der  Nemesis 
ist  und  nicht  selten  an  deren  Stelle  steht,  s.  Perdrizet,  Bull, 
corr.  hell.  XXXVI,  1912,  248  ff.,  besonders  260  ff.  und  Mars  hall , 
Hell.  Stud.  XXXIII,  1913,  84,  T.  VII  (Gußform  aus  Tuff  im 
Br.  Mus.). 

Mit  einem  Habicht  in  der  Hand  stellt  die  Hekata  eine 
Statuette    aus  Antiocheia   dar,    die    Ramsay,    Pap.    Brit.  Seh.  of 


Vögel  im  Volksglauben,  Kult  und  Mythos.  141 

Ath.  XVIII,  1911/12,  S.  59  der  Kybele  gleichsetzt.  Er  vergleicht 
eine  Göttin,  die  in  einer  der  tiefsten  Schichten  von  Ephesos  ge- 
funden ist. 

Die  Haubenlerche  (■KOQidaXXog)  war  der  A[)hrodite  und  der 
Athena  geweiht,  Clermont  Ganneau,  Cora})t.  rend.  AIBL 
1906,  592  ff.     Vgl.  n.  {S.  142  „Hanhcnlerchc''). 

Huhn.  Einen  Hahn  auf  dem  Schöße  des  Zeus  ./ eA^orvoc 
zeigen  Mzz.  von  Phaistos  (Head  hist.  num.  -47:3  Fig.  253);  einen 
Hahnengott  in  der  ägäischen  Kultur-  will  A.  Reinach,  Rev.  et. 
grecqu.  XXVI,  1913,  3ü4  erweisen.  —  Aly,  Philol.  LXXI,  1912. 
473  sieht  in  dem  Hahn  der  Münze  von  Phaistos  das  Abzeichen 
eines  Feuergoties:  den  .FeXxavög  sollen  die  Etiusker  aus  dem 
östlichen  Mittelmeerbecken  mitgebracht  und  den  Römern  als  Vol- 
canus  überliefert  haben.  —  Als  „chthonischca"'  Tier  wird  der 
Hahn  nach  Quagliati,  Auson.  III,  1908,  152  ff.  den  Toten 
dargebracht  oder  von  Toten  getragen ,  auch  auf  Sepulkraldar- 
stellungen  abgebildet ;  vgl.  das  o.  (ß.  137')  über  das  Ei  im  Toten- 
kult Bemerkte.  Er  erscheint  auch  auf  den  7t iva/ceg  von  Lokroi  Epi- 
zephyrioi,  nach  Oldfather,  Philol.  LXIX,  1910,  120  vielleicht  als 
apotropäisches  Abzeichen.  —  Über  Hähne  im  Zauber  vgl.  de  Jong. 
Das  ant.  Mysterienwesen  140  ff.  —  Für  „das  stellvertretende  Huhn- 
opfer mit  besonderer  Berücksichtigung  des  jüdischen  Volksglaubens" 
bietet  Scheftelowitz,  RVuV.  XlVm,  1914  ein  reiches,  aber 
nicht  immer  nach  richtigen  Zusammenhängen  geordnetes  anthro- 
pologisches Material;  für  die  antike  Religiousgeschichte  kommen 
besonders  in  Betracht  51  ff.  (das  Huhn  als  Dämonen  verscheuchendes 
Tier)  und  41  ff.  (Blutbesprengung  als  apotropäisches  Mittel).  — 
Über  den  Hahn  als  Erscheinungsform  des  Komdämons  handelt  im 
Anschluß  an  Mannhardt  Frazer,  The  Spirits  of  the  Corn  I 
(Golden  Bough  Vi)  276  ff-  —  Oft  dienen  Hahn  und  Henne  als 
Vorzeichen;  Belege  dafür  sammelt  Hunger,  Babylon.  Tieromina. 
Mitt.  d.  Vorderasiat.  Ges.  XIV,  1909,  42  ff. 

Ein  Kauz  che  n  hält  Athena  dem  Besucher  des  Tempels  auf 
einem  etwa  465  entstandenen  athenischen  Votivrelief  der  Samm- 
lung Lanckoronski  als  glückverheißendes  Vorzeichen  entgegen, 
s.  Schrader,  Österr.  Jahresh.  XVI,   1913,   1  ff. 

Die  Krähe  als  Sturm  verkündenden  Vogel  führt  J.  J.  G.  Vürt- 
heim,  Een  merkwaardig  Vers  bij  CatuUus,  Voordracht  gehouden 
in  de  Sectie-vergadering  van  de  provinciaal  Utrechtsch  Genootschaj) 
van  Künsten  en  wetenschapen  1,  6,  1909,  bei  Catull  25,  4  f.  ein, 
indem    er   vorschlägt    Thalle    turbida    rapacior    procella\    cum  Diva 


■[42  Vögel  im  Volksglauben,  Kult  und  Mythos. 

niulier  alites  ostendit  oscitautes.  Er  denkt  an  den  iSturmzauber 
der  Divae  Coniiscae,  Fest  ep.  64,  7,  CIL,  I*,  814,  die  aber 
VVissowa,  Rel.  der  Römer  189,  1   anders  auffaßt. 

Das  Märchen  von  der  Lerche ,  die  ihren  Vater  in  ihrem  Kopf 
begrub,  weil  die  Erde  noch  nicht  existierte  (Aristoph.  oqv.  471), 
bespricht  Clermont  Ganneau,  Compt.  rend.  AIBL  1906,  592 ff. 
aus  Anlaß  einer  syrischen  Übersetzung  aus  Zosimos.  Er  vergleicht 
die  „indische"  Geschichte  bei  Ail.  n.  a.  XVI,  5  und  die  Sage  vom 
Vogel  Phoinix  (Herod.  II,  7'3),  der  auch  mit  einem  Schopf  dar- 
gestellt wird,  und  erinnert  an  den  Zusammenhang  der  Worte  gubbar 
„Haubenlerche"  und  gabr,  geber  usw.  „Grab".  Eine  der  Hauben- 
lerche ähnliche  Vogelart  soll  nach  dem  syrischen  Zosimos  der 
Aphrodite  heilig  sein. 

Über  den  Haben  als  Überbringer  des  Blitzes  s.  A.  J.  Reinach, 
Rev.  hist.  rel.  LX,  1909^,  240.  Die  Vorstellung  ist  besonders 
keltisch ,  wird  aber  von  Reinach  aus  dem  Sarkophag  von  Hagia 
Triada  auch  für  die  ägäische  Kultur  erschlossen ,  da  der  Vogel, 
der  sich  auf  die  Bipennis  setzt,  ein  Rabe  sei. 

Über  die  Bedeutung  der  Schwalbe  in  Assyrien,  Griechenland 
und  Rom  s.  Hunger,  Babyl.  Tieromina,  Mitt.  d.  Vorderasiat.  Ge- 
seUsch.  XIV,  3,   1909,  40  ff. 

Über  den  Specht  als  Gottheit  sprach  J.  Harrison  auf  dem 
3.  Intern.  Congr.  Hist.  Rel.  Oxford  1908,  s.  Transact.  II,  154  ff. 
Sie  erinnert  an  Aristoph.  ^'Oqv.  480 ,  nach  dem  der  Specht  vor 
Zeus  geherrscht  haben  soll,  an  den  Sarkophag  von  Hagia  Triada. 
wo  nach  Evans  ein  Specht  auf  der  Doppelaxt  sitzt,  und  an  den 
in  Kreta  begrabenen  Picus  oder  Zeus  (Joh.  Antioch.  FHG  FV, 
542,  6  und  andere  Byzantiner),  endhch  an  das  Spechtorakel  des 
Mars  in  Tiora  Matiena  (Dion.  ctQX.  I,  14),  auf  das  sie  mit  Furt- 
wängler  Ant.  Gemm.  S.  119  Nr.  10  die  Gemme  ebd.  pl.  24  bezieht. 
Von  diesen  Spuren  des  Spechtkultes  verdient  der  Zeus  nrf/.og  (Picus) 
der  Byzantiner  immerhin  Aufmerksamkeit,  weil  es  nicht  abzusehen 
ist,  wodurch  die  Gleichsetzung  des  kretischen  Zeus  mit  dem  italischen 
Picus  veranlaßt  wurde,  und  es  nicht  ganz  ausgeschlossen  ist,  daß 
hier  eine  der  alten  Übereinstimmungen  zwischen  der  kretischen 
und  itahschen  Kultur  vorliegt,  die  mit  den  sagenhaften  Wande- 
rungen der  Etrusker  in  Verbindung  gebracht  werden.  Auch  an 
den  Keleos  einer  in  der  Geburtshöhle  des  Zeus  spielenden  Sage 
könnte  gedacht  werden ,  weil  er  in  einen  Vogel  verwandelt  wird 
(Anton.  Lib.  19)  und  die  Beschreibung  des  xeAeot;  auf  den  Grün- 
specht   paßt.     Es  bleibt  also  die  Möglichkeit ,    daß  in  dem  Regen- 


Vögel  im  Volksglauben,  Kult  und  Mythos.  143 

Zauber  des  vorgriecliischen  Himmelsgottes,  aus  dem  der  griechische 
Zeus  erwachsen  ist,  der  Specht  als  Regen  verkündender  und  des- 
halb heiliger  Vogel  irgendwie  verwendet  wurde ;  doch  gilt  picus  meist 
für  ein  indogermanisches  Wort.  —  In  mehreren  Sprachen  heißt  der 
Specht,  weil  er  am  Baum  hackt,  „mit  einem  Beile  ausgestattet"  (z.  B. 
TTfiAfixav)  oder  er  gilt  als  Zimmermann  (so  im  Schweizerdeutsch;  Car- 
pentiere,  Charpentier).  S.  Wide,  Sert.  philol.  C.  F.  Johannsson 
obl.  1905,  S.  67  hält  das  für  uralt  und  sucht  darin  unter  Ver- 
gleichung  der  Polytechnossage  bei  Anton.  Lib.  11  die  Erinnerung 
an  eine  Vorstellung,  nach  welcher  der  Specht,  weil  der  Holzfäller 
mit  der  Axt  Feuer  schlägt,  auch  als  Blitzvogel  galt. 

Die  Taube  weist  nach  Aß  mann.  Philol.  LXVI,  1909, 
313  f..  LXVII,  1908,  174  stets  auf  den  Kult  der  Astarte  oder 
Istar,  ihr  Name  TTEgiaiegd  ("irdr  n-r)  soll  „Vogel  der  Istar"  be- 
deuten und  mit  dieser  Göttin  von  Syrien  her  nach  Griechen- 
land gebracht  sein.  —  Über  die  kretische  Göttin  mit  der  Taube 
s.  H.  Prinz,  Ath.  Mitt.  XXXV,  1910,  156.  —  Eine  Taube  ist 
nach  Hill,  Proceed.  Brit.  Acad.  1911/12,  417  vielleicht  das  Ab- 
zeichen der  Kultgenossin  des  Ze-as'H?A07to?JT7^g,  die  dieses  behält, 
auch  wenn  sie  der  Artemis  gleichgestellt  wird.  —  Manley,  Archae- 
ologia  or  Miscell.  Tracts  relating  to  Antiquity  LXIII,  1912,  105 
bezieht  die  Taube  auf  dem  Glasmosaik  einer  römischen  Villa  bei 
Neapel  auf  die  Gründungssage  dieser  Stadt.  —  Aus  der  Geschichte 
bei  Diogen.  praef.  Paroem.  Gr.  I,  180  folgert  Frazer,  Adon.  OsLr. 
(Golden  Bough  ^IV)  I,  147  kyprische  Taubenopfer  für  Adonis,  die 
vielleicht  ein  altes  Menschenopfer  abgelöst  haben.  —  Die  Tauben 
in  der  Sage  des  Ammonorakels  in  der  Oase  stammen  nach  Zielinski, 
Arch.  für  ßeligionswiss.  IX,  1906,  42  über  Kyrene  aus  Arkadien, 
an  dessen  alten  Taubenkult  die  Pleias  Maia  erinnern  soll.  — 
S.Wide,  Sert.  philol.  (s.  o.  „  Specht")  67  f.  hält  die  Taube  wie  den  Specht 
für  einen  Blitzvogel,  weil  das  Taubenorakel  von  Dodona  dem  Specht- 
orakel von  Tiora  Matiene  verwandt  genannt  wird.  Daß  auch  die 
Taube  als  Zimmermann  gegolten  habe,  wii'd  wegen  der  Bezeich- 
nung xöfAaQOQ  (Hesych.  s.  v.)  vermutet,  den  ein  nach  dem  Täuberich 
wie  die  Pleiaden  nach  den  Tauben  genannter  Priester  geführt  haben 
soU.  Aber  so  leicht  erklärlich  die  Benennung  Zimmermann  für  den 
Specht  ist,  so  schwer  versteht  man  sie  von  der  Taube ;  diese  und 
das  nach  ihr  genannte  oder  wenigstens  mit  ihr  in  Verbindung  ge- 
brachte Gestirn  der  Pleiaden  gelten  zwar  als  regenbringend,  werden 
aber  m.  W.  mit  dem  Blitz  nicht  in  Verbindung  gebracht.  —  Über 
die  Verwendung   der   Taube    (als    eines   reinen  Vogels)   im  Zauber 


144  Säugetiere  im  Volksglauben,  Kult  und  Mythos. 

(Catal.  cod.  aatrol.  VI,  61)  s.  L.  Bianchi,  Hess.  Blatt,  f.  Volksk. 
XIII,  1914, 113.  — Heilige  Tauben  an  der  Kultstätte  des  Zeus  Sabazios 
und  der  Meter  Hei})ta  (Hipta)  in  Epbesos  werden  in  einer  Beicht- 
inschrift von  Kula  in  Lydien  erwähnt,  s.  Ann.  Brit.  Seh.  of  Athens 
XXI.  1914/6,  169.  —  Über  die  Taube  in  der  Hand  der  gallischen 
Muttergöttin  s.  Rev.  et.  anc.  IX,  1907,  365,  als  Abzeichen  eines 
gallischen  Gottes  ebd.  186  (Changarnier). 

Über  den   Wendehals  s.  u. 

Von  demNamen  des  Zannhönigs  TQix-yiog  (Hesych.) leitet  Fick, 
Zs.  f.  vergl.  Sprachforsch.  XLVI,  1914,  78  den  der  thessalischen 
Stadt  Trikka  her. 

Säugetiere. 

0.  Keller  wollte  seine  Monographiensammlung  „Tiere  des 
klassischen  Altertums"  (Innsbruck  1887)  zu  einer  Darstellung  des 
ganzen  Tierreichs  erweitern-,  da  aber  dieser  Plan  aus  äußeren 
Gründen  scheiterte,  behandelt  er  in  seinem  neuen  Buch  „Die  antike 
Tierwelt"  (2  Bde.),  um  das  Wichtigste  zu  retten,  mit  Unterdrückting 
fast  sämtlicher  Zitate  und  Vermehrung  der  Bilder  in  kurzer 
populärer  Darstellung  das  ganze  Tierreich ,  und  zwar  im  ersten 
Band  (1909)  die  Säugetiere.  Obwohl  durch  die  Wiener  Akademie 
pekuniär,  durch  Gelehrte  wie  Imhoof-Blumer,  Lorentz  u.  a.  wissen- 
schaftlich unterstützt,  bietet  der  Vf.  wenigstens  für  den  Sagen-  und 
Religionsforscher  nicht  so  viel,  als  dieser  und  wohl  auch  Keller 
selbst  erwartete.  Stand  der  Vf.  schon  1887  nicht  auf  der  Höhe 
der  mythologischen  Wissenschaft,  so  sind  hinsichtlich  dieser  die 
Ansichten,  auf  denen  er  fußt,  jetzt  ganz  veraltet.  Seine  Etymo- 
logien, die  er  mehrfach  auch  aus  Aßmann  und  Levy  schöpft,  kommen 
wissenschaftlich  kaum  in  Betracht  (z.  B.  die  von  ihm  schon  früher 
vorgetragene  Ableitung  des  Namens  Herakles  von  bs*i  „herumziehn"). 
Die  erklärten  Denkmäler  sind  z.  T.  mißverstanden,  die  tatsächlichen 
Angaben  auch  über  Schriftquellen  nicht  immer  zuverlässig,  und  eine 
Kontrolle  ist,  da  die  Stellen  meist  gar  nicht  oder  nur  ungenau 
(z.  B.  ..^PP-")  bezeichnet  sind,  kaum  möglich.  Wo  die  ent- 
sprechenden Artikel  bei  Pauly  -Wissbwa  -  Kroll  vorliegen  ,  sind 
Kellers  Bemerkungen  für  den  Mythologen  meist  wertlos :  wo  dies 
nicht  der  Fall  ist,  wird  er  bei  vorsichtiger  Benutzung  hier  und  da 
etwas  Brauchbares  finden.  —  Über  Tiere,  die  als  geeignet  galten, 
böse  Geister  zu  vertreiben ,  handelt  Tamborino,  Dp  ajitiquor. 
daemonismo  (RV  u.  V,  VI!)  88  f. 

Über  Bären  als  Totengeistcr  s.  Mar.  P  a n  c r  i  z  i  u  s  ,  Anthrop. 
Vm,    1913.    871  ff.      -   Nach    Petersen.    Arch.    .Talub.    XXIII, 


Säugetiere  im  Volksglauben,  Kult  und  Mythoö.  145 

1908,  26  bezeichneten  die  uq/ltol  ursprünglich  die  cunni  und  erst 
nachträirlich  die  Mädchen.  Sollte  nicht  die  immerhin  seltsame  Be- 
Zeichnung  wie  die  vieler  ähuliöher  nach  Tieren  genannter  Priester 
und  Priesterinnen  auf  ein  vorgriechisches  Mysterien  zurückgehen, 
in  welchem  die  Zauberer  oder  Verehrer  der  Gottheit  sich  in  Tiere 
verkleideten  oder  Abzeichen  von  Tieren  annahmen?  Die  Bärinnen 
könnten  Mädchen  gewesen  sein,  die  bei  der  Erneuerung  der  Geburt 
des  Regendäraons  in  der  Höhle  in  Bärenfelle  gehüllt  oder  Bärinnen 
nachahmend,  das  verlassene  Gotteskind  pflegten. 

Nach  Korn.  30  ist  der  Esel  dem  Dionysos  geweiht:  Rader- 
macher, Wien.  Stud.  XXXVI.  11)14,  320  vergleicht  damit  die 
Sage  von  Nauplia,  nach  der  ein  Esel  durch  Benagen  den  Weinstock 
ertragreicher  gemacht  habe  (Paus.  II,  38,  3),  und  eine  ähnliche 
moderne  Sage  aas  Unterwallis  sowie  die  Bezeichnung  des  Esels 
als  i^iäowr.  Astrabakos  in  der  Orthialegende  von  Sparta  ist  ebenso 
wie  Alopekos ,  sein  Bruder  (Paus.  II,  16,  9),  Anführer  je  einer 
Partei  in  dem  Catervenkampf,  der  nach  Vürtheim,  Versl.  en 
Meded.  IVxii  1913,  49  f.  dort  stattfand.  Die  beiden  Scharen  waren 
demnach  als  „Esel"  (vgl.  aGiqäßi]  „Eselsattel")  und  „Füchse",  die 
dem  Dionysos  heiligen  Tiere,  gekennzeichnet.  Vgl.  ebd.  Vii,  1916, 
392.  —  Von  Astrabakos  darf  nach  Nilßon,  Griech.  Feste  199,  das 
im  Dienst  der  Artemis  Karyatis  gesungene  Astrabikon  nicht  getrennt 
werden,  aber  die  Art  des  Zusammenhangs  ist  unklar.  —  Über  griechi- 
sche und  vorgriechische  Kulte,  deren  Teilnehmer  sich  oder  das  Gottes- 
bild mit  einer  Eselshaut  umhüllten ,  handelt  im  Anschluß  an  die 
Midassage  Crooke.  Folklore  XXII,    1911,   199  ff. 

Der  Fuchs  gilt  in  Deutschland  und  Frankreich  als  Verkörpe- 
rung des  Korndämons.  Frazer,  The  Spirit  of  the  Corn  I  (Golden 
Bough  V,  I),  297,  5  vergleicht  zweifelnd  die  Fuchshetze  an  den 
Cerealien  (Ov.  Fast  IV,  111  f.  und    die   Simsonsage  (lud.  XV,  4). 

Über  den  Fuchs  als  Abzeichen  des  Meltaus  s.  Eitrem,  Festkr. 
tu  Alf  Torp  S.  76,1.  —  Über  den  Fuchs  im  Dionysoskult  s.  o. 
{.EseV). 

Über  den  Hasen  im  Aberglauben  handelt  Abt,  Apolog.  d. 
Apul.  63  =  RV  u.  V.  IV,  137  f.  —  Den  laufenden 'Hasen  auf 
Didrachmen  und  Tetradrachmen  von  Messana  aus  dem  Anfang  des 
o.  Jahrh.  erklärt  Ciaceri,  Culti  e  miti  nella  storia  dell'  ant.  Sic. 
98  f.  im  Gegensatz  zu  Head ,  der  an  Pankultus  gedacht  hat ,  aus 
den  Orionsagen  vom  Pelorosvorgebirge.  —  Den  Komdämon  soll 
der  Hase  nach  Frazer,  The  Spirits  of  the  Corn  II .  (Golden 
Bough  Vii)  279  vertreten. 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  186  (Supplementband).  10 


146  Säugetiere  im  Volksglauben,  Kult  und  Mythos. 

Im  Anschluß  au  S.  Reinach,  Cultes,  mythes,  relig.  I  93,  dei* 
für  die  Kelten  den  Hund  als  Totem  erschlossen  hatte,  versucht 
Ciaceri,  der  Culti  e  raiti  nella  stör.  dell.  ant.  Sic.  122  fF.  den 
Hund  in  den  Gottesdiensten  und  Sagen  Siziliens  ausführlich  behandelt, 
als  letzten  Grund  der  Vorstellung  die  Sitte  der  Eingeborenen  (nicht 
der  phoinikischen  Kolonisten)  zu  erweisen,  welche  sich  des  Hundes 
als  Totemtier  bedienten.  Er  findet  seinerseits  den  Beifall  von 
S.  Rein  ach,  Rev.  arch.  IVxvii,  1911 2,  S.  183.  —  Als  heiliges 
Tier  der  aUhrciischen  Göttin  erscheint  der  Hund  nach  Evans 
(Transact.  3.  Intern.  Congr.  Relig.  II  196),  auf  einem  Goldring 
von  Moklos,  wo  der  Stern  des  Schiffes,  auf  dem  die  Göttin  fährt, 
in  der  Gestalt  eines  Hundekopfes  gebildet  ist.  —  Über  die  im 
Asiitcpiosliult  zum  Ablecken  der  Geschwüre  verwendeten  Hunde 
s.  Arabantinos.  '^^/(JxA?y7^<og  /.al  L^a^Xi^Tiiela,  Leipz.  1907,  125. 

—  Durch  eine  Hündin  ließ  den  Neleus  nach  Rasch,  Sophocles 
quid  debeat  Herodoto,  RV  u.  V  X  1,  1913,  S.  62  f.  Sophokles  er- 
nähren (vgl.  Seh.  K  334),  der  sich  der  Herodoteischen  (I  132)  Kyros- 
sage  angeschlossen  haben  soU.  Herodot  oder  der  orientalische 
Berichterstatter,  auf  den  seine  Erzählung  schließlich  zurückgeht, 
hatte  freilich  statt  der  Hündin  eine  Frau  Kyno  eingesetzt  (I  110). 

—  Verschiedene  Arten  der  Verwendung  des  Hundes  als  Vor- 
zeichen stellt  Hunger,  Babj'lon.  Tieromina,  Mitt.  d.  vorderasiat. 
Ges.  XIV  3.  1909,  S.  90  zusammen.  —  Als  Hunde  waren  nach 
Ehrlich,  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachf.  XLI,  1907,  298  ursprünglich 
die  Laren  gedacht,  die  später  mit  Hundefellen  bekleidet  dargestellt 
wurden  (Plut.  qu.  Rom.  51;  vgl.  Naev.  bei  Fest.  230  ^  27);  der 
Hund  war.  wie  Ehrlich  mit  Rohde  Ps.  II  ^  83,  3  glaubt,  ein  Bild 
der  umherschweifenden  Seele.  —  Ausführlich  handelt  über  den 
Hund  als  Erscheinungsform  der  Toten  und  zugleich  der  Töter,  der 
Todesdämonen  (Keren ,  Erinyen ,  Teichinen),  Malten,  Arch. 
Jahrb.  XXIX,  1914,  225,  236  ff.,  2-12  f.  Die  Vorstellung  lebt  im 
neugriechischen  Volksglauben  fort.  —  Der  Unterweltshund  Kerberos 
und  die  Avvrj  des  Hades  erklärt  A.  Rein  ach,  Rev.  et.  gr.  XXVI. 
1913,  359  daraus,  daß  auf  den  antiken  Schlachtfeldern  die  Ge- 
fallenen von  Hunden  gefressen  wurden.  —  R.  Herzog,  Arch.  f. 
Religionswiss.  X,  l!-07,  224  ff.  weist  auf  die  auffallende  Tatsache 
hin ,  daß  im  Mythos  Hund  und  Schlange  oft  vertauscht  werden, 
so  daß  z.  B.  Eurip,  'Hg.  /j.  420  die  lernaiische  Hydra  einen  Hund 
nennen,  Schlangen  Hunde  zeugen  (wie  Typhon  den  Kerberos)  und 
die  Erinyes  bald  Schlangen ,  bald  Hunde  heißen  können.  Diese 
VertauschuDg,   aus  der  er  z.  B.  auch  die  fAeXnavcxa  für  Kerberos 


Hund  und  Löwe  im  Volksglauben,  Kult  und  Mythos.  I47 

erklärt,  führt  er  zweifelnd  daraiif  zurück,  daß  die  Dämonen  in 
Mischgestalt  vorgestellt  wurden.  —  B  0  e  h  m  ,  Symbolae  ad  Hercul. 
hist.  fabular,  ex  vascul.  pict.  petit.,  Königsb.  Diss.  1909,  S.  79f. 
bemerkt  m.  R.,  daß  Schlangen,  ebenso  wie  andere  Wesen,  als  yvveg, 
d.  h.  als  „Wächter",  nur  dann  bezeichnet  werden,  wenn  ein  Genet. 
dabei  steht,  woraus  u.  a.  gefolgert  wird,  daß  X  623  Kerberos  als 
wirklicher  Hund  gemeint  sei.  So  gewiß  xi-wv  später  oft  einfach 
den  Wächter  bedeutet,  so  lassen  sich  hieraus  und  wohl  auch  aus 
der  Annahme  schlangenhaariger  oder  schlangenschwänziger  Hunde 
nicht  alle  die  Fälle  erklären ,  in  denen  dieselben  Dämonen  bald 
Hunde,  bald  Schlangen  genannt  werden.  —  Der  Hund  in  der 
Erigonesage  ist  nach  Nilßon,  Eran.,  Acta  Suec.  XV,  1915,  188 
erst  nachträglich  auf  den  Sirius  bezogen  worden,  während  er  (ebd. 
199)  im  Ritus  bloß  kathartische  oder  apotropäische  Bedeutung 
hatte.  V'ielleicht  wurden  an  den  Aiora  Hunde  geopfert.  —  Die 
Xanthika,  an  denen  zur  Lustration  des  makedonischen  Heeres  ein 
Hund  zerteilt  wurde  (Liv.  XL  6,  1),  sind,  wie  A.  Reinach, 
Rev.  et.  gr.  XXVI,  1913,  359  aus  dem  Namen  von  Alexanders 
Hund  Peritas  (Plut.  iiZ.  61)  folgert,  vielleicht  den  Peritia 
gleich.  Reinach  sieht  in  dem  Ritus  une  inten tion  plus  apotro- 
paique  que  lustrale  derivant  de  la  magie  imitative.  Ebd.  365,  1 
wird  die  von  Plut.  qu.  Rom.  111  erwähnte  boiotische  Begehung 
und  das  wohl  auf  andern  Vorstellungen  beruhende  Hahnenopfer  von 
Methana  (Paus.  II  34,  2)  verglichen.  —  Über  Hundeopfer  bei 
■/.ai>aQf.ioL  vgl.  Deubner,  Arch.  f.  Religionswiss.  XIII,  1910, 
503  ff.,  der  das  Hundeopfer  der  Lupei'ci  füi*  eine  nachträglich  an 
griechische  Vorbilder  angeschlossene  Zutat  zu  dem  Ritual  hält; 
u.  dagegen  W.  F.  Otto,  Phil.  LXXII,  1913,  186,  der  umgekehrt 
in  dem  Bockopfer  eine  zu  dem  alten  Hundeopfer  des  Faunusfestes 
hinzugefügte  Neuerung  erblickt;  über  römische  Opfer  roter  Hunde 
Eitrem,  Festskr.  til  Alf  Torp ,  1913  S.  75  f.,  der  sie  als  „Feuer 
gegen  Feuer"   erklärt. 

Über  den  Löwen  als  Sinnbild  der  Sonne  und  der  Hitze 
s.  Delatte,  Bull.  corr.  hell.  XXXVII,  1913,  257  f.  —  Daß  der 
lydische  Herakles  und  Simson,  der  Sonnengott  von  Bet  Seme§  im 
Stamm  Dan  ursprünglich  in  Löwengestalt  gedacht  waren,  vermutet 
S.  Reinach  in  einer  Vorlesung  am  Musee  Guimet  (Samson,  Chalon 
sur  Saone,  1912,  S.  11  ff.).  —  Über  den  Löwen  als  Attribut  der 
Atargatis  auf  syrischen  Münzen  s.  Hill,  Proceed.  Brit.  Ac,  1911/12, 
418;  als  Attribut  der  chetitischen  Göttinnen  Garstang,  The  Land 
of  the  Hittites  356 ;  vgl.  ebd.  380  (über  Darstellungen  des  Löwen 

10* 


148  Säugetiere  im  Volksglauben,  Kult  und  Mythos. 

iu  der  clietitischen  Kunst).  —  Von  Kleinasieu  aus  gelaugte  nach 
H.  Prinz.  Ath.  Mitt.  XXXV,  1910.  158  ff.  der  Löwe  als  Ab- 
zeichen nach  Griechenland,  wo  z.  B.  das  mykenische  Löwentor  eine 
„Abbreviatur"  eines  Tempels  der  großen  Göttin  sein  soll.  — 
A.  Reinach,  Rev.  et.  gr.  XXVI,  1913,  353  ff.  versucht  eine 
männliche  (Atys  Sauden;  Herakles)  und  eine  mit  dieser  gepaarte  weib- 
liche (Kybele  und  ihre  Hypostasen  Thetis.  Atalante,  Kyrene,  Omphale) 
weibliche  Lüwengottheit  zu  erweisen ;  der  Löwe  soll  chthonisches 
Tier  sein  (ebd.  359  f.) ;  vgl.  über  den  Löwen  als  Grabeswächter 
Pagen  stech  er.  TJnterital.  Grabdenkm.  57  f. ,  über  ihn  als 
Grabschmuck  in  der  kleinasiatischen  und  der  vorgriechischen  Kunst 
Brandenburg,  Felsarchitektur  im  Mittelmeergebiet  (Mitt.  der 
Vorderasiat.  Ges.  XIX  2,  1915  S.  55  ff.  —  Als  Attribut  des 
punischen  Ba'al  und  der  Tanit  zeigen  den  Löwen  Terrakotten 
aus  dem  Heiligtum  bei  Siagu,  Merlin,  Le  sanctuaire  de  Baal  et 
de  Tanit  (Notes  et  documents  IV,  1910)  S.  46  f.  Löwenköpfig 
im  Typus  der  Sokhit  erscheint  auch  die  im  Heiligtum  gefundene 
Göttin  Genius  Terrae  Africae. 

Über  die  Maus  als  Abzeichen  des  Pestvertreibers  laniskos 
s.  Gildersleeve,  Amer.  Journ.  Phil.  XXIX,  1908,  97  L,  der 
auch  an  das  Ad^'ton  des  Apollotempels  von  Seleukeia  in  Assyrien 
(Amm.  Marc.  XXIII,  6,  24)  erinnert,  und  Svoronos,  Journ. 
intern,  d'arch.  num.  XIII,  1911,  115.  Als  Vorzeichen  diente  nach 
Hunger.  Babylon.  Tieromina,  Mitt.  d.  vorderas.  Ges.  XIV,  3, 
1909,  106  ff.  die  Maus  wie  bei  den  Griechen  so  auch  im  Zwei- 
stromland. 

Auf  dem  Panther  oder  Tiger  seiüings  sitzend  stellen  den 
Dionysos  zuerst  attische  Vbb.  des  5.  Jahrh.,  dann  unteritalische 
Vbb.  dar,  auf  denen  der  Gott  auch  rittlings  sitzt-,  vgl.  Leonhard, 
Neapolis  II,  1914,  76  f.,  der  das  Attribut  zwar  nicht  mit  Kern  bei 
Pauly-Wissowa  V,  1041,  50  aus  dem  Kybelekult,  aber  doch  aus 
Kleinasien  herleitet  und  mit  dem  chetitischen  Motiv  der  auf  dem 
Tiere  stehenden  Gottheit  verknüpft.  Das  Original  des  Pantherreiters 
stellte  (ebd.  81)  vielleicht   der   attische  Dionysos  'Elevi^egeig   dar. 

Über  die  Bedeutung  des  Rindes  in  Mythos  und  Religion 
sprach  Edm.  Hahn  in  der  Berliner  Rehgionswissensch.  Ver- 
einigung am  26.  -10.  1915-  Nicht  aus  wirtschaftlichen,  sondern 
aus  religiösen  Gründen  ist  nach  dem  Vortragenden  das  Rind  Haus- 
tier geworden.  Man  wollte  eine  weibliche  Mondgottheit,  die  zu- 
gleich als  Prinzip  der  Zeugung  und  des  Ackerbaus  galt  und  die 
wegen    ihrer   Homer    als    Kuh    vorgestellt   wurde ,    versöhnen   und, 


Das  Kind  im  Volksglauben,  Kult  und  Mythos,  149 

wenn  sie  bei  der  Mondtinsternis  bedroht  war,  stärken.  Diese  Vor- 
stellung soll  in  Bahylonien  entstanden,  über  Südarabien  nach  Nubien 
und  von  dort  uilabwärts  nach  Ägypten  verbreitet  sein.  Erst  später 
kam  nach  Hahn  die  Milch  auch  zur  Verwendung  für  Priester  und 
,  Könige,  und  erst  auf  diesem  weiten  Umweg  gelangte  sie  endlich 
in  das  Wirtschaftsleben  des  gesamten  Volkes.  Ebenso  soll  übrigens 
auch  der  Gebrauch  des  Wagens  aus  dem  Kult  stammen;  man  be- 
diente sich  seiner,  wenn  man  die  Gottheit  auf  irdischem  Boden 
Umzüge  vornehmen  ließ,  die  dem  Gange  der  Dinge  oben  als  Vor- 
bild dienen  sollten,  und  ließ  ihn  durch  die  heiligen  Tiere  der  gi-oßen 
Gottheit,  also  durch  Rinder  ziehen.  —  Gegen  ähnliche  Ansichten, 
die  Hahn  in  seinem  Buch,  „Die  Haustiere  und  ihre  Beziehungen 
zur  Wirtschaft  des  Menschen",  Leipz.  1896,  78,  vorgetragen  hatte, 
s.  Wyß,  die  Milch  im  Kultus  d.  Griechen  und  Römer,  RV  u.  V. 
XV  2,  1914,  S,  2.  —  Über  die  Verehrung  der  Kuh  in  Ägypten 
vgl.  Zimmermann,  Die  ägyptische  Religion,  Paderborn  1912, 
S.  91  ff.  —  Nach  A.  J.  Reinach,  Rev.  et.  d'ethnol.  et  de  soc. 
I,  1908,  297  wurde  im  kretischen  Labyrinth  ein  heiliger  Stier  ge- 
halten, der  wie  Apis  den  Gott  darstellte  und  mit  dem  sich  die 
Königin,  als  Kuh  verkleidet,  vermählte.  —  Mit  dem  kretischen 
Sonnenstier  Adiunios  vergleicht  Majuri,  Rendiconti  RAL,  VxiXi 
1910,  120  den  thessalischen  Monat  ^vöovvaiog  und  den  make- 
douischen  -4vdvcäog.  —  Die  Mythen  von  dem  Riuderraub  des 
Hermes,  Melampus  usw.  untersucht  Kuiper,  Mnemos  XXXVIII, 
1910,  137  ff',  mit  dem  Ergebnis  oder  vielleicht  von  der  Vor- 
aussetzung aus,  daß  die  Rinder  in  diesen  Sagen  die  des  Unter- 
weltsgottes sind,  und  daß  die  Sagen  durch  Minyer  nach  der 
Peloponnes  gebracht  wurden.  Über  den  Stier  als  Symbol  des 
„Vegeiationsgotteä^^  Dionysos  handelt  Prazer,  Spirits  of  the 
Com  (Golden  Bough  ^Y)  I,  16  f.;  II,  3  ff. ,  vgl.  I,  288  ff.  — 
Für  den  Stier  als  Wassergott  s.  Radermacher,  Sitzungsber. 
WAW  CLXXXII,  1916,  95  ff.  —  Nach  Lidzbarski,  Ephem.  für 
semit.  Epigr.  III  3,  1911,  153,  der  eine  palmyrenische  Tessera 
mit  den  Gottesnamen  '-"^Var  und  ^n^br,  d.  i.  Aglibolos  und  (der 
Sonnengott)  Malakbelos,  und  dem  unter  beiden  stehenden  Worte 
N"iin,  d.  h.  „Stier"  veröffentlicht,  ist  in  Vorderasien  der  Stier  „in 
erster  Linie  das  Tier  des  Himmels-  und  Gewittergottes".  Wir 
finden  ihn  zusammen  mit  dem  ass}a'ischen  Adad-Ramman,  dem 
syrischen  Hadad  und  seinen  Abkömmlingen  in  Hierapolis,  Doliche, 
Ba'al  ßek  und  anderwärts.  Als  später  die  syrischen  Himmelsgötter 
in  den  Sonnenkult  hineingezogen  wurden,  blieben  die  Beigaben  die 


150  Hind  um!  Koli  im  Volksglauben,  Kult  und  Mythos. 

alten,  und  so  kam  denn  der  Stier  in  Beziehung  zu  den  Sonnen- 
göttern. Wir  kennen  ihn  so  besonders  auf  Darstellungen  des 
luppiter  Heliopolitauus ,  und  auch  sonst  sehen  wir  oft  Stier  und 
Sonne  nebeneinander.  Gerade  palniyreuisehe  Tesserae  liefern  hier- 
für verschiedene  Beispiele.  —  H.  Johnson.  Class.  Rev.  XXV, 
1911,  171  f.  glaubt,  daß  Aison ,  Psammetichos  und  Themistokles 
nicht  au  Stier-,  sondern  an  Menstrualblut  (vgl.  Hesych.  taugug  .  .  . 
xai  TU  yvvaixelov)  starben.  —  Indogermanische  Rinderraubmythen 
behandelt  A.  Kuhn,  Mythol.  Stud.  IT  (1912),  91  ff.  —  Vgl.  über 
die  Symbolik  des  Stiers  auch  C.  Fries,  Die  griech.  Götter  u. 
Heroen,  Berlin  1911,  171  ff.  und  über  die  Bedeutung  des  Rindes 
als  Vorzeichen,  Hunger.  Babylon.  Tieromina,  Mitt.  d.  Vorderas. 
Ges.  XIV  3,  1909,  62  ff. 

Für  die  Vergleichung  von  Quellen  mit  Rossen  bringt  A. 
Rein  ach.  Bull.  Mus.  Mulhouse  XXXVII,  1913,  i;]0  griechische 
und  gallische  Beispiele  bei;  als  Wassergott  heißt  nach  Farn  eil, 
Cults  of  Gr.  Stat.  IV  22  Vos^idion  'inTiiog.  — Auch  die  Wolken  galten 
als  Rosse.  —  Als  eine  Maßregel  zur  Beförderung  des  Sonnenlaufes  faßt 
R.  Eisler,  Arch.  f.  Religionswiss,  XI,  1907/8,  150  die  Wettrennen 
auf.  —  Über  das  Sonnen-  und  Vcgetationsroß  s.  L.  v.  Schröder, 
Myst.  u.  Mimus  429  ff.  —  Als  Erscheinungsform  des  j^orwdämons  will 
Frazer,  The  Spirits  of  the  Corn  (Golden  Bough  V)i  292  das  Roß 
erweisen.  Die  Beweisgründe  sind  der  Art  nach  dieselben,  die  Mann- 
hardt  einst  zu  der  gleichen  Annahme  bestimmten;  nur  die  Zahl  der  ver- 
glichenen modernen  Volksgebräuche  und  Gleichnisse  ist  vermehrt.  — 
Über  die  Sj-mbolik  des  Rosses  namentlich  im  TolenJcult  verbreitet  sich 
ausführlich  L.  Malten,  Arch.  Jahrb.  XXIX,  1914,  179  ff.  Gegen 
Stengels  Meinung  (Opferbr.  d.  Griech.  1908,  S.  154  ff.),  daß 
Hades  deshalb  Rosse  habe,  weil  die  Toten  sie  in  der  wilden  Jagd 
besitzen,  wird  250  das  Unheimliche  mancher  Eigenschaften  des 
Pferdes  betont.  „Das  Scheuen  und  Zittern,  Bäumen  und  Schnaufen 
des  Tieres ,  der  nächtliche  Schweiß ,  das  Wiehern ,  mit  dem  man 
das  Lachen  Wahnsinniger  verglich,  der  feine  Instinkt,  mit  dem  es 
Gefahren,  selbst  Geister  wittern  zu  können  schien,  so  daß  man  ihm 
die  Gabe  der  Weissagung  zuschrieb,  gaben  dem  Volksglauben  An- 
laß, im  Pfei-d  überirdische  Gewalten  verkörpert  zu  sehen."  Noch 
im  modernen  Aberglauben  erscheint  das  Pferd  als  etwas  ünheim- 
hches  (210  ff.);  ja,  es  scheint  sich  sogar  vereinzelt  der  Aberglaube 
zu  finden,  daß  die  Seele  als  Roß  erscheine  (Kühn au,  Mitt.  der 
Schles.  Ges.  f.  Volksk.,  Heft  XVI,  191G,  98).  Als  Rosse  galten 
daher  dem  Griechen  nach  Malten  sowohl  die  unheimlichen  Götter 


Das  Roß  im  Volksglauben,  Kult  und  Mythos.  151 

der  Unterwelt  wie  auch ,  wofür  233  ff.  nordische  Parallelen  an- 
geführt werden,  die  Seelen ;  bisweilen  heißt  es,  daß  der  Todesgott 
diese  vor  seinen  Wagen  gespannt  habe  (215  ff.),  aber  die  Rosse 
des  Unterweltsgottes  können  auch  Dämonen  sein,  die  den  Menschen 
treffen  sollten  und  an  die  man  glaubte ,  bevor  sie  in  Hades  einen 
Lenker  erhielten  (208  f.).  Denn  allmählich  löst  der  reitende  oder 
fahrende  Totengott  den  rossegestaltigen  ab  (212),  oder  es  kommt 
die  anthropomorphe  Gestalt  neben  der  tlieriomorphen  auf;  manch- 
mal bleibt  nur  eine  Erinnerung  an  diese  als  starkes  Symbol  be- 
stehen. Ein  solches  sieht  Malten  in  dem  Roß  der  „Pfjtdekopf- 
amphoren",  die  schon  Löschke,  Arch.  Jahrb.  II,  1887,  27(j,  und 
Hackl,  ebd.  XXII,  1907,  88  ff.  auf  den  Toten  gedeutet  hatten, 
und  in  den  Totenmahlreliefs .  von  denen  mehrere  in  Abbildungen 
vorgeführt  werden ,  deren  Künstler  sich  freilich ,  wie  er  meint 
(218  ff.),  des  Sinnes  der  Darstellung  nicht  mehr  bewußt  gewesen 
zu  sein  brauchen.  Als  einen  Gott  der  Untei-welt  faßt  Malten 
namentlich  auch  den  Poseidon  '^'l/rniog,  doch  meint  er  nicht,  daß 
der  Gott  in  Menschengestalt  einfach  aus  dem  roßgestaltigen  hervor- 
gegangen sei ,  sondern  vor  Poseidon  erzählte  man  seiner  Ansicht 
nach  von  dem  dämonischen  Todesroß,  das  meist  als  schwarz  galt, 
und  man  übertrug  diese  Gestalt  auf  Poseidon,  „weil  die  mensch- 
liche Gestalt  als  die  eigene  und  bekannte  keine  adäquate  Vorstellung 
für  die  als  fremd  empfundene  Macht  abgab  (209)".  Einen  Beweis 
dafür,  daß  wirklich  einmal  das  Pferd  nicht  neben  dem  Toten  und 
dem  Todesdämon  stand ,  sondern  als  Toter  und  als  Todesdämon 
(217)  galt,  sieht  er  auch  in  den  Pferde  opfern ,  die  diesen  dar- 
gebracht werden ,  und  von  denen  ein  Rest  in  der  Sitte  sich  weit 
verbreitet  und  lange  fortgelebt  hat,  bei  der  Verbrennung  oder  Be- 
erdigung das  Sehlachtroß  des  Verstorbenen  zu  opfern ;  Malten  er- 
klärt diese  Sitte  aus  dem  Gebrauch,  den  überirdischen  Mächten 
solche  Tiere  zu  opfern,  in  deren  Gestalt  man  sie  sich  dachte  (264). 
Doch  soll  die  Pferdegestalt  keineswegs  auf  die  Unterirdischen  be- 
schränkt gewesen  sein;  auch  die  Windgötter  (199)  und  manche 
Lichtgötter,  namentlich  der  Sonnengott,  trugen  sie.  —  Ein  Teil  der 
Beweisgründe  Maltens  wäre  hinfällig,  wenn  viele  „Totenmahlreliefs" 
mit  dem  Pferdekopf,  wie  Svoronos-Barth,  Athen.  National- 
mus. I  534  erweisen  will,  vielmehr  Theoxenien,  Bewirtungen  des 
Asklepios,  darstellen,  dessen  Abzeichen  das  Pferd  gewesen  sei,  oder 
wenn  Eitrem,  Christiania  Vidensk.  —  Selsk.  Forhandl.  1909,  no.  9 
mit  Recht  bei  der  Besprechung  eines  Totenmahlreliefs  in  Kristiania, 
das   zwei  Pferde  zeigt ,    die  Vermutung   ausspräche ,    daß    das  Roß 


152        Roß,  Sciaf,  Schwein  im  Volksglauben,  Kult  und  Mythos. 

auf  Reiteragone  hinweise ,  die  zu  Ehren  des  Verstorbeneu  ab- 
gehalten seien.  —  Über  Vorzeichen ,  die  nach  orientalischem  und 
griechischem  Glauben  durch  Rosse  gegeben  werden ,  sammelt 
Hunger,    Babyl.    Tieromina,    Mitt.    d.    vorderasiat.    Ges.    XIV  3, 

1909,  50  ff.  Zeugnisse.  —  Öfters  erscheint  am  Ende  des  7.  Jhs. 
das  Roß  (oder  zwei  Roßköpfe)  als  Attribut  der  geflügelten  Göttin, 
<lie  in  Sparta  Artemis  Orthia  hieß.  —  Über  Demeter  als  Roß  vgl. 
Crooke,  Folkl.  XXII,  1911,  200,  s.  auch  Farnell,  Cults  of 
Gr.  Stat  III,  50  ff. 

Über  Schaf  omina.  vgl.  Hunger  a.  a.  0.  6(i  ff.,  über  Schaf- 
opfer für  Unterirdische  Petersen,  Burgtempel  der  Athena  80  f., 
über  makedonisch  -  phiygische  Widdergötter  (Karanos ,  Gordios) 
A.  Reinach,  Rev.  et.  gr.  XXVI,  1913,  374,  der  ebd.  371  f. 
über  ihre  Ausgleichung  mit  Zeus  Ammon  spricht.  —  Über  den 
vordorischen  Widdergott  vgl.  Eitrem,    Vidensk.  Selsk.  Forhandl. 

1910,  no.  4. 

Über  das  Schivein  als  eine  Verkörperung  des  Korndämons 
handelt  Frazer,  Spirits  of  the  Com  I  (Golden  Bough  V  i)  298  ff. 
Ebd.  II  16  ff.  wird  die  Vermutung,  daß  Demeter  und  Persephone 
einst  in  der  Erscheinungsform  der  Sau  auftraten,  mit  der  Versenkung 
der  Schweine  an  den  Thesmophorien,  der  Sage  von  dem  Schweine- 
hirten Eubuleus  und  mit  der  Sitte  der  Athenerinnen  begründet,  an 
den  Thesmophorien  Schweinefleisch  zu  essen  (Seh.  Aristoph.  ßäzQ. 
338),  worin  er  eine  Verzehrung  der  Gottheit  findet.  Dieselbe  Fol- 
gerung zieht  Neustadt,  De  love  Cretico  53  f.  aus  der  theraiischen 
Inschrift  lg  J<xiAaTQ[o\g  (jtat?)  /[o](>[ag],  indem  er  annimmt,  daß 
die  Priesterin  nach  der  Göttin  hieß.  Mir  scheint  in  dieser  Amts- 
bezeichnung die  Erinnerung  an  einen  Regenzauber  vorzuliegen,  bei 
dem  das  Schwein  im  alten  Griechenland  große  Bedeutung  hatte 
(vgl.  auch  Pley,  De  lanae  in  antiquorum  ritibus  usu  |RVu.V  XI  2], 
S.  23  f.).  Bei  der  Erneuerung  der  Geburt  des  Regendämons  werden 
Frauen  in  Schweinefelle  gehüllt  oder  mit  anderen  Abzeichen  von 
Säuen  versehen,  den  jungen  Gott  genährt  haben.  Da  der  Dämon 
des  Regens,  der  zugleich  als  Geist  der  Fruchbarkeit  galt,  als  Sohn 
des  Himmels  und  der  Erde  betrachtet  wurde,  die  in  Demeter  ver- 
göttert war,  so  erklärt  sich,  daß  das  Schwein  gerade  in  den  Mythen 
und  Kulten  dieser  Gottheiten  fortlebt.  —  Bei  einem  anderen  Volk  als 
den  Griechen,  deren  Sprache  mit  dem  Anklang  von  veiv  an  vg  die 
Verwendung  des  Schweins  im  Regenzauber  nahelegte ,  ist  diese 
bisher  nicht  sicher  erwiesen.  —  Der  auch  bei  Griechen  (Wächter, 
Reinheitevorschr.  RV  u.  V  IX  1.  82  ff.)  sich  findende  Glauben,  daß 


Schwein  und  Wiesel  im  Volksglauben,  Kult  und  Mythos.        153 

das  Schwein  unrein  sei,  gehört  nicht  hierher,  zweifeln  läßt  sich 
aber  hinsichtlich  des  Ebers  in  der  Adonissage,  über  den  ausführlich 
V.  Baudissin,  Aclonis  und  Esmun  S.  142  ft'.  handelt,  ohne  zu 
sicherer  Entscheidung  zu  gelangen.  Bezeugt  ist  or  bekanntlich  erst 
bei  Nikandros  und  Biou,  und  wie  v.  Baudissin  hervorhebt,  scheinen 
ihn  Panyasis  (bei  Apollod.  III  185)  und  die  zur  Begründung  der 
Adonisgärten  erzählte  Legende  nicht  gekannt  zu  haben :  doch  be- 
sagt dies  nicht  viel,  da  durch  das  Beiwort  avayQog,  das  Dionysios 
TGF.  S.  793,  1  im  Adonis  gebraucht,  der  Tod  durch  den  Eber  bei- 
nahe ausdrücklich  bezeugt  ist.  Mit  Recht  weist  v.  Baudissin  auch 
darauf  hin,  daß  das  Schwein  wahrscheinlich  dem  Gott  Ninib  heilig 
war,  in  dessen  Monat  das  Tammuzfest  fiel  und  dessen  Stern 
Beteigeuze  im  Juni-Juli  das  Tammuzfest  bestimmte  (150  f.),  und 
daß  nach  einem  altägyptischen  Totenbuchkapitel  Set,  der  Gegner 
des  dem  Adonis  gleichgesetzten  Osiris ,  dem  Horos  als  schwarzes 
Schwein  erschienen  sei.  Eine  rationalistische  Umbildung  dieser 
Legende  ist  die  Sage,  daß  Typhon  bei  der  Saujagd  den  Sarg  des 
Osiris  gefunden  habe  (Plut.  Is.  8).  Demnach  haftet  wahrscheinlich 
der  Eber  in  der  orientalischen  Adonis-  und  der  mit  ihr  ausgeglichenen 
Osirissage  seit  alter  Zeit  fest,  und  es  ist  nicht  ausgeschlossen,  daß 
in  der  Zeit  der  größten  Hitze,  wenn  man  den  Tod  des  Gottes  be- 
klagte, Schweine  zur  Abwehr  der  Dürre  geschlachtet  wurden,  und 
daß  als  Erklärung  für  diesen  ßegenzauber  die  Legende  von  der 
Tötung  des  Adonis  durch  den  Eber,  die  Benennung  des  durch 
seinen  Frühaufgang  den  Tag  des  Tammuzfestes  bestimmenden 
Sternes  nach  dem  Gott  Ninib  und  die  Zuweisung  des  Schweines 
an  diesen  aufkamen.  Alsdann  wäre  der  Anklang  von  rg  an  reiv  ein 
Zufall,  den  begreiflicherweise  die  Sage  benutzte. 

Die  Vorstellung,  daß  das  Wiesel  durch  das  Ohr  empfängt 
und  durch  den  Mund  gebiert,  die  schon  Aristoteles  n.  tiocov  yeve- 
asojg  III  6 ,  S.  756,  ^  33  gekannt  und  richtig  erklärt  zu  haben 
scheint,  bezieht  Eisler,  Weltenmantel  und  Himmelszelt  I,  190,  2, 
auf  die  gewöhnlich. als  stoisch  betrachtete  Mysterienvorstellung  vom 
aneofxaxrAog  Xöyog.  Er  vergleicht  die  christliche  Vorstellung  von 
der  Jungfrau  Maria,  die  den  Herrn  bei  der  Verkündigung  durch 
das  Ohr  empfangen  habe,  und  eine  orphische  Lehre,  die  er  aus  dem 
von  Chrysipp  bei  Orig.  Kilo.  IV  48,  S.  540  und  Klem.  o^il.  V  18 
erwähnten  Bild  erschließt.  Warum  diese  Vorstellung  auf  das  Wiesel 
übertragen  wurde,  bleibt  dunkel. 

Über  den  Wolf  ^Xb  Korndämon  s.  Frazer,  Spirits  of  the 
Com    (Golden    Bough    V)i  271ff. ;    als    Tier    des    Hades   will    ihn 


J54  Wolf  im  Volksglauben,  Kult  und  Mythos. 

Ducati,  Rendi  conti  RAL  Vxix.  1910,  1(31  ff",  nicht  bloß  bei 
Griechen  (/.tJ'f'»^ ,  Kerberos,  Zeus  y/rxaiog),  sondern  auch  bei 
Italikern  (8oi*anus),  Etruskern  (Vb.  mit  dem  Opfer  des  Odysseus) 
und  Galliern  erweisen;  andere  Beispiele  für  diese  Vorstellungen 
sammelt  Marie  Pancrizius,  Anthropos  VIIT,  1913,  87;>  ff.  — 
Anziani,  Mel.  d'arch.  et  d'hist.  (Ec.  fran9.  de  Rome  XXX,  1910), 
257  bespricht  den  "Wolf  oder  wolfsküpfigen  oder  mit  Wolfskopf 
am  Haupt  bedeckten,  manchmal  mit  den  Vorderfüßen  eines  Pferdes, 
aber  mit  Löwenklauen  versehenen  Menschen,  der  auf  fünf  etrus- 
kischeu  Reliefs  durch  einen  Priester  exorzisiert  und  von  Kriegern 
angegriffen  wird.  Die  Beziehung  dieser  frühestens  dem  3.  Jb. 
entstammenden  Reliefs  auf  die  Entzauberung  von  Odysseus'  Ge- 
fährten, auf  Lykaon,  auf  Euthymos,  auf  das  Ungeheuer  Volta,  das 
Volsinii  verwüstete,  wird  abgelehnt;  der  Wolf  soll  ein  Symbol  des 
Totenreichs  sein.  —  Die  Wölfe  der  Sage  von  Lykoreia  sind  nach 
Gunning,  De  Ceorum  antiqu.  fab.  85  Lykier,  die  den  Kult  der 
Korj'kischen  N\Tnphen  von  Kleinasien  nach  dem  Parnaß  ver- 
pflanzten. —  Die  Lykaia  sind  nach  S.  Reinach,  Cultes,  myth., 
relig.  III  211  das  Fest  eines  Clans,  bei  dem  die  Gläubigen  sich 
mit  Wolfsfellen  bekleideten  und  für  Wölfe  hielten.  —  Die  Wölfin 
in  der  Romulussage  stammt,  wie  Soltau.  Arch.  f.  Religionswiss. 
XII,  1909,  117  ff.  aus  dem  alten  kampanischen  Didrachmon  mit  der 
Wölfin,  die  sich  nach  den  saugenden  Kindern  umsieht,  und  der 
Aufschrift  ROMANO  folgert,  aus  einer  hellenistischen  Sage  Cam- 
paniens,  dessen  Städte  sich  in  der  Zeit  der  Samniterkriege  mit 
Rom  verbündet  hatten  und  von  Rom  gegründet  sein  wollten.  Die 
Miletossage  soll  Vorbild  gewesen  sein.  Erst  von  Campanien  aus, 
wo  die  genannte  Münze  die  Sage  schon  für  das  4.  Jli.  bezeugt, 
kam  diese,  wie  Soltau  meint,  nach  Rom  selbst,  wo  die  Aedilen  Q. 
und  Cn.  Ogulnius  296/5  der  alten  als  Apotropaion  am  Lupercal 
stehenden  Wölfin  die  Stadtgründer  als  Säughnge  unterschoben 
(Liv.  X  23,  12).  Daß  die  Wölfin  in  der  Gruppe  des  Lupercal 
älter  sei  als  die  Knaben,  hatte  schon  vorher  A.  Dieterich  erkannt.  — 
Über  die  Bedeutung  des  Wolfes  im  Kultus  s.  W.  F.  Otto,  Philol. 
LXXII,  1913,178ff.  — Der  Tyem'oZ/saberglauben,  für  den  J.Klapper, 
Mitt.  der  Schles.  Ges.  f.  Volksk.  XII,  1910,  183  neue  Beispiele 
aus  Schlesien  und  Rumänien  und  Frazer,  Balder  the  Beautiful 
(Golden  Bough  VII) i  808  andere  Parallelen  anführen,  nach  denen 
die  dem  Verwandelten  zugefügten  Verwundungen  sich  bei  dem 
Menschen  nach  seiner  Rückverwandelung  zeigen,  ist  nach  Stewart, 
Zeitschr.  des  Vereins  für  Volksk.  XIX,   1909,  30  daraus  entstanden, 


Wolf  und  Ziege  im  Volksglauben,  Kult  und  Mythos.  155 

daß  man  sich  der  Kälte  wegen  oder  um  auf  der  Jagd  zu  täuschen, 
in  eine  Wolfshaut  hüllte.  Wertvoller  als  diese  Vermutung  ist  der 
ausführliche  Nachweis  (50  A.  58)  der  germanischen  Bezeichnung 
des  Geächteten  als  Wolf,  die  auch  für  das  Altgriechische  sich 
erschließen  läßt  und  mehrere  griechische  Wolfsmythen  erklärt.  — 
Über  Darstellungen  der  einen  Menschen  verschlingenden  Wölfin  in  der 
gallisch-römischen  Kunst  s.  G,  Welter,  Rev.  arch.  IVxvii,  1911', 
55  fF.  S.  Reinach  hatte  in  ihnen  ein  Bild  der  Todesgottheit  ver- 
mutet. 

Über  Ziege  und  Bock  als  Erscheinungsformen  des  Kom- 
dämons  s.  Frazer,  Spirits  of  the  Com  (Golden  Bough  V)i  281  flf., 
über  das  Verbot  der  Zü'ffenopfer  Wächter,  Reinheitsvorschr. 
(RVu.  V,  IX  1,  1910),  S.  87  ff.  —  Weil  man  Ziegen  und  Böcken 
eine  die  Fruchtbarkeit  der  Frauen  mehrende  Wirkung  zuschrieb, 
verwendeten  die  Römer  nach  Schmidt,  Geburtstag  im  Altert. 
(RV  u.  V,  VII,  I),  122  f.  ihr  Fell  im  lunokult  und  bei  den  Luper- 
ealien. Durch  die  Ziege  wurde  Zeus  nach  Neustadt,  De  love 
Cretico  40  f.  wahrscheinlich  schon  nach  altkretischer  Sage  ernährt, 
infolge  einer  Vermischung  dieses  Mj'thos  mit  einem  arkadischen 
wurde  er  Milchbruder  des  Aigipan  (25).  Olenisch  heißt  die  Ziege 
wahrscheinlich  nach  der  Stadt  in  Achaia,  wo  Aigai  und  Aigion  die 
Bedeutung  des  Ziegenkultus  erweisen  (29).  Die  Ziege  war  ein 
Symbol  der  Fruchtbarkeit  (42) ,  besonders  in  Kreta ,  wo  es  so 
viele  Ziegen  gibt  und  wo  auch  zahlreiche  Darstellungen  von 
Ziegen  gefunden  werden.  Der  kretische  Zeus  und  Amaltheia 
waren  nach  Neustadt  Fruchtbarkeitsdämonen  (43).  —  Die  Vor- 
stellung der  aiyig  oder  Irta  gehört  nach  A.  J.  Rein  ach,  Rev. 
hist.  rel.  LXI,  1910  S  222  der  Zeit  an,  in  der  die  Götter  noch 
Tiergestalt  hatten  und  noch  in  ihi'en  Wäldern ,  auf  der  Erde 
wohnten.  Die  Indogermanen,  die  zu  himmlischen  Göttern  beteten, 
führten  den  ehernen  Rundschild  ein,  der  mit  seinen  konzentrischen 
Kreisen  oder  seinen  vom  Mittelpunkt  ausgehenden  Strahlen  an  die 
Sonne  erinnerte  und  als  ihr  Symbol  galt.  Dagegen  liegt  der  Aigis 
(202)  die  libysche  xa(t)r^/a,  caetra  zugrunde,  die  auch  später  noch 
im  libyschen  „^^/iew«"-(Neith-)kultus  verwendet  wurde.  —  ApoUon 
mit  einem  Ziegenkopf  in  der  rechten  Hand  zeigt  eine  Münze  von 
Tylissos  auf  Kreta,  über  die  Mars  hall,  Journ.  Hell.  Stud.  XXIX, 
1909,  156  f.  unter  Vergleichung  einer  Bronzestatuette  mit  boiotischer 
Inschrift  handelt;  Aly,  Berl.  Phil.  Wochenschr.  XXXIV,  1914. 
1551  f.  vergleicht  Veiovis  und  hält  die  Ziege  hier  für  das  Sinnbild 
des  Todes.  —  Über  den  Ziegenbock  im  Dionysoskult  s.  Frazer, 


15t)  Ziege  und  Axt  im  Volksglauben,  Kult  und  Mythos. 

The  Spirits  of  the  Corn  (Golden  Bough  Y^)u  1  ff.  und  Farn  eil, 
Hermath.  XVII,  1913,  21  ff.  —  Nissen,  Orientat.  147  weist 
darauf  hin,  daß  der  athenische  Dionysostempel  fv  ^^i'firatg,  wie 
ihn  Dürpfeld  nennt,  genau  in  der  Richtung  des  Frtihunterganges 
der  Capella  im  Dezember  liege.  —  Über  die  Ziege  im  Dienste  der 
Inno  und  das  amiculum  Tunonis  der  Lujierci,  das  aus  Ziegenfellen 
gemacht  wurde,  s.  W.  F.  Otto,  Philol.  LXXII,  li)13,  182,  der 
annimmt,  daß  das  Bocksopfer  erst  nachträglich  zu  dem  alten  Hunde - 
o{)fer  des  Luperealienfestes  hinzugetreten  sei. 

Abzeichen  von  Menschenhand. 

Axt,  Doppelaxt.  Cook,  The  Cretan  Axe-Cult  outside  Crete, 
Transact.  3.  Internat.  Congr.  Hist.  Relig.  1908,  II  184  ff",  erinnert 
an  das  beilähuliche  äg\^ptische  Zeichen,  das  den  Begriff  „Gott" 
ausdrückt,  und  an  den  Priester  der  Doppelaxt,  der  zweimal  in  der 
fünften,  einmal  in  der  26-  Dynastie  erwähnt  wurde,  ferner  an  Hadad 
Ramman  und  Marduk ,  die  ein  Beil  als  Symbol  haben ,  an  die 
axinomantia  der  magi  (Plin.  n.  h.  XXXVI  142),  an  das  Beil  von 
Tenedos ,  an  das  sub  ascia  dedicare  vieler  Grabinschriften  von 
GaUia  Lugdunensis,  in  denen  schon  0.  Hirschfeld  ascia  als  Symbol 
einer  Schutzgottheit  gefaßt  hatte,  endlich  an  die  Runeninschriften 
mit  Thors  Hammer.  Die  Axt  soll  den  Donnergott  bezeichnen.  — 
Vieles  Ahnliche  sammelt  und  stellt  in  größeren  Zusammenhang 
Blinkenberg,  The  Thunderstone  in  Religion  and  Folklore, 
A  Stud}-  in  Comparative  Archaeol.  (Cambridge  Archaeol.  and 
Ethnol.  Ser.)  Cambr.  1911  (.<?.  o.  HS),  der  als  die  Ursache  des 
Glaubens  an  das  Blitzbeil  bloß  die  zerstörende  Wirkung  des  Blitzea 
betrachtet.  Ursprünglich  sollte  es  eine  Stein-,  später  eine  Bronze- 
axt sein,  und  zwar  in  Assyrien  und  bei  den  Chetitern  eine  einfache 
Metallaxt ,  in  Kleinasien  und  auf  den  benachbarten  Inseln  eine 
Doppelaxt.  Dies  Sj-mbol  gelangte  nach  Blinkenberg  auf  unbekannten 
Wegen  nach  Nordeuropa,  wo  an  die  Stelle  der  Doppelaxt  z.  T. 
wieder  der  Hammer  oder  die  einfache  Axt  trat.  —  Blinkenbergs 
Sammlungen  ergänzt  A.  Rein  ach,  Rev.  hist.  rel.  LXVI,  1912^, 
272,  der  die  Heiligkeit  der  Doppelaxt  in  Kreta  aus  einer  Anbetung 
der  Waffen  erklärt.  Vgl.  auch  Lagrange,  La  Crete  ancienne 
79  ff.,  der  wie  Blinkenberg  die  Ursache  für  die  Verwendung  des 
Beils  als  Zeichen  für  den  Blitz  in  dessen  zerstörender  Wirkung 
sieht.  Aber  der  Hinweis  auf  die  Verehrung  von  Waffen  als  Fe- 
tischen bei  Blinkenberg  39  f.  erklärt  nicht ,  warum  man  sich  den 
Blitz    gerade    als  Beil    vorstellte,    und    daß    man   es,    wie  Lagrange 


Axt,  Besen,  Dreizack  im  Volksglauben,  Kult  und  Mythos.       I57 

meint,  deshalb  tat,  weil  er  wie  eine  Axt  einen  Baum  .spalten  kann, 
ist  deshalb  nicht  anzunehmen,  weil  statt  ihrer  auch  der  Hammer 
eintritt.  Vielleicht  benutzte  man  im  zweiten  Jahrtausend  Steinbeil 
und  Steinhammer  als  Feuerzeug  und  gab  ein  solches  auch  dem 
himmlischen  Feuerzünder  in  die  Hand.  —  In  den  bisher  genannten 
Arbeiten  wird  der  Zusammenhang  zwischen  Blitz  und  Beil  als 
sicher  augesehen.  Ö.  Wide,  Sertum  philolog.  C.  F.  Johannson 
oblat.  1910,  S.  66  hebt  aber  hervor,  daß  das  Altertum  von  dieser 
Bedeutung  nichts  weiß.  Schließlich  kommt  freilich  auch  er  zu 
einer  ähnlichen  Auslegung:  mit  der  Axt,  meint  er,  schlägt  man  an 
dem  Baum  Feuer,  daher  galten  die  Vögel,  denen  man  eine  Axt 
zuschrieb,  wie  der  Specht  (ne'/.ey.dv)  und  die  ihm,  was  fälschlich 
aus  Diou.  Halik.  I  114  herausgelesen  wird,  für  verwandt  gehaltene 
Taube  als  Blitzvügel  (vgl.  0.  iS.  Ido).  —  E.  Siecke,  Götterattribute 
167  ff.  erklärt  Axt,  Beil  und  Hammer  als  Bilder  für  den  noch  nicht 
vollen  Mond.  —  Der  schwedische  Altertumsforscher  0.  v.  Mon- 
telius  betrachtet  in  seinem  Aufsatz  The  Sun-Gods  Axe  and  Thors 
Hammer,  FoUdore  XXI,  1910,  60  If.  die  Axt,  das  Beil,  den  Hammer 
zwar  ebenfalls,  als  Sinnbild  des  Blitzes,  glaubt  aber,  daß  der  Blitz- 
gott zugleich  als  Sonnengott  gefaßt  wurde ,  da  die  Pferde  des 
Sonnengottes  (nach  Eumelos)  bei  Hyg.  f,  183  Bronte  und  Sterope 
heißen.  —  Die  thessahschen  Mzz.  aus  Lai-isa  mit  dem  Doppelbeil, 
die  gewöhnlich  als  charakteiüstisch  für  Alexander  von  Pherai 
gelten,  bezieht  Dieudonne,  Melanges  num.,  Paris,  S.  202  auf 
Dionysos  IIels/.vg  von  Pagasai,  da  die  Doppelaxt  lange  vor  Alexander 
ein  thessalisches  Landwappen  gewesen  sei.  —  Über  die  Doppelaxt 
in  der  Bronzezeit  und  in  der  geschichtlichen  Periode  spricht 
Br.  Schremmer,  Labarum  und  Steinaxt,  Tübingen  1911,  S.  25  ff. 

Über  den  Besen  im  antiken  und  neueren  Aberglauben  vgl. 
E.  Fehrle,  Hess.  Blatt,  f.  Volksk.  XI,  1912,  215  ff. 

In  dem  Dreizacli  sehen  Blinkenberg,  C.  Fries,  Die 
griechischen  Götter  und  Heroen  1911,  iGSff.  und  Jane  Harrison, 
Class.  Rev.  XXVI,  1912,  197  ein  Blitzabzeichen.  M.  E.  läßt  sich 
in  der  Tat  die  Entstehung  dieses  Symbols  aus  der  schon  in  der 
assyrischen  und  chetitischen  Kunst  geschaffenen  Form  des  Blitzes 
nachweisen.  Zwar  hält  Tillyard,  Essays  and  Studies  presented 
to  ßidgewa}-  1913  186  wegen  eines  sf.  Vasenbildes  doch  die  ältere 
Auffassung  für  wahrscheinlich  richtig,  daß  er  ein  Fischereigerät 
war;  aus  einem  Vb.  aus  der  Mitte  des  6.  Jhs.  läßt  sich  aber  kaum 
ein  Zeugnis  für  die  ursprüngliche  Bedeutung  des  Meergottes  ent- 
nehmen. —  Nach  Siecke,    Götterattribute  196    ist    der   Dreizack 


158  Attribute  und  Symbole  von  Menschenhand. 

eine  für  den  später  als  Meergott  gedeuteten  Poseidon  zurecht  ge- 
machte Form  des  Zepters,  das  der  am  Himmel  gebietende  Mond- 
gott fiüirt. 

Die  Fackel  ist  nach  He  b  er  de  y,  Forsch,  in  Ephesos  II  iv 
zu  uo.  20.  3.  17,  S.  112  bezeichnend  für  den  chthonischen 
Charakter  der  Gottheit;  s.  dagegen  Ch.  Picard,  Rev.  de  phi]. 
XXXVII,  1913,  89. 

Über  die  Bedeutung  des  Kranzes  in  Mysterien,  z.  B.  den 
eleusinischen,  den  Isis- (Apul.  M.  XI  24)  und  den  Mithras-(Tertull. 
cor.  15  a.  E.;  praescr.  haer.  40)mysterien  s.  Wetter,  Phos,  Skr. 
Kungl.  Hum.  Vetensk.  Samf.  üppsala  XVII  lG8iF.  In  den  alt- 
griechischen Mysterien  handelt  es  sich  um  einen  Blumen-,  in  den 
hellenistischen  um  einen  Lichtkranz,  der,  ursprünglich  real  genommen, 
der  Strahlenkranz  des  Sonnen-  oder  Mondgottes  war  und  sich  in 
dieser  Bedeutung  am  reinsten  im  Mandäismus  erhalten  hat.  Aus 
orientalischen  Kulten  soll  er  in  die  hellenistischen  Mysterien  ge- 
kommen sein. 

Kynih a1  on  und  Tympanon  drangen  nach  Leonhard,  Nea- 
polis  II,  1914,  7(3  f.  aus  Kleinasien    in   die  Dionysosmysterien  ein. 

Lanze  s.  u.  {„Waffe"'  IGl). 

Mantel  und  andere  Kleider.  M.  Gotjiein,  Arch.  f.  Reli- 
gionswiss.  IX,  1906,  337  verfolgt  die  Vorstellung  von  dem  Gewand 
der  Physis,  auf  dem  die  Abbilder  der  Dinge  eingestickt  oder  ge- 
webt sind,  von  Pherekydes  und  den  Orphikern  bis  zu  Hans  Sachs ; 
sie  beginnt  und  schließt  mit  einem  Ausblick  auf  Goethes  „lebendiges 
Kleid"  der  Gottheit.  Auf  die  wichtige  Frage,  ob  bei  Pherekydes 
das  Gewand  die  Dinge  selbst  oder  deren  Ideen  enthielt,  wird  nicht 
eingegangen.  Ausführlich  behandelt  denselben  Gegenstand  Hob  er t 
Eisler,  Weltenmantel  und  Himmelszelt,  ßeligionsgeschichtliche 
Untersuchungen  zur  Urgeschichte  des  antiken  Weltbildes,  2  Bde., 
München  1910,  der  (I  55)  seiner  Vorgängerin  den  Vorwurf  macht, 
daß  sie  wegen  Nichtbeachtung  der  monumentalen  Überlieferung  und 
der  Schriftiiuellen  des  Morgenlandes  ein  mystisches  Bild  von  tiefstem 
Anschauungsgehalt,  ja  die  Urform  mystischer  Welterfassung,  das 
Gleichnis  selbst,  blindlings  mit  hergebrachten  Lückenbüßern  schil- 
derungssüchtiger Gedankenarmut  mit  abgeschliflfenen,  von  Hand  zu 
Hand  gehenden  literarischen  Metapherfloskeln  verwechsele.  Aus- 
gehend vom  Himmelsmantel  Kaiser  Heinrichs  IL  im  Domschatz  zu 
Bamberg  (I  5),  den  er  von  der  Staatstracht  der  römischen  Kaiser 
herleitet,  versucht  Eisler  (51  flP.)  den  Nachweis,  daß  die  Auffassung 
des    Himmels    als    Göttermantel    kein    frei    erfundenes    Mythenbild, 


Attribute  und  Symbole  von  Menschenhand.  159 

sondern  aus  Kultsymbolen  abgeleitet  sei ,  Babylonier ,  Eranier, 
Phoiniker  und  Äg}-pter,  Griechen  und  selbst  Germanen  kennen  die 
Gottheit  im  Sternenkleid,  das  die  christliche  Kunst  auch  dem 
Heiland  und  der  Madonna  gibt  und  das  sich  bei  zahlreichen  er- 
haltenen Denkmälern  wie  in  literarischen  Erwähnnngeu  findet.  In 
den  folgenden  Kapiteln,  die  den  größeren  Teil  des  Buches  aus- 
machen, ist  der  Faden  der  Gedankenführung  schwer  nachzuweisen 
und  die  Ergebnisse  sind  z.  T.  ungreifbar;  hier  kann  nur  angeführt 
werden,  daß  der  Verfasser  ausführlich  auf  die  Kosmogonien  des 
Pherekydes  (11  321)  und  anderer  griechischer  Denker  sowie  auf 
die  orphische  Theogonie  (392  ff.)  eingeht. 

Valentin  Kurt  Müllers  auf  Anregung  von  Löschcke  ent- 
standenes Werk  Der  Polos ^  die  gi-iechische  Götterkrone,  Berl. 
1915,  muß  hier  nur  deshalb  genannt  werden,  weil  der  Verfasser 
nachweist,  daß  der  Polos  keine  symbolische  Bedeutung  hat  (19), 
sondern  ein  alter,  auch  in  der  chetitischen  Kunst  auftretender, 
vorzugsweise  weiblicher,  aber  auch  von  Göttern  (25)  und  der  Sphinx 
getragener  Kopfjiutz  war,  der  von  den  Griechen  übernommen,  ihnen 
aber  außerdem  am  Ende  der  geometrischen  Zeit  auch  durch  die 
starke  orientalische  Welle  (24)  zugeführt  wurde.  Er  wird  damals 
nicht  mehr  verstanden  und  deshalb  umgedeutet ;  es  entwickeln  sich 
daraus  z.  B.  die  Mauerkrone  und  der  yidla&og-^  in  der  klein- 
asiatisch-sj'rischen  Kultur  ist  die  Federkrone  beliebt,  aus  der  sich 
die  Zackenkrone,  wie  auch  Müller  (20)  anzunehmen  scheint,  ent- 
wickelt haben  wird. 

Über  das  Rad  des  Himmelsgottes  als  Symbol  des  Donners 
s.  Goblet  d'Alviella,  Croyances,  rites,  institut.  I  100,  der  von 
der  Statue  des  Blitzschleuderers  von  Chätelet  (Haute  Marne)  aus- 
geht.—  Siecke,  Götterattrib.  241  ff.  sieht  in  Rad  und  Wagen  ein 
Abbild  des  Mondes. 

Über  Hinge,  die  dem  Besitzer  Zauberkräfte,  insbesondere 
die  Gabe  verleihen  sollten ,  sich  bei  allen  Menschen  beliebt  zu 
machen,  s.  L.  Eaderm acher,  Wien.  Stud.  XXVI,  1914,  324. 

Die  Säule,  nicht  der  Epheu,  mit  dem  sie  an  Festtagen  um- 
rankt wurde,  war  nach  Robert,  GGA  1913,  370  ursprünglich 
Fetisch  des  Dionysos  nEQiy.i6viog. 

Über  die  Bedeutung  der  Sandale  bei  der  Hochzeit  als  An- 
deutung des  neuen  Lebensweges ,  den  die  Vermählten  antreten, 
s.  H.  Blümner,  Festgabe  für  Gerold  Mej^er  von  Kronau  S.  6  f.  — 
Eine  Sandale  auf  einem  Votivrelief  an  Asklepios  hat  nach  -j-Byzan- 
tinos,  Brit.  Seh.  of  Ath.  XI  1904/5,  S.  140  ff.  vielleicht  nur  den 


j(5()  Künstliche  Attribute  und  Symbole. 

Grund,  daß  der  Dedikant  durch  eine  Sandale  gegen  einen  Schlangen- 
biß geschützt  war.  —  Nach  Eitrem.  Christ.  Vidensk.  Selsk.  Forh. 
1909,  V  44  ist  die  Sandale  ein  Abzeichen  sowohl  des  Phallos  wie  des 
cunnus  und  hatte  daher  aphrodisische,  sepulkrale  und  apotropäische 
Bedeutung. 

Die  Schere  wurde  iler  argi vischen  Hera  nach  Eitrem. 
Philol.  LXXII,  1913,  444  nicht  als  einer  Eileith^-ia  gegeben, 
sondern  weil  die  Bräute,  deren  göttliches  Gegenbild  sie  war,  sich 
die  Haare  schoren. 

Sehild  s.u.  („Waffen"   S.  162). 

Über  das  Symbol  des  Schleiers  handelt  M.  v.  Oppen- 
heim, Der  Teil  Halaf  und  die  verschleierte  Göttin,  Leipz.  1908, 
36  ff.  aus  Anlaß  einer  von  ihm  in  Mesopotamien  gefundenen  Göttin 
(Aschur). 

Mannigfachen  Aberglauben  in  bezug  auf  den  Si)  iegel  sammelt 
E.  Fehrle,  Alemannia  III  iv,   1912,   18. 

Über  die  Spindel  als  Abzeichen  orientalischer  Göttinnen 
(Atargatis,  Istar,  Kybele)  s.  Fred.  Poulsen,  Der  Orient  und  die 
frühgriechische  Kunst  101 ,  der  dies  Sjonbol  nicht  m.  R.  der 
griechischen  Artemis  abspricht.  —  Die  Spindel,  um  die  in  Delos 
die  den  Hyperboreierinnen  geweihten  Haare  gewickelt  wurden 
(Herod.  4,  34),  hatte  Nilßon  als  Ersatz  für  einen  Zweig  be- 
trachtet. Macurdy,  Transact.  Amer.  Phil.  Assoc.  XLIII,  1912, 
76,  der  m.  R.  in  dem  Kult  Elemente  der  thrakischen  Arte- 
mis sieht  und  das  spinnende  Riesenweib  vergleicht,  das  nach 
Kallinikos  v.  Hypat.  180  in  Bithynien  am  Kalathosfest  der  Artemis 
begegnet  und  das  doch  wohl  die  Göttin  selbst  vorstellt,  hält  die 
Spindel  für  ein  Attribut  weiblicher  Feld-   und  Waldgeister. 

Stfih.  „Über  das  Kerykeion"  ist  der  Titel  einer  Dissertation 
von  Boetzke,  Münster  1913.  —  Über  die  ägyptische  Vorstellung, 
nach  welcher  der  Stab  als  Sitz  und  Verkörperung  des  Gottes  Thot 
galt,  s.  Spiegelberg,  Rec.  de  trav.  rel.  ä  la  phil.  et  ä  Tarch. 
XXVIII,  1906,  164.  —  Über  das  Zepter  als  Feti.sch  des  the- 
banischen  Dionysos  s.  Robert  GGA,  1913,  369;  vgl.  Dionysos 
Kadfislog  (rigayai/..  1911,  151  A.)  oder,  wie  bei  Paus.  IX  12.  4 
besser  überliefert  ist.  hdduoi:  mit  Hesych.  y.ddfAOQ'  doQV,  locpog, 
doTtig.  Kgr^TEg. 

Tympanon  s.  Kymbalon. 

Über  die  Waffen  als  Fetische  und  Hoplolatrie  handelte  A. 
R  e  i  n  a  c  h  in  einem  Vortrag  auf  dem  Archäologenkongreß  in  Kairo 
1909  (vgl.  Rev.  hist.  rel.  LIX,  1909,  232  f  und  ausführlicher  Rev. 


Waffen  im  Volksglauben,  Kult  und  Mythos.  1(>1 

d'ethnogi'.  et  de  sociol.  IV,  1913,  225  f.).  Der  Verfasser  will 
zeigen,  daß  die  Rüstung  als  dämonisch,  als  von  einem  geheimnis- 
vollen ,  gefährlichen  Wesen  erfüllt  galt ,  und  daß  deshalb  bei  den 
Römern  die  erbeuteten  Waffen  zwar  aufbewahrt,  aber  nur  im 
äußersten  Notfall  wieder  benutzt  wurden.  Daraus  erklären  sich  nach 
A.  Reinach  einerseits  die  Waffenweihe,  vgl.  u.  {Kriegsopfer),  anderer- 
seits die  Anbetung  der  eigenen  Waffe  und  die  Verehrung  der 
Doppelaxt  in  Ea-eta,  Karien  und  Kommagene,  ferner  die  Sagen  von 
dem  unfehlbaren  Pfeil  des  Zamolxis  und  des  ApoUon,  dem  krummen 
Säbel  des  skythischen  Ares,  der  Lanze  des  Quirinus,  die  früher  an- 
gebetet wurden  als  ihre  nachträglich  dazu  erfundenen  Träger.  — 
Bei  den  Römern  sind,  wie  A.  J.  Reinach,  Rev.  hist.  rel.  LV,  1907  *, 
;544  meint ,  Picumnus  der  Vertreter  der  Schneide ,  Pilumnus  (vgl. 
pilum)  der  Vertreter  der  zum  Zerstoßen  dienenden  Waffe ;  in 
diese  beiden  Gattungen  sollen  in  Rom  alle  Waffen  und  Küchen- 
geräte zerfallen  und  deshalb  mit  ihnen  bei  Entbindungen  die  bösen 
Geister  abgewehrt  sein.  —  Über  vergötterte  Waffen  handelt 
Paffrath,  Zur  Götterlehre  in  den  altbabjdonischen  Königsinschr. 
(Stud.  z.  Gesch.  u.  Kultur  d.  Altert.  VI,  5/6)  1913,  61.  —  In 
Griechenland  entspricht  die  Anbetung  der  Waffe  des  Kaineus. 
Parthenopaios  und  Idmon ,  die  bei  ihrer  Lanze  schwören ,  Aisch. 
kma  529;  Ap.  Rhod.  I,  466;  vgl.  Seh.  468,  die  Rose,  Journ. 
Rom.  Stud.  III,  1913,  287  mit  den  römischen  Sondergöttern  ver- 
gleicht, während  v.  Wilamowitz,  Aisch.  99,  2  bezweifelt,  daß 
aus  dem  Eid  bei  der  Lanze  deren  Verehrung  gefolgert  werden 
dürfe.  —  Aus  der  Heiligkeit  der  Lanze  erklärt  A.  J.  Rein  ach, 
Rev.  bist.  rel.  LV,  1907^,  317  ff.  die  Zeremonie  an  den  Pila  Hora- 
tia  oder  dem  Sororium  tigillum.  Zwei  oben  verbundene  Lanzen 
(Balken)  sollen  Abzeichen  der  Inno  Sororia  und  des  lanus  Curiatius 
gewesen  sein.  Den  3  lanusdurchgängen  (dem  Sororium  tigillum 
und  den  pila  Horatia),  welche  primitive  Türpfosten  darstellen,  ent- 
sprechen nach  Reinach  die  doppelten  Drillinge  der  Sage  von  den 
Curiatii.  Später  wurde  das  „Lanzentor"  zum  „Kriegstor".  Vgl.  u. 
{S.  187  a.  E.).  —  Linke,  Götterattrib.  232  ff.  bezieht  Lanze  und 
Pfeil  auf  die  Mondstrahleu.  —  Aus  dem  römischen  Bi'auch ,  eine 
Lanze  bei  der  Kriegserklärung  auf  den  feindlichen  Boden  zu  werfen, 
und  sie  bei  der  Devotion  zu  berühren,  folgert  S  c  h  w  e  n  n  ,  Menschen- 
opfer bei  Griech.  u.  Rom.,  RV  u.  V  XV  3,  1915,  144,  daß  die 
Lanze  als  Verkörperung  oder  Sitz  des  Gottes  galt.  —  Über  die 
•  Sitte,  eine  Lanze  auf  dem  Grabe  des  Getöteten  zu  errichten,  s. 
Svoronos,    Journ.    internat.    d'arch.    numism.   XVI,    1914,    241. 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  186  (Snppleiiientband).  11 


162  Waffen  im  Aberglauben,  Kult  und  Mytlios. 

der  eine  solche  Lanze  auf  dem  Krater  Medici  erkennt  und  ebd. 
102  mit  der  Aufpflanzung  der  Lanze,  die  noch  jetzt  in  Attika  zum 
Schutz  gegen  die  Kallikantzaren  üblich  sei,  die  aivkig,  das  Banner 
auf  der  .iQt'ftvij  der  Schiffe,  und  dtis  heilige  redende  Holz  von  der 
dodonaiischen  Eiche  auf  der  Argo  vergleicht.  —  Die  in  und  bei 
der  idaiischen  Zeusgrotte  und  am  Zeustempel  von  Paläkastro  ge- 
fundenen Schilde,  über  die  Fr.  Poulsen,  Der  Orient  und  die 
frühgriech.  Kunst  77  handelt,  sind,  wie  schon  die  Herstellung  aus 
dünnem  Bronzeblech  vermuten  ließ,  großenteils  nicht  für  den  Kriegs- 
gebrauch geeignet  gewesen  und  den  Votivschilden  im  elischen 
Buleuterion  (Paus.  VI,  23,  7)  zu  vergleichen.  Sie  sind  entweder 
wie  die  an  der  Idahöhle  zugleich  gefundenen  phoinikischen  Bronze- 
schalen und  zwei  Fayencefiguren  vei'muten  lassen,  von  Phoinikern 
eingeführt  oder  wenigstens  nach  phoinikischen  Vorlagen  gearbeitet, 
die  ihrerseits  assyrisches  Gepräge  hatten  (S.  82).  —  Thiersch, 
Arch.  Anz.  XXVIII,  1918,  47  vermutet,  daß  sie  z.  T.  gar  nicht 
Schilde  darstellen,  sondern  Tympana  und  Kymbala  mit  Rücksicht 
auf  die  Kuretentäuze.  —  Als  Blitzabzeichen  ist  der  Schild  nach 
A.  J.  Reinach,  Rev.  bist.  rel.  LX,  1909 2,  336  ein  Mittel  im  Ab- 
wehrzauber geworden.  Die  Kureten  trugen  (ebd.  LXI,  1910  ^  197  ff.) 
ursprünglich  den  Weidenschild ;  dieser  wurde  erst  mit  Metall  be- 
schlagen, dann  ganz  aus  diesem  gefertigt ;  daher  soUen  gegen  Ende 
des  zweiten  Jahrtausends  die  Kureten  Schmiede  geworden,  jedoch 
der  nach  dem  Weidenschild  genannte  Itanos  Kuret  geblieben  sein.  — 
Gegenüber  der  noch  immer  bestehenden  Neigung,  den  Waffeutanz 
der  Saber  mit  dem  der  Kureten  zu  vergleichen,  halten  Wissowa. 
Rel.  d.  Rom.  ^  144  und  Fowlor,  Relig.  Exper.  Rom.  People  97  daran 
fest,  daß  arma  movere  und  condere  nichts  bedeutete,  als  den  Be- 
ginn und  das  Ende  der  Kriegszeit.  —  Nach  C.  Fries,  Griech.  Gött> 
u.  Heroen  233  ist  das  ancile,  wenn  es  kreisrund  war,  ein  Abbild  der 
Sonne,  dagegen,  wenn  es  zwei  Einbuchtungen  hatte,  also  gewisser- 
maßen aus  zwei  durch  einen  Querbalken  verbundenen  Kreisen  be- 
stand, ein  Abbild  von  Sonne  und  Mond  gewesen.  Nach  E.  Siecke, 
Götterattrib.  253  ff.  wurde  der  Vollmond  als  kreisrunder  Schild  vor- 
gestellt ,  die  übrigen  Phasen  galten  als  ausgeschnittene  oder  halb- 
mondförmige Schilde.  Das  ancile,  das  die  Urform  des  Gottes  Mars 
gewesen  sein  soll,  ist  nach  Siecke  (ebd.  80)  aus  den  aneinander  ge- 
fügten Mondsicheln  entstanden.  —  Das  Schwert  im  Mythos,  z.  B. 
dem  von  der  Geburt  Chrysaors,  faßt  derselbe  ebd.  266  ff.  als  Krumm- 
säbel, der  ein  Ausdruck  für  die  Mondsichel  sein  soll,  auf.  —  Über 
unverletzliche  Waffen  vgl.  u.  (175). 


Abzeichen  im  Kult  und  Mythos.  163 

Über  die  Wage  Aphi-odites  auf  der  Mainzer  luppitersäule  s. 
Rein  ach,  Rev.  arch.  TVxxi,  1913  ',  S.  29  f.   Vgl.  o.  {S.159  „Rad"). 

Über  den  Wagen  s.  fPrausnitz,  Der  Wagen  in  der  Re- 
ligion ,  seine  Würdigung  in  der  Kunst.  Studien  zur  deutschen 
Kunstgesch.,  CLXXXVII,  Straßburg  1916. 

Über  Zepter  vgl.  o.  (160  .,Stah"). 

Teile  des   tierischen   und  menschlichen  Körpers    und 
animalische  Produkte  als  Abzeichen. 

Über  das  Blut  vgl.  Kircher,  Die  sakrale  Bedeutung  des 
Weines  im  Altertum  (RV  u.  V  IX  2)  1910,  77  fif.,  der  S.  80  f. 
über  den  Blutbund  handelt;  über  Blutbestreichung  bei  Semiten  s. 
Kohler,  Arch.  f.  Religionswiss.  XIII,  1910,  81  f.,  über  das  Blut 
als  Seelenträger  und  seine  Verwendung  im  Zauber  Seh  wenn, 
Die  Menschenopfer  bei  den  Griechen  und  Römern,  RV  u.  V  XV 
3,  1915,  89  ff. 

Über  Eingeiveide  vgl.  u.  {Orakel). 

In  dem.  Fell  des  geschlachteten  Opfertieres,  das  ursprünglich 
der  Gott  selbst  gewesen  sein  soll,  bleibt,  wie  Frazer,  Spirits  of 
the  Com  II  (Golden  Bough  V^  II)  172  f.  aus  einem  kalifornischen 
und  dem  von  Herod.  II  42  berichteten  ägyptischen  Brauch  folgert, 
nach  primitiver  Vorstellung  etwas  von  dem  Numen  zurück,  das 
einst  das  Tier  erfüllte ;  daraus  entwickelte  sich  nach  Frazer  unter 
Umständen  tierförmiger  Bilderdienst.  Crooke,  Folkl.  XXII,  1911, 
198  erklärt  daraus  die  Sitte,  sich  (oder  das  Götterbild)  in  eine 
Tierhaut  zu  hüllen,  die,  wie  er  mit  A.  B.  Cook  glaubt,  der  Midas- 
sage  zugrunde  liegt  und  aus  der  er  auch  die  Sage  von  Jakobs  List 
erklärt.  —  Das  FeU  will  A.  K  u  h  n  in  den  nach  seinem  Tod  heraus- 
gegebenen Mythologischen  Studien  II,  1912,  164  in  den  Sagen  vom 
Rinderraub  des  Hermes  und  von  Prometheus  als  mythisches  Bild 
für  den  Nachthimmel  erweisen. 

Hand.  Über  die  „Votivhände"  hatte  *Blinkenberg,  Ar- 
chäol.  Stud.  1904,  66  ff.  gehandelt  und  die  Vermutung  begründet, 
daß  diese  meist,  in  Kleinasien  immer  dem  Sabazioskult  angehörigen 
Weihgaben  die  Stellung  des  Segnens,  die  sogen.  Benedictio  latina 
haben.  —  Cumont,  Compt.  rend.  AIBL,  1906,  69  meint,  daß 
die  Sitte  durch  Juden  in  den  Sabazioskult  kam.  —  Nach  Per dri- 
zet,  Arch.  f.  Religionswiss.  XIV,  1911,  118  ff.,  der  Spuren  von 
Tätowierung  auf  diesen  auch  im  Dienst  des  Zeus  von  Doliche 
und  von  Heliopolis  gebräuchlichen  Händen  bemerkt  hat,  sind 
unter  ihnen  zwei  Klassen  zu  untei'scheiden :   1.  im  Sabazioskult  ist 

11* 


1^(54  Körperteile  im  Aberglauben,  Kult  und  Mythos. 

die  sej:;uende  Hand  des  Gottes  oder  des  Priesters,  2.  sonst  aber, 
(d.  b.,  wenn  ich  den  Vei'fasser  recht  verstehe,  im  Dienst  des  Zeus 
Johx^t^'ö^  "^^"i  tili 071  oXiii]^)  die  betende  Hand  des  Gläubigen  dar- 
gestellt. —  0.  Wein  reich,  Qeov  -/eiQ  (RV  u.  V,  VIII  1)  1908 
spricht  zuerst  über  Handaufheben ,  Handausstrecken  und  Hand- 
überhalten,  dann  (14)  über  Handauflegen  und  Berühren.  Beide 
Kapitel  behandeln  Heil-,  Geburts-  u.  a.  Gottheiten.  Das  3.  Kapitel 
(38  If.)  bespricht  einige  auf  die  Berührung  bezügliche  Götternamen : 
Über  die  Bedeutung  der  rechten  Hand  im  Heüzauber  wird  S.  43 
gehandelt.  —  Über  die  Heilkraft  der  Hand  hatte  schon  Weniger. 
Klio  VII,  1907,  173  f.  bei  Gelegenheit  der  heilkräftigen  Daktylen 
gehandelt. 

Über  das  Hörner  ni  otiv  in  den  Religionen  handelt  S  c  h  e  f - 
telowitz,  Arch.  f.  Religionswiss.  XV,  1912,  451  ff.  in  folgender 
Anordnung:  1.  die  ursprüngliche  Darstellung  der  Götter  in  Tier- 
gestalt; 2.  die  Hörner  am  Haupte  der  Götter,  Überreste  ihrer 
einstigen  Tiergestalt ,  umgedeutet  als  Symbole  übermenschlicher 
Kraft;  3.  Dämonen  mit  Hörnern;  4.  die  Beziehung  der  Götterhörner 
zum  Monde;  5.  Hörner  auf  dem  Haupte  der  Könige  und  Priester 
als  Symbole  göttlicher  Macht;  6.  Homer  am  Altar  als  S^-mbol  der 
Heiligkeit;  7.  Hornamulette  zur  Abwehr  von  dämonischen  Einflüssen 
und  zur  Überwindung  feindlicher  Angriffe ;  8.  die  magischen  Wii*- 
kungen  des  Hoi'us  als  Behälter  und  Blasinstrument.  Der  Verfasser 
hat  einen  reichen  Stoff  gesammelt ,  dai'unter  aber  auch  manches, 
was  überhaupt  nicht  zu  seinem  Thema  oder  wenigstens  nicht  au 
die  Stelle  gehört,  an  der  es  erscheint.  —  Über  Hörner  als  Apo- 
tropaia  vgl.  H.  Thiersch,  Österr.  Jahresb.  XVI,  1913.  82,  6. — 
Nach  Siecke.  Götterattribute  91,  228  ff.  können  die  Hörner  der 
Götter  „nicht  anders  als  auf  Mondursprung"  bezogen  werden;  die  Fluß - 
götter  (ebd.  230)  sind  gehörnt,  weil  alle  Flüsse  vom  Monde  stammen. 

In  der  Mi  Ich  hatte  U  s  e  n  e  r  eine  Substanz  gesehen,  die  nach 
uralter,  aber  bis  in  das  Christentum  nachwirkender  Vorstellung  als 
Nahrung  der  Seligen  und  der  Götter  gegolten  habe.  Diese  An- 
schauung schränkt  K.  W  y  ß  in  der  auf  Veranlassung  von  Schultheß 
entstandenen  Untersuchung  „Die  Milch  im  Kultus  der  Griechen  und 
Römer",  RV  u.  V,  XV  2,  1914,  ein,  der  nachweisen  will,  daß  das 
Milchopfer  ursprünglich  eine  Gabe  wie  alle  anderen  war,  bestimmt, 
dem  Gott  einen  Teil  der  menschlichen  Nahrung  zukommen  zu  lassen 
und  ihm  dadiuxh  zugleich  einen  Dank  für  die  bisher  gewährte  Gabe 
abzustatten  und  ihn  zu  deren  weiterer  Gewährung  zu  bestimmen. 
In  indogermanischer  Zeit  wurde  die  Milch  oft  mit  Honig  vermischt 


Körperteile  im  Aberglauben  und  Kult.  —  Verfluchung.  165 

genossen;  das  ist  der  auch  später  als  jueXiKgazoi'  im  Kult  ver- 
wendete Trank,  bei  dem  aber  die  Milch,  die  im  südlichen  Klima 
schwer  in  flüssigem  Zustande  genießbar  zu  erhalten  ist,  oft  durch 
Wasser  ersetzt  und  der  dann,  obwohl  aus  einem  alten  Rauschtrank 
hervorgegangen,  als  eines  der  vr^q^<x}ua  den  Unterirdischen  gereicht 
und  den  berauschenden  Getränken  entgegengesetzt  wurde.  Häufiger 
trat  an  die  Stelle  der  Milch  sowohl  beim  Opfer  wie  als  mensch- 
liches Getränk  der  Wein.  Die  besondere  religiöse  Bedeutung  der 
Milch  ist  jung;  „erst  infolge  einer  späteren  Begriffserweiterung, 
dem  häufigen  Gleichsetzen  von  Wein,  Honig,  Milch,  Melikraton  mit 
Nektar,  das  früh  nicht  ausschließlich  Göttertrank,  sondern  ein  be- 
liebiges, sehr  gutes  Getränk  bezeichnen  konnte,  galt  dem  alexan- 
drinischen  und  römischen  Dichter  Milch  umgekehrt  wieder  als 
Göttertrank,  und  so  gehörte  das  Bild  vom  Milchüberfluß  zur  Aus- 
malung des  goldenen  Zeitalters ,  der  Insel  der  Seligen"  (S.  64). 
Auch  einzelne  falsch  verstandene  Göttermythen  (wie  der  von  der 
Ernährung  des  Zeus)  mögen  nach  Wyß  dazu  beigetragen  haben,  daß 
man  in  der  Milch  eine  besondere  religiöse  Kraft  zu  ahnen  begann.  — 
Aber  nicht  hieraus  unmittelbar  geht  die  Verwendung  im  christhchen 
Kult  hervor.  Wyß  gibt  (53  ff.)  zwar  zu,  daß  Milch  in  heidnischen 
Mysterien  als  Zeichen  der  Wiedergeburt  dem  Gläubigen  gereicht 
wurde,  er  bestreitet  aber,  daß  damit  zugleich  eine  Hindeutung  auf 
das  den  Mysten  offenstehende  Paradies  gegeben  werden  sollte.  Die 
Mysterien  haben,  wie  er  glaubt,  das  Verbindungsglied  zwischen  der 
Verwendung  der  Milch  im  christHchen  und  heidnischen  Kult  gebildet. 

Über  den  Nabel  vgl.  o.  {S.  111)  und  u.  {183). 

Über  Ohren,  die  an  der  Wand  von  Heiligtümern,  namentlich 
des  Asklepios  angebracht  wurden,  spricht  0.  Weinreich,  Ath. 
Mitt.  XXXVII,  1912,  53.  Gegen  Wolters  ,  der  Marin,  v.  Prodi 
32,  axoal  mit  Boissonade  im  Sinn  von  „Stimmen"  gedeutet  hatte, 
sucht  derselbe,  Hermes  LI,  1916,  624  zu  erweisen,  daß  der  Zu- 
sammenhang vielmehr  für  die  Übersetzung  „Ohren"   spreche. 

4)  Verfluchung,  Gottesui'teil,  Eid. 

Hatch,  Harvard  Studies  XIX,  1908,  157  ff.  untersucht  die 
feinen  Bedeutungsunterschiede  von  aAtzj^'^tog,  aZtT^og,  agalog,  srayrig, 
ivd^v^uog,  rcala/uvalog ,  TtgcargoTtaiog.  '^galog  und  ivayy^g  be- 
zeichnen beide  den  Vex'fluchten,  doch  liegt  bei  jenem  der  Nachdruck 
auf  dem  Fluche  selbst,  bei  diesem  auf  der  vorausgegangenen  Be- 
fleckung; a?aTi^Qiog.  aXivQog  und  nQoaiQOTtaiog,  das  aber  auch  von 
der   rächenden    Seele    des    Ermordeten    gebraucht    wird,    bedeuten 


lt)(i  Fluchzauber. 

„sündig" ;  jtalafxvalog  bezeichnet  Totschläger  und  Mörder,  «v^i'^uus" 
den  in  seinem  Gewissen  Bedrückten.  Außer  nQOOTQÖfiaiog  werden 
aXiiii[Qio<i  und  naXaiivalog,  und  zwar  ohne  Mesentlichen  Unterschied 
auch  von  rächenden  Göttern  gesagt. 

Jevons,  Transact.  3.  Intern.  Congr.  Hist.  Rel.  19ü8ii,  131  Ö\ 
untersucht  das  Verhältnis  der  Verfluchungen  zur  Religion.  Im 
Gegensatz  zu  Wünsch  und  Audollent  betont  er  den  nicht  religiösen 
Charakter  der  meisten  Defixioneu.  Zuerst,  schon  im  4-  Jh.,  werden 
die  y.dxoxoi  Hennes  und  Ge  angerufen,  etwas  später,  aber  eben- 
falls noch  in  diesem  Jh.  orj^hische  Götter.  Auf  den  bruttischen 
Tafeln,  die  mit  dem  2.  Jh.  beginnen,  nachdem  lange  die  Sitte  auf 
Attika  beschränkt  geblieben  war,  soll  Inno  Lacinia  den  Verfluchten 
bestrafen.  Von  dem  Exorkisten  -—  die  aus  dem  Orient  stammende 
Formel  i^oQxi'^co  ■ . .,  begegnet  zuerst  im  2.  Jh.  n.  Chr.  —  unterscheidet 
sich  der  Verflucher  in  Griechenland  wie  im  Orient  dadurch,  daß 
er  sein  Werk  verheimlicht.  —  Über  €7r/;>lt(T/»;  vgl.  Havers,  Zs. 
f.  vergl.  Sprachf.  XLIII,  1910,  230.  —  Im  Anschluß  an  Tib.  I  5 
handelt  über  den  Fluchzauber  Ernst  Oppenheim,  Wien.  Stud. 
XXX,  1908.  14Gff.  —  Die  Beschwörung  Erichthos  bei  Luc.  Phars. 
VI,  419  erläutert  H.  J.  Rose,  Proceed.  Amer.  phil.  Assoc.  XLIV. 
1913.  S.  Lf.  —  Sechs  griechische  Zaubervorschriften  aus  dem 
Catalog.  Codic.  astrolog.  erklärt  unter  Beibringung  von  Parallelen 
Lorenzo  Bianchi,  Hess.  Bl.  für  Volksk.  XIIL  1914,  103  ff.  — 
Aufgehobene  Hände  auf  Grabdenkmälern  sind  nach  A.  J.  Reinach 
und  Picard,  Bull.  corr.  heU.  XXXVI,  1912,  277  f.  Zeichen  der 
Verfuchung  für  etwaige  Grabschänder.  Es  werden  Beispiele  aus 
Sestos  und  Rheneia  für  diese  vielleicht  orientalische  Sitte  an- 
geführt. —  Bisweilen  wird  der  Fluch  gegen  Frevler  gerichtet,  deren 
man  nicht  habhaft  werden  kann,  z.  B.  gegen  einen  Dieb  wie  in  dem 
Pap.  Anastasi  XLVI  70  fi.,  mit  dem  Pr  e  isendanz  ,  Hess.  Blätter 
f.  Volksk.  XII,  1913,  138  S.  einen  Zauber  bei  Vassiliew,  Anecd. 
Graeco-bj^zantina  und  einen  im  Cod.  Germ.  Palat.  229  der  Heidel- 
berger Universitätsbibliothek  zusammenstellt.  —  Die  Rachegebete  von 
Rheneia  sind  nach  Bergmann,  Phüol.  LXX,  1911,  503  ff.  nicht, 
wie  Deißmann  meinte ,  von  der  Gemeinde  am  Versöhnungstag  ge- 
sprochen, sondern  werden  den  beiden  gemordeten  jüdischen  Mädchen  £ 
in  den  Mund  gelegt.  Die  Worte  näoa  ifjvyj^  f.v  zfj  orjfieQOv  ^f^i6Q(f  J 
TUTiEivovTai  /üeO^  l/.etsiag  sollen  sich  auf  den  bevorstehenden  Sieg 
des  Judentums  beziehen.  —  Über  den  Fluch  als  eine  körperlich 
niederfallende ,  auch  über  dem  Fluchenden  schwebende  Macht  s. 
Westermarck.  Orig.  and  Development  of  Moral  Ideas  I  57  ff.  — 


Fluchzauber.  167 

Eine  Verfluchung  aus  den  Hawara  Papyri  teilt  M  i  1  n  e ,  Arch.  f. 
Papyrusforsch.  V,  1913,  393,  Nr.  12  mit.  Beschworen  wird  ein 
übermenschlicher,  aber  dem  Amibis  untergeordneter  Gei.st  Euangelos, 
in  dem  man  nach  R.  Wünsch,  ebd.  397  entweder  einen  Heros 
oder  den  euphemistischen  Ausdruck  für  einen  ayyB}.0(;  x^^^'^og, 
oder  den  Namen  eines  bestimmten  Toten  zu  erkennen  hat. 

Die  John-Hopkins-TJniversität  von  Baltimore  besitzt  eine  Samm- 
lung von  Defixiones,  die  auf  Veranlassung  von  Harry  Langford  Wilson  in 
einem  Supplementheft  zum  Amer.  Jouru.  Philol.  XXXIII,  1912  (68  be- 
sonders gezählte  Seiten)  von  f  S  her  wo  od  Fox  mit  ausführlichen 
Indices  herausgegeben  werden.  Vgl.  u.  {171).  —  Ebd.  XXXIV,  1913, 
74  ff.  veröffentlicht  Fox  two  Tabellae  defixionum  in  the  Royal 
Ontario  Museum.  —  Die  ins  Wasser  geworfenen  Defixiones  hatte 
Wünsch  aus  dem  Glauben  erklärt,  daß  die  Geister  der  durch  Schiff'- 
bruch  Umgekommenen  im  Wasser  hausen.  Sherw.  Fox  ebd.  XXXIII. 
1912,  301  ff.  meint,  daß  man  mit  dem  Namen  des  Verfluchten  diesen 
selbst  ersäufen  wollte.  Ein  ähnlicher  Gedanke  liegt  nach  S  c  h  w  e  n  n . 
Die  Menschenopfer  bei  den  Gr.  u.  Rom.,  RV  u.  V  XV  3,  1915, 
154  dem  Argeeropfer  zugrunde.  Da  der  vermeintliche  Eingang  zur 
Unterwelt  an  vielen  Orten  in  Seen  und  Quellen  gesucht  wurde, 
scheint  mir  erwägenswert,  ob  nicht  die  Fluchtafeln  oder  Puppen 
bisweilen  deshalb  in  Wasser  versenkt  wurden ,  damit  sie  um  so 
sicherer  in  die  Hände'  der  Unterirdischen  gelangten. 

Weit  verbreitet  war  die  Vorstellung,  daß  der  Name  nicht  nur  das 
Wesen  einer  Person  ausdrücke,  sondern  diese  auch  vertrete,  so  daß 
man  mit  jenem  aut  diese  wirken  oder  diese  zur  Erzielung  der  durch 
jenen  wirklich  oder  vermeintlich  ausgedrückten  Wirkung  benutzen 
könne.  Wenn  Johannes  im  Namen  des  zu  erwartenden  Messias  tauft, 
so  wollte  er  damit  den  Täuflingen  von  vornherein  die  zauberische  Wir- 
kung zuwenden,  die  nach  der  Anschauung  der  Geheimsekten  von 
dem  Namen  des  Erlösers  ausging  (Drews,  Christusmythe  I  25),  — 
Ausführlich  handelt  über  den  Vorstelluugskreis  Kroll,  Namen- 
aberglaube bei  Griechen  und  Römern ,  Mitt.  der  Schles.  Ges.  f. 
Volksk.  Bd.  XVI,  1914,  179ff.  •,  viele  Beispiele  dafür  sammelt  auch 
Abt,  Apologie  des  Apul.  44  u.  150  ff.  =- RV  u.  Viv,  118  u.  224  ff. 
Es  war  deshalb,  wofür  C.  Michel,  Philologie  et  linguistique,  Mel. 
off.  ä.  L.  Havet  par  ses  amis,  Paris  1909,  Beispiele  aus  dem 
klassischen  Altertum  beibringt,  unter  Umständen  aus  Furcht  vor 
Schadenzauber  verboten,  den  wahren  Namen  einer  Person  (oder 
eines  Ortes)  zu  nennen-,  vielfach  wird  „der  Tod  betrogen",  indem 
man    den  Namen  des  Kranken   änderte    (wie  man  an  andena  Orten 


16g  .Schadenzauber. 

statt  seiner  auch  eine  Puppe  begrub);  s.  Andree,  Zeitschi*.  d. 
Vereins  f.  Volksk.  XIX,  1009,  203  f.  —Kroll  a.  a.  0.  195  führt 
einen  byzantinischen  Text  aus  dem  14.  Jh.  au,  nach  dem  der  Name 
des  Toten  geändert  wird,  damit  er  dem  in  der  Luft  schwirrenden 
bösen  Geistern  entgehen  könne.  —  Wer  den  Namen  der  Dämonen 
kennt .  verfügt  über  deren  Macht.  Vermutlich  hängt  es  damit  zu- 
sammen, daß  Dinge  oder  Menschen,  an  deren  Wohl  und  Unversehrt- 
heit besonder.s  viel  liegt,  einen  zweiten  bekommen,  der  entweder 
als  heilig  gilt  und  dann  natürlich  geheimgehalten  wird,  oder  aber 
statt  des  bisherigen ,  auch  weiter  als  eigentlicher  Name  geltenden 
Bezeichnung  gebraucht  werden  muß.  Namentlich  im  Schadenzauber 
ist  die  Kenntnis  des  Namens  von  großer  Bedeutung. 

Aber  nicht  bloß  durch  den  Namen,  auch  durch  Gegenstände 
und  zwar  selbst  durch  solche,  die  in  keiner  erkennbai-en  Beziehung 
zu  dem  standen,  der  verflucht  werden  sollte,  aber  in  einen  geheimnis- 
vollen Zusammenhang  zu  ihm  gebracht  wurden ,  glaubte  man  das 
Leben  oder  Wohl  eines  Menschen  bedrohen  zu  können.  Zahlreiche 
Beispiele  für  die  Exteraal  Soul  Life  toke  stellt  Frazer,  Balder 
the  Beautiful  (Golden  Bough  VII)  II  95  if.  zusammen.  Zu  den 
Lebenszeichen ,  die  außerhalb  des  Menschen  angenommen  wurden, 
gehört  z.  B.  die  große  Klasse  der  Schicksalsbäume  (Frazer  a.  a.  0. 
159).  Aber  auch  einzelne  Teile  des  Körpers  selbst  wurden  als 
Sitz  der  Seele  betrachtet.  Waser,  der  bereits  in  ßoschers  Myth. 
Lex.  III.  3209  eine  kurze  Übersicht  über  diesen  Vorstelluugskreis 
gegeben  hatte,  spricht  im  Arch.  f.  Religiouswiss.  XVI,  1913,  381 
über  die  Pupille  als  Seelenträger.  Den  Besitz  eines  solchen  Körper- 
teils ,  der  als  verhängnisvoll  für  das  Leben  seines  rechtmäßigen 
Trägers  galt,  wurde  natürlich  auch  beim  Fluchzauber  erstrebt  und 
als  wichtig  für  dessen  Wirksamkeit  betrachtet.  Der  Glaube  hängt 
mit  der  Vorstellung  zusammen,  daß  man  durch  den  Teil  einen  Ein- 
fluß auf  das  Ganze  gewinnen  könne ,  mit  dem  man  ihn  sich  in 
mystischem  Zusammenhang  dachte ;  welcher  Teil  zu  diesem  Zauber 
verwendet  wurde,  kam  dabei  weniger  in  Betracht,  wenn  man  sich 
nur  leicht  in  seinen  Besitz  setzen  konnte.  —  Ein  solcher  Gegen- 
stand ist  z.  B.  das  Haar,  über  dessen  Bedeutung  im  Zauber 
L.  Sommer,  Das  Haar  in  Religion  und  Aberglauben  der  Griechen, 
Münch.,  Diss.  1912  und  Sehr edelseker ,  De  superstitionibus 
iuae  ad  crines  pertinent,  Dissert.  Heidelberg  1913  handeln.  Die 
durch  Kroll  angeregte  Arbeit  Sommers  behandelt  in  ihrem  Haupt- 
teil (18  ff.)  die  Haarweihe :  von  dem  sonstigen  Inhalt  ist  hervor- 
zuheben   die    Beschwörung    bei    Haar   und    Bart    (13  ff.),    die   Be- 


Schadenzauber.  iHf» 

deutung  eines  einzelnen  Haares  für  das  Leben  seines  Trägers 
(16  ff.),  das  Abschneiden  des  Haares  durch  Thanatos  (61),  Haar- 
schur in  der  Trauer  (64).  S.  23  wird  bestritten,  daß  an  dem  Fest 
der  Kureotis ,  dessen  Name  von  -/.ovqeiov  und  y.tiQEiv  abgeleitet 
wird,  das  Haar  von  Kindern  geweiht  wurdet  „das  Haaropfer  bei 
der  Geschlechtsreife  ist  der  weitaus  älteste  und  eigentliche  Zweck 
des  Festes  gewesen ,  die  Eintragung  in  die  Listen  ist  jüngeren 
Datums".  —  Schredelseker  hat,  ohne  von  Sommers  gleichartiger 
Arbeit  zu  wissen .  auf  A.  Dieterichs  Veranlassung  seine  Unter- 
suchung begonnen  und  sie  nach  dessen  Tode  unter  Anleitung  von 
Boll  und  Schoell  zu  Ende  geführt,  wobei  seine  Ergebnisse  meist 
mit  denen  seines  Vorgängers  übereinstimmen.  In  dem  Abschnitt 
über  das  Haar  als  Sitz  der  Kraft  (22)  wird  aus  diesem  Glauben 
.  die  Langhaarigkeit  von  Göttern  und  Fürsten  und  (29)  die  Berührung 
des  Bai'tes  bei  der  Bitte  (z.  B.  ^  501  f.;  0  371 ;  Ä  454  ff.;  Eur. 
^Ey..  344)  erklärt;  S.  48  ff.  ist  von  der  Haarweihe,  S.  63  ff.  von 
der  Auflösung  der  Haare  beim  Opfer,  S.  65  ff.  von  der  Bedeutung 
der  Haare  im  Zauber  die  Rede.  —  Haarweihe  der  argivischen  Bräute 
folgert  Eitrem,  Philol.  LXXII,  1913,  444  ff.  aus  argivischen 
Münzen ,  welche  Hera  mit  geschorenen  Haaren  darstellen  und  aus 
dem  Abzeichen  der  Schere ,  das  ein  Bild  der  Göttin  trug.  —  Nach 
Eitrem ,  Hermes  und  die  Toten ,  Christ.  Vidensk.  Selsk.  Porh. 
1909,  23,  1  waren  Haaropfer  besonders  im  Totenkult  üblich.  — 
Wer  sein  Haar  einer  Gottheit  oder  einem  heroischen  Wesen  weiht, 
wofür  auch  Sech  an,  Rev.  et  gr.  XXIV,  1911,  120  Beispiele 
sammelt ,  gibt  symbolisch  sich  selbst  hin.  —  Mit  dem  Haar ,  über 
dessen  Bedeutung  als  Sitz  der  Seele  auch  Waser,  Arch.  f.  Re- 
ligionswiss.  XVI,  1913,381,  Güntert,  Sitzuugsber.  Heidelb.  AW 
VI,  1915,  11  ff.  und  S.  Reinach,  Samson  1912,  S.  23  ff.  handeln, 
wird  gewissermaßen  der  Lebensfaden  abgeschnitten;  es  ist  daher 
zweifelhaft,  ob  das  Abschneiden  von  Didos  Haar  durch  Proserpina 
bei  Verg.  Aen,  IV,  698,  wie  S.  Rein  ach,  Rev.  arch.  IVxvii, 
1911',  192  aus  dem  Beiwort  flavus  folgert,  auf  ein  besonderes 
Schicksalshaar  geht,  denn  wenn  sich  auch  der  Glaube  an  ein  solches 
aus  dem  an  die  Bedeutung  des  Haares  überhaupt  leicht  entwickeln 
konnte ,  so  bestand  doch  die  ursprüngliche  Vorstellung  daneben 
fort.  —  Daß  man  sich  durch  das  Haaropfer  in  die  Macht  der 
Dämons  stellte,  nimmt  auch  Seh  wenn,  Die  Menschenopfer  bei 
den  Griechen  und  Römern  (RV  u.  V  XV  3,  19^5)  S.  86  an;  die 
Erwartung  soll  aber  gewesen  sein,  daß  der  dem  Menschen  wohl- 
wollende Überirdische  die  dadurch  erlangte  Macht  nur  zum  Besten 


170  Schadenzauber. 

seines  Schützlings  ausnutisen  werde.  —  Über  die  i^eele  im  Haar 
handelt  ferner  Frazer,  Balder  thc  Beautiful  (=  Golden  Bough 
VII)  II  an  mehreren  Stelleu,  z.  B.  158;  1G5;  ebd.  103  werden 
Parallelen  zur  Nisos-   und  Pterelaossage  gesammelt. 

Viele  „authropologische"  Beispiele  zum  Schadenzauber  mit 
Hilfe  von  Haaren ,  Nägeln  (iu  griechischen  Texten  selten  erwähnt. 
Abt,  Apol.  d.  Apul.  107  ==  RV  u.  V,  IV  181)  oder  einem  Bilde 
des  Verfluchten ,  das  ebenfalls  diesen  vertreten  kann ,  sammelt 
Berkusky,  Arch.  f.  Anthropol.  n.  F.  XI,  1912,  S.  88  ff.  —  Im 
Catal.  cod.  astrol.  III  42  wird  ein  Zauber  mit  dem  Bilde  dessen  be- 
schrieben, dessen  Huhm  man  sich  aneignen  möchte ;  Parallelen  führt 
L.  Bianchi,  Hess.  Blatt,  f.  Volksk.  XIII,  1914,  111  an.  —  Über  das 
Verbrennen  des  Bildes  im  Schadenzauber  vgl.  Penquitt,  De  Didonis 
Vergilianae  exitu,  Königsberg  Diss.  1910,  S.  35  ff.  — Die  Sitte  der 
Rachepuppen  behandeln  Ad.  Abt,  Apol.  des  Apul.  79  ff.=-E,Vu.  V., 
IV 153  ff.  im  Anschluß  an  Apul.  ap.  30  und  sehr  gründlich  Fr.  Skutsch, 
Festschr.  der  schles.  Ges.  f.  Volksk.  1911,  S.  529  ff.  im  Anschluß  an 
eine  Stelle  in  Goethes  Götz  von  Berlichingen.  Verg.  Ecl.  VIH  80  wird 
von  Sk.  als  die  sinnlose  Vermischung  zweier  sich  ausschließender 
Vorstellungen  gedeutet:  der  Dichter  soll  in  seiner  Quelle  —  etwa 
einem  Theokritkommentar  —  gefunden  haben  ev.  v.tjqov  rj  «z  TtrjXov. 
Zahb'eiche  Beispiele  von  ßachepuppen  aus  dem  Mittelalter  und  der 
Neuzeit  werden  angeführt.  —  Parallelen  aus  Nordeuropa,  Mexiko 
und  Australien  bringt  Pagenstecher,  Arch.  f.  Religionswissensch. 
XV,  1912,  313  bei.  —  Als  Rachepuppen  faßt  Mariani,  Ausou. 
IV,  1909,  39  ff.  zwei  nackte  Bleistatuetten  aus  einem  etruslcischen 
Grab;  S.  42  werden  ähnliche  Bilder  angeführt;  Cumont,  Compt. 
rend.  AIBL  1913,  412  ff.  veröffentlicht  eine  in  einem  Bleikästchen 
(einem  Abbild  des  Sarges?)  zu  Athen  gefundene,  ebenfalls  zum 
Behexen  dienende  Bleifigur;  er  vergleicht  die  Geschichte  von  dem 
behexten  Theophilos  in  den  Mart}^.  S.  Cyri  et  Joh.  (Migne  P.  G. 
LXXXVII  3,  3542).  —  Ein  Verfluchungszauber  mit  Hilfe  des  Bildes 
ist  auch  in  dem  Argeeropfer  gesehen  worden  {vgl.  S.  167). 

Eines  der  am  häufigsten  Schaden  stiftenden  Mittel  ist  der  „böse 
Blick^  über  den  der  Ophthalmologe  S.  Seligmann,  Der  böse 
Blick  und  Verwandtes,  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  Aberglaubens 
aller  Zeiten  und  Völker,  2  Bde.,  Berl.  1910  ein  auch  für  die 
Religionsforschung  wichtiges  Werk  verfaßt  hat.  Außer  der  Samm- 
lung des  ungeheuren  vStoff's,  zu  dem  Wünsch,  Berl.  Phil.  Wochen- 
schr,  XXXI,  1911,  77  f.  noch  Nachträge  gibt,  ist  besonders  er- 
wähnenswert die  medizinische  Untersuchung  über  die  Eigenschaften 


Fluchzauber.    Gottesurteil.     Eid.  171 

des  Auges,  die  den  Glauben  an  die  Wirkung  des  bösen  Blicks  bei 
so  vielen  Völkern  entstehen  ließen.  —  Eine  Formel,  um  diesen 
Fluchzauber  von  einem  Hause  fernzuhalten ,  bietet  ein  Mosaik  aus 
El  Hauria  in  Afrika;  vgl.  Merlin,  Compte  rend.  AIBL  1907,  802. 
Das  Fortleben  dieses  Aberglaubens  bespricht  B.  Schmidt,  Der 
böse  Blick  und  ähnlicher  Zauber  im  neugriechischen  Volksglauben, 
Neue  Jbb.  XXXI,  1913,  574  ff.  Nachträge  gibt  S.  Seligmann. 
Hess.  Blatt,  f.  Volksk.  XIII,  1914,  124  ff.  Der  böse  Blick  wurde 
als  Wolfsblick  bezeichnet  (Plin.  n.  h.  VIII  80),  womit  Blinken- 
berg,  Herm.  L,  1915  282  den  Teichinen  Lykos  und  den  wahr- 
scheinlich von  einem  Mitglied  der  Phyle  der  Teichinen  geführten 
Namen  Lykopadas    in    der  lindischen  Tempelchronik  vergleicht.  — 

Viel  beachtet  «wurden  in  der  Berichtszeit  die  Inschriften 
mit  Verfluchungen  {■/.ataÖEOf.ioi ,  Defixiones).  R.  Wünsch 
gab  in  Lietzmanns  „Kl.  Texten  für  Vorlesungen  und  Übungen". 
Antike  Fluchtafeln,  Bonn  1907  mit  Erklärungen  heraus ;  eine  zweite 
Auflage  erschien  1912.  Derselbe  veröffentlicht  (Arch.  f.  Religions- 
wiss.  XII,  1909,  36  ff.)  drei  wahrscheinlich  aus  den  Gräbern  der 
via  Latiua  stammende  Fluchtafeln  aus  Blei  und  (Bonner  Jbb.  CXIX, 
1910,  1  ff.)  Laminae  litteratae  des  Trierer  Amphitheaters.  Sher- 
w 0 o d  Fox'  Arbeit  über  die  Tabellae  Defixionum  der  John  Hop- 
kins-Universität kenne  ich  nur  aus  dem  Auszug  Rev.  arch.  IVxx, 
1912  2,  451  ff.  Vgl.  o.  {167).  —  Über  die  Verfluchung,  die  der 
römische  Feldherr  an  einem  beliebigen,  so  gewissermaßen  zum 
Sühnopfer  für  das  Heer  gestempelten  Soldaten  vollziehen  konnte 
und  nicht  selten  an  sich  selbst  vollzog,  und  über  die  rechtlichen 
Folgen  einer  solchen  Devotion  handelt  Seh  wenn,  Menschenopfer 
bei  Griechen  und  Römern,  RV  u.  V,  XV  3,  1915,   158  ff. 

Über  Gott esurteilc  in  Sardinien  (s.  Solin.  4,  6)  vgl. 
Pettazzoni,  Rendiconti  RAL  Vxix,  1910,  103  ff.,  236  ff'.;  über 
Gottesurteile  als  Keuschheitsprobe  Ad.  Adamantios.  vlaoyqaffia 
III,  1911/2,  51  ff.;  390ff.  —  Ein  Gottesurteü  durch  Gift  erschließt 
S.  Reinach,  Rev.  arch.  IV  s.  XL,  1908  ^  236  ff.  =  Cult.,  myth., 
rel.  III  254  ff.  aus  Liv.  VIII  18,  8  f.  für  Rom. 

Die  alte  Auffassung,  daß  der  Eid  ursprünglich  eine  Selbst- 
verfluchung war,  sucht  Richard  M.  Meyer,  Arch.  f.  Religionsw. 
XV,  1912,  435  ff.  gegen  Hirzel,  Oldenberg,  Schrader  u.  a.  zu  ver- 
teidigen. Den  Gegenstand,  den  man  beim  Eid  berührt  (das  Haupt 
der  Kinder,  die  Waffen  usv.'.),  setzte  man,  wie  Meyer  —  ebenfalls 
der  älteren  Deutung  folgend  —  bemerkt,  beim  Eid  gewissermaßen 
-zum  Pfand :    erst    später    soll  das  Angefaßte  (oder  die  in  ihm  ver- 


j  7  2  ^^•^• 

mutete  göttliche  Macht)  als  Zeuge  gedacht  sein.  —  Auch  P.  Stengel 
denkt  sich  in  dem  Artikel  „Opfergebräuche"  (Heim.  XLIX,  1914. 
78  ff.)  den  Eid  als  Selbstverfluchung  (91).  Die  rOjUta,  die  Ge- 
schlechtsteile des  Opfertieres,  wurden  beim  Eidopfer  auf  die  Erde 
geworfen  oder  blieben  (Aristot.  '^^lyj-.  noX.  55)  auf  einem  Stein 
liegen ;  gewöhnlich  trat  der  Schwörende  darauf  und  faßte  die 
tr/rP.aj'xra  (die  als  Sitz  der  Lebenskraft  der  Opfertiere  galten),  in- 
dem er  sich  zu  dem  gleichen  Schicksal  wie  diese  verfluchte.  Die 
Eingeweide  wurden  darauf  verbrannt.  Statt  ihrer  konnten  auch 
das  Haar  oder  die  zöiiia  angefaßt  werden.  Der  Leib  der  Tiere 
wurde  ursprünglich  vernichtet,  später  bisweilen  liegen  gelassen  und 
dann  von  anderen  Unbeteiligten  gegessen.  —  Über  die  Sitte,  beim 
Eid  ein  heiliges  Tier  zu  schlachten  und  zwischen  den  zerteilten 
Stücken  hindurchzugehen  (Dikt.  I  15;  II  49;  V  10;  Genes.  XV  10, 
.lerem.  XXXIV  18),  vgl.  A.  Reinach,  Rev.  hist.  rel.  LXVIII, 
1913,  138  ff.  Ähnliche  Gebräuche  herrschten  bei  der  Lustration 
des  makedonischen  Heeres  (s.  Kriegsopfer)  und  auch  im  Heilzauber. 
Vgl.  im  allgemeinen  Eitrem,  Beiträge  zur  griechischen  Religions- 
geschichte (Vidensk.  Skrift.  Kristiania  1917,  II  2,  S.  9  ff.),  der 
diese  bisweilen  zu  Menschenopfern  {s.  das.)  gesteigerten  Gebräuche 
für  kathartisch  hält.  —  Über  die  Bedeutung  der  Weinspende  beim 
Eidopfer  s.  K  i  r  c  h  e  r ,  Die  sakrale  Bedeutung  d.  Weines  im  Altert. 
(RV  u.  V,  IX  2)  22  ff.,  der  sie  nicht  wie  v.  Fritze  als  für  die  olympi- 
schen Götter  bestimmt,  sondern  lediglich  als  eine  Veranschaulichung 
des  Fluches  auffaßt;  über  die  religiöse  Bedeutung  des  Fetialeneides 
handeln  Reid,  Journ.  Rom.  Stud.  II,  1912,  47  ff.,  und  T.  Frank, 
Class.  Philol.  VII,  1912,  335  ff.  Reid  hatte  bestritten,  daß  der 
Silex  des  Fetialen  ein  Fetisch  des  luppiter  Feretrius  war;  Polyb. 
m  25  soll  die  alte  Formel  iurare  lovem  lapidem  mißdeutend  durch 
(ofivieiv)  Jia  )di^ov  wiedergegeben  haben,  da  er  die  Konstruktion 
mit  dem  doppelten  Akkusativ  nicht  verstand.  Die  von  der  Arx 
genommene  .  verbena  führten  nach  Reid  47  f-  die  Fetialen  mit, 
weil  sie  den  römischen  Boden  sjonbolisch  vertraten ,  auf  dem 
allein  rechtsgültige  Verträge  abgeschlossen  werden  konnten. 
—  Über  die  griechische  Sitte ,  bei  einem  mit  Salz  bestreuten 
Tisch  zu  schwören  (Archil.  fr.  <)6  [82]  bei  Orig.  Ktla.  II  21, 
S.  151,  27  K.),  bringt  Wilcken,  Arch.  f.  Papyrusf.  V,  1913,  415 
eine  Parallele  aus  einem  Cairener  Papyrus  bei.  —  In  der  Ver- 
:*enkung  der  Metallstücke,  die  S.  Reinach  als  Mariage  avec  la  mer 
gedeutet  hat,  erkennt  P.  Perdrizet,  Rev.  et.  anc.  XIV,  1912, 
•357  ff.  ein  Eids3Tnbol.     Die  Versenkung  des  nedtojv  ^evyog  (Herod. 


Schaden-  und  Heilzauber.  178 

VII  35)  durch  Xerxes  muß  nach  Perdrizet  bei  der  Erklärung  außer 
Spiel  bleiben,  da  sie  nur  auf  einem  Mißverständnis  von  Aisch.  Per. 
74'4  beruhe;  der  Dichter  habe  nur  die  Überbrückung  des  Helles- 
ponts  gemeint.  Die  Zeremonie  der  Phokaier  (Herod.  I  165)  und 
des  Aristeides  (Aristot.  ]^40^r,v.  jCoX.  2o  ;  Plut.  ^ylQiau.  25),  die  einen 
fivÖQcg  versenken,  hat  nach  Perdrizet  mit  Ketten  und  Ringen  nichts 
zu  tun ;  die  Handlung  drückt  nur  aus,  was  in  Worten  lauten  würde  : 
„so  lange  dieser  Klumpen  nicht  aus  dem  Meere  wieder  auftaucht". 
Auch  der  Ring  des  Polykrates  und  der  von  Theseus  heraufgeholte 
des  Minos  sollen  nicht  die  durch  eine  Heirat  mit  den)  Meer  er- 
langte Seeherrschaft  bezeichnen. 

5)  Heil-  und  Abwehrzauber. 

0.  Weinreich,  Antike  Heilungswunder,  Untersuchungen  zum 
Wunderglauben  der  Griechen  und  Römer  (RV  u.  V,  VIII  Ij,  Gießen 
1910  behandelt  im  ersten  Kapitel,  das  unter  dem  Titel  QEOY 
XEIP  als  Heidelberger  Dissei'tation  1908  erschien,  das  Handauflegen. 
Obwohl  es  dem  Vf.  weniger  darauf  ankommt,  eine  möglichst  voll- 
ständige Sammlung  anzulegen,  als  darauf,  an  einzelnen  Typen  den 
Foi'men  nachzugehen,  in  denen  sich  der  Wunderglaube  äußert,  er- 
gibt sich  aus  seinen  Zusammenstellungen  doch ,  daß  diejenige  Art 
des  Glaubens  an  übernatürliche  Kräfte,  die  man  als  die  primitivste 
betrachten  möchte,  der  Glaube  an  die  persönliche  Kraft 
eines  Wundertäters^  im  Altertum  verhältnismäßig  selten  be- 
ijeugt  ist:  sie  haftet  fast  nur  an  Philosophen  und  Herrschern. 
Der  Beiname  mancher  hellenistischer  Fürsten  ^cotiJq  wird  (S.  75) 
darauf  bezogen.  K.  II  handelt  über  Traumheiligungen,  III  über 
heilende  Statuen.  Im  öffentlichen  Kult  ist  der  Glaube  an  über- 
natürliche Kräfte  einzelner  Menschen  fast  verschwunden :  der  grie- 
chische und  der  italische  Priester  ist  im  allgemeinen  kein  Wunder- 
täter. Wo  die  Heilungen,  die  bei  den  Tempeln  vorkommen  sollten, 
überhaupt  noch  als  Wunder  gefaßt  wurden,  paßte  man  sie  der  um- 
gewandelten religiösen  Auffassung  dadurch  an,  daß  sie  Gottheiten 
wie  Asklepios,  ApoUon,  Zeus  usw.  zugeschrieben  wurden  (auch  die 
Namen  Hyperdexios,  Hyperdexia  werden  von  Wein  reich  41  auf 
die  Heilkraft  bezogen),  die  an  die  Stelle  des  Zauberers  getreten 
waren.  Murray  in  Maretts  Anthropology  and  the  Class.  77  glaubt 
sogar,  daß  ^eog,  das  er  zu  violvi^eaiog,  ^aaaaai^ai,  feriae,  festus 
stellt,  ursprünglich  den  für  einen  Gott  gehaltenen  „Medizinmann" 
bezeichnete,  und  daß  der  Glaube  an  höhere,  jenseits  des  Zauberers 
und   der    sichtbaren  Welt    stehende  Göttermächte   den  eigentlichen 


174  Heil-  und  Abwehrzauber. 

Fortschritt  von  der  vorhellenischen  zur  hellenischen  Religion  dai-- 
stelle.  Diese  Gottheiten  sind  dann  oft  zu  heroischen  Wesen  wie 
Amphiaraos,  Trophonios  (Wein reich  99),  Helena  (ebd.  51)  ge- 
worden. Nicht  selten  treten  für  die  übernatürlichen  Wesen  deren 
Statuen  oder  Abzeichen  ein.  Die  dämonische  Macht,  die  auch  in 
Griechenland  einzelnen  Gegenständen  teils  infolge  ihrer  Herkunft 
(wie  den  Aerolithen).  teils  wegen  anderer  auffallender  Eigenschaften 
zugeschrieben  wurde,  sollte  sich  natürlich  auch  in  der  Macht  äußern, 
Krankheiten  oder  auch  anderes  Unglück  zu  heilen  oder  zu  ver- 
hüten. So  entsteht  der  Glaube  an  Amulette;  das  Wort  lautete 
nach  Stow  asser,  Wien.  Stud.  XXXII,  1910  S  160  eigentlich 
„hamuletum"  und  bezeichnete  einen  „mit  einem  Haken  versehenen 
Gegenstand";  dagegen  ist  nach  Wünsch,  Glottall,  1910,  219  ff. 
amuletum  soviel  als  amulum,  a/.ivkov,  die  aus  nicht  in  der  Mühle 
gemahlenem,  sondern  zerstampftem  Getreide  bereitete  Speise,  der 
man  allerhand  zauberhafte  Wirkungen  zuschrieb  und  die  daher  in 
vielfachen  Zusammensetzungen  als  Heilmittel  verwendet  wurde 
(Phn.  n.  h.  XX  148;  XXII  137;  XXIII  117,  126,  144;  XXVI  49; 
XXIX  41,  47;  XXX  78,  126).  —  An  Wünsch  schheßt  sich 
S k u t s c h  ebd.  398  ff.  an.  —  Nach  Kropatschek,  De  amuletorura 
apud  antiquos  usu ,  Diss.  Greifsw.  1907,  der  in  dem  ersten  der 
beiden  veröffentlichten  Kapitel  ausführlich  über  die  (fvXaA.TriQia 
spricht,  glaubte  man  ursprünglich  durch  den  auf  dem  Amulett  ein- 
gegrabenen Zauberspruch  oder  durch  den  göttlichen  Namen  den 
bösen  Dämon  bezwingen  zu  können ;  später  erst  wurde  nach  Kro- 
patschek Spruch  oder  Name  fortgelassen,  und  beliebige  Dinge,  denen 
magische  Kraft  zugeschrieben  wurde ,  konnten  als  7teQidj.i(4aTa 
dienen.  —  Einzelne  Zusätze  gibt  C.  J(ullian),  Rev.  et.  anc.  XIII, 
1911,  198.  —  Ein  silbernes  Amulett  veröffenthcht  ß.  Wünsch. 
Arch.  f.  Religionswissensch.  XII,  1909,  24  ff.  Die  längere  apo- 
tropäische  griechische  Inschrift  bietet  wenig  Griechisches ,  mehr 
Ägyptisches  (Osornophris ,  Knephi ,  Set)  und  Jüdisches  (Abrias, 
Alarphot,  Moses).  —  Saintyves,  Talismans  et  reliques  tombes 
du  ciel,  Rev.  des  et.  ethnogr.  et  sociol.  II,  1909,  175  ff.,  Rev. 
ethn.  et  soc.  I,  1910,  50ff. ;  103  ff.  sammelt  namentlich  christliche 
Überlieferungen  für  den  in  der  Überschrift  bezeichneten  Aber- 
glauben ,  den  er  aus  der  Vorstellung  vom  Blitzstein  herleitet.  — 
.,Die  Amulette  der  alten  Ägypter"  ist  ein  Aufsatz  von  A.  W  i  e  d  e - 
mann,  Der  alte  Orient  XII  1,  Leipzig  1910,  betitelt.  —  Deonna, 
Talismans  magiques  trouves  dans  l'ile  de  Thasos ,  Rev.  et.  gr. 
XX-    1907.    364  ff.    erklärt   das    Buchstaben-    und    Zahlenspiel    auf 


Heil-  und  Abwehrzauber.  I75 

mehreren  „magischen"  Metalldisken,  die  im  Ausgang  des  Mittel- 
alters angefertigt  sind,  als  eine  Nachwirkung  der  antiken  Magie.  — 
Den  Amuletten  stehen  begrifflich  nahe  die  unverletzlichen  Waflfeu, 
die  Palladien.  Vergleichen  lassen  sich  auch  besondere  Umstände, 
durch  die  Einzelne  oder  Städte  unbezwingbar  gemacht  werden 
können.  Daß  der  Glaube  an  solchen  dämonischen  Schutz  schon 
Homer  bekannt  war  und  nur  deshalb  nicht  von  ihm  hervor- 
gehoben wird ,  weil  er  dem  Zauberwesen  überhaupt  abgeneigt 
ist,  wül  Paton,  Class.  Rev.  XXVI,  1912,  1  ff.  erweisen.  Schon 
die  erste  Rüstung  des  Achilleus  soll  unverletzlich  gewesen  sein, 
da  Patroklos  erst  getötet  wird ,  als  Apollon  sie  ihm  abgestreift 
hat  und  Hektor  nur  an  der  Stelle,  wo  sie  eine  Lücke  hatte, 
verwundbar  icst.  Auch  wäre  nach  Paton  Patroklos  Sieger  ge- 
wesen, wenn  er  nicht  gegen  Achilleus'  Befehl  in  das  Gebiet 
des  Stadtgottes  Apollon  eingedi'ungen  wäre.  —  Als  Palladion 
diente  nach  Svoronos,  Journ.  intern,  d'antiqu.  num.  XVI,  1914, 
98  ff.  Schiffen  die  azilig  auf  der  nqvfxvrj.  Dort  wurden  auch  die 
Schutzgötter  des  Schiffes  dargestellt  (Val.  PI.  VIII  203;  vgl.  den 
attischen  Heros  -/.aia.  7tQtf.tvav,  Clem.  tvqoxq.  II  40,  2,  S.  35  Po.), 
doch  geschah  dies  mehr  auf  großen  Luxusschiffen ;  auf  Kriegs-  und 
Handelsfahrzeugen,  für  die  eine  so  schwere  Belastung  störend  war, 
ersetzte  man  sie  durch  die  Flaggenstange.  Svoronos  vergleicht 
(102)  das  ^vXov  \eq6v  der  dodonaiischen  Eiche  auf  der  Argo.  — 
Über  Palladien  als  Blitzableiter  s.  u.  (  Wettersauber).  —  Daß  bisweilen 
die  Fetische ,  von  denen  Heilung  erhofft  wurde ,  die  Form  von 
Fingern  haben,  erklärt  sich  vielleicht  z.  T.  aus  dem  alten  Glauben 
an  die  Heilkraft  der  Finger,  wofür  Weniger,  Klio  VII,  1907, 
173  f.  und  Weinreich,  Antike  Heilungswunder  33  f.,  4.5,  2  viele 
Belege  sammeln.  —  Mehrere  Arten  des  „guten  Zaubers"  lebten 
nur  im  niederen  Aberglauben  fort :  Krankheiten  wurden  auf  Sühne- 
puppen übergeleitet,  wofür  Scheftelowitz,  Arch.  f.  Relig.  XVII, 
1914,  192  Beispiele  beibringt,  Dämonen  an  bestimmte  Orte  ge- 
bannt, worüber  Wünsch,  Festschr.  d.  Schles.  Gesellsch.  f.  Volksk., 
1910,  S.  9  ff.,  und  Fr.  Pradel,  Griech.  u.  süditalien.  Gebete,  Be- 
schwörungen und  Rezepte  des  Mittelalters,  103  ff".  (RV  u.  V  III, 
0.  355  ff.)  handeln.  Bisweilen  wurde  der  Heilzauber  nachträglich 
seines  übernatürlichen  Charakters  entkleidet  und  als  notwendige 
Folge  eines  natürlichen  Vorgangs  betrachtet.  Dieser  Weg,  der  um 
so  gangbarer  war ,  als  von  Anfang  an  im  Heilzauber  solche  Maß- 
regeln bevorzugt  waren ,  die  vermeintlich  oder  auch  wirklich  die 
erhoffte  günstige  Wirkung   zu  erzielen  geeignet  waren ,    führte  zur 


17o  Heilzaubcr.     lleiuiguugen. 

Volkstncdiz  in ,  deren  Eutwickluug  zwar  nicht  mehr  zur  Religiona- 
geschicbte  gehört,  aber  doch  für  diese  wichtig  ist,  weil  sich  in  ihr 
viele  und  zwar  oft  gerade  sehr  alte  religiöse  Vorstellungen  erhalten 
haben.  Eine  Übersicht  über  diesen  Teil  der  Heilkunde  geben 
0.  V.  Hovorka  und  A.  Kronfeld,  Vergleichende  Volksmedizin, 
eine  Darstellung  volksmedizinischer  Sitten  und  Gebräuche ,  An- 
schauungen und  Heilfaktoren  des  Aberglaubens  und  der  Zauber- 
medi/in  unter  Mitwirkung  von  Fachgelehrten  herausgegeben.  2  Bde. 
Stuttgart  1908/9.  Der  erste ,  alphabetisch  geordnete  Band  sollte 
die  Lehre  von  den  Ursachen ,  dem  Wesen  und  der  Heilung  der 
Krankheiten  geben  \  der  zweite,  spezielle  Teil  ist  in  folgender  Weise 
geordnet:  1.  Innere  Medizin,  2.  Chirurgie,  3.  Geburtshilfe.  4.  Kinder- 
heilkunde. 5.  Hautkrankheiten,  6.  Augenkrankheiten,  7.  Ohren- 
krankheiten, 8.  Zahnheükunde,  9.  Zaubermedizin.  Die  griechisch- 
i-ömische  Volksmedizin ,  die  mit  religiösen  Vorstellungen  vielfach 
zusammenhängt  und  teilweise  aus  solchen  hervorgegangen  ist,  wird 
ausgiebig  herangezogen ,  aber  in  der  ungeheuren  Masse  der  hier 
zusammengetragenen  Vorstellungen ,  von  denen  fast  jede  einzelne 
trotz  des  großen  ümfangs  des  Werkes  nur  oberflächlich  behandelt 
werden  konnte,  treten  diese  Beziehungen  doch  mehr  zurück,  als 
der  Religionshistoriker  zunächst  erwartet.  Wäre  das  Buch  sorg- 
fältiger gearbeitet  oder  enthielte  es  wenigstens  genaue  Quellen- 
angaben, die  eine  Nachprüfung  ermöglichten,  so  würde  es  trotzdem 
auch  für  die  Geschichte  der  Mythen  und  Kulte  einem  dringenden 
Bedürfnis  abhelfen.  —  Über  die  volksmedizinische  Literatur  der 
Jahre  1909 — 1912  berichtet  M.  Höfler,  Arch.  f.  Religionswiss. 
XVI,  1913,  598  ff.  —  Viele  mit  der  populären  Heilkunde  zusammen- 
hängende Gebräuche  werden  gelegentlich,  aber  mit  der  bei  Fr az er 
fast  selbstverständlichen  Ausführlichkeit  in  dessen  Golden  Bough 
behandelt,  so  der  Gebrauch  des  Wermu,ts  VII  ii,  58  ff. 

Ein  anderes  Gebiet,  auf  dem  sich  ßeste  des  alten  Heilzauber.s 
erhalten  haben,  sind  die  JReinhei tsv orschri  ff rn ,  die  sich  be- 
sonders auf  Kleidung,  Nahrung  und  den  Geschlechtsvei-kehr  be- 
ziehen, und  die  Tteinigungsgehräuche.  Von  den  volks- 
tümlichen Gesundheitsregeln  unterscheiden  sie  sich  dadurch ,  daf.) 
sie  auch  später  als  religiöse  Gebote  empfunden  wurden  und  gleich 
diesen  die  Neigung  haben,  sittliche  Bedeutung  anzunehmen.  Aber 
durch  Götter  wird  die  Reinigung  so  wenig  herbeigeführt  wie  durch 
gottbegnadete  Menschen ;  vielmehr  hat  der  einzelne  die  Pflicht  und 
auch  die  Kraft,  sich  durch  Befolgung  der  bestehenden  Vorschriften 
gegen  Verunreinigung  zu  schützen.    Ganz  sicher  sind  diese  Unter- 


Reinheitsvorschriften:  Kleidung,  Entblößung.  177 

Scheidungen  nun  freilich  besonders  in  der  älteren  Periode  nicht ; 
noch  in  der  Zeit ,  deren  Kultur  sich  im  Mythos  spiegelt ,  werden 
Sühnungen  von  schwererer  Verschuldung  nicht  bloß  an  Heilig- 
tümern ,  sondern  auch  mit  Hilfe  besonderer  Sühnegottheiten 
vollzogen ,  die  selbst  später  bisweilen  angerufen  werden ;  und 
andererseits  haben  in  ältester  Zeit  Gebräuche,  die  später  zu  ein- 
fachen hygienischen  Maßnahmen  abgeblaßt  sind,  noch  religiöse  Be- 
deutung. Es  müssen  daher  im  folgenden  Arbeiten  zur  Sprache 
kommen,  die  auch  früher  schon  hätten  genannt  werden  können.  Es 
wird  zwar  nicht  in  jedem  einzelnen  Fall,  aber  doch  im  allgemeinen  der 
geschichtlichen  Entwicklung  entsprechen,  wenn  zunächst  die  äußer- 
lichen, auf  die  Tracht  bezüglichen  Vorschriften  ins  Auge  gefaßt 
werden. 

Heckenbach,  De  nuditate  sacra  sacrisque  vinculis  (RV 
u.  V,  IX  3)  1911  behandelt  im  ersten  Kapitel  die  Enthlößung 
(auch  die  Barfüßigkeit)  im  Kultus ,  das  zweite  geht  auf  den  Aber- 
glauben ,  das  dritte  auf  Reste  der  antiken  Sitte  im  Christentum 
ein.  Ebenso  ist  der  zweite  Teil  gegliedert,  der  die  heiligen  Binden 
und  Knoten  und  vor  allem  deren  Lösung,  auch  die  Auflösung  der 
Haare  betrifft.  Der  Wert  der  Arbeit  besteht  in  der  Sammlung  des 
Stoffes,  die  Verweisungen  sind  jedoch  nicht  immer  zuverlässig.  — 
Vgl.  über  denselben  Gegenstand  Oppenheim,  Wiener  Stud.  XXX, 
1908,  163  f.,  der  besonders  die  Zauberei  ins  Auge  faßt,  und  die  durch 
Studniczka  angeregte  Untersuchung  von  W.  R.  Müller,  Nackt- 
heit und  Entblößung  in  der  altorientalischen  und  älteren  griechischen 
Kunst,  Leipzig  1906,  S.  79  ff.  Im  rituellen  Gebrauch  ist  Nacktheit 
für  Ägypten  nicht  nachweisbar,  wohl  aber  Nacktheit  und  Ent- 
blößung wenigstens  des  Mannes  für  Babylonien  (32):  in  Syrien  be- 
gegnet Entblößung  des  Oberkörpers  in  der  Trauer  und  im  Toten- 
kult, bei  den  Israeliten  als  Demütigung  vor  Gott  auch  im  Kult  (46) : 
in  der  altgriechischen  Kultur ,  von  der  die  sogen,  geometrische 
Kunst  Kunde  gibt,  entblößen  sich  Männer  und  Frauen  teilweis  im 
Totenkult  (78,  82  f.) ,  im  attischen  Kult  der  Blütezeit  fehlt  das 
nackte  Weib.  —  Daß  die  Luperci  den  Umlauf  ursprünglich  ganz 
nackt  veranstalteten,  glaubt  L.  Deubner,  Arch.  f.  Religionsgesch. 
Xni,  1910,  491,  dem  sich  W.  F.  Otto,  Philol.  LXXII,  1913. 
181  anschließt.  —  Über  die  eigentümliche  Vorstellung,  wonach  das 
Erblicken  der  Geschlechtsteile  eines  nahen  Verwandten  verboten 
ist,  spricht  Dussaud,  Rev.  bist.  rel.  LIX,  1909^,  222  f.  im  An- 
schluß an  Genes.  9,  22  f.  —  Vielfach  ist  über  die  weitverbreitete 
noch  jetzt  im  Islam  herrschende  Sitte  gehandelt  worden,  beim  Be- 

Jalirosbericht  für  Altertumswissenschaft.    Rd.  186  (Snpplementband).  12 


178  Nacktheit  und  Bekleidung  bei  Fluch  und  Opfer. 

treten  heiliger  Stätten  und  beim  Gottesdienst  beide  Füße  odei- 
wenigstens  den  einen  zu  entblößen.  Bildliche  Darstellungen  von 
Opferern,  die  nur  an  einem  Fuß  Sandalen  oder  Schuh  haben,  ver- 
zeichnet Katharine  Esdaile,  Journ.  Hell.  Stud.  XXIX,  1909,  2. 
Noch  immer  gehen  die  Meinungen  über  den  zugrunde  liegenden 
Gedanken  weit  auseinander.  Nach  Penqiiitt,  De  Didonis  Ver- 
gilianae  exitu,  Königsb.  Diss.  1910,  S.  53  hoffte  man,  daß  die 
magischen  Kräfte  der  Erde  leichter  in  den  Barfüßigen  eindrängen ; 
ähnlich  erklärt  Weinreich,  Hess.  Blatt,  f.  Volksk.  X,  1911, 
129  f.,  212,  der  u.  a.  auch  an  den  jiaig  acp^  laiiag  auf  von 
K.  Esdaile  erwähnten  Kultdarstellungen  erinnert,  die  Sitte  aus 
dem  Bestreben,  einen  möglichst  innigen  Kontakt  des  Menschen  mit 
einem  irgendwie  kraftbegabten  Medium  herzustellen.  Dagegen  glauben 
Wächter,  Reinheitsvorschr.  (RV  u.  V,  IX,  1910,  23  ff.  und 
Heckenbach,  De  nuditate  sacra  (ebd.  1X3,  1911)  S.  23  ff.  daß 
man  beim  Opfer  keinen  Knoten  haben  durfte ,  weil  den  Bändern, 
die  den  Schuh  befestigten ,  eine  die  Wirkung  des  Ritus  beein- 
trächtigende Elraft  zugeschrieben  wurde.  Daß  auch  beim  Orakel 
der  eine  Fuß  entblößt  ward,  folgert  Haus  er,  Österr.  Jahresh. 
XVI,  1913,  57  ff.  aus  dem  Asklepios  auf  dem  Omphalos  (Relief  aus 
dem  athenischen  Asklepieion,  ca.  420  v.  Chr.)  und  aus  der  von 
ihm  für  eine  Pythia  gehaltenen  „Schutzfiehenden"  des  Palazzo 
Barberini.  —  W.  A  m  e  1  u  n  g ,  Diss.  della  pontific.  accad.  di  arch. 
IIix,  1907,  113  ff.  leitet  die  Entblößung  des  einen  Fußes  teils  aus 
dem  Bestreben  der  so  dargestellten  Menschen  her,  als  Wahnsinnige 
Aufsehen  zu  erregen,  teils  aber  aus  dem  Kult  der  Unterirdischen. 
Deshalb  ist  nach  Amelung  auf  den  meisten  Darstellungen  dieser 
Art  der  linke  Fuß,  der  wie  die  linke  Hand  als  den  Unterirdischen 
geweiht  galt,  ohne  Sandale.  —  Zur  Entblößung  der  Füße  steht  in 
merkw^ürdigem  Gegensatz  die  von  D  i  e  t  e  r  i  c  h ,  Kl.  Sehr.  440  ff. 
besprochene  Bedeckung  der  Hände,  mit  denen  man  sich  dem 
Heiligen  naht.  Schon  die  altpersische  Etikette  verlangt,  daß  man 
vor  den  König  nur  trat,  nachdem  man  die  Arme  in  die  langen 
Scheinärmel  (/.OQUi)  der  y.dvövg  gesteckt  hatte  (Xenoph.  El^.  II 
1,  8;  vgl.  KvQ.  Ttaid.  VIII  3,  10);  in  hellenistischer  Zeit  begegnet 
Verhüllung  der  Hände  auch  im  Gottesdienst,  wird  von  einem  der 
späteren  Kaiser,  wahrscheinlich  Diocletian  in  die  römische  Hofsitte 
eingeführt  und  findet  sich  oft  auf  mittelalterHchen  Denkmälern, 
wo  z.  B.  Heilige  die  Abzeichen  ihres  Märtyrertums  oder  andere 
heilige  Gegenstände  in  verhüllter  Hand  tragen.  Im  Gegensatz  zu 
Diels,  der  für  die  Verhüllung  des  Körpers  oder  des  Gesichtes  beim 


Rituelle  Nacktheit  und  Bekleidung.     Obszöne  Riten.  179 

Opfer  einen  katliartischen  Zweck  annahm,  glaubt  D eubn er ,  Arch. 
f.  Religionsw.  VIII,  1908<  Beih.  S.  70  ff. ,  daß  es  sich,  wie  man 
früher  vorausgesetzt  hatte ,  darum  handelte ,  jede  Störung  fern- 
zuhalten. 

Zur  festlichen  Tracht  gehört  im  späteren  griechischen  Kult 
auch  der  Blumenschmuck ,  den  nicht  nur  meist  die  feiernden 
Menschen,  sondern  auch  der  Festplatz,  der  Altar  und  oft  die  Opfer- 
geräte tragen.  Obwohl  diese  Sitte  nicht  aus  alten  Reinheitsvor- 
schriften  erwachsen  ist,  wii'd  sie  später  doch  ähnlich  wie  diese 
behandelt:  Unreinheit  und  Entweihung  schließt  in  der  Regel  den 
Festkranz  aus.  J.  Klein,  der  in  einem  Gymnasialprogi-amm  zu 
Günzburg,  Der  Kranz  bei  den  alten  Griechen,  eine  religionsgeschicht- 
liche Studie  auf  Grund  der  Denkmäler,  1912  diese  Sitte  eingehend 
besprochen  hat,  betont  m.  R.  den  religiösen  Charakter  des  Kranzes, 
den  er  z.  B.  (26  ff.)  auch  beim  Symposion  annimmt.  Vgl.  auch 
J.  Koechling.  De  coronarum  apud  antiquos  vi  atque  usu,  RV  u. 
V,  XV  2. 

Mit  der  Entkleidung  sind  namentlich  im  Zauber  öfters  andere 
Un anständigheiten  verbunden,  die  daher  von  Heckenbach, 
De  nuditate  sacra  (o.  177)  ebenfalls  behandelt  sind.  Daß  mit  den 
Abbildern  der  Geschlechtsteile  die  Fruchtbarkeit  der  Erde  gesteigert 
werden  sollte ,  trifft  zwar  in  einzelnen  Fällen  zu ,  doch  geht  der 
Vf.  z.  T.  zu  weit,  z.  B.  wenn  er  (S.  59)  mit  Kaibel  die  Daktyloi 
Idaioi  hierher  zieht.  —  Hartland,  Anthropological  Essays  pre- 
sented  to  E.  B.  Tylor  in  honour  of  his  75*'^  Birthday  1907,  189  ff. 
stellt  zahlreiche  Zeugnisse  für  .die  sakrale  Prostitution  zusammen, 
die  er  für  einen  Pubertätsritus  hält.  S.  201  wird  ein  bekannter 
römischer  Hochzeitsbrauch  als  symbolische  Defloration  gedeutet  und 
mit  der  im  indischen  Sivakult  geübten  wirklichen  Defloration  ver- 
glichen. —  Der  älteste  griechische  und  wahrscheinlich  auch  schon 
der  vorgi^echische  Kult  enthielt  Riten,  die  dem  von  L.  v.  Schröder, 
Mysterium  und  Mimus,  Leipz.  1908,  S.  161  beschriebenen  Zauber 
am  Sonnenwendfest  (Mahävi-ata)  entsprechen.  Ein  zur  Keuschheit 
verpflichteter  Priester  (Brahmacärin)  vereinigte  sich  an  diesem  Tage 
mit  einer  Dirne,  wie  das  Kathakam  sagt,  zur  Erlangung  der  Geburt 
(oder  der  Zeugungskraft)  des  Jahres,  v.  Schröder  erinnert  an  das 
Lied  Rigveda  I  179,  das,  wie  er  glaubt,  für  die  Darstellung  der 
ehelichen  Vereinigung  des  Agastya  und  seiner  Gattin  Lopämudra 
bestimmt  ist.  Bestätigt  sich  diese  Auffassung,  so  ist  auch  in 
Indien  dieser  obszöne  Ritus  für  die  älteste  Zeit  bezeugt,  und 
zwar  dient   er  hier  dem   agrarischen  Fruchtbarkeitszauber,   wie  oft 

12* 


IgQ  Obszönes  im  Kulte.    Keuschheit. 

in  Griechenland.  Als  indogermanisch  kann  dennoch  der  Zauber,  da  ihn 
die  Griechen  von  den  älteren  Bewohnern  entlehnt  zu  haben  scheinen, 
nicht  gelten.  —  Eine  ähnliche  unanständige  Pantomime .  die  der 
■/.aTatßt?o^  mit  seiner  Gattin  auf  einem  Strohhaufen  vor  dem  Haus 
aufführt,  ist  nach  der  Besclu'eibung  von  Dawkins,  Journ.  Hell. 
Stud.  XXVI.  1906.  198  noch  jetzt  an  manchen  Stellen  üblich. 
Auch  in  diesen  häßlichen  Gebräuchen  sind  Nachwirkungen  uralter 
Begehungen  zu  vermuten,  die  einst  die  Fruchtbarkeit  der  Erde  steigern 
sollten.  —  Andere  Unanständigkeiten  sollten  eine  abwehrende 
Kraft  haben ,  z.  B.  die  Geste ,  die  jetzt  namentlich  in  Italien  viel- 
fach als  „die  Feige  zeigen"  bezeichnet  wird,  und  die  auch  im 
heutigen  Griechenland  unter  dem  Namen  q>äa>iEXo  (B.  Schmidt,  Neue 
Jahrbb.  1913,  584  ff.)  in  Gebrauch  ist;  aus  ihr  erklärt  A.  B.  Cook, 
Class.  Rev.  XXI,  1907,  133  den  Ausdruck  avy.o(pairt;g.  Vgl.  o. 
(123).  —  Die  abwehrende  Kraft  des  Phallos  liegt  nach  Wundt, 
Mj'th.  und  Rel.  I  186  f.  darin,  daß  er  als  Sitz  der  seelischen  Kraft  galt. 
—  Im  Gegensatz  zu  und  doch  z.  T.  in  Verbindung  mit  den  un- 
anständigen Begehungen  wird  für  andere,  bisweilen  gleichartige  und 
demselben  Zweck  dienende,  die  Keuschheit  der  Teilnehmer  ver- 
langt. Oft  muß  der  vermeintlichen  geschlechtlichen  Vereinigung 
mit  dem  dämonischen  Wesen  dauernde  oder  wenigstens  zeitweilige 
Enthaltung  von  irdischem  Liebesumgang  vorhergehen.  —  Die  aus 
diesem  Grund  oder  auch  aus  anderen  geforderte  religiöse  Absti- 
nenz behandelt  gründlich  Eugen  Fehrle,  Die  kultische  Keusch- 
heit im  Altertum  (RV  u.  V,  VI),  Gießen  1910.  Kultvorschriften, 
nach  denen  Knaben  oder  Mädchen  .(Tra^^tVot  bezeichnet  auch  junge 
Frauen,  wie  F.  selbst  163  ff.  hervorbebt)  einen  Dienst  zu  versehen 
hatten,  wären  besser  weggeblieben,  und  sicher  gehören  Opfer,  welche 
jungfräuliche  Bräute  darbringen ,  nicht  in  eine  Untersuchung  über 
Keuschheitsvorschrifteu.  Daß  die  S.  7  angeführten  Zeugnisse  für 
die  Begründung  der  Keuschheit  der  Pythia  nur  auf  boshaften  Aus- 
legungen christlicher  Schriftsteller  beruhen,  hebt  m.  R.  N  i  1  s  s  o  n  , 
Arch.  f.  Religionsw.  XII,  1909,  578  hervor.  —  Eisele,  Neue  Jahr- 
buch. XXIII,  1909,  625  billigt  Frazers  Vermutung,  daß  die  Ent- 
mamnung  der  Kj'^belepriester  im  Frühling  ihre  geschlechtliche  Kraft 
in  die  Natur  zur  Erzeugung  neuer  Vegetation  pflanzen  sollte.  Dem 
Berichterstatter  erscheint  es  im  Gegensatz  dazu  zweifelhaft,  ob  die 
Selbstverstümmelung  der  Galloi  in  die  Zeit  hinaufreiche ,  wo  die 
Göttermutter  noch  die  große  Mutter  Erde  war  und  ihr  Fest  noch 
als  aus  einem  Ackerbauzauber  erwachsen  verstanden  wurde,  ob  sie 
nicht   vielmehr    erst   im   6.  Jh.    eingeführt    ist ,    als  eine  fanatische 


Reinheitsvorschriften.  1  g  ] 

dem  Sinnengenuß  und  der  Weltfreude  abgeneigte  Bichtung  sich  in 
dem  größten  Teil  der  Kulturwelt  geltend  machte. 

Als  etwas  Unreines  war  jedoch  der  Geschlechtsverkehr  wahrschein- 
lich weit  früher  empfunden  worden  und  deshalb  hatten  diejenigen, 
die  sich  in  den  Zustand  besonderer  lieinheit  erheben  wollten,  ihn 
gemieden.  —  Das  Wort,  mit  dem  später  vorzugsweise  die  religiöse 
Keuschheit  bezeichnet  wird,  ayveia ^  bedeutet  wie  Fehrle,  Die 
kult.  Keuschheit  im  Altertum  S.  42  ff.  auseinandersetzt,  ursprünglich 
überhaupt  die  durch  Sühnung  und  religiöse  Reinigung  herbeigeführte 
Reinheit;  auch  castus  hat  (ebd.  206 ff.)  ursprünglich  eine  allge- 
meine Bedeutung  gehabt.  Beide  Wörter  bezeichnen  aber  gewöhnlich 
einen  Grad  der  Reinheit  und  die  zu  dessen  Erreichung  notwendigen 
Maßregeln,  insofern  sie  über  das  Maß  hinausgehen,  in  dem  alle  Men- 
schen ohne  Unterschied  und  dauernd  zu  sein  streben  müssen.  Inner- 
halb dieser  Bedeutung  fordert  Deubner,  Arch.  f.  Religionsw.  1913, 
127  ff.  die  scharfe  Unterscheidung  der  kaihartischen ,  d.  h.  auf 
Beseitigung  vorhandener  Unreinheit  und  der  apotroj)äischen ,  d.  h. 
auf  Femhaltung  künftiger  Unreinheit  gerichteten  Riten ;  beide  Auf- 
fassungen werden  aber  bisweilen  mit  derselben  Maßregel  verbunden 
und  gehen  dann  ineinander  über.  So  erklärt  sich  nach  Deubner 
a.  a.  0.  134  (vgl.  den  Vortrag  auf  dem  4.  religionsgesch.  Kongress, 
Acts  S.  135) ,  daß  die  wesentlich  apotropäische  Begehung  des 
lustrum  mit  einem  Wort  bezeichnet  wird ,  das  ursprünglich  ein 
Reinigungsmittel,  also  eine  yiccd^agaigi  die  Beseitigung  eines  bereits 
Unreinen  bedeutete ,  denn  lustrum  condere  heißt  eigentlich  das 
Spülicht ,  das  unrein  gewordene  Reinigungswasser  begraben.  Ur- 
sprünglich waren  beide  Maßregeln  verbunden ;  es  hatte  sich  aber 
nur  die  eine  erhalten  und  zwar  gerade  die ,  welche  zum  Namen 
nicht  paßte ,  so  daß  man  sogar  die  Umwandlung  der  Felder  und 
die  apotropäischen  Suovetaurilia  als  Lustratio  bezeichnen  konnte. 
Auch  Warde  Fowler  leitet  in  dem  Sammelband  Anthropology 
and  the  Class.  S.  169  ff.  (in  der  Übersetzung  von  Hoops,  Heidel- 
berg 1908,  S.  201  ff.)  lustrum  mit  Varro  L.  L.  VI  11  von  luere 
ab;  später  erhielt  das  Wort  die  Bedeutung  „langsam  wandern" 
(z.  B.  Verg.  Aen.  I  608).  Daß  die  lustratio  je  eine  wirklich  ethische, 
religiöse  Bedeutung  angenommen  habe  wie  bei  den  Griechen  bis 
zu  einem  gewissen  Grade  /.dd^aQOig,  wird  bestritten  •,  erst  die  fremden 
Religionen  haben  eigentlich  kathartische  Begehungen  nach  Rom 
gebracht.  —  Vgl.  über  Lustrum  auch  Fowler,  Religious  Exper. 
Rom.  People  209  ff. ;  das  von  Tib.  II  1  beschriebene  Fest  wurde 
nach  Fowler,    Class.  Rev.  XXII,  1911,   36  im  Frühling  gefeiert, 


182  Keinheitsvorschriften. 

ähnlich  der  Lustratio  agri  bei  Verg.  Georg.  I  339  flf.;  Ov.  Fast.  I 
657  hat  das  auf  die  im  Januar  gefeierten  Feriae  semeutivae  = 
Lustratio  pagi  übertragen.  —  Über  eine  besondere  Ai't  des  Lustrum, 
das  Lustrum  missum,  das  dann  vorgenommen  wurde,  wenn  in  dem 
heiligen  Bezirk  der  Arvalbrüder  Bäume  beseitigt  werden  mußten, 
geben  die  neuen  Ai-valakten  Auskunft ;  vgl.  Wisso  wa,  Herm.  LH, 
1917,  325  f. 

Über  Vorgänge ,  die  nach  griechischer  Anschauung  Unreinheit 
herbeiführen,  handelt  Th.  Wächter  in  einer  von  R.  Herzog  an- 
geregten Uutersucbung  die  teilweise  als  Tübinger  Dissertation, 
Naumburg  a.  S.  1910,  vollständig  in  RV  u.  V,  IX  1,  1910  u.  d.  T. 
„Reinheitsvorschriften  im  griechischen  Kult"  erschienen  ist.  Nach- 
dem in  der  Einleitung  zwischen  ayrelat^  d.  h.  den  vor  oder  während 
einer  Kultbetätigung  zu  vermeidenden  Handlungen  und  den  vom 
Vf.  nicht  mitbehandelten  /M^agtuoi,  den  im  Fall  eingetretener  Ver- 
unreinigung erforderlichen  Sühnungen  unterschieden  ist,  werden  in 
§  1  die  für  das  Betreten  gewisser  Heiligtümer  und  für  die  Dar- 
bringung einzelner  Opfer  gültigen  Reinheitsvorschriften ,  die  meist 
über  das  Maß  der  auch  im  täglichen  Leben  zu  befolgenden  Gebote 
hinausgehen,  besprochen;  §  2  behandelt  insbesondere  die  Reinheit 
der  Tracht.  Es  folgen  längere  Untersuchungen  über  die  Herbei- 
führung der  Unreinheit  durch  Geburt  (§  3j,  Menstruation  (§  4), 
Elrankheiten  (§  5),  Tod  (§  G)  und  Mord  (§  7).  Femer  werden 
die  Tiere  (§  8),  Pflanzen  (§  9)  und  Metalle  (§  10)  aufgeführt, 
denen  Unreinheit  zugesclu-ieben  wurde.  Den  Beschluß  bilden  die 
Zeugnisse  für  den  Ausschluß  der  Fremden  (§  11).  Sklaven  (§  12) 
und  Frauen  (§  13)  von  gewissen  Opfern.  Soweit  es  innerhalb 
dieses  Rahmens  möglich  war,  sind,  wenn  auch  natürlich  nicht  alle 
einzelnen  Zeugnisse ,  so  doch  die  wesentlichen  Arten  der  ay- 
reiai  ziemlich  vollständig  gesammelt;  eine  absichtliche  Lücke  ist 
durch  die  Auslassung  der  durch  geschlechtliche  Vereinigung  ent- 
standenen Unreinheit  veranlaßt,  für  die  auf  Fehries  Arbeit  {s.  o.  S.  181) 
verwiesen  werden  konnte.  In  der  Bewertung  der  Zeugnisse  und 
in  den  aus  ihnen  gezogenen  Folgerungen  beweist  der  Vf.  im  all- 
gemeinen einfaches  und  nüchternes  Urteil;  in  einzelnen  Fällen 
wird  man  anders  entscheiden  müssen.  Weiße  Kleidung  gehörte  nicht 
so  zum  Opfer,  wie  von  Wächter  S.  15  und  auch  sonst  vielfach 
angenommen  wird,  die  Forderung  erstreckt  sich  auf  einen  immerhin 
ziemlich  engen,  wenn  auch  nicht  fest  zu  umschreibenden  Kreis  und 
scheint  von  gewissen  Mysterien  ausgegangen  zu  sein.  Einige  andere 
Ausstellungen    macht   Stengel.    Berl.   Phil.    Wochenschr.  XXXI. 


Reinheit.     Wollene  Gewiinder.  183 

1911,  S.  1059.  —  Die  Toga  practexta  will  Fowler,  Relig. 
Exp.  Rom.  People.  61,  74  und  ü.  als  ein  Abzeichen  und  Erfordernis 
der  höheren  Reinheit  erweisen,  daher  sollen  sie  Beamte  und  Kinder 
tragen,  die  als  in  einem  Zustand  besonderer  Heiligkeit  befindlich  gedacht 
worden  seien.  Die  Beamten  hatten  nach  Fowler  sie  auch  deshalb 
als  Amtstracht,  weil  sie  im  Krieg  und  Frieden  opferten  (175).  — 
Für  manche  Begehungen  war  ivollene  Geuandung  oder 
ein  Schaffell  vorgeschrieben ;  hierüber  handelt  die  fleißige ,  nur  in 
den  Zitaten  nicht  sorgfältig  revidierte  Arbeit  von  Jac.  Pley,  De 
lanae  in  antiquorum  ritibus  usu  (RV  u.  V,  XI  2)  1911.  Das  erste 
Kapitel  erörtert  das  Jiog  y.o'diov,  das  zweite,  wichtigste  (25  flf.) 
die  Riten,  aus  denen  nach  Pley  zu  folgern  ist,  daß  der  sakrale 
Gebrauch  der  WoUe  aus  einer  Zeit  stammt,  in  der  man  die  Lein- 
wand noch  nicht  kannte.  Von  den  übrigen  Abschnitten  bespricht 
der  dritte  (80  ff.)  die  apotropäische  Kraft  der  Wolle ,  der  vierte 
ihre  Verwendung  im  Liebeszauber  und  in  der  Volksmedizin.  Der 
Wert  auch  dieser  Untersuchung  liegt  natürlich  in  der  Sammlung 
der  Stellen,  und  sie  entzieht  sich  deshalb  der  Wiedergabe ;  hervor- 
zuheben sind  etwa  S.  22  f.,  die  Bemerkungen  über  das  Schlagen 
des  mit  Fellen  bekleideten  „Mamurius"  (Lyd.  mens.  4.  49  W.),  das 
als  Regenzauber  gedeutet  wird,  55  über  die  Schmückung  von 
Bäumen  mit  Tainien,  58  ff.  über  eIqegkjüV}]  {=  i/.exi^Qia  60),  83  f. 
über  die  Verwendung  bei  Hochzeit  und  Begräbnis,  87,  2  und  100  ff-, 
über  rote  Farbe  (vgl.  dazu  K  i  r  c  h  e  r ,  Die  sakrale  Bedeutung  des 
Weins  im  Altert.  RV  u.  V,  IX  2,  S.  85).  Pley,  der  auch  das 
Fortleben  der  Gebräuche  im  Christentum  ins  Auge  faßt,  hat  m.  R. 
davon  abgesehn,  zwischen  Ziegen-  und  Schafwolle  zu  scheiden,  wo- 
durch nur  Zusammengehöriges  getrennt  wäre ;  auch  Fell ,  Binde 
und  Fäden  werden,  wie  es  scheint,  im  ganzen  ungefähr  zu  gleichem 
Zweck  verwendet.  —  Daß  rauhhärene  Gewänder  und  Felle  wie  in 
Palästina  auch  in  der  „ägäischeu"  Kultur  Trauerabzeichen  waren, 
vermutet  Paribeni,  Mon.  ant.  RAL,  1908,  23  f.  Über  die  ver- 
schiedene Verwendung  des  Fells  im  Kult  handelt  D  e  u  b  n  e  r  in 
Hastings  Encycl.  of  Relig.  unter  Fleece.  —  Wichtig  war  das  Fell 
im  Mysterien  und  bei  der  Eheschließung.  Eitrem,  Herm.  u.  die 
Toten,  Christ.  Vidensk.  Selsk.  Forh.  1909,  V  53,  der  dies  hervor- 
hebt, leitet  die  Geschichte  von  Apemosynes  Verführung  durch 
Hermes  (Apollod.  III  14)  aus  einem  Hochzeitsritual  her.  —  Das 
Netzwerk  am  Omphalos  besteht  nach  G.  Hock,  Griech,  Weihnachts- 
gebräuche, Würzb.  1905,  S.  36  aus  Tainien,  die  den  Nabelstein  als 
Grabmal  kennzeichnen  sollen.    „Das  eigentliche  ayqrivov^'  ist  übrigens 


Ig4  Reinheit  und  Reinigung. 

nach  Hock  ..lauge  nicht  so  häufig,  als  mau  annimmt'",  dargestellt.  — 
Wenigstens  z.  T.  berührt  sich  mit  den  zuletzt  genannten  Arbeiten 
im  Stoff  die  Untersuchung  von  Scheftelowitz,  „Das  Schlingen - 
und  Xetzmotiv  in  Glauben  und  Brauch  der  Völker"  (RV  u.  V,  XII,  2, 
1912).  Der  Verf.  stellt,  ohne  sich  bei  den  Einzelheiten  lange  auf- 
zuhalten, die  Zuverlässigkeit  der  Überlieferung  zu  prüfen  und  nach 
der  Möglichkeit  eines  geschichtlichen  Zusammenhangs  zu  fragen, 
zahlreiche  Analogien  aus  aller  Welt  zusammen,  z.  B.  für  die  Vor- 
stellung, daß  die  Dämonen  mit  Netzen  jagen ,  für  das  Einbinden 
von  Krankheiten  (34),  über  die  abwehrende  Kraft  der  Fäden  (38), 
über  den  Lebensfaden.  Mit  Vorsicht  benutzt ,  können  die  reich- 
haltigen Sammlungen  von  "Wert  werden.  —  Daß  auch  Semiten  und 
Inder  den  Faden  und  den  Knoten  für  bedeutsam  im  Heilzauber 
hielten,  zeigt  R.  Campbell  Thompson,  Semit.  Magic  (Luzard 
Orient.  Relig.  Ser.  III)  1908,  S.  162  ff.;  168  ff.  —  Über  die  Ver- 
w^endung  von  Fäden  im  Zauber  s.  Abt,  Apol.  des  Apul.  74  == 
RV  u.  V,  IV  148.  —  Ebd.  189  =  263  ist  von  lintea  indutamenta 
und  lintei  socci  als  zur  Wirksamkeit  des  Zaubers  erforderlich  die 
Rede;  vgl.  auch  215  f.  =  289  f. 

Von  den  xa^a^,«ot,  den  Sühne-  und  lieinigungsmaß- 
regehi,  werden  die  einfachsten,  die  Waschungen  mit  Wasser  durch 
Goldziher,  Arch.  f.  Religionswisseusch.  XIII,  1910,  27  ff.  be- 
sprochen. —  Scheftelowitz  ebd.  XVII,  1914.  353  führt  ein- 
leuchtend .  aber  nicht  neu  die  Taufe ,  die  Sündentilgung  durch 
Wasser ^  darauf  zurück,  daß  ursprünglich  die  Sündp  als  körper- 
liche Unreinheit  empfunden  wurde.  —  Über  die  besonders  wirk- 
same Kraft  des  Speichels  handelt  Vollgraff,  Mnemos.  XLII, 
1914,  410  ausführlich.  —  Vgl.  auch  0.  v.  Hovorka  und  A.  Kron- 
feld.  Vergleichende  Volksmedizin  II  399.  —  Über  Ausspeien  beim 
Anbhck  Epileptischer  vgl.  Ad.  Abt,  Apol.  des  Apul.  RV  u.  V,  IV  2, 
S.  260  f.  —  Der  Glaube  an  die  Kraft  des  Speichels  lebt  im  heutigen 
Griechenland  fort,  s.  B.  Schmidt,  Neue  Jahrb.  XXXI,  1913, 
591  ff.  —  Waffen  und  andere  Gegenstände  aus  Metall,  die  gegen 
Rost  geschützt  werden  sollen,  ferner  das  Getreide  werden,  wie 
Eitrem,  Festskr.  til  Alf  Torp  1913,  S.  69  ff.  auseinandersetzt, 
durch  Feuer  gereinigt.  Er  deutet  in  diesem  Sinn  auch  die  auf 
die  Portunalia  bezügliche  Angabe  Varros  (Seh.  Veron.  Verg.  Aen. 
V  241)  claves  in  focum  ad[ditas  crejmare  institutum ,  bei  der 
Wissowa,  Relig.  u.  Kult  der  Rom.  ^112,  3  an  hölzerne  Schlüssel 
gedacht  hatte.  Auch  das  Saatgetreide  und  die  Äcker  werden  nach 
Eitrem    durch    Feuer    gesichert.      Ebd.  75  ff.    ist    von    der    Ent- 


Reinheit  und  Reinigung.  185 

stxhnung  des  Viehs  und  der  ganzen  Stadt  die  Rede.  Aus  den  Ge- 
bräuchen des  Parihent'estes  wird  geschlossen ,  daß  eine  Feuer- 
läuterung bei  der  Gründung  einer  neuen  Gemeinde  üblich  war.  — 
An  die  Feuerläuterung  des  Demophon  erinnert  eine  in  Hauran 
am  Fuß  des  Hermou  gefundene  Inschrift  ,  in  welcher  der 
Priester  eines  dem  Elagabal  ähnlichen  Gottes  d.rod-eojd^tig  iv 
[(^  ?JßrjTi  heißt;  wenigstens  deutet  Dussaud,  Rev.  hist.  rel. 
LVIII,  19092,  309  den  sonderbai-en  Titel  so,  daß  der  Priester  zu 
seiner  Würde  gelangt  sei  par  une  epreuve  subie  dans  un  chaudron.  — 
Daß  der  griechische  Kult  an  der  Facl'cl  festgehalten  habe,  nach- 
dem man  im  Morgenland  längst  auch  im  religiösen  Gebrauch  zur 
Lampe  übergegangen  war,  und  daß  diese  und  die  Kerze  erst  in 
hellenistischer,  vielleicht  sogar  erst  in  römischer  Zeit  im  griechisch- 
römischen Kult  weitere  Verwendung  fand,  will  M.  Nilßon  GGA, 
1916,  49  ff.  durch  eine  reichhaltige  Stellensammlung  erweisen.  — 
Die  modernen  Fasten-,  Oster-,  Johannis-  und  andere  Feuer,  die 
ausführhch  Frazer,  Golden  Bough  VII ^1  106  ff.  behandelt,  be- 
rühren sich  z.  T.  mit  antiken  Gebräuchen. 

Bei  einigen  anderen  Begehungen  ist  auch  in  den  letzten  Jahren 
darüber  gestritten  worden ,  ob  sie  als  Reinigungen  galten.  Als 
Sühnopfer  faßt  die  PharmaJco  i  Havers,  Indogerm.  Forsch. 
XXV,  1P09,  388  f.,  nach  dessen  Ansicht  qaQf.iay.-J^og  der  „Ge- 
schlagene", der  „Krüppel"  ionisch  zu  (pagf.ta'/.y.ög  und  (paQ/nä'/.og, 
attisch  zu  ya^jtmxog  wurde ,  wodurch  das  Wort  mit  cpag/uayiog^ 
„Zauberer"  zusammenschmolz.  Als  Zauberer  hätten  die  cpaQf4a/.ol 
nach  Havers  nicht  als  Sühuopfer  dienen  können.  Doch  ist  in  ge- 
wissem Sinne  die  Beseitigung  des  Bösen  immer  eine  Reinigung.  — 
Vgl.  über  die  Bedeutungen  von  qxxQfxaxov  Abt,  Apol.  des  Apul. 
112  =  RV  u.  V,  IV  186.  —  Nach  Schwenn,  Menschenopfer  bei 
den  Griech.  n.  Rom.  RV  u.  V,  XV  3,  1915,  36  ff.  gehörten  die 
(faQfi.aY.oi  zu  den  Sühuopfern;  man  wählte  Menschen  statt  der 
Tiere ,  weil  man  glaubte ,  daß  eine  magische  Qualität  sich  am 
leichtesten  in  ein  Wesen  von  gleicher  Art  übertragen  könne.  —  Als 
Boten  an  die  Götter  faßt  die  (pagfiaKoi  Lawson,  Modern  Greek 
Folklore  and  anc.  Gr.  Religion,  Cambridge  1910,  355  ff.  —  Einen 
Fruchtbarkeitszauber  erblickt  Paton,  Rev.  arch.  IV ix,  1907, 
51  ff.  in  dem  Ritus-,  er  meint,  daß  die  beiden  g)aQ(jaxoi  —  von 
denen  der  eine  mit  weißen  Feigen  eine  Frau  darstellte ,  die  Be- 
fruchtung der  weiblichen  Feigenblüte  durch  die  männliche  be- 
günstigen sollte.  Derselbe  Ritus  liegt  nach  Paton  auch  der  Sage 
von  der  Vertreibung  Adams  und  Evas  aus  dem  Paradies  zugrunde.  — 


186  Reinigungen,  Sühnungen. 

Wie  über  die  Bedeutung  der  Schläge  auf  die  Geschlechtsteile  der 
q-aQuax.oi  ist  auch  über  die  der  Geißelung  der  spartanischen 
Epheben  und  die  der  Schläge  der  römischen  Frauen  an  den  Luper- 
ealien die  Meinung  noch  nicht  geklärt.  Beide  Gebräuche,  auf  die 
bei  der  Besprechung  des  Zeugungszaubers  zurückzukommen  ist, 
rechnet  A.  van  Gennep,  Rites  de  passage  249  mit  S.  Reinach, 
Cultes,  mythes,  rel.  I  173  zu  den  Kommunionsriten;  aber  gewöhn- 
lich werden  sie  mit  Mannhardt,  Wald-  u.  Feldk.  I  251  f.; 
Myth.  Forsch.  11 3  f.  als  vermeintliche  Mittel  betrachtet,  die  Dä- 
monen des  Unsegens  herauszutreiben;  vgl.  z.  B.  Thomsen,  Arch. 
f.  Religionswiss.  IX,  1906,  407,  dessen  Ergebnisse  Schnabel, 
Kordax,  München  1910,  49  und  Pfuhl,  Arch.  f.  Religionswiss. 
XIV,  1911,  643  erweitern  wollen;  vgl.  auch  Deubner,  ebd.  XIII. 
1910,  496  ff.  Über  Vürtheim,  der  die  spartanische  Sitte  ganz 
anders  deutet,  ist  u.  {Kriegsopfer)  berichtet,  —  Nach  Fr.  S  c  hwenn . 
Die  Menschenopfer  bei  d.  Griechen  u.  Römern  RV  u.  V,  XV  3, 
1915.  100  sollte  das  auf  den  Artemisaltar  fließende  Blut  eine 
Kommunion  der  Spartaner  mit  der  mächtigen,  später  der  Artemis 
angeglichenen  Orthia  herbeiführen.  Daß  hier  je  ein  Menschenopfer 
vorlag,  bezweifelt  Schwenn,  der  auch  auf  die  aus  Eurip.  IT, 
1460  zu  erschließende  Sitte  hinweist,  einen  Mann  im  Dienste  der 
Artemis  TavQOTiokog  am  Halse  zu  verwunden.  —  Terzaghi. 
ebd.  XI.  1908-  145  faßt  unter  Beibringung  von  ähnlichen  Ge- 
bräuchen aus  neuerer  Zeit  in  gleichem  Sinn  die  Geißelung  des 
Hellespontos  durch  Xerxes  auf.  —  Der  Riemen,  mit  dem  die  Luperci 
die  Frauen  schlugen,  wurde  nach  Deubner.  Arch.  f.  Religions- 
wiss. XIII,  1910,  493  ursprünglich  nur  geschwungen,  um  die  Wölfe 
zu  vertreiben;  nach  W.  F.  Otto,  der  Philol.  LXXII,  1913,  169 
die  Geschichte  von  Valeria  Luperca  bei  (Plut.)  parall.  min.  35  ver- 
gleicht, sollte  das  Böse  überhaupt  verscheucht  werden  (181),  also 
auch  die  Unfruchtbarkeit  der  Frauen.  Beide  Forscher  halten  es 
für  eine  nachträgliche  Erweiterung  der  mit  den  Luperealienriten 
verbundenen  Vorstellungen,  daß  man  eine  Heilung  der  Unfruchtbar- 
keit erwartete,  da  sonst  die  Frauen  nicht  bei  dem  Umlauf,  sondern 
vorher  geschlagen  wären.  —  Allein  schon  früher  hatte  der  Ägypto- 
loge  Lefebvre  in  einem  posthumen  Aufsatz  Rev.  hist.  rel.  LIX, 
1909  ^,  73  auf  den  Kult  von  Mendes  hingewiesen,  wo  der  göttliche 
Bock  verehrt  wurde  (diä  zo  yevvrivr/.ov  /joqiov,  Diod.  I  88.  vgl. 
vSuid.  Midrjv),  von  dem  man  sagte,  daß  er  Frauen  befruchte  (Pind. 
fr.  201  bei  Str.  XVII  1,  19,  S.  802;  Ail.  n.  a.  VII  19;  vgl. 
Herod.    II  46).    —    Einen    Zusammenhang   des    Schlages    mit    der 


Reinigungen,  Sühnungen.     Steinigung.  187 

'Lebensrute  und  des  Weihnachts-  und  Maibaumes  vermutet  Nilßou. 
Arch.  f.  ßeligionswiss.  XIX  111;  ebd.  114  ff.  wird  auch  die  Rute 
des  heiligen  Nikolas  als  Lebensrute  bezeichnet  und  als  altes  Mittel 
beim  Fruchtbarkeitszauber  gedeutet. 

Aus  einer  ursprünglichen  Sühne  und  Reinigung  ist  nach 
Hirzel,  Abb.  SGW  XXVII,  1909,  225  ff.  die  Strafe  der 
Steinigung  erwachsen.  Eine  Strafe  war  sie  wenigstens  bei 
manchen  Völkern,  z.  B.  den  Juden,  Persern  und  vieUeicht  bei  den 
Makedonern,  wogegen  Arthur  Stanley  Pease,  Transact.  Amer. 
Phil.  Assoc.  XXXVIII,  1907,  5  ff.  sie  bei  Griechen  und  Römern  nur 
als  Lynchjustiz  anerkennt.  Ursprünglich  gegen  unbeliebte  Gemeinde - 
mitglieder  geübt,  die  zur  Flucht  veranlaßt  werden  sollten,  entwickelte 
sich  der  Brauch  nach  Hirzel  einerseits  zu  einer  sakral  sanktionierten 
Tötung,  andrerseits  zu  einer  Maßregel,  die  Übel  abwehren  sollte  ;  hier- 
gegen wendet  Wünsch,  Arch.  f.  Reb'gionswiss.  XIV,  1911,  560  ein, 
daß  die  Ausstoßungssteinigung  vonAnfang  an  neben  der  Todes- 
steinigung gestanden  oder  sich  aus  ihr  entwickelt  haben  könnte.  Früh 
wurde  der  Brauch  nach  Hirzel  ein  wesentlicher  Bestandteil  regel- 
mäßig wiederkehrender  Feste  (vgl.  die  Ai&oßoXia  in  Troizen,  vieUeicht 
auch  die  hO^irr^  ßaXXr^tvg,  deren  Zusammenhang  mit  den  Schein- 
kämpfen für  Demophon  [Hom.  vi.iv,  V  265]  Farn  eil,  Hermath. 
XVII,  1913,  9  f.  verteidigt,  Hirzel  S.  25G  aber  ablehnt).  Eben- 
falls als  rituelle  Steinigung  erklärt  Hirzel  die  Riten,  die  er  aus 
den  Legenden  des  Artemiskultus  von  Kondylea  (Paus.  VIII,  23,  6^ 
und  der  Aphrodite  ^^4vdQoq''6vog  (Plut.  Iqojt.  21)  folgert.  In  Argos 
und  Sizilien  hat  sich  die  Steinigung  ziemlich  lange  erhalten;  in 
Athen  ist  sie  als  eigentliches  Mittel  der  Strafvollstreckung  nach 
den  Perserkriegen  außer  Gebrauch  gekommen,  in  aristokratischen 
Gemeinden  wie  Sparta  und  Rom  läßt  sie  „als  politisch  oder  religiös 
anerkannte  oder  vom  Rechtsgefühl  energisch  geforderte  Strafe"  sich 
nicht  nachweisen.  Obv\^ohl  demnach  in  Griechenland  als  Strafmittel 
meist  ziemlich  früh  veraltet ,  ist  die  Steinigung  gelegentlich  auch 
dort  ebenso  wie  bei  Juden  und  andern  Orientalen  als  Akt  der 
Volksjustiz  vollzogen  worden,  und  die  Sprache  hat  in  einem  er- 
starrten formelhaften  Ausdruck  die  Erinnerung  an  sie  immer  fest- 
gehalten. 

Auf  ursprüngliche  Reinigungen  wird  gewöhnlich  das  noch  jetzt 
in  der  Volksmedizin  öfters  angewendete  Durchkriechen  eines 
Kranken  durch  ein  Loch  oder  einen  Spalt  bezogen,  für  das 
Frazer,  Golden  Bough  VIIii  168  ff.  (vgl.  VII  i  283)  zahlreiche  Bei- 
spiele beibringt.   Aus  der  Sage  von  dem  überlebenden  Horatius  {vgl.  o. 


1  g«?  Ueinigungen  und  Sühnungen. 

jS".  16.1)  erschließt  er  einen  Stthnritus,  bei  dem  der  zu  Reinigende 
unter  dem  heiligen  Balken  des  Sororium  tigillum  gewissermaßen  in 
ein  neues  Leben  einging  und  die  Befleckung  hinter  sich  ließ  (194). 
Ebenso  sollte  das  durch  den  Triumphbogen  ziehende  Heer  nach 
fVazer  (195)  ursprünglich  entsühnt  werden.  Zu  demselben  Er- 
gebnis gelangen  Kahle  in  einem  Zusatz  zu  v.  Domaszewskis 
Aufsatz  über  die  Triumphalstraße  (v.  Domaszewski,  Abh.  zur 
römischen  Religion  233)  und  Otto,  Rhein.  Mus.  LXIV,  1909,  466. 
Auch  Warde  Fowler,  Class.  Rev.  XXVII,  1913,  48  ff.  hält  jetzt 
das  Durchgehen  unter  dem  Sororium  tigillum  und  unter  dem  Joch 
sowie  das  Drängen  durch  die  enge  Pforte  beim  Beginn  und  Ende 
des  Krieges  für  einen  Reinigungsakt ;  früher  hatte  er  (Class.  Rev. 
XXIII,  1909,  262)  V.  Genneps  (Rites  de  passage  28)  Deutung  für 
einfacher  gehalten ,  nach  der  das  Tor  die  Grenze  zwischen  dem 
Heiligen  und  dem  Profanen  bezeichnet.  —  J.  W.  Hewitt,  Puri- 
fication  after  Justüiable  Homicide ,  Transact.  Phil.  Assoc.  XLI, 
1910,  99  ff.  will  nachweisen,  daß  nach  (fövog  a/.ocaiog,  abgesehen 
von  besonders  leichten  Fällen  (z.  B.  wenn  jemand  einen  Freund 
versehentlich  in  der  Absicht  getötet  hatte ,  ihm  im  Kampfe  bei- 
zustehen), religiöse  Reinigung  erforderlich  war,  daß  dagegen  der 
ffovog  diy.aiog,  insbesondere  die  Tötung  in  der  Schlacht,  in  der 
Notwehr,  die  Erschlagung  eines  Einbrechers  oder  Tyrannen  eine 
zolche  nur  ausnahmsweise,  z.  B.  wenn  der  Getötete  ein  Verwandter 
war,  nach  sich  zog. 

Reinigungsmaßregeln  sind  viele  der  Riten  ursprünglich  ge- 
wesen, die  A.  van  Gennep  unter  dem  Titel  Les  rites  de  passage, 
etude  systematique  des  rites  de  la  porte,  du  seuil,  de  Thospitalite, 
de  l'adoption,  de  la  grossesse  et  de  l'accouchement,  de  la  naissance 
de  l'enfance ,  de  la  puberte ,  de  l'initiation ,  de  l'ordlnation ,  du 
couronnement,  des  fiancailles  et  du  muriage ,  des  funerailles,  des 
Saisons,  Paris  1909  behandelt  hat.  Die  Ausführlichkeit  des  Titels 
macht  eine  Inhaltsangabe  für  die  Arbeit,  die  einen  richtigen  Grund- 
gedanken überspannt,  entbehrlich.  Über  die  von  Gennep  mit- 
behandelten Begehungen  an  der  Haustür  spricht  auch  M.  B.  Ogle, 
The  house  door  in  Greek  and  Roman  Religion  and  Folklore,  Amer. 
.Toum.  of  PhUol.  XXXII  251  ff. 

Über  die  Sitte  des  y.avoTr^QiaLeiv  (Einbrennens)  und  otLCelv 
(Tätowierens)  handelt  eingehend  im  Anschluß  an  die  epidaurische 
Heilinschrift  des  Pandaros(JG  IV  951,  48  ff-,  Dittenberger  SIG" 
802,  48  ff.j  Perdrizet,  Arch.  f.  Religionswissensch.  XIV,- 1911, 
54  ff.  (vgl.  Bull.  soc.  arch.  Alexandrie  n.  s.  III,   1910,  72  f.).    Wie 


Heiligung  und  Buße.  189 

durch  Schröpfen,  das  aber  in  Griechenland  nicht  vorkommt,  war 
es  bei  den  Barbaren  nach  P.  weit  verbreitete  Sitte,  auf  der  Haut 
durch  Einbrennen  oder  Einritzen  ein  Abzeichen  der  Gottheit  an- 
zubringen, der  man  sich  geweiht  hatte  oder  der  mau  geweiht  war. 
Im  Kult  einzelner  ursprünglich  ausländischer  Gottheiten  hat  sich 
der  Gebrauch  in  Griechenland  erhalten;  so  wurden  z.  B.  im  Dio- 
nysoskult Männern  das  Efeublatt,  Frauen  ein  Böckchen  eingeritzt, 
und  auch  im  Dienst  der  syrischen  Gottheiten  werden  solche  Marken 
erwähnt.  Aber  im  allgemeinen  wai'der  Gebrauch  in  Griechenland 
auf  Sklaven  beschränkt;  er  hatte  auch  seine  religiöse  Bedeutung- 
verloren.  Im  3.  Jh.  n.  Chr.  wurde  er,  wahrscheinlich  von  den 
syrischen  Legionen  aus,  im  römischen  Heer  als  militärisches  Zeichen 
eingeführt  und  hat  sich  dann  eine  Zeitlaug  auch  bei  den  Christen 
gehalten.  —  Vgl.  dazu  Vollgraff  ebd.  4;U. 

Je  mehr  die  Religion  sich  mit  moralischen  Vorstellungen  er- 
füllte, um  so  mehr  vergeistigten  sich  natürlich  auch  die  Reinheits- 
vorschriften. Die  Maßregeln ,  die  der  Versöhnung  der  Dämonen 
dienen  sollten,  konnten  auch  als  Tiuße  aufgefaßt  werden,  und 
schließlich  gelangte  man  zu  Anschauungen,  die  den  christlichen 
ziemlich  nahe  stehen  und  auf  diese,  wenigstens  auf  deren  niedrigere 
Ausdrucksformen  mitbestimmend  gewirkt  haben :  mau  legte  den 
Hauptnachdruck  auf  die  innerliche  Reinigung,  auf  das  Bewußtsein 
und  Eingeständnis  einer  begangenen  Sünde.  Als  eigentliche  Ein- 
richtung des  Gottesdienstes  findet  sich,  wie  Steinleitner,  Die 
Beicht  im  Zusammenhang  mit  der  sakralen  Rechtspflege  in  der 
Antike,  Münchener  Diss.  1913,  zeigt,  das  Schuldbekenntnis  über- 
wiegend auf  solchen  Gebieten,  die  erst  in  späterer  Zeit  hellenisiert 
worden  sind  und  die  Sitte  nicht  aus  Griechenland,  sondern  von 
Osten  her  empfangen  zu  haben  scheinen ;  die  Verstöße ,  die  be- 
kannt werden,  können  zwar  auch  sittliche  sein,  betreffen  aber  doch 
gewöhnlich  gottesdienstliche  Vorschriften  (92).  Die  göttliche  Strafe, 
deren  Aufhören  durch  die  Beichte  erkauft  wei'den  soll,  besteht  fast 
durchgängig  in  Krankheiten  (96).  Das  Schuldbekenntnis  wird  vor 
dem  Priester  abgelegt  und  oft,  was  zur  Stärkung  der  Kirchen- 
zucht beitrug,  in  einer  Inschrift  aufgezeichnet.  Die  Sammlung 
dieser  meist  lydischen  und  phrygischen,  z,  T.  auch  knidischen  In- 
schriften bildet  den  Hauptinhalt  der  Arbeit  (7 — 70);  dann  werden 
die  spärlichen  literarischen  Zeugnisse  angeführt,  die  für  Samothrake 
(Plut.  uTiocpi^.  AaY..  ^Avx.  1,  Ava.  10),  den  Kult  der  Kybele  (Apul. 
Met.  VIII  28)  und  Isis  (luven.  VI  535)  die  Einrichtung  der 
Beichte  wahrscheinlich  machen  und  dartun,  daß  die  Sitte  auch  im 
Privataberglauben  bestand. 


190  Priester  und  Geweihte. 

<>)   Priester  uud  Geweihte. 

8.  Rein  ach,  Cultes,  mythes,  reliij;.  III  92  ff.  erschließt  einen. 
Phytalidenpriester  Sy  kop  h  aiitcs,  der  dem  Hierophanten  der  Euinol- 
piden  entsprach  und  wie  dieser  die  Aufgabe  hatte,  solche  Elemente, 
die  den  Kultvorschriften  nicht  entsprachen,  auszuschließen,  sie  ge- 
wissermaßen zu  denunzieren.  Paton,  Rev.  arch.  1907^  51  ff. 
billigt  diese  Ableitung;  dagegen  deutet  P.  Girard,  Rev.  et.  gr. 
1907,  143 ff.  avy.o(pdvTrjg  als  den  „im  Feigengarten  Gesehenen",  also 
als  „Feigendieb".  Die  Bezeichnung  soll  Schimpfwort  geworden  sein 
und,  weil  die  so  Beschimpften  sich  rächten,  den  Sinn  „Verleumder" 
erhalten  haben.  Vgl.  o.  {133).  —  Viel  umstritten  war  die  Bedeutung 
der  Begriffe  zaTO/ot,  y.aTexof.tEvoi,  '/.atoyti,  über  welche  bereits 
früher  verschiedene  Vermutungen  ausgesprochen  waren  und  die 
festzustellen  die  vMzexoiJevoi  und  toü  i^eov  der  neuen  Inschrift 
von  Priene  195,  29  lockte.  Nach  Rusch,  De  Serapide  et  Iside 
in  Graecia  cultis,  Berl.  Diss.  1906,  72  sind  die  xaroxot  nicht  Be- 
sessene, sondern  Menschen,  die  den  Gott  eifrig  verehren,  sich  in- 
folge eines  vermeintlichen  Befehles  dauernd  beim  Heiligtum  auf- 
halten und,  ohne  geradezu  professionsmäßige  Inkubanten  zu  sein, 
gelegentlich  Ti-aumgesichte  haben;  nach  Jalabert,  Mel.  fac. 
Orient.  II,  1907,  309  ist  durch  die  genannte  Inschrift  die  Frage 
entschieden:  die  /.äroyoi  sind  die  „von  Serapis  Besessenen";  aus 
dem  ägj'ptischen  Kult  soll  die  Sitte ,  diese  beim  Tempel  wohnen 
zu  lassen ,  in  den  Dienst  des  Zeus  von  Baitokaike  eingedrungen 
sein.  —  Nach  Lefebvre,  Comptes  rend.  AIBL  1908,  778  ff.  haben 
sich  die  /.aToyoL  dauernd ,  aber  freiwillig  an  den  Tempelasylen 
niedergelassen.  Ähnlich  urteilt  Reitzenstein,  Die  hellenistischen 
Mysterienreligionen,  Leipz.,  Berl.  1910,  S.  73  ff.,  der  aus  einer  ein- 
gehenden Untersuchung  der  auf  das  Serapeion  von  Memphis  be- 
züglichen Texte  unter  Vergleichung  von  Manetho  mtOTeX.  I  237. 
Apul.  met.  XI  19  ff.  und  Finn.  Mat.  err.  prof.  rel.  II  4  f.  zu  dem 
Ergebnis  kommt,  daß  die  /MToyoi  infolge  eines  vermeintlichen 
Gottesbefehls  und  in  der  Hoffnung  auf  die  Zulassung  zu  den 
Weihen  sich  im  Tempelgebiet  in  Klausur  begaben ,  wo  sie  zwar 
durch  Visionen  begnadigt  wurden ,  aber  in  mehr  oder  minder 
strenger  Askese  oft  jähre-,  ja  selbst  lebenslang  als  diof^LOL  lebten 
Cvgl.  dazu  Berl.  Phil.  Wochenschr.  XXXI,  1911,  934).  —  Daß  die 
/.atoyri  des  Seraf)eion8  von  Memphis  keine  Straf-,  Schuld-  oder 
Militärhaft  war,  glaubt  auch  Wilcken,  Grundz.  u.  Chrestom.  d. 
Papyrusk.  I  1.  102.  2.  131:  Arch.  f.  Pap}TUsforsch.  VI,  1914,  184  ff.. 


Priester  und  Geweihte.  191 

da  die  unter  ihr  Stehenden  freie  Bewegung  im  Heiligtum  hatten; 
eine  Tempelhaft  gab  es  in  Ägypten  zwar  auch,  aber  diese  ist  von 
der  xöTO//;  verschieden,  die  das  besondere  Verhältnis  des  vom 
Gott  im  Traum  Ergriffenen  zu  Serapis  bezeichnet.  Alinlich  wie 
Wilcken  urteilen  die  meisten  Agyptologen,  z.  B.  Spiegelberg, 
DLZ  1914,  1115  ff.,  der  aber,  woran  auch  schon  Kroll  und, 
namentlich  für  Priene,  Wilcken,  Arch.  f.  Papyrusf.  a.  a.  0.  212 
gedacht  hatten,  als  Ursache  der  „Gotteshaft"  Epilepsie  und  andere 
Krankheiten  vermutet,  ferner  W.  Otto,  Priester  und  Tempel  I  1 20  ff. 
(vgl.  I  12  ö'.,  II  268,  4),  der  unter  ihr  den  innern  Drang  versteht, 
sich  ganz  dem  Sarapisdienst  lu  weihen  und  in  dem  Heih'gtum  zu 
wohnen,  ohne  deshalb  als  Büßer  zu  gelten  oder  das  Recht  auf  be- 
liebiges Verlassen  desselben  zu  verlieren.  Dagegen  ist  nach  S  ethe  , 
Sarapis  und  die  sogen,  -/mioxoi  des  Serapis,  zwei  Probleme  der 
griech.-ägypt.  Religionsgesch.,  Abh.  GGW  XIV,  1913,  V  20  ff.  die 
Karoxtj  eine  wirkliche  Haft  und  zwar  „aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  nicht  religiöser,  vermutlich  nicht  einmal  kultischer  Natur"  (99), 
sondern  Schuld-  oder  Strafhaft.  Auch  an  den  von  Kroll,  CataL 
cod.  astrol.  V  2.  147  gesammelten  Stellen  soll  das  Wort  die  Tempel- 
haft bezeichnen ,  die  freilich  bisweilen  auch  wegen  gefährlicher 
Krankheiten  verhängt  worden  sei.  Die  Übereinstimmung  mit  dem 
syy.aToyj'^aag  zoj  y.vQio)  ^aQauiöi  der  smyrnaischen  Inschrift  CIG 
II  3163  und  den  xaiexo/nevoi  vno  tov  ^sov  im  Kult  der  ägyptischen 
Götter  von  Priene  muß  Sethe  natürlich  für  zufäUig  (100)  halten, 
er  sieht  in  den  letzteren  wie  in  den  -/.dioxoL  xov  Olgaviov  Jtog 
von  Baitokaike,  die  Dittenberger  in  der  Anm.  26  zu  OGIS  I  262 
als  „Grundbesitzer"  gedeutet  hatte,  „Angestellte".  —  Von  der 
russischen  Schrift  von  W.  Ad  amow.  Über  die  xarox?^'  im  Serapis - 
tempel,  Zeitschr.  d.  russ.  Unterrichtsminist.  CCCLIII  261  ff.  ver- 
mag ich  einen  Auszug  nicht  zu  geben.  — 

Über  den  Apex  und  Tutulus  der  Flamines  handelt  Kathar, 
Esdaile,  Journ.  Rom.  Stud.  I,  1911,  212;  sie  glaubt,  daß  die 
Römer  diese  Kopftracht  den  Etruskern  entlehnten  und  daß  der 
„Diomedes"kopf  des  British  Museum  (der  sogen.  Kopf  Payne  Knight), 
ein  Meisterwerk  der  späteren  etruskischen  Kunst,  einen  Tutulatus  dar- 
stelle. —  Den  ^oxuen p 0 nt i f e X  bringt  N  azari,  Riv.  fil.  cl. XXXVI, 
1908,  575  mit  ^tof-inTJ  „Prozession"  in  Zusammenhang;  dagegen 
hält  A.  Hooten,  Rev.  d'ethnogr.  et  de  soc.  IV  1913  246  an  der 
Deutung  „Brückenmacher"  fest  und  erklärt  den  Namen  aus  der 
Bedeutung  der  Brücke  für  die  Bewohner  der  Terramare,  von  denen 
die  alten  Römer  abstammen  sollen.  —  Über  catn  Uli  und  camillae 


192  Katochoi.    Mysten. 

handelt  G.  Giauiielli,  Atti  accad.  Tor.  IIL,  1912/^,  1086  ft'.  Der 
Zusammenhang  mit  y.aöfüXog,  KaafjV.og  wird  abf^elehnt,  dagegen 
zweifelnd  der  mit  yaf.i}p^iog  vermutet,  so  daß  puer  camillus  be- 
deutete puer  „nuptialis"  und  die  älteste  Bezeichnung  der  vor- 
nehmsten Jünglinge  war.  Als  für  die  Priestertümer  die  Forderung 
patrizischer  Geburt  abgeschafft  wurde ,  beschränkte  sich  die  Be- 
zeichnung auf  die  Söhne  und  Gehilfen  der  flamines,  curiones  und 
fratres  arvales,  während  die  im  nicht  altrömischen  Kult  verwendeten 
Jünglinge  nur  pueri  ingenui,  patrimi  et  matrimi  sein  mußten. 

Eine  höhere  Heiligkeit  erstrebten  auch  die  Mitglieder  der  vielen 
Myster i engemeinden  und  mancher  anderer  sich  abschließen- 
der religiöser  Genossenschaften,  wie  ja  das  Sektenwesen  in  der 
Regel  aus  dem  Gefülil  der  Nichtbefriedigung  mit  dem  allgemeinen 
Gottesdienst  und  aus  dem  Wunsch  hervorgeht,  sich  mit  der  Gott- 
heit in  ein  besonders  nahes  Verhältnis  zu  setzen.  Nicht  das  ein- 
zige, aber  eines  der  wichtigsten  Güter,  das  die  Geheimkulte  ihren 
Mitgliedern  in  Aussicht  stellten,  war  das  bessere  Los  im  Jenseits. 
Die  lange  Zeit  als  gesichert  geltende  Anschauung,  daß  das  Mysterien- 
wesen jünger  sei  als  die  Blüte  des  Epos ,  muß  jetzt  aufgegeben 
werden.  Zwar  sind  Weihen  nachweislich  auch  später  gegründet 
worden,  aber  die  Einrichtung  als  Ganzes  reicht  wahrscheinlich  in 
die  vorgriechische  Zeit  zurück.  Diese  Anschauung  liegt  jetzt  so 
nahe,  daß  sie  gleichzeitig  und  unabhängig  von  mehreren  Forschern 
gewonnen  und  verschiedenartig  begründet  ist.  R.  Eisler  führt  in 
einem  Vortrag  auf  dem  3.  Intern.  Congr.  Hist.  Relig.  in  Oxford 
aus,  daß  die  Mysterien  deshalb  geheim  gehalten  wurden ,  weil  die 
einbrechenden  Griechen  von  diesen  Begehungen  nichts  wissen 
wollten.  J.  C.  Lawson,  Modern  Gr.  Folklore  and  ancient  Gr. 
Rel.  567  f.,  der  mit  Ridgeway  annimmt,  daß  die  einbrechenden 
Achaier  die  pelasgische  Sprache  annahmen,  nicht  umgekehrt,  erklärt 
die  Forderung  der  griechischen  Sprache  und  die  Geheimhaltung  der 
Weihen  daraus,  daß  die  Pelasger  sich  hier  gegen  die  Achaier  ab- 
schließen wollten,  die  sich  zu  Herren  ihres  Landes  gemacht  hatten. 
So  soll  es  sich  auch  erklären,  daß  in  Kreta,  wo  die  Achaier  nicht 
eindrangen,  der  Kult  öffentlich  blieb.  Allein  Ridgeways  Vermutung 
über  die  Sprache  der  „Pelasger"  ist  unwahrscheinlich,  und  wenn 
wirklich  die  Forderung  des  Griechentums  bis  in  die  frühgriechische 
Zeit  hinaufreicht  und  den  Sinn  hatte,  den  Gebrauch  der  griechischen 
Sprache  für  die  Mysterien  vorzuschreiben,  so  könnte  sie  eher  eine 
Polizeiverordnung  sein ,  bestimmt ,  die  Überwachung  des  Geheim- 
knltes  zu  erleichtem,  der  leicht  von  der  unterworfenen  Bevölkerung 


Mysterienriten.  193 

zur  Organisierung  des  Widerstandes  gegen  die  Staatsgewalt  benutzt 
werden  konnte.     Die  Annahme ,    daß  in  den  ältesten  Gekeimkulten 
die  vorgriechische  Bevölkerung  ihren  alten  Kult  fortsetzte  und  sich 
aiit  aus  diesem  Grunde    so   schroff  abschloß ,    daß  z.  B.  in  Eleusis 
die  Veröffentlichung  der  Mysterien  mit  dem  Tode  bedroht  war  und 
daß    die    Sklaven    deshalb    zugelassen    waren .    weil    sie    einst   den 
Hauptbestandteil    der   Mysteriengemeinde    bildeten,    in   welche   die 
Herrenbevölkerung   erst   später    sich    aufnehmen  ließ  —  diese  An- 
nahme ist  wahrscheinlicher  als   andere  Erklärungen  des  Mysterien- 
wesens, die  von  Gebräuchen  heutiger  Wilden  ausgehen.    Schurtz, 
Alterski.    und  Männerbünde  347  ff. ,    hat   auf  geheime ,    vielfach   im 
Gegensatz    sejren   die  Familienbilduni'   stehende  Verbindungen    von 
Männern  hingewiesen,  die  oft  auch  den  Totenkult  übernehmen  und 
besondere    Einweihegebräuche    ausgebildet    haben ;     v.    G  e  n  n  e  p  , 
E.ites  de  passages  127  sieht  in  diesen  Initiationsbräuche,  die  den  Ein- 
zuweihenden aus  der  profanen  Welt  in  die  heilige  übertreten  lassen 
und    ihn    mit    dieser    in    unmittelbare    und    endgültige    Verbindung 
setzen.      Die    Gesamtheit    dieser   Begehungen    faßt    er    unter    dem 
Namen  M3^sterien  zusammen,    und   manches    erinnert  allerdings  an 
die  griechischen  Geheimkulte.    Allein  dies  ergibt  sich  aus  dem  allen 
diesen  Veranstaltungen  gemeinsamen  Zweck,  die  Teilnehmer  in  ein 
besonders  enges  Verhältnis    zu  einer  höheren  Welt  zu  setzen,  der 
dem   Machtwillen   und    der  Eitelkeit    schmeichelt   und    daher   auch 
ohne  inneren  oder  äußeren  Zusammenhang  zu   ähnlichen  Bildungen 
führen   konnte.     Auffällig    sind   freilich  zwei  Einzelheiten,    die  be- 
sonders dazu  beigetragen  haben,  die  Vergleichung  antiker  Mysterien- 
gebräuche   mit   modernen   Initiationsriten    beliebt    zu    machen.     In 
mehreren  orientalischen  und  auch  griechischen  Geheimkulten  wm-de 
den  Teilnehmern  vorgespiegelt,  daß  sie  bei  der  Aufnahme  stürben, 
aber   wieder   erweckt  würden   und,    worauf  Ramsay,   Ann.  Biüt. 
Seh.  Ath.  XVIII,  1911/12,  45  ff.  den  Mj^sterienausdruck  ii-ißaievSLv 
{s.  u.  195}  bezieht,  ein  neues  Leben  begönnen :  eben  dies  ist  aber, 
wie  Fr az er,  Balder  the  Beautiful  (Golden  Bough  VII)  II  225 ff',  aus- 
einandersetzt, eine  in  den  Einweihungsgebräuchen  bei  vielen  Wilden 
herrschende  Vorstellung.    Wie  weit  diese  auch  in  Australien,  Poly- 
nesien und  Amerika  weit  verbreitete  Sitte  mit  der  antiken  Mysterien- 
weihe  in  begrifflichem    oder  geschichtlichem  Zusammenhang  steht, 
ist  schwer  zu  entscheiden ;  war  die  Vorstellung  der  Lebenserneuerung 
durch    einen  Zauberakt  einmal   gegeben ,    so  konnte  sie  sich  leicht 
an  den  Eintritt  in  ein  neues  Verhältnis,  namentlich   in  einen  nach 
außen  abgeschlossenen  Bund  knüpfen.     Es  ist  aber  zweifelhaft,  ob 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  186  (Snpplcmentband).  13 


194  Mysterienriten, 

sie  in  der  antiken  Welt  auf  diesem  Wege  auch  entstanden  ist. 
Sie  scheint  hier  die  Vorbedingung  für  das  erstrebte  bessere  Los 
im  Jenseits  gewesen  zu  sein :  hier  sollte  der  Initiant  sich  durch 
einen  fiktiven  Tod  die  Befreiuug  von  den  Folgen  des  natürlichen 
Todes  erkaufen.  Die  alten  und  die  neuen  Einweihungsgebräuche 
scheinen  demnach  zwar  von  derselben  uralten  Sitte  abhängig,  schein- 
bar den  Tod  zu  erleiden  und  dann  zum  Leben  zurückzukehren, 
aber  daß  dieser  Gebrauch  ursprünglich  ein  Pubertätsritus  war,  ist 
unwahrscheinlich,  darf  jedenfalls  aus  den  modernen  Riten  nicht  für 
die  antiken  erschlossen  werden.  .Ähnlich  verhält  es  sich  mit  der 
zweiten  Übereinstimmung.  Schurtz  a.  a.  0.  macht  darauf  auf- 
merksam ,  daß  sich  bei  solchen  Geheimfesten  die  Teilnehmer  oder 
einzelne  von  ihnen  häufig  als  Tiere  verkleiden.  In  den  vom  Staate 
übernommenen  griechischen  Mysterien  findet  sich  diese  Art  der 
Vermummung  nicht  mehr,  aber  einzelne  Spuren  weisen  darauf  hin, 
daß  sie  einst  auch  hier  bestand,  und  nicht  selten,  auch  in  Eleusis, 
besonders  jedoch  in  den  Mysterien  Kleinasiens  (Ramsay,  Pap. 
Brit.  Seh.  Ath.  XVIII,  1911'12,  ,53)  traten  bei  den  Aufführungen, 
die  den  göttlichen  Vorgang  darstellten ,  Menschen ,  namentlich 
Priester  als  Gottheiten  auf.  Allein  solche  Verkleidungen  waren  im 
alten  Morgenland  und  sehr  wahrscheinlich  ebenso  in  der  ägäischen 
Kultur  auch  innerhalb  von  Kulten  üblich,  die  sich  durch  nichts  als 
Geheimdienste  verraten ;  desgleichen  finden  sie  sich  bei  den  Natur- 
völkern kaum  öfter  in  den  „Männerbünden"  als  sonst.  Jedenfalls 
tragen  die  anthropologischen  Parallelen  zum  Verständnis  der  grie- 
chischen Mysterien  nichts  bei;  auch  K.  H.  E.  de  Jong,  Das 
antike  Mysterienwesen  in  religionsgeschichtlicher,  ethnologischer 
und  psychologischer  Beleuchtung,  Leiden  1909,  ist  von  dieser  Seite 
her  der  Lösung  der  von  ihm  behandelten  Probleme  nicht  näher  ge- 
kommen; s.  Berl.  Phil.  Wochenschr.  XXX,  1910,  883  ff. 

Über  die  Lehren  der  0  rphik  er  ist  in  andern  Teilen 
dieser  Jahresberichte  gehandelt-,  hier  müssen  einige  Nachträge 
zu  ihrer  Organisation  gegeben  werden.  Nach  Perdrizet,  Ann. 
de  l'Est  Uli,  1910,  102  ist  die  orphische  Sekte  innerhalb 
des  ursprünglich  agrarischen  ,  thrakischen  Dionysoskultes  ent- 
standen und  hat  diesen  umgestaltet.  —  Loisy,  ßev.  bist.  litt. 
rel.  n.  s.  IV,  1913,  149  ff.  hält  die  Orphiker  zwar  nicht  für  eine 
organisierte  Sekte  (154),  glaubt  vielmehr,  daß  anfangs  Wander- 
priester und  eine  besondere  Literatur  die  Lehre  verbreiteten,  hält 
aber  an  deren  wesentlicher  Einheitlichkeit  fest;  folgert  z.  B.  aus 
den  Bruchstücken  von  Eurip.  Kgr^ztg,  daß  sie  trotz  des  aUgemeinen 


Mj'sterienriten.  —  Tanz.   Umzug.    Wettlauf.  195 

Verbotes  der  Tötung  eines  Tieres  die  religiöse  Omophag-ie  übten. 
Ob  dies  aus  dem  Dichter  für  Kreta  zu  erschließen  und  dann  für 
die  Orphik  zu  verallgemeinern  sei,  scheint  mir  zweifelhaft.  —  Die 
Mysterien  von  Antiocheia  in  Pisidien  versucht  Ramsay,  Ann. 
Brit.  Seh.  Ath.  XVIII,  1911/12,  37  ff.  mit  Benutzung  der  Baureste 
and  unter  Vergleichung  der  klarischen  und  selbst  der  eleusinischeu 
Mysterien  aufzuklären.  Er  spricht  u.  a.  über  die  in  klarischen  In- 
schriften (Österr.  Jahresh.  VIII,  1905,  170,  15)  überlieferte  Formel 
uvrj&evzeg  EVE(idTEvöav ,  die  er  wegen  Paul.  KoXooa.  U  18  für 
in  Kleinasien  weit  verbreitet  und  auch  in  den  Menmysterien  von 
Antiocheia  verwendet  hält  und  die,  wie  er  aus  Münzen  folgert,  die 
einen  Heros  auf  ein  Schiff  losgehend  zeigen,  sich  auf  den  Eintritt 
m  ein  neues  Leben  bezog,  S.  51  ff.  spricht  Ramsay  über  die 
Mysterienhochzeit,  die  er  in  Kleinasien  wiederfindet  und  die  er  auf 
eine  vorgriechische  Form  der  Mysterienweihe  zurückführt,  sowie 
über  die  damit  zusammenhängende  attische  Hochzeitsformel  tcpvyov 
T^a-Kov,  evQOv  a^eivov. 

Einen  Vortrag  aus  Mysterienschriften  findet  Miß  Mudie 
Cook,  Journ.  HeU.  Stud.  III,  1913,  170,  T.  VIII  auf  einem  Wand- 
bild der  Villa  Item  bei  Pompeji  dargestellt. 

7)  Tanz,  Umzng,  Wettlauf. 

Zu  den  Abwehi-maßregeln  gegen  böse  Dämonen  und  überhaupt 
gegen  schädliche  Einflüsse  gehört  auch  das  Umwandeln  eines  zu 
reinigenden  oder  zu  schützenden  Ortes,  Gegenstandes  oder  Menschen, 
wobei  die  Vollzieher  des  Ritus  oft  Dinge  in  der  Hand  tragen,  denen 
eine  reinigende  Kraft  zugeschrieben  wurde,  oder  sich  in  rhythmisch 
gemessenem,  feierlichem  Schritt  oder  im  Tanz  bewegen. 

Über  den  Waffentanz  handelt  die  Königsberger  Dissertation 
von  Latte,  De  saltationibus  Graecorum  armatis,  der  seinen  ur- 
sprünglich apotropäischen  Charakter  u.  a.  damit  begründet,  daß  er 
auch,  z.  B.  in  Kypros  (Aristot.  bei  seh.  Townl.  f'  130,  fr.  476  der 
akademischen  Ausgabe)  und  in  Etrurien  (W  e  e  g  e ,  Arch.  Jb.  XXXI, 
1916,  131)  bei  Leichenspielen  angewendet  wurde  5  über  den  Namen 
TtVQQi'xi],  den  der  Waffentanz  führte,  handelt  ein  Anhang  von 
Lattes  Dissertatioö,  in  dem  hervorgehoben  wird,  daß  die  Wörter 
auf  uixog  in  älterer  Zeit  nur  im  Mutterland  und  in  Euboia,  seit 
dem  V./IV.  Jh.  auch  auf  den  Inseln  häufig  sind,  dagegen  in  Klein- 
aeien  fast  ganz  fehlen  und  deshalb  wahrscheinlich  als  dorisch  be- 
trachtet werden  können.    Genannt  ist  die  tzvqqix^],  wie  Latte  meint, 

13* 


196  1'-^^^- 

nach    der   roten   TJnifonn    (qpo/>'tx<V)    der   Soldaten.     Sie   wurde   in 
der  Blütezeit  fast  nur  bei  Festen  und  Paraden  aufgefillui; ;  daß  sie 
in  der  vorgeschichtlichen  Periode  auch  vor  dem  Ernstkamj)f  üblich 
war,  ist  möglich,  aber  nicht  beweisbar.    Daß  sie  einen  Kampf  nach- 
ahmte, hält  Latte  für  unwahrscheinlich.     Wir  finden    sie  in  Athen 
bei  den  Panatheuäeu.  in  Eretria  im  Dienst  der  Artemis  Amarj-'sia, 
in  Pagai  in  dem  der  Artemis  ^iwreiga.     Die  bei  den  Ainianen  und 
Magneten  (Xenoph.  av.  VI  1,  7),  nach  Hesych.  auch  in  Makedonien 
übliche  Karpaia  wurde  nach  Latte  getanzt,  damit  die  Ernte  sicher 
vor  Räubern   eingebracht  werden   könne.     Kinesias  (Aristoph.  Frö. 
153)  änderte  die  TivQqiyj]  in  einen  dithjTambosähnlichen  Tanz  um. 
Allmählich    artete    sie    immer  mehr  zur  Spielerei  aus ,    wm-de    aber 
in    Rom   grausam   wollüstig   nach    Art    der  Gladiatorenkämpfe    und 
gewann  auch  den  verlorenen  kriegerischen  Charakter  wieder.    Diese 
Dissertation    büdet    das    dritte   Kapitel    einer   vollständigeren   Ver- 
öffentHchung  Lattes,    die    unter   dem  Titel  De    saltationibus  Grae- 
corum    capita    quinque    (RV   u.  Y,    XIII  3)    1913    erschienen   ist. 
Hinzugekommen    sind   Kap.  I  De  auctoribus  tibqI  oQXtjaeMg  (1  ff.), 
II  de    figuris  saltationis  (17  ff.),  IV  de  civium   chorea  sacra  (64  ff.) 
und  V  de  saltatione  ecstatica  (88  ff.).  —  Anders  als  Latte  urteilen 
über  die  Entstehung  des  Tanzes  C.  Fries,  Stud.   zur  0d3ssee  I, 
94  ff.,  der  viele  Tanzgebräuche  aus  alter  und  neuer  Zeit  zusammen- 
stellt und  als  Nachalimung  des  Stementauzes  deutet,  und  A.  Rei- 
nach,  Bull.    Musee   Mulhouse  XXXVII,    1913,    87,   der  in  dem 
Schlangentanz    der   kretischen  Tänzerinnen   ursprünglich  eine  Ver- 
ehrung  der   allnährenden    und  heilenden  Erde  sieht,   aber  aus  dem 
Gorgonenmythos    schließt,    daß  er  später  als  schreckliches  Zauber- 
mittel   aufgefaßt   wurde.  —   Häufig   dienen    Waffeutänze   nach   der 
Legende    dem    Schutze    von    Gotteskindern.      Nach    Leop.    von 
Schröder,   Mysterium  und  Mimus,  Leipz.  1908,    107  ff.,    der  bei 
Besprechung  der  Marutslieder  RV  I.   170  f.  ausführlich  über  diese 
in  Indien  nur  in  wenig  Si>uren,    dagegen   in  Griechenland,    Italien 
und  Deutschland  vielfach  auch  später  erhaltene  Kultsitte  zu  sprechen 
kommt,  sollte  durch  sie  teils  im  Frühjahr  der  eben  geborene  Vege- 
tationsdämon gegen  Feinde  geschützt,  teüs  der  Drachenkampf  dar- 
gestellt werden,    in   dem  nach  v.  Schröder  der  Gewitterdämon  diißi 
den    Regen    zurückhaltenden    Dämonen    besiegt.      Ahnlich    urteütf 
E.  Fehrle,  Badische  Heimat,  Zs.  f.  Volksk.  usw.  I,  1914,  161  ff.; , 
er  meint,    daß    die  Waffentänze,    die    bei  den  Germanen  auf  eineK 
ursprünghcheren  Stufe  stehen  geblieben  sein  soUen  als  bei  Griecheil 
und   Römern ,   junge    Götter ,    z.  B.  Sterne ,    die    Sonne ,    den  neuy*! 


Tanz.  197 

erstehenden  Tag,  den  Frühling  gegen  die  Mächte  der  Finsternis  zu 
schinnen  bestimmt  waren.  —  Die  bekanntesten  griechischen  Waffen- 
tänze sind  die  aus  den  Kureten-  und  Korj-bantenmythcn  zu  erschließen- 
den und  bei  den  Römern  die  der  Salier.  Diese  tanzten  nach  L.  v  o  n 
Schröder  (s.  o.)  ursprünglich  vielleicht  um  den  eben  geborenen 
Mai'S  wie  die  Kureten  um  Zeus  oder  Dionysos ,  die  Korybanten 
um  Dionysos ,  den  neugeborenen  Gott  der  Vegetation.  —  Auch 
Rene  Cirilli,  Les  pretres  danseurs  de  Rome,  etude  sur  la  Cor- 
poration sacerdotale  des  Saliens,  preface  de  M.  J.  Toutain,  Paris 
1913,  vergleicht  die  Kuretentänze  mit  denen  der  Salier,  die  er  aber 
für  Nachahmung  von  Zauberriten  einer  bei  der  Einführung  der 
Bronzekultur  in  Italien  eingewanderten  Schmiedezunft  hält;  s.  da- 
gegen J  e  a  n  m  a  i  r  e ,  Rev.  hist.  rel.  LXIX,  1914,  260,undWissowa, 
Berl.  philol.  Wschr.  XXXV,  1915,  10  ff.  —  Da  der  salische  Schritt 
Tripudium  heißt,  sei  auch  die  Ai'beit  von  Thom.  Fitz hugh,  The 
sacred  tripudium  (IJniversity  of  Virginia,  Bull,  of  the  School  of 
Latin  IIIj,  Charlottesville,  2.  Aufl.,  1909  ei'wähnt,  aber  nur,  um 
festzustellen,  daß  sie  für  die  Religionsgeschichte  nichts  bietet  und 
nur  die  früheren  Arbeiten  des  Verfassers  über  den  lateinischen 
Rhythmus  und  Vers  fortsetzt.  —  Über  die  Waffentänze  bei  dem 
jährhchen  Ahnenfest  am  libyschen  Tritonissee  vgl.  Renet  Basset, 
Rev.  hist.  rel.  LXI,  1910  ^  313  ff.  —  Ein  religiöser  Tanz  mit 
Luftsprung  ist  auf  dem  von  Cook,  Class.  Rev.  XXI,  1907,  170 
veröffentlichten  sf.  Vf.  aus  dem  Kabiiion  dai"gestellt  •,  Cook  glaubt, 
daß  dieser  Tanz  der  von  Hippokieides  nach  Herod.  VI  129  an 
dritter  Stelle  ge tanzte  sei.  —  Aus  dem  Xamen  des  phrygischen 
Tanzes  ßQty,iGf.iatcc  (Hesych.)  vermutet  Eisler,  Philol.  LXVIII, 
1909,  126,  27  einen  Tanz  beilbewehi'ter  (zu  ßgUig  vgl.  ßeoex.vq 
=  7r6 Aezt'g)  Kiu-eten.  —  Von  den  übrigen  Tänzen  hat  Schnabel, 
Kordax,  archäologische  Studien  ziu*  Geschichte  des  griechischen 
Tanzes,  München  1910,  den  Kordax  behandelt;  in  den  ihn,  wie  er 
meint,  tanzenden  Dickbäuchen  sieht  er  (46)  mit  Preuß  Menschen, 
die,  als  segnende  Dämonen  verkleidet,  durch  eine  mimisch  orchesti- 
sche  Nachahmung  des  Zeugungsaktes  einen  Fruchtbarkeitszauber 
auszuüben  glaubten.  S.  dagegen  Süß,  Berl.  Phil.  Wschr.  XXXI, 
1911,  211  ff.,  und  A.  Körte,  DLZ  1910,  2787  ff.  Die  uyyelLv.ri 
OQXV^t^S  ^aQoivLog  (Hesych.)  sollte  nach  Schnabel  47  die  Fruchbar- 
keit  des  Weines  befördern. 

Dieselbe  Bedeutung  wie  der  Tanz  hatte,  wie  bemerkt,  die 
feierliche  Jjmschreitung.  A.  Hillebrand,  Circumambulatio, 
Festschr.    d.    schles.    Gesellsch.   f.  Volksk.,  1911,  1  ff.  macht  nach 


198  Umzüge. 

Calaiids  Vorgang  auf  die  Übereinstimmimg  verschiedener  Völker, 
namentlich  der  Kelten  und  der  Inder  in  dem  Glauben  aufmerksam, 
daß  man  die  Umwandlung  beim  Götteropfer  nach  rechts ,  beim 
Dämonenopfer  nach  links  vornehmen  müsse.  Da  man  die  Unter- 
scheidung dieser  beiden  Arten  übernatürlicher  Wesen  nicht  in  die 
proethnische  Zeit  hinaufrücken  darf,  empfiehlt  es  sich,  innerhalb 
der  griechisch-römischen  Kultur  auf  Spuren  dieser  Sitte  zu  achten, 
die  schwerlich  mit  Hillebrand  aus  der  Richtung  des  Sonnenlaufes 
zu  erklären  ist.  HiUebrand  selbst  verweist  auf  Stat.  Th.  VI  215 
Instrantque  ex  more  sinistro  orbe  rogum,  wozu  der  Scholiast  (200) 
bemerkt  quia  nihil  dextrum  mortuis  convenit,  und  \ergleicht  damit 
indische,  keltische  und  germanische  Vorschriften,  — 

Den  Umwandelungsgebräuchen  stehen  später  die  zahlreichen 
sonstigen  Umzüge  nahe,  die  allerdings  z.  T.  einen  anderen  Ur- 
sprung zu  haben  scheinen.  Viele  bei  verschiedenen  orientalischen 
und  europäischen  Völkern  sich  findende  Prozessionen ,  die  meist 
am  Neujahrstag  gefeiert  wurden  und  die  Abwanderung  oder  Wieder- 
kunft des  Lichtgottes  darstellen  sollen,  bespricht  C.Fries,  Stud. 
zur  Odyssee  I,  Leipzig  1910,  1  if.  Aus  der  des  sakralen  Gewandes 
entkleideten  Legende  eines  solchen  Festes  soll  der  Mythos  von 
Odysseus',  des  Sonnengottes,  Aufenthalt  bei  den  Phaiaken  entstanden 
sein.  —  Erigone  heißt  nach  Nilsson,  Eranos,  Acta  Suecana  XV, 
1915,  199  '^liJTig,  weil  der  Ritus,  aus  dessen  Legende  sie  ge- 
schöpft ist,  in  der  feierlichen  Umwandelung  des  Weinberges  durch 
eine  nackte  menstruierende  Frau  oder  Jungfrau  bestand.  Umzug 
um  einen  Gegenstand  oder  einen  Menschen,  namentlich  mehrmals 
(gewöhnlich  dreimal)  wiederholter,  schien  diesen  mit  dem,  was  um 
ihn  geht,  getragen  oder  gefahren  wird,  in  engste  Beziehung  zu 
setzen.  —  Hektors  Schleifung  um  Patroklos'  Grabmal  sollte  nach 
Seh  wenn,  Menschenopfer  bei  den  Griechen  u.  Rom.,  RV  u.  V, 
XV  3,  1915,  68  den  Feind  dem  Toten  weihen;  nackt  ist  die  Leiche, 
weil  Schnüre  und  Knoten  den  Zauber  hemmen  würden. 

Die  zuletzt  erwähnten  Umzüge  sind  wohl  noch  Sühne-  und 
Reinigungsmaßregeln  gewesen,  obwohl  sie  z.  T.  anders  gedeutet 
worden  sind.  Es  gibt  jedoch  auch  Prozessionen ,  die  ein  Ereignis 
der  göttlichen  Geschichte  darstellen  sollen,  die  aber  doch  am  besten 
in  diesem  Zusammenhang  erwähnt  werden,  weil  erstens  die  Grenz- 
linie schwer  zu  ziehen  ist  und  zweitens  auch  diese  mimetischen 
Umzüge  mittelbar  den  Zweck  verfolgten,  die  Gemeinde  gegen  Schaden 
zu  schützen.  Dazu  gehört  u.  a,  die  Prozession  mit  dem  Schiffs- 
Jcarren.   die,  wie  Frickenhaus,   Arch.  Jahrb.  XXVII,  1912, 


Umzug.  "Wettlauf.   Dramatische  Aufführung.  199 

61flf. ;  XXXII,  1917,  13  ff.  zweifelnd  aus  einer  Angabe  des  Marmor 
Parium  über  die  Begründung  der  Komödie  durch  Susarion  folgert,  seit 
der  ersten  Hälfte  des  6.  Jhs.  und  zwar  an  den  großen  Dionysien  in 
Athen  stattfand,  sich  auffallend  weit  verbreitet  hat  und  namentlich 
in  Italien  und  Deutschland  sogar  bis  in  die  neuere  Zeit  hinein 
geübt  worden  ist.  —  Die  beliebte  Ableitung  des  Wortes  Karneval 
von  carrus  navalis  bestreitet  Giemen,  Arch.  f.  Religionswissensch. 
XVII,  1914,  148,  der  Beispiele  für  diese  Sitte  gesammelt  hat. 

Da  statt  der  feierlichen  Umschreitung  bisweilen,  wie  sich  bei  der 
Besprechung  der  Geburtsriten  herausstellen  wird ,  ein  eiliges  Um- 
laufen oder  Herumlaufen  eintritt,  so  erhebt  sich  die  Frage,  ob  nicht 
auch  der  religiöse  Wettlauf  unter  Umstünden  als  eine  Reinigungs- 
maßregel  zu  betrachten  und  die  Schnelligkeit  der  Bewegung  aus 
dem  Bestreben  zu  erklären  sei,  die  Wirksamkeit  der  Maßregel  durch 
die  Energie,  mit  der  sie  ausgeführt  wurde,  zu  steigern.  Die  neuere 
Forschung  hat  diese  Möglichkeit  wenig  ins  Auge  gefaßt  und  der- 
artige ßiten  entweder  als  Analogiezauber  —  z.  B.  zur  Beförderung 
des  Sonnenlaufes,  s.  R.  Eisler,  Arch.  f.  Religionswissensch.  XI, 
1908,  150  f.  —  oder  geradezu  als  Nachahmung  eines  natürlichen 
oder  göttlichen  Vorgangs  gedeutet.  —  F  r  a  z  e  r ,  The  dying  God 
(Golden  Bough  III)  90  f.  nimmt  eine  Vermutung  Cooks  (Folklore 
XV,  1904,  401),  auf,  daß  der  Sieger  in  Olympia  den  Zeus  darstellte, 
und  meint,  daß  die  in  dem  von  Paus.  V  16,  2  erwähnten  Wett- 
lauf siegreiche  Jungfrau  als  Hera-Selene  betrachtet  worden  sei. 

8)  Dramatische  Aiifführuiigeu. 

Daß  auch  in  Griechenland  Vorfühi-ungen  legendärer  Begeben- 
heiten stattfanden ,  bei  denen  die  Gottheiten  durch  Menschen  ver- 
treten waren,  wird  auch  derjenige  nicht  in  Abrede  steUen,  der  die 
hier  angeführten  Riten  anders  erklärt.  Um  eine  Darstellung  der 
Legende  handelt  es  sich  dabei  fi-eilich  ursprünglich  nicht;  der 
segensreiche  Vorgang,  die  Erzeugung,  Geburt,  Erweckung  oder 
Wiederbelebung  des  heilbringenden  Gottes  wird  erneuert,  keines- 
wegs aber  nachgeahmt,  und  erst  nachdem  der  Ritus  durch  eine 
Legende  erklärt  worden  ist  und  diese  sich  verselbständigt  hat, 
konnte  er  als  ihre  Darstellung  gelten.  Doch  ist  dies  nicht  bloß  in 
Griechenland  an  vielen  Stellen  sehr  früh  geschehen.  L.  v.  Schröder, 
Mysterium  und  Mimus ,  Leipzig  1908  erklärt  mehrere  Lieder  des 
Bigveda  als  Texte ,  die  zu  solchen  Aufführungen  oder  mimischen 
Tänzen  gesungen  wurden.  Nun  sind  zwar  derartige  religiöse  Auf- 
führungen in  vedischer  Zeit  nicht  nachweisbar,   und  deshalb  habeu 


OQO  Dramatische  Aufführungen. 

angesehene    Kenuer     des     vedischen    Kultus    wie    Winternitz 
(Wiener   Zeitschr.    f.    die  Kunde   des  Morgenlandes  1909,  902  ff.) 
Schröders  Vermutung  bekämpft;  immerhin  ist  aber  anzuerkennen 
daß  es  für  die  als  Texte  für  Aufführungen  erklärten  Lieder  in  dem 
überlieferten   Ritual   keine   Verwendung   gibt.     Caland,    der  dies 
im  Arch.  f.  Religionswisseusch.  XIV,  1911,  499  ff.  auseinandersetzt, 
bezweifelt  m.  R.,  daß  die  mimischen  Tänze  iu  die  urindogennanische 
Zeit   hinauf  reichen.     Die    Griechen   haben   sie  jedenfalls    auf  der 
Balkanhalbinsel   vorgefunden,    denn    es   kann  jetzt   als    sicher    be- 
ti-achtet  werden,  daß  erstens  die  Mythen  von  der  Geburt,  der  Ver- 
mählung  und  dem  Grabe  des  Zeus  und  anderer  Götter  großenteils 
aus  Ijegenden  erwachsen  sind,  die  sich  aus  dem  Ritus  der  Zeugung, 
Geburt    oder   Belebung   eines    Gottes    entwickelt   haben,    und   daß 
zweitens  diese  Begehungen  und  auch  die  Geschichten,  die  in  ihnei:) 
dargestellt  sein  sollten,  wenigstens  in  Ki-eta  bis  in  die  vorgriechische 
Zeit    hinaufreichen.     Wie    die    ..ägäische"    Kultur    sich    überhaupt 
mannigfach    mit    der    in    Vorderasien    und    Agj^jten    während    des 
zweiten  Jahrtausends   herrschenden    berührt,    so    finden    sich    auch 
von  den  religiösen  Aufführungen  in  Agj'pten,   wo  sogar  schon  eine 
gewisse   künstlerische    Ausbildung  zu  beobachten  ist  (A.   Wiede- 
mann,  Melanges  Nicole  561  ff.),  und  in  Babylonien  deutliche  Spuren. 
Im  geschichtlichen  Griechenland  leben  derartige  Riten  in  Mysterien 
fort,  z.  B.  in  Eleusis:    die  Scheu,   mit  der  solche  Gemeinden,  die 
eigentlich   immer    als    ein  FremdköqDer   im    griechischen  Religions- 
wesen   empfunden    sind ,    sich  abschlössen ,    wird  damit  zusammen- 
hängen, daß  die  Reste  der  Urbevölkerung,  ehe  sie  von  den  Griechen 
ganz  aufgesogen  wurden,  eine  Zeitlang  in  der  Stille  an  ihren  alten 
Gebräuchen  festhielten,  die  sich  an  solchen  Stellen  reiner  als  sonst 
erhielten,  aber  zuletzt  entweder  auf  hörten  oder  nachträglich  wenigstens 
äußerlich  hellenisiert  wnirdeu.     Wo  eine  Abschließung   nicht   statt- 
gefunden hatte,  konnten  sich  aus  den  alten  Aufführungen  kunstmäßige 
dramatische    Darstellungen    entwickeln.    —    Daß    das    griechische 
Schauspiel,  das  ja  auch  noch  während  der  Blütezeit  seinen  gottes- 
dienstlichen Ursprung  nicht  ganz  verleugnete,  auf  eine  religiöse  Ver- 
anstaltung zurückgehen  müsse,   ist  auch  die  Voraussetzung  der  zahl- 
reichen in  der  Berichtsperiode  erschienenen  Untersuchungen  über  die 
Entwicklung  des  griechischen  Theaters.    K.  Th.  Preuß, 
Neue  Jbb.  190G,  161  ff.  hat  sie  durch  mexikanische  Parallelen  neu 
zu  stützen  versucht ;  vgl.  dessen  Aufsatz  über  phallische  Fruchtbar- 
keitsdämonen   als    Träger    des  mexikanischen    Dramas ,    Arch.    f. 
Anthropol.  X.  F.  I  129  ff.     Aber  darüber,  welche  Art  des  Gottes- 


Ursprung  des  Dramas.  201 

dienstes  Ausgangspunkt  des  Dramas  war,  ist  Übereinstimmung  nicht 
erzielt  worden  und  wird  wahrscheinlich  erst  erreicht  werden,  wenn 
die  Ansicht  aufgegeben  ist,  daß  die  Erklärung  nur  dann  befriedigen 
könne ,  wenn  sie  eine  organische  Entwicklung  erkennen  lasse. 
A.  Dieterich  hat  in  seiner  letzten  Arbeit  (Arch.  f.  Religions- 
wissensch.  XI.  1908,  163  ff.  =  Kl.  Sehr.  414  ff.) ,  anknüpfend  an 
das  neue  solonische  Bruchstück  über  Arien  als  Begründer  der 
Ti'agödie,  das  die  Angabe  des  Suidas  Idqiiov  und  mittelbar  die  des 
Aristoteles  (jtoirj.  4)  über  die  Entstehung  des  Trauerspiels  aus 
dem  DithjTambos  stützt,  die  sikyonischen  TQayiyioi  yoQoi  des 
Adi'astos  als  Bockschöre  gedeutet,  denen  ein  e^<xqx<^^v  als  Sprecher 
diente.  Die  als  Böcke  verkleideten  Choi'euten  sollen  die  Geister 
der  Toten  (S.  172)  dargestellt  und  wie  diese  auf  Ybb.  um  die 
emporsteigende  Köre  oder  Pandora  herumgetanzt  haben;  dies  soll 
die  Legende  des  Anthesterienfestes  und  besonders  der  Pithoigia 
gewesen  sein,  bei  denen  die  Toten  aus  der  Unterwelt  aufstiegen 
and  den  einziehenden  Dionysos  begrüßten,  dessen  carrus  navalis 
dem  Wagen  des  Thespis  entsprechen  soll.  Zu  dem  Totenfest  ge- 
hörte eine  Totenklage,  die  von  Chören  (Plat.  vö/<.  XII  3,  S.  947  ^) 
vorgeti-agen  wurde ;  daher  bildet  nach  Dieterich  der  -aof^f^og  einen 
wesentlichen  Teil  der  giiechischen  Tragödie.  Aber  auch  die  eleu- 
sinischen  M3'sterien  sollen  (183  ff.)  für  die  Tragödie  wichtig  ge- 
wesen sein ,  da  Aischj-los  Eleusinier  war  und  es  von  ihm  heißt, 
daß  er  das  Schauspielerkleid  nach  der  Amtstracht  des  Daduchen 
und  fiierophanten  eingerichtet  und,  worauf  vielleicht  bereits  Aristot. 
H^.  Nr/..  III  2,  S.  Ulla,  10  hinweist,  die  Mysterien  profaniert 
habe.  Diesen  letzten,  den  Zusammenhang  der  Tragödie  mit  den 
eleusinischen  Mysterien  betreffenden  Teil  von  Dieterichs  Ergeb- 
nissen bestreitet  Foucart,  Compt.  rend.  AIBL  1912,  135,  wo- 
gegen Bei  och,  Griech.  Gesch.  I^  I,  418  es  für  wohl  möglich 
hält,  daß  die  Umwandlung  des  possenhaften  Satj-rspiels  in  die  ernste 
Tragödie  unter  dem  Einfluß  des  eleusinischen  Passionsspiels  er- 
folgte, und  auch  O.Kern,  Eleusinische  Beiträge,  Universitätsschr. 
Halle  1909  sich  an  Dieterich  anschließt.  Bald  nach  diesem  trat 
0.  Crusius,  Neue  Jbb.  XXV,  1910,  81,  der  schon  früher  gelegent- 
lich ebenso  wie  Nilsson,  Arch.  f.  Religionswiss.  IX,  1906,  286 
ähnliche  Ansichten  angedeutet  hatte ,  mit  der  Behauptung  hervor, 
daß  die  Tragödie  in  den  chthonischen  Elementen  des  attischen 
Dionysoskultes  wurzele,  die  am  deutlichsten  in  den  agyccLoreQu 
Jiovioia^  den  Anthesterien,  zutage  treten.  Die  Komödie  läßt 
Crusius    zwar  ebenfalls   aus  dem  attischen  Dionysoskult,    aber  aus 


202  Ursprung  des  Dramas. 

einer  anderen  Gegend  und  Schicht  stammen.  —  Allein  bald  mußte 
sich  die  Überzeugung  aufdrängen,  daß  die  einseitige  Herleitung  der 
griechischen  Tragödie  aus  dem  Totenkult  oder  andern  chthonischen 
Diensten  der  Unterstützung  in  der  Überlieferung  entbehre ,  z.T. 
sogar  mit  ihr  in  Widerspruch  stehe.  Es  ist  unbeweisbar,  daß 
die  Böcke  oder  Pferde  Toteuseelen  darstellten,  und  unwahrschein- 
lich, daß  der  Dithyrambos  ursprünglich  ein  Klagelied  war,  was  zu 
der  aristotelischen  Angabe  von  der  ?J^ig  yeloia  übel  stimmt. 
Schauspieltage  sind,  wie  Nilsson.  Neue  Jahrb.  XIY,  1911,  616ff. 
hervorhebt,  gerade  nicht  die  Anthesterien ,  sondern  hauptsächlich 
die  großen  Dionysien,  und  eine  Verlegung  des  Festes  ist  unwahr- 
scheinlich. Außerdem  wird  an  den  Chytren  nicht  dem  Dionysos, 
sondern  dem  Hermes  geopfert.  Was  den  Krater  mit  der  Phere- 
phatta  anbetrifft,  so  ist  nach  Nilsson  die  Darstellung  zu  vereinzelt, 
um  eine  herrschende  Yolksvorstellung  zu  erweisen.  Ist  dieser  letzt- 
genannte Einwand  und  der  weitere ,  daß  die  Satp-n ,  wenn  sie 
Totengeister  waren,  ihr  eigenes  Schicksal  hätten  beklagen  müssen, 
nicht  ganz  durchschlagend,  so  ergibt  sich  im  ganzen  doch,  daß  mit 
den  von  Dieterich  aufgewendeten  Mitteln  der  Ursprung  der  Tragödie 
aus  dem  Heroenkult  nicht  erweislich  ist.  Einen  anderen  Weg 
schlägt  deshalb  Ridgeway,  The  Origin  of  Tragedy  with  special 
reference  to  the  Greek  Tragedians,  Cambridge  1910  ein,  um  zu 
einem  ähnlichen  Ergebnis  vorzudringen.  Kühn  trennt  er  die  An- 
fänge der  Tragödie  ganz  vom  Dionysoskult  und  dem  seiner  Ansicht 
nach  aus  dem  thrakischen  Dienst  dieses  Gottes  entstandenen  Satyr- 
drama; damit  kann  er  sich  dem  unmöglichen  Nachweis  entziehen, 
daß  der  Dionj'soskult  mit  dem  Heroenkult  ursprünghch  zusammen- 
hing, und  daß  die  Totengeister  als  Böcke  gedacht  wurden,  Ridgeway 
vermutet  einfach,  daß  die  Darsteller  die  ältere  Tracht,  ein  Ziegen- 
fell, anlegten  und  deshalb  „Böcke"  genannt  wurden;  es  muß  dabei 
freihch  als  Spiel  des  Zufalls  betrachtet  werden ,  daß  gerade  dem 
Dionysos  der  Bock  heüig  war.  Nur  da,  wo  Dionysos  an  die  Stelle 
eines  Heros  getreten  ist,  erkennt  Ridgewa}'  für  die  Vorläufer  der 
Tragödie  einen  Zusammenhang  mit  dem  Dionysoskult  an,  der  im 
übrigen  erst  spät  hergestellt  sei.  Diese  Urformen  der  Tragödie 
sucht  er  aber  im  Widerspruch  mit  der  antiken  Überlieferung  nicht 
in  der  Peloponnes ,  sondern ,  wie  schon  in  früheren  Schriften ,  in 
Attika.  Durch  diese  Umformung  ist  die  Herleitung  des  attischen 
Trauerspiels  aus  der  Totenklage  zwar  von  einzelnen  Bedenken  ge- 
reinigt, aber  doch  im  ganzen  nicht  wahrscheinlicher  gemacht  und 
auch    nicht   in  bessere  Übereinstimmung  mit  der  Überlieferung  ge- 


Dramatische  Aixf f ührungen :  Ursprung  des  Di'amas.  203 

bracht  worden.  Vor  allen  Dingen  ist  es  auch  Ridgeway  nicht 
gelungen ,  mimetische  Vorführungen  für  die  griechische  Leichen- 
feier und  den  Grabeskult  nachzuweisen.  Die  Vermutung,  daß  die  ^- 
Liihr]  des  Dionysostheaters  an  die  Stelle  eines  alten  Grabes  getreten 
sei,  hat  er  später  selbst  aufgegeben ;  und  wenn  auf  den  Torres- 
Straßeninseln  raimetische  Tänze  den  BeschlulJ  der  Totenklage  bilden, 
so  ist  diese  Vergleichung  kein  rechter  Ersatz  für  das  Fehlen  eines 
ähnlichen  Zeugnisses  für  den  griechischen  Totenkult.  Bei  der 
römischen  Leichenfeier  wurde  allerdings  der  Tote  bisweilen  lebend 
vorgeführt,  indem  jemand  in  seiner  Rolle  auftrat  (Suet.  Vesp.  19), 
aber  Nilsson,  Neue  Jbb.  XIV,  1910,  G36  ff.  hebt  hervor,  daß 
diese  Bestattungssitte  nicht  als  alt  gelten  könne.  Nach  Nilsson 
selbst  (ebd.  609  ff.)  ist  die  Tragödie ,  die  in  Elöutherai  entstanden 
sein  muß ,  weil  sie  an  den  dem  Dionysos  ^E?.Ei;9^€Qevg  geweihten 
großen  Dionysien  zuerst  aufgeführt  wurde,  nicht  bloß  von  der  aus 
der  (paXXocpoQia  entstandenen  Komödie,  sondern  auch  von  dem 
ursprünglich  peloiionnesischen  Satyrdrama,  das  Pratinas  im  Anfang 
des  5.  Jhs.  zunächst  als  selbständiges  Drama  nach  Athen  ver- 
pflanzte, dem  Ursprung  nach  zu  trennen.  Die  Ti-agödie  läßt  Nilsson 
entstehen  aus  einer  Verschmelzung  des  Kultdramas  von  Eleutherai, 
bei  dem  Dionysos  Melanaigis  getötet  und  von  den  in  ZiegenfeUe 
gekleideten  und  deshalb  rgdyoi  genannten  Hirten  beklagt  wurde, 
mit  den  im  Heroenkult  üblichen  Klagechören.  Erst  später  sollen 
Tragödie,  Satvrdrama  und  Komödie  miteinander  ausgeglichen  sein.  — 
Ähnlich  wie  Nüsson  urteilt  Farn  eil,  The  Dionysiac  and  Hero- 
Theory  of  the  Origin  of  Tragedy,  Hermath.  XVII,  1913,  1  ff.  dessen 
Darstellung  des  Dion3-soskultus  in  den  Cults  of  Gr.  Stat.  (insbesondere 
V  225  ff.)  über  die  Entstehung  der  Tragödie  Eidgewa}'  angegriffen 
hatte.  Farnell  findet  es  unerklärlich,  daß  die  Tragödie  ganz  in  den 
Dionysoskult  aufgenommen  wurde,  wenn  sie  ursprünglich  ein  Bestand- 
teil des  Totenkults  war ,  zumal  der  Bock  wohl  jenem ,  aber  nicht 
diesem  angehöre  und  der  Dithj-rambos,  in  dem  ein  Rind  geopfert 
wurde,  auf  die  Entstehung  der  Tragödie,  die  ein  Bocksopfer  voraus- 
setze ,  wohl  eingewirkt ,  sie  aber  nicht  hervorgerufen  haben  könne. 
Die  Verkleidung  in  Böcke  ist  nach  FameU  nicht  als  Beibehaltung 
der  ältesten  Tracht  auf  dem  Theater,  sondern  nur,  wie  die  aus 
dem  Namen  ccQ/.roi  im  attischen  Dienst  der  Artemis  zu  erschließende 
in  Bärinnen  aus  einem  Götterkult  zu  erklären.  Die  von  Ridgeway 
verglichenen  Aufführungen  heutiger  Wilden  werden  großenteils 
anders  als  aus  dem  Totenkult  erklärt.  Fai'neU  entwickelt  Useners 
Theorie    vom  Kampf  zwischen  Sommer   und  Winter  als  Erklärung 


204  Dramatische  Aufführungen:  Ursprung  des  Dramas. 

für  die  Melanthossage  im  Dienst  des  Dionysos  Melanaigis,  von  den, 
er  die  Tragödie  ableitet.  —  Schon  vorher  hatte  sich  gegen  Ridgeway 
auch  A.  W.  Pickard- Cambridge,  Class,  ßev.  XXVI,  1912,  52  ff. 
erklärt,  der,  allerdings  zweifelnd,  den  Glauben  an  chthonische 
Fruchtbai-keitsdämonen  für  den  Ausgangspunkt  der  Tragödie  hält. 
Ebd.  134  hat  Eidgeway  seine  Aufstellungen  gegen  Pickard  ver- 
teidigt und  ihren  Widerspruch  gegen  die  Überlieferung  durch  die 
Behauptung  zu  verringern  versucht,  daß  der  DithjTambos  ursprüng- 
lich nicht  nur  den  Dionysos  feierte,  und  daß  Aristoteles,  als  er  die 
Tragödie  vom  Dith^-rambos  herleitete,  gai'  nicht  an  den  Dionysischen 
dachte.  Er  beruft  sich  auf  die  di-amatischen  Aufführungen  zu 
Ehren  des  Skephros  in  Tegea  und  darauf,  daß  die  Dramen  des 
ältesten  Tragikers  Epigenes  von  Sikyon  sich  nicht  auf  Dionysos 
bezogen.  —  Ein  anderer  Gegner  erstand  Ridgeway  in  Murray, 
der  in  einem  Exkurs  On  the  Eitual  Forms  preserved  in  Greek 
Tragedy  zu  J.  Hamsons  Themis  3-il  ff.  aus  der  Analyse  der  Teile 
einer  Tragödie  (Agon,  Pathos,  Angelia,  Threnos,  Anagnorisis  und 
Theophauie) ,  die  den  Akten  eines  Jahreszeitkultus  entsprechen 
sollen,  den  Nachweis  führen  will,  daß  das  Drama  aus  dem  Dromenon 
eines  Jahrzeitgottes  hervorgewachsen  sei.  —  Dagegen  steht  Gilders- 
leeve  in  seiner  ausführhchen  Besprechung  Amer.  Journ.  Phil. 
XXXII,  1911,  210  ff.  den  Gedanken  Eidgeways  im  wesentHchen 
freundlich  gegenüber,  und  auch  G.  A.  Gerhard,  Sitzber.  Heidel- 
berg AW  1915,  V  S.  50  ff.  erklärt  die  Tragödie  als  aus  der  jähr- 
lichen Totenklage  bocksdämonischer  Gottheiten  entstanden.  —  Nach 
E.  Maaß,  Internat.  Monatsschr.  1913,  580  ist  die  Tragödie  aus 
zwei  nicht  zusammengehörigen  Komponenten,  dem  dionysischen 
Bocksgesang  und  dem  Heroenlied,  dem  Lied  zur  Feier  eines  Toten 
entstanden. 

In  anderen  Bahnen  als  die  zuletzt  genannten  Arbeiten  bewegt 
sich  die  Untersuchung  von  C.  Fries,  Stud.  zur  Odyssee  I  233, 
der,  an  L.  v.  Schröders  (s.  o.  100)  Erörterungen  anknüpfend  (249), 
die  Entwicklung  des  indischen  Dramas  aus  dem  gi'iechischen  be- 
streitet (245),  jenes  vielmehr  als  eine  selbständige  Fortbildung  der 
dialogischen  Lieder  des  Veda  betrachtet.  Er  faßt  die  Tragödie  als 
Nachahmung  eines  himmhschen  Vorgangs:  wenn  mehrere  sich  zu 
diesem  Tun  vereinigen  und  den  himmlischen  Vorgang  in  irdischem 
Gewand  vor  den  Augen  des  zuschauenden  Volkes  darstellen,  ist 
die  Geburt  der  Tragödie  vollzogen  (ebd.  93). 

Mehrere  Untersuchungen  befassen  sich  mit  der  Entstehung  der 
Tragödie,    indem  sie  von  diesem  Namen  und  von  dem  eigenartigen 


Ursprung  des  Dramas.  205 

Widerspruch  ausgelin,  daß  die  Satyrn,  deren  Reigen  nach  weit  ver- 
breiteter Ansicht   die   ältesten  tragischen  Chöre   nachgeahmt  haben 
sollen,  Böcke  hießen  und  als  solche  noch  im  5.  Jh.  bezeichnet  zu 
werden  scheinen,  während  die  gleichzeitige  bildende  Kunst  sie  mit 
Pferdeschwänzen  darstellt.     Lionello  Levi,  Riv.  stör,  ant  n.  3. 
XII,  1908,  201  ff.,    der    sorgfältig   die    antiken  Zeugnisse   sammelt, 
ineint,  daß  die  Bockschöre  entstanden,    indem    bei  einem  Bakchos- 
fest   ein  Bock    zerrissen  wurde .    mit   dessen  Gliedmaßen  die  Teil- 
nehmer  sich   maskierten.     Davon    sollen    sie  Böcke    genannt    sein. 
Suid.   '^QLiOi'  wird    von    Levi    so    übersetzt:     Arion    soll    auch    die 
Bockschöre  (TQayiy.ög  TQOTtog)  erfunden,  d.  h.  einen  als  Satyrn  oder 
Böcke    verkleideten  Chor    aufgestellt   und   das  von   ihm  gesungone 
Lied  Dithyrambos    genannt   haben.  —   Nach  Flic kinger,    Class. 
Philol.  VIII,  1913,  262  ff.  wurden  in  Korinth  Dionysosspiele  durch 
Böcke,    üCLTVQOi-    aufgefühi't.     Als  Kleisthenes   in  Sikyon   die  alten 
Adrastoschöre    dem  Dionysos   gab    und    einen  Bock  als  Preis  aus- 
setzte, nannte  er  sie  XQctydjdoi.    In  Attika  traten  ähnliche  Choreuten 
als   „Pferde"  ^iXi^voi  auf,    und  pferdeartig   sind    diese  athenischen 
Choreuten   auch    später    geblieben.      Eurip.  KvyX.  80    erklärt   sich 
nach  Flickinger    daraus ,    daß    sie    als  Hirten  auftreten ,    bei  Aisch. 
fr.  207  soll  vor  rgayog  zu  ergänzen  sein  wg:   „du  wirst  klagen  wie 
ein  Bock,    der    sich    den  Bart   verbrannt   hat".     Pratinas   aber  soU 
sie   nach   korinthischem   Muster   umgeformt ,    Satj'roi   genannt  und 
ihnen  ein  Bocksfell  gegeben  haben.  —  Fric kenhaus,  Arch.  Jb. 
XXXII,     1917,    11,     der     im     Gegensatz     gegen     die     bisherige 
Ansicht    den    Süen    für    ursprünglich    bocksge staltig    oder    bocks- 
bärtig,    dagegen     die    SatjToi     für    pferdeartig    hält,     leitet    das 
Wort    Tragödie    von    Silenos ,    dem    musikalischen    Begleiter    des 
Chores,     her.      Die    Stellen,     die     früher    für     die     Bocksgestalt 
der  Satjnm   angeführt  wurden,    lassen   in  der  Tat    eine  andere  Er- 
klärung zu,    aber  auffallend  bleibt  schon  ihr  Zusammentreffen,  so- 
daß    der   Widerspruch   bisher   noch   nicht    als    gelöst   gelten  kann. 
Dagegen  scheint  sich  hinsichtlich  der  übrigen  hier  erwähnten  Fragen 
aus  den  bisherigen  Erörterungen   über  den  Ursprung  der  Tragödie 
doch  eine  gewisse  Übereinstimmung   herauszuschälen,    nämlich  die, 
daß    sie   wirklich   aus    dem  Dithyrambos   erwachsen   ist  (vgl.  z.  B. 
Beloch,  Griech.  Gesch.  I^  1,  418,  v.  Wilamo  witz ,  Neue  Jbb. 
XXIX,    1912,    475).     Diese  Angabe  des  Aristoteles    zu  bezweifeln 
liegt  in  der  Tat  kein  Grund  vor,    da  dieser  Ursprung  sich  keines- 
wegs durch  die  Ähnlichkeit   der  Kunstform  von    selbst  aufdrängte. 
Wer,  ohne  eine  bestimmte  Überlieferung  zu  haben,    über  die  Vor- 


206  Ursprung  des  Dramas. 

läufer  der  Tragödie  nachdachte,  konnte  und  mußte  weit  eher  auf 
einen  anderen  Ursprung  verfaUeu,  z.  ß.  sie  aus  den  ögioueva  von 
Mysterien  ableiten,  au  die  auch  moderne  Forscher  gedacht  haben. 
Weil  aber  vom  Dithj'rambos  aus  sich  eine  Fortbildung  zum  Drama 
nicht  wohl  konstruieren  läßt,  ergibt  sich  daraus  von  selbst  die 
Folgerung,  der  z.  B.  v.  Wilamo  witz  ,  Neue  Jbb.  XXIX,  1912,  475 
Ausdruck  gibt,  daß  die  griechische  Tragödie  durch  den  Willen  einer 
starken  Persönlichkeit  geschaffen  wurde.  Es  muß  dies  m.  E.  ein 
Künstler  und  künstlerischer  Organisator  gewesen  sein,  der  es  ver- 
stand, die  Staatslenker  für  seine  Neuschöpfung  zu  gewinnen.  Wie 
Peisistratos  den  athenischen  Diouysoskult  schuf,  indem  er  zugleich 
die  Dienste  von  Ikaria  und  Eleutherai  nachbildete,  so  kann  er  auch 
die  öffentliche  Vorführung  tragischer  Chöre  angeordnet  haben. 

Weniger  als  der  Ursprung  der  Tragödie  sind  die  Anfänge  der 
Komödie  in  der  Berichtsperiode  umstritten  gewesen.  In  einem 
Vortrag  in  der  Hamburger  Philologenversammlung  von  1905  (Verhand- 
lungen der  48.  Versammlung  deutscher  Philologen  und  Schulmänner, 
Leipz.  1906,  S.  63  ff.)  ftihi't  K.  Zacher  sie  auf  ländliche  Lustbar- 
keiten {/MLioi  oder  d^iaaoi  von  y,üiiaXoi,  (pevay.£g,  xo'(>(Ja/.£g,  cpXvay.eg 
und  andere  .,Eigenschaftsdämonen"  oder  karikierte  Verkörperungen 
der  das  Fest  aufführenden  und  in  ihm  sich  selbst  burlesk  dar- 
stellenden Bevölkerung)  zurück,  bei  denen  die  Bauern  sich  als 
Wald-,  Feld-  und  Hausgeister  verkleideten  und  in  dieser  Gestalt 
sich  selbst  und  die  guten  Nachbarn  verspotteten.  —  So  nahe  es 
liegt,  sich  auch  die  Choreuten  der  Komödie  als  in  Götter  verkleidet 
zu  denken,  so  sind  doch  die  namentlich  archäologischen  Zeugnisse, 
die  als  Bestätigung  angeführt  werden  könnten,  ziemHch  schwach; 
der  Krater  im  Louvre  z.  B.  stellt  nach  Charlotte  Fränkel, 
Rhein.  Mus.  LXVII,  1912,  100  ff.,  die  allerdings  die  obszöne  Zeich- 
nung begreiflicherweise  nicht  ganz  verstanden  hat,  überhaupt  nicht 
Dämonen,  sondern  eine  peloponnesische  Possenszene  dar,  in  der 
Sklaven  COiuQixog)  ein  Weinfaß  stehlen,  dafür  aber  in  den  Block 
kommen.  —  Aus  dem  Kordaxtanz  leitet  Schnabel,  Kordax  (ß.  o, 
197)  erstens  in  Megara  die  realistische  Komödie  und  zweitens 
in  Korinth  die  Travestie  der  Heldensage  her.  Aus  der  megarischen 
soll  er  in  die  attische  Komödie  gekommen,  wo  ihn  Aristophanes 
einschränkte,  aber  nicht  ausrotten  konnte,  und  dann  auch  in  den 
Mimus  und  Pantomimus  übergegangen  sein.  Aus  den  undorischen 
Namen  /.o'pda^,  /.aXlaßig^  (xodojv  wird  (62)  erschlossen,  daß  diese 
Tänze  der  vordorischen  Bevölkerung  der  Peloponnes  angehörten 
und    deshalb    in    Lakonien    besonders    von    den    Heloten    getanzt 


Kordaxtanz.    Vermummung.  207 

• 

wurden,  was  Plut.  ^ux.  28  aus  dem  Bestreben  erklärt,  die  Jugend 
abzuschrecken;  doch  fehlt  es  nicht  an  Versuchen,  den  ursprünglich 
unanständigen  Tanz  zu  veredeln  und  auch  für  Spartiaten  geeignet 
zu  machen.  Daß  der  Kordax  wirklich  im  Dienst  der  für  Olympia 
bezeugten  Artemis  Kordaka  (Paus.  VI  22,  1)  getanzt  wurde,  ist 
eine,  wenn  von  den  gewagten  Vermutungen  des  Verfassers  über 
den  Zweck  des  Tanzes  abgesehen  wird,  nicht  unwahrscheinliche 
Annahme,  und  der  Überlieferung,  daß  lydische  Genossen  des  Pelops 
ihn  aus  Lydien  mitbrachten,  wird  doch  als  Tatsache  entnommen 
werden  können,  daß  in  Lydien  dieser  Tanz  oder  ein  ihm  ähnlicher 
üblich  war,  so  daß  auch  die  Vermutung  von  seinem  vorgriechischen 
Ursprung  einigermaßen  gestützt  wird.  Daß  er  den  Chören  der 
Komödie  verwandt  war,  wird  schon  von  Athen.  XIV  28  630 e 
hervorgehoben,  und  ihn  geradezu  als  deren  Ausgangspunkt  zu  be- 
trachten empfiehlt  sich  deshalb,  weil  die  vorgriechische  Artemis 
mit  einem  Gott  gepaart  war,  der  bei  den  Griechen  gewöhnlich  wie 
der  Gott  der  Komödie  Dionysos  genannt  wurde.  Damit  erklärt 
sich,  was  M.  AzraHincks,  Le  Kordax  dans  le  culte  de  Dionysos, 
Eev.  arch.  IV,  XVII,  191 1\  1  ff.  gegen  Schnabel  einwendet,  daß 
bereits  ein  alter  korinthischer  Aryballos ,  wahrscheinlich  die  älteste 
Darstellung,  im  Kreise  des  unanständigen  Tanzes  einen  alten  Mann 
mit  PantherfeU  zeigt ,  woraus  vielleicht  zu  folgern  ist ,  daß  der 
Kordax  früh  im  Dionysoskult  gefeiert  wurde.  —  Über  den  eigen- 
tümlichen Aufzug,  aus  dem  nach  Diomed.  III  S.  486  K.  die 
Bukoliastenagone  entstanden,  vgl.  Vürtheim,  Versl.  en  Meded.  Vii, 
1916,  387  ff. 

Wir  haben  gesehen,  daß  die  Tänzer  beim  Zauber  und  im 
Kultus,  was  ja  eben  die  Entwicklung  zu  szenischen  Darstellungen 
begünstigte,  sich  oft  verkleideten,  also  in  fremden  Rollen  auftraten; 
es  ist  daher  angebracht,  hier  diejenigen  Untersuchungen  anzuschließen, 
die  von  den  griechischen  und  römischen  3Iashenzüg en  handeln. 
Daß  diese  nicht  aUe  den  gleichen  Ursprung  haben,  darf  davon  nicht 
abhalten,  sie  zusammenzufassen,  denn  der  Zweck  wurde  oft  ver- 
gessen, und  was  sie  so  lange  bestehen  und  sich  erneuern  ließ, 
war  schließlich  doch  dasselbe,  die  namentlich  bei  Jugendlichen, 
Menschen  sowohl  wie  Völkern,  hervortretende  Lust,  etwas  dar- 
zustellen und  darstellen  zu  sehen.  In  den  einfachen  Verhältnissen 
der  Frühzeit,  als  das  Leben  wenig  differenziert  war  und  historische 
Kostüme  natürlich  ganz  fehlten,  war  die  Auswahl  der  möglichen 
Vermummungen  gering,  sie  beschränkte  sich  im  wesentlichen  auf 
Tiere,    deren  FeUe    umgelegt   und    deren  Bewegungen   nachgeahmt 


20tS  Vermummung. 

wurden  und. auf  das  andere  Geschlecht,  mit  dem  man  die  Kleider 
tauschte.  Über  diese  beiden  Arten  von  Verkleidungen  am  Neujahrs- 
fest handeln  A.  Müller,  Phüol.  LXVIII,  1909,  483  f.  und 
O.  Crusius  ebd.  579.  Auf  der  Balkanhalbinsel  sind,  namentlich 
im  Norden,  iu  Thessalien,  Bulgarien,  an  der  rumänischen  Grenze, 
am  Schwarzen  Meer ,  Maskeraden  übUch ,  die  sich  nahe  mit 
Begehungen  im  Dionysoskult  berühren  und  zwar  schwerlich 
aus  diesen  entstanden  und  daher,  wie  Flickinger,  Class. 
Phüol.  VIII,  1913,  262  mit  Eecht  hervorhebt,  für  sie.  nicht 
ohne  weiteres  vei-wertbar ,  aber  doch  gleichen  Ursprungs  sind 
wie  sie.  Am  bekanntesten  ist  der  Karneval  von  Vizya  (Bizye 
im  Stamme  der  Asten,  nordwestlich  von  Byzanz)  geworden,  den 
Dawkins,  The  modern  Carnival  in  Thrace,  a  Cult  of  Dionysos, 
Journ.  Hell.  Stud.  XXVI,  1906.  191  ff.,  wie  er  versichert,  meist 
nach  eigener  Anschauung  beschreibt.  Unter  den  Gestalten  des 
Aufzugs  sind  bemerkenswert:  1.  zwei  •/.aXöyeQOL^  von  denen  der 
eine  mit  einem  Bogen,  der  andere  mit  einem  Phallos  ausgerüstet 
ist;  2.  zwei  als  Mädchen,  xo^/tU«,  verkleidete  Knaben,  die  vvq^eg 
„Bräute"'  ;  3.  Babo,  die  Alte  mit  einem  in  Lumpen  gewickelten 
Stück  Holz,  das  ein  Kind  vorstellen  soll;  4.  Aar^ißelot  und 
TKxrtißtXa,  Zigeuner,  von  denen  die  Frau  bisweilen  die  Babo  ver- 
tritt; 5.  zwei  oder  drei  Polizisten.  Vgl.  über  diese  Aufzüge 
Nilsson,  Philol.  Jbb.  XXVII,  1911,  077.  —  Schon  früher  war  man 
auf  ähnliche  Maskeraden  in  Skyros  (Ann.  Brit.  Seh.  of  Athens  VI, 
1899/1900,  135  ff.;  Dawkins  ebd.  XI,  1904/5,  72  ff.,  der  Journ. 
Hell.  Stud.  XXVI,  1906,  205  vermutet,  daß  dies  Fest  im  16.  Jh. 
durch  einwandernde  Thraker  mitgebracht  sei)  und  an  andern  Orten 
aufmerksam  geworden.  Wie  bemerkt,  traten  bei  der  Volksbelustigung 
von  Vizya  auch  als  Mädchen  verkleidete  Knaben  auf,  und  solche 
Vertauschungen  des  Geschlechtes  finden  sich  auch  sonst  noch 
jetzt  vielfach  im  Volksbrauch  der  alten  Kulturländer,  z.  B.  in  Kosti 
im  nördlichen  Trakien,  wo  auch  ein  verkleideter  Mann  ins  Wasser 
gestoßen  wird  (Dawkins,  Journ.  Hell.  Stud.  XXVI,  1906,  201f., 
der  an  einen  E,egenzauber  denkt).  Vgl.  Kazarow,  Arch.  f. 
Religionswiss.  XI,  1908,  407  f.  Andere  haben  diese  Begehungen 
anders  gedeutet.  Als  Fruchtbarkeitszauber  fassen  sie  z.  B.  Neu- 
stadt, De  love  Cretico  35  und  Giemen,  Arch.  f.  Keligions- 
wissensch.  X\r[I,  1914,  155  auf;  Giemen  meint,  daß  bei  diesem 
je  nach  dem  Sinn  der  einzelnen  Begehung  Männer  oder  Frauen 
nötig  waren,  für  die,  wenn  sie  gerade  fehlten,  Personen  des  anderen 
Geschlechtes    eintraten.      Fehrle,    Kult.  Keuschheit    92   hält   für 


Vermummung.  209 

möglich,  daß  der  Heraklespriester  in  Kos  deshalb  weibliche  Kleider 
trug,  weil  ein  Priester  an  die  Stelle  einer  Priesterin  getreten  war 
wie  in  Delphoi  eine  alte  Frau  an  die  Stelle  einer  jungen  (Diod. 
XVI  26),  s.  auch  A.  B.  Cook,  Class.  Rev.  XX,  1906,  376 f.:  anders 
V.  G  e  n  n  e  p ,  Rites  de  passage  245 ;  welcher  vermutet,  daß  die  Priester 
als  „Frauen"  des  Herakles  gelten. —  Halliday,  Ann.  Brit.  Seh.  Ath. 
XVI,  1909/10,  212  ff.  deutet  die  Vertauschung  der  Kleider  an  den 
Hybristika,  die  er  mit  den  lakonischen  und  italischen  y.oQvd-dXia 
vergleicht,  und  andern  Festen  als  einen  „Übergangsritus'' ;  er  meint, 
daß  bei  dem  Eintritt  in  das  heii-atsfähige  Alter  die  Geschlechts- 
unterschiede aufgehoben  werden  sollten ,  wie  bei  Gelegenheit  die 
sonst  80  scharf  gezogene  Grenze  zwischen  Herren  und  Knechten 
verwischt  wurde.  Durch  die  Umkehrung  eines  Gewöhnlichen 
wollte  man  nach  Halliday  den  (unglücklichen)  Gang  der  Dinge 
umkehren;  zugleich  aber  sollten  die  Gemeinden  durch  Hervor- 
kehrung der  Einigkeit  gestärkt  werden.  —  Schnabel,  Kordax  47 
glaubt,  daß  die  Anlegung  von  Kleidern  des  andern  Geschlechtes 
bei  der  orchestischen  Nachahmung  des  Geschlechtsaktes  üblich 
gewesen  sei.  —  Besondere  Bedeutung  hatte  in  manchen  griechischen 
Ländern  der  Kleidertausch  bei  der  Hochzeitsfeier,  den  Dümmler, 
Kl.  Sehr.  II  2:-{4  ff.  aus  der  Nachahmung  des  zweigeschlechtigen 
Bildes  der  Gottheit,  dagegen  Samt  er,  Geburt,  Hochzeit,  Tod, 
Leipzig  1911,  90,  und  Fehrle,  Kultische  Keuschheit  (RVuV  VI) 
41,  1  aus  dem  Versuche  erklären,  die  Dämonen  zu  täuschen,  die 
beim  ersten  Beischlaf  besonders  gefürchtet  wurden;  diese  zweite 
Erklärung  billigt  Kuiper,  Rev.  et.  grecqu.  XXV,  1912,  336,  der 
passend  an  den  Mythos  von  der  Anlegung  weiblicher  Kleider  durch 
Hymenaios  (Interpol.  Serv.  Aen.  IV,  99;  Lact,  zu  Stat.  Th.  III 
283;  vgl.  Myth.  Vat.  I  75;  II  210)  erinnert.  Nach  Rader- 
macher, Sitzber.  WAW  CLXXXII,  1916,  38  ff.  handelte  es  sich 
bei  dieser  Sitte  oft  darum,  daß  ein  als  Mann  verkleidetes  Weib 
männliche  Kinder  erhalten  sollte  oder  (S.  43),  daß  beide  Gatten 
die  Gestalt  des  mannweiblichen  Fruchtbarkeitsdämons  annehmen 
wollten,  weil  (45)  die  Defloration  als  gefährlich  galt.  — Für  die  An- 
legung von  Männerkleidern  durch  die  Braut  führt  H.  Blümner, 
Griechische  Hochzeitsgebr.  (Festschr.  f.  Gerold  Meyer  von  Kr.nau) 
S.  2  eine  schweizerische  Parallele  an. 

Was  die  sonstigen  Karnevalsgebräuche  betrifft,  so  bestreitet 
Giemen,  Arch.  f.  Religionswiss.  XVII,  1914,  139  ff.  für  die 
rheinischen,  die  er  als  Fruchtbarkeitszauber  zu  erklären  versucht, 
den  Zusammenhang  mit  den  antiken  Bacchanalia,  Hilaria,  Lupercalia 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  186  (Supplemcntband).  14 


210  Karneval.  —  Opfer. 

und  Saturoalia;  und  unmittelbar  können  sie  in  der  Tat,  wie  ihr  ver- 
hältnismäßig spätes  Aufkommen  beweist,  nicht  aus  einem  dieser  Feste 
hervorgegangen  sein.  —  Die  Gebräuche,  die  sich  auf  das  Verbrennen, 
oder  Austreiben  des  Karneval  beziehen,  bespricht  Frazer,  Dying 
God  (Golden  Bough  III)  220  ff.,  der  (253)  vermutet,  daß  der 
personifizierte  Karneval  oder,  wie  es  an  andern  Orten  heißt,  der 
Tod  oder  der  Sommer  erst  spät  für  den  Baum  eingetreten  sind, 
den  mau  aufpflanzte  und  neben  den  eine  Puppe  oder  ein  Mensch  trat. 

9)  Opfer  und  Gebet. 

So  allgemein  in  geschichtlicher  Zeit  die  Vorstellung  verbreitet 
•war,  daß  die  Opfer  ein  den  Göttern  geschuldeter  Tribut,  ein  Mittel, 
sie  den  Wünschen  der  Menschen  zugänglich  zu  machen,  oder  ein 
Dank  für  gewährte  Hilfe  seien,  so  steht  doch  jetzt  fest,  daß  viele 
spätere  Opfer  aus  ganz  anderen  Erwägungen  hervorgegangen  sind. 
Eine  Zeitlang  herrschte  die  zuerst  von  Liebrecht  1879  aufgestellte, 
dann  besonders  von  Robertson  Smith  vertretene  Ansicht  vor,  daß 
manche  Speiseopfer  ursprünglich  Sakramente  waren,  bei  denen  man 
die  Gottheit  zu  verspeisen  und  sich  mit  ihrer  Macht  zu  erfüllen 
meinte.  Selbstverständlich  erhält  hier  wie  überall  der  unbekannte 
und  deshalb  unbestimmte  Begriff  „Gott"  seinen  Inhalt  erst  durch 
den  Zusammenhang,  hier  also  durch  das,  was  von  ihm  ausgesagt  wird; 
um  Gottheiten  im  Sinn  des  griechischen  Polytheismus  kann  es  sich  dabei 
nicht  handeln,  sondern  nur  um  irgendwelche  übernatürlichen  Kräfte, 
die  als  übertragbare  Substanzen  gedacht  wurden,  und  deren  weitere 
Bestimmung  von  den  Vorstellungen  abhängt,  die  man  mit  dieser 
Vermutung  über  die  Entstehung  des  Speiseopfers  verbindet.  Es 
ist  daher  nur  ein  Streit  um  Worte,  wenn  Edg.  Reuterskiöld 
in  dem  von  gediegenen  Kenntnissen  zeugenden  Buch  „Die  Ent- 
stehung der  Speisesakramente"  (aus  dem  Schwedischen  übersetzt 
von  H.  Sperber,  Religionswissensch.  Bibliothek  IV,  11^12)  dies» 
Auffassung  mit  der  Begründung  bekämpft,  daß  die  auf  solche  Weise 
erklärten  Opfer  aus  einer  Zeit  stammten,  in  denen  es  noch  keine 
Götter  gab.  Mit  Recht  weist  Reuterskiöld  die  Vorstellung  zurück, 
daß  das  Speisesakrament  aus  dem  Totemismus  erwachsen  sei;  er 
hätte  aber  weiter  gehen  und  hervorheben  können,  daß  der  Totemismus 
überhaupt  nicht  eine  so  häufig  wiederkehrende  Stufe  des  primitiven 
Denkens  ist,  wie  eine  Zeitlang  angenommen  wurde.  —  Gegen 
Robertson  Smith  wendet  sich  z.  T.  Ada  Thomson,  Arch.  f. 
Religionswiss.  XII,  1909,  404.  So  wenig  wie  aus  dem  Geschenk- 
opfer soll  sich  das  Speiseopler  aus  der  Verspeisung  der  Gottheit, 


Yerspeisung  der  Gottheit.  —  Speiseopfer.  211 

der  es  allerdings  näher  steht ,  entwickelt  haben,  sondern  neben 
beiden  Arten  des  Opfers  soll  es  schon  auf  einer  niedrigen  Stufe 
der  Kultur  eine  dritte  Art  des  Opfers  gegeben  haben,  bei  der 
nicht  der  Totemgott  von  der  Gemeinde  verzehrt  wurde,  sondern 
diese  mit  ihrem  Gott  eine  Kommunion,  einen  Bund  schloß,  indem 
sie  mit  ihm  zusammen  aß,  d.  h.  ihm  diejenigen  Stücke  tiberließ, 
die  von  den  Opfernden  nicht  sofort  verzehrt  werden  konnten.  Aus- 
führlich wird  46 G  über  die  Satzung  ova  EY,cpoQd,  d.  h.  das  Verbot, 
Opferstücke  nach  Haus  zu  nehmen,  gehandelt,  das  sich  daraus  er- 
kläre, daß  der  geopferte  Gegenstand  Tabu  ist,  woraus  auch  die 
Aschenaltäre  herzuleiten  seien.  In  der  Tat  scheint  diese  An- 
schauung weit  verbreitet  gewesen  zu  sein ;  vielleicht  hängt  es  mit 
Ihr  zusammen,  daß  beim  Heiligtum  des  Ba'al  und  der  Tanis  bei 
Siagu  in  Afrika  Urnen  mit  den  Knochen  von  Opfertieren  ein- 
gegraben gefunden  sind  (Merlin,  Le  sanctuaire  de  Baal  et  de 
Tanit  pres  de  Siagu,  Notes  et  documents  IV,  1910,  34).  Daß  schon 
früh  Stämme  sich  mit  ihren  Göttern  und  auch  mit  ihren  Ahnen 
und  den  Geistern  der  Unterwelt  (.<?,  u.  Totenhult)  durch  eine  ge- 
meinsame Mahlzeit  zu  verbinden  suchten,  und  daß  aus  solchen 
Mahlzeiten  später  bisweilen  Opfer  wurden,  ist  A.  Thomson  zu- 
zugeben ;  andrerseits  aber  gibt  es  nicht  ganz  wenig  Fälle,  in  denen 
der  Gott  in  eben  dem  Stoff  wohnend  gedacht  wurde,  der  beim 
Opfer  verzehrt  wurde  •,  und  hier  kann  schwerlich  bezweifelt  werden, 
daß  man  den  Gott  oder  wenigstens  die  übernatürliche  Kraft,  die 
später  in  ihm  Gestalt  gewonnen  hatte,  in  sich  aufzunehmen  meinte. 
Die  Verspeisung  der  göttlichen  Substanz  und  das  gemein- 
schaftliche Mahl  mit  der  Gottheit  sind  aber  nicht  die  einzigen 
alten  Gebräuche,  aus  denen  nachträglich  Opfer,  Darbringungen  an 
die  Gottheit,  werden  konnten.  Maßnahmen,  die  ursprünglich  nur 
bezweckten,  ein  für  gefährlich  erachtetes  Ding  oder  "Wesen  zu  be- 
seitigen oder  unschädlich  zu  machen,  konnten,  wie  dies  z.  B.  von 
der  Errichtung  der  Tropaien  und  der  Waffenweihe  vermutet  wir<l 
iß.  0.  161 ;  vgl.  u.  239  /".),  als  ein  der  Gottheit  dargebrachtes  Ge  - 
schenk  betrachtet  werden.  —  Das  Wort  Macte  in  den  Gebeten  beim 
römischen  Opfer  wird  von  Warde  Fowler,  Kel.  Exp.  Rom. 
People  182  ff.  auf  die  Machtvergrößerung  bezogen,  die  der  Gott 
durch  das  Opfer  erhält.  Zwar  glaubten  die  Römer  nach  Fowler 
nicht,  daß  die  Götter  die  Eingeweide  verzehrten,  aber  doch,  daß 
ihre  Macht,  zu  helfen,  durch  die  Hinlegung  der  Lebensorgane  auf 
den  Altar  vergrößert  werde.  Ist  dies  richtig,  so  ist  auch  das 
römische  Speiseopfer   aus  Vorstellungen    erwachsen,    die    sich  von 

14* 


212  Menschenopfer. 

den  später  vorherrsclieuden  wesentlich  unterschieden.     Noch  deut- 
licher  tritt   die  Änderung   der  Anschauung   bei  denjenigen  Opfern 
zutage,  von  denen  der  Opferer  nichts  verzehrte,    und  zwar  ist  sie 
am  klarsten  bei  der  schwersten  dieser  Darbringungen,  dem  Maischen- 
opfer,   zu    erkennen,    das    hauptsächlich    eben    aus    diesem   Grunde 
von  den  andern  antilien  Opfern  sich  so  untex'scheidet ,    daß  immer 
wieder  versucht  wird,   es  den  Griechen  und  Römern  abzusprechen 
oder  wenigstens  seine  Darbringung  auf  die  ältesten  Zeiten  und  auf 
einzelne  Ausnahmefälle  einzuschränken.    A.  Lang,  Folklore  XXI, 
1910,  137  ff.  bezweifelt  sogar  fiu-  die  mythische  Zeit  Griechenlands 
und  Italiens  die  Menschenopfer,  er  bestreitet  wenigstens,    daß  die 
Sagen,  die  von  solchen  erzählen,  wirkliche  Erinnerungen  festhalten. 
Der  Mythos  von  Phrixos  und  Helle  z.  B.  wird,  wie  es  Lang  schon 
früher  versucht   hatte,    auf   einen  Märchentypus  zurückgeführt,    in 
dem  ein  Geschwisterpaar  mit  einem  Tiere  entweicht,  um  nicht  ge- 
fressen zu  werden.  —  Für  das  geschichtliche  ßom  bestreitet  J.  G. 
Reid,  Journ.  Rom.  Stud.  II,  1912,  34  ff.  die  Menschenopfer;  die 
Eingrabung  des  Griechen-  und  Gallierpaares  auf  dem  Forum  Boarium 
braucht  nicht,  wie  Plut  Marc.  3  zu  sagen  scheint,  bis  in  die  Kaiser- 
zeit fortgedauert  zu  haben,  vielmehr  kann  ein  Ersatz  durch  Puppen 
eingetreten  sein;    die  Schlachtung  an  den  arae  Perusinae,  die  der 
beiden  Männer  im  Jahre  4(5  v.  Chr.,  von  denen  Cassius  Dion  XLIII  24 
sagt  iv   TQOj-rii)   xivl    leQOVQylag   toqjdyt^aav,  und  die  Einmauerung 
der    schuldigen    Vestalinneu    sind    nach   Reid    nicht   als    Opfer  zu 
fassen,  bei  Plin.  n.  h.  XXVIII  13  ist  zu  lesen  etiam  nostra  [civi]tas 
(für  aetasj  vidit.  —  Die  Beschmierung  zweier  Jünglinge  mit  Blut, 
die  an  den  Luperealien  vorgenommen  wurde,  erklärt  S.  Reinach, 
Rev.  arch.  IV.  s.  XXII,    1913  ^^    87  ff.    ebenso    wie    die    ähnliche 
von    Eurip.  '£(pLy.    Tavg.    1458  ff.    erwähnte    brauronische    und    die 
von   Mala   III  2    als    Ersatz    für    ein   Menschenopfer    bezeichnete 
gallische    Sitte    nicht,    wie    in  neuerer  Zeit  z.  B.  Samter,    Geb., 
Hochz.  u.  Tod  184  ff.  in  diesem  Sinne,  sondern  als  einen  Initiations- 
ritus, der  das  Band  zwischen    den  Gläubigen  und  der  Gottheit  er- 
neuem   sollte.     Deubner,    Arch.    f.    Religionswiss.    XIII,    1910, 
498  ff.  hält   die    Sitte    an    den  Luperealien   für  jung ;    nach  W.  F. 
Otto,  Phil.  LXXII,   1913,  187  ist  sie  zwar  alt,  es  liegt  aber  ein 
Reinigungsritual    vor :    man    stellte    die  Menschen   so  dar,    daß  die 
Gefahr    sichtbar   wird,    mit    einer    entsetzlichen  Stirnwunde.     Aber 
dieser  schreckliche  Anblick  muß  gleich  im  nächsten  Moment  wieder 
verschwinden.    Auch  Fowler,  Rel.  Exper.  Rom.  People  107  be- 
streitet rürnische  Menschenopfer  für  die  Blütezeit ;  erst  das  Amphi- 


Menschenopfer.  —  Dankopfer.  213 

theater  soll  den  religiösen  Mord  (wieder)  eingeführt  haben.  Die 
auch  von  Wissowa  gebilligte  Annahme,  daß  die  Argeerversenkung 
ein  altes  Menschenopfer  erset;^te,  wird  ebd.  :]21  f.  bestritten.  Da- 
gegen erschließt  Samter,  Arch.  f.  Religionswiss.  X,  1907,  324 
mit  Diels  alte  Menschenopfer  nicht  nur  aus  dem  Argeeropfer  und 
aus  der  erwähnten  Bestreichung  der  Jünglinge  mit  dem  blutigen 
Opfermesser,  sondern  auch  aus  den  12  Tafeln,  die  den  Erntedieb 
Cereri  necai-i  iubebant  (Plin.  n.  h.  XVIII  12),  dem  Devotionsritus 
und  den  Wollpuppen,  die  an  den  Conipitalien  als  Gabe  für  die 
Laren  aufgehängt  wurden.  —  Eigenartig  erklären  Gau  ekler, 
Comptes  rendus  AIBL  1908,  529,  1910,  389  f.,  und  Dussaud, 
Eev.  hist.  rel.  LVIII,  1908",  308  die  Schädelfunde  bei  dem 
Heiligtum  der  sj-rischen  Götter  am  laniculum.  Die  Opferung,  meint 
Dussaud ,  macht  den  Geopferten  zum  Gott ,  und  dieser  wird  an 
die  Stelle  gebannt,  wo  die  Leiche  oder  ihr  Schädel  bestattet  wird. 
Ist  diese  Bedeutung  des  Menschenopfers,  das  auch  sonst  im  Kult 
der  syrischen  Gottheiten  vorgekommen  zu  sein  scheint,  richtig,  so 
liegt  es  nahe,  auch  die  Bauopfer  auf  solche  Vorstellungen  zurück- 
zuführen. Vgl.  u.  {eschfttolofjische  Vorsfellmir/en).  Kretschmer, 
Glotta  I,  1909,  301  faßt  die  Sage  von  der  Erschlagung  des  Remus, 
wie  sie  Prep.  III  9,  50  und  Tib.  II  5,  23  f.  erzählen,  als  das 
aiTiov  eines  Bauopfers.  Die  Sitte,  die  Sicherheit  eines  Gebäudes 
bei  seiner  Errichtung  durch  ein  Opfer  oder  eine  andere  religiöse 
Handlung  zu  verbürgen,  war  nicht  nur  in  Europa  weit  verbreitet. 
Daß  auch  in  Assyrien  Beschwörungen  bei  Neubauten  üblich  waren, 
zeigt  das  Verzeichnis  Zs.  f.  Assyriol.  XXX,  1915,  S.  207,  Z.  2. 
Wahrscheinlich  hat  sich  die  Sitte  mit  der  Baukunst  früh  von  einem 
Zentrum  aus  weit  verbreitet;  daß  statt  des  Menschen-  meist  Tier- 
opfer oder  andere  religiöse  Zeremonien  erwähnt  werden,  kann  ein 
nachträglicher  Ersatz  sein.  —  Ausführlicher  sind  die  Menschen- 
opfer in  neuerer  Zeit  behandelt  worden  von  dem  Anthropologen 
Westermark,  Orig.  and  Developm.  of  the  Moral  Ideas  I  434  ff. 
und  besonders  von  Friedrich  Seh  wenn.  Die  Menschenopfer 
bei  den  Griechen  und  Römern,  RVuV  XV  3,  1915.  —  Über  die 
thrakischen  Menschenopfer  vgl.  Kazarow,  Klio  XII,  1912,  361. 
Die  Arbeiten,  die  sich  auf  die  übrigen  Opfersubstanzen  beziehen, 
sind  o.  bei  den  Attributen  (119  ff.)  besprochen. 

Die  Entstehung  der  Barihopf  er  will  J.  W.  Hewitt, 
Transact.  Amer.  Phü.  Assoc.  XLIII,  1912,  95  ff.;  XLV,  1914, 
77  ff.  erklären.  Er  hält,  wie  dies  jetzt  üblich  ist,  die  magischen 
Opfer,  bei  denen  die  Gottheit  gezwungen  wird,  dem  Opfernden  zu 


214  Gebet.  —  Weissagung. 

helfen,  der  Art  uacli  für  älter  als  die  Gelübde-,  Bitt-  und  Sühn- 
opfer, und  diese  drei  für  älter  als  die  Dankopfer,  die  hervor- 
gegangen seien  1.  aus  der  Einlösung  eines  Gelübdes,  2.  aus  einem 
Sühnopfer,  3.  aus  einem  Mahl,  das  zur  Feier  eines  Erfolges  oder 
eines  fröhlichen  Ereignisses  abgehalten  wurde. 

Mit  dem  Opfer  ist  gewöhnlich  ein  Gehet  verbunden,  das 
aber  natürhch  oft  auch  ohne  Opfer  ausgesprochen  wird.  Wie 
Sudhaus  in  der  Abhandlung  „Lautes  und  leises  Beten",  Arch. 
f.  ßeligionswissensch.  IX,  1906,  185  if.  zeigt,  wird  die  Bitte 
gewöhnlich  laut  an  die  Götter  gerichtet ,  sofern  nicht  Scham 
das  Gebet  zum  Flüstern  müdert.  Im  Zauber  ist  dagegen  leise 
Stimme  nach  Sudhaus,  der  bei  Prop.  Y  1,  101  schreibt  lunonis 
[tjacite  (für  facite)  votum  impetrabile  dixi,  immer  üblich  ge- 
blieben. Fortgesetzt  ist  die  Untersuchung  z.  T.  mit  dem  von 
Sudhaus  selbst  nachträglich  gesammelten  Material  von  dessen 
Schüler  H.  Schmidt  in  dem  Supplementum  zu  der  Abhandlung 
Veteres  philosophi  quomodo  iudicaverint  de  precibus,  ßVuV  IV  1, 
1907,  55  ff.,  der  S.  66  darauf  hinweist,  daß  im  späteren  Altertum 
bisweilen,  zuerst  bei  Apollonios  von  Tj-ana,  aus  demselben  Grund 
leise  gebetet  wird  wie  bei  den  Christen.  Vgl.  über  diese  ganze 
Frage  auch  Ad.  Abt,  Die  Apol.  des  Apul.  (RVuV  IV  2,  1908), 
286  f.,  der  viele  Zeugnisse  dafür  beibringt,  daß  auch  im  Morgenland 
beim  Zauber  leises  Beten  üblich  war.  —  Aias'  gleich  widerrufene 
Aufforderung  an  die  Griechen,  leise  zu  beten  (H  195)  erklärt 
Heden,  Homerische  Götterstud..  Upsala  1912,  aus  der  alten,  zur 
Zeit  des  Dichters  innerhch  bereits  überwundenen  Auffassung,  daß 
der  Feind  einem  Gebete,  namentlich ,  wenn  er  seinen  Wortlaut 
kenne,  entgegenwirken  könne.  —  Über  das  Knien  beim  Gebet  vgl. 
Walter,  Österr.  Jahresh.  XIII,  1910,  Beibl.  229  ff.,  und  Wein  - 
reich, Arch.  f.  Religionswiss.  XIV,   1914,  527  ff. 

10)  Weissagung. 

Für  die  Lehunomantie,  deren  „psychoanalytische"  Grund- 
lage H.  Silberer,  Zentralbl.  f.  Psychoanalyse  II,  1912,  383  ff. 
experimentell  festzustellen  versucht,  gibt  der  von  Fr.  Boll,  Arch. 
f.  Ee'ligionswiss.  XII,  1909,  149  ff.  erklärte  Text  aus  Catal.  cod. 
astrol.  IV  132  eine  Zauberanweisung;  der  N.  des  hier  auftretenden 
Dämons  Semiramel  wird  als  „Schauerdämon"  gedeutet.  —  Abt, 
Die  Apol.  des  Apul.  171  (=  RVuV  IV  245)  bespricht  im  An- 
schluß an  C.  42  des  von  ihm  behandelten  Werkes  eme  derartige 
magische  Handlung,  bei  der  ein  Knabe  gewissermaßen  als  Medium 


Weissagung.  215 

dieut.  Miss  Mudie  Cooke,  Journ.  Roman.  Stud.  III,  1913,  170 
erkennt  eine  Darstellung  dieser  Art  der  Zukunftsbefragung  in  einem 
der  Mysterienbilder  der  Villa  Item  bei  Pompei,  indem  sie  zweifelnd 
die  Nachbildung  eines  Werkes  aus  dem  smyrnaiischen  Heiligtum 
des  Dionysos  Bgi^aiog  vermutet.  Hier  soll  ein  öatyr  aus  einer 
Schüssel  die  Zukunft  erforschen.  Die  Verfasserin  vergleicht  die 
Öpiegelorakel,  die  Befragung  der  Ge  in  Patrai  bei  Paus.  VII  21,  12 
und  die  Weissagung  der  Themis  auf  dem  Berliner  Aigeusvasenbild 
(Furtwängler-Reichhold  T  140),  das  freilich  gewöhnlich  auf  ein 
Würfelorakel  bezogen  wird.  Hat  die  Verfasserin  recht,  so  ergibt 
sich  eine  Bestätigung  für  die  ohnehin  naheliegende  Vermutung,  daß 
die  Lekanomantie  ursprünglich  dem  Kultus  angehörte  und  erst 
nachträglich  in  den  niederen  Aberglauben  hinabgeglitten  ist.  Das- 
selbe Schicksal  hatten  wahrscheinlich  auch  andere  Formen  der 
späteren  privaten  Schicksalbefragung ,  z.  B.  die  Axinomantie,  die 
Cook,  Transact.  3.  Internat.  Congr.  Hist.  Rel.  1908.  II  185  mit 
der  Verehrung  des  Beils  in  Verbindung  bringt,  die  Weissagung 
mit  Hilfe  eines  Schädels  (Abt,  a.  a.  0.  142=  RVuV  IV  216  f.) 
und  die  Lychnomantie  (Abt  a.  a.  0.  161  ff.  =  235  ff.).  —  Deut- 
licher als  bei  diesen  Arten  der  Orakelbefragung  läßt  sich  die  Ab- 
hängigkeit von  dem  Bestehen  eines  bei'ufsmäßigen  Propheten- 
standes bei  der  Sterndeutung  verfolgen.  In  der  babylonischen 
Kultur  wurde  ihr  Zusammenhang  mit  der  Religion  durch  die  Be- 
deutung aufrechterhalten,  welche  die  Sterne  für  den  Kultus  hatten ; 
auch  bei  den  Phoinikern  hatten  die  astralen  Sj-mbole  (Mond- 
sichel, Sonnendiskus  oder  Rosette  und  Stern;  Köpfe  mit  darüber 
angebrachtem  Sonnendiskus  oder  Mondsichel),  die  sie  in  ihre 
afrikanischen  Kolonien  übertrugen,  religiöse  Bedeutung.  An  Toutain, 
der  dies  Rev.  et.  anc.  XIII,  1911,  379  f.  ausführt,  schließt  sich 
Cumont  ebd.  379  f.  an,  der  auf  die  merkwürdige  Dauerhaftigkeit 
dieser  sich  schon  im  14.  Jh.  in  Assyrien  findenden  Symbole  hin- 
weist und  die  zwei  Löwen,  die  sich  bisweilen  im  oberen  Teil 
solcher  Denkmäler  finden,  als  eine  Darstellung  der  himmlischen 
Feuer  faßt,  welche  die  Seele  des  Toten  —  es  handelt  sich  meist 
um  Grabsteine  —  bei  ihrem  Aufstieg  zu  den  Sternen  durchfliegen 
muß.  Hiermit  ist  ein  zweiter  Punkt  berührt,  in  dem  Astrologie 
und  Rehgion  zusammenstoßen;  in  dem  Abschnitt  über  die  Vor- 
stellungen vom  Leben  nach  dem  Tode  wird  darüber  mehr  zu  sagen, 
•sein.  Übereinstimmungen  zwischen  dem  Kult  und  dem  Sternen- 
glauben bestehen  darin,  daß  zunächst  in  dem  Heimatgebiet  dieses, 
dann  auch  in  andern  Ländern  das  Neujahrsfest  religiöse,  später  aber 


21 6  Astrologie. 

astrologische  Bedeutung  hatte  (Nilß  o  n ,  Arch.  f.  Religionswiss.  XIX, 
1916,  69  f.,  z.  T.  nach  Bell,  Aus  d.  Offenbar.  Joh.  9,  und  Pauly- 
Wissowa,  R.-E.  VII  2572)  und  daß  die  assyrischen  Astrologen 
die  Sterne  mit  Gottesnamen  bezeichnen,  z.  B.  den  Planeten  Venus 
stets  als  Istar  (Jastrow,  Zs.  f.  Assyr.  XIII,  1908,  155  ff.).  In 
Griechenland  und  Italien  ist  diese  Bezeichnungsweise  nicht  ur- 
sprünglich, erst  im  4.  Jh.  werden  sie,  wie  Cumont,  Neue 
Jahrbb.  XXVII,  1911,  2  im  Anschluß  an  Röscher  und  Boll 
ML  III  2518  ff.  darlegt,  für  die  Planeten  im  Sprachgebrauch  üblich; 
eine  gewisse  Beziehung  zwischen  Stern  und  Gottheit  war  freilich 
schon  früher  möglich  und  läßt  sich  z.  B.  für  den  der  Aphrodite 
aus  seiner  Bedeutung  im  Kult  und  in  den  Mythen  dieser  Göttin, 
ebenso  für  die  Beziehung  des  Stiers  zu  Dionysos ,  dem  aaxgojv 
XOgayog  (vgl.  darüber  Eisler,  Philol.  LXVIII,  1909, 142),  erschließen. 
Auch  die  Römer  haben,  wie  Gundel,  De  stellarum  appellatione 
et  religione  Romana,  RVuV  III  2,  1907,  zeigt,  Sterne  ursprünglich 
nicht  nach  Göttern  genannt;  aber  sie  haben  später  die  griechischen 
Benennungen  durch  entsprechende  römische  ersetzt,  also  auch  hier 
eine  allerdings  nur  äußerliche  Verbindung  zwischen  Religion  und 
Stemglauben  hergestellt.  —  Ausführlich  behandelt  das  Verhältnis 
der  Astrologie  zum  Gottesdienst  Fr.  Cumont  in  Vorlesungen,  die 
er  auf  Veranlassung  einer  religionswissenschaftlichen  amerikanischen 
Gesellschaft  in  verschiedenen  Städten  Amerikas  gehalten  und  unter 
dem  Titel  Astrology  and  Religion  among  the  Greeks  and  Romans 
("New  York  und  London  1912)  veröffentlicht  hat.  Von  seinem 
vorher  in  Oxford  gehaltenen  Vortrag  Sur  Tinfluence  rehgieuse 
de  Tastrologie  dans  le  monde  antique  war  in  den  Transactions 
3  Intern.  Congr.  Hist.  ofRel.  1908,  II  197  nur  ein  kurzer  Auszug 
erschienen.  —  Durch  das  spätere  Altertum  ist  eine  aus  dem 
Orient  stammende  Verquickung  der  Astrologie  mit  dem  Mystizismus 
zu  verfolgen,  über  die  Cumont,  Bull.  ac.  Beige,  Cl.  des  lettres 
1909,  256  ff.  handelt.  Die  Seele  des  Menschen  ist  nach  dieser 
Vorstellung  als  göttlicher  Funke  vom  Himmel  gefallen,  kann  sich 
aber  in  der  Ekstase  wieder  zu  den  Sternen  erheben,  deren  Herrlich- 
keit aus  der  Nähe  schauen  und  von  ihnen  das  Schicksal  erfahren.  — 
Eine  völlige  Lösung  der  Astrologie  vom  Götterglauben  war  möglich, 
wenn  man  die  Frage,  ob  die  Gestirne  die  Geschicke  schaffen  oder 
nur  vorausverkünden,  klar  im  zweiten  Sinn  beantwortete.  Die  ver- 
schiedenen Lösungen,  die  dies  Problem  im  Altertum  gefunden  hat, 
stellt  ein  Schüler  von  Fr.  Boll,  Erw.  Pfeiffer  (Stud.  zum 
antik.  Stemglauben,    Leipzig-Berlin   1916),   mit.  dem  Volksglauben 


Astrologie.  217 

beginnend ,  bis  auf  Plotin  dar ,  wobei  er  freilich  auch  nach  der 
Antwort  solcher  Schriftsteller  forscht ,  die  sich  die  Frage  gar 
nicht  vorgelegt  hatten. 

Wichtig  und  viel  umstritten  ist  die  Frage,  wann  die  Astrologie 
aus  den  Euphratländern,  deren  Astrologie  Fr.  Xaver  Kugler 
(Sternkunde  u.  Sterndienst  in  Babylonien)  darstellt,  nach  Europa 
verpflanzt  wurde.  Sicher  hat  Theophrast  die  Theorie  der  Chaldäer 
gekannt,  wie  Cumont,  Neue  Jahrbb.  XXVII,  1911,  5  ff .  zeigt; 
aber  recht  populär  soll  sie,  wie  er  schon  1908  auf  dem  inter- 
nationalen religionsgeschichtlichen  Kongreß  ausführte,  erst  durch 
Poseidonios  geworden  sein,  den  er  —  ich  glaube  nicht  mit  Recht  — 
mit  Diels  für  Manilius'  Quelle  hält.  Aber  Cumont  selbst  weist 
auf  die  freilich  angezweifelten  Berichte  hin,  die  dem  Meten  eine 
Vorahnung  der  sizilischen  Katastrophe  bereits  bei  der  Abfahrt  <ler 
Flotte  zuschreiben  (Ail.  v.  h.  XIII  12;  vgl.  '  Plut.  Alk.  17; 
Nik.  13  f.),  aus  denen  hervorzugehen  scheint,  daß  schon  er  sich 
nicht  nur  mit  Astronomie,  sondei-n  auch  mit  Astrologie  befaßte. 
Daß  diese  damals  noch  unbekannt  war,  kann  aus  dem  Fehlen  von 
Zeugnissen  nicht  mit  Sicherheit  gefolgert  werden.  Wir  kennen 
7Avar  einigermaßen  die  höheren  geistigen  Bestrebungen  der  Blüte- 
zeit und  andrerseits  auch  die  Anschauungen  des  ungebildeten 
Volkes;  aber  gerade  die  Denkweise  derjenigen  Kreise,  in  denen 
die  Sterndeutung  geblüht  haben  könnte,  tritt  erst  verhältnismäßig 
spät  im  erhaltenen  Schrifttum  hervor,  nachdem  diejenigen  Kräfte 
sich  abgenutzt  hatten,  die  vorher  das  Emporkommen  dieses  halb 
wissenschaftlichen  Aberglaubens  verhinderten.  Vielleicht  ist  daher 
auch  hier  der  Hellenismus  nicht  so  schöpferisch,  wie  jetzt  meist 
angenommen  wird,  läßt  vielmehr  nur  einen  längst  vorhandenen 
Zweig  niederen  Geisteslebens  zur  Entwicklung  kommen.  Bestimmter 
ließe  sich  urteilen,  wenn  Thulin,  Götter  des  Mai't.  Capeila  78  ff. 
mit  Recht  die  Behauptung  von  Bouche-Leclercq  zu  stützen 
versuchte ,  daß  die  etruskische  Lehre  seit  alter  Zeit  viel  der 
Astrologie  verdankt,  z.  B.  (80)  die  Verteilung  der  Götter  auf  die 
verschiedenen  Wohnungen  und  Gegenden  des  Himmels.  Anders 
als  durch  Vermittlung  von  Griechen  könnte  doch  die  Lehre  kaum 
nach  Italien  gelangt  sein.  Im  Grunde  beruht  ja  auch  Hesiods 
Lehre  von  den  Tagen  auf  der  gleichen  Voraussetzung  wie  die 
Sterndeutung,  nämlich  der  Annahme  eines  Einflusses  der  Himmels- 
körper auf  die  irdischen  Vorgänge;  auch  Homer  betont  die  Wirkung 
eines  Sternes,  und  unmöglich  ist  es  nicht,  daß  hier  die  spärlichen 
Reste  von  Vorstellungsreihen  erhalten  sind,  die  ganz  aufzunehmen 


218  Astrologie. 

damals    die    Gebildeten   sich    sträubten    und    die    große    Menge  der 
Uuirebildeten  nicht  imstande  war. 

Eine  astrologische  Inschrift  aus  Sinope  erklärt  Fr.  Boll, 
Arch.  f.  Eeligionswiss.  XIII,  1910,  475  fF.  Ein  gewisser  Theseus 
hat  sie  den  sieben  Glück  bringenden  Gestirnen  seines  Horoskops, 
Themis  (Jungfrau),  Helios ,  Selene ,  Hermes ,  Wassermann  und 
Sirius  gesetzt,  deren  Bezeichnungen  akrostichisch  seinen  Namen 
ergaben.  —  Seine  Untersuchungen  über  die  Astrologie  im  römischen 
Gallien  setzt  H.  de  la  Ville  de  Mirmont,  Rev.  et.  anc.  VIII, 
1906,  128  ff.,  IX,  1907,  69  ff.;  155  ff.;  XI,  1909,  301  ff.  fort.  AUe 
diese  und  die  frühereu  Untersuchungen  des  Verfassers  sind  unter 
dem  Titel  L'astrologie  chez  les  GaUo-ßomains  in  einem  Buch  ver- 
einigt, das  in  Bordeaux  nach  der  seltsamen  Angabe  des  Titels  1904 
erschienen  sein  soll.  Die  einzelnen  in  Gallien  wirkenden  Schrift- 
steller, Sidonius  ApoUinaris,  St.  Eucherius,  Consentius,  Anthedonius, 
Lampridius  u.  a.  bis  auf  Caesarius ,  werden  eingehend  und  zwar 
oft  mit  dem  Ergebnis  besprochen ,  daß  sie  für  die  Geschichte 
der  Astrologie  nichts  ausgeben ,  und  insofern  wird  ein  künftiger 
Darsteller  der  Geschichte  dieser  Wissenschaft  entlastet,  worin 
nach  Boll,  Berl.  Phü.  Wochenschr.  XXXII,  1912,  1481  ff.  der 
Hauptwert  der  fleißigen,  aber  von  Mißverständnissen  nicht  freien 
Arbeit  liegt.  Daß  diese  Form  des  Aberglaubens  den  Untergang 
des  Heidentums  überdauerte,  so  daß  selbst  Prosper,  Victor,  Caesarius 
nicht  gegen  ihn  auftreten,  kann  nicht  überraschen;  die  mittelalter- 
liche Stemdeutung  hat  zwar  auch  durch  die  Araber  und  durch  die 
Wiederentdeckung  zeitweise  verloren  gewesener  antiker  Schriften 
Anregungen  erhalten,  steht  aber  doch  auch  nicht  bloß  in  Gallien 
in  unmittelbarer  Beziehung  zu  dem  Altertum.  Es  ist  deshalb  die 
Sammlung  und  Beschreibung  der  astrologischen  Handschriften,  die 
durch  das  Zusammenarbeiten  zahh'eicher  Gelehrten  (Bassi,  Fr. 
Boll,  Boudreaux,  Cumont,  Heeg,  Kroll,  Martini, 
Olivieri,  RueUe)  in  dem  in  Brüssel  erscheinenden  Catalogus 
codicum  Graecorum  jetzt  größtenteils  vorliegt,  ein  für  die  Ge- 
schichte der  Sterndeutung  wichtiges  Unternehmen.  Da  der  Katalog 
zahlreiche  Textproben  aus  den  beschriebenen  Handschriften,  darunter 
auch  solche  enthält,  die  andere  Formen  des  Aberglaubens  behandeln, 
wird  auf  ihn  noch  mehrfach  zurückzukommen  sein.  —  Je  mehr  die 
Astrologie  sich  verbreitete,  um  so  mehr  mußte  sie  sich  vereinfachen. 
Es  entstanden  Horarien,  bequeme  Nachschlagebücher,  die  es  er- 
möglichten, ohne  großen  Apparat  von  Instrumenten  und  ohne 
schwierige  Berechnungen  für  jede  Stunde   den  sie  beherrschenden 


^ 


Astrologie.    Traumdeutung.    Prodigien.  219 

Gott  und  seinen  Einfluß  festzustellen.  Über  diese  Gattung  des 
Schrifttums ,  von  dem  sich  die  erste  genaue  Angabe  bei  Vettius 
Valens  findet,  handelt  Gundel,  Hess.  Blatt,  f.  Volk.sk.  XII,  1913, 
S.  106  ff.  —  Im  Anschluß  an  Hör.  c.  II  17,  21  f.  spricht  ßoll, 
Sokr.  V,  1917,  1  ff.  über  „Stemenfreundschaft'",  d.  h,  die  Zu- 
sammengehörigkeit zweier  unter  gleichem  Stern  geborener  Menschen. 

Die  Traumdeutung  wurde,  als  man  die  vorausgesetzten 
übernatürhchen  Kräfte  vorzugsweise  den  Toten  und  den  Mächten 
der  Unterwelt  zuschrieb,  mit  dem  Dienst  der  Chthonischen  ver- 
bunden. Zu  den  vielen  bisher  vorhandenen  Zeugnissen  für  das 
Fortbestehen  dieser  Verknüpfung  in  späterer  Zeit  fügt  L.  We  uiger, 
Klio  VII,  1907,  vermutungsweise  die  Angabe,  daß  die  Daktylen 
auf  dem  Laub  des  v.özivog  schlafen  (Paus.  V  7,  7),  was ,  wie  er 
uieint,  auf  einen  Inkubationsritus  hinweist,  bei  dem  durch  das 
Laub  die  Erdki-aft  auf  den  Schlafenden  übergehen  sollte.  Ist  dies 
richtig,  so  würde  es  sich  zu  der  weitverbreiteten,  von  Kmoskö, 
Zs.  f.  Assyriol.  XXIX,  1914/5,  158  aus  einem  Gudeazylinder  auch 
für  Assyrien  erschlossenen  Sitte  der  Inkubation  auf  dem  Fell  des 
Opfertiers  stellen,  falls  dieses,  wie  vielleicht  mit  Recht  vermutet 
wird,  dazu  dienen  sollte,  die  mantische  Erdkraft  in  den  Körper 
des  Schlafenden  überzuleiten;  doch  sind  Blätter  und  Felle  als 
Unterlage  beim  Ruhen  auf  der  Erde  so  natürlich,  daß  es  sich  kaum 
um  mehr  als  eine  mitbestimmende  Vorstellung  handeln  kann.  — 
Über  Inkubation  in  Sardinien  spricht  Pettazzoni,  Eendiconti 
RAL  V.  s.  Bd.  XXIX,  1910,  89  ff. 

Der  Prodigienglauhe  scheint  seinen  Ausgangspunkt  ebenfalls 
n  Babylonien  gehabt  zu  haben ,  über  dessen  Prodigienbücher 
Br.  Meißner  in  der  Festschrift  des  Schlesischen  Vereins  für 
Volkskunde  (=  Mitteü.  XIII/XIV),  1911,  256  ff",  handelt.  In  dem- 
selben Jahr  gibt  eine  Tübinger  Dissertation  von  Steinhauser, 
„Der  Prodigienglaube  und  das  Prodigienwesen  der  Griechen''  (Ravens- 
burg 1911)  in  seltsamer  Reihenfolge  und  Auswahl  eine  Aufzählung 
der  wichtigsten  griechischen  Prodigien  von  Homer  bis  in  die  Kaiser- 
zeit und  der  Zeugnisse  für  ihre  Beurteilung  durch  das  Volk,  die 
Gebildeten  und  die  "Wissenschaft.  —  Ein  Teil  der  Vorzeichen  ist 
auch  von  Joh.  Hunger.  Die  babylonischen  Tieromina  nebst 
griechisch-römischen  Parallelen,  Mitt.  der  vorderasiat.  Ges.  XIV  3, 
1909  behandelt.  Im  allgemeinen  zeigt  sich  auf  diesem  Gebiet  ein 
besonders  enger  Zusammenhang  zwischen  dem  im  Altertum  in  der 
ganzen  antiken  Kulturwelt  einschließlich  der  Euphrat-  und  Tigris- 
länder herrschenden  Vorstellungen.    Namentlich  die  an  den  Grenzen 


220  Prodigien:  V^ogelschau. 

dieses  Gebietes  -wohnenden  Völker,  die  Etrusker,  über  deren  Ostenta 
nnd  Ostentaria  T  h  u  1  i  n ,  Die  etrusk.  Disziplin  III,  die  Ritualbücher 
und  zur  Geschichte  und  Organisation  der  Haruspices  (Göteborgs 
Högskolas  Arsskrift  1909.  I)  76  ff.  ausführlich  handelt,  die  Römer 
und  Assyrer,  stimmen  in  der  Art.  wie  sie  die  kommenden  Ereig- 
nisse vorher  erkennen  wollen,  auffallend  ttberein.  Bei  beiden  ist 
z.  B.  die  Geburt  Avidernatürlicher  Geschöpfe ,  die  Aufnahme  oder 
das  Verweigern  von  Futter ,  die  Form  der  in  den  geschlachteten 
Opfertieren  gefundenen  Eingeweide  bedeutungsvoll.  Morris 
Jastrow  jr.,  der  in  seinem  Buch  Babylonian  Assyrian  Birth  Omens 
and  Their  Cultural  Significance  RV  u.  V  XIV  5,  1914)  das  erste 
dieser  drei  Gebiete  unter  Vergleichung  des  griechisch-römischen 
Aberglaubens  (z.  B.  50  ff..  64  ff.)  behandelt  hat,  erklärt  (.58)  die 
Übereinstimmung  daraus ,  daß  der  römische  Prodigienglaube  den 
Etruskern  abgelernt  sei,  die  ihn  aus  Kleinasien  mitgebracht  hätten. 
Diese  Ableitung  ist  zwar  möglich .  aber  vielleicht  überrascht  die 
Übereinstimmung  nur  deshalb  so  sehr,  weil  ein  Zwischenglied,  der 
griechische  Prodigienglaube,  früh  seine  Bedeutung  verloren  hat  und 
deshalb  weniger  bekannt  ist  als  der  römische  und  der  assyrische ; 
vereinzelte  Notizen  weisen  darauf  hin ,  daß  einst  auch  bei  den 
Griechen  dieser  Aberglaube  blühte.  Aber  mehr  als  bei  ihnen  und 
auch  bei  den  Italikern  scheint  die  Lehre  in  der  Tat  bei  den  Assyrern 
ausgebildet  gewesen  zu  sein :  während  bei  jenen  die  Vorzeichen 
meist  bloß  günstig  oder  ungünstig  sind,  glaubt  der  assyrische  Zeichen- 
deuter die  Zukunft  aus  ihnen  genauer  erfahren  zu  können  (Hunger 
a.  a.  0.  S.  17).  Eine  scheinbare  Ausnahme  bildet  die  Vogelschau 
(18  ff.).  Zwar  achtet  auch  der  Assj-rer  auf  die  Vögel,  und  zwar 
wie  der  Grieche  und  Römer  besonders  auf  die  Raubvögel  5  aber 
obwohl  wahrscheinlich  die  bisher  veröffentlichten  Texte  kein  ganz 
richtiges  Bild  von  der  Häufigkeit  derartiger  Deutungen  geben, 
scheint  es  doch  als  ob  sie,  und  zwar  besonders  die  eigentliche 
Vogelschau,  die  Beobachtung  des  Vogelflugs,  in  Assyrien  nicht  so 
wichtig  waren  wie  in  Hellas  und  Rom.  Bisher  liegen  noch  keine 
Beweise  dafür  vor,  daß  man  besonderen  Wert  auf  die  Richtung 
des  Vogelflugs  legte,  wie  bei  den  Griechen  und  noch  mehr  bei  den 
Römern  (Morris  Jastrow  jr,,  Relig.  Babyl.  und  Assvt.  II  798  ff.). 
Fmmerhin  gab  es  besondere  Adlerbefrager,  und  einen  freilich  nicht 
ganz  sicheren  Fall  der  Vogelschau  teilt  Bezold,  Zs.  f.  Assyr. 
XXVI,  1912,  114  ff.  aus  einem  Brief  an  Asarhaddon  mit.  Die 
Seltenheit  der  Vogelschau  erklärt  sich  in  Assyrien  gewiß  daraus, 
»laß  sie  verhältnismäßig  früh  durch  verwickeitere  Formen  der  Vor- 


Vogelschau  und  Eingeweideschau.  221 

xeicheukunde  ersetzt  worden  ist,  —  In  Rom  sind  nach  F  o  w  1er, 
Eel.  Exper.  Hom.  People  304  die  Auspizien  uralt,  während  die 
Blitzschau  erst  in  etruskisclier  Zeit,  also  gegen  Schluß  der  Königs- 
zeit hinzugetreten  sein  soll.  —  Spuren  des  Glaubens,  daß  die  zwölf 
Geier  des  Romulus  eine  1200  jährige  Dauer  Roms  verhießen,  sammelt 
S.  Rein  ach,  Cultes ;  uiythes,  relig.  III  302  ff. ;  er  rechnet  dazu 
auch  Tac.  Germ.  33,  wo  statt  urgentibus  zu  lesen  sei  vergeutibus 
Ein  Prodigium  konnte  auch  darin  gefunden  werden ,  daß  die 
Eingeweide  des  vor  dem  Beginn  einer  wichtigen  Unternehmung 
geschlachteten  Opfertiers  verstümmelt  oder  irgendwie  unnatürlich 
gebildet  waren.  Über  diese  Leberschau  handelt  russisch  f  A.  G.  Bäck- 
ström, De  hieroscopia  Graecorum,  St.  Petersburg  1910,  der  nach 
dem  Bericht  von  C.  Kappus,  ßerl.  Phil.  Wochenschr.  XXXII, 
1912,  264  ff.  über  den  Zusammenhang  der  griechischen  Eingeweide- 
schau mit  der  etruskischen  und  römischen  und  ihre  Abhängigkeit 
von  der  orientalischen  spricht  und  dann  aus  einem  Papyrus  der 
Sammlung  Golenitscheff  ,das  Bruchstück  eines  ^praktischen  Zwecken 
dienenden  Handbuchs  über  Oj^ferbeschau  veröffentlicht.  In  der 
Tat  hat  im  Morgenland  die  Haruspizin  lange  geblüht  •,  bei  den  Arabern 
war  sie  noch  im  4.  Jh.  n.  Chi-,  üblich  (Marmorstein,  Arch.  f. 
Religionswiss.  XV,  1912,  320),  und  nach  dem  Bericht  von  War  de 
Fowler,  Journ.  Rom.  Stud.  II,  1912,  269  haben  Ch.  Hose  und 
William  Mc  Dougall  sehr  merkwürdige  Übex'einstimmungen 
zwischen  dem  römischen  Extispicium  und  den  Gebräuchen  der  Wilden 
auf  Borneo  festgestellt.  In  Vorderasieu  ist  die  Eingeweideschau 
auch  früher  nachweisbar  als  in  Griechenland  und  in  Italien,  wo 
ihre  ältesten  Spuren  bisher  kaum  über  das  5.  Jb..  hinauf  zu  ver- 
folgen sind.  Sowohl  in  Boghazkiöi  wie  in  Babylonieu  haben  sich  Lebern 
ähnlich  der  berühmten  etruskischen  von  Piacenza  gefunden,  die  da- 
durch eine  vorher  nicht  geahnte  Bedeutung  für  die  Frage  nach  dem  Zu- 
sammenhang der  antiken  Kultur  gewonnen  hat  und  mehrfach  behandelt 
worden  ist.  C.  Thulin,  Die  Götter  des  Martianus  Capella  und  der 
Bronzeleber  von  Piacenza,  RV  u.  V,  III  1,  1906  versucht  nach- 
zuweisen, daß  auf  der  Leber,  deren  Anfertigung  er  in  das  3.  Jh. 
v.  Chr.  setzt,  die  Götter  der  Außenregionen  denen  der  Innen- 
regionen entsprechen  und  daß  diese  Regioneneinteilung,  wie  schon 
Deecke  veimutet  hatte,  in  Beziehung  stehe  zu  den  16  Wohnungen, 
aus  denen  die  Götter  bei  Martianus  Capella  I  45  ff.  zum  Rate  des 
luppiter  kommen.  Ist  diese  Vei-mutung,  wie  es  scheint,  richtig, 
so  ergeben  sich  daraus  wichtige  Polgei-ungen  über  die  etruskische 
Entsprechung  römischer  Gottheiten,  z.  B.  der  Ceres,  Di  Consentes, 


222  Leberschau.    Losorakel. 

Favores  Opertani,  des  Hercules,  der  Minerva,  Pales,  Penates,  des  Vol- 
canus.  Weniger  wahrscheinlich  und  deshalb  von  B  oll,  Berl.  Phil. 
Wocheuschr.  XXVIII,  1908,  1372  ff.  und  Gr auger,  Class.  Eev. 
XXII,  1908,  132,  bezweifelt  ist  T  hu  lins  Vermutung,  daß  man 
versucht  habe ,  diese  eigentümliche  Lehre  mit  der  Astrologie  aus- 
zugleichen. Noch  unsicherer  ist  der  geheimnisvolle  Zusammenhang, 
der  nach  W.  v.  Bartels  in  dem  von  Morris  Jastrow  mit 
einem  empfehlenden  Vorwort  versehenen  und  auf  dem  4.  Leidener 
Internationalen  Kongreß  (Act.  S.  IIO)  als  sehr  beachtenswert  be- 
zeichneten Buche  „Die  etruskische  Bronzeleber  von  Piacenza  in 
ihrer  symbolischen  Bedeutung",  Berlin  1910,  von  den  Etruskern 
zwischen  der  Leber  und  dem  Weltganzen  angenommen  wurde. 
Solche  Vorstellungsverknüpfungen,  auf  die  Jastrow  bereits  in  einem 
Vortrag  auf  der  109.  Versammlung  der  American  Orient.  Society 
(DLZ  XXVIII,  1907,  1566)  aufmerksam  gemacht  hatte,  haben  viel- 
leicht bestanden,  aber  die  von  W.  v.  Bartels  erschlossene  Geheim- 
lehre hat  an  dem .  was  über  die  etruskische  Disziplin  überliefert 
jst,  keinen  Anhalt.  Ebenso  steht  es  mit  den  orientalischen  Vor- 
stellungen, die  W.  V.  Bartels  hier  und  in  ihrer  weiteren  Schrift: 
_,Die  etruskische  Bronzeleber  von  Piacenza  in  ihren  Beziehungen 
zu  den  8  Kwa  der  Chinesen",  Berlin  1912,  vergleicht,  Daß  die 
italische  Lehre  hier  mit  orientalischen  zusammenhängt,  wird  von 
niemand  bestritten,  auch  nicht  von  G.  Körte,  in  seinem  sehr  verdienst- 
vollen Aufsatz  Rom.  Mitt.  XX,  1905,  371  ff.,  der  nur  betont,  daß 
die  Lehre  bei  den  einzelnen  Völkern  verschieden  ausgebildet  wurde ; 
und  an  sich  wäre  möglich,  daß  sich  Reste  von  früher  weit,  wenn 
auch  nur  in  einzelnen,  dünnen  Schichten,  verbreiteten  Vorstellungen 
zufällig  nur  in  zwei  soweit  auseinander  liegenden  Gebieten  er- 
halten haben.  Allein  die  angeführten  chinesischen  Zeugnisse  sind  so 
unbestimmt  und  ihre  Auslegung  ist  so  willkürlich,  daß  sie  nicht  die 
von  der  Verfasserin  erschlossene  etruskische  Lehre  stützen  können. 
Endlich  sind  einige  Arbeiten  über  Würfel-  und  Losorakel 
zxx.  erwähnen.  Nach  L.  Weniger,  Sokr.  II,  1914,  16  saß  die  Pythia 
auf  dem  Dreifuß  und  hielt  die  Lose  im  Schoß  ihres  Gewandes 
oder  in  einer  Schale ;  sie  nahm  eines  heraus  und  überreichte  es 
dem  Priester,  dem  es  oblag,  die  eingeritzten  Zeichen  zu  deuten. 
So  erklärt  Weniger  die  Ausdrücke  ^eojv  f.v  yotvaoi  '/.eiTai  —  denn 
die  Pythia  soll  die  Gottheit  vertreten  —  und  dvelXev  r^  JJvitia. 
Ahnlich  denkt  er  sich  die  Würfelorakel  im  Heiligtum  des  Herakles 
;cu  Bura.  Losorakel  sind  für  Delphoi  literarisch  bezeugt.  Fr.  Eg- 
gleston Robbins,  Class.  phil.  XI,  1916,  278ff.  glaubt  sie  auch 


Losorakel.  223 

auf  Kunstwerken  zu  erkennen ,  auf  denen  Apollon  oder  Theniis 
(Aigeusscbale)  oder  eine  Pythia  weissagend  eine  .Schale  in  der  Hand 
hält;  den  zweiten  Ausdruck  hat  Weniger  vielleicht  richtig  ge- 
deutet; vgl.  Lobeck,  Agl,  814.  —  Die  bis  jetzt  bekannten  Tat- 
sachen „über  die  Orakelgebung  durch  Lose  bei  den  klassischen 
Völkern"  stellt  zusammen  und  erläutert  Weniger,  Sokr.  V,  1917, 
433  z.  T.  im  Anschluß  an  Heinevetter  (s.  ^«.).  Es  werden  zu- 
nächst die  verschiedenen  Formen  des  Orakels  in  Deliihoi,  zu 
denen  Stäbchen  aus  Holz ,  seltener  kleine  Platten  aus  Ton  oder 
Erz  benutzt  wurden ,  besprochen,  an  deren  Stelle  später  Würfel 
traten.  Auch  in  Dodona  und  Olympia  soll  die  Zukunft  durch  Lose 
erforscht  sein.  In  Italien  sind  Losorakel  für  Patavium  noch  zur 
Zeit  des  Tiberius  bezeugt;  hauptsächlich  scheinen  sie  aber  in 
Mittelitalien ,  in  TJmbrien ,  im  südlichen  Etrurien ,  dem  Sabinerland 
und  in  Latium  üblich  gewesen  zu  sein.  Vergleichbar  und  deshalb 
auch  für  die  Religionsgeschichte  bei  den  klassischen  Völkern  nicht 
unwichtig  sind  die  Losorakel  bei  den  Germanen ,  die  Weniger  in 
einem  weiteren^Aufsatz,  ebd.  305  ff.,  433  ff.,  von  Herodot  und  Tacitus 
beginnend,  bis  in  die  letzten  Jahrhunderte  hinein  verfolgt;  Nach- 
träge aus  neuerer  Zeit  bringt  A.  Becker  ebd.  VI,  1918,  12.  — 
Über  Losorakel  im  Dienst  der  Athena  ^xigdg  vgl.  Nilsson, 
Arch.  f.  Eeligionswiss.  XVI,  1912,  316  f.,  über  das  Verfahren  bei 
den  Sortes  in  Praeneste  Marucchi,  Bull.  comm.  arch.  comm. 
XLI,  1913,  25  ff.  —  Eigentümliche  Würfelorakel  waren  in  den  ersten 
nachchristlichen  Jahrhunderten  namentlich  in  Kleinasien  üblich. 
Mit  5  aargayaloi,  die  mit  den  Zahlen  1,  3,  4,  6  beschrieben  waren, 
konnten  56  verschiedene  Würfe  erreicht  werden,  die  meist  nach 
Göttern,  Begriffswesen  [Jal/iuov  Meyiorog,  Nixr],  ^^yad^og  XQOVog 
usw.)  benannt  waren  und  deren  Bedeutung  aus  hexametrisch-ge- 
faßten Tabellen  ersehen  wurde.  Die  namentlich  in  österreichischen 
Reiseberichten  veröffentlichten  Funde  von  Resten  dieser  Listen 
sammelt,  vergleicht  und  ergänzt  F.  Heinevetter,  Würfel-  und 
Buchstabenorakel  in  Griechenland  und  Kleinasien,  Diss.  und  Fest- 
gruß des  archäologischen  Seminars  zum  100jährigen  Jubiläum  der 
TJnivers.  Breslau  1912.  Nach  Art  dieser  kleinasiatischen  Listen 
denkt  sich  Weniger  in  dem  oben  erwähnten  Aufsatz  (Sokr.  V), 
die  alte  delphische  Weissagung.  Übrigens  bezeichnet  xA<}^ot  bei 
Eur.  (Doiv.  839  auch  die  Antworten  des  Orakels  in  Delphoi,  viel- 
leicht weil  sie  ursprünglich  durch  Lose  gefunden  waren ;  sie  wurden 
in  Kisten  aufbewahrt,  über  die  Svoronos,  Journ.  Internat,  d'arch. 
num.  XII,  1910,  232  ff.  handelt. 


224 

11)  Auliiß  und  Zeit  des  Zaubers  und  des  Kultus. 

a)    Im  Leben  der  einzelnen, 
n)  Ijiebeszauber. 

Über  Aigremonts  Buch  „Volkserotik  und  Pflanzenwelt"  s.  o. 
{1^1).    Meringer,  Indogerm.  Forsch.  XXI,  1907,  306  fiilirt  seinen 
Gedanken  (ebd.  XVI  108  f.)  aus,  daß  die  Duenosinschrift  einen  Tjiebes- 
zauber     enthalte.    —    Im    Anschluß    an    Theokrits    Pliarmakeutriai 
handelt    R.  Wünsch,    Hess.  Blatt,  f.  Volksk.  VIII,  1909,  12G  ff. 
über  antiken  Liebeszauber.  —  Preisendanz,  Philol.  LXIX,  1910, 
51  ff.    gibt   neu    hei'aus   und  erklärt  den  von  Breccia,    Bull.  soc. 
arch.  d'Alex.  IX,  1907  n.  s.  II  1,  95  veröffentlichten  y.axaöea/^og, 
den   Liebeszauber   der  Paulina   gegen    einen  Neilos.  —  Fr.  BoU. 
Griech.    Liebeszauber   aus   Ägj-pten   auf  2  Bleitafeln    des    Heidelb. 
Archäol.    Instituts,    Sitzber.  Heidelb.  AW  1910  veröffentlicht  zwei 
aus  dem  1.  oder  2.  Jh.  n.  Chr.    stammende    Defixionen,   zu    deren 
Lesung  und  Erklärung  auch  die  kurze  Besprechung  von  Wünsch, 
Berl.   phil.  Wochenschr.  XXX,  1910,  688  f.  zu  vergleichen  ist.  — 
Über  das  Verbrennen  des  Lorbeers  beim  Liebeszauber  (Theokr.  IT 
2o  u.  sonst)  s.  Ogle,    Amer.  Journ.  Phil.  XXXI,  1910,  296  f. — 
Den   Liebeszauber   mit   der   ^t'vy^   erkennt   Pernice,    Class.  Rev. 
XXIII,  1909,  20  auf  einem  Fingerring  und  auf  einem  Vb.  (Athen. 
Mitt.  XXXII,  1007,  79),  das  Eros  oder  Himeros,  ein  Rad  an  einem 
Riemen  haltend,  darstellt.  —  Aphrodite  mit  der  Yvy^  den  Zeus  zur 
Liebe   gegen   lo    zwingend    stellt  nach  Svoronos,   Journ.  intern, 
d'arch.  num.  XII.  1910,  242  A.  ein  rf.  Vb.  dar.  —  Mehrfach  kommt 
Pen  quitt    in    der   Königsberger   Dissertation    1910,    De    Didonis 
Vergilianae  exitu  auf  den  Liebeszauber  zu  sprechen,  z.  B.  S.  42  ff. 
auf  das  Verbrennen    des  Bildes.     Das  Hippomanes  hat  Verg.  Aen. 
IV    515    nach    Penquitt    S.    51    infolge    einer    Verwechslung    ein- 
geführt. —  Es  gab  auch  Maßregeln ,    durch  die  nicht  der  oder  die 
Zaubernde    die    oder    den    Geliebten    zu   gleicher  Liebe    entzünden, 
sondern  sich  von  der  Leidenschaft   frei  machen  wollte.     Über  den 
Sprung   vom   weißen    Felsen    s.    Arch.  f.  Religionswiss.  XV,  1912, 
374,  —  Der  Stein ,    den  sich  in  einer  parodistischen  Erzählung  ein 
Hähnchen    aufs  Herz   legen    will,    um  sich  von  seinem  Liebesgram 
zu   heilen  fOx}Th.   Pap.  II,  Nr.  219),  vergleicht  Radermacher, 
Rh.    Mus.   LXVII,    1912,    139    mit    dem   ?JO-og   auxpgoviari^Q   der 
thebanischen  Heraklessage. 

ß)  Hochzeitsgebräuche. 
Über    die    antiken    Gebräuche    bei   der   Eheschließung   handelt 
ausführlicher  als  in  den   «Familienfesten  der  Griechen  und  Römer" 


Hochzeitsgebräuche.  226 

Samt  er,  Geburt,  Hochzeit  und  Tod,  Beiträge  zur  vergleichenden 
Volkskunde,  Leipzig-Berlin  1911.  Wie  schon  in  seinem  ersten 
Buch  sieht  er  gern  in  den  Gebräuchen  Maßregeln ,  die  bestimmt 
sind,  üble  Geister  fern  zu  halten ;  so  soll  z.  B.  die  Bestreuung  des 
Brautpaars  und  der  Hochzeitsgäste  mit  Gerste ,  Weizen ,  Reis, 
Erbsen  u.  dgl.,  auch  Salz  den  Zweck  gehabt  haben,  die  Dämonen 
teils  zu  beschwichtigen,  teils  zu  bannen  (171  ff.).  —  Verschiedene 
griechische  Hochzeitsgebräuche  bespricht  H.  Blümner  in  der  Fest- 
gabe für  Gerold  Meyer  von  Knonau  S.  1  ff.,  z.  B.  (2  f.)  die  Ver- 
tauschung der  Kleider,  (3  ff.)  die  naxische  Sitte,  daß  die  Braut  vor 
der  Hochzeit  mit  einem  na'ig  schläft,  (6  f.)  den  Gebrauch,  der  Braut 
die  Schuhe  nachzuwerfen,  (9)  die  an:o/.alvTiTt'^Qia ,  (11)  den  vv^- 
(fLTLog  Xtßr^Q.  —  Von  den  einzelnen  Handlangen  magischer  oder 
religiöser  Bedeutung,  die  im  Verlauf  der  Hochzeit  vollzogen  wurden, 
behandelt  Sechan,  Rev.  et.  gr.  XXIV,  1911,  123  f.  die  Dar- 
bringungen der  Bräute  vor  der  Eheschließung.  —  Auf  die  Zeit  des 
Mutterrechtes  führt  L  Raderraacher,  Rh.  Mus.  LXXI,  1916, 
1  ff .  die  von  ihm  aus  mehreren,  z.  T.  griechischen  Novellen  er- 
schlossene Sitte  zurück,  daß  das  Mädchen  aus  der  Zahl  der  ver- 
sammelten Freier  den  ihr  Genehmen  bezeichnet. 

Schwierigkeiten  macht  die  Bestimmung  der  Begriffe  artavXia 
und  ircacXia,  da  die  Zeugnisse  Suid.  hiacXia,  Poll.  III  39,  Hesych 
s.  e/tavXia  und  ydiAOL  z.  T.  vielleicht  handschriftlich  entstellt,  jeden- 
falls unklar  sind  und  sich  anscheinend  widersprechen.  Schreibt  man 
bei  Hesych  s.  ydf.iOL  für  das  letzte  Wort  mit  Deubner  iiravXia, 
so  sind  die  z.  T.  fast  wörtlich  übereinstimmenden  Zeugnisse  zur 
Not  auch  innerlich  in  Einklang  gebracht ,  und  auf  Grund  des  sich 
demnach  ergebenden  Sinns  erkennt  Brückner,  Ath.  Mitt.  XXXII, 
1907,  91  ff.  eine  Darstellung  der  Epaulia  auf  attischen  Vasenbildern. 
Aber  gegen  diese  Textänderung  wendet  sichKuiper,  Rev.  et.  gr. 
XXV,  1912,  331  ff. ,  weil  es  bei  Hesych  an  anderer  Stelle  heißt 
OLTcaiKia  v.ai  enaiXia  dt^iog  XiyExai  r^tga,  ev  tj  . .  STiavXiteTUL 
to)  dvÖQi  tj  yvvrj.  Leider  ist  nicht  zu  ersehen,  ab  diX(^S  ^^^^  «iii 
doppeltem  Sinn"  oder  „in  zwiefachem,  d.  h.  in  verschiedenem 
Sinn"  bedeuten  soll.  Kuiper  nimmt  jenes  an  und  vermutet  zu- 
gleich, daß  snai'lia  die  am  Abend  des  zweiten  (d/tavlia  genannten) 
Tages  der  Hochzeit  gesandten  Geschenke  waren.  Das  war  nicht 
die  Ansicht  des  von  Pollux  ausgeschriebenen  Grammatikers,  der 
die  STiavXia  den  dnaiXia.  entgegenstellt.  Entscheidend  ist  das 
nicht,  denn,  wie  es  scheint,  war  das  Wort  enavXia  im  lebendigea 
'Sprachgebrauch  erstorben  und  wurde  daher  von  den  Altertums- 
Jahresbericht  für  Altertumswissenachaft.    Bd.  186  (Snpplementband).  1.5 


22G  Hochzeitsgebräuche. 

forschem  und  vielleicht  von  Kommentatoren,  die  ea  in  der  Literatur 
fanden,  nach  dem  Zusammenhang  der  Stellen  oder  nach  dem  Sinn 
der  ähnlich  gebildeten  Wörter  a/raikta,  ngoavha,  owai'ha,  für 
die  es  aber  vielleicht  auch  keine  wirkliche  Überlieferung  gab, 
oder  bloß  nach  der  Etymologie  gedeutet.  Sie  kamen  dabei, 
worauf  auch  Suidas  mit  den  Worten  oV  öi  (paoiv  hinweist,  auf  ver- 
schiedene Erklärungen ,  die  aber  in  den  erhaltenen  Exzerpten 
z.  T.  ineinander  geschoben  und  vermischt  wurden,  weil  jede  von 
beiden  sachliche  Angaben  enthielt,  die  vereinigt  i,^ erden  sollten. 
Denn  es  scheint  nach  den  Übereinstimmungen ,  die  sich  in  diesea 
finden,  daß  Suidas,  Hesychios  und  Poilux  hier  schließlich  auf 
dieselbe  grammatische  oder  antiquarische  Quelle  zurückgehen, 
und  deshalb  hat  m.  E.  Deubners  Vermutung  die  größere  Wahr- 
scheinlichkeit. Weiter  ergibt  sich  aus  dem  geschilderten  Ver- 
hältnis, daß  das  über  a/iav'/.ia  bei  Poll.  III  40  Bemerkte  möglicher- 
weise nur  die  Vermutung  eines  Gelehrten  ist.  —  E.  Samter  hat  iu 
einem  Vortrag  in  der  Berliner  Religionswissenschaftlichen  Ver- 
ninigung  28.  4.  1914  (Neue  Jbb.  1914,  90  ff.)  diese  Angabe  des 
PoUux  mit  der  von  Kallimachos  im  Anfang  des  neuen  Kydippe- 
bruchstückes  erwähnten  naxischen  Hochzeitssitte  verglichen.  Dort 
heißt  es,  um  anzudeuten,  daß  die  Hochzeit  der  Jungfrau  unmittelbar 
bevorstehe  rjdrj  /mI  y.oigo)  nagi^ivog  eirdaato,  xii^fjiov  wg  t/.iXevB 
TtQOVif.iq^iov  vTtvov  laZaai  ägoevi  ri^v  taUv  naidi  ahv  afiffii/aiei, 
und  in  der  Tat  stimmt  diese  auch  schon  früher  z.  B.  von  Kuiper 
herangezogene  Beschreibung  so  mit  der  von  PoUux  gegebenen  überein, 
daß  m.  E.  schon  dessen  Quelle  an  jene  Kallimachosstelle  gedacht 
haben  muß.  Dann  sind  die  beiden  bei  Suid.  und  Poll.  zusammen- 
geworfenen Erklärungen  so  zu  trennen :  nach  der  ersten  wurden 
die  f7cai?uu  den  anavKia  entgegen  gestellt  und  auf  das  erste  gemein- 
same Ü>>ernachten  des  Brautpaars  bezogen ,  während  die  aiiavXia 
das  von  Kallimachos  für  Naxos  bezeugte  gesonderte  Schlafen  vor 
der  Hochzeit  bezeichnen  sollte ;  bei  dieser  Erklärung  war  also  hti 
in  tnuihia  in  örtlichem  Sinn  gefißt.  Nach  der  anderen  Deutung, 
welche  tJcaiKia  als  den  zweiten  Hochzeitstag  ansetzte,  hatte  es 
dagegen  temporalen  Sinn.  Welche  der  beiden  Aulfassungen  die 
richtige  war,  ist  nicht  auszumachen,  religionsgeschichtlich  auch  von 
geringer  Bedeutung;  wichtiger  ist  es,  den  Sinn  des  naxischen  Ge- 
brauches festzustellen.  Kallimachos  scheint  sich  hier  zu  wider- 
sprechen. Die  Worte  xoipr^y  nagitt-vrig  evvuoaio  scheinen ,  da 
€vväa'tai  rivi  gewöhnlich  vom  Beischlaf  gesagt  wird ,  auf  einea 
vorehelichen    Geschlechtsverkehr   zu    weisen.     Das    würde    zu  dem 


Hochzeitsgebräuche.  227 

von  dem  Dichter  verschwiegenen  Mythos  passen,  der,  wie  sich  aus 
dem  Ausruf  ergibt,  mit  dem  das  Verstummen  begründet  wird,  etwas 
für  Hera  Unschickliches  enthalten  haben  muß.  So  hat  daher  z.  B. 
Leo,  Gott.  Gel.  Nachr.  1910,  57  die  Stelle  in  dem  Sinn  gedeutet, 
daß  Kydippe  mit  ihrem  erklärten  Bräutigam  das  in  Naxos  übliche 
Probebeilager  in  der  Nacht  vor  der  Hochzeit  gefeiert  habe.  Aber  die 
Worte,  mit  denen  Kallimachos  nachher  den  Brauch  beschreibt  «i^- 
^lov  ibg  «xi'Acic  TTQOvt'fjfpiov  LTirov  laiaai  agaevi  rijV  läXiv  naidl 
ai'v  af.ifpi^aXei,  weisen  nach  anderer  Richtung.  Ilalg  af.ifpi0^a}.ijg 
puer  patrimus  et  matrimus ,  hat  einen  bestimmten  Sinn  und  kann 
den  Bräutigam  nicht  bezeichnen,  weil  dann  in  Naxos  ein  junger 
Mann ,  dessen  Vater  oder  Mutter  gestorben  War,  zur  Ehelosigkeit 
verdammt  gewesen  wäre.  Daß  Kallimachos  die  in  seiner  Quelle 
überlieferte  Sitte  falsch  verstanden  habe,  ist  an  sich  schwer  glaub- 
lich und  auch  deshalb  unwahrscheinlich,  weil  die  öianaQiytvEvoigy 
bevor  das  Mädchen  den  ihm  vom  Schicksal  Zugedachten  empfängt, 
stilwidrig  wäre ;  auch  fehlt  der  Zug  bei  beiden  Nachahmern  des 
Kallimachos,  Aristainetos  und  Ovid,  die  doch  schwerlich  mehr  Stil- 
gefühl besaßen  als  jener,  der  demnach  wix'klich  evvaad^ai  in  einem 
nngewöhnlichen  Sinn  gebraucht  zu  haben  scheint.  Jedenfalls  be- 
stand die  naxische  Sitte  nicht  darin ,  daß  die  Braut  kurz  vor  der 
Hochzeitsnacht  mit  ihrem  Bräutigam ,  sondern  darin ,  daß  sie ,  wie 
PoU.  III  40  sagt,  mit  einem  rcaidiov  aiuq)ii)^aXeg  schlief.  Ein  wenig 
gemildert  würde  das  Ungewöhnliche  des  Ausdrucks ,  wenn  mit 
Puech,  Rev.  et.  gr.  XXIII,  1910,  260  an  einen  Knaben  zu  denken 
wäre,  der  die  Stelle  des  Bräutigams  vertreten  sollte,  wenn  es  sich 
also  wenigstens  um  einen  fingierten  Beischlaf  gehandelt  hätte,  wie 
dies  Kuiper  a.  a.  0.  annimmt.  Sonderbar  bleibt  die  Wendung 
aber  auch  dann,  auch  ist  vorehelicher  Geschlechtsverkehr  schwer- 
lich als  etwas  so  Heiliges  empfunden  worden ,  daß ,  als  die  Sitte 
abkam ,  ein  symbolischer  Ersatz  notwendig  erschien.  Nur  wenn 
einst  die  Defloration  gewissermaßen  rituelle  Bedeutung  hatte ,  wie 
dies  z.  B.  Campbell  Bonner,  Gl.  Phil.  VI,  1911,  402  ff.  an- 
nimmt ,  erklärt  sich  nicht  allein  das  Aufhören  der  Sitte ,  sondern 
auch  die  Vertretung  des  fremden  Mannes  durch  ein  Kind.  Einen 
solchen  rituellen  Grund  für  die  Sitte  glaubt  nun  in  der  Tat  S  a  m  t  e  r 
in  dem  oben  erwähnten  Vortrag  nachweisen  zu  können  Er  erklärt 
sie  aus  dem  Wunsche ,  die  das  Hochzeitsbett  gefährdenden  Dä- 
monen zu  täuschen.  Solche  Volkssitten  hat  es  wirklich  gegeben, 
aber  hier  widerstrebt  dieser  Erklärung  das  durch  Kallimachos  mit 
der  Nennung  Heras  angedeutete  al'ciov.    Kuiper  a.  a.  0.  schließt 

15* 


228  Hochzeit3gebräuche. 

aus  deu  ähnlichen  ebenfalls  naxischen  Sagen  von  Theseus  und 
Ariadue  und  von  Theseus  und  Polykrite,  daß  der  Brauch  ursprüng- 
lich durch  einen  Dionysosmythos  und  erst  nachträglich  durch  einen 
Zeusmythos  erklärt  sei;  Graindor,  Musee  Beige  XV,  1911,  49  ff. 
denkt,  daß  Kallimachos  auf  einen  Liebesverkehr  zwischen  Hera  und 
Herakles  anspiele.  Das  beruht  auf  der  richtigen  Empfindung,  daß,  wenn 
der  TTolg  a^q^ii^ah'jg  einen  fremden  Mann  vertreten  sollte,  der  Mj'thos 
den  Brauch  nicht  durch  einen  vorehelichen  Verkehr  Heras  mit  dem 
späteren  Gatten  erklären  durfte.  Dieser  Einwand  trifft  auch  dann 
zu ,  wenn  das  Schlafen  der  Braut  mit  dem  Knaben  den  Dämonen 
die  Hochzeitsnacht  vortäuschen  sollte.  Und  doch  ist  der  naxische 
Brauch  wirklich  dui'ch  Heras  voreheliche  Vereinigung  mit  Zeus 
erklärt  worden.  Im  Seh.  Townl.  II  B  296  heißt  es,  daß  Hera  auf 
Naxos  den  Hephaistos  aus  vorehelicher  Liebesgemeinschaft  geboren 
habe.  Damit  ist  jedenfalls  als  Vater  Zeus  gemeint,  schon  weil 
sonst  die  Geschichte  nicht  zur  Erklärung  von  II.  H  296  dienen 
würde.  Darauf  wird  auf  unsere  Kallimachosstelle  angespielt,  dto 
y.ai  fitXQi  riv  V7i6invr^f.ia  q^vXdoaeoü^ai  vtaqa  Na^loig  Aal  tov  a{i- 
(fii)^a'kii  (überlief,  ^^f^q^ii^äkr^v)  %rj  räXi  (überl.  'ItccXt])  avyy.aravi- 
i)^€o9ai.  Diese  Erklärung,  die  vielleicht  aus  einem  Kommentar  zu 
unserer  Stelle  stammt  und  sicher  die  von  Kallimachos  nur  an- 
gedeutete Sitte  richtig  beschreibt ,  scheint  die  oben  als  unmöglich 
erkannte  Beziehung  des  a^ifii^aKr^g  auf  den  Bräutigam  zu  fordern, 
und  so  hat  die  Stelle  auch  vor  dem  Funde  des  neuen  Kydippe- 
bruchstücks  v.  Wilamowitz  GGN  1895,  236,  43  verstanden,  ob- 
wohl die  Bedeutung  „blühend",  die  er  dem  Worte  ccfMqti&aXijg 
zuschreibt,  als  Appellativbezeichnung  des  Bräutigams  weder  bezeugt 
noch  wahrscheinlich  ist.  Jedenfalls  begründet  der  Mythos  von 
Hephaistos'  Geburt  die  naxische  Sitte  nicht ,  wenn  der  nalg  afi- 
(fii^aXr^g  einen  fremden  Mann  vertrat.  Kallimachos  hat  aber  das 
aYviov  nicht,  wie  Samter  in  der  sich  an  seinen  Vortrag  schließen- 
den Aussprache  (S.  13  der  Sitzungsberichte)  meinte ,  willkürlich 
aufgestellt,  da  er  es  ja  gar  nicht  ausspricht,  sondern  nur  andeutet; 
es  war  die  anerkannte  Begründungslegende ,  die  der  Dichter ,  wie 
er  sich  wenigstens  den  Anschein  gibt,  nicht  in  den  Mund  nehmen 
mag.  Es  müßte  also  vor  Kallimachos  die  naxische  Sitte  umgedeutet 
oder  wenigstens  durch  einen  für  sie  nicht  passenden  Mythos  er- 
klärt worden  sein.  Nun  ist  aber  nicht  abzusehen,  wie  die  Sitte, 
ein  Kind  vor  der  Hochzeitsnacht  mit  der  Braut  schlafen  zu  lassen, 
durch  den  bereits  bestehenden  Mythos  von  dem  vorehelichen  Ver- 
kehr des  Götterkönigapaars  erklärt  werden  konnte.     Vielmehr  muß 


Hochzeitsgebräuche.  229 

der  Mythos  ebeu  zur  Erklärung  des  naxischen  oder  eines  nächst 
verwandten  (samischen?  s.  Schol.  Townl.  a.  a.  0.)  Gebrauches  ge- 
dichtet sein.  Dann  aber  hat  schon  das  Lied,  dem  H  296  folgt, 
wahrscheinlich  dasselbe,  das  Plato  unter  dem  Namen  des  Orpheus 
las,  den  naxischen  Brauch  nicht  mehr  in  dem  von  Samter  als  ur- 
sprünglich bezeichneten  Sinn  verstanden ,  denn  als  Erklärung  für 
eine  Maßregel,  welche  die  gefährlichen  Geister  täuschen  sollte,  ist 
die  Sage  von  Zeus'  und  Heras  vorehelichem  Umgang  ungeeignet. 
Überhaupt  kann  der  Dichter  den  Knaben  nicht  als  Vertreter  des 
Bräutigams  gefaßt  haben.  Nur  dann  erscheint  der  Mythos  als 
ouTiov  passend,  wenn  der  naig  aft(fii)aXr^g  als  Kind  der  Braut  be- 
trachtet wurde.  Nach  der  Sage  soll  Hera  vor  der  Ehe  mit  Zeus 
den  Hephaistos  gezeugt  haben,  der  in  Naxos  ursprünglich,  wie  aus 
dieser  Ableitung  zu  folgern  ist,  nicht  als  verwachsen  und  schwäch- 
lich gedacht  war:  das  ist  das  passende  ai'ziov  für  den  Gebrauch, 
daß  den  Frauen  vor  der  Hochzeitsnacht  ein  männliches  Kind,  dessen 
beide  Eltern  noch  lebten,  das  also  sowohl  für  die  Eltern  wie  für 
die  Nachkommenschaft  von  glückverheißender  Bedeutung  war,  ins 
Bett  gelegt  wurde.  Ähnliche  Volksbräuche  sind,  wie  D.  B.  Stuart, 
Class.  Phil.  VI,  1911,  302  if.  nachweist,  und  wofür  auch  Samter 
selbst  S.  93  f.  Beispiele  anführt,  bei  Indem,  Slawen,  Bulgaren,  Korsen 
und  Finnen  bezeugt,  und  diese  überdies  naheliegende  Vorstellung 
scheint  die  naxische  Sitte  sowohl  wie  ihre  ätiologische  Begründung 
befriedigend  zu  erklären.  Es  bleibt  nur  das  Bedenken,  daß  dann 
Kallimachos  evvaGifat  tlvi  in  einem  sonst  nicht  nachweisbaren  Sinn 
gebraucht  hat.  Aber  unüberwindlich,  wie  Kuiper  S.  326  glaubt^ 
ist  dieser  Einwand  nicht.  Ist  es  auch  unwahrscheinlich,  daß  Kalli- 
machos die  naxische  Sitte  falsch  beschreibt,  so  braucht  er  doch 
ihre  letzte ,  vielleicht  längst  vergessene  Bedeutung  nicht  gekannt 
zu  haben.  Jedenfalls  ist  es  gar  nicht  seine  Absicht,  sie  wieder- 
zugeben, ihm  genügt  der  Hanweis  auf  den  ätiologischen  Mythos, 
um  dessentwülen  er  den  Gebrauch  erwähnt  hat.  Was  er  wußte 
und  was  für  seinen  Zweck  in  Betracht  kam,  war,  daß  in  Naxos 
vor  der  Hochzeit  die  Braut  statt  mit  dem  ihr  zugedachten  Gatten 
das  Lager  mit  einem  Kinde  teilte  5  in  einem  solchen  Fall  würde 
selbst  ein  französischer  Schriftsteller  coucher  avec  sagen  können, 
obwohl  dieser  Ausdruck  mindestens  ebenso  ausgesprochen  ero- 
tische Bedeutung  hat  wie  Evvaod^ai.  Es  hat  sich  daher  auch 
H.  Blümner  an  der  oben  bezeichneten  Stelle  wahrscheinlich  mit 
Kecht  an  Stuart  angeschlossen. 

Dem  Vollzug  der  Ehe  ging  bei  Griechen  und  Körnern  ein  Bad 


230  Hochzeitsgebräuohe.    Zeugungazauber. 

der  Braut  voraus,  das  vielfach  als  notwendig  zu  ihrer  Befruchtung, 
ja  geradezu  als  deren  Ursache  galt.  Derselbe  Glaube  ist  aus  andern 
Ländern  bezeugt,  z.  B.  aus  Palästina.  Schon  Curtiß,  Ursemitische 
Religion  im  Volksleben  des  heutigen  Orients  118  und  122  ff.  hatte 
auf  den  Volksglauben  hingewiesen,  nach  dem  Weiber,  die  sich  in 
einem  Strom  baden,  von  dem  Stromgott  oder  dem  an  seine  Stelle 
getretenen  Schutzheiligen  umarmt  oder  befruchtet  werden  (vgl. 
V.  Baudissin  ebd.  XXII  f.) ;  s.  darüber  K  o  h  1  e  r ,  Arch.  f.  Religionswiss. 
XIII,  1910,  84:  Hartmann  ebd.  XV,  1912,  141.  —In  Griechen- 
land galten  Kinder  oft  als  von  dem  Flusse  geschenkt,  in  dessen 
Wasser  die  Mutter  vor  der  Hochzeit  sich  gebadet  hatte ;  zahlreiche 
Personennamen,  die  Fröhner,  Arch.  f.  Religionswiss.  XV,  1912, 
383  sammelt,  bezeugen  diese  Auffassung  auch  für  Griechenland. 
Vgl.  über  die  Ehe  mit  dem  Flußgott  auch  Saintyves,  Les 
Vierges  Meres  et  les  Naissances  Miraculeuses ,  Paris  1908,  39  ff. 
und  Kuiper,  Rev.  et.  gr.  XXV,  1912,  341. 

Über  ein  bei  der  Pompa  nuptialis  auf  einer  sf.  athenischen 
Amphora  von  Mädchen  getragenes  ?üxvov  vgl.  P  u  t  o  r  t  i ,  Auson. 
IV,  1909,  132  ff. ,  der  Hesych.  und  Suid.  t(fvyov  y.a^Aov  und  PoU. 
III  37  (wo  aber  ein  Knabe  das  VtKvov  trägt)  vergleicht.  Der  Ge- 
brauch ist  nach  Putorti  ein  Fruchtbarkeitszauber,  der  von  Eleusis 
ausgegangen  sein  soll.  —  Ein  Tuch ,  das  sich  auf  Hochzeitsdar- 
stellungen mehrfach  findet,  sollte  nach  Brückner,  Athen.  Mitt. 
XXXII,  1907,  85  ff.  dazu  dienen,  durch  Blutflecke  die  erfolgte 
Defloration  der  Braut  zu  bezeugen.  Eine  derartige  Sitte  ist  noch 
heute  im  Morgenland  weit  verbreitet,  aber  H.  Blümner  Festgabe 
f.  Gerold  Meyer  von  Knonau  S.  10  f.  bezweifelt  Brückners  Deutung 
dieser  Darstellungen. 

y)  Maßregeln  zur  Erzielung  von  Nachkommenschaft. 

Auch  abgesehen  von  der  Eheschließung  wurde  mancherlei 
Fruchtbarkeitszauber  getrieben.  Die  von  impotenten  Mä nnern 
angewendeten  Mittel  stellen  O.  v.  Hovorka  und  A.  Kronfeld, 
Vergleichende  Volksmedizin  II  163  ff.  zusammen,  aber  z.  T.  sind 
die  hier  beschriebenen  Kuren  Überbleibsel  aus  überwundenen 
Epochen  der  Heilkunde  und  haben  mit  Zauberei  und  Religion  nichts 
zu  tun.  Dagegen  gehören  in  dies  Gebiet  fast  alle  die  von  un- 
fruchtbaren Frauen  vorgenommenen  Maßregeln,  die  sich  aus 
vielen  der  von  Saintyves  in  dem  Buch  Les  Vierges  M6res  (s.  o.) 
gelegentlich  erwähnten  Vorstellungen  erschließen  lassen  und  teil- 
weise schon  vom  Vf.  erschlossen  sind ;  zwar  sind  die  Sammlungen 


ZeuguDgs-  und  Entbindungszauber.  231 

2U  unvollständig  und  ihre  Behandlung  nicht  eindringlich  genug,  um 
im  ganzen  als  abschließend  oder  auch  nur  als  wesentlich  fördernd 
bezeichnet  werden  zu  können,  das  schließt  aber  nicht  aus,  daß 
einzelne  Abschnitte,  z.  B.  über  die  Befruchtung  durch  den  Genuß 
von  Früchten  (71  ff.)>  durch  Mondschein  (176),  durch  Schlafen  im 
Tempel  (224)  und  andere,  auf  die  in  diesem  Bericht  gelegentlich 
hingewiesen  werden  wird,  auch  dem  Erforscher  der  antiken  Reli- 
gionen unter  Umständen  Anregung  bieten  können. 

Den  „Schlag  mit  der  Lehensrute'' ^  der,  wie  schon  o.  {186) 
bemerkt  ist,  auch  in  der  Berichtsperiode  verschiedenartige  Deu- 
tungen erfahren  hat,  erklärt  Giemen,  Arch.  f,  Religionswiss.  XVIII, 
1915,  147,  der  ähnlichen  noch  jetzt  geübten  Zauber  anführt,  als 
Fruchtbarkeitszauber:  man  wollte,  wie  er  meint,  durch  ihn  der 
vielleicht  auf  die  Geschlechtsteile  geschlagenen  Frau  die  Frucht- 
barkeit der  dabei  verwendeten  frischen  BLrkenrute  oder  der  immer- 
grünen 8techeiche  mitteilen.  —  Mit  dem  Luperealiengebrauch  ver- 
gleicht Saintyves,  Vierges  Meres  217  den  von  Herod.  II  42 
a.  E.  den  Ammonpriestern  zugeschriebenen  Gebrauch  mit  Unrecht; 
daß  es  sich  in  Ägypten  um  einen  Fruchtbarkeitszauber  handelt,  ist 
zweifelhaft,  und  xiTiTOvraL  lov  v.qlov  bedeutet  nicht,  daß  die  Priester 
sich  „schlagen",  weil  der  Widder  tot  ist,  sondern  nur,  daß  sie  ihn 
„beklagen",  —  Über  die  Bedeutung  des  Salzes  im  Befruchtungs- 
aauber  und  die  seltsame  Vorstellung,  daß  im  Salz  Manneskraft  liege, 
8.  E.  Hartmann,  Arch.  f.  Religionswiss.  XV,  1912,  142.  —  Über 
den  weit  verbreiteten  Aberglauben ,  daß  die  Zeugungskraft  durch 
Meihen  oder  Sitzen  auf  bestimmten  Felsen  gestärkt  und  die 
Empfängnis  gefördert  werden  könne,  s.  Arch.  f.  Religionswiss.  XV, 
1912,  866  ff. ,  wo  auch  einige  andere  Arten  des  Fruchtbarkeits- 
zaubers erwähnt  sind;  noch  jetzt  knüpfen  sich,  wie  S.  Rein  ach, 
Cultes,  mythes,  rel.  III  405  f.  hervorhebt,  an  die  Menhirs  Gebräuche, 
welche  die   Kindererzeugung  herbeiführen  oder  begünstigen  sollen. 

Wie  die  Zeugung  bietet  auch. 

J)  die  Geburt 

Anlaß  zu  Zauberei  und  Gottesdienst.  Viele  dieser  Gebräuche  sind  in 
dem  bereits  o.  {225)  erwähnten  Buch  Samters,  „Geburt,  Hochzeit, 
Tod"  gesammelt  und  besprochen.  —  Über  die  Vorstellung,  daß 
die  Entbindung  verunreinige,  s.  Wächter,  Reinheitsvorschr.  (RV  u. 
V,  IX.  I.  U)10)  25  ff.  —  Die  „Couvade"  erklärt  R.Hertz,  Rev. 
^st.  rel.  LXIl,  1910^,  22«  f.  aus  dem  Glauben  an  einen  mystischen 
Zusammenhang  zwischen  Vater  und  Kind;  gewöhnlich  wird  sie  als 


232  Zauber  bei  Geburt.    Namongebung. 

ein  Versuch  betrachtet,  die  Dämonen  zu  täuschen  und  von  der 
gefährdeten  Mutter  auf  den  Vater  abzulenken,  dem  sie  nichts  an- 
haben können.  —  Bisweilen  werden  kreisende  Frauen  (Gerhard, 
Arch.  f.  Religionswiss.  XVII,  1914,  3:i3,  675),  häufiger  die  ge- 
borenen Kinder  (Samter,  Berl.  Arch.  Gesellsch.  Juni  1908  = 
Arch.  Anz.  XXIII,  10it9,  522,  der  z.  T.  im  Anschluß  an  Dieterich 
seine  früheren  Ansichten  umändert)  auf  die  Erde  gelegt.  —  Über 
die  Feier  der  Wiederkehr  des  Geburtstages  handelt  W.  Schmidt, 
Geburtstag  im  Altertum  RV  u.  V,  VII  2,  19Ü8,  in  der  Weise,  daß 
zuerst  die  Geburtstagsfeier  von  Privaten,  dann  die  der  Fürsten  und 
Städte,  endlich  die  der  Götter  besprochen  wird;  jeder  dieser  Ab- 
schnitte beschäftigt  sich  zuerst  mit  griechischen ,  dann  mit  römi- 
schen Vorstellungen.  Nachträge  zu  den  yertaia  (37  £F.)  bietet 
Marmorstein,  Arch.  f.  Religionswiss.  XIII,  1910,  630  ff. ,  zu 
den  Städtegeburtstagen  (83)  H.  Blümner,  Berl.  phil.  Wochenschr. 
XXIX,  1909,  1382.  —  Nach  Pfister,  Reliquienkult  RV  u.  V, 
V  II,  1912,  530  entsteht  die  Geburtstagsfeier  aus  dem  Glauben, 
daß  in  jedem  Menschen  ein  Dämon  wohnt;  der  Dämon  besonders 
hervorragender  Menschen  wird  daher  folgerichtig  in  öffentlichen 
Geburtstagsfeiern  oder  sogar  in  eigentlichem  Götterkult  verehrt. 

Wahrscheinlich  am  7.  Tage  nach  der  Geburt  wurden  die 
Amphi dromia  begangen,  über  die  auch  in  der  Berichtsperiode 
viel  verhandelt  ist.  S.  Rein  ach  hatte  unter  Vergleichung  eines 
esthnischen  Gebrauches  als  Zweck  des  Umlaufes  um  den  Altar  und 
um  das  (auf  ihm  liegende?)  Kind  bezeichnet,  dieses  schnellfüßig 
zu  machen.  Deubner  bei  Hastings  s.  Amphidr.  II  648,  ent- 
scheidet sich  für  Samters  Eiklärung,  daß  das  Kind  unter  den 
Schutz  der  Herdgottheit  gestellt  werden  sollte.  —  Auch  Vürt- 
beim,  Mnemos.  XXXIV,  1906,  73  ff.  zieht  die  esthnische  Sitte 
heran ,  und  glaubt  einen  Zusammenhang  mit  dem  Heros  Amphi- 
dromos  herstellen  zu  können.  —  Svoronos,  Athen.  National- 
Mus.  I  445  sieht  in  der  Umwandelung  des  Altars  (durch  die  Braut) 
und  den  Säugling  eine  symbolische  Besitzergreifung. —  Gruppe, 
Berl.  Phil.  Wochenschr.  XXVI,  1906,  1137  macht  auf  die  sonder- 
barerweise übersehene  Stelle  bei  Plat  (JeaiT.  160®  aufmerksam, 
aus  der  sich  ergibt,  daß  die  Athener  der  Blütezeit  den  Ritus  als 
ein  Gottesurteil  darüber  auffaßten,  ob  das  Kind  am  Leben  bleiben 
solle.  Vgl.  Berthold,  Die  Unverwundbark.  in  Sage  u.  Abergl. 
d.  Griech.  RV  u.  V   XI,  1,  3:.  ff. 

War  das  Kind  zum  Leben  bestimmt,  so  mußte  es  auch  einen 
Namen  erhalten.     Auch  dieser,    der  mit  seinem  Träger  in  einem 


Namengebung.  23S 

mystischen  Zusammenhang  zu  stehen  schien  {o.  167)  •,  war  oft 
durch  religiöse  Gründe  bestimmt.  Ein  großer  Teil  der  griechischen 
Personennamen  enthielt  namentlich  in  hellenistischer  und  noch  mehr 
in  römischer  Zeit  als  einen  Bestandteil  einen  Gottesnamen.  Ein 
reichhaltiges  Verzeichnis  dieser  Benennungen  stellt  Ernst  Sittig, 
De  Graecorum  nominibus  theophoris,  Diss.,  Halle  1911  nach  den 
Göttern  geordnet ,  zusammen.  Er  hält  diese  Namen  für  urindo- 
germanisch .  weil  sich  ähnlich  gebildete  bei  Indern ,  Persern  und 
Kelten  finden ;  aber  da  diese  Namen  bei  Homer  fast  ganz  fehlen 
und  im  späteren  Altertum  sich  mit  zunehmender  Schnelligkeit 
mehren,  so  haben  die  ungeteilten  Indogermanen,  von  deren  Göttern 
wir  nichts  wissen,  solche  Namen  wahrscheinlich  nicht  gekannt; 
erst  von  Vorderasien  aus  werden  sie  sich  nach  Osten  und  nach. 
Westen  verbreitet  haben.  Freilich  war  die  Bildung  hier,  ent- 
sprechend den  allgemeinen  Gesetzen  über  die  Namenbildung,  z.  T. 
anders  als  bei  Griechen  und  Indern :  der  Name  war  oft  ein  ganzer 
Satz.  Später  scheinen  die  Griechen,  namentlich  in  Ägypten,  solche 
Bildungen  nachgeahmt  zu  haben:  ein  Name  wie  Geoadi-tfuiov  ist 
vielleicht  mit  Schöne,  Griech.  Personennamen  (s.  u.  233)  S.  25  als 
«Ig  i^Eog  "^i^(.iü)v  zu  erklären.  So  lange  das  ererbte  Sprachgefühl 
lebendig  war,  trat  bei  den  Griechen  wie  bei  andern  indogermanischen 
Völkern  für  den  Satz  das  zusammengesetzte,  dann  freilich  oft  ver- 
kürzte Nomen  ein.  Der  erstbezeugte  griechische  Name  dieser  Art 
ist  Herakles  (vgl.  Pauly-Wissowa-Kroll,  ß.-E.  Suppl.  I,  1098,  50  ff.), 
welcher  der  Blütezeit  der  argivischen  Kultur  angehört.  Doch  hatte 
es  schon  vorher  anders  gebildete  Namen  von  gleichfalls  religiöser 
Bedeutung  gegeben,  auf  die  Sittig  zum  Schaden  seiner  Untersuchung 
nicht  eingegangen  ist.  Namentlich  die  Fürsten  legten  ihren  Kindern 
gern  Namen  bei,  die  an  irgend  einen  Gegenstand  ihres  Geschlechts- 
kultus oder  an  ein  Ereignis  in  seiner  Legende  erinnerte.  Oft 
werden  Menschen  nach  Eigenschaften ,  Taten  oder  Abzeichen  der 
Götter,  z.  B.  nach  heiligen  Tieren  oder  Pflanzen  genannt,  und  daß 
auch  später  noch  die  Einsicht  in  die  Bedeutung  dieser  Namen 
nicht  ganz  verschwunden  war,  zeigen  Doppelbezeichnungen  wie  die 
des  ßaoikfKcg  ygaf-i/jaxecg  Harpokration  6  xat  ^Itga^,  der  nach  dem 
Sperber  des  Horos-Harpokrates  heißt. 

Zweigliedrige  Namen  dieser  Art  konnten  variiert  werden,  indem 
die  Bestandteile  der  Zusammensetzung  mit  solchen  anderer  zu- 
sammengesetzter Namen  vertauscht  wurden ;  ganz  freie  Bildungen 
kamen  zwar  vor,  waren  aber  m.  E.  nicht  beliebt,  weil  sie  (wie  die 
heute    in    der   angelsächsischen  Welt   herrschende  Wülkür   in   den 


234  Namengebung. 

Voruamen)  den  Eigennamen  nicht  als  solchen  kenntlich  erscheinen 
läßt.    Deshalb  sind  Bildungen  vfie'^Qiaroinißldag,  ELim^lldr^g  usw. 
(Sittig  S.   7)  kein  Beweis   dafür,    daß  'E7riiiti^Xiöt;g    nicht   mit   dem 
Hermes  'En:t^tjXiog  zusammenhänge ,    sondern    umgekehrt  enthalten 
noch  jene  frei  gebildeten  Namen  einen  Nachklang  des  Gottosnamens. 
Nicht  allein  die  Zahl  der  religiösen  Namen  ist  weit  größer  als  sich 
aus  Sittigs  Sammlungen    ergibt,    sondern    selbst  die   der   eigentlich 
theophoren  Benennungen.    Diese  waren  zwar  später  abgeblaßt  und 
wurden    oft   ohne    individuelle  Beziehung   beigelegt;    oft   aber   muß 
man  sich  ihres  ursprünglich  religiösen  Sinnes  noch  erinnert  haben, 
denn    es    werden    im    allgemeinen    die    Gottheiten    bevorzugt,    die 
irgendwie  mit  Zeugung   und    Geburt    oder   deren  Verkündigung   in 
Beziehung  gebracht  werden  konnten.    Die  religiöse  Bedeutung  der 
griechischen  Personennamen    scheint   mir   daher   von  Sittig   unter- 
schätzt; namentlich  hätte  er,  wie  Pfister,  Wochenschr.  f.  klass. 
Phil.  XXVIII,  1911,  S.  1108  ff.  m.  K.  hervorhebt,   mehr  auf  die 
Beziehung  der  Namen   zu   den    örtlichen  Kulten    achten   sollen.  — 
Die  theophoren  Namen,    die  ein  Kind  als  Geschenk  einer  Gottheit 
bezeichnen,    sammelt  W.  Fröhner,    Arch.    f.   ßeligionswiss.  XV, 
1912,    380  ff.      Begreiflicherweise    sind   die   Flußgötter    verhältnis- 
mäßig reichlich  vertreten,  weU  man  vom  Bad  Kindersegen  erwartete 
(o.  230) ;  dagegen  fehlen  Ares  und,  was  zunächst  befremdet,  Demeter, 
Aphrodite,    die   Musen,    Hören   und    Charites.     Für   Demeter   und 
Aphrodite,  die  überhaupt  wenig  theophore  Vollnamen  bilden,  erkannte 
schon    Sittig    a.  a.  0.    21    den    Grund    darin,    daß    ihre    Namen 
als    Zusammensetzungen     empfunden     wurden.       Statt     ungefüger 
Bildungen    wie  'AqQoduodwQoq  oder   zJrjjurjtQodtoQog   wendete    man. 
'Eycaq'QoöiTog   oder  ^r^f.njiQiog   an.    —    Jacobsohn,   Zeitschr.  f. 
vergl.  Sprachf.  XLIII,  1909,  46  f.  macht  darauf  aufmerksam,    daß 
außer  Achilleus,  Eteoneus,  Guneus,  Idomeneus,  Leonteus,  Monestheus, 
Nireus,  Odysseus,  Othryoneus,  Phegeus    die  Helden   der   troischen 
Epen,  deren  Name    auf  evg  endigt,    einer  früheren  Generation   an- 
gehören ;    er  folgert  daraus,    daß    diese  Namenbildung  in    der  Zeit, 
da  die  Sage    gebildet   wurde ,    bereits    im  Absterben  begriffen  war. 
In  der  Tat  ist  ein  großer  Teil  dieser  Namen  aus  dem  Griechischen 
nicht  deutbar  und  manche,  die  es  zu  sein  scheinen,  können  volks- 
etymologisch aus  vorgriechischen  Namen  zurechtgeformt  sein;  aber 
das  gilt  auch  von  den  Namen  anderer  Bildung,  und  der  statistische 
Unterschied    ist  wohl  nicht  groß  genug,    um  jene  Folgerung  zuzi- 
lassen.  —  Fick,  ebd.  XLIV,   1911,  150  ff.  glaubt,  daß  viele  dieser 
Namen  Ethnika   sind   wie   Nrfkevg^  nrjXevg,   Tvöevg,    deren  Städte 


Namengebung.  —  Bestattung  und  Totenkult.  235 

i.af  eia  endigen  und  Kargevg,  ^aX^cüvevg,  denen  Stadtnamen  auf  tj 
entsprechen.  Hierbei  ist  vorausgesetzt,  was  nicht  bewiesen  werden 
kann,  daß  nicht  Held  und  Stadt  nach  derselben  Gottheit  heißen 
oder  wenigstens  den  Namen  aus  demselben  Kult  empfingen.  — 
J.  Schöne,  Griech.  Personennamen  als  religionsgeschichtliche 
Quelle,  Düsseldorf,  Progr.  1906  will  aus  den  in  hellenistischer  und 
römischer  Zeit  häufigen  Doppelnamen,  namentlich  den  ägyptischen 
gewisse  Ausgleichungen  griechischer  und  barbarischer  Götter  folgern. 
—  Auch  andere  Arbeiten  über  die  antiken  Namen  enthalten  ge- 
legentlich Vermutungen  über  deren  religiöse  Bedeutung;  ein  Ver- 
zeichnis gibt  Sittig  S.  6.  —  Seitdem  erschien  Fr.  Bechtel,  Die 
historischen  Personennamen  des  Griechischen  bis  zur  Kaiserzeit, 
Halle  1917,  in  dem  die  bekannten,  in  Bechtels  früheren  Werken 
niedergelegten  Untersuchungen  wiederholt  und  zugleich  weiter  ge- 
fahrt  werden.  Da  die  Götter-  und  auch,  soweit  sie  nicht  zugleich 
auch  später  im  Leben  üblich  waren  oder  wenigstens  mit  anderen 
ihrer  Bildung  nach  verglichen  werden  können,  die  Heroennamen 
fortgelassen  sind,  bietet  auch  dies  umfangreiche  Buch  für  die  Er- 
forschung der  griechischen  Religion  nur  gelegentlich  Neues. 

Die  Kinder  wurden  in  Attika  am  dritten  Tag  des  Apaturien- 
festes  im  Monat  Pyanopsion  in  die  Phratrie  aufgenommen.  Da  die 
gewöhnlich  zur  Erklärung  des  Festnamens  angesetzte  Form  'Ana- 
toqJ-ia  nur  im  Ionischen  möglich  ist,  leitet  Ehrlich,  Zeitschr. 
f.  vergl.  Sprachforsch.  XXXIX,  1906,  560  die  attische  Form  von 
einem  Nominativ  aTtaTcoQa  ab.  Diese  Annahme  ist  nicht  nötig; 
das  Fest  kann  aus  lonien  oder  aus  Troizen  nach  Athen  übertragen 
sein.  Dafür  spricht  auch  der  hauchlose  Anlaut,  der  durch  die 
attische  Apaturienlegende  verbürgt  ist.  —  Nach  Ledl,  Wien.  Stud. 
XXIX,  1907,  202  wurde  bei  der  Einführung  der  Knaben,  die  in 
den  ersten  Lebensjahren  stattfand ,  das  „geringere"  Opfer  (lueiov} 
dargebracht,  das  „Haarschneideopfer"  xoiQeiov  erfolgte  erst  in  vor- 
gerückteren Jahren, 

f)  Bestattung  und  Totenkult. 

Eine  wissenschaftliche  Bearbeitung  der  antiken  Gebräuche  bei 
der  Beisetzung  und  Verehrung  der  Toten  ist  in  der  Berichtperiode 
nicht  erschienen;  eine  kurze  Zusammenfassung  der  Hauptzeugnisse 
gibt  Sergi  in  Hastings  Encycl.  of  Relig.  and  Eth.  III  472  ff,  — 
Mehrere  neuere  Untersuchungen  über  homerische  Bestattungs- 
gebräuche hatD.  Mülder  (o.  CLXI,  1913,  i5^>  besprochen ;  über 
Chudzinski,    Tod    und    Totenkultus    bei    den    alten    Griechen, 


236  Bestattung  und  Totenkult. 

GymnasialbibliotJi. ,  herausgegeben  von  H.  Hoffmann  XLIV,  1907, 
s.  Stengel,  Berl.  Phil.  Wochenschr.  XXVIII,  1908,  404  ff.  — 
Über  die  Verbindung  von  Gräbern  und  Quellen  handelt  L.  P ar- 
men ti  er,  Acad.  Belg.,  Bull,  de  la  cl.  des  lettr.  1914,  358  im  An- 
schluß an  das,  wie  er  meint,  von  Plat.  OalÖQog  47,  S.  264"*  er- 
fundene Grabgedicht  auf  Midas.  —  Viel  ist  über  die  Frage  nach 
dem  Verhältnis  zwischen  Begraben  und  Verbrennen  geschrieben 
worden.  Während  die  antike  Altertumsforschung,  soweit  sie  sich 
mit  der  Frage  befaßte ,  aus  Resten  namentlich  im  römischen  Be- 
stattungswesen das  höhere  Alter  des  Begrabens  gefolgert  zu  haben 
scheint,  das  die  Ausgrabungen  jetzt  bestätigen,  werden  bei  Homer 
die  Toten  verbrannt.  So  lange  der  Glaube  an  das  hohe  Alter  der 
bei  Homer  überlieferten  Kultur  nicht  erschüttert  war  und  diese 
noch  im  ganzen  der  „mj-kenischen"  gleichgesetzt  wurde,  suchte 
man  natüi-lich  den  Unterschied  zwischen  dem  Dichterwort  und  den 
Fundtatsachen  möglichst  zu  verwischen.  Eine  Möglichkeit  dazu 
schien  der  Umstand  zu  eröffnen,  daß  die  Leichen  in  den  mykeni- 
schen  Gräbern  durch  Erhitzung  gedörrt  zu  sein  schienen.  Wie 
Dörpfeld  sucht  auch  Z  ehetmaier,  Leichenverbrennung  und 
Leichenbestattung  im  alten  Hellas,  Leipzig  1907  zu  erweisen,  daß  in 
beiden  Kulturen  beide  Arten  der  Bestattung  nebeneinander  und  zwar 
auch  kumulativ  geübt  wurden.  Toqxvblv  ■=■  TctqiiEiEiv  soll  „dörren'* 
heißen ,  dieses  kann  auch  durch  Anbrennen  erwirkt  werden ,  also 
sind  nach  Zehetmaier  in  der  mykenisch-homerischen  Zeit  die  Leichen 
nur  angesengt  worden,  damit  sie  widerstandsfähiger  würden.  Damit 
wird  der  homerischen  Beschreibung  Gewalt  angetan,  und  E.  Pfuhl, 
Gott.  Gel.  Anz.  1907,  669  wendet  dagegen  ein,  daß  tagxveiv  ur- 
sprünglich „einbalsamieren",  aber  in  der  Ilias  (vgl.  JI  456)  über- 
haupt „feierlich  bestatten"  bedeutet.  —  Deshalb  schließt  Schrader, 
in  einem  Vortrag  über  Begraben  und  Verbrennen,  der  in  der  Festschr^ 
der  Schles.  Ges.  f.  Volksk.  (=  Mitteil.  XIII/XIV)  abgedruckt  ist, 
(S.  467)  aus  dem  homerischen  Worte  toqxvbiv  nur,  daß  zwischen 
der  mykenischen  und  der  homerischen  Kultur  keine  starke  Volks- 
nmwälzung  stattgefunden  haben  könne ,  da  Homer  für  „bestatten" 
ein  Wort  verwende,  das  nicht  für  die  Sitte  seiner  Zeit,  wohl  aber 
für  die  der  mykenischen  passe.  —  Der  ursprüngliche  Zweck  der 
Verbrennung  war  nach  Schrader,  Mitt.  d.  Schles.  Ges.  f.  Volksk. 
XII,  1910,  64  f.  „die  bis  dahin  auch  nach  dem  Tode  am  Körper 
haftend  gedachte  Seele  aus  ihrer  Haft  zu  befreien  und  durch  den 
Bauch  der  Flamme  einem  fernen  Totenreich  zuzuführen".  — 
J.  de  Mot,  La  cremation  et  le  sejour  des  morts  chez  les  Grecs, 


iJestattiing  und  Totonkult.  237 

Mem.  de  la  soc.  d'anthrop.  de  Bruxelles  XXVII,  1908,  no.  (j  meint, 
die  in  der  „my kenischen"  Zeit  noch  unbekannte  Leichenverbrennung 
sei  in  der  Zeit  der  dorischen  Wanderung  allgemein  üblich  geworden, 
init  Ausnahme  der  Kinder,  die  man,  wie  schon  Dieterich  annahm, 
beerdigt  habe,  damit  sie  von  der  Mutter  Erde  neu  geboren  werden 
könnten.  —  In  Italien  scheint  die  Sitte  des  Begrabens  älter  zu 
sein  als  die  der  Verbrennung,  da  man  später  auch,  wo  diese  voll- 
zogen   wurde ,    zur    Erinnerung    an    den    ursprünglichen    Gebrauch 

■  wenigstens  einen  Körperteil  beerdigte.  Das  Grab  soll ,  wie  mehr- 
fach auch  in  neuerer  Zeit  angenommen  wird,  ursprünglich  im  oder 
wenigstens  beim  Hause  gelegen  haben;  daraus  erklärt  Marbury 
B.  Ogle,  Proc.  Am.  Philol.  Assoc.  XL,  1908,  S.  LXVI  flf.  die 
Vorstellung,  daß  die  Toten  in  der  Nähe  der  Tür  weilen,  und  die 
sich  daraus  ergebende  von  der  Heiligkeit  der  Tür.  —  Pascal, 
Symbolae  litterariae  in  honorem  Julii  de  Petra  1911,  S.  228  ff.  bringt 
mit  der  alten  Sitte  des  Grabes  im  Hause ,  wo  man  auf  den  Toten 
herumtrat,  die  Formel  „Sit  tibi  terra  levis"  in  Verbindung.  — 
Daß  noch  in  homerischer  Zeit  das  Verbrennen  nicht  allgemein 
üblich  war,  setzt  voraus  oder  sucht  zu  erweisen  M.  Mayer,  „Zu 
homerischen  Bestattungsgebräuchen",  Berl.  Phil.  Wochenschr.  XXIX, 
1909 ,  153 ,  indem  er  H  410  vorschlägt  ßtlzeQOv  st  x£  (überlief. 
yiyvBT  e.7tei  ae)  i^dvwai,  nvQag  (überlief,  nvgög)  (usiXiGGEfjev  (d.h. 
„mit  Honig  versetzen")  io/.a.  —  Andere  Schriften  über  homerische 
Bestattungsgebräuche  hat  D.  Mulde r  in  diesen  Jahresber.  {CLXIy 
1913,  132  ff .^  besprochen.  —  Ridgeway,  der  die  „pelasgische"  in 

■  Kreta  und  Mykene  ausgegrabene  Kultur  von  der  achaiischen  sondert, 
schreibt  jener  die  Beerdigung,  dieser  die  Verbrennung  der  Leichen 

'IM  (Early  Age  of  Greece,  Bd.  I,  Ch.  VII) ;  und  da  ein  Volk,  das 
eine  lange  Zeit  der  Wanderung  durchgemacht  haben  muß ,  darauf 
verfallen  konnte,  die  Leichen  zu  verbrennen  und  die  Aschenreste 
mitzunehmen ,  so  hat  diese  naheliegende ,  auch  früher  schon  ge- 
äußerte Vermutung  vielen  Anklang  gefunden.  So  hält  z.B.  Law- 
son.  Modern  Greek  Folklore  and  ancient  Greek  Relig.,  der  485  ff. 
das  Problem  ausfüiu-lich  behandelt,  Ridgeways  Schlußfolgerungen 
(491)  für  bündig  und  glaubt  auf  sie  weitere  Vermutungen  über  die 
Jenseitsvorstellungen  beider  Völker  gründen  zu  können ,    wobei  er 

'aber  die  innere  Wahrscheinlichkeit  seiner  Voraussetzung  durch  die 
Vermutung  abschwächt,  die  Neuerung  habe  den  Zweck  gehabt,  den 
Körper  der  Seele  in  das  Paradies  nachzuschicken  und  dadurch  die 
Wiedervereinigung  beider  zu  ermöglichen.  Ähnlich  wie  Eidgeway 
Tersucht  gegen  Dörpfeld  Rouge,  Neue  Jahrb.  XXV,  1910,  385  ff. 


238  Bestattung  und  Totenkult. 

den  Nachweis,  daß  die  vorgriechische  Bevölkerung  Beerdigung,  die 
eindringenden  Griechen  aber  Verbrennung  kannten  und  daß  daher 
der  Adel,  das  eingedrungene  Herrenvolk,  an  der  Verbrennung  fest- 
hielt. Auch  Fred.  Poulsen,  Der  Orient  u.  die  frühgriech.  Kunst 
181  verwirft  die  Annahme,  daß  die  mykenische  und  die  homerische 
Bestattung  gleich  gewesen  seien.  Dörpfeld  hat  ebd.  XXIX» 
1912 ,  1  ff.  seine  Ansicht  gegen  diese  Angriffe  mit  Gründen  zu 
stützen  versucht,  die  nur  dann  Überzeugungskraft  hätten,  wenn 
seine  Ansichten  über  das  Verhältnis  der  mykenischen  zu  der 
homerischen  Kultur  überhaupt  sicher  ständen.  —  Vollständig  ist 
die  Frage,  ob  auch  schon  die  vorgriechische  Bevölkerung  ihre  Toten 
verbrannte ,  noch  nicht  entschieden ,  aber  obwohl  noch  einige  Be- 
denken übrig  bleiben ,  gewinnt  die  Überzeugung  immer  mehr  An- 
hänger, daß  die  vorgriechische  Bevölkerung  der  Balkanhalbinsel  die 
Toten  in  der  Erde  barg,  und  daß  die  Reicheren  sich  Kuppelgräber 
oder  wenigstens,  wie  es  in  Makedonien  (0.  Rubensohn,  Bull. 
SOG.  arch.  n.  s.  III,  1910,  84  ff.)  und  in  Etrurien  auch  später 
üblich  war,  Grabkammern  bauen  ließen.  Daß  das  Ansengen  der 
Leichen,  das  man  beobachtet  zu  haben  glaubt,  die  Verwesung 
hintan  halten  sollte,  scheint  mir  zweifelhaft;  man  konnte  diesen 
Zweck  auch  durch  andere  Mittel,  z.  B.  durch  Honig,  wie  es  wahr- 
scheinlich von  Babylonien  aus ,  früh  auch  in  Griechenland  üblich 
war,  erreichen.  —  Die  Einschließung  der  Leiche  in  einem  unter- 
irdischen Räume  konnte  einen  doppelten  Zweck  haben:  einerseits 
konnte  der  Tote  geehrt  und  ihm  eine  behagliche  Stätte  für  die 
Ewigkeit  bereitet  werden,  andererseits  wurde  er  dadurch  verhindert, 
auf  die  Oberwelt  zurückzukehren  und  den  Menschen  zu  schaden. 
Dieser  zweite  Zweck  wird  von  vielen  Forschern ,  z.  B.  von 
0.  Sehr  ad  er  a.  a.  0.  S.  64,  auch  für  die  Leichenverbrennung 
vorausgesetzt.  Welche  dieser  beiden  Vorstellungen,  die  natürlich 
nebeneinander  bestehen  konnten  und  auch  wirklich  bestanden  haben, 
die  ältere  ist,  läßt  sich  bisher  nicht  feststellen,  und  vielleicht  ißt 
die  Frage  nicht  richtig  gestellt.  Daß  man  den  Toten  wie  den  Tod 
als  etwas  Unheimliches  ansah  und  den  Anblick  der  Leiche,  die  dem 
Menschen  vor  Augen  stellt ,  was  er  selbst  einst  werden  muß, 
fürchtete  und  mied,  lag  zwar  nahe;  auch  mußte  man  früh  auf  die 
gesundheitgeiährlichen  Wirkungen  aufmerksam  werden ,  die  von 
einer  unbeerdigten  Leiche  ausgehen  können.  Diese  Vorstellungen 
haben  den  im  späteren  Altertum  herrschenden,  von  Wächter, 
ßeinheitsvorschriften  (RV  u.  V  IX.  I,  1910J,  S.  43  ff  behandelten 
Aberglauben  hervorgerufen,  daß  der  Tote  und  vieles,  was  mit  ihm 


Bestattung  und  Totenkult.  239 

in  Beziehung  gesetzt  wird,  verunreinige.  Schon  die  Nachricht  vom 
Tode  eines  Freundes  oder  Verwandten  konnte  Unreinheit  bewirken; 
das  Erwachen  vom  Scheintode,  das  Wiedererscheinen  eines  Ver- 
schollenen, selbst  —  wofür  Kohler,  Arch.  f.  Reli<.'ionswi88.  XIII, 
1910,  79  ff.  Parallelen  aus  dem  semitischen  Kulturkreis  beibringt  — 
die  Rückkehr  nach  langer  Reise  mußten  an  manchen  Orten  durch 
einen  Wiedergeburtsritus  geführt  werden.  Allein  die  diesen  Rein- 
heitsvorschriften und  Riten  zugrundeliegende  Anschauung  ist  viel- 
leicht in  den  Jahrhunderten  aufgekommen  oder  wenigstens  aus- 
gebildet worden,  die  zwischen  der  Blütezeit  der  altkretischen  und 
der  von  Homer  geschilderten  Kultur  angenommen  werden  müssen. 
In  ihnen  sind  viele  Höhlen ,  in  denen  Regenzauber  geübt  wurde, 
und  alte  Blitzgräber  als  Unterweltseingänge  gedeutet  worden ,  und 
den  aus  ihnen ,  wie  man  glaubte ,  emporstrebenden  Unterirdischen 
wurden  manche  der  üblen  Wirkungen  zugeschrieben ,  gegen  die 
man  früher  meist  andere  übernatürliche  Mächte  angerufen  hatte. 
Vielleicht  stammt  erst  aus  dieser  Zeit  das  Bestreben,  dem  Toten- 
geist die  Rückkehr  auf  die  Erde  unmöglich  zu  machen. 

Diese  Auffassung  scheint  auch  durch  die  den  Toten  ins  Grab 
mitgegebenen  Gaben  bestätigt  zu  werden.  Die  Eier,  die  sich  so 
oft  in  alten  Gräbern  finden,  sollen  nach  Nilsson,  Arch.  f.  Re- 
ügionswiss.  XI,  1908,  530  ff.  dem  Toten  die  in  ihnen  verkörpert 
gedachte  Lebenskraft  mitteüen  oder  erneuern,  deren  er  so  dringend 
bedarf.  Sehr  bezeichnend  sind  jedenfalls  die  nackten  Frauen- 
gestalten, die  sich,  wie  W.  A.  Müller,  Nacktheit  und  Ent- 
blößung, ausführt,  wie  in  ägyptischen  (25)  und  andern  orientalischen 
so  auch  in  vor-  und  frühgriechischen  (62)  Gräbern,  und  zwar  noch 
zusammen  mit  Vasen  des  geometrischen  Stils  (77)  gefunden  haben. 
Vgl.  über  die  nackte,  oft  die  Brüste  pressende  Göttin  der  alt- 
kretischen und  der  hetitischen  Kunst  H.  Prinz,  Ath.  Mitt.  XXXV, 
1910,  154,  169  f.  —  Mögen  diese  Figuren  auch  typengeschichtlich 
von  den  sogenannten  Ishtarbildem  zu  trennen  und  mit  S.  Reinach, 
Evans  u.  a.  zu  der  in  ganz  Europa  verbreiteten  vorgeschichtlichen 
Plastik  zu  stellen  sein,  so  kann  doch  darüber  kaum  ein  Zweifel 
aufkommen,  daß  sie  dazu  beitragen  sollten,  dem  Toten  sein  Grab 
behaglich  zu  machen,  nachdem  man  ihm  —  etwa  durch  einen 
Zauberspruch  —  vermeintlich  Leben  eingeflößt  hatte.  —  Eine 
andere  Vorstellung  scheint  freilich  die  namentlich  bei  Ausgrabungen 
in  Gallien  öfters  beobachtete  Tatsache  zu  verraten,  daß  die  den 
Toten  mitgegebenen  Gegenstände,  z.  B.  Schwerter,  worauf  S.  R  e  i  n  ac  h , 
Cultes,  myth.  rel.  III  151  ff.  auch  Polyb.  II  33  bezieht,  und  Krüge 


240  Bestattung  und  Totenkult. 

(vgl.  Prop.  V  [IV]  7,  34)  zerbrochen  sind.  Eeinach  schließt 
daraus ,  daß  diese  Gegenstände  dem  Toten  nicht  zum  Gebrauch 
dieuen,  sondern  als  Tabu  außer  Gebrauch  gesetzt  werden  sollten 
und  zugleich  deshalb  als  passende  Toteugaben  erschienen,  weil 
dem  gebrochenen  Menschen  die  gebrochene  Sache  entsprach.  Wenn 
diese  Auffassung  wirklich  einmal  bestanden  hat,  so  ist  in  ihr 
schwerlich  mehr  zu  sehen  als  eine  durch  unbekannte  Umstände 
veranlaßte  Umänderung  der  Sitte,  die  eine  Umformung  auch  der 
zugrunde  liegenden  Idee  herbeigeführt  hat. 

Denn  obwohl  nie  ganz  erloschen,  ist  doch  die  Vorstellung, 
daß  der  Tote  die  ihm  mitgegebenen  Sachen  benutzen  könne,  später 
von  geringer  Bedeutung  gewesen.  Das,  womit  man  in  geschicht- 
licher Zeit  die  Leiche  und  das  Grab  schmückte,  hat  nur  noch 
wenig  Beziehung  zu  jener  alten  Vorstellung.  Es  wird  mehr  oder 
weniger  zum  Kunstwerk  und  erhält  als  solches  symbolische  Kraft, 
d.  h.  es  erregt  Gefühle  beim  Beschauer,  die  über  das  unmittelbar 
von  ihm  Geschaute  hinausgehen.  Dem  entspricht  es,  daß  es  mehr 
sichtbar  gemacht  wird.  Schöner  als  die  Leiche  wird  der  Sarkophag 
oder  die  Urne  geschmückt,  welche  die  Reste  aufnimmt,  oder  das 
Grabmal,  in  dem  sie  beigesetzt  werden.  Dem  Toten  selbst  wurde 
in  der  Blütezeit  im  ganzen  wohl  nicht  mehr  mitgegeben  als  der 
natürliche  "Wunsch,  keine  unschönen  Vorstellungen  mit  dem  lieben 
Entschlafenen  zu  verbinden,  auch  heute  natürlich  erscheinen  läßt. 
Über  den  Totenkranz  vgl.  J.  Klein,  Der  Kranz  bei  den 
alten  Griechen,  S.  40,  und  Carlo  Pascal,  Le  credenze  d' oltre- 
tomba  I  35  ff.,  der  die  Sitte,  den  Toten  mit  Blumen  zu  schmücken, 
ebd.  27  aus  der  orphi sehen  Vorstellung  von  den  Gelagen  der  Seligen 
und  33  f.  auch  die  Rosalia  aus  orphisch-dionysischen  Vorstellungen 
erklärt.  Wie  die  Tainien,  die  Pley,  De  lanae  usu  (RV  u.  V,  XI  2, 
1911)  83  ff.  als  Lustrationsmittel  auffaßt,  wie  die  Schminke,  die 
schwerlich,  wie  A.  Sonny,  Arch.  f.  Religionswissensch.  IX,  1906, 
525  glaubt,  das  einst  dem  Toten  dargebrachte  Blutopfer  ersetzen, 
sondern  die  häßliche  Leichenfarbe  nehmen  und,  wie  F.  v.  Duhn 
ebd.  1  ff .  es  auffaßt,  dem  Toten  den  Anschein  des  Lebens  geben 
soUte,  wie  die  rote  Farbe  des  Totenkleides ,  in  der  auch  v.  Duhn 
a.  a.  0.  eine  Erinnerung  an  einstige  Blutopfer  sieht,  sind  auch  die 
den  Toten  mitgegebenen  Blumen  wahrscheinlich  als  einfacher  Schmuck 
und  daneben  vielleicht  als  ein  Hinweis  darauf  gefaßt  worden,  daß 
der  Tote  etwas  Heiliges,  ein  Gegenstand  der  Verehrung  geworden  sei. 
Auf  den  römischen  Sarkophagen  und  in  der  sonstigen  Sepulkralkunst 
Roms  will  V.  Macchioro,  II  simbolismo  nelle  figurazioni  sepolcrali 


Bestattung  und  Totenkult.  241 

romane,  Mem.  RA  di  archeol.,  Neapel  1909,  eine  ausgedehnte 
S3'mbolik  nachweisen :  ein  Wagen,  ein  Schiff,  ein  Delphin  sollen 
ein  Sinnbild  der  Seelenreise  sein,  ein  trinkender  Vogel  die  im 
Jenseits  erquickte  Seele  darstellen.  Taube  und  Hahn  werden 
erotisch  gedeutet,  weil  Persephone  der  Aphrodite  gleich  sei,  Pfau 
und  Adler  sollen  auf  die  Apotheose ,  Schlange  und  Totenmahl 
auf  dionysische  Lehren  hinweisen.  —  Ähnlich  deutet  Haus  er, 
Rom.  Mitt.  25,  1910,  274  ff.  das  Weinsieb  in  der  Hand  eines 
Mädchens  auf  dem  Sarkophag  von  Torre  Nova  als  eine  Andeutung 
davon,  daß  die  Verstorbene  noch  nicht  in  die  Geheimnisse  der  Ehe 
eingeweiht  war.  Gewiß  haben  die  Alten  bei  der  Wahl  des  Gegen- 
standes auch  in  der  Grabkunst  sinnige  Beziehungen  gesucht  und 
auch  gefunden,  die  uns,  denen  ihr  Vorstellungskreis  nur  z.  T.  be- 
kannt und  jedenfalls  nicht  mehr  lebendig  ist,  fernzuliegen  scheinen; 
aber  im  ganzen  hat  m.  E.  Deubner  Recht,  wenn  er  bei  der  Be- 
sprechung von  Macchioros  Untersuchungen  (Berl.  Phil.  Wochenschr. 
XXX,  1910,  1453)  findet,  daß  der  rein  dekorative  Charakter  vieler 
von  diesen  Darstellungen  unterschätzt  werde.  Auch  darauf  ist 
hinzuweisen,  daß  wirkliche  Symbole  oft  lange,  nachdem  ihr  Sinr 
vergessen  war,  angewendet  wurden  und  dann  verwandte  Dar- 
stellungen hervorriefen ,  die  nie  Sinnbilder  gewesen  sind.  — 
R.  Pagenstecher,  Unterital.  Grabdenkmäler  (zur  Kunstgesch. 
des  Auslands  XCIV),  Straßburg,  1912,  bezieht  Szenen,  die 
namentlich  von  neueren  italienischen  Forschern  als  die  Mahle 
der  Seligen  gedeutet  waren,  auf  Opfer,  die  dem  —  vielleicht 
heroisierten  —  Toten  von  seinen  lebenden  Angehörigen  dar- 
gebracht werden  (S.  121  f ).  Über  athenische  Gräber  und  Grab- 
denkmäler sprach  A.  Brückner  am  28.  3.  1916  in  der  Berliner 
Religionswissensch.  Vereinigung.  Auf  den  älteren  Grabreliefs  er- 
scheinen die  Toten  wie  bei  Polygnot  in  stillem  Träumen ;  in 
mancherlei  Formen  und  Zeichen  spiegelt  sich  die  Schlaffheit  des 
Toten  wieder,  die  auch  das  Epos  schildert;  es  lagert  über  den 
Gräberfeldern  wie  ein  ewiger  Dornröschenschlaf.  In  ähnlichem 
Sinn  deutet  z.  B.  Pagenstecher,  Sitzungsber.,  Heidelb.  AW, 
1911,  no.  IX  5  die  „Penelope"  als  eine  Grabfigur,  welche  eine 
über  ihren  Tod  klagende  Seele  darstellt.  Seit  dem  Ende  des 
5.  Jhs.  wird  der  Trauer  der  Hinterbliebenen  nach  Brückner  die 
aus  den  Mysterien  geschöpfte  Zuversicht  auf  ein  seliges  Los 
gegenübergestellt;  das  zeigt  sich  in  der  Gestalt  des  Toten  selbst 
und  deutlicher  noch  in  dem  ornamentalen  Schmuck,  der  Seligkeits- 
hoffnungen    symbolisiert.     Über    den    Umfang,    in    dem    der   letzte 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  186  (Snpplementband).  16 


242  Totenkult.    Jenseitsvorstellungen. 

Satz  gültig  ist,  kann  noch  Zweifel  herrschen,  aber  als  sicher  er- 
scheint mir,  daß  die  Deutung  dieser  Denkmäler  von  den  Gefühlen 
ausgehen  muß ,  welche  die  große  Masse  der  Besteller  erfüllte  und 
sie  veranlaßte,  gerade  diese  Gegenstände  zu  verlangen.  Sie  kamen 
zur  Grabstätte  in  weihevoller,  wehmütiger  Stimmung  und  wünschten 
dort  eine  mit  ihr  in  Einklang  stehende,  sie  steigernde  Darstellung 
zu  finden.  Sie  wollten  den  Toten  in  der  Lieblichkeit  seines  einstigen 
Erdendascins,  in  der  Gemütlichkeit  des  Familienmahles,  in  der  Aus- 
übung des  Berufes,  in  der  Abschiedsstunde,  da  er  dem  Besteller 
zum  letzten  Male  erschienen  war,  sehen.  War  der  Verstorbene 
fürs  Vaterland  gefallen,  so  wählte  man  eine  Darstellung  seines 
ruhmvollen  Todes.  Andere  verlangten  einen  Ausdruck  ilires 
Schmerzes  über  den  Verlust  oder  auch  der  Entsagung,  mit  der  sie 
über  die  Hinfälligkeit  alles  Schönen  klagen.  Auch  die  Erlösuugs- 
hoffnung  wird  ausgesprochen,  der  Tote  erscheint  als  Heros  oder 
auch  als  Gott:  beides  ist  nicht  ganz  selten,  aber  doch  nicht  so 
häufig,  als  nach  den  literarischen  Zeugnissen  angenommen  werden 
konnte.  Da  Porträtähnlichkeit  in  dieser  Handwerkskunst  meist 
nicht  erreicht  werden  konnte  und  wohl  auch  nicht  erstrebt  wurde, 
ist  die  Masse  dieser  Darstellungen  typisch;  sie  geben  Bilder  aus 
dem  Leben  des  Tages  oder  auch  aus  dem  Mythos,  dessen  S}Tn- 
bolische  Kraft  der  Gebildete  im  Altertum  wahrscheinlich  viel  leb- 
hafter empfand  als  heutzutage.  Es  ist  eine  fast  überflüssige  Frage, 
ob  die  zahlreichen  Eaubszenen  auf  den  Terrakottareliefs  von  Lokroi 
die  Entführung  Persephones  darstellen,  wie  es  Quagliati,  Auson.  III, 
1908,  168  ff.  dann  annimmt,  wenn  die  Person  großartiger  und  der 
Wagen  prächtiger  gebildet  ist,  oder  ob  der  Tod  eines  Menschen 
symbolisch  ausgedrückt  werden  soll.  Jene  war  für  diesen  un- 
mittelbares Sinnbild,  dieser  wurde  bei  jener  sofort  mitverstanden. 
In  diesem  Fall  hat  der  Mythos  wahrscheinlich  von  Haus  aus  be- 
deutet, was  später  in  ihn  gelegt  wurde;  denn  Lawson,  Modem 
Greek  Folklore  and  anc.  Gr.  Relig.  577  hat  schwerlich  mit  der 
Annahme  recht ,  daß  Persephones  Hochzeit  ein  Symbol  für  die 
Hochzeit  der  Seele  mit  der  Gottheit  im  glücklichen  Jenseits  be- 
deuten sollte.  Aber  oft  sind  zu  Grabdarstellungen  mythische  Szenen 
gewählt  worden,  die  zwar  den  Beschauer  in  die  beim  Besuche  des 
Grabes  passende  Stimmung  versetzen  konnten,  aber  ursprünglich 
in  anderem  Sinn  erfunden  waren.  Dann  muß  zwischen  dem  Sinn- 
bild und  der  hineingelegten  Vorstellung  schärfer  geschieden  werden^ 
als  dies  jetzt  oft  geschieht.  Die  Sirene  und  die  Harpyie  z.  B. 
haben    die    Hinterbliebenen   gewiß    an    das    Geschick    erinnert,    das 


Totenkult.    Jenseitshoffnungen.  243 

ihnen  den  Toten  entrissen  hat,  aber  sie  schon  darum  als  ursprüng- 
liche Todesdämonen  zu  fassen,  geht  nicht  an.  Alle  diese  Vor- 
stellungen, die  sich  nicht  wesentlich  von  den  noch  heute  herrschenden 
unterschieden,  haben  sicher  im  späteren  Altertum  bestanden,  frag- 
lich ist  nur,  wie  weit  neben  ihnen  ältere  sich  erhalten  hatten, 
nach  denen  die  Toten  mit  Furcht  oder  Ehrfurcht,  als  Dämonen, 
Heroen  oder  Götter  betrachtet  wurden  und  wie  weit  diese  Reste  mit 
den  späteren  Anschauungen  ausgeglichen  waren.  Nach  Rhomaios, 
Ath.  Mitt.  XXXIX,  1914,  189  ist  die  Heroisierung  der  Toten  viel 
seltener  vorgekommen,  als  gewöhnlich  angenommen  wird.  Die 
„Totenmahlreliefs",  in  denen  z.  B.  Eitrem,  Christ,  Vidensk.  Selsk. 
Skr.,  1909,  no.  9  S.  15  ff.  des  Separatabdrucks  idealisierte  Dar- 
stellungen des  Totenkultus  gesehen  hatte,  wenn  auch  kein  be- 
stimmter Moment  ausgedrückt  sei,  die  aber  bereits  Svoronos, 
Athen.  National-Mus.  I  558  als  ursprünglich  auf  die  Bewirtung 
fi-emder  Götter  bei  ihren  neuen  Verehrern  oder  deren  frühereu 
Göttern  bezüglich,  gedeutet  und  erst  in  ihren  jüngeren  Exemplaren, 
etwa  vom  3.  Jh.  an  (S.  561)  als  Grabdenkmäler  anerkannt  hatte, 
stellen  nach  E,homaios  meist  nicht  die  Toten,  sondern  Gott- 
heiten, und  zwar,  wenn  sie  auf  Gräbern  standen,  die  Gottheiten 
der  Unterwelt  dar.  Nur  selten  wird  nach  Rhomaios  der  Tote  beim 
Mahl  durch  Adoranten  geehrt.  Die  lakonischen  Weihreliefs  sollen 
Götter  und  Heroen  darstellen,  diese  und  die  Toten  zwar  ähnlich 
verehrt,  aber  doch  verschieden  aufgefaßt  gewesen  sein.  Dagegen 
hatte  Roussel,  Rev.  et.  anc.  XIV,  1912,  380  viele  Beispiele 
von  Totenvergötterung  aus  späterer  Zeit  gesammelt.  —  Eine  ge- 
wisse Apotheose  würde  vorliegen,  wenn  der  Tote  auf  kleinasiatischen 
Reliefs,  die  ihn  reitend,  aber  ohne  Doppelaxt  darstellen,  dem 
dortigen  Reitergott  angeglichen  wäre ,  wie  M  i  c  h  o  n ,  Rev.  et. 
anc.  VIII,  1906,  189  meint.  —  Über  die  phrygische  Sitte  der 
Kaiserzeit,  den  Toten  einem  Gott  gleichzustellen  und  das  Grab  als 
Heiligtum  zu  betrachten,  vgl.  auch  Ramsay,  Aberdeen  Stud.  XX, 
1906,  270  ff.  —  Die  Heroisierung  eines  Lokalbeamten  findet 
G.  Herbig,  Philol.  LXXIII,  1914/6,  S.  458  ff.  in  einer  oskischen 
Altarinschrift  ausgesprochen,  wo  die  Worte  Jovioi  metsed  pehed 
flousoi  bedeuten  sollen  Divo  (=  Jovio)  ex  meddicio  pio  Floro.  — 
Mit  der  allgemeinen  Vergötterung  der  Toten  berührt  sich  die 
Fürstenapotheose,  bei  der  jedoch  auch  andere  Vorstellungen  mit- 
spielen (.5.  0.  89  ff.).  Als  eine  Totenvergötterung  könnte  auch 
die  Mysterienlehre  gefaßt  werden,  daß  es  durch  Begehung  gewisser 
Riten  möglich    sei,    in    das  Land   der  Seligen   zu   gelangen ;   ja,  es 

16* 


244  Totenkult.    Jenseitshoffnungen. 

wird  diese  Mysterieulehre  auch  in  neueren  Untersuchungen  bisweilen 
noch  als  „Unsterblichkeitsglauben"  bezeichnet.  Das  ist  aber  un- 
genau, denn  in  den  Mysterien  wird,  wie  in  der  Volksvorstellung 
überhaupt ,  die  Fortdauer  aller  Seelen  vorausgesetzt  und  den  Ge- 
weihten nur  ein  besseres  Los  im  Jenseits  verheißen  als  den 
andern  Toten.  Das  ist  gewissermaßen  die  Kehrseite  zur  Ver- 
götterung und  Heroisierung:  bei  dieser  wird  dem  Toten  Macht 
über  die  Lebenden  zugeschrieben  und  ihm  deshalb  ein  Kult  ge- 
widmet, während  es  sich  bei  der  Mysterienlehre  nur  um  den  Zu- 
stand der  Seele  selbst  handelt.  Beide  Vorstellungen  können  zwar 
verbunden  auftreten;  es  ist  sogar  nicht  ausgeschlossen,  daß  die 
Griechen  bei  den  früheren  Bewohnern  ihres  Landes,  denen  sie  die 
Mysterien  entlehnt  zu  haben  scheinen,  auch  die  Sitte  vorfanden, 
dem  Toten  dauernden  Kult  zu  weihen.  Wenigstens  vermutet 
V.  Duhn,  Arch.  f.  Religionswiss.  XII,  1909,  161  ff.,  daß  auf  dem 
Sarkophag  von  Hagia  Triada  ein  Toter  beschworen  wird,  um  ein 
Opfer  zu  empfangen,  und  auch  nach  P  ari b  e  n  i ,  Mon.  ant.  ARL  XIX, 

1908,  79  wird  dort  der  Tote  wie  ein  Gott  verehrt.  Allein  not- 
wendig ist  diese  Verbindung  nicht;  ja,  wenn  beide  Vorstellungen 
aus  derselben  Grundanschauung  erwachsen  sind  und  sich  später 
durchkreuzt  haben,  so  muß  doch  ihre  Entwicklung  mindestens 
teilweis  unabhängig  erfolgt  sein.  Deshalb  sind  Vergötterung  und 
Totenkult  einerseits,  Erlösungslehre  und  Mysterienglauben  ander- 
seits getrennt  zu  betrachten.  Loisy,  Rev.  bist.  litt.  rel.  n.  s.  IV, 
1913,  146  stellt  Nichtzusammengehöriges  in  Vergleich,  wenn  er 
gegen  Rohde  erweisen  will,  daß  bei  den  Trakern  der  Unsterblichkeits- 
glaube älter  sei  als  der  Einfluß  der  Orphiker.  Freilich  hatte  er  darin 
in  alter  und  neuer  Zeit  Vorgänger. 

Empfängt  der  Tote  als  Gott  oder  Heros  Opfer,  so  wird  er  in 
der  Regel  als  chthonische  Gottheit  betrachtet.  Das  spätere 
griechische  Ritual  machte  nach  dem  Stoff,  der  Art  und  der  Zeit 
der  Opfer  einen  Unterschied  zwischen  den  oberen  und  den  unter- 
irdischen Gottheiten,  auf  den  namentlich  P.  Stengel  immer  wieder 
hingewiesen  hat.  Den  Toten,  den  Heroen  und  den  Unterirdischen 
wird  am  Abend  geopfert,  wofür  B.  Haussoulli  er,  Rev.  de 
phil.  XXXIV,  1910,  137  ff.  eine  neue  Bestätigung  in  der  In- 
schrift eines  archaischen  Diskos  aus  Cumae  findet,  in  der  er 
Pythagoreischen  Einfluß  vermutet.  Dieser  und  ähnliche  Unter- 
schiede sind  jedoch,  wie  A.  Thomsen,  Arch.  f.  Religionswiss.  XII, 

1909,  482  ff.  bemerkt,  nicht  ursprünglich,  sondern  erst  nach  und 
nach    durchgeführt.      Daher   erklären    sich    die    vielen   Ausnahmen. 


Totenkult.  245 

Die  Einsicht  in  ein  solches  Verhältnis  ist  in  der  Tat  nicht  un- 
wichtig: sie  kann  durch  die  Vermutung  erweitert  werden,  daß  der 
Unterschied  in  den  dunklen  Jahrhunderten  sich  ausbildete,  als 
der  Kult  der  Toten  und  die  Furcht  vor  ihrer  Macht  in  den  religiösen 
Vorstellungen  vorherrschte  und  für  die  neuen  Kulte  passende 
Formen  geschaffen  wurden.  Diese  neue  Art  der  Darbringung  i.st 
vielfach  auf  andere  Kulte  übertragen  worden,  namentlich  auf  solche, 
die  das  Wetter  und  die  Fruchtbarkeit  verbessern  sollten,  und  solche 
Kultformen  sind  nachträglich,  als  jene  Zeit  der  chthonischen  Kulte 
überwunden  war,  nicht  immer  beseitigt  worden.  Es  ist  deshalb 
nicht  gestattet,  wie  es  noch  jetzt  vielfach  geschieht,  einen  Kult 
deshalb  für  uisprünglich  den  Unterirdischen  geweiht  zu  halten, 
weil  er  andern  chthonischen  Kulten  verwandt  ist  oder  die  Fruchtbar- 
keit des  Landes  mehren  soll.  —  Von  den  einzelnen  Darbringungen 
an  die  Toten  sind  die  Haaro^^ev  bereits  o.  {168)  erwähnt.  Daß  die 
Milch  bei  der  Totenbeschwörung  und  dem  Totenopfer  nicht  zur 
Versöhnung  dargeboten  sei,  will  K.  Wyß,  Die  Milch  im  Kultus 
d.  Griechen  u.  Römer  34  ff.  erweisen.  —  Über  Wcmspenden  im 
Totenkult  handelt  Kirch  er,  Die  saki-ale  Bedeutung  des  Weins 
im  Altertum,  ßV  u.  V  IX  2,  1910,  S.  12  f.  —  Blutopfer  an  Tote 
waren,  wie  Paribeui,  Mon.  ant.  RAL  XIX,  1908,  48  aus  dem 
Sarkophag  von  Hagia  Triada  folgert,  vielleicht  schon  in  „minoischer" 
Zeit  üblich.  —  Das  Ausgießen  des  Wassers  bezweckte  nach 
Lawson,  Modern  Gr.  Folklore  and  anc.  Gr.  Relig.  521,  dem 
Toten  den  Eintritt  in  das  Paradies  zu  ermöglichen.  Eher  ist  der 
Grund  der  Sitte  in  der  Vorstellung  von  dem  Durst  der  Seelen 
(Hdb.  d.  griech.  Myth.  und  Religionsgesch.  831,  1)  zu  suchen,  aus 
der  Pascal,  Riv.  di  fil.  cl.  XL,  1912,  441  f.  auch  Lucr.  III  917  f.; 
Prop.  IV  (V)  5,  1  f .  erklären  will.  Dieser  Glaube  ist  uralt;  er 
war  weit  verbreitet  und  lebt  an  vielen  Orten  noch  heute  fort.  Bei- 
spiele aus  Rußland  so.mmelt  z.B.  Janiewitsch,  Arch.  f.  Religions- 
wiss.  XIII,  1910,  627.  Vgl.  auch  den  in  der  arabischen  Grab- 
dichtung gewöhnlichen  Segensv/unsch  „Möge  dein  Grab  stets  durch 
Regen  getränkt  werden",  den  freilich  Goldziher  ebd.  20  ff.  mit 
der  sühnenden  Kraft  des  Wassers  begründen  wollte. 

Den  nach  dem  Begräbnis  fortdauernden  Totenkult,  fi'eilich 
auch,  wie  es  der  Titel  ankündigt,  manches  andere  stellt  Fr. 
P  f  i  s  t  e  r ,  Der  Reliquienkult  im  Altertum  (RV  u.  V  V  1  u.  2), 
1909  u.  1912  dar.  Der  Reliquienkult,  der  mit  wenigen  Ausnahmen 
wie  Agamemnons  Zepter  dem  Heros  am  Grabe  geweiht  wird  (528), 
beruht    auf  dem    Glauben,    daß    der  Verstorbene   sich  um  so  mehr 


24  t)  Totenkult. 

als  helfend  oder  schüdigend  betätigen  könne,  je  Größeres  er  im 
Leben  geleistet  hatte  und  je  mehr  sein  Wirken  als  von  über- 
menschUcher  Art  erschienen  war.  Neben  den  heroisierten  Menschen 
nimmt  aber  Pfister  (545)  eine  zweite  Klasse,  die  aus  chthonischen 
oder  auch  uranischen  Göttern  entstandenen  Heroen,  an.  Daß  es 
auch  frei  erfundenen,  d.  h.  an  eine  Dichtung  angelehnten  Heroen- 
kult gibt  wie  den  am  Elpenorgrab  (228)  und  den  römischen  Aeneas- 
kult  (143),  erkennt  er  zwar  an,  aber  er  meint  (226),  über  die 
Hälfte  der  Heroen,  neben  denen  „homonyme  Kultobjekte  stehen", 
seien  bald  nach  ihrem  Tode  heroisierte  Menschen  oder  entthronte 
Götter  gewesen,  deren  Kult  sich  mit  ihren  Verehrern  ausgebreitet 
habe.  Die  bloße  Tatsache  des  Kultus  und  das  Gesetz,  daß  in  der 
mythischen  Genealogie  im  allgemeinen  nur  Ortseponymen  und  nach 
Kultobjekten  genannte  Heroen  erscheinen,  „das  Bodenständigkeits- 
gesetz"  (65),  genügt  ihm  meist  schon  zum  Beweis  dafür,  daß  ein 
Heros  einer  der  beiden  von  ihm  unterschiedenen  Hauptklassen  an- 
gehört. Das  sind  trügerische  Kennzeichen.  Oft  erscheinen  frei 
erfundene  Gestalten  deshalb  als  „bodenständig",  weil  die  Dichter, 
um  die  Glaubwürdigkeit  ihrer  Schöpfung  zu  erhöhen,  ihnen  Namen 
geben,  die  an  einen  Kult  oder  an  Ortsnamen  ihrer  angeblichen 
Heimat  anknüpfen.  Die  Kolonisation  hat  zwar  oft  Heroen  in 
andere  Gegenden  verpflanzt,  aber  die  Wanderungen  der  Stämme 
fallen  in  Zeiten,  wo  die  Dichtung  von  ihren  Heroen  noch  nichts 
•wußte,  und  die  Wanderungssagen  scheinen  nur  deshalb  zu  der 
Verbreitung  des  Kultus  der  „Stammheroen"  zu  stimmen,  weil 
sie  eben  aus  den  genealogischen  Übereinstimmungen  erschlossen 
sind ,  die  sie  jetzt  erklären  sollen.  Die  Zahl  der  heroisierten 
Menschen  scheint  mir  Pfister  zu  überschätzen-,  im  allgemeinen  hat 
die  griechische  Heldensage  zwar  zum  Ruhme  lebender  Fürsten  ge- 
sungen, aber  nicht  von  ihnen,  sondern  von  den  ihnen  angedichteten 
Ahnen,  in  denen  sich  der  Buhm,  die  Wünsche  und  Hoffnungen,  die 
Ansprüche  der  Enkel  spiegeln  sollten.  Ebenso  nimmt  Pfister  m.  E. 
unter  den  Heroen  eine  zu  große  Anzahl  ehemaliger  Götter  an;  wo 
wirklich  ein  Heros  einem  Gott  gleichnamig  ist,  muß  oft  sein  Ver- 
hältnis anders  als  durch  Hypostase  erklärt  werden.  In  der  ver- 
hältnismäßig späten  Zeit,  in  der  sich  die  griechische  Götterwelt 
bildete,  wurden  an  die  Stelle  von  alten  Lokalgottheiten  oder  neben 
sie  vielfach  berühmtere  Götter  des  Epos  gesetzt;  die  alten  Namen 
lebten  zwar  auch  später  als  Beinamen  fort,  z.  T.  aber  wurden  sie 
allmählich  vergessen  und  waren  dann  in  den  letzten  Stadien  ihrer 
Erhaltung  für  die  Mitglieder  der  an  der  Kultstätte  herrschenden  Adels- 


Totenkult.  247 

t^eschlechter  ein  Anlaß,  ihre  Kinder  oder  ihre  Vorfahren  nach  ihnen 
zu  nennen.  Die  Dichter  sind  ihnen  natürlich  bei  der  Namengebung 
gefolgt;  und  da  konnte  es  denn  freilich  leicht  vorkommen,  daß  auf 
den  im  übrigen  frei  erfundenen  Helden  Züge  übergingen,  die  einst 
von  dem  gleichnamigen  Gott  erzählt  waren.  Wer  will,  mag  dies 
eine  Hypostase  nennen,  aber  ein  entthronter  Gott  ist  ein  solcher 
Heros  doch  nicht.  Wertvoller  als  in  der  Beurteilung  dieser  all- 
gemeinen Fragen  ist  das  umfangreiche  Werk  durch  allerlei  Beiwerk, 
das  hier  nicht  erwähnt  werden  konnte.  Der  erste  Halbband  be- 
handelt das  Objekt  des  Reliquienkultus ,  und  zwar  zunächst  die 
einheimischen  Heroen,  darunter  die  mythischen  Königslisten  von 
Megara  (als  Dissertation  1907  erschienen),  Troizen  und  Achaia 
sowie  die  thessalisch-pylische  Genealogie,  der  zweite  die  Reliquien 
als  Kultobjekte  und  die  Geschichte  des  Reliquienkultus.  Eingehend 
werden  auch  die  Reliquien  christlicher  Märtyrer  besprochen. 

Über  die  attischen  Totenkulte  handelt  P.  Stengel,  Herm. 
XLIII,  1908,  647  ff.,  Opferbräuche  der  Griechen  163  ff.  Die 
revtota  wurden  von  den  Angehörigen  eines  Verstorbenen  zu  seinem 
Geburtstag  wie  auch  vom  Staate  am  5.  Boedromion  zu  Ehren  aller 
Toten  gefeiert;  ob  auch  die  NluEoeicc  ein  staatliches  Fest  waren, 
ist  wenigstens  zweifelhaft.  Die  Lexikographen  knüpfen  alle  an 
Demosth.  XLI  11  an,  wo  es  sich  um  eine  private  Feier  handelt, 
und  wissen  von  der  Sache  nichts ;  der  Name  vexcaia  bezeichnet 
nach  Stengel  nicht  ein  Fest,  sondern  allgemeine  Begehungen  zu 
Ehren  eines  Toten ;  ebenso  sind  die  togala  appellativisch  als  Toten- 
opfer zu  fassen,  die  diesen  Namen  erhielten,  weil  man  dabei  auf 
die  Jahreszeit  achten  mußte.  —  Die  Xai.i7iaöi]dQ0/Liia  des  Evcixdcpiog 
ctyiöv  wurde  nach  Brückner,  Ath.  Mitt.  XXXV,  1919,  200  f. 
bereits  im  5.  Jh.  eingeführt.  Ein  bestimmter  Tag  war  notwendig 
festgesetzt,  aber  dieser  fiel  nicht  notwendig  mit  dem  Staatsbegräbnis 
der  Gefallenen  zusammen.  —  Als  ein  attisches  Totenfest  sind  auch 
die  Pithoigia  anzusehen,  wenn  die  von  dem  Berichterstatter  Handb. 
94,  3  und  761,  9  (danach  von  J.  Harrison,  Proleg.  ^  40  ff.)  gegebene 
Erklärung  des  nid^og  richtig  ist.  Aber  diese  Deutung  bestreitet  Nilß  on , 
Eran.  Suec.  1915,  184,  weil  das  Gefäß,  aus  dem  die  Toten  auf  dem 
Jenaer  Vs.  aufflattern,  eine  gewöhnliche  Grablekythos  sei.  Der 
Einwand  scheint  mir  nicht  begründet;  galt  der  Ausgang  aus  der 
Unterwelt  als  ein  Faß,  so  konnte,  ja  mußte  fast  der  Künstler  ihn 
in  der  Form  einer  Grablekythos  denken.  —  Für  die  Geisteraustreibung 
am  Schlüsse  dieses  Festes  gibt  E.  Fehrle,  Hess.  Bl.  f.  Volksk.  XI, 
1912,  216  Parallelen.  —  Mit  den  Pithoigia  läßt  sich  der  römische 


248  Totenkult. 

Ta<;  Mimdus  patet  vergleichen,  dessen  ursprünglicher  Sinn  jedoch 
in  neuerer  Zeit  umstritten  wird.  Der  Muudus  diente  zugleich  als 
Opfergrube  und  war  nach  Warde  Fowler,  Jouru.  llom.  Stud.  II, 
li»r2,  25  fF.  ursprünglich  ein  Vorratsraum,  aber  nicht  oder  wenigstens 
niclit  ausschließlich  der  Vorratsraum  für  Getreide  überhaupt,  sondern 
der  Sicherheitsplatz  für  das  Saatkorn.  Er  wurde  dreimal  geöffnet, 
nämlich  am  24.  8.  vor  den  Opiconsivia,  zur  Aufnahme  des  neuen 
Saatkorns,  am  5.  10.  zur  Entnahme  des  far  und  am  8.  11.  zur 
Entnahme  des  Triticum.  Erst  unter  griechisch-etruskischem  Einfluß 
soll  das  Öffnen  des  Musdus  auf  die  Geister  bezogen  sein  (Varro 
bei  Macrob.  I  16,  18;  Ateius  Capito  bei  Fest.  157  a  5).  Ebenso 
faßt  Warde  Fowler  die  eleusinischen  (.ityoQa  und  die  Krypta  von 
Knidos  als  Aufbewahrungsstätte  des  Getreides.  An  ihn  schließen 
sich  in  der  Hauptsache  an  Cornford,  Ess.  and  Stud.  presented 
to  Ridgeway,  1913,  S.  153  ff.,  der  auf  das  Hineintun  und  Herausholen 
des  Getreides  in  die  und  aus  der  Grube  auch  den  eleusinischen  Mythos 
von  Kores  Ab-  und  Aufstieg  bezieht,  und  J.  Harri son  (ebd.  143), 
die  vermutet,  daß  die  Toten,  die  in  ähnlichen  Hohlen  bestattet 
wurden,  als  Beschützer  der  Ernte  galten.  Etwas  anders  steht 
E.  A.  Ho o ton,  The  Mundus,  the  Palatino  and  the  Terramare, 
Rev.  d'ethnogr.  et  de  sociol.  IV,  1913,  238  ff.  der  Vermutung 
W.  Fowlers  gegenüber.  Er  will  nachweisen ,  daß  der  palatinische 
Munius  der  mit  einem  hölzernen  Deckel  verschlossenen  Grube 
der  Terramare  entspricht,  in  den  Tonwarenscherben,  Knochen, 
Feuersteine  u.  dgl.  gelegt  wurden.  Bei  der  Anlage  der  Vier- 
regionenstadt wurde  der  Mundus  nach  Hooton  vielleicht  auf  das 
Forum  (Romulusgrab;  Lapis  niger?)  verlegt.  Er  diente  zur  Nieder- 
legung von  Opfergaben.  Ein  Speicher  für  das  Saatkorn  können 
die  Gruben  der  Terramare ,  in  denen  fast  nie  Körner  gefunden 
werden  und  die  auch  zu  feucht  für  diesen  Zweck  sind,  nicht  ge- 
wesen sein;  aber  Hooton  gibt  zu,  daß  der  Mundus  auf  dem  Palatin 
diese  Bestimmung  erhalten  haben  könne.  Die  Beziehung  auf  den 
TJnterweltseingang  hält  auch  er  für  eine  Neuerung,  und  zwar  soll 
diese  wahrscheinlich  unter  griechisch-etruskischem  Einfluß  erfolgt 
und  durch  die  Deutung  des  ßomulusgrabes  empfohlen  sein.  —  Thulin, 
Die  etruskische  Disziplin  III  (Göteborgs  Högskolas  Arsskrift  1909, 1) 
S.  18  ff.  trennt  die  Roma  Quadrata  auf  dem  Palatin,  (^\e  an  der 
Peripherie  der  ältesten  Stadt  lag,  von  dem  den  di  inferi  geweihten 
Mundus,  wenigstens  von  dem  Mundus,  den  Cato  bei  Festus  be- 
schreibt. Dieser,  der  noch  nicht  gefunden  ist,  von  dem  aber  der 
Pozzo    auf  dem    Pozzarello  von    Bolsena    ein  Bild  gibt,    diente  als 


Toteakult.    Jenseitsvorstellungen.  24^ 

Opferstätte  für  die  di  inferi;  er  war  gewölbt  und  rund  wie  alle 
mundi,  auch  der  von  Plutarch  ^Piou.  11  erwähnte,  der  aber  zur 
Aufnahme  der  Erstliugsopfer  bestimmt  war.  Dagegen  entsprach 
die  viereckige  Roma  quadrata  den  Gruben  unter  den  Termini  und 
unter  manchen  Altären;  über  ihr  erhebt  sich  ein  Altar  mit  einem 
eingefriedigten  Raum  ringsum,  in  dem  die  bei  der  Zeremonie  der 
Stadtgründung  verwendeten  Gerätschaften  geborgen  wurden.  — 
Das  Verhältnis  des  römischen  Totenfestes  der  Parentalia  zu  den 
Lemuria  bespricht  Warde  Fowler,  Rel.  Exper.  of  the  Rom. 
People  392  ff.;  -400  f.  Jene  sollen  einem  hochstehenden  ein- 
gewanderten Volk,  die  Lemuria  dagegen  den  überwundenen  pelasgisch- 
tjrrhenischen  Urbewohnern  angehört  haben,  deren  Vorstellungen, 
wie  Fowler  meint,  auch  in  Griechenland  neben  den  höher  stehenden 
der  Einwanderer  erkennbar  seien.  Bailey,  Class.  Rev.  XXV, 
1911,  225  billigt  das. 

Im  Anschluß  an  die  Bestattungsgebräuche  werden  in  manchen 
der  hier  zu  besprechenden  Untersuchungen  behandelt  und  daher 
am  besten  auch  hier  betrachtet 

0  die  Vorstellungen  vom  Schicksal  der  Seele  nach  dem 

Tode. 

John  Cuthbert  Lawson,  Modern  Greek  Folklore  anl 
Ancient  Greek  Religion,  A  Study  in  Survivals ,  Cambridge  1910 
konstruiert,  namentlich  auf  Grund  des  neugriechischen  Volksglaubens, 
eine  alte  Lehre,  nach  der  die  Seele ,  wenn  ihr  der  Körper  durch 
dessen  Vernichtung  nachgeschickt  wird,  sich  im  glückseligen  Jenseits 
wieder  mit  ihm  vereinige  und  eine  Ehe  mit  einer  Gottheit  eingehe, 
daß  dagegen  die  Nichtzerstörung  des  Körpers  Unheil  auch  für  die 
Seele  bedeute.  Diese  Vorstellung  soll  seit  der  „pelasgischen"  Zeit 
in  den  Mysterien  fortgepflanzt,  bis  auf  den  heutigen  Tag  geherrscht 
haben  und  auch  in  der  antiken  Literatur  —  selbst  der  nicht 
mystischen  —  nicht  selten  zum  Ausdruck  kommen,  z.  ß.  in  Patroklos' 
Wunsch,  begi'aben  zu  werden,  damit  seine  Seele  in  den  Hades  ein- 
gehen könne ,  der  doch  sonst  als  ein  keineswegs  erstrebenswerter 
Aufenthaltsort  geschildert  werde.  S.  dagegen  Berl.  Phil.  Wochen- 
schr.  XXT,  1911,  683  ff.  —  Schöpft  Lawson  hauptsächlich  aus  dem 
heutigen  Volksglauben,  dem  er  die  antiken  Zeugnisse  unterordnet, 
soweit  sie  sich  fügen  wollen,  so  verheißt  Carlo  Pascal,  Le 
credenze  d'oltretomba  nelle  opere  letterarie  dell'  antichitä  classica, 
2  Bände,  Catania  1912  im  Titel  eine  Darstellung  der  in  den  Schrift- 
werken niedergelegten  Anschauungen.     Ein  abgerundetes  und  ganz 


250  Vorstellungen  vom  Jenseits. 

verständliches  Bild  kann  auch  auf  diesem  Wege  nicht  gewonnen 
werden,  denn  wenn  sich  auch  in  der  Literatur  oder  vielmehr  in 
ihren  einzelnen  Gattungen  natürlich  eine  gewisse  Beharrlichkeit 
der  Vorstellungen  zeigt,  so  daß  deren  Fortbildung  teilweise  nach 
den  in  ihnen  selbst  liegenden  Eutwicklungsreizen  erfolgt,  so  werden 
sie  doch  in  höherem  Grade  durch  außer  ihnen  liegende  Kräfte,  den 
Volksglauben,  den  Kultus,  die  Werke  der  bildenden  Kunst  weiter 
getrieben  oder  können  wenigstens  nur  im  Zusammenhang  mit  ihnen 
verstanden  werden.  Tatsächlich  greift  denn  der  Vf.  auch  nicht  selten 
auf  diese  Gebiete  hinüber;  er  handelt  vom  Totenkult  (z.  B.  I  105 ff.), 
führt  christUche  Vorstellungen  an,  in  denen  heidnische  fortleben 
sollen,  und  verweist  auf  künstlerische  Darstellungen ,  aber  nicht 
ohne  Fehler  namentlich  in  der  Deutung  archäologischer  Zeugnisse 
(vgl.  V.  Macchioro,  Neapohs  I,  1913,  100  f.)  und  immer  nur 
beiläufig ,  um  einen  Satz  zu  unterstützen ,  der  im  besten  Fall  aus 
der  literarischen  Überlieferung  abgeleitet,  oft  aber  einfach  aus 
früheren  Untersuchungen  anderer  herübergenommen  ist.  Denn 
Pascal  hat  das  Buch  nicht  so  abgegrenzt,  weil  er  über  das  ganze 
Gebiet  Neues  zu  sagen  hatte;  was  er  an  Eigenem  bietet,  sind  nur 
Einzelheiten,  die  in  diesem  Bericht  nicht  hier  zu  erwähnen  sind,  im 
ganzen  begnügt  er  sich  mit  der  Wiedergabe  der  jetzigen  Ansichten 
oder  dem,  was  er  infolge  mangelhafter  Bekanntschaft  mit  den  neueren 
Untersuchungen  für  den  jetzigen  Stand  der  Wissenschaft  hält.  Als 
Handbuch  könnte  sein  Werk  auch  so  vielleicht  noch  etwas  nützlich 
sein,  aber  es  als  ein  solches  zu  gebrauchen,  hindert  die  unsystematische 
Anordnung  und  die  UnvoUständigkeit  des  gesammelten  Stoffes.  — 
Auch  De  Sanctis'  Aufsatz  L'anima  e  I'oltretomba  secondo  Omero, 
den  der  Vf.  in  dem  Sammelband  Per  la  scienza  dell'  antichitä, 
Tur.  1909,  S.  27  ff.  mit  Zusätzen  neu  herausgegeben  hat,  und  die 
Amsterdamer  Dissertation  von  Garrit  Willem  van  Bleck,  Quae 
de  hominum  post  mortem  condicione  doceant  carmina  sepulcraHa 
^  latina,  Rotterdam  1907  beschränken  den  Blick  auf  einen  kleinen 
Ausschnitt  aus  einem  großen  Bilde;  aber  weil  dieser  zusammen- 
hängt und  im  einzelnen  gründlicher  untersucht  wird,  ist  der  Nach- 
teil weniger  groß.  Besonderen  Wert  legt  van  Bleck  darauf,  aus 
griechischen  Inschriften  und  der  eigen thchen  Literatur  Parallelen 
nachzuweisen  und  womöglich  den  Ursprung  der  einzelnen  Vor- 
stellungen festzustellen.  Gegliedert  ist  der  Stoff  in  folgender  Weise: 
1)  An  Sit  vita  post  mortem ;  2)  g^^e'rf  post  mortem  remaneat;  3)  ubi 
Sit  quod  post  mortem  remanet;  4)  quomodo  sit,  rjuod  post  mortem 
remanet.  — Verwandten  Inhalts  ist  Judson  Allen  Tolman  des 


Vorstellungen  vom  Jenseits.  251 

Jüngeren  Untersuchung,  A  Study  of  the  Sepulchral  Inscriptions  in 
Buechelers  Epigr.  Lat. ,  Chicago  1910,  die  von  Sammelfleiß  zeugt, 
aber  auffallend  viel  Fehler  in  den  zitierten  Versen  aufweist. 

Wahrscheinlich    übernahmen    die  Griechen    ihre    ältesten   Vor- 
stellungen   von    dem  Zustand    der  Seele   nach    dem  Tode    früheren 
Bewohnern     dieses    Landes ,    die    ihrerseits    wieder    in    ihren    An- 
schauungen vom  Jenseits  mit  vorderasiatischen  Völkei'n  und  Ägyptern 
Übereinstimmten.     Eine    einheitliche  Lehre  vom  Jenseits  hat  es  in 
den  Zeiten ,   aus  denen  sich  Zeugnisse  erhalten  haben ,  bei  keinem 
dieser    Völker   gegeben;    es    ist   deshalb   weniger   die  Aufgabe    der 
Forschung,  den  Sinn  der  Begriffe  festzustellen,  als  die  verschiedenen 
Bedeutungen  zeitlich  zu  ordnen.     Aber  das  ist  meist  schwer.    Selbst 
in  Ägypten,    wo    doch  die  Überlieferung    am  ergiebigsten  ist,    und 
das  von  manchen  Forschern  hauptsächlich  deshalb,  aber  doch  viel- 
leicht nicht  ohne  Grund  als  Heimat  der  ältesten,  von  den  Griechen 
nie  ganz  überwundenen  Vorstellungen  vom  Zustand  nach  dem  Tode 
betrachtet  wird,  ist  die  Bedeutung  der  wichtigsten  Begriffe  Ka  und 
Bai   umstritten.     Nach    Erman ,    Die    ägypt.  ßelig.  ist   der  Ka   der 
unsichtbare  ,    aber    dem  Menschen  ähnlich  gedachte  Geist ,    der  als 
sein  Lebensprinzip    gedacht   ist,    im  Tode    ihn  zwar  verläßt,    aber 
doch  zeitweilig  den  Körper  wieder  aufsucht.  —  Ed.  Meyer,  Alte 
Gesch.    Ixi^  57    begnügt  sich,    die  Eigenschaften,    die    in  den  ver- 
schiedenen zahh-eichen  Texten  dem  Ka  zugeschrieben  werden ,  zu- 
sammenzufassen,    gelangt   aber  deshalb  zu  einem  verschwommenen 
Bilde.    Er  sieht  in  ihm  einen  den  Menschen  wähi-end  seines  Lebens 
begleitenden  Geist,  ursprünglich  die  in  ihm  wii-kende  geistige  Macht, 
sein  eigentliches  Ich,    das  im  Geisterreich  fortlebt,  aber  noch  mit 
der  Leiche    in  Verbindung   steht,    nachdem  die  lebendige  Seele  in 
Vogelgestalt  (Bai)  ihn  verlassen  hat.    Nach  Stein dorff,  Zeitschr. 
für  ägypt.  Spr.  und  Altertumsk.  XLVIII,  1910,  152  ff.  ist  Ka  nicht 
der  Schatten,  der  nach  dem  Tode  übrig  bleibende,  die  Gestalt  des 
Menschen  beibehaltende  und    deshalb  in  die  Natur  eingehende  Teil 
dieses,  sondern  dessen  Schutzherr  im  Leben  und  nach  dem  Tode.  — 
Vgl.  über  die  Bedensart  „zu  seinem  Ka  gehen"  Breasted,  Develop- 
ment  of  Beligion   and  Thought   in   Ancient  Egypt.  51  ff.  —  Auch, 
diese    widerspruchsvolle    oder   wenigstens   unklare  Vorstellung  von 
dem  den  Körper  belebenden,  aber  ihn  zugleich  beschützenden  Geist 
scheint   von    den   früheren  Bewohnern  Südeuropas  übernommen  zu 
sein.      In    Griechenland    wirkt     sie     fort    in    den     ebenfalls    ver- 
schwommenen Begriffen,  die  sich  später  mit  dem  Daimon  oder  Dai- 
monion  des  einzelnen  Menschen  verbanden,  in  Italien  im  Kult  der 


252  Schicksal  und  Gestalt  der  Seele  nacli  dem  Tode. 

dii  Manes.  Das  verbindende  Glied  zwischen  diesen  Vorstellungs- 
ketten  ist  in  den  Resten  der  altkretischen  Kultur  zu  suchen  und 
wäre  dort  auch  gefunden,  wenn  sich  die  Ausdeutung,  die  einige 
neuere  Forscher  einem  der  berühmtesten  Denkmäler  gegeben  haben, 
bestätigt.  Paribeni,  Mon.  ant.  RAL  XIX,  1908,  81  ff.  folgert 
aus  dem  Sarkophag  von  Hagia  Triada,  daß  nach  der  Vorstellung 
der  „minoischen"  Kreter  beim  Tode  eine  ähnliche  Dreiteilung  statt- 
fand wie  nach  dem  Glauben  der  Ägypter,  d.  h.  daß  der  Mensch 
in  den  Körper,  die  als  Vogel  gedachte  Seele,  die  dem  ägyptischen 
Bai  entspricht,  und  in  ein  Wesen  sich  auflöst,  das  wie  der  Ka  in 
Menschengestalt  vorgestellt  wird  und  auf  einem  von  Greifen  ge- 
zogenen "Wagen  in  das  andere  Reich  fährt;  vgl.  dazu  v.  Duhn, 
Arch.  f.  Religionswiss.  XI,  lOOi?,  161  If.;  Beloch,  Griech.  Gesch. 
l^  1,  113,  1  und  dagegen  Petersen,  Arch.  Jahrb.  XXV,  1910, 
162  ff.  Im  geschichtlichen  Griechentum  läßt  sich  diese  Sonderung 
jedenfalls  nicht  mehr  rein  nachweisen ;  in  dem  eJ'dW.oj'  und  der 
ipvxjj  sind  Ka  und  Bai  zusammengeflossen,  sie  werden  einerseits 
wie  jeuer  in  einer  dem  Verstorbenen  ähnlichen  Gestalt,  anderseits 
aber  auch  als  Tiere ,  besonders  wie  der  Bai  als  Vögel ,  auch  als 
kleine  geflügelte  Menschen  dargestellt,  wie  dies  0.  Waser,  Arch. 
f.  Religionswiss.  XVI,  1913,  330  ff. ,  nach  A.  Koerte  bei  Pauly- 
Wissowa  RE  V  2084  If.  und  in  Ergänzung  seiner  eigenen  Dar- 
legungen bei  Röscher  ML  III  3213  ff.  ausführlich  begründet.  Er 
beginnt  mit  dem  ^Scclcnfogel'' ,  wobei  er  Nachträge  zu  Weickers 
gleichnamigem  Buch  und  dessen  Artikel  bei  Röscher  ML  IV  617  ff. 
bringt  (vgl,  auch  Pasc  als  Aufs.,  Gli  uccelH  simbolici  e  le  anime 
umane,  Atene  e  Roma  XV,  1912,  155  ff.),  spricht  über  die  Seele 
als  iJedcrmans  (Waser,  353),  dls  Schlange  {^b^)y  Eidechse  (Sbb) 
und  Fisch  (356;  vgl.  Scheftelowitz,  Arch.  f.  Religionswiss. 
XIV,  1911,  357  ff.),  über  die  Seele  in  MenschengcstaU  (Waser 
360  ff.).  Auch  der  körperlose  Kopf  als  Sitz  der  Sinne  diente  bis- 
weilen als  Darstelluiigsform  der  Seele,  wobei  Waser  (379)  an  II. 
^54  und  an  die  üuBVTjva  'jtuQijVa  erinnert.  Auch  vom  Seelen- 
schmetterling wird  gesprochen  (382  ff.).  Vgl.  darüber  auch  Bethe, 
Rh.  Mus.  LXII,  1907,  465,  02. 

Als  Vogel  konnte  die  Seele  das  große  Wasser  ül^erfliegen,  als 
Fisch  durchschwimmen ,  das  die  Unterwelt  oder  das  Totenreich 
vom  Diesseits  trennt;  daneben  bestand  wahrscheinlich  die  Vor- 
stellung, daß  ein  Vogel  oder  Fisch  die  Beförderung  übernehme,  und 
am  weitesten  war  im  späteren  Griechenland  der  Glaube  verbreitet, 
daß  ein  Fährmann  die  Toten  übersetze,    wofür  man  diesen  als 


Schicksal  der  Socio  nach  dem  Tode.  253 

Bezahlung  an  jenen  ein  Geldstück  mitgab :  eine  Sitte ,  die ,  wie 
Ca] and,  Arch.  f.  ßeligionswiss.  XVII,  1914,  504  bemerkt,  noch 
jetzt  in  Litauen  geübt  wird  und  die  A.  v.  Gennep,  Ritcs  de  pas- 
sage  221  als  einen  seiner  „Übergangsriten"  betrachtet.  Nach 
E.  Herzog,  Arch.  f.  Religionswiss.  X,  19o7,  222  ff.  ist  der  „Charon- 
gToschen"  eine  Ablösung  der  (.leXizovixa ,  die  dem  Kerberos  zur 
Besänftigung  vorgeworfen  wurde.  Schon  v.  Wilamowitz  u.  a. 
hatten  Charon  als  menschlich  gebildeten  Nachfolger  des  Kerberos 
gefaßt;  sie  wurden  zu  dieser  Annahme  hauptsächlich  dadurch  be- 
stimmt, daß  der  Löwe  und  der  Adler  yügiov  heißen  und  daß  Herakles 
am  Laphystion,  wo  er  nach  boiotischer  Überlieferung  den  Kerberos 
heraufgeführt  haben  sollte,  den  Beinamen  Charops  hatte.  Eader- 
macher,  Wien.  Stud.  XXXIV,  1912,  3n  ff.  vergleicht  VMQyaQog 
und  bezieht  in  der  Bedeutung  „scharfzahnig"  den  Namen  ebenfalls 
auf  Kerberos  oder  einen  anderen  raubtierähnlichen  Dämon ,  von 
dem  aus  er  erst  nachträglich  auf  den  Totenfährmann  übertragen 
sei.  Die  jetzt,  wie  es  scheint,  fast  allgemein  angenommene 
Gleichsetzung  des  mythischen  Schiffers  mit  dem  gleichlautenden 
Appellativum  und  die  Zusammenstellung  mit  dem  Herakles  Charops 
ist  m.  E.  nicht  sicher-,  vielleicht  ist  ein  vorgriechisches  Wort  (vgl. 
das  verschlingende  Meerungeheuer  Charybdis)  vom  Volke  der  griechi- 
schen Zunge  geläufiger  gemacht  worden.  —  Über  eine  Charon- 
darstellung  auf  einem  Grabaltar  Lodi-Mailand  spricht  Calderini, 
di  una  ara  Greca  dedicatoria  agli  dei  inferi,  Mailand  1907 ,  wo 
S.  16  ff.  die  bisherigen  Verzeichnisse  der  Charondarstellungen  auf 
weißgrundigen  X^kvO^oi  vervollständigt  werden. 

Eine  eigentümliche  Vorstellung  von  den  Seelen  der  im  Meer 
Umgekommenen  erschließt  0.  Immisch,  Arch.  f.  Religionswiss. 
XIV,  1912,  449  aus  dem  Namen  der  AUhanten,  den  er  von  Xißdg 
trennt  und  als  ali-ßavT£g  „die  über  das  Meer  Wandelnden"  deutet 
(vgl.  Et.  Magn.  alißarzag).  In  lonien  hat  der  Geist  des  höfischen 
Epos,  in  seiner  Aufgeklärtheit  den  Spukgestalten  des  Aberglaubens  ab- 
geneigt, Wort  und  Vorstellung  sich  ferngehalten  (460),  aber  in  Attika 
hat  trotz  Soph.  fr.  722  die  ursprüngliche  Vorstellung  der  „Seewandler** 
sich  in  ungebrochener  Kraft  erhalten,  wie  Immisch  aus  Plat.  noX. 
in  2  387  bc  folgert,  und  eine  dunkele  Erinnerung  an  sie  soll  sich  in 
dem  Verse  ov  f.iev  yag  tl  oe  ne'Cov  oiof^ai  hifäd  r/.toiyai  «173; 
I  190;  n  59,  224  erhalten  haben.  Sollte  nicht  auch  dieser  Name 
vorgriechisch  sein?  Vgl.  l^A/-/.a^ra ,  '^^li-'/MQvaaoog,  ^Uxrgva, 
AUoaQva  u.  a.  und  zum  zweiten  Bestandteil  KoQcßavteg. 

Auf  ihrem  Wege  in  die  Unterwelt  mußten  die  Toten  an  dem 


254  Gestalt  und  Schicksal  der  Seele  nach  dem  Tode. 

weißen  Felsen'^  (Od.  w  11)  vorbei,  über  den  seit  langer  Zeit 
viel  gestritten  ist.  v.  Wilamowitz,  Sappho  u.  Simon.  26  hält 
die  aufgestellten  Vermutungen  für  wenig  wahrscheinlich ;  seiner 
Ansicht  nach  hat  sich  der  Dichter  „den  Rand  der  Erde,  die  Küste 
des  Okeanos  als  eine  Xevxag  TttTQa  gedacht",  „dann  hat  er  sich 
wenigstens  etwas  gedacht".  Homer  kennt  in  der  Tat  ntTQrj  so- 
wohl im  Sinn  von  „Felsgebirge"  wie  von  „Fels"  •,  aber  die  Zu- 
sammenstellung mit  dem  Okeanos  zwingt  nicht  dazu,  den  weißen 
Felsen  längs  jenes  hinlaufend  zu  denken.  Eine  Lösung  der  Frage 
ist  nur  möglich,  wenn  es  gelingt,  den  Ursprung  der  Vorstellung 
festzustellen ;  und  da  ist  wahrscheinlich  von  den  weißen  Gerichts- 
felsen (Arch.  f.  Religionswiss.  XV,  1912,  372  ff.)  auszugehen,  an 
denen  die  Blutgerichtshöfe  zusammentraten ,  und  von  denen  die 
Verurteilten  hinabgestoßen  wurden,  an  denen  aber  auch  —  wie  so 
oft  an  Stätten  des  Hochgerichtes  —  mannigfacher  Privatzauber 
geübt  wurde.  Ob  je  an  demselben  Heiligtum  alle  diese  Vor- 
stellungen vereinigt  waren,  ist  zweifelhaft,  aber  begrifflich  gehören 
sie  zusammen,  und  einzelne  von  ihnen  sind  mit  anderen  sicher 
verbunden  gewesen.  Vgl.  Handbuch  d.  griech,  Myth.  u.  Religions- 
gesch.  816  f.  —  Wie  der  weiße  Felsen  ist  wahrscheinlich  auch 
die  eherne  Schwelle  von  einer  der  heiligen  Stätten,  wo  ein  Unter- 
weltseingang angenommen  wurde,  auf  den  mythischen  Zugang  zum 
Hades  übertragen  worden;  s.  Arch.  f.  Religionswiss.  XV,  1912,  360 ff. 
War  die  Seele  am  Hadeseingang  angelangt,  so  stand  ihr  der 
Eintritt  offen ;  hinaus  aber  durfte  sie  nach  einer  zwar  schon  in 
alter  Zeit  nicht  ausschließlich  herrschenden,  aber  jedenfalls  nicht 
erst  im  Epos  geschaffenen  Vorstellung  ebensowenig,  als  es 
Lebenden  möglich  war,  in  die  Unterwelt  einzudringen.  Doch  hatte 
die  religiöse  Einbildungskraft  in  der  Zeit,  da  man  sich  soviel  mit 
den  Toten  und  dem  Jenseits  beschäftigte,  vermeintliche  Mittel  ge- 
funden,  auch  den  Geistern,  die  man  beschwor,  den  Austritt  und 
Lebenden  das  Betreten  des  Hades  zu  ermöglichen.  Ein  solches 
Mittel  war  z.  B.  der  von  Vergil  erwähnte  goldene  Zweig,  über 
den  o.  {S.  ]2T)  berichtet  ist;  hier  muß  nur  noch  eine  Vermutung  über 
den  Zauberritus  erwähnt  werden,  auf  den  mutmaßlich  auch  diese 
Vorstellung  zurückgeht.  K.  Robert,  Sitzungsber.  BAW  1915, 
709  ff.  glaubt,  daß  der  Zweig,  den  Athena  auf  einem  Wiener  Sar- 
kophag der  geraubten  Persephone  entgegenhält,  ferner  der,  welchen 
Adonis  beim  Auszug  auf  die  Eberjagd  aus  Aphrodites  Schoß  hebt, 
und  der,  welchen  Alkestis  bei  der  Rückkehr  aus  dem  Hades  trägt, 
die  Erlösung  andeuten.     Dementsprechend  würde  Aeneas  oder  der 


Schicksal  der  Seele  nach  dem  Tode.  25J> 

Held,  von  dem  der  Dichter  den  Zug  auf  seinen  Helden  übertragen  hat, 
durch  den  Zweig  eigentlich  nicht  befähigt  worden  sein,  in  den  Hades 
einzudringen,  sondern  aus  ihm  wieder  herauszukommen.  Dies  wider- 
spricht zwar  Vergils  Darstellung,  ist  aber  für  seine  Vorlage  nicht  un- 
bedingt auszuschließen  und  würde  sich  damit  vergleichen  lassen,  daß 
auch  der  Nekromant,  der  einen  vermeintlichen  Unterweltseiugang  zu 
öffnen  vorgibt ,  damit  die  Toten  emporsteigen  können  ,  einen  Stab 
trägt,  der,  wie  der  ihm  nachgebildete  Stab  des  Hermes  yQvavQQaTCig 
vermuten  läßt,  ebenfalls  von  Gold  oder  vergoldet  war,  wo  solcher 
Aufwand  sich  erschwingen  ließ.  Indessen  gab  es  auch  Totenorakel, 
wo  den  Befragenden  vorgespiegelt  wurde ,  daß  sie  selbst  in  die 
Unterwelt  einträten,  und  auch  zu  diesem  Zwecke  konnte  man  sich 
der  magischen  Rute  bedienen.  Vielleicht  wurde  sie  bei  beiden 
Arten  der  Totenbefragung  angewendet.  —  Über  die  Beschwörungen 
handelt  Hubert  Mende  in  der  fleißigen  Breslauer  Dissertation: 
De  animarum  in  poesi  epica  et  dramatica  ascensu  1913.  Die  Dar- 
stellung ist  etwas  schematisch,  namentlich  im  zweiten  Teil,  wo 
die  verschiedenen  Arten  der  Totenerscheinungen  nach  Klassen  ge- 
schieden werden.  Da  es  sich  dabei  hauptsächlich  um  das  in  der 
Dichtung  benutzte  Einführungsmotiv  handelt,  das  für  die  Religions- 
geschichte meist  gleichgültig  ist,  so  kommt  für  diese,  die  den  Vf. 
überhaupt  weniger  beschäftigt  als  die  Literaturgeschichte ,  nicht 
viel  Neues  heraus ;  aber  als  Stoffsammlung  ist  die  Arbeit  dankens- 
wert. Daß  alle  späteren  Totenerscheinungen  von  Homer  abhängen  (88), 
geht  doch  wohl  zu  weit. 

Neben  der  Vorstellung,  welche  die  Geister  der  Abgeschiedenen 
in  der  Unterwelt  einschloß  und  nur  durch  Zauberei  die  Möglich- 
keit einer  Verbindung  der  Lebendigen  mit  den  Toten  voraussetzte, 
stand  unvermittelt  oder  auch,  so  gut  es  eben  ging,  ausgeglichen, 
eine  andere,  nach  der  die  Geister  in  der  Nähe  der  Leiche  oder  im 
Grabe  weilen  und  von  dort  nach  ihrem  Belieben  zu  Nutzen  oder 
öfter  zum  Schaden  der  Menschen  wirken  oder  zur  Oberwelt  empor- 
steigen. 

Um  das  Wiederkommen  der  Toten  zu  verhindern,  gab  es 
ebenfalls  Maßregeln ;  eine  von  ihnen  war  das  Köpfen  der  Leiche, 
über  das  Wiedemann,  Sphinx  XVIII,  1914,  31  ff.  besonders  mit 
Rücksicht  auf  Ägypten  handelt.  Aus  dieser  Vorstellung  erklärt 
Eitrem,  Hermes  und  die  Toten,  Vidensk.  Selsk.  Forh.  1909,  V, 
S.  6  (vgl.  65)  die  Bauopfer;  eine  ähnliche  Vorstellung  soll  sich 
beim  Altar  erhalten  haben,  worauf  Phleg.  mir.  3  (Westerm.  Paradox. 
.S.  130)  und  Porph.  abst.  II  56  bezogen  werden.  — 


25(5  Unterwelt, 

Über  den  Eingang  zur  Vntcricclt  herrschten  sehr  ver- 
schiedenartige Vorstellungen,  die  mindestens  zum  großen  Teil  an 
Einrichtungen  des  Kultus,  besonders  der  Totenfeste ,  des  Gräber- 
dienstes, der  Totenorakel  und  der  Hochgerichte  anknüpften.  Eine 
dieser  Vorstellungen  gehört  zu  der  bereits  bei  dem  attischen  Toten- 
fest der  Pithoigia  {247}  erwähnten  von  der  Unterwelt  als  Faß.  Sie 
erklärt  sich  einerseits  aus  dem  bienenkorbähnlichen  Grabkammern, 
der  „mykenischen"  Zeit,  andrerseits  aus  den  auf  die  Gräber  ge- 
setzten Urnen,  die  sich  zwar  an  Größe  und  Gestalt  von  jenen 
unterscheiden,  auch  einen  anderen  Zweck  haben,  aber  doch  vielleicht 
in  einem  gewissen  Zusammenhang  mit  ihnen  stehen,  sei  es,  daß  sie 
nach  Einführung  der  Leichenverbrennung  als  eine  billige  Erinnerung 
an  sie  beibehalten  wurden,  sei  es,  daß  mit  jenen  aufwandlicbende 
Fürsten  bescheideneren  Grabschmuck  überboten.  Eine  Art  Ver- 
bindunir  zwischen  beiden  Vorstellungen  könnte  einerseits  die  Sitte 
bieten,  die  sich  bei  einigen  sehr  alten  griechischen  Begräbnisstätten, 
z.  B.  den  Dipylongräbern ,  findet,  die  Leichen  in  einen  uLl^og 
hineinzuzwängen  (0.  Schrader,  Mitt.  d.  Schles.  Ges.  f.  Volksk. 
Bd.  XII,  1910,  S.  tjl),  anderseits  die  runde  brunnenartige  Öffnung, 
die  auf  Kunstwerken  als  Verbindung  von  Oberwelt  und  Unterwelt 
dient;  vgl.  Ducati,  Mon.  ant.  EAL  Vxix,  1910,  176  ff.,  der  an 
den  römischen  Mundus  erinnert,  und  Anziani,  Demonologie  etrus- 
que,  Mel.  d'arch.  et  d'hist.  XXX,  1910,  257  ff. ,  der  die  bisher 
meist  auf  griechische  Mythen  bezogenen  Darstellungen  von  Grab- 
urnen aus  etruskischen  Anschauungen  erklärt.  Die  Reliefs  zeigen 
den  aus  dem  Brunnen  aufsteigenden  Dämon  der  Unterwelt  ent- 
weder durch  einen  Priester  beschworen,  d.  h.  in  seine  menschliche 
Gestalt  zurückverwandelt,  oder  mit  Wolfskopf. 

Eine  Art  Hadcshe Schreibung  enthält  nach  Crusius  das 
in  sonderbaren  stets  gleichen  logaödischen  Versen  gedichtete  Stück 
Fayum  Towns  and  their  Papyri  (Eg.  Explor.  Funds  III  S.  82).  Es 
wird  eine  Ebene  beschrieben,  bedeckt  mit  Leichen,  die  auf  gewalt- 
same Weise  ums  Leben  gekommen  sind  und  von  den  Poinai  aus- 
gelacht worden.  —  Die  Nekyia  im  0.  Buch  der  Aeneis  ist  nach 
Mackail,  Journ.  Rom.  Stud.  III,  1913,  1  ff .  durch  minoische 
Bauten  bei  Cumae  bestimmt,  von  denen  Vergil  Kenntnis  gehabt 
haben  soll;  darum  wird  nach  Mackail  auch  zu  Anfang  des  Buches 
das   Werk  des  Daidalos  erwähnt. 

Waren  die  Toten  in  der  Unterwelt  angelangt,  so  wurden  sie 
vor  das  Gericht  gestellt,  das  entschied,  an  welchen  Ort  sie  ge- 
langen, und  wenn  sie  schuldig  befunden  wurden,  welche  Strafe  sie 


Unterweltsrichter.  257 

erleiden  sollten.  Obwohl  von  den  späteren  Unterweltsgöttern 
mindestens  zwei,  Minos  und  ßhadamanthys ,  wahrscheinlich  vor- 
griechische Namen  tragen,  ist  nicht  sicher,  daß  sie  als  Totenrichter 
bis  in  das  zweite  Jahrtausend  hinaufreichen.  Zuerst  werden  sie 
von  Plat.  FoQy.  79,  S.  523^  genannt,  und  Deubner,  Herrn.  XLIII, 
1908,  638  ff.  schließt  aus  dem  unbestimmten  r/4;  bei  Find.  'O,  II 
59 ,  wo  er  tv  zade  Jiog  agx^  auf  die  Zeit  vor  Zeus'  Herrschaft 
bezieht,  daß  im  Anfang  des  5.  Jhs.  die  Vorstellung  von  dem  Toten- 
richter vielleicht  noch  keine  festen  Formen  angenommen  hatte. 
SoU  damit  ein  Zweifel  an  dem  hohen  Alter  des  Glaubens  an  das 
Totengericht  ausgesprochen  werden ,  so  scheint  mir  diese  Ansicht 
nicht  gegründet.  Es  ist  unwahrscheinlich,  daß  die  Einführung  des 
Totengerichts,  wie  früher  wohl  angenommen  wurde,  mit  dem  Auf- 
kommen orphischer  Vorstellungen  zusammenhängt.  Zwar  haben  die 
Orphiker  sich  wie  anderer  überlieferter  Vorstellungen  so  auch  dieser 
bedient,  aber  ihre  Lehre  zielte  nach  ganz  anderer  Richtung.  Es 
ist  eher  zu  glauben,  daß  die  Odyssee  den  Minos  die  Streitigkeiten 
der  Toten  entscheiden  ließ ,  weil  er  nach  einer  vorliegenden 
Überlieferung  über  ihre  Taten  während  ihres  Lebens  richtete, 
als  daß  der  spätere  Glaube  durch  Umdeutung  der  Homerstelle  ge- 
wonnen wurde.  Aber  daß  es  von  Anfang  an  neben  dem  Hades- 
hierm  auch  Hadesrichter  gegeben  habe ,  ist  in  der  Tat  nicht  sehr 
wahrscheinlich;  wie  auch  später  noch  oft  dem  Unterweltsherrscher 
selbst  die  Entscheidung  über  das  Los  der  Seelen  zugeschrieben 
wird,  so  scheint  Minos  zeitweilig  als  Gebieter  in  der  Unterwelt 
gegolten  zu  haben  und  erst,  seitdem  als  solcher  Hades  allgemein 
anerkannt  war,  in  die  Stellung  eines  Richters  hinabgedrängt  zu 
sein.  Es  fehlt  sogar  später  nicht  ganz  an  Resten  dieser  Vor- 
stellung. Wie  so  oft  als  Beisitzer  des  Unterweltskönigspaares  wird 
auf  einer  neu  veröffentlichten  ägj^ptischen  Grabinschrift  der  Tote 
als  Mivo)  övvd^toy.og  (d.  i.  avvd^ayiog)  naq  euaeßeatv  bezeichnet 
(Arch.  f.  Papyr.  V,  1913,  164,  Nr.  12).  Auch  Rhadamanthys  scheint 
einst  Hadesgebieter  gewesen  zu  sein ;  wenigstens  nennt  Seh.  Theokr. 
II  34  den  Pluton  '^Padäi.iag,  wenn  die  Stelle  ganz  in  Ordnung  ist. 
Ist  das  Urteil  gesprochen ,  so  werden  die  Verdammten  ge- 
foltert. Als  Beispiel  führen  die  antiken  Hadesbeschreibungen  eine 
Reihe  mythischer  Frevler  an,  über  die  L.  Radermacher,  Rh. 
Mus.  LXIII,  1908,  530  ff.  die  antike  Überlieferung  zu  dem 
Zweck  zusammengetragen  hat,  um  im  Anschluß  an  A.  Dieterich  zu 
zeigen,  daß  harmlose  attische  Volksüberlieferungen  aus  Märchen  von 
mystischen  Theologen  aufgegriffen,    zu  Hadesstrafen  umgestempelt 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  186  (Sapplcnientband).  17 


258  Elysion.    Inseln  der  Seligen. 

und  auf  die  mythiscben  Helden  Tantalos,  Sisyphos  usw.  gesetzt 
worden  sind.  Die  loXol  (Piud.  'O.  II  61  ff.),  d.  h.  die  für  gut  Be- 
fundenen ,  kommen  au  den  lönoQ  eiaeßon'  oder  dfietvwv.  Dieser 
war  nach  Malten,  Arch.  Jahrb.  XVIII,  1913,  35  ff.  ursprünglich 
ganz  verschieden  von  dem  Elysion  oder  den  f.tay.dQcov  vrjaoi ,  wo- 
mit das  Götterland  bezeichnet  sein  soll,  da  i.td/.aQeg  bei  Homer  die 
Götter  seien.  Erst  als  die  Seelenwanderuugslehre  aufkam,  wurde 
nach  Malten  unter  den  Inseln  der  Seligen  auch  der  Endaufenthalt 
der  ganz  Erlösten  verstanden;  so  bei  Pind.  a.  a.  0.  70  f.,  der  aber 
zu  beiden  Schilderungen  dieselben  Farben  verwendet  und  nach 
epischer  Erinnerung  auf  den  Inseln  der  Seligen  Peleus  und  Kadmos 
wohnen  läßt,  so  daß  das  Elysion  zu  den  zwei  tottoi  rein  omamental 
hinzugetreten  ist  (48).  Es  ist  daher  nach  Malten  (49)  begreiflich, 
daß  Plat.  rogy.  79,  524'"^  die  ^a/.dQ(ov  vrjaoi  geradezu  dem  Aufent- 
halt der  Seligen  gleichsetzt  und  in  die  Unterwelt  verlegt.  Bei  der 
Formelhaftigkeit  der  homerischen  Sprache  scheint  es  mir  unstatt- 
haft, aus  der  Häufigkeit  der  Bezeichnung  der  Götter  als  ^äy.aqeg 
zu  folgern ,  daß  die  fuay.dQiüv  vrjaoi  ursprünglich  die  Eilande  der 
Götter  waren.  Ebenso  wie  Elj'sion  und  die  später  übliche  Be- 
zeichnung der  „Stätte  der  Frommen"  wird  auch  jener  Ausdruck 
von  Haus  aus  für  die  Aufenthaltsstätfe  derjenigen  gebraucht  worden 
sein,  die  an  bestimmten  Kulten  teilgenommen  hatten.  Übrigens  darf 
man  die  Ausdrücke  „Elysion"  und  „Insel  der  Seligen",  wenn  sie 
auch  beide  das  Land  der  Erlösten  bezeichneten  und  später  unter- 
schiedslos gebraucht  wurden,  nicht  durchaus  gleichsetzen.  Wahr- 
scheinlich ist  derselbe  Begriff  an  verschiedenen  Kultstätten  ver- 
schieden benannt  und  wohl  auch  ausgebildet  worden.  Elysion  wird 
zu  einem  Heiligtum  gehören,  das  im  Reiche  der  Seligen  den  blonden 
Rhadamanthys  herrschen  ließ  (Od.  d  564).  Die  Griechen  haben 
ihn  durch  den  blonden  Menelaos  ersetzt,  der  später  neben  ihm 
erscheint.  Denn  auch  diese  Vorstellung  ist  wahrscheinlich  vor- 
griechisch, obwohl  Malten  schwerlich  Recht  hat,  wenn  er  das  Wort 
Elysion  der  griechischen  Sprache  abspricht.  Auch  Kronos,  der, 
wie  es  scheint,  ursprünglich  auf  den  Inseln  der  Seligen  herrschte, 
ist  wohl  ein  Gott  der  älteren  Bevölkerung  gewesen.  —  Darstellungen 
des  seligen  Lebens  im  Elysion  erkennt  Oldfather,  Philol.  LXIX, 
1910,  120  auf  Ttivaxeg  von  Lokroi  EpizephjTioi.  —  Vor  der  mystischen 
Auslegung  von  unteritalischen  Vbb.  warnt  Vittorio  Macchioro, 
Intomo  al  contenuto  oltremondano  della  ceram.  ital.  Neap.  I,  1913, 
30  ff.  und  (gegen  C  i  a  c  e  r  i ,  II  significato  di  alcune  scene  su  vasi 
antichi  dell'  Italia  meridionale,  Apulia  1913,  S.  88  ff.)  ebd.  II,  1914,. 


I 


Die  Seelen  als  Sterne.  259 

113.  —  Über  das  Phaiakenland   als  Elj'sion    s.  v.  Wilamowitz, 
11.  u.  Hom.  497  ff. ;  Kranz,  Herrn.  L,  1915,  96  ff. 

Neben  dem  Glauben  an  das  Elysion  und  die  Inseln  der  Seligen 
bestand  seit  uralter  Zeit  und  dauerte  ebenfalls  während  des  ganzen 
Altertums  die  Vorstellung  fort,  daß  die  Seelen  der  Besten  an  den 
Himmel  gelangen  und  dort  im  Monde  (seltener  in  der  Sonne)  fort- 
leben oder  zu  Sternen  werden ;  vgl.  G  u  n  d  e  1 ,  De  stellamm  appella- 
tione  et  religione  ßomana  129  =  KV  u.  V  III  2,  1907,  221; 
Haussoullier,  Rev.  de  phil.  XXXIII,  1909, 1  ff.  (über  aOTT]Q  yevo- 
fop;  einer  Inschrift  von  Amorgos  und  den  Vers  ttccq  xtgag  'Q?.epirjg 
alyuQ  ccveQxöjuevog,  mit  dem  eine  milesische  Inschrift  von  einem 
toten  Knaben  spricht);  Pascal,  Riv.  di.  fil.  class.  XXXVIII, 
1910,  427  ff. ,  der  viele  Beispiele  aus  römischer  Zeit  anführt; 
Reitzenstein,  Die  hellenistischen  Mysteriem-elig.  1910,  S.  171; 
Greßmann,  Protestantenbl.  XLIX,  1916,  661  ff.;  Pfeiffer, 
Stud.  zum  ant.  Sternglauben  (^rot/ela  II)  Leipz.-Berl.  1916,  113  ff. 
Am  ausführlichsten  handelt  über  diesen  Vorstellungskreis  P.  Ca- 
pelle  in  der  Dissertation  De  luna,  stellis,  lactis  orbe  animarum 
sedibus ,  Halle  1907.  Neben  zahlreichen  QueUenuntersuchungen, 
unter  denen  z.  B.  hervorzuheben  ist,  daß  Cic.  somn.  Scip.  13  nicht 
auf  Poseidonios  sondern  auf  Herakleides  Pontikos'  Dialog  ^EfXTtedo- 
tiixog  i]  TTEQi  Twv  SV  ovQavto  zurückgeführt  wird  (45) ,  gibt  der 
Verfasser  Vergleiche  mit  mittelalterlichem  und  neuerem  Volks- 
glauben. —  Früh  begegnet  im  Morgenland  die  Vorstellung,  daß  ein 
Adler  die  Seele ,  speziell  die  von  Angehörigen  des  Königshauses, 
zu  demjenigen  Stern  emporträgt,  dem  sie  ihre  irdische  Entstehung 
verdankt.  Nach  Cumont,  Rev.  bist.  rel.  LXII,  1910  2,  119  ff. 
(vgl.  Lidzbarski,  Ephem.  f.  semit.  Epigr.  III  3,  1911,  188  f.), 
der  damit  auch  die  Verwendung  des  Adlers  als  eines  Grabsymbols 
verbindet,  lebt  diese  Vorstellung  im  kaiserlichen  Rom  fort.  Vgl.  o. 
(KaiserJcult  S.  93).  —  Besondere  Bedeutung  gewann  die  Lehre  von 
der  Himmelfahrt  der  Seele  in  der  Mystik  des  6.  Jhs. ,  welche  die 
Rückkehr  in  das  eigenschaftlose ,  vielfach  im  Äther  angenommene 
und  an  oder  über  den  Himmel  versetzte  All-Eine  zum  Ziel  der 
Erlösungshoffnung  machte ;  sie  ist  seitdem  ein  Hauptbestandteil  fast 
aller  mystischen  Systeme  des  Altertums  geblieben.  Über  die 
gnostische  Lehre  von  der  Rückkehr  der  Seele  zur  großen  Göttin 
durch  die  7  Planeten  und  die  Fixstemsphäre  s.  Delatte,  Musee 
Beige  XVII,  1913,  327  ff.  Auf  den  Aufstieg  der  Seele  durch  die 
7  Planetensphären ,  denen  die  7  Grade  der  Weihe  entsprechen 
sollen,    wird    eine    auf    dem    laniculum    gefundene    Statuette    der 

17* 


260  Diö  Seeion  als  Sterne.    Seelenwanderungslehre. 

Atargatis  bezogen ,  die  zwischen  7  Windungen  einer  sich  um  sie 
ringelnden  Schlange  je  ein  Ei  zeigt,  s.  zuletzt  Deonna,  Rev.  et. 
anc.  XIII,  1911,  419.  —  Über  die  orphische  Anschauung,  die 
das  Paradies  in  die  Sonne  oder  den  Mond  verlegte,  s.  o.  {259).  — 
Bisweilen  heißt  es ,  daß  die  Seele  durch  das  Sternbild  der  Wage 
aufsteige ;  wir  hören ,  daß  deren  Gott  Abatur  sich  gegen  die  da- 
durch verui-sachte  Verunreinigung  wehrt  (Lidzbarski,  Das 
Johannesbuch  der  Mandäer  232;  Reitzenstein,  Sitzungsber. 
Heidelb.  AW  1917,  X,  36).  —  Nach  Lejay,  Rrr.  de  phil.  XXXVI, 
1912,  201  liegt  die  Vorstellung  von  dem  Aufstieg  der  Seele  durch 
die  Planeten  auch  der  Rede  bei  Eusebips,  hist  eccl.  X  4,  15  zu- 
grunde, wo  der  Jubel  über  die  Besiegung  des  Heidentums  ge- 
schildert werden  soll.  —  Dem  Aufstieg  der  Seele  nach  dem  Tod  ent- 
spricht in  der  mystischen  Literatur  ihr  Abstieg  vor  der  Geburt. 
Über  diesen  Glauben  in  den  Hermetika  vgl.  B  o  u  s  s  e  t ,  Gott.  Gel. 
Anzeig.  CLXXVI,  1914,  732  ff.,  der  u.  a.  daraufhinweist,  daß  sich 
neben  der  Vorstellung  von  den  schlechten  Gaben,  welche  die  Seele 
bei  ihrem  Durchgleiten  durch  die  einzelnen  Sphären  empfängt,  auch 
die  umgekehrte,  nach  Bousset  735  ältere  findet,  nach  der  die  Pla- 
neten als  gute  Geister  mit  ihren  Gaben  das  Wesen  der  Menschen 
konstituieren  (Serv.  Aen.  XI,  51;  Macrob.  somn.  Scip.  I  12,  14). 
Die  Lehre  von  den  Planetenlastern  wird  nach  Bousset  736  unter 
den  Gnostikern  bereits  dem  Basileides  (Klem,  otq.  II  20,  112) 
wenigstens  rudimentär  zugeschrieben.  —  Carl  Hönn,  Stud.  z. 
Gesch.  der  Himmelfahrt  im  klass.  Altert.,  Progr.  Mannheim  1910 
will  Boussets  und  A.  Dieterichs  Untersuchungen  fortsetzen,  gelangt 
aber  in  dem  hier  vorläufig  veröffentlichten  Teil  —  eine  etwaige 
Fortsetzung  ist  mir  nicht  zugänglich  —  nicht  dazu ,  friihere  Vor-  M 
Stellungen  zu  berichtigen,  klären  oder  zu  vertiefen.  fl 

Schließlich  ist  hier  einer  Vorstellung  von  dem  Schicksal  der  j. 
Seelen  nach  dem  Tode  zu  gedenken ,  die  zwar  weder  aus  dem 
Totenkult  hervorgegangen  ist  noch  auf  ihn  eingewirkt  hat ,  aber 
doch  mit  den  zuletzt  behandelten  Vorstellungen  verbunden  und  von  f 
ihnen  durchkreuzt  wurde:  der  Seelenwanderungslehre.  Sie  tritt 
fast  gleichzeitig  in  Indien  und  andern  asiatischen  Ländern  und  in 
Griechenland  bei  den  Orphikem  und  bei  Pythagoras  auf,  und  zwar 
überall  in  der  sehr  eigenartigen  Wendung,  daß  die  Wiedergeburt 
oder,  wie  es  hier  heißt,  das  „Wiedersterben"  als  ein  Fluch  be- 
trachtet wird,  den  der  Mensch  durch  Ertötung  aller  Affekte  brechen 
und  nach  dessen  Beseitigung  er  in  seinen  Ursprung,  das  unpersön- 
liche  All-Eine    zurückkehren   könne.     Daß    ein  geschichtlicher  Zu- 


Seelenwanderungslehre.  261 

sammenhang  zwischen  diesen  Systemen  bestehen  müsse,  die  gleich 
bei  ihrem  ersten  Auftreten  zwei  Erdteile  in  Bewegung  gesetzt  und 
die  lange  nachgewirkt  haben,  ja  noch  jetzt  nachwirken,  scheint  mir 
sicher,  und  da  die  E,eise  des  Pythagoras  oder  eines  andern  griechi- 
schen Philosophen  nach  Indien  oder  China  ebenso  unwahrscheinlich 
ist  wie  die  Buddhas  oder  eines  andern  Inders  oder  Hinterasiaten 
nach  Griechenland ,  so  muß  wohl  angenommen  werden ,  daß  der 
gemeinschaftliche  Ausgangspunkt  all  dieser  Bewegungen  in  Vorder- 
asien etwa  im  Zweistromland  lag,  und  daß  die  Griechen  die  Lehre 
als  letzte  große  Anregung  aus  dem  Morgenland  empfingen.  Daß 
sich  von  ihr  in  assjTischen  Denkmälern  so  wenig  eine  Spur  findet 
wie  auf  solchen  Ägyptens,  für  das  Herodot  wenigstens  den  Seelen- 
wanderungsglauben bezeugt,  beweist  nichts,  da  solche  Texte,  auf 
denen  sie  erwartet  wei'den  könnte ,  aus  dem  6.  und  5.  Jh.  für 
beide  Länder  fehlen.  In  christlichen  und  islamitischen  Sekten 
Westasiens,  in  denen  Reste  assyrischer  Vorstellungen  nachgewiesen 
sind,  fanden  sich  während  des  Mittelalters  und  finden  sich  z.  T. 
noch  heute  deutliche  Spuren  der  Lehi'e  von  der  Metempsychose 
oder,  wie  sie  besser  genannt  wird ,  von  der  Metasomatose.  Diese 
steht  demnach  in  einem  großen  Zusammenhang,  den  die  neuere 
Forschung  noch  immer  nicht  genügend  beachtet,  •{■  T  o  r  g  n  y 
Segerstedt,  Le  monde  oriental,  Upsala  1919,  43  ff.,  111  ff.  unter- 
schätzt, soweit  die  ausführliche  Inhaltsangabe  bei  van  der  Voo, 
Rev.  hist.  rel.  LXIII,  1911^,  215  ff.  erkennen  läßt,  den  Abstand 
zwischen  der  alten  Vorstellung  von  dem  Aufenthalt  der  Seelen  im 
Hades  oder  einem  besseren  Jenseits  und  der  Seelenwanderungs- 
lehre. —  Fimmen,  Arch.  f.  ßeligionswiss.  XVII,  1914,  513 
streitet  den  älteren  Orphikern  die  Seelenwanderungslehre,  deren 
Zusammenhang  mit  der  Auffassung  des  Körpei'S  als  eines  Grabes 
der  Seele  er  nicht  erkennt,  ab  und  meint,  erst  Pythagoras  habe 
die  Metemps3'chose  in  Äg3^pten  kennen  gelernt ,  aber  nur  den 
Glauben,  daß  die  Seele  in  verschiedene  Formen  eingehen  ^ömae; 
erst  indem  er  die  Möglichkeit  zur  Gcivißheit ,  die  beliebig  kurze 
Zeit  zu  einer  Durchführung  des  ganzen  Lebens  erhob  und  als 
Zweck  der  Seelenwanderung  die  Strafe  und  die  Läuterung  liin- 
stellte,  soll  er  den  ägyptischen  Formalismus  zu  einem  hohen  Wert 
umgeschaffen  haben.  Ein  gewisser  Zusammenhang  zwischen  dem 
von  Fimmen  als  ägyptisch  bezeichneten,  aber  schwerlich  von 
Herodot  gemeinten  Glauben  und  der  Seelenwanderungslehre  ist 
zwar  zuzugeben,  aber  er  betrifft  einen  nur  bei  oberflächlicher  Be- 
trachtung wichtigen  Punkt,  und  diese  Vorstellung  konnte  Pythagoras 


262  Seelenwanderungslehre.  —  Wetterzauber. 

ebenso  wohl  in  der  Heimat  kennen  lernen  wie  am  Xil.  Das  Ent- 
scheidende, die  fast  völlige  Übereinstimmung  der  griechischen  und 
der  indischen  Lehre  von  dem  Fluche  der  Wiedergeburt  und  der 
Erlösung  durch  Abtötung  der  Affekte  oder  Unterdrückung  der 
Sinnlichkeit  erscheint  bei  dieser  Auffassung  als  bloßer  Zufall,  ebenso 
daß  diese  Lehre  auch  in  Griechenland  bei  den  Orphikern  wieder 
eine  religiöse  Färbung  erhielt. 

Nach  dieser  Abschweifung  kehren  wir  zu  den  Kulten  zurück 
und  betrachten  jetzt 

h)    die  Zeit    und  Veranlassung   der    öffentlichen 
Gottesdienste. 

1)  Einmalige  Begrehungfen  aus  besonderer 
Veranlassung-. 

So  wenig  wie  bei  irgend  einem  andern  Kulturvolk  läßt  sich 
bei  Griechen  und  Römern  eine  Zeit  erschließen,  in  der  es  keine 
regelmäßigen,  in  bestimmten  durch  den  Lauf  der  Sonne,  des  Mondes 
oder  der  Sterne  festgesetzten  Zwischenräumen  gefeierten  Feste 
gab;  aber  nicht  wenige  solcher  Feste  sind  sicher  oder  wahrschein- 
lich aus  Zauberakten  enstanden ,  die  nur  ausnahmsweise  bei  einer 
bestehenden  Not  geübt  wurden,  haben  freilich  ihren  ursprünglich 
finsteren  Charakter  oft  ganz  abgestreift,  wenn  sie  nicht  mehr  in 
Mangel  oder  Bedrängnis ,  sondern  in  Zeiten  des  Überflusses  zur 
Abwendung  eines  möglichen  Glücksumschlags  gefeiert  wurden.  Im 
Frieden  gab  zum  Notzauber  und  zum  Notgebet  besonders 

a)  das  Wetter 

Anlaß,  dem  noch  heute,  erst  recht  aber  im  Beginn  der  Kultur  für 
den  Südeuropäer  und  für  die  Bevölkerung  Vorderasiens  eine  er- 
heblich größere  Bedeutung  zugeschrieben  werden  muß  als  etwa  für 
die  Bewohner  Deutschlands  oder  Frankreichs.  Das  Ausbleiben  der 
Herbst-  und  Frühlingsniederschläge  verhinderte  das  Gedeihen  der 
Felder  und  "Weiden,  Stürme  gefährdeten  die  Schiffahrt  und  Fischerei : 
80  waren  die  wichtigsten  Erwerbsklassen,  ja  das  ganze  Volk  in 
der  Existenz  bedroht,  wenn  das  Wetter  ungünstig  war ;  und  da  es 
keine  natürlichen  Mittel  gab,  sich  dagegen  zu  schützen,  versuchte 
man  es  mit  übernatürlichen. 

Weit  verbreitet  war  die  Sitte,  mit  Hilfe  eines  Ilegensteines , 
den  man  sich  oft  als  vom  Himmel  gefallen  und  dessen  Regenkraft 
in  sich  schließend  und  später  als  Sitz  des  Regen-  und  Vegetationa- 
dämons  dachte,  indem  man  ihn  badete  oder  salbte,  die  erwünschten 
Niederschläge  zu  erzwingen.    Die  Sitte  gehört  zu  den  am  weitesten 


Wetterzauber.  263 

verbreiteten  Volksgebräuchen,  sie  findet  sich  auch  jetzt  noch  nicht 
nur  auf  altgriechischem  Kulturgebiet,  z.  B.  in  Üsküb,  wo  Christen 
und  Mohammedaner  bei  langer  Regenlosigkeit  einen  umgestürzten  Altar 
des  luppiter  Optimus  Maximus  aufrichten  und  mit  Wein  begießen, 
Hasluck,  Ann.  Brit.  öch.  of  Ath.  XXI,  1914/16,  78,  sondern 
auch  sonst  vielfach,  z.  B.  in  Afrika,  auch  in  Indien,  ja  sogar  in 
Mexiko,  vgl.  M.  A.  Murray,  Zeitschr.  f.  ägy-pt.  Spr.  u.  Altertumsk. 
LI;  1913,  131,  s.  ferner  Eisler,  Phüol.  LXVIII,  194  ff.  Auch 
diu'ch  donnerähnliche  Geräusche  versuchte  man  an  manchen  Orten 
den  Himmel  zum  Regnen  zu  bringen ,  s.  F  r  a  z  e  r ,  Balder  the 
Beautiful  (Golden  Bough  VII)  II  227  ff. ;  der  Ritus  wurde  später 
auf  verschiedene  Weise  erklärt,  z.  B.  so,  daß  der  schlafende  Gott 
erweckt  oder  daß  der  eben  geborene  begrüßt  werden  soUte.  Das 
sind  wahrscheinlich  nachträgliche  Deutungen ,  der  ursprüngliche 
Sinn  der  Begehung  ist  nicht  sicher;  sie  mag  ein  Analogiezauber 
gewesen  sein  oder  auch  die  Abwehr  der  den  Regen  zurückhaltenden 
Dämonen  bezweckt  haben.  —  Einen  andersartigen  Regenzauber  aus 
Assj'rien,  der  dort  früh  abgekommen  oder  wenigstens  zurückgetreten 
ist ,  aber  im  späteren  Griechenland  geübt  wurde ,  die  Besprengung 
des  Landes,  bespricht  Bezold,  Zeitschr,  f.  Assyriol.  XXVI,  1912, 
S.  120  f. —  Mit  dem  Argeeropfer,  in  dem  War  de  Fowler,  Rel. 
Exper.  of  the  Rom.  People  55 ,  321  im  Gegensatz  zu  Wissowa 
einen  Regenzauber  sehen  möchte ,  berührt  sich  eine  bulgarische 
Sitte,  über  die  Kazarow,  Klio  VI,  1906,  170  berichtet:  eine 
Lehmfigur,  der  „German"  (ein  Dämon  der  Hitze?)  wird  beklagt  und 
an  einem  Flusse  begraben.  —  Einen  bulgarischen  Gewitterzauber  teüt 
Kazarow,  ebd.  XII,  1912,  356  f.  mit;  er  vergleicht  das  Pfeü- 
schießen ,  durch  das ,  wie  Herod.  4.  94  auch  nach  seiner  Deutung 
sagt,  die  Bewohner  sich  gegen  Gewitterschäden  zu  schützen  suchten. 
—  Zu  dem  Regenzauber  mit  vergossenem  Blut  bringt  Frazer, 
Magic  Art  (Golden  Bough  I)  I  256 ;  Dying  God  (ebd.  III)  20  Bei- 
spiele aus  Australien  und  vom  oberen  Nil  bei.  —  Den  Glauben, 
daß  man  durch  das  Untertauchen  einer  Jungfrau  den  fehlenden 
Regen  herbeiführen  könne,  folgert  A.  J.  Reinach,  Rev.  et.  d'ethnogr. 
et  de  soc.  I,  1908,  297.  —  Allerhand  Maßregeln  zur  Abwehr  der 
Hagelschäden  werden  in  den  Geopon.  I  14  empfohlen:  über  diese 
Zauberriten,  denn  das  sind  mindestens  einige  von  ihnen  gewesen, 
handelt  Fehrle,  Antiker  Hagelzauber,  Alemannia  III,  IV,  1912, 
13  ff.  und  in  der  Heidelberger  Habilitationsschrift  „Zur  Gesch.  der 
griech.  Geoponica"  1913,  S.  7  ff.  Bemerkenswert  ist  u.  a. ,  was 
in   der   ersten  Abhandlung   über   die  Anwendung   des  Spiegels    im 


2G4  Kriegsopfer. 

Hagelzauber  gesagt  wird :  man  suchte  den  gefahrliclien  Dämon  der 
Hagelwolke  im  Spiegel  einzufangen. 

;*)  Zauberei  und  gottesdienstliche  Handlungen  aus  Anlafi 
A'on  Kriegen, 

Einer  der  stärksten  Antriebe .  sich  an  die  übernatürlichen 
Mächte  zu  wenden,  bietet  für  den  Menschen  der  Krieg.  Die  durch 
ihn  veranlaßten  Begehungen  behandeln  0.  Kern  in  einem  beim 
Rektoratsantritt  gehaltenen  Vortrag  j,Krieg  und  Kult  bei  den 
Hellenen",  der  zuerst  19 IG  in  der  für  die  im  Felde  stehenden 
Hallischen  Studenten  bestimmten  literarischen  Weihnachtsgabe, 
dann,  um  Literaturangaben  erweitert  und  in  einem  Punkte  be- 
richtigt, selbständig  Halle  1917  gedruckt  ist,  und  Szymanski  in 
der  durch  E.  Maaß  angeregten  Dissertation  Sacrificia  Graecorum 
in  bellis  militaria,  Marburg  1908,  der  in  4  Kapiteln  die  Opfer  vor 
dem  Auszug  des  Heeres ,  auf  dem  Marsch ,  vor  der  Schlacht  oder 
dem  Sturm  auf  eine  feindliche  Stadt,  endlich  nach  dem  Siege  be- 
spricht. In  einem  Anhang  wird  der  Unterschied  von  legä  und 
oq^äyia ,  von  denen  die  letzteren  zur  Zeit  des  Epos  noch  nicht 
bestanden ,  erörtert  und  dabei  gegen  Stengel  die  grundsätzUche 
Verschiedenheit  beider  nach  Sinn  und  Bedeutung  behauptet:  die 
meist  erst  nach  Aufstellung  der  Schlachtordnung  dargebrachten  (55) 
oqüyia  sollen  ursprünglich  nicht  zur  Weissagung  gedient,  sondern 
diese  Bestimmung  erst  allmählich  durch  Übertragung  von  den  IeqÖ. 
erhalten  haben.  Nachträge  und  Berichtigungen  dazu  gibtP.  Stengel, 
Arch.  f.  Religionswiss.  XIII,  1910,  85  ff.  Nach  ihm  bedeutet 
a(fd~eiv  „schachten",  gleichviel,  ob  es  sich  um  Opfer  an  Heroen, 
Tote,  um  Sühn-  oder  Eidopfer  handelte,  daneben  auch  „in  großer 
Gefahr  opfern",  wobei  dem  Gotte  nichts,  auch  keine  Spenden  dar- 
gebracht wurden,  dagegen  ein  fjcii-rig  die  Zeichen  beobachtete.  — 
Über  Menschenopfer  im  römischen  Heer  vgl.  Seh  wenn,  ßV  u.  V, 
XV  3,  1915,  141  ff.  —  Viel  behandelt  ist  in  neuerer  Zeit  die  von 
Liv.  XL  6,  1  beschriebene  Lustration  des  makedonischen  Heeres, 
das  zwischen  Stücken  eines  geteilten  Hundes  hindurchgeführt  wird 
(vgl.  Gurt.  X.  9.  11  =  X.  28,  Plut.  qu.  Rom.  111 ;  s..auch  o.  (S.  147». 
s.  A.  Reinach,  Rev.  et.  gr.  XXVI,  1913,  359  f. ;  Baege,  De 
Macedon.  sacr.  224;  Xilßon,  Griech.  Feste  404;  Arch.  f. 
Religionswiss.  XT^'I,  1913,  314  und  besonders  E irrem,  Beitr.  zur 
griech.  Religionsgeschich.  II  (Vidensk.  Skr.  1912  II  ii),  S.  9. 
Nächst  ver\\andt  ist  der  aus  der  Opferung  der  Astydameia  bei 
Apollod.  III  173  zu  erschließende  Ritus,  zu  dem  Eitrem  a.  a.  0. 
Piu  allelen  anführt ;  er  erinnert,  wie  z.  T.  schon  Frühere,  einerseits 


I 


Kriegsopfer.  265- 

an  die  dem  Peleus  im  thessalischen  Pella  dargebrachten  Menschen  - 
opfer  (Monim.  FHG  IV  454  bei  Klem.  tiqoiq.  III  42.  4  oder  in 
Pellene,  Kyr.  in  Jul.  IV,  S.  128  C ;  vgl.  Paradox  ed.  Westerm.  S.  165), 
andererseits  an  das  Durchgehen  durch  das  geteilte  Opfer  beim 
Eide  (Dikt.  I  15,  II  49,  V  10)  und  an  das  von  Herodot  VU  39 
beschriebene  Verfahren.  —  Über  den  Kr i eg stanz  ist  o.  {S.  1%) 
berichtet.  Heilige  C aterv enhämpfe ^  in  denen  Usener, 
Kl.  Schi*.  IV  435  eine  Darstellung  des  Kampfes  von  Sommer  und 
Winter  gesehen  hat,  erschließt  Vürtheim,  Versl.  en  Meded. 
IVxH)  1913,  37  flf.  aus  der  ätiologischen  Erzählung  bei  Plut. '^p.  17 
a.  E.,  die  er  auf  den  Kult  der  Artemis  ^Og^ia  bezieht.  Die  beiden 
feindlichen  Parteien    sollen  durch  Astrabakos  und  Alopekos  (Paus. 

III  10.  9)  vertreten,  also  als  Esel  (vgl.  aoTQaßri  Maultiersattel j 
und  Füchse  gekennzeichnet  gewesen  sein ;  und  zwar  soll  der  Kampf, 
wie  aus  der  ebenfalls  auf  diesen  Catervenkampf  bezogenen  Schilde- 
rung bei  Xenoph.  yiay.eö.  reo)..  2.  9  gefolgert  wird,  darin  bestanden 
haben,  daß  die  eine  Abteilung  (die  Füchse?)  Käse,  nach  Alkm. 
:r.  34  von  der  Göttin  selbst  aus  Löwenmilch  bereitet ,  von  dem 
Altar  der  Göttin  zu  rauben,  die  andere  diesen  Raub  zu  verhindern 
bestrebt  war.  Vürtheim  vergleicht  u.  a.  den  Kampf  im  spartani- 
schen Platanistas ,    den  Jungfrauenkampf  bei  den  Auseem  (Herod. 

IV  180),  die  von  den  16  Frauen  in  Elis  gebildeten  Kampfreigen 
der  aus  einem  Orte  Orthia,  also  wahrscheinlich  ebenfalls  aus  dem 
Kult  der  Artemis  ^Ood^ia  stammenden  Phjskoa  und  der  Hippo- 
dameia,  und  den  Kampf  in  der  Vorstadt  Meroe  zu  Antiocheia.  Dem 
Käsestehlen  entspricht  nach  Vürtheim  der  von  Ostheide,  Arch. 
f.  Beligionswiss,  X,  1907,  156  in  Ergänzung  von  Useners  Samm- 
lungen angeführte  Brauch  in  Kampen,  wo  zwei  Parteien  danach 
trachten,  einander  das  Holz  für  das  Martinsfeuer  oder  Pfannkuchen 
zu  stehlen.  Der  Gebrauch  soll,  wie  Vürtheim  u.  a.  aus  dem 
elischen  Namen  der  Physkoa  folgert,  aus  Karien  stammen,  wo  es 
ein  Physkos  gibt  und  wo  auch  die  in  der  Legende  mit  dem  griechischen 
Physkos  verbundenen  Leleger  bezeugt  sind ;  dieselbe  karischa 
Göttin,  die  in  Sparta  Artemis  ^ÖQ&ia  genannt  wurde,  soll  in  Samos 
der  Hera  gleichgesetzt  sein.  In  hellenistischer  Zeit  entartete  das 
Schauspiel  immer  mehr,  es  wurde  zu  einem  grausamen  Spießruten- 
laufen, und  so  entstand  die  öiafiaaTr/cüOig  ^  die  erst  in  der 
Kaiserzeit  erwähnt  vrird  und  keine  unmittelbare  Beziehung  mehr 
zum  Dienst  der  Orthia  hat,  sich  auch  sonst  in  diesem  nirgends 
findet.  —  Xilßon,  Griech.  Feste  413  ff.  sieht  in  den  Schein- 
kämpfen teils,  wenn  sie  Fruchtbarkeitsgöttinnen  wie  Demeter,  Damia. 


260  Kriegsopfer.  —  Trophäen. 

Auxesia  gelten,  einen  Vegetationszauber,  teils,  wenn  sie  im  Kult 
des  Ai-es ,  Enyalios  usw.  auftreten ,  einen  s3-mpathetischen  Sieges- 
iauber  des  in  den  Kampf  ziehenden  Heeres.  Nach  E.  Maaß, 
Internat.  Monatsschr.  1913,  557  ff.  sind  sie  aus  Ehrungen  für  einen 
Verstorbenen  hervorgegangen  und  entwickelten  sich  allmählich  zu 
Einzelagonen.  —  Einen  Nachtrag  zu  üseners  Zusammenstellungen 
bringt  A.  Wilhelm,  Arch.  f.  Religionswiss.  XVI,  1913,  630  aus 
Estouruelles  de  Constaut,  Ija  vie  de  province  en  Grece  1870  für 
das  heutige  Griechenland  bei. 

Über  die  bei  der  Beendigung  des  Krieges  durch  ein  Bündnis 
üblichen  Begehungen  der  Römer  ist  in  der  Berichtsperiode  mehr- 
fach gehandelt  worden.  Deubner,  Neue  Jahrbb.  XXVII,  1911, 
334  ff.  versucht  den  Nachweis,  daß  Polj^b.  III  25.  6  den  bei  Privat- 
schwüren üblichen  Eid  fälschlich  für  den  der  Fetialen  gehalten  habe. 
Anderes  s.  o.  {S.  120,  172)\  vgl.  auch  Rose,  Journ.  Rom.  Stud.  III, 
1  'Jl3,  208  und  J.  Harrison,  Essays  and  Stud.  pres.  to  Ridgeway  92  ff. 

Ist  der  Sieg  errungen,  so  fragt  sich,  was  aus  den  Trophäen, 
d.  h.  den  dem  Feinde  abgenommenen  Waffen  werden  soll.  Die 
Arbeiten,  die  sich  mit  den  verschiedenen  Antworten  des  Altertums 
auf  diese  Frage  befassen,  sind  meist  voneinander  so  unabhängig 
und  beziehen  sich  auf  so  verschiedene  Probleme,  daß  sie  hier  nur 
nach  der  Reihenfolge  ihres  Erscheinens  ohne  Rücksicht  auf  innere 
Zusammenhänge  genannt  werden  können.  P  o  u  1  s  e  n ,  Athen. 
Mitt.  XXXI,  1906,  377  ff. ,  der  von  der  Darstellung  einer  kreti- 
schen Mitra  ausgeht,  meint,  daß  in  älterer  Zeit  die  feindlichen 
Waffen  an  einen  Baumstamm  gehängt  wurden,  was  noch  im  Denk- 
mal von  Adamklissi  nachklinge.  Sal.  Reinach,  Rev.  arch.  IVxl> 
1908 S  43  ff.,  03  (vgl.  Cultes,  myth.,  rel.  III  223  ff.)  glaubt,  daß 
Römer,  Gallier,  Juden  und  andere  Völker  die  Waffenbeute  für  Tabu 
hielten.  Les  depouiUes  prises  ä  la  guerre  sont  comme  impregnees 
d'une  nocivite  d'ordre  magique  que  les  sortileges  du  vainqueur 
lui-meme  leur  ont  inoculee.  Die  Zerstörung  der  Waffen  wurde 
einem  der  Elemente  überlassen,  sie  wurden  in  der  Luft  aufgehängt, 
ins  Wasser  oder  in  die  Erde  versenkt  oder  verbrannt.  —  Eine 
sorgfältige  Sammlung  der  Zeugnisse  ohne  wesentlich  neue  Ergebnisse 
bietet  der  auf  Löschckes  Anregung  entstandene  Aufsatz  von 
K.  Wölcke,  Beiträge  zur  Geschichte  des  Tropaions,  Bonner 
Jahrbb.  CXX ,  1911,  S.  127  ff.  —  Nach  0.  Roßbach,  Castro- 
giovanni, Berlin  u.  Leipzig  1912  ist  wegen  Eurip.  ^Hqü-kX.  936, 
0OLV.  1250  ff.  das  Tropaion  als  ein  dem  Palladion  verwandtes  an 
Ort  und  Stelle  errichtetes  Kultbild  des  Siegesspenders  zu  fassen.  — 


Trophäen  und  Triumphe.  2ti7 

Nach  Hewitt,  Transact.  Amer.  Phil.  Assoc.  XLIII,  1912,  108 
war  das  Tropaion  ursprünglich  ein  Apotropaion.  —  A.  J.  Reinach, 
der  in  einem  Aufsatz  in  der  ßev.  hist.  rel.  LX,  1909^,  350  das 
Tropaion  im  Gegensatz  zum  Apotropaion  als  ein  Mittel,  die  ver- 
ehrten Mächte  herbeizurufen,  gedeutet  und  die  Sitte,  die  Wafifen 
aufzuhängen,  von  ihrer  Verehrung  hergeleitet  hatte,  handelt  aus- 
führlich über  die  Trophäen  Rev.  d'ethnogr.  et  de  sociol.  IV,  1913, 
211  ff.  Ausgangspunkt  bildete  nach  A.  J.  Reinach  die  Furcht  vor 
dem  in  der  Waffe  vermuteten  Dämon  (5.  0.  161),  der  mit  seinem 
früheren  Besitzer ,  wie  man  fürchtete ,  noch  Beziehungen  haben 
und  ihn  rächen  konnte.  Man  ließ  daher  die  Waffen  auf  dem 
Schlachtfeld  zurück,  verbrannte  sie  oder  heftete  sie  an  Bäume. 
Es  wurden  auch  Haufen  von  Waffen  aufgeschichtet,  namentlich 
nach  Massenkämpfen,  während  nach  dem  Einzelkampf  öfters  ein 
menschliches  Bild  die  Waffen  trug.  Erst  später  sollen  die  Tro- 
phäen als  Weihegaben  für  die  Götter,  deren  Hilfe  der  Sieg 
zugeschrieben  wurde ,  und  zugleich  als  Erinnerungsmale  gegolten 
haben,  für  diese  aber  bald  auch  wertvollere  Dinge  (Bildsäulen, 
künstlerische  Nachbildungen  von  Waffen  u.  dgl.)  eingetreten  sein, 
während  der  Staat  nur  noch  auserlesene  Stücke  weihte  und  den 
Rest  ganz  oder  teilweise  dem  einzelnen  überließ.  —  Nach 
v.  Wilamowitz,  Aischylos  S.  107  war  das  Tropaion,  meist  eine 
an  einem  Pfahl  gehängte  Panoplie ,  keine  Weihung  an  einen  Gott 
wie  die  Weihung  erbeuteter  Waffen  in  einem  Tempel;  es  sollte 
vergänglich  sein ,  und  wer  da  wollte ,  nahm  die  Waffen  weg.  Es 
wurde  stets  auf  dem  Schlachtfeld  selbst  errichtet,  nachdem  der  Feind 
um  die  avaigeaig  vs-hqiöv  gebeten  und  damit  seine  Niederlage  eingestan- 
den hatte.  Aufgekommen  ist  die  dem  Epos  fremde  Sitte  nach  v.Wüamo- 
witz  bei  den  dorischen  Heerendes  7.  Jhs.,  als  eine  tqoti/J  die  Auflösung 
der  geschlossenen  Phalanx  und  die  Schlacht  entschied.  Gegen  Wölcke 
a.  a.  0.,  der  die  Waffenweihe  zuhause  von  Anfang  an  der  Errichtung 
eines  Siegesmales  auf  dem  Schlachtfeld  gleichgesetzt  hatte ,  meint 
V.  Wilamowitz,  daß  diese  Gleichstellung  erst  später  eingetreten  sei. 
Über  den  Gebrauch,  das  feindliche  Heer  unters  Joch  zu  schicken, 
und  den  Einzug  des  siegreichen  Heeres  ist  0.(188),  über  den  Fetialeneid 
o.{17J2)  berichtet  worden.  Über  Menschenopfer  im  Krieg  vgl.  o.{212f.). 
—  Über  die  religiöse  Bedeutung  des  römischen  Triumphes  handelt 
Laqueur,  Herm.  XLIV,  1909,  215  ff.  Er  hält  ihn  für  die  Erfüllung 
des  Gelübdes,  den  edelsten  Teil  der  Beute  der  Gottheit  zu  weihen 
■und  die  vornehmsten  Gefangenen  zu  töten.  Der  Triumph  ist  demnach 
ursprünglich  nicht  sowohl  ein  Recht  als  eine  sakral  gebotene  Pflicht 


268  Triumph.  —  Regelmäßige  Feste. 

des  Feldberrn  (225).  Daher  ist  das  Recht  des  Auspiciums  Voraus- 
setzung des  Triumphs ,  und  der  Senat  mußte ,  seit  er  sich  in  die 
Triumphfrage  einmischte ,  zu  dieser  Bei'atung  extra  pomerium  zu- 
sammentreten,  weil  der  Feldherr  dieses  nur  im  Triumph  über- 
schreiten darf.  —  G.  Beseler,  ebd.  352  fF.  erkennt  Laqueurs 
Hauptergebnisse  an,  bestreitet  aber,  daß  wie  imperium  die  welt- 
liche so  auspicium  die  geistliche  Vollgewalt  des  Feldherrn  bezeichue 
und  daß  Pflicht  und  Recht  des  Triumphes  auf  der  zweiten  beruhe. 
—  Gius.  Spani,  Neapolis  I,  1913,  144  ff.,  329  ff. ;  gibt  Graef 
die  Herkunft  der  römischen  Ehrenbogen  von  den  alexandrinischen 
Stadttoren  und  besonders  den  Tetrastyla  zu ,  sucht  aber  nach- 
zuweisen ,  daß  viele  von  ihnen  einfach  die  alten  Pi'opylaien  ver- 
traten, die  den  Zugang  zu  einem  heiligen  Bezirk,  Markt  oder  dgl. 
bildeten.  —  Die  sogenannten  „Triumphbogen",  die  sich  nicht  nur 
am  Pomerium,  beim  Durchgang  der  Hauptstraßen,  sondern  auch 
auf  offenem  Laude  und  zwar  sowohl  in  Italien  wie  in  den  Pro- 
vinzen finden,  will  Frothingham,  Am.  Journ.  Archaeol.  XIX, 
1915,  155  als  alte  Grenzzeichen  erweisen.  —  Daß  der  Triumph- 
bogen erst  nachträglich  mit  dem  Triumph  in  Verbindung  gebracht 
sei,  hatte  schon  Morpurgo,  Bull.  comm.  arch.  comm.  XXXVI, 
1908,  109  vermutet;  sie  sah  in  ihm  einfach  das  Stadttor,  durch 
das  der  siegreiche  Feldherr  einzog. 

2)  Regfelmärsig-e  Feste. 

Die  über  sie  erschienenen  Untersuchungen  sind  großenteils 
bereits  bei  den  Riten  besprochen ,  die  an  ihnen  begangen  wurden. 
Nur  weniger  Arbeiten  ist  hier  noch  zu  gedenken.  Martin 
P.  Nilßon,  Griechische  Feste  von  religiöser  Bedeutung  mit  Aus- 
schluß der  attischen,  Leipzig  1906  steht  vielleicht  in  der  Selb- 
ständigkeit der  Auffassung  hinter  den  ebenfalls  bei  Teubner  er- 
schienenen „Festen  der  Stadt  Athen"  von  A,  Mommsen  zurück, 
zu  denen  es  die  Ergänzung  bildet,  ist  aber  —  z.  T.  vielleicht  eben 
deshalb  —  bequemer  zu  benutzen.  Die  Anordnung  mußte,  da  eine 
Aufzählung  der  Feste  nach  ihrer  Stellung  im  Kalender,  wie  sie 
Mommsen  für  Athen  und  Warde  Fowler  in  den  Roman  Festivals 
für  Rom  gewählt  haben ,  hier  natürlich  ausgeschlossen  war ,  ent- 
weder den  einzelnen  Landschaften  und  Gemeinden  oder  den  an  den 
Festen  gefeierten  Gottheiten  folgen.  Nilßon  hat  sich  mit  gutem 
Grund  für  das  Zweite  entschieden ;  die  Verteilung  des  Stoffs  ist 
im  ganzen  übersichtlich  und  würde  es  wahrscheinlich  noch  mehr 
sein  wenn  das  Prinzip    nicht   starr  durchgeführt  wäre,    oder   wenn 


Römischer  Festkalender.  269 

Gottheiten,  die  oft  einen  gemeinschaftlichen  Kult  haben  oder  ihrem 
Wesen  nach  verwandt  sind,  zusammengefaßt  würden,  etwa  in  der 
Weise,  daß  zuerst  die  nicht  einer  einzelnen  Gottheit  zuzuweisenden 
Feste  besprochen  wären.  Durch  die  Trennung  z.  B.  der  Demeter- 
von  den  Köre-,  den  Damia-  und  andern  Festen  gleicher  Art  wird 
nicht  nur,  worauf  A.  J.  Rein  ach,  Rev.  hist,  rel.  LV,  1907  V 
381  ff.  hinweist,  Zusammengehöriges  auseinandergerissen,  sondern 
es  wird  unter  Umständen  geradezu  das  richtige  Verständnis  der 
Feste  verschlossen.  —  Innerhalb  des  römischen  Kalenders  hatte 
V.  Domaszewski  schon  in  der  Festschrift  flu*  0.  Hirschfeld  247 
gewisse  Gruppen  von  Festen  namentlich  im  August  (21  Consualia, 
23  Volcanaha,  25  Opiconsivia)  und  Dezember  (15  Consualia, 
17  Saturnalia,  19  Opalia)  als  zusammengehörig  behauptet  und  aus 
dieser  Einheitlichkeit  das  Wesen  der  an  ihnen  verehrten  Gottheiten 
zu  erschließen  versucht.  Nachdem  die  Ausgrabungen  im  Hain 
der  Furrina  diese  Gottheit  als  Quellgottheit  erwiesen  haben,  wie  aus 
der  Zusammengehörigkeit  ihres  Festes  (25.  7)  mit  den  Lucaria 
(19  u.  21.  7)  und  den  Neptunalia  zu  folgern  war,  verfolgt  er  im 
Arch.  f.  Religionswiss.  X,  1907,  333  ff.  (=  Kl.  Sehr.  171  ff.)  diesen 
Gedanken  weiter.  Zu  der  Gruppe  des  August  werden  noch  zwei 
äußere  Glieder,  am  17.  die  dem  Tiberhafen  geweihten  Portunalia 
und  am  27.  die  dem  Tiber  selbst  geltenden  Volturnalia  hinzugefügt, 
weil  man  mit  Flußwasser  der  Macht  des  Feuergottes  allein  wehren 
kann.  Im  Dezember  wird  ein  äußerer  Kreis  in  dem  am  11.  dem 
Sonnengott  gefeierten  Agonium,  dem  luppiterfest  Divalia  am  21.,  den 
Larentalia  am  23.  und  den  Compitalia  vermutet.  Im  Januar  sollen 
das  Agonium  für  lanus  am  9.,  die  Carmentalia  am  11.  u.  15.,  im 
Februar  die  Feriae  lovi  am  13.,  die  Lupercalia  am  15.  und  die 
Quirinalia  am  17.  eine  Einheit  bilden.  Die  Equirria  am  27.  Februar 
leiten  das  Geburtsfest  des  Mars  am  1.  März  nach  v.  Domaszewski 
ebenso  ein,  wie  das  gleichnamige  Fest  am  14.  3.  die  Liberalia 
am  17.  Im  Aprü  sollen  die  Fordicidia  (15.),  die  Cerealia  (19.), 
die  Parilia  (21.),  die  Vinalia  (23.)  und  die  Robigalia  (25.)  eine 
der  Mutter  Erde,  im  Oktober  die  Fontinalia  (13.),  das  Opfer  des 
Oktoberrosses  (15.)  und  das  Armilustrium  (19.)  eine  dem  Mars 
heilige  Gruppe  bilden.  Aus  den  in  diese  Ordnung  sich  nicht  fügen- 
den, meist  auf  grade  Monatstage  fallenden  Festen  Quando  rex 
comitiavit  fas  (24.  3.  u.  24.  5.)  und  den  Tagen  quibus  mundus 
patet  (24.  8.,  5.  10.,  8.  11.)  wird  geschlossen,  daß  in  der  Königs- 
zeit die  Zyklen  noch  nicht  galten ,  daß  für  sie  vielmehr  die  acht- 
tägige Woche  gültig  war.  —  Bedenken  gegen  diese  Konstruktionen 


270  Feste.    Kalender. 

äußert  Warde  Fowler,  Rel.  Exper.  of  the  Rom.  People  98^ 
110.  14.  —  Emil  Blaufuß,  Römische  Feste  und  Feiertage  nach 
den  Traktaten  über  fremden  Dienst  (aboda  zara)  in  Mischna,  To- 
sefta,  Jerusalemer  und  bab3donischem  Talmund,  Progr.  Nürnberg 
1909  legt  seiner  Untersuchung  eine  Stelle  der  Mischna  zugrunde, 
in  der  den  Juden  der  Geschäftsverkehr  mit  den  Heiden  unter- 
sagt wird.  Das  sti*engste  Verbot  betraf  einige  Feste ,  an  deren 
Spitze  die  .,Kalenden"  d.h.  der  Neujahrstag  stehen-,  für  diese  galt 
es  bereits  drei  Tage  vorher;  dieselbe  Verschärfung  findet  sich  bei  den 
Saturnalien,  doch  war  an  diesen  der  Verkehr  nicht  mit  allen  Heiden, 
sondern  nur  mit  denen  verboten,  die  Opfer  darbrachten.  Im  übrigen 
werden  einige  selten  erwähnte  und  sogar  sonst  unbekannte  heidnische 
Feste  in  den  jüdischen  Quellen  erwähnt,  aber  m.  R.  hebt  Samter, 
Berl.  Phil.  Wochenschr.  XXXI,  1911,  559  hervor,  daß  nicht  immer 
an  römische  Feste  zu  denken  sei. 


Alle  Feste,  auch  die  eigentlich  profanen  Zwecken,  z.  B.  der 
Belustigung  dienenden  konnten  zugleich  mit  religiösen  Zeremonien 
begangen  werden,  und  meist  ist  dies  auch  wirklich  geschehen.  Da 
nach  den  Festen  sich  die  Zeiteinteilung  richtete  oder  auch  um- 
gekehrt der  Anfang  der  durch  andere  Gründe  bestimmten  größeren 
Zeitabschnitte  gefeiert  wurde,  war  das  ganze  antike  Kalendcr- 
wesen  bis  zu  einem  gewissen  Grad  unter  religiösen  Schutz  ge- 
stellt, und  daher  müssen  mehrere  auf  die  antike  Zeiteinteilung  be- 
zügliche Arbeiten ,  weil  und  soweit  sie  auch  auf  den  Kultus  ein- 
gehen, hier  erwähnt  werden.  Man  pflegt  drei  Arten  von  Jahren 
im  antiken  Kalender  zu  unterseheiden :  das  nach  den  Sternenauf- 
und  -Untergängen  beobachtete  Sternenjahr,  das  nahezu  mit  dem 
Sonnenjahr  übereinstimmt,  das  Mondjahr  von  12  Mondmonaten 
oder  ungefähr  354  Tagen  und  das  Mondsonnenjahr,  das  durch 
Schalttage  oder  Schaltmonate  beide  innerhalb  gewisser  Perioden 
einigermaßen  in  Einklang  bringt.  An  dieser  Unterscheidung  hält 
auch  Nilßon  fest,  der  im  Arch.  f.  Religionswiss.  XIV,  1911,  423  £F. 
die  Geschichte  der  griechischen  Kalender  in  großen  Zügen  be- 
handelt hat.  (Vgl.  auch  Lunds  Universit.  Arsskrift.  N.  F. 
Avd.  I  XIV  no.  21).  Seiner  Ansicht  nach  hatten  die  Griechen  seit  alter 
Zeit  sowohl  Mondmonate  als  auch  das  (Sternen-  oder)  Sonnenjahr,  aber 
das  Mondsonnenjahr  übernahmen  sie  mittelbar  von  den  Babyloniern 
(^436);  es  soll  von  Haus  aus  hieratischen  Zwecken  gedient  haben 
und  mit  der  Feier  des  tabuierten  siebenten  Tages  verbunden  ge- 
wesen sein;    bei    seiner  Einführung  wurde    die   alte  Einteilung  des 


Kalender.  271 

Monats  in  drei  Enneaden  durch  die  Teilung  in  vier  siebentägige 
Wochen  ersetzt.  In  Kleinasien,  von  wo  dieser  Kalender  nach 
Griechenland  übernommen  wurde,  soll  er  unter  den  Schutz  Apollonn 
gestellt  sein,  der  zusammen  mit  ihm  nach  Griechenland  gelangtet 
und  der,  weil  jener  Kalender  alle  Reinigungen  und  Sühnungen  an 
sich  zog,  als  der  Gott  dieser  betrachtet  wurde.  Ihm  war  deshalb 
der  siebente  Monatstag  geweiht,  nach  seinem  Vorbild  haben  auch 
die  andern  Götter  bestimmte  Monatstage  zugewiesen  erhalten.  Erst 
nach  der  Einführung  des  lunisolaren  Jahres  erhielten  die  Monate 
Namen:  das  ist,  wie  Nilßon  aus  der  Verschiedenheit  der  Monats- 
bezeichnungen schließt .  später  geschehen  als  die  Besiedelung .  der 
Inseln  im  Ägäischen  Meer  und  der  ägäischen  Küste  durch  die 
Griechen.  Zur  Zeit  Homers  bestand  dieser  Kalender  nach  Nilßou 
noch  nicht ;  in  Athen  wurde  er  durch  Solons  a^oveg  (Diog.  Laert.  I  59  ; 
Plut.  ^61.  52;  Bekk.  Anecd.  I  86,  20)  eingeführt.  Diese  An- 
sichten entsprechen  zwar  teils  dem,  was  vorher  vielfach  an- 
genommen wurde,  teils  sind  sie  folgerichtig  daraus  abgeleitet,  sie 
stehen  aber  mit  einzelnen  Ergebnissen  anderer  Untersuchungen 
nicht  durchweg  in  Einklang.  Diese  werden  ebenso  wie  die  übrigen 
auf  den  Kalender  bezüglichen  Arbeiten,  soweit  sie  in  der  Berichts- 
periode erschienen  sind  und  für  die  Religionsgeschichte  Bedeutung 
haben,  am  besten  zusammen  mit  Nilßons  Abhandlung  besprochen. 
Wahrscheinlich  mit  Recht  nimmt  dieser  an,  daß  vor  der  Ein- 
führung des  Mondsonnenjahrs  die  Zeit  nach  Mondmonaten  berechnet 
wurde.  Daß  die  Feste  sich  in  monatlichen  Perioden  wiederholten, 
findet  sich  auch  später,  z.  B.  in  Olympia  (vgl.  L.  Weniger, 
Klio  IX,  1909,  291  ff.).  Als  Monat  galt  wahrscheinlich  von  jeher 
der  Zeitraum  von  ungefähr  29^2  Tagen,  der  zwischen  zwei  Neu- 
monden liegt,  d.  h.  der  synodische  Monat.  Daß  auch  nach  wirk- 
lichen (d.  h.  siderischen)  Mondumläufen  von  etwas  mehr  als- 
27  Tagen  gerechnet  wurde,  hat  zwar  der  letzte  eindringende  Be- 
handler dieser  Frage,  Röscher  in  seinen  „Enneadischen  Studien, 
Versuch  einer  Geschichte  der  Neunzahl  bei  den  Griechen  mit  be- 
sonderer Berücksichtigung  des  älteren  Epos,  der  Philos.  u.  Arzte '^ 
(Abh.  SGW  XXVI,  1907)  aus  der  bei  Homer  und  Hesiod  häufigen 
Befristung  von  Opferschmäusen ,  religiösen  Festen,  Totenklagen, 
Geburtswehen  einer  Göttin  usw.  auf  9  Tage  erschlossen,  indem  er 
annahm,  daß  damit  eine  Woche  bezeichnet  werden  sollte,  und  diese 
dem  Monatsdrittel  gleichsetzte;  und  Nilßon,  Arch.  f.  Religions- 
wiss.  XIV,  1911,  433  hat  diese  Drittelung  sogar  für  die  natür- 
lichste  Einteilung   des   Monats   gehalten.     Aber   hiergegen   erhebt 


2' 2  Kalender. 

Fr.  BoU,  R.-E.  VII  550,  59  ff.  begründeten  Einspruch.  Der 
"wirkliche  Mondumlauf,  d.  h.  die  Rückkehr  des  Mondes  an  dieselbe 
Stelle  der  Ekliptik  ist  nicht  allein  viel  schwieriger  festzustellen 
als  die  Wiederkehr  des  Neumondes,  sondern  hat  auch  im  späteren 
Kult  so  gut  wie  gar  keine  Bedeutung,  während  der  Neumond  als 
Festtag  und  als  Monatsanfang  wichtig  war.  Die  konventionelle 
Zusammenfassung  von  9  Tagen  weist  nicht  notwendig  auf  eine  Zeit- 
einteilung hin,  sondern  kann  verschiedenartige  Ursachen  haben:  die 
Neunzahl  schloß  z.  B.  dreimal  die  heilige  Zahl  drei  in  sich  und 
erscheint  auch  sonst  häufig  im  Kult  und  als  runde  Zahl  im  Sprach- 
gebrauch. —  Je  zehn  Monate,  also  wenn  diese  mit  Recht  als 
synodisch  gefaßt  werden,  je  295  Tage  wurden  zu  einer  größeren 
Zeiteinheit  zusammengefaßt.  Von  dieser  Einteilung,  bei  der  die 
Monde  nicht  benannt,  sondern  gezählt  wurden,  liegt,  wie  es  scheint, 
in  der  ältesten  Fassung  vom  Dodekathlos  des  Herakles  (R.-E.  Suppl. 
III,  1021,  27  ff.)  eine  Spur  vor,  eine  andere  hat  sich  in  Italien 
wahrscheinlich  so  lange  erhalten,  daß  die  römischen  Altertums- 
forscher (Censor.  XX  2)  sie  richtig  erschließen  konnten.  Es  ist 
auch  nicht  ausgeschlossen,  daß  die  Monate  der  zweiten  Jahres- 
hälfte ihre  lateinischen  Namen  (Quintilis  bis  Dezember)  von  jenen  ge- 
zählten Monden  des  zehnmonatlichen  Zyklus  übernommen  haben. 
Daß  neben  diesem  auch  das  Jahr,  d.  h.  ein  durch  Sternenaufgänge 
bestimmter  Abschnitt  als  Zeitmaß  diente ,  nimmt  Nilßon  dagegen 
w-ahrscheinlich  nicht  mit  Recht  an.  Zwar  bildete  das  jährliche  Ab- 
sterben und  die  Erneuerung  des  Pflanzenlebens  auch  in  den  Ländern 
des  klassischen  Altertums  sehr  bemerkbare  Eiuschnitte,  und  Jahres- 
feste, d.  h.  Feiern,  die  bei  der  Wiederkehr  eines  bestimmten  Sternauf- 
oder -Unterganges  begangen  worden,  hat  es  wahrscheinlich  schon  in 
vorgriechischer  Zeit  gegeben;  auch  wäre  an  sich  der  gleichzeitige  Be- 
stand zweier  ineinander  nicht  aufgehender  Zeitrechnungen  ebenso  mög- 
lich wie  bei  uns  die  Wochen-  neben  der  Monats-  und  Jahreseinteilung; 
allein  die  Veränderungen  der  Vegetation  bilden  Abschnitte,  die  zwar 
für  ungefähre  Angaben  sehr  brauchbar,  dagegen  für  genaue  Zeitberech- 
nungen ungeeignet  waren.  Auch  die  Beobachtung  des  Sternenhimmels 
führte  nicht  gleich  auf  ein  Sternen-  oder  Sonnenjahr.  Zwar  ließ  sich 
verhältnismäßig  leicht  feststellen,  daß  Neu-  und  Vollmond  bei  der  12. 
oder  13.  Wiederholung  der  Phase  in  demselben  Tierkreiszeichen 
standen ;  allein  wenn  diese  Beobachtung  zur  Feststellung  der  Jahres- 
länge beitrug,  so  lehrte  sie  eher  das  lunisolare  als  das  reine  Sonnen- 
oder Stemjahr.  Fraz  er,  Spir.  of  de  Corn  (Golden  Bougb  V)  I  307  ff. 
weist  auf  die  Bedeutung  hin,  welche  die  Plejaden  auf  weiten  Gebieten 


Kalender.  273 

für  den  Kalender  hatten :  der  Mond  kommt  bei  dieser  Einteilung 
nicht  in  Frage ;  allein  die  Abgrenzung  der  Jahreszeiten  nach  den 
Auf-  und  Niedergängen  der  Plejaden  scheint,  da  sie  in  mehreren 
Gebieten  der  antiken  Kultur  jünger  ist  als  die  Drittelung  des  Jahres, 
doch  erst  einer  Zeit  anzugehören ,  in  der  die  Mondrechnung  mit 
dem  Sonnenjahr  ausgeglichen  war.  Dem  widerspricht  nicht  die 
religiöse  Bedeutung  dieses  Gestirns  (H.  Grimme,  Das  israelitische 
Pfingstfest  und  der  Plejadenkult,  Paderborn  1907).  Daß  schon  die 
ungeteilten  Indogermanen  diesem  Sternbild  besondere  Aufmerksam- 
keit schenkten  und  es  als  „Staub"  bezeichneten,  wie  Bartholomae. 
Indogerm.  Forsch.  XXXI,  1912/lo,  35  ff.  aus  dem  von  ihm  ver- 
muteten Zusammenhang  seines  griechischen  Namens  mit  lat.  pulvis 
erschließt,  ist  nicht  anzunehmen ;  es  würde  übrigens ,  selbst  wenn 
es  sicher  wäre,  ein  uraltes  siderisches  oder  solares  Jahr  nicht  erweisen. 
Ebenso  kann  die  Neujahrsfeier  (s.  u.  277ff.')  aus  dem  lunisolaren 
Kalender  stammen;  denn  wenn  auch  in  der  mehrjährigen  Schalt- 
periode der  Anfang  des  einzelnen  Jahres  etwas  zurücktritt,  so  ist 
er  doch  als  Beginn  einer  neuen  Monatsreihe  wichtig  genug,  um  eine 
religiöse  Feier  begreiflich  erscheinen  zu  lassen.  Natürlich  waren 
Landmann  und  Schiffer  in  ihrer  Tätigkeit  an  die  Innehaltung  be- 
stimmter Jahreszeiten  gebunden,  und  so  erhielt  sich  z.  B.  in  den 
ökonomischen  Lehrbüchern  seit  alter  Zeit  die  Sitte,  die  Termine  für 
die  landwirtschaftlichen  Obliegenheiten  nach  dem  ersten  oder  letzten 
Sichtbarwerden  der  Fixsterne  zu  bestimmen,  das  einst  die  diese  Ob- 
liegenheiten einleitenden  Feste  geregelt  hatte ;  aber  einen  Kalender, 
«in  von  der  Beobachtung  des  einzelnen  unabhängiges  Jahr  setzen  diese 
Angaben  und  Feste  nicht  nur  nicht  voraus,  sondern  sie  beweisen  gerade 
umgekehrt,  daß  es  ein  solches  nicht  gab.  Für  eine  auch  nur  einiger- 
maßen genaue  Zeitbestimmung,  wie  sie  in  einem  Kalender  ver- 
langt wird,  wäre  auch  ihr  praktischer  Wert  gering  gewesen.  Die 
Beobachtung  der  Stern  Untergänge  und  namentlich  (worauf  Leh- 
mann-Haupt, KHo  VIII,  1908,  225  gegen  Ed.  Meyer  hinweist) 
der  Aufgänge  ist  sehr  schwierig  und  setzt  überdies  eine  verhältnis- 
mäßig schon  so  vorgeschrittene  Kenntnis  des  Sternenhimmels  voraus, 
"wie  sie  der  Landmann  der  ältesten  Zeit  schwerlich  besaß.  Für 
ihn  mochte  es  immerhin  schon  ein  Vorteil  sein,  wenn  er  auf  etwa 
14  Tage  genau  die  Jahreszeit  von  den  Sternen  ablesen  konnte, 
aber  sehr  großen  Nutzen  können  derartige  Angaben  ihm  nicht  ge- 
bracht haben;  denn  obwohl  während  der  ganzen  Zeit,  in  der  nach 
der  lunisolaren  Schaltperiode  gerechnet  wurde ,  dasselbe  Bedürfnis 
■bestand,  und  obwohl  die  zunehmende  Kenntnis  des  Sternenhimmels 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  186  (Snpplein entband),  18 


274  Kalender. 

eine    immer   genauere  Beobachtung   gestattete ,    finden    sich  in  den 
erhalteneu    Beötinimungen   des  Datums   nach  einem  Sternauf-    oder 
-Untergang    zahlreiche  Ungenauigkeiten    und  Fehler.     Offenbar  sind 
diese  Angaben  wie  so  vieles  in  unsern  Kalenderbüchern  verständnis- 
los  von  einer  Generation  zur  andern  mitgeschleppt,    also  praktisch 
nicht   viel    benutzt   worden.      Deshalb    machte    sich    das    Bedürfnis 
geltend ,    die    Monatszählung    mit   den    Jahreszeiten    auszugleichen. 
Das    ließ    sich   aber  erst  erreichen ,    als  die  Länge  des  Jahres  un- 
gefähr  richtig   gefunden   war.     Diese    Entdeckung,    die    nur   durch 
sehr   schwierige  Beobachtungen   des  Tages   möglich   war ,    an  dem 
ein   Fixstern   zum    ersten   oder  letztenmal  kurz  vor  Sonnenaufgang 
oder  kurz  nach  Sonnenuntergang  sichtbar  wird ,  ist  nur  einer  hoch- 
entwickelten Kultur  zuzutrauen,  die  sich  aus  andern  Gründen,  z.  B. 
der  Vorzeichen  wegen  mit  dem  Untergang  der  Sterne  befaßte  und 
die  bestimmte,  nicht  nur  durch  Beobachtung  festzustellende,  sondern 
auch    leicht  im  voraus  zu  berechnende  Zeitabschnitte ,    d,  h.  einen 
wirklichen  Kalender  für  die  regelmäßige  Erledigung  politischer  oder 
religiöser  Obliegenheiten  ,    besonders    aber  für  die  Bestimmung  der 
Termine  brauchte,  an  denen  die  das  Land  bebauenden  Leibeigenen 
und  Pächter  die  einzelnen  Arbeiten  vorzunehmen  und  ihre  Natural- 
leistungen   abzuliefern   hatten.      Daß    eben   dies    hauptsächlich    zur 
Benennung    einzelner  Mondmonate    und    schließlich   zur  Einführung 
eines    durch    Schaltungen    mit    der    Mondrechnung    ausgeglicheneu 
Sonnenjahres  führte,    machen  die  Namen  der  Monate  im  Kalender 
Assyriens    und    auf  dem  Stein  von  Geser  (Palestine  Explor.  Fund, 
Quarterly  Stat.   19U9,  26  ff.,  107  ff.)  wahrscheinlich.  —  Die  Unter- 
suchungen  zu   besprechen ,    die  sich  mit  dem  Entstehungsort ,    der 
Entstehungszeit   und    den    ältesten   Formen    des    solaren  Kalenders 
im  Orient    beschäftigen,    ist  hier  nicht  der  Ort:    für  das  alte  Süd- 
enropa  haben  die  bisherigen  Forschungen  das  Bestehen  eines  solchen 
Kalenders    nicht    erwiesen  und  auch  nicht  wahrscheinlich  gemacht. 
Für  das  klassische  Altertum  ist  das  reine  Sonnenjahr,   soweit  sich 
bis   jetzt    die    Entwicklung   überschauen   läßt,    überall  End-,    nicht 
Ausgangspunkt  der  Kalenderentwicklung,  obwohl  der  durch  die  Be- 
obachtung des  Wetters ,    des  Pflanzen-  und  Tierlebens  unmittelbar 
gegebene  J3cgriff  des  Jahres  und  der  Jahreszeiten  natürlich  bekannt 
war.     Künftige    Erwägungen    werden    das    Ergebnis    vielleicht   ein- 
schränken, aber  dann  kann  es  sich  kaum  um  mehr  handeln  als  um 
vereinzelte    Ausnahmen,    deren    Auftreten    bei    dem    regen    Kultur- 
austausch der  südeuropäischen  Kultur  mit  der  orientalischen  übrigens 
■weniger    befremden   würde,    als  jetzt   ihr   Fehlen    befremdet.     Das 


I 


Kalender. 


J/i) 


allgemeine  Ergebnis  würde  auch  dann  bestehen  bleiben ,  daü  die 
Griechen  und  Römer  und  auch  die  vor  ihnen  in  Südeuropa  an- 
sässigen Völker  zwar  bereits  vor  dem  lunisolaren  Kalender  eine 
geordnete  Zeitrechnung  hatten ,  daß  diese  sich  aber  ausschließlich 
nach  dem  Monde  richtete.  Diese  Zeiteinteilung  scheint  in  den 
Ländern  der  klassischen  Kultur  so  feste  Wurzeln  geschlagen  zu 
haben,  daß  sie  geraume  Zeit  bestehen  blieb,  auch  nachdem  die 
Dauer  des  scheinbaren  Sonnenumlaufs  bekannt  geworden  war,  und 
erst  abgeschafft  wurde,  als  sich  ein  Mittel  gefunden  hatte,  sie  mit 
diesem  in  ein  festes  und  bequemes  Verhältnis  zu  setzen.  Es  galt, 
eine  Zahl  von  Tagen  zu  finden,  in  der  eine  volle  Zahl  von  Mond- 
monaten und  eine  volle  Zahl  von  Sonnenjahren  zugleich  aufgingen. 
Eine  ziemlich  gute  Lösung  liegt  bei  2921  Tagen :  diese  Zahl 
entspricht  annähernd  8  Sonnenjahren  und  99  synodischen  Mond- 
monaten und  kommt  überdies  nahezu  13  Umläufen  der  Venus  gleich, 
so  daß  wenn  beim  Beginn  einer  Periode  dieser  Planet  Abendstem 
war,  er  zu  Anfang  der  nächsten  in  derselben  Stellung  zur  unter- 
gehenden Sonne  und  zur  Neumondsichel  erschien.  Diese  drei 
hellsten  Gestirne  werden  in  der  Reihenfolge  Sin,  Samas,  I§tar  auf 
assyrischen  Urkunden,  in  der  Anordnung  Venus ,  Mond ,  Sonne  in 
sabäischen  Texten  (Ditl.  Nielsen,  Der  sabäische  Gott  Ilmukah 
(Mitteil,  der  Vorderasiat.  Gesellsch.  XIV  4,  1910)  S.  52  flF.  öfter« 
zusammen  genannt,  und  wahrscheinlich  bezieht  sich  das  weit- 
verbreitete Symbol  der  Sonnenscheibe  (später  bisweilen  durch  den 
Adler  ersetzt,  Lidzbarski,  Ephem.  f.  semit.  Epigr.  III  3,  1911, 
S.  188),  der  Mondsichel  und  des  Sternes  eben  auf  diese  Dreiheit 
und  oft  auch  auf  die  durch  ihr  Zusammentreffen  herbeigeführte 
neue  Schaltperiode.  Dieser  Zeitabschnitt  von  2921  Tagen  ist  die 
berühmte  Ennaeteris ,  die  erst  im  5.  Jh.  in  manchen  griechischen 
Gemeinden  durch  den  noch  voUkommneren  metonischen  Zyklus  ab- 
gelöst wurde,  nachdem  sie  trotz  der  sich  allmählich  mehrenden  und 
Abhilfe  heischenden  Ungenauigkeit  mehrere  Jahrhunderte  bestanden 
hatte.  Allerdings  läßt  Censorin.  XVIII  5  eine  Ennaeteris,  den 
annus  magnus,  d.  h.  eine  Schaltperiode  von  8  Jahren  durch  Eudoxos 
von  Knidos  oder  Kleostratos  von  Tenedos  begründet  werden,  und 
deshalb  vermutet  R  o  s  c  h  e  r  (zuletzt  Abh.  SßW  XXVI,  1907,  22  ff.), 
daß  die  bisher  auf  diesen  Zeitkreis  bezogenen  Erwähnungen  einer 
Ennaeteris  oder  eines  großen  oder  ewigen  Jahres,  die  in  griechischen 
Mythen  namentlich  als  Befristung  einer  Verbannung  vorkommen, 
vielmehr  eine  Periode  von  9  Jahren  bezeichnen ,  die  deshalb  an- 
gesetzt worden  sei,  weil  bei  Sühnungen  die  Neunzahl  als  das  Drei- 

18* 


276  Kalender. 

fache  der  heiligen  Drei  überhaupt  von  Bedeutung  war.  Er  nimmt 
an  ,  daß  bei  ApoUodor  III  24  und  Suid.  Kaöfieia  viy,7]  ein  Irrtum 
vorliege,  wenn  sie  den  aiöiog  iiiauTug,  den  Kadmos  wegen  der 
Tötung  des  Drachens  dem  Ares  dienen  mußte,  als  einen  Zeitraum 
von  8  Jahren  deuten.  In  der  Tat  wird  bereits  im  Altertum  das 
große  Jahr  oder  die  Ennaeteris  als  eine  Frist  von  9  Jahren  auf- 
gefaßt: schon  Hesiod  OEoy.  793  ff.  läßt  die  Götter,  die  bei  der 
St}TC  falsch  geschworen  haben,  Teie?.eaf.tevov  eig  Iviaviöv  in  schwere 
Krankheit  verfallen  und  dann  nach  Vollendung  des  fityag  eviaizog 
noch  neun  ganze  Jahre  vom  Mahle  der  Götter  fern  bleiben,  denen 
sie  erst  im  zehnten  sich  wieder  zugesellen ;  und  gewiß  hat  der 
Dichter  des  Mythos  diese  Strafdauer  der  in  seiner  Heimat  üblichen 
nachgebildet.  Aber  darum  ist  m.  E.  der  Zweifel  an  der  acht- 
jährigen Verbannung  des  Kadmos,  obwohl  diese  erst  später  bezeugt 
ist,  nicht  gerechtfertigt.  Censorins  Angabe  kann  unmöglich  in  dem 
Sinn  richtig  sein ,  daß  Eudoxos  oder  Kleostratos  die  erste  acht- 
jährige Schaltperiode  einrichteten :  das  beweisen  deren  Verbesserung 
durch  Meton,  ihre  Anwendung  im  kleisthenischen  Kalender  und  in 
noch  viel  früherer  Zeit  die  durch  ihre  Halbierung  entstandenen 
Penteteriden  der  großen  Agonalfeste.  Es  hat  also  spätestens  im 
7.  Jahrhundert  neben  der  neun-  auch  die  achtjährige  Periode  Be- 
deutung für  das  Strafrecht  gehabt.  Der  Staat  wollte  dem,  der  in 
Notwehr  oder  aus  gerechter  Ursache  einen  Mitbürger  getötet  oder 
eine  andere  sonst  mit  dem  Tod  bedrohte  Tat  begangen  hatte, 
weder  selbst  bestrafen  noch  der  ßache  der  Geschädigten  oder  ihrer 
Angehörigen  preisgeben,  wagte  oder  vermochte  aber  andrerseits 
auch  nicht,  die  altgeheiligte  Blutrache  ganz  aufzuheben,  gestattete 
dem  Täter  vielmehr  nur,  nach  einer  Abwesenheit  von  9  oder 
8  Jahren,  die  im  Ausland  oder  in  einem  Asyl  zugebracht  werden 
mußten,  die  friedliche  Rückkehr  in  den  Schutz  der  Gesetze.  Die 
Befristung  auf  9  Jahre  ist  wahrscheinlich  die  ältere :  sie  hat  an 
anderen  neunmal  zu  wiederholenden  alten  Sühnungen  eine  Parallele 
und  wurde  erst  bei  Einführung  der  achtjährigen  lunisolaren  Schalt- 
periode verkürzt.  Wie  gewöhnlich  ist  das  Recht  bei  steigender 
Kultur  gemildert  worden,  und  zwar  vermutlich  auch  darin,  daß  die 
neunjährige  Verbannung  von  ihrem  Anfang  an  berechnet  wurde, 
während  nach  der  neueren  Rechtssatzung  dem  Totschläger  gestattet 
war,  schon  bei  Beginn  der  nächsten  Schaltperiode,  also  unter  Um- 
ständen bald  nach  Beginn  der  Verbannung  zurückzukehren. —  Der 
Ausdruck  „großes"  oder  „ewiges  Jahr"  oder  kurzweg  „Jahr"  (z.  Bi 
Hesiod  Gcoy.  795;  Panyas.  fr.  16  k.)  ist  zwar  für  die  achtjährige  Schalt 
periode  passend,  nicht  aber  für  den  Zeitraum  von  neun  Jahren,  de 


Kalender.  277 

keinen  Schaltkreis  bildet  und  für  den  Kalender  unbrauchbar  ist.  —  Wie 
durch  Umdeutung  die  Ennaeteris  zur  Frist  von  neun  Jahren,  so  ist 
diese,  was  Röscher  selbst  schon  in  den  Abh.  SGW  XXI  4,  1903, 
S.  19  A.,  76  bemerkt  hat,  bei  Apollod.  II  175  zu  einem  zehnjährigen 
Zeitraum  gedehnt  worden.  Umgekehrt  hat  Piaton  vofj,  IX  8,  S,  865® 
oder  seine  Quelle  den  iviaitog  zu  einem  bürgerlichen  Jahr  verkürzt, 
was  L  a  w  s  o  n ,  Modern  Gr.  Folklore  and  anc.  Gr.  Relig.  444  ff.,  455  ff. 
bei  der  ausführlichen  Besprechung  dieser  Stelle  hätte  anmerken 
können.  —  Urkundlich  bezeugt  ist  die  achtjährige  Periode  zuerst 
im  8./7.  Jh.  für  Babylon  (Cumont,  Neue  Jahrbb.  XXVII,  1911,  2), 
sie  kann  aber  weit  älter  sein,  und  es  ist  nicht  ganz  ausgeschlossen, 
daß  sie  oder  eine  andere  minder  genaue  Aiasgleichung  des  Sonnen - 
Jahres  mit  den  Mondmonaten  bereits  den  vorgriechischen  Bewohnern 
der  Balkanhalbinsel  bekannt  war.  Aber  auch  wenn  es  der  Fall 
war,  wird  Nilßon  a.  a.  0.  mit  Recht  diese  Schaltperiode  aus 
Babylon  herleiten.  Dagegen  scheint  mir  seine  Annahme  bedenk- 
lich, daß  diese  Schaltperiode  mit  der  siebentägigen  Woche  zusammen- 
hing. Daß  die  Ordnung  der  Planeten  nach  der  scheinbaren  Um- 
laufszeit und  die  sie  voraussetzende  Benennung  der  Wochentage 
erst  in  hellenistischer  Zeit  aufkam,  zeigt  Fr.  BoU,  Zeitschr.  f. 
Assyr.  XXV,  372  ff.,  vgl.  Pauly-Wissowa  RE  VII  2557;  vielleicht 
war  der  im  2.  Jh.  v.  Chr.  schreibende  Petosiris  (vgl.  luven,  Sat. 
VI,  581)  wirklich  der  Erfinder  (Boll,  Der  Ostasiatische  Tierzyklus 
im  Hellenismus ,  Vortrag  gehalten  9.  4.  1912  auf  dem  16.  Inter- 
nationalen Orientalistenkongreß  zu  Athen,  Leiden  1912,  S.  11). 
Sieben  namenlose  Tage  werden  zwar  im  Orient  viel  früher  zu 
Wochen  zusammengefaßt,  und  die  jetzt  fast  allgemein  verbreitete 
Annahme,  daß  diese  durch  Vierteilung  des  synodischen  Monats, 
etwa  in  der  Weise  entstanden,  daß  zunächst  am  Neu-  und  Voll- 
mondtage, dann  auch  an  den  in  der  Mitte  der  Halbmonate  liegen- 
den Tagen  die  Arbeit  ruhte  (Grimme,  Das  israel.  Pfiugstfest, 
Paderborn  1909),  ist,  wenn  auch  m.  E.  keineswegs  sicher,  so  doch 
zur  Zeit  nicht  zu  widerlegen;  aber  was  von  Nilßon  und  anderen 
bisher  angeführt  ist,  um  siebentägige  Wochentage  für  den  alt- 
griechischen  Kalender  oder  ihre  Zugehörigkeit  zur  Ennaeteris  zu 
erweisen,  scheint  mir  zur  Unterstützung  dieser  doch  nicht  gerade 
naheliegenden  Annahme  nicht  auszureichen. 

Als  Anfangstage  des  siderischen  Jahres  eignen  sich  anscheinend 
am  meisten  die  Gleichen  und  die  Wenden,  und  eine  oder  die  andere 
von  ihnen  hat  wohl  wirklich  als  Neujahr  gegolten,  da  dieses  in 
auffallend  vielen  lunisolaren  Kalendern  in  der  Nähe  eines  der  Jahr- 
punkte liegt.     Um  mehr  als  eine  ungefähre  Übereinstimmung  kann 


278  Kalender. 

es  sich  dabei  nicht  handeln,  denn  selbst  nur  auf  einen  Tag  genau 
lassen  sich  die  Solstitien  und  Aequinoktien  nur  auf  Grund  ziemlich 
schwieriger  Beobachtungen  und  Berechnungen  feststellen,  und  diese 
hätten  keinen  rechten  Zweck  gehabt,  da  die  durch  Schaltung  zu 
erreichende  Ausgleichung  von  Jahr  und  Monat  immer  ungenau 
bleibt,  80  daß  sogar  in  Jahren  desselben  Schaltzyklus  der  Jahres- 
anfang seine  Stellung  im  natürlichen  Jahr  um  mehrere  Wochen 
änderte ,  nach  einiger  Zeit  aber  der  Fehler  so  groß  wurde ,  daß 
öfters  eine  neue  Kalenderordnung  mit  anderem  Jahresanfang 
wünschenswert  erschien.  Daß  einst  das  Jahr  der  Athener,  um 
nicht  zu  sagen,  der  Griechen,  mit  dem  Thargelion  begann,  schließt 
W.  Schmidt,  Geburtstag  im  Altertum  (RV  u.  V,  VII  1),  S.  115 
daraus ,  daß  dann  die  Reihenfolge  der  Monatsgötter  dieselbe  sei 
wie  die  der  Göttergeburtstage  und  der  Götterfeste  (1.  Apollon, 
Thargelion;  3.  Athena,  Hekatombaion ;  4.  Herakles,  Metageitnion ; 
6.  Poseidon,  Poseideon;  7.  u.  8.  Dionysos,  Lenaion  oder  Gamelion 
und  Anthesterion).  Diese  Begründung  ist  deshalb  anfechtbar,  weil 
die  Zueignung  eines  Monatstages  an  einen  bestimmten  Gott  auch 
nachträglich  erfolgt  sein  kann,  z.  B.  weil  an  ihm  diesem  ein  nam- 
hafter Tempel  geweiht  worden  ist  5  aber  sie  beruht  auf  der  richtigen 
Voraussetzung,  daß  der  Jahresanfang  in  den  griechischen  Ge- 
meinden im  Gegensatz  zu  den  meisten  religiös  geschützten  Ein- 
richtungen ziemlich  willkürlich  geändert  wurde. 

Wie  der  Neumond,  so  wurde  wahrscheinlich  auch  das  Neujahr 
von  Anfang  an  festlich  begangen.  Es  fanden  an  ihm  Gelage  statt, 
und  es  wurde  ein  heiterer  Mummenschanz  getrieben ,  doch  hatte 
er  auch  eine  tiefere  Bedeutung,  weil  man  den  Segen  der  Gottheiten 
für  den  neuen  Zeitabschnitt  erflehte  und  das  physische  und  moralische 
tJbel ,  das  aus  dem  vergangenen  Jahr  in  der  Gemeinde  zurück- 
geblieben war,  auszutreiben  suchte.  Diese  apotropäischen  Maß- 
regeln boten  den  Anlaß  zu  mehr  oder  minder  ausgeführten  Dar- 
stellungen und  waren  öfters  TJrsache  des  erwähnten  Mummen- 
schanzes, der  um  so  mehr  hervortrat,  je  mehr  sich  die  eigentliche 
Bedeutung  der  Begehung  verdunkelte.  Namentlich  da,  wo  das  Fest 
oder  auch  der  Jahresanfang  verlegt  war,  wo  also  beide  nicht  mehr 
zusammenfielen ,  konnte  der  ursprüngliche  Sinn  vergessen  werden, 
sofern  er  nicht  durch  den  Namen  der  angerufenen  Gottheit  wie 
bei  dem  am  15.  März  gefeierten  Fest  der  Anna  Perenna  wach- 
gehalten wurde.  Die  weit  verbreiteten ,  von  TJsener  behandelten 
An.streibungen  des  Jahres  oder  einer  Jahreszeit  gehen,  wo  sie  adt 
bind ,  wahrscheinlich  großenteils  auf  derartige  Sühnemaßregeln 
zurück,  nicht  auf  die  Austreibung  des  gestorbenen  oder  geschwächten 


Kalender.  279 

Vegetationsdämons,  auf  die  noch  D.  G.  Roberts,  Journ.  Hell. 
Stud.  XXXII,  1912,  107  fF.  die  Versenkung  der  Argeer,  die  Oscho- 
phorien  und  Skirophorien  bezieht  und  mit  denen  v.  Domaszewski, 
Abb.  zur  röm.  Relig.  182  den  von  Hör.  c.  III,  30.  8  f.  erwähnten 
Zug  und  den  ihm  angeblich  gleichen  von  Lyd  fut^v.  IV  49  (viel- 
mehr IV  3)  genannten  in  Verbindung  bringt.  —  Von  großer  Be- 
deutung war  die  feierliche  Begehung  des  Jahresbeginns  im  Zwei- 
etromland  (H.  Zimmern,  Zum  babylonischen  Neujahrsfest,  Ber. 
SGW  phil.  hist.  Gl.  LVIII,  S.  126  ff.). 

Bisweilen  wurde  auch  das  Fest  vom  Neujahrstag,  der  zugleich 
ein  Neumondstag  war,  auf  den  ersten  Vollmondtag  verlegt.  Dies 
ist  bei  dem  mit  dem  1.  März  beginnenden  römischen  Jahr  geschehen, 
in  dem  das  Fest  der  Anna  Perenna  an  den  Iden  des  ersten  Monats 
gefeiert  wurde,  und  wahrscheinlich  auch  in  einem  noch  älteren,  das 
am  1.  September  anfing,  da  an  den  Iden  dieses  Monats  der  Säkular- 
nagel  in  die  Seitenwand  der  Cella  des  kapitolinischen  luppiter- 
tempels  eingeschlagen  wurde,  dessen  Stiftungstag  wohl  aus  einem 
mit  diesem  Fest  zusammenhängenden  Grund  eben  auf  diesen  Tag 
eingesetzt  wurde. 

Mit  der  Einführung  des  reinen  Sonnenjahres  gewann  das  Neu- 
jahrfest neue  Bedeutung  (A.  Müller,  Die  Neujahrsfeier  im  römi- 
schen Kaiserreiche,  Philol.  LXVIII,  1909,  464  ff.).  Ausführliche 
Berichte  liegen  erst  bei  Libanios  und  den  Kirchenvätern  vor,  welche 
die  von  vielen  Christen  übernommenen  heidnischen  Gebräuche 
einzuschränken  versuchten.  Die  Sitte ,  am  Neujahrstag  ein  Feuer 
vor  dem  Hause  anzuzünden  und  zu  überspringen,  verbot  noch  das 
Trullianische  Konzil  vom  Jahr  692  (Müller  S.  474).  Dies  ist  eine 
bei  den  klassischen  Völkern  vielfach  bezeugte  Reinigung-,  andere 
Gebräuche  stammen  wahrscheinlich  aus  ausländischen  Kulten  oder 
sind  vom  Saturnalienfest  auf  den  1.  Januar  verlegt  worden  (s. 
Nilßon,  Arch.  f.  Religionswiss.  XIX,  1917,  50ff.),  einige  waren 
schon  im  alten  Rom  am  Neujahrstag  üblich ,  so  die  Strenae ,  die 
Lorbeerzweige  (Symm.  rel.  XV.  1  verbenae  felicis  arboris  ex  luco 
Streniae  anni  novi  auspices.  —  Streniae  sacellum  am  Ostende  der 
Sacra  via,  Varro  1.  1.  V  47 ;  Fest.  293*  3  f.  M.),  die  der  Gesund- 
heit (vgl.  strenuus)  wegen  am  1.  März  (vgl.  Ov.  F.  III  137  ff.)  ge- 
schickt ,  später  aber  durch  Geldgeschenke  ersetzt  wurden ;  vgl. 
Deubner,  Strena,  Glotta  III,  1910,  34  ff.  Bei  den  Griechen  sind 
die  Spuren  eines  Neujahrsfestes  spärlicher,  sie  fehlen  aber  auch 
für  den  nicht  ganz,  der  nicht  mit  C.Fries,  Stud.  zur  Odyssee  I 
das  Zagmukfest  auf  Scheria,  Mitt.  der  Vorderasiat.  Gesellsch.  XV, 
2./4.  Leipz.  1910  in  dem  Phaiakenabenteuer  des  Odysseus  Anklänge  an 


280  Kalender.  —  Zalilensymbolik. 

die  SchildeniDg  des  assyrischen  Neujahrsfestes  oder  mit  Aly,  Phil. 
TjXXI,  1913,  467  A.  30  in  der  Sage  von  Idomeueus'  Vertreibung 
eine  Spiegelung  des  Märchens  von  der  Austreibung  des  alten  Jahres 
sieht.  Mehrere  Mythen,  z.  B.  die  von  Persephones  Rückkehr,  von 
Helenas  Befreiung  durch  die  Zwillinge,  von  Europas  Ankunft  lassen 
sich  auf  eine  Form  zurückführen,  in  der  sie  passend  die  Neujahrs- 
feier im  lunisolaren  Jahr  erklärten;  vielleicht  ist  die  Annahme 
Frazers,  Dying  God  (Golden  Bough  III)  71  f.  richtig,  der  im 
Anschluß  an  Cook  vermutet,  daß  alle  8  Jahre  der  König  und  die 
Königin  die  heilige  Ehe  von  Sonne  und  Mond  in  der  Gestalt  von 
Stier  und  Kuh  nachahmten  (und  erneuerten). 


In  der  Kalenderordnung  treten  einzelne  Zahlen  hervor,  die 
meist  auch  in  andern  Zusammenhängen  bedeutungsvoll  sind  und 
etweder  deshalb  für  die  Zeiteinteilung  verwendet  wurden  oder  von 
der  Zeiteinteilung  aus  weitere  Bedeutung  erhalten  haben,  die  jeden- 
falls am  besten  anhangsweise  im  Anschluß  an  diese  besprochen 
werden.  Seitdem  Koscher  1903  in  den  Enneadischen  Studien  und 
1904  in  dem  Aufsatz  über  „Die  Sieben-  und  Neunzahl  im  Kultus 
und  Mythus  der  Griechen"  auf  die  Bedeutung  der  Zahlensymbolik 
hingewiesen  hatte ,  ist  diese  oft  behandelt  worden.  Über  die 
Monatstage  der  Göttergeburten  spricht  Schmidt,  Geburtstag  im 
Altertum  (RV  u.  V,  VII  1,  1908)  84  ff.  Die  Pythagoreische  Zahlen- 
symbolik soll,  soweit  sie  mit  der  des  römischen  Festkalenders  über- 
einstimmt, wie  in  der  Scheu  vor  der  ungeraden  Zahl,  nach 
v.  Domaszewski,  Aixh.  f.  Religionswiss.  X,  1907,  343  der 
Philosoph  aus  dem  italischen  Volksglauben  übernommen  haben, 
während  F.  X.  Kugler,  Klio  XI,  1911,  481  ff.  ihren  Zusammen- 
hang mit  babylonischen  Lehren  nachweisen  will.  —  Anregende 
Bemerkungen  über  die  symbolische  Bedeutung  mancher  Zahlen 
(besonders  3,  4,  7  und  12)  finden  sich  in  Bolls  Aufsatz  über  die 
Lebensalter,  Neue  Jahrbb.  XXXI,  1913,  89  ff.  —  Den  Einfluß  be- 
stimmter typischer  Zahlen  auf  die  Anordnung  und  Einteilung  von 
Schriftwerken  hebt  W  einreich,  Triskaidekadiscbe  Studien  (RV  u. 
V,  XVI.  1.  1916)  57.  3  und  78  ff.  hervor.  —  „Zahlensymbolik  in 
griechischen  Sacralbauten"  will  A.  Lud  wich  in  dem  H.  Blümner 
zum  70.  Geburtstag  gewidmeten  Königsberger  Universitätsprogr. 
1914  nachweisen.  —  Was  die  einzelnen  Zahlen  betrifft,  so  bezieht 
C.  Fries,  Die  griechischen  Götter  und  Heroen,  Berlin  1911, 
34  ff",  die  Ziceizahl  auf  Sonne  und  Mond  oder  auf  Sommer-  und 
Winteraonne.    Ebd.  S.  27  ff.  wird  über  Götterf/rc2heiten  gehandelt. 


Zahlensymbolik.  281 

—  Daß  die  Dreiisahl  nicht  immer  auf  chthonischen  Kult  hinweise, 
bemerkt  m.  R.  im  Anschluß  an  Goud}',  Trichotomy  in  Roman 
Law,  Oxford  1910,  S.  5  ff.  Warde  Fowler,  Roligious  Exper. 
of  the  Rom.  People  33-1.  47  gegen  Diels  und  Wissowa.  —  Über 
den  Zusammenhang  der  Drei-  (und  Neun)zahl  mit  dem  Mondkalender 
ist  o.  {271  ff.y  gesprochen.  —  Die  Vierzahl  behandelt  Fries 
a.  a.  0,  20  ff.  —  Die  Siehcnzahl  scheint,  wo  sie  als  Rundzahl  auf- 
tritt, mit  den  7  Planeten  in  Verbindung  zu  stehen  oder  mit  ihnen, 
da  deren  Reihenfolge  wahrscheinlich  nicht  so  alt  ist ,  wie  bisher 
meist  angenommen  wurde,  wenigstens  nachträglich  kombiniert  worden 
zu  sein.  Über  die  Verknüpfung  der  7  Lebensalter  mit  den  Wandel- 
sternen s.  Boll  a.  a.  0.  114  ff. ,  über  die  der  7  griechischen  Vo- 
kale Boll,  Aus  der  Offenbarung  Joh.  26  ff.  —  Auch  die  7  Tod- 
sünden, über  die  Marie  Gothein,  Arch.  f.  Rehgionswiss.  X, 
1907,  416  ff.  spricht,  werden  mit  den  7  Planeten  verbunden  (ebd. 
421  ff.) ,  doch  wird  ihre  Zahl  bisweilen  auf  8  erhöht.  —  Auch  in 
Roschers  Aufsätzen  „Die  Hebdomadenlehre  der  griechischen 
Philosophen  und  Arzte,  ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  griechischen 
Philosophie  und  Medizin"  (Abh.  der  phüos.  bist.  Gl.  SGW  XXIV, 
1906)  und  „Enneadische  Studien ,  Versuch  einer  Geschichte  der 
^mnzahl  bei  den  Griechen  mit  besonderer  Berücksichtigung  des 
alt.  Epos,  der  Philosophen  und  Ärzte",  ebd.  XXVI.  I.  1907  finden 
sich  religionsgeschichtlich  wichtige  Bemerkungen ,  zu  denen  teil- 
weise schon  o.  (271  f.)  Stellung  genommen  ist.  Im  allgemeinen 
hält  Röscher  wie  schon  in  den  früheren  Arbeiten  die  Siebenzahl, 
die  im  Gottesdienst  überwiegt  und  deren  Heiligkeit  er  haupt- 
sächlich von  den  Zwischenräumen  zwischen  den  4  Mondphasen 
herleitet,  wo  sie  im  Kult  oder  Mythos  mit  der  Neunzahl  konkurriert, 
für  älter  als  diese.  Die  alte  Siebenzahl  soll  hier  deshalb  durch 
die  Enneade  ersetzt  sein,  weil  an  die  Stelle  des  viergeteilten  Monats 
von  28  Tagen  bereits  der  dreigeteilte  von  27  Tagen  getreten  war. 
Noch  jünger  ist  nach  Röscher  (Ennead,  Stud.  35)  die  Zehnzahi^ 
die  sich  aus  den  Dekaden  des  30  tägigen  Monats  ergab  und  nament- 
lich in  Kj-eta  oft  mit  der  Neunzahl  wechselt.  Diese  Vermutungen 
scheinen  mir  nicht  gesichert.  Ein  Zusammenhang  der  9  oder  10 
Kureten ,  der  90  oder  100  kretischen  Städte  mit  den  neun-  oder 
zehntägigen  Teilen  des  Monats  ist  nicht  erkennbar ,  und  einen 
Monat  von  27  Tagen,  dessen  Drittelung  Wochen  von  9  Tagen 
ergeben  hätte,  hat  es  schwerlich  gegeben  {s.  o.  271).  Auch 
Nilßon  <o.  270)  und  Ziehen,  Berl.  Phü.  Wochenschr.  XXIX, 
1909,  145  f.  bezweifeln   das   höhere  Alter   der  Hebdomas-,    Ziehen 


ooo  Zahlensvmbolik. 

weist  auf  die  „sehr  beacbtenswcrte"  Vermutung  von  Röscher 
selbst  hin,  daß  die  vordorischen  Kulte  die  9,  die  dorischen  die  7 
bevorzugten.  —  Zur  ZwölfzaM  vgl.  Fries  a.  a.  0.  24  ff.  Mit 
dem  Kult  der  12  Götter  steht  nach  Weinreich,  Sitzungsber. 
Heidelb.  AW  1913,  S.  39  f.  die  Anlage  von  Tholoi  in  Verbindung. 

—  Über  die  „Unglückszahl"  Dreizehn  handeln  E.  ßöklen,  Mythol. 
Bibl.  V  2,  1913  und  Weinreich  in  dem  Aufsatz  ^Lykische  Zwölf- 
götterreliefs, Untersuchungen  zur  Geschichte  des  dreizehnten  Gottes", 
Sitzungsber.  Heidelb.  AW  IV,  1913,  VII,  8.  8  ff.  und  35  ff.,  zu 
dem  Rein  ach,  Rev.  arch.  IVxxii ,  1913,  279  ff.  Nachträge  gibt, 
sowie  in  den  „Triskaidekadischen  Studien",  Beitr.  zur  Geschichte 
der  Zahlen  (RV  u.  V,  XVI.  I.  1916).  In  der  ersten  dieser  beiden 
Untersuchungen  werden  Zeugnisse  dafür  zusammengestellt,  daß  der 
Herrscher  im  Kreise  des  Pantheons  als  dreizehnter  Gott  dargestellt 
und  daß  auch  Christus  im  Kreise  der  Apostel  als  dreizehnter  galt. 

—  Eine  Reihe  von  Stellen,  in  denen  die  Zahl  13  vorkommt  (Theokr. 
XV  171:  Gurt.  X  2;  lustin  XII  11,  8;  Sueton.  Gai.  38  usw.), 
sammelt  Postgate,  Class.  Rev.  XX,  1906,  443  in  Ergänzung 
eines  früheren  Aufsatzes.  —  Über  die  vicnmdzwanzig  Buchstaben 
des  Alphabets  als  Inbegriff  aller  Gottesnamen  vgl.  Boll,  Aus  der 
Offenbar.  .loh.  26ff. ,  der  auch  an  den  Doppelsinn  von  OTOix^iOV, 
^Buchstabe"  und  „Element"  erinnert.  —  „Die  Zahl  vierzig  und 
Verwandtes"  besonders  bei  den  Hebräern  behandelt  Ed.  König, 
ZDMG  LXI,  1907,  913  ff.  —  Ihre  Heiligkeit  hat  sich  nach  Brunn- 
Lofer,  Arische  Urzeit  226  ff.  durch  wandernde  Indoeranier  ver- 
breitet ,  sie  findet  sich  aber  auch  bei  Griechen  und  Turaniern. 
Eingehender  bespricht  diese  Zahl  Röscher  in  den  Aufsätzen 
„Die  Zahl  40  im  Glauben,  Brauch  und  Schrifttum  der  Semiten, 
Ein  Beitrag  zur  vergleichenden  Religionswissensch.,  Volkskunde  und 
Zahlenmystik"  (Abb.  SGW  phil.-hist.  Gl.  XXVII,  1909,  IV)  und 
,Die  Tessarakontaden  und  Tessarakontadenlchren  der  Griechen  u. 
anderer  Völker,  Ein  Beitrag  zur  vergleichenden  Religionswissensch., 
Volkskunde  und  Zahlenmystik  sowie  zur  Geschichte  der  Medizin" 
(Ber.  SGW  phil.-hist.  Gl.  1909,  11).  Im  Orient  und  in  Griechen- 
land gilt  die  40  tägige  Frist  besonders  für  die  Unreinheit  nach  dem 
Kindbett,  die  auch  die  Griechen  im  heutigen  Ägypten  annehmen, 
für  Perioden  innerhalb  der  Schwangerschaft,  für  Trauerfasten,  für 
Bußen,  für  die  Dauer  des  Winters,  womit  die  4* »tägige  Unsichtbar- 
keit  der  Plejaden  zusammenhängt.  Außerdem  werden  in  morgen- 
ländischen Schriftwerken  nicht  selten  Gruppen  von  40  Personen, 
Opfertieren    usw.    zusammengestellt.     Die    40  tägige    Befristung   ist 


Zahlensymbolik.  —  Orphiker.  28iJ 

nach  Röscher  nicht,  wie  Hirzel  glaubte,  der  40  jährigen  nachgebildet, 
sondern  deren  Vorbild;  die  Griechen  mögen  einzelne  Tessarakon- 
taden  einem  semitischen  Volk  entlehnt  haben,  sind  aber  i.  g.  doch 
meist  selbständig  auf  sie  gekommen.  —  Nachträge  zu  Roschers 
erstem  Aufsatz  gibt  0.  Rescher,  ZDMG  LXV,  1911,  517.  — 
Das  Überwiegen  der  Zahl  fünfzig  erklärt  Röscher,  „Die  Zahl 
50  in  Mythus,  Kultus,  Epos  und  Taktik  der  Hellenen  und  anderer 
Völker,  bes.  der  Semiten",  Abh.  SGW  phU.-hist.  Cl.  XXXIII  5, 
1917  teils  aus  der  Sitte,  50  Choreuten  zusammenzustellen  (daher 
50  Nereiden),  teils  aus  den  50  Pentekontores  (daher  50  Aigypti- 
aden  und  Danaiden,  danach  dann  50  Köpfe  der  lernaiischen  Hydra) 
und  den  aus  50  Mann  bestehenden  militärischeu  Abteilungen  (daher 
z.  B.  50  Thebaner  von  Tydeus  getötet,  50  Griechen  im  hölzernen  Pferd, 
50  Thespiaden  und  Lykaoniden).  —  Über  die  Zahl  zweiundsiehzig 
s.  F.  Pradel,  Griech.  und  süditalienische,  Gebete,  Beschwörungen 
und  Rezepte  des  Mittelalters  (RV  u.  V,  III  3),  Gießen  1907, 
S.  72(=325)ff.,  Preisendanz,  Philol.  LXXII,  1913,  552. 


V.  Antike  Schriftquellen  zur  Religionsgescliiclite 
und  3Iythologie. 

Orphika. 

Über  die  orphischen  Lehren  handelt  ausführlich,  aber  im  ganzen 
ohne  zu  selbständigen  Ergebnissen  zu  kommen,  James  Adam, 
The  religious  Teachers  of  Greece,  Edinb.  1908,  S.  92  ff.  —  Im 
Anschluß  an  Jane  Harrison  (Prolegomena  (s.  o.  CXXXVII,  1908, 
Suppl.  277  ff.'),  die  inzwischen  ihre  Vermutungen  weiter  aus- 
gesponnen hat  (■?.  M.),  will  Auguste  Dies,  Le  cycle  mystique. 
La  divinite  origine  et  fin  des  existences  individuelles  dans  la  philo- 
sophie  antesocratique ,  Par.  1909  den  orphischen  Mystizismus  des 
6.  Jh.  unmittelbar  von  griechischen  Urvorstellungen  herleiten.  — 
Im  Gegensatz  zu  Gomperz  glaubt  Perdrizet,  Ann.  de  l'Est  Uli, 
1910,  101,  daß  die  orphische  Lehre  aus  Thrakien  stamme  und  von 
dort  später  als  der  Dionysoskult  nach  Griechenland  gelangte ,  wo 
sie  aber  verwandte  Vorstellungen  vorfand,  vor  allem  die  Sehnsucht, 
Gott  gleich  und  zu  einem  neuen  Leben  erweckt  zu  werden.  — 
Jos.  Dörfler,  Die  Eleaten  und  die  Orphiker,  XLI.  Jahresber. 
des  Gymn.  zu  Freistadt  in  Ober  Österreich  1911  kommt  zu  dem  jetzt 
nicht  mehr  ganz  neuen  Ergebnis ,  daß  Zeller  den  Einfluß  der  kos- 
mogonischen    Spekulation    auf    die     wissenschaftliche    Philosophie 


284  Orphiker. 

unterschätzt  hat,  und  daß  die  Eleaten  ebenso  wie  die  Tonier  zahl- 
reiche Anregungen  und  zwar  nicht  bloß  in  Nebensachen  und  Einzel- 
heiten ,  sondern  selbst  in  Grundanschauungen  von  den  Orphikern 
erhielten.  Selbst  da,  wo  Xenophanes  und  Pannenides  von  den 
Orphikern  abweichen ,  will  Dörfler  deren  Einfluß  erkennen ;  er 
meint,  daß  die  Eleaten  dauernd  zu  den  gleichzeitigen  orphischen 
Lehren  Stellung  genommen  haben.  Diese  Auffassung  scheint  mir 
berechtigt,  wenn  unter  den  orphischen  l^ehren  Gedanken  verstanden 
werden ,  die  im  VI.  Jh.  das  Geistesleben  der  ganzen  Kulturwelt 
beherrschten  oder  wenigstens  erschütterten  und  die  in  Griechen- 
land ihren  für  uns  deutlichsten  Ausdruck  in  den  Schriften  gewisser 
orphischer  Kreise  gefunden  haben.  Aber  über  diese  Einschränkung 
ist  sich  Dörfler  nicht  klar  geworden  5  er  vergißt,  daß  die  von  ihm 
als  orphisch  erklärten  Lehren  weder  in  allen  orphischen  Gemeinden 
noch  allein  in  solchen  vorgetragen  wurden,  und  kommt  daher  in 
einzelnen  vielfach  zu  irrigen  Annahmen.  Nestle,  der  in  der 
Wochenschr.  f.  kl.  Phil.  1012 ,  80  ff.  bei  aller  Anerkennung  eine 
Reihe  derartiger  Überspannungen  nachgewiesen  hat,  irrt  nur  darin, 
daß  er  die  reale  Bedeutung  der  in  Wahrheit  symbolisch  poetischen 
Göttergestalten  der  Orphiker  überschätzt.  —  J.  Harrison,  Themis, 
Cambrige  1912,  461  ff.  sieht  in  der  orphischen  Bewegung  des  6.  Jhs. 
eine  Reaktion  gegen  die  Entwicklung  der  griechischen  Religion, 
welche  die  ursprünglich  reinen  Erdgottheiten  erst  zu  Giganten,  dann 
zu  Titanen,  endhch  zu  Olympiern  erhoben  hatte.  Unterstützt  soll 
die  Umkehr  sein  durch  iranischen  Naturdienst,  deren  Einfluß  auf 
die  Griechen  die  Verfasserin  überhaupt  sehr  hoch  bewertet,  Aristo- 
phanes  soll  in  den  veffiXai  217,  in  dem  auf  der  Hängemaschine 
die  fiETtioQa  TtQciy/uaTa  studierenden  Sokrates  vielleicht  nicht  so 
sehr  den  phantastischen  Philosophen  als  den  verkappten  Perser 
an  den  Pranger  stellen.  S.  527  wird  vermutungsweise  die  Um- 
wandlung des  Begriffs  Dike  (vom  natürlichen  Wege  der  Welt  zur 
Rächerin)  auf  persischen  Einfluß  zurückgeführt. 

Von  den  einzelnen  unter  Orpheus'  Namen  umlaufenden  Werken 
ist  die  Theogonic  an  verschiedenen  Stellen  von  R,  Eisler, 
Weltenmantel  und  Himmelszelt,  Religionsgeschichtliche  Unter- 
suchungen zur  Urgeschichte  des  antiken  Weltbildes,  München  1910 
behandelt  worden.  Eisler  denkt  (70,  S.  4),  daß  von  Anfang  an 
mehrere  in  der  Peisistrateischen  Akademie  zu  gleicher  Zeit  von  ver- 
schiedenen Sängern  gedichtete  Versionen  der  Rhapsodien  vorhanden 
waren.  Aber  wir  wissen  nichts  von  verschiedenen  „Versionen" 
der  Theogonien ,    als  überliefert  kann  nur  gelten ,  daß  im  späteren 


Orphiker.  285 

Altertum  mehrere  inhaltlich  und  wahrscheinlich  auch  nach  ihrem 
Umfang  und  ihrer  Anlage  verschiedene  Theogonien  unter  Orpheus' 
Namen  vorhanden  waren.  Daß  diese  Gedichte  oder  eines  von  ihnen 
bis  in  die  Peisistrateische  Zeit  hinaufreichte ,  ist  zwar  nicht  un- 
möglich, aber  nicht  zu  erweisen;  wie  verschiedene  Dichter  gleich- 
zeitig verschiedene  Fassungen  desselben  Gedichtes  schaffen  konnten, 
auch  wenn  sie  Mitglieder  derselben  „Akademie"  waren,  vermag  man 
sich  schwer  vorzustellen. 

Bruchstücke  der  Paraphrase  eines  orphischen  Gedichtes  über 
den  Raub  der  Persephone  sind  bei  den  Ausgrabungen  in  Abusir 
el  mäläk  gefunden  und  von  Fr.  Buecheler  in  den  Berl.  Klassiker- 
texten Vi,  S.  7  ff.  herausgegeben,  sowie  von  T.  W.  Allen,  Class. 
Rev.  XXr,  1907,  97  ff.  und  besonders  von  L.  Malten,  Arch.  f. 
Religionswiss.  XII,  1909,  417  ff.  besprochen  worden.  Orpheus 
wird  am  Anfang  genannt,  und  es  heißt,  daß  Musaios  seine  H^onnen 
oXiya  inlavoQd^tuaag]  aufgeschrieben  habe ;  Kol.  2,  1  (zu  Hom.  v.  V 
z.  B.  460  stimmend)  und  Kol.  2,  7  (=  Hom.  v.  418  ff.)  wird  eben- 
falls Orpheus  als  Quelle  angegeben ,  dagegen  Kol.  4,  6  Musaios 
mit  dem  wunderbaren  Zusatz  dia  riöv  STtojr  alvov.  Da  die  Quellen- 
angabe überflüssig  war,  wenn  dem  Epitomator  ein  einheitlicher 
Text  vorlag ,  sieht  es  so  aus ,  als  berichte  er  von  zwei ,  wie  er 
meint ,  nur  wenig  verschiedenen  Hymnen ,  dem  des  Orpheus  und 
dem,  wie  er  in  der  Einleitung  sagt,  etwas  verbesserten  des  Musaios ; 
damit  stände  auch  Kol.  2,  2  im  Einklang,  wenn  ol  ds  den  Musaios 
in  sich  schließt.  Was  dem  Orpheus  zugeschrieben  wird ,  stimmt 
zu  Hom.  t".  V,  mit  dem  sich  auch  sonst  wörtliche  Übereinstimmungen 
finden  (Kol  2,  7  ff.  =  418  ff.;  4,  13  =  9  ff.;  5,  1  =  17  ff.;  5,  3  = 
33  ff.),  andere  Verse  berühren  sich  aber  nur  z.  T.,  z.  B.  Kol.  6,  15 
mit  256 ;  7,  1  mit  54  und  268,  und  der  Mythos  selbst  zeigt  erheb- 
liche Abweichungen  nicht  bloß  in  den  Namen  —  so  erscheinen 
Baubo  (Kol.  6,  1  u.  9)  statt  Metaneiras  und  vielleicht  Dys[aules] 
(Kol.  3,  10)  statt  Keleos  (vgl.  aber  Kol.  7,  5)  — ,  sondern  auch 
in  den  Begebenheiten  —  so  wollen  Artemis  und  Athena  der  Köre 
helfen  (Kol.  3,  2),  Demophon  wird  durch  die  Göttin  getötet  (Kol.  7,  1). 
Malten  a.  a.  0.  betrachtet  auch  die  versuchte  Hilfeleistung  der 
beiden  Göttinnen  als  orphisch,  weil  sie  auch  in  einem  Chorlied  von 
Eurip.  *£A.  (1315  f.)  vorkommt,  in  dem  Demeter  der  ogeia  fiätrjg 
&i:iüv  (1302)  gleichgesetzt  wird,  wie  in  der  orphischen  Theogonie 
des  Hieronymos  (fr.  41  Ab.)  und  wahrscheinlich  in  den  Rhapsodien 
(fr.  106  Ab.).  Zu  dem  Orpheus  der  Paraphrase  stimmt  dies  nicht, 
denn   im   Gegensatz    zu    ol    öe   heißt    es    von   ihm  gerade ,    daß  er 


2g()  Orphiker. 

Demeter  nicht  zur  Mutter,  sondern  zur  Schwester  des  Zeus  mache^ 
und  damit  fällt  ein  Teil  von  Maltens  Aufstellungen.  Die  Sache 
liegt  so,  daß  von  den  vier  Zitaten  des  Hymnos  die  zwei  den  Orpheus 
nennenden ,  darunter  ein  mehrere  Verse  umfassendes ,  zum  home- 
rischen Hymnos  stimmen,  dagegen  das  auf  Musaios  lautende,  sowie 
das  mit  ot  ö^  eingeführte  von  ihm  abweichen  und  außerdem  mehrere 
nicht  mit  Quellenbezeichnung  versehene  gegen  Homer  zu  Orpheus 
stehen.  Dies  Verhältnis  legt  die  Vermutung  nahe ,  daß  eine  der 
beiden  im  Auszug  zusammengeworfenen  Hymnen  der  homerische 
war,  dem  der  Exzerptor  die  meisten  Verszitate  entlehnte,  und  deu 
er  irrtümlich  oder  auf  Grund  einer  Theorie  für  ein  Werk  des 
Orpheus  hielt,  der  andere  dagegen  ein  „verbesserter"  des  Musaios 
dessen  Angaben  von  andern  Schriftstellern  z.  T.  als  orphisch  be- 
zeichnet werden.  Hatte  „Musaios"  sich  als  Orpheus'  Schüler  be- 
zeichnet oder  sonst  irgendwie  angedeutet,  daß  sein  Werk  dessea 
Gedanken  oder  Bericht  wiedergebe,  so  konnte  dieses  Werk  wohl 
auch  als  orphisch  gelten,  anderseits  konnte  jemand,  der  neben  seinem 
Hymnos  noch  den  homerischen  vor  sich  hatte ,  auf  den  Gedanken 
verfallen,  daß  dieser  das  aus  den  Worten  des  Musaios  erschlossene 
Original  von  dessen  Hymnos  sei.  Von  dem,  was  in  dem  Hymnos 
des  „Musaios**  abweicht,  läßt  einzelnes  sich  bis  in  das  5.  Jh.  hinauf 
verfolgen;  aber  der  paraphrasierte  Hymnos  kann  auch  hellenistisch 
sein.  Die  Neuerungen  erklären  sich  z.  T.  aus  dem  Bestreben,  in 
den  Mythos  vom  Raub  andere  eleusinische  Gottheiten  wie  Artemis 
oder  die  athenische  Athena  zu  verflechten  oder  auch  ihn  mit 
fremden  Überlieferungen  auszugleichen.  So  wird  Baubo  eingeführt, 
Demeter  kommt  aus  Sizilien  und  wird  der  Rheia  gleichgesetzt.  Die 
Bestrebungen,  welche  wahrscheinlich  die  Orphiker  des  6.  Jhs.  in 
Athen  erfüllten,  die  Sehnsucht  nach  der  Aufhebung  der  Seelen- 
wanderung, d.  h.  des  Fluches,  wieder  sterben  zu  müssen,  und  nach 
dem  Eingehen  in  das  All-Eine,  kommen  in  dem  Hymnos  nicht  zum, 
Ausdruck.  —  Mit  dem  von  Klem.  nqoxQ-  11  20,  2£f. ,  S.  15,  27 
Stäh. ,  Arnob.  V  25  f.  zitierten  orphischen  Gedicht  vom  Raube 
Persephones  beschäftigt  sich  Di  eis,  Arcana  Cerealia,  Miscell.  ded. 
al  prof.  Salinas  1907,  3  ff.  "laAXog  von  Iclxelv  „grunzen"  abgeleitet» 
soll  so  viel  sein  als  yßlQog  in  der  Bedeutung  pudendum  muliebre, 
wie  auch  Arnobius  die  Stelle  verstand ;  Diels  vergleicht  die  obszönen 
Tonstatuetten  von  Priene,  die  einen  weiblichen  Bauch,  auf  dem  ein 
Gesicht  eingezeichnet  ist,  mit  anschließenden  Beinen  darstellen. 

Viel    ist    in   der  Berichtsperiode  über  die  Entstehungszeit  und 
die  Heimat   der    erhaltenen  orphischen  Hymnensammlung  gestritten 


Orphiker.  287 

worden.  Auf  kleinasiatische  Bestandteile  (Hipta,  eigentlich  Be- 
zeichnung der  Kybele,  Mise,  Erikepaios,  Melinoe  u.  a.)  weist  Kern, 
Genethliacon  der  Graeca  Hai.,  Berlin  1910,  S.  89  ff.  hin,  vgl.  Uandb. 
d.  griech.  Myth.  u.  Religionsgesch.  14^57,  1544;  Röscher,  ML  III 
2266  ff.  Spezialisiert  hat  Kern  seine  Ausführungen  1911  in  Hermes 
XLVI ,  1911,  431  ff.  Gestützt  auf  die  Ergebnisse  der  deutschen 
Ausgrabungen  am  Demetertempel  von  Pergamon,  über  die  inzwischen 
flepding  ausführlicher  berichtet  hatte ,  und  die  zahlreiche  Über- 
einstimmungen der  gefundenen  Inschriften  mit  dem  orphischen 
Hymnenbuch  aufwiesen ,  wagte  er  die  Vermutung ,  daß  dieses  im 
Kreise  der  Priester  jenes  Heiligtums  entstanden  sei,  aber  auch 
Beziehungen  zu  dem  Kult  des  Dionysos  KaifrjysfAwv  in  Pergamon 
habe.  Daß  die  Sammlung  nach  dieser  Stadt  gehöre,  ist  auch  mir 
wahrscheinlich,  fraglich  aber  scheint  mir,  ob  wir  ihren  Ursprung 
in  priesterlichen  Kreisen  zu  suchen  haben  oder  ob,  wenn  dies  der 
Fall  gewesen  sein  sollte,  die  Priester  die  Sammlung  in  ihrer  amt- 
lichen Eigenschaft  zustande  gebracht  haben.  Die  orphischen  Ver- 
bände scheinen  sich  zwar  an  die  Staatskulte  der  Gemeinden,  in 
denen  sie  bestanden,  angeschlossen  zu  haben,  einzelne  ihrer  Zere- 
monien mögen  auch  Bestandteile  eines  öffentlichen  Kultus  gebildet 
haben,  aber  schwerHch  ist  ein  orphischer  Verein  aus  einem  Priester- 
kolleg hervorgegangen.  —  Diesen  zweiten  Aufsatz  Kerns  scheint 
M.  Hauck,  De  hymnorum  Orphicorum  aetate ,  Bresl.  phil.  Abh. 
XLIII,  1911  noch  nicht  benutzt  zu  haben,  der  zwar  den  klein- 
asiatischen Ursprung  der  Hymnen  zugibt ,  aber  aus  ihrer  von  ihm 
behaupteten  Abhängigkeit  von  Synesios  und  Proklos  und  aus  dem 
Fehlen  eines  solchen  Abhängigkeitsverhältnisses  gegenüber  den 
Nachnonnianern  schließt,  daß  sie  erst  gegen  Ende  des  5.  Jhs.  ent- 
standen seien.  Eine  Ausnahme  soU  nur  Hymn.  59  machen,  in  den 
ältere  Bestandteile  aufgenommen  zu  sein  scheinen.  B uckler, 
Ann.  Brit.  Seh.  Ath.  XXI,  1914/16,  171  hält  Haucks  Nachweis  für 
überzeugend;  m.  E.  ist  der  Inhalt  der  Hymnen  einer  so  späten 
Ansetzung  nicht  günstig;  die  in  ihnen  angerufene  Götterwelt  ist 
die  hellenistische.  Die  literarische  Festlegung  könnte  trotzdem  ein 
halbes  Jahrtausend  später  erfolgt  sein,  aber  zur  Begründung  dieser 
an  sich  wenig  wahrscheinlichen  Annahme  scheinen  mir  die  von 
Hauck  geltend  gemachten  sprachlichen  und  metrischen  Erschei- 
nungen so  wenig  auszureichen,  wie  die  früher  in  ähnlichem  Sinn 
verwerteten.  —  Daß  die  orphischen  Hymnen  in  Kleinasien  ent- 
standen seien,  ist  auch  das  Ergebnis  von  Qu  an  dt.  De  Baccho 
ab  Alexandri   aetate   in   Asia   minore   culto ,    Diss.  phü.  Hai.  XXI, 


288  Orphiker.    Italische  Goldplättchen. 

1913,  S.  254  ff.  Neu  ist  u.  a.  der  Hinweis  (262)  auf  die  Bedeutung 
der  Trieteris  in  Kleinasien  und  im  Hymnenbuch.  —  "Weinreich, 
Arch.  f.  Religionswiss.  XVII,  1914,  531  empfiehlt  eine  Vergleichung 
der  orphischen  Hymnen  mit  den  Prosahymuen  des  Aristeides  und 
den  kleinasiatischen  Inschriften. 

Eine  enaoiöi  'O^iqni'ws  (überliefert  oq^tiog),  die  man  nach  Athanas. 
bei  Migne  P.G.  XXVI,  1320  für  20  Obolen  kaufen  könne,  gewinnt 
durch  Textänderung  Abt,  Arch.  f.  Religionswiss.  XII,   1909,  412. 

Mit  den  orphischen  Hymnen  berühren  sich  z.  T.  die  Götter- 
anrufungen in  den  Zauberpapyri,  namentlich  die  in  dem  großen 
Pariser  Zauberpapyrus  benutzten  Hekatehymnen •,  vgl.  Wünsch, 
Aus  einem  griech.  Zauberpapyr.  S.  16  zu  v.  2566",  über  den  Helios- 
u.  Aphroditehymnos  s.  u.  {294). 

Der  orphischen  Literatur  werden  gewöhnlich  auch  die  Verse 
der  Goldplättchen  zugerechnet,  die  in  Petelia,  Thurioi,  Rom  sowie 
in  dem  kretischen  Eleuthernai  gefunden  und  auch  in  der  Berichts- 
zeit mehrfach  neu  herausgegeben  iind  besprochen  sind.  Die  Formel 
iQicpoq  ig  ydXa  l'netov  oder  InsTEg  auf  2  Tafeln  von  Thurioi  be- 
zieht R.  Eisler,  Transact.  3  Congr.  Hist.  Rel.,  Oxford  1908  auf 
die  Milchstraße,  denkt  aber  zugleich  an  einen  Ritus,  bei  dem  ein 
Lamm  in  Milch  —  der  Nahrung  der  Neugeborenen  —  als  Symbol 
und  Bürgschaft  der  Wiedergeburt  aufgekocht  wurde.  —  Das  römische 
Täfelchen  von  der  via  Ostiensis  faßt  H.  D  i  e  1  s ,  Philotesia,  P.  Kleinert 
zum  70.  Geburtstag  dargebracht,  Berlin  1909,  S.  41  ff.  als  „orphi- 
schen Totenpaß".  In  Z.  3  liest  er  t^co  de  für  t'x  «>(Jfi  und  bezieht 
ftvrji.iooLvt^g  zoöe  Öwqov  auf  das  Täfelchen  selbst.  In  den  Schluß- 
worten, die  der  Caecilia  Seeundina  als  Antwort  gegeben  sein  sollen, 
ändert  Diels  alel  öiaytyoJaa  in  l'O^t  d^eia.  yeyiuaa.  Der  in  V.  1  an- 
gerufene Dreiverein  Xif^oviiov  ßaaiXeia ,  Emkir^g  und  EißuvXevg 
wird  mit  dem  eleusinischen  (Demeter,  Köre,  Pluton),  dem  von 
Mykonos  (Demeter,  Köre,  Zeus  Bovleug)  und  dem  von  Amorgos 
(Demeter,  Köre,  Zeus  Evßovkeic)  verglichen.  Ev^Xti^g  (Nebenform 
EiiyiXog)  soll  Hades  sein  und  Persephones  Sohn  Eubuleus  dem 
Dionysos  lakchos  entsprechen.  Die  Voraussetzung,  daß  toöe  dwgov 
das  als  Erkennungszeichen  in  der  Hand  des  in  die  Unterwelt  hinab- 
steigenden Mysten  gedachte  Goldplättchen  sei,  scheint  mir  nicht 
sicher ;  es  kann  irgendein  anderes  Symbol  gemeint  sein,  bei  dessen 
Vorzeigung  der  tote  Myste  bestimmte  Worte  sprechen  soll.  Die 
Vergleichung  mit  dem  ägyptischen  Totenbuch,  der  oft  fehlende 
Zusammenhang  und  vor  allem  die  jetzt  bisweilen  sinnwidrigen  Satz- 
verbindungen   machen    wahrscheinlich,    daß    die    Verse    aus    einem 


1 


Orphische  Goldplättcheii.  289 

größeren  Gedicht  herausgerissen  sind.  Dieses  braucht  ursprünglich 
nicht  für  die  Benutzung  in  der  Unterwelt  bestimmt  gewesen  zu 
sein.  —  Pichon,  Rev.  et.  gr.  XXIII,  1910,  58  ff.  bezieht  die 
Formel  tQiCfog  fg  ydX  uiizov  auf  ein  rituelles  Bad,  bei  dem  der 
Myste  in  Wasser,  das  aber  die  Milch  ersetzte  und  als  solche  be- 
zeichnet wurde,  hineinfiel.  Der  Vorschlag  hat,  wie  die  zahlreichen 
anderen  Versuche ,  den  dunkelen  Ausdruck  zu  deuten ,  nicht  viel 
Beifall  gefunden;  wie  das  avi-ißolov  der  eleusinischen  und  der 
attischen  Mysterien  soll  das  Erkennungszeichen,  um  Mißbräuche  zu 
erschweren,  unverständlich  sein,  und  nur  ein  Zufall  kann  die  Lösung 
bringen.  —  Dom.  Comparetti,  Laminette  orfiche  edite  ed  illustrate, 
Flor.  1910  gibt  eine  sorgfältige  Nachbildung  der  Plättchen  und 
(S.  47)  der  Bakcheninschrift  von  Cumae ,  die  derselbe  Verfasser 
in  der  Ausonia  I  19t)t),  13  zuerst  herausgegeben  hat.  Die  eigenen 
Vermutunger^  Comparettis  über  die  ursprüngliche  Gestalt  der  Verse 
sind  unsicher  und  z.  T.  unrichtig;  auch  der  Kommentar  entspricht 
nicht  der  Ausgabe,  die  für  absehbare  Zeit  für  die  dokumentarische 
Festsetzung  des  Textes  maßgebend  sein  wird.  Die  Vermutung, 
daß  das  zugrunde  liegende  Gedicht  die  tig'Aiöov  /.azdßaotg  sei, 
wird  jetzt  (36j  mit  Recht  aufgegeben;  die  kretischen  Tafeln  schreibt 
Comparetti  39  mit  Halbherr  dem  2.  Jh.  v.  Chr.  zu.  7tiE(.i^oi  soll 
bedeuten  [öoit)  Tcitv  (d  i.  tciüv)  f.toi.  Für  das  Original  der  drei 
Tafeln  des  kleinen  Grabhügels  von  Thurioi  wird  (.5  f.)  folgender 
Vers  gewonnen:  eic^  fj-ii  Mo'iq  FÖn^iaaa^  alov  ozegonr)  te  xc- 
^avvui\  was  sich  auf  die  Tötung  der  Titanen  durch  den  Blitz  be- 
ziehen soll.  Das  römische  Tätelchen  wird  anders  erklärt  als  von 
Diels:  (.ivi,f.n,üivag  zööe  öoiqov  soll  sich  nicht  auf  die  Mnemosyne- 
quelle  beziehen,  sondern  auf  die  Erinnerung  der  Mysten  im  Leben, 
wofür  auf  Orph.  t/*»».  76,  I  verwiesen  wird;  am  Schluß  liest  Com- 
paretti v6/.ni)  uei  diayiyoioa.  Die  Formel  ^Ql(poc  fg  ydla  tneiov 
soll  (9,  2)  nur  die  Reinheit  des  einem  Milchlamm  vergleichbaren 
Mysten  bezeichnen.  —  Textverbessernngen  und  neue  Erklärungen 
schlägt  Radermacher,  Rh.  Mus.  LXVII,  1912,  472  vor,  z.  B. 
wird  i''.Q  f.is  TtQOifQi'iv  7ituil<f]  Vdgag  fg  e-uay/ov  auf  2  Tafeln  von 
Thurioi  als  Pentameter  gefaßt.  —  Loisy,  Rev.  bist.  litt.  rel.  n.  s. 
IV,  1913,  151  f.  findet  in  der  Formel  i-Qi{fog  ßg  yäla  eusiov  den 
Ausdruck  für  Erneuerung  des  Mysten,  seine  Wiedergeburt,  die  Um- 
formung «eines  Wesens.  Der  Myste  soll  sich  dem  mystischen 
Widder  gleichgeset/.t  haben,  dessen  Fleisch  er  gegessen  hatte  und 
der  zugleich  der  Gott  war.  —  Alline,  Le  paradis  Orphique  et  la 
formule    i-yicpoc    ßg    yail    tneiov   in    Xenia    (Jubil.   der  athen.  Uni- 

.lahresbericht  für  Alteriumswis-enschaft.    Bd.  186  (Snpplementband).  19 


290  Orphische  Goldplättchen. 

versität  1912,  S.  94  ff.)  bezieht  wie  Eisler  das  Symbolon  auf  den 
Eintritt  der  Seele  in  die  Milchstraße ,  durch  den  sie  zum  Gott, 
nämlich  dem  Dionysos  'Egicpioc:  oder  "Egtq'og  oder  ^iiAviTr^g  werde. 
Er  vergleicht  Numenios  bei  Prokl.  Plat.  ttoX.  II  129  f.  Kroll  (vgL 
S.  68  Schoell)  und  Macrob.  Somu.  Scip.  I  12,  3,  wo  die  Milch- 
straße Aufenthalt  der  Seelen  und  Seelenspeise  heißt.  Schon  Plat. 
noX.  X  14,  616»"'  soll  Orpheus  folgend  (wie  Pind.  ^01.  II  70  den 
Weg  des  Zeus)  das  TEzautvov  (f(Zg^  wo  die  Seelen  sich  versammeln, 
als  Milchstraße  gefaßt  haben.  Bedenklich  an  dieser  Deutung  ißt, 
daß  der  Aufstieg  zur  Milchstraße  als  ein  Fallen  bezeichnet  sein 
soll.  Alline  verweist  S.  104  auf  Eurip.  '^EX.  1016  Eig  ai/drarov 
at^iQ^  ntrteoiuv  und  meint,  die  Seele  habe  durch  den  Wassermann 
zum  Himmel  hinauf,  dann  ■  aber  durch  das  zweite  Tor  zur  Milch- 
straße hinabsteigen  müssen.  Für  Eurip.  a.  a.  0.  würde  diese  Er- 
klärung nicht  passen.  Überdies  lag,  wie  A.  Delatte,  Muses 
Beige  XVII,  1913,  128  f.  aus  lambl.  v.  Pythag.  82 '(und,  m.  E. 
nicht  mit  Recht,  aus  Pind.  fr.  133)  folgert,  dies  orphische  Paradies 
vielmehr  in  der  Sonne  oder  im  Mond.  —  Delatte  selbst  erklärt 
den  Vers  der  Goldplättchen  aus  einer  Lehre,  nach  der  die  Seelen 
auf  die  Erde  durch  ihre  Begierde  nach  Milch  herabgezogen  werden, 
die  deshalb  die  erste  Kindernahrung  sei  und  bei  der  Psychagogie 
benutzt  worden  sei,  die  Geister  auf  die  Erde  zurückzurufen ;  ig 
ydX^  l'nerov  soll  demnach  soviel  sein,  wie  ig  yaveaiv  l'neaov,  und  als 
i'giq^og  der  Myste  sich  dem  Dionysos  gleichsetzen.  Den  Vers  el're 
{js  BloiQ  idaf.idaaTO  hte  doTtQonfjfii  /.egaivti)  bezieht  Delatte  ebd. 
125  auf  den  sich  auch  bei  Pythagoreiern  findenden  Glauben,  daß 
die  Seelen  im  Blitz  zur  Erde  niedersteigen.  Allines  Erklärung 
der  Worte  yaige  7taifdjv  tu  ndi^rjiiia  als  auf  das  Trinken  aus  der 
heiligen  Quelle  gehend  bestreitet  Delatte ;  zweifelnd  denkt  er  bei 
nd^r^fja  an  die  Seelenreise.  —  Wyß,  Die  Milch  im  Kult  der 
Griechen  und  Römer  (RV.  u.  V,  XVu,  1914,)  53  f.  erklärt  die 
Formel  tqiqog  ig  ydX  i7cezov  daraus,  daß  der  Neophyt  als  neu- 
geboren galt  und  die  Milch  als  Nahrung  der  Säuglinge  zum  ffäg' 
fxav.ov  düavaolag  wurde.  In  einer  gründlichen  Leidener  Disserta- 
tion unterscheidet  Jan  Wieten,  De  tribus  laminis  aureis  quae 
in  sepulcris  Thurinis  sunt  inventae  (1915),  eine  obere  (IG  XIV, 
641,  1)  und  eine  untere  (ebd.  2  und  3)  Stufe  der  Mysten;  jene 
soll  der  Klasse  der  Epopten  entsprochen  haben ,  die  Mitglieder 
hießen  tgirpoi.  Das  Fallen  in  die  Milch  wird  auf  das  W^under  der 
Auffindung  von  Milchströmen  in  den  Bakchischen  Kulten  bezogen, 
das    Wieten    ansprechend    erklärt,    das    aber    einem   andern  GebietJ 


Orphische  Goldplättchen.    Kultlieder.  291 

des  Dionysoskultus  angehört  und  auch  nur  vom  weiblichen  Personal, 
den  Mainaden,  vollzogen  wird.  Die  mystischen  i}iaooL  ünteritaliens 
sollen  aus  pythagoreischen  Vereinigungen  hervorgegangen  sein,  di^ 
sich  durch  die  Aufnahme  von  kretischen,  über  Sparta  nach  Unter- 
italien gelangten  dionysischen  Kulten  in  der  zweiten  Hälfte  des 
5  Jhs.  umgestaltet  hatten.  Beziehungen  zu  Kreta  scheinen  in  der 
Tat  vorhanden,  aber  sie  sind  schwerlich  so  alt,  wie  Wieten  glaubt. 
Den  orphischen  Charakter  der  ^laaot  bestreitet  er  (s.  dagegen 
Kern,  Hermes  LI,  1916,  556,  der  aber  zugibt,  daß  das  Verhältnis 
zwischen  Orphikern  und  Pythagoreiern  genauer  untersucht  werden 
muß)  ebenso ,  wie  daß  die  Verse  aus  einem  größeren  Gedicht 
stammen.  —  A.  Olivieri,  Lamellae  aureae  Orphicae  (Kleine  Texte 
für  Vorlesungen  und  Übungen,  herausgeg.  von  H.  Lietzmann  133, 
Bonn  1915)  versucht  eine  Art  Stammbaum  der  verschiedenen 
Exemplare  aufzustellen,  vgl.  dagegen  Berl.  Phil.  Wochenschr.  XXXV, 
1915,  1585  f.  Die  Goldplättchen  im  Museum  von  Neapel  hat  Olivieri 
selbst  studiert,  Puccetti  hat  neue  Nachbildungen  gegeben.  Ein 
wesentlich  anderer  Text,  ist,  wie  zu  erwarten  war,  nicht  gewonnen 
worden.  —  0.  Kern,  Herrn.  LI,  1916,  555  folgert  aus  dem  Vers 
des  Täfelchens  von  Petelia  (IG  XIV,  638,  8),  daß  der  Myste  sich 
trotz  seiner  Abstammung  auch  von  Gaia  doch  als  oigaviog  den  xi)6vioL 
TiQÖyovoL  (Orph.  v^v.  37,  8)  entgegenstellt.  Ebd.  LH,  1917,  475 
erklärt  er  in  diesem  Sinn  das  Epigramm  von  Phaistos  (Mon.  ant. 
ßAL  XI,  1901,  542  ff.)  xat  o"  yoveav  vnixovxai  „die  ihren  Adel 
(ihre  Abstammung  von  Uranos)  nachweisen  können". 

Knltlieder  uud  Gebete. 

Auch  für  die  Religionsgeschichte  wäre  es  nicht  unwichtig,  wenn 
Th.  Fitz  Hugh,  Proc.  Am.  phil.  Ass.  XLIV  1913,  S.  XXV  das 
elische  Kultlied  auf  Dionysos  (Athen.  XI  51,  S.  476  a)  aus  me- 
trischen Gründen  mit  Recht  für  sehr  alt  erklärt.  —  Bei  Palaikastro 
im  östlichen  Kreta  ist  eine  im  2./3.  Jh.  n.  Chr.  gesetzte  Inschrift 
gefunden,  die  einen  Hymnos  auf  den  Zeus  yiovQog  und  die 
Kureten  enthält.  Vgl.  Bosanquet,  Brit.  Seh.  Ath.  XV,  1908/9, 
339  ff.;  Murray  ebd.  357  ff.;  Jane  Harrison,  Themis  S.  3  ff.; 
Aly,  Philol.  LXXI,  1912,  469  ff. ;  Latte,  RV  u.  V,  Xin,  1913, 
21;  W.  M.L.Hutchinson,  Class.  Rev.  XXVII,  1913,  132  ff.; 
Poerner,  Diss.  Hai.  XXII,  1913,  264  ff.  Gegen  J.  Harrisons 
Vermutung,  daß  der  Hymnos  eine  Tribal  initiation  as  a  New  Birth 
und  der  größte  Kuros  das  Samtgegenbild  der  eingeweihten,  jungen 
Leute  sei,    der  sich  später  zu  einem  Jahresgenius  entwickelte,   er- 

19* 


292  Kulthymnen  und  Grebete. 

klären  sich  Hutchinson  und  Latte,  welcher  meint,  daß  es  sich  um 
einen  Befruchtungszauber  zu  Anfang  des  Frühlings  handele ,  und 
die  Worte  ^Öqe  d'  cif-uv  eg  dtfivia  so  deutet,  daß  Zeus  gebeten 
wird,  ut  insiliat  frugibus,  quasi  compleat  illas  felicesque  reddat  prae- 
sentia  sua.  Aly  versteht  den  Hymnos  als  die  Übertragung  der 
orphischen  Vulgata  auf  den  im  Anschluß  an  Olympia  völlig  in 
griechische  Form  gekleideten  Zeuskult,  der  so  zu  dem  altmystischen 
Idakult  in  Widerspruck  getreten  sei.  —  Von  dem  Hymnos  auf 
AskI epi OS  hat  sich  ein  neues  Exemplar  in  Erythrai  gefunden; 
danach  stellt  v.  Wilamowitz-Moellendorff,  Abh.  BAW  1909 
hist.  phil.  Gl.  II  43  den  Hymnos  wieder  her.  Akeso,  die  bei  Make- 
donios  und  in  den  Kopien  von  Ptolemais  und  Athen  steht,  fehlt 
in  Erythrai;  sie  kommt  auch  in  der  Literatur  nur  bei  Suid/ HTtiovrj 
vor.  Makedonios  hat  nach  v.  Wilamowitz  den  Hymnos  über- 
arbeitet. —  Den  delphischen  Hymnos  des  Aristonoos  auf  Hestia  er- 
gänzt mit  Er.  Keil  und  MaasPomtow,  Berl.  Phil.  Wochenschr. 
XXXII,  1912,  1395  ff.  —  Anhangsweise  sei  schließlich  Fr.  Brauns 
Dissertation  über  die  Hymnen  heiNonnos  von  Panopolis,  Königs- 
berg 1915  erwähnt. 

G.  Appel,  De  Romanorum  precationibus ,  RVu.  V,  VII  2, 
Gießen  1909  stellt  im  ersten  Kapitel  die  inschriftlich  oder  bei 
Schriftstellern  erhaltenen  Gebete  zusammen.  Der  Hauptteil  dieses 
Kapitels  enthält  die,  wie  der  Vf.  meint,  echt  römischen  Gebete, 
d.  h.  hauptsächlich  die  in  Prosa  überlieferten,  und  zwar  zunächst 
die  öffentlichen  sowohl  im  Kriege  wie  im  Frieden  angewendeten  (8  ff.), 
dann  die  nur  auf  den  Krieg  (12  ff.)  oder  nur  auf  den  Frieden  (16  ff.) 
bezüglichen.  Es  folgen  (19  ff.)  die  Privatgebete,  und  zwar  zu- 
nächst solche  von  religiösen  Verbänden ,  den  fratres  Arvales  und 
den  Saliern  (27),  dann  die  von  einzelnen  (27  ff.).  Im  Anschluß 
daran  werden  S.  43  ff.  auch  die  formulae  magicae  aufgezählt.  An- 
hangsweise wird  (47  ff.)  ein  nach  dem  Anfangsbuchstaben  der 
zitierenden  Schriftsteller  geordnetes  Verzeichnis  der  bei  Dichtem 
und  derjenigen  in  Prosa  überlieferten  Gebete  gegeben,  die  nach  der 
Meinung  des  Vfs.  sich  als  Nachahmungen  griechischer  Originale 
verraten.  Das  zweite  Kapitel  (53  ff.)  ist  überschrieben:  De  pre- 
cationum  Romanonam  sermone,  handelt  aber  über  die  Sprache  nur 
in  seinem  Mittelstück  (75  ff.),  während  der  Anfang  die  Gelegen- 
heiten, bei  denen  die  Griechen  zu  beten  pflegten,  und  der  Schluß 
164  ff. ,  die  durch  den  Gebrauch  abgenutzten  Gebete  (precationes, 
quae  quidem  sint  velut  usu  detritae,  dum  aut  verba  omittuntur  aut 
forma  parenthetica  vel  hypotactica  adhibetur)  aufzählen.    Das  dritte 


Gebete.    Zaubertexte.  293 

Kapitel  (184  ff.)  handelt  über  die  Haltung,  welche  die  Römer  beim 
Gebete  einnahmen  und  die  zum  Gebet  gehörigen  Riten.  In  der 
zusammenfassenden  Schlußfolgerung  unterscheidet  Appel  in  der 
Geschichte  des  römischen  Gebetes  5  oder  6  Perioden :  in  der  ersten 
sollen  die  Götter  durch  Zauberei;  in  der  zweiten  durch  einen  Rechts- 
akt gezwungen  werden,  die  Bitte  zu  erfüllen ;  in  der  dritten  treten 
die  Menschen  den  Göttern  wie  Vorgesetzten  gegenüber;  in  der 
vierten  sehen  sie  die  Allmacht  der  Götter  ein ;  in  der  fünften  haben 
die  Philosophen  gelehrt,  daß  nur  Wesentliches  und  wahrhaft  Gutes 
wie  körperliche  und  geistige  Gesundheit  von  den  Göttern  erbeten 
werden  dürfe ;  zugleich  aber  dringen  sechstens  in  die  Gebete  Wen- 
dungen ein,  in  denen  das  Vorhandensein  der  Götter  bezweifelt  wird. 
Appel  hat  reichhaltigen  Stoff  zusammengetragen ,  aber  nach  äußer- 
lichen Einteilungsgründen  geordnet,  die  weder  eine  bequeme  Über- 
sicht ermöglichen  noch  zu  wichtigen  neuen  Ergebnissen  führen.  — 
Grienberger,  Indog.  Forsch.  XIX,  1906,  140  ff.  hält  das  Ärval- 
lied  nicht  für  sehr  alt,  es  enthält  nach  seiner  Ansicht  bäuerliches 
Latein  aus  dem  Anfang  des  3.  Jhs.  mit  deutlichen  vulgären  Formen 
und  einigen  archaistischen  Anklängen.  „Vermutlich  ist  es  von 
eben  jenen  Landleuten  entlehnt,  denen  das  Fest  der  Ackerlustra- 
tion durch  die  aus  vornehmen  Kreisen  stammenden  römischen  fratres 
arvales  einmal  abgeborgt  wurde".  —  Danielsson,  Sertum  philo- 
logicum  C.  F.  Johannsson  oblatum  1910,  S.  96  hält  den  Text  des 
Arvalliedes  für  sprachlich  verwahrlost.  Als  Augustus  den  ver- 
fallenen Kult  erneuerte,  soll  man  kein  gutes  Exemplar  des  uralten 
Liedes  mehr  besessen  haben. 

Zaubertexte. 

Die  attischen  Verfiuchungstafeln  bespricht  W.  Rabe  hl,  De 
sermone  dafixionum  Atticarum,  Berl.  Diss.  1906  zwar  hauptsächlich 
von  der  sprachlichen  Seite,  bringt  aber  dabei  zugleich  Beiträge 
auch  für  die  religionsgeschichtliche  Würdigung  dieser  Texte ,  von 
denen  er  die  meisten  mit  Wilhelm  noch  in  das  4.  Jh.  v.  Chr.  setzt. 
Die  Verfluchungen  selbst  sind  zwar  sehr  alt,  sie  wurden  aber  nach 
Rabehl  7  ursprünglich  nicht  aufgeschrieben,  sondern  unter  magischen 
Zeremonien  gesprochen.  Um  des  unglücklichen  Vorzeichens  willen 
ist  die  Schrift  der  Defixiones  bisweilen  linksläufig,  aber  deshalb 
braucht  die  Sitte  der  schriftlichen  Aufzeichnung  nicht  in  die  Zeit 
hinaufzureichen,  da  man  von  rechts  nach  links  schrieb.  —  Rätsel- 
hafte Inschriften  auf  Abraxassteinen  erklärt  Mo nceaux,  Bull,  soc. 
antiqu.   Fr.  VII vii,  1907,  224  aus  dem  Hebräischen.  —  Über  den 


4 
294  Zaubertexte. 

an  Odyss.  X  4G  angeschlossenen  Zaubergesang  Pap.  Oxyrh.  412 
(Grenfell-Hunt  III  36  fF.)  handelt  Wünsch,  Arch.  f.  Religions- 
wiss.  XII,  1909,  2  ff.  Er  unterscheidet  zwei  Stufen  der  Interpola- 
tion, von  denen  die  ältere  noch  an  Homer  selbst  anknüpfe  und 
homerische  Verse  verwende .  während  die  jüngere,  vielleicht  aus 
dem  2.  Jh.  n.  Chr..  auch  ägyptische  Götter  anrufe.  Einen  Nach- 
trag dazu  bringt  E.  Schmidt  ebd.  XIII,  1910,  624.  Das  Zauber- 
wort ^Aßkaraitalßa  soll  verdreht  sein  aus  '^ßXavaOa  „Vater  komm' 
(zu)  uns",  damit  das  Wort  von  hinten  und  vorn  gleich  (?)  gelesen 
wird.  —  Drei  neue  Fluchtafeln  auf  Blei  veröffentlicht  Wünsch 
ebd.  XII,  1909,  36  ff.,  zwei  neue  tunesische  Delixiones  Audollent, 
Bull.  arch.  du  comite  des  trav.  histor.  1910,  137  ff.  —  In  den  In- 
schriften des  pergamenischen  Zaubertisches  will  Lehmann-Haupt, 
KJio  X,  1910,  395  uiovXov  CaQLctQyMiy  aus  dem  Babylonischen 
deuten:  „sie  mögen  angerufen  werden".  —  Die  beiden  lateinischen 
Beschwörungen,  die  im  Anschluß  an  botanische  Opuscula  erhalten 
sind  und  die  zu  archaisierenden  Senaren  zurecht  emendiert  zu 
werden  pflegen,  gibt  Norden  in  der  Festschr.  des  Schles.  Vereins 
f.  Volksk.  1911,  517  ff.  neu  heraus.  Zu  ändern  ist  in  Wahrheit 
wenig:  der  ersten  Beschwörung  liegt  ein  in  der  ersten  Hälfte  des 
8-  Jhs.  n.  Chr.  entstandenes  Gedicht  an  Tellus  zugrunde,  das  weit 
später  von  einem  der  Technik  des  Senars  bereits  unkundigen  christ- 
lichen Schreiber  umgearbeitet  und  zu  dem  dann  die  zweite  Be- 
schwörung, die  precatio  omnium  herbarum  frei  hinzugedichtet  ist.  — 
Im  großen  Pariser  Zauberpapyros  574  sind  Hymnen  auf  Helios 
(Z  433  ff.,  auch  in  mehreren  andern  magischen  Papyrus  erhalten), 
Aphrodite  (29U3)  und  Selene  (2242)  überliefert,  die  ein  Schüler 
von  R.  Wünsch,  Küster,  De  tribus  carminibus  papyri  Parisinae 
magicae ,  Diss.  Königsb.  1911  erläutert.  Er  versucht  die  „orphi- 
schen"  und  die  „magischen"  Bestandteile  der  Hymnen  zu  scheiden, 
zu  jenen  rechnet  er  (S.  55)  im  Helioshj^mnos  v.  1 — 10,  24 — 27, 
im  lAphroditehymnos  (S.  81)  v.  23 — 26.  —  Wünsch  selbst  hat 
in  Lietzmanns  Kleinen  Texten  84,  Bonn  1912  u.  d.  T.  „Aus  einem 
griechischen  Zauberpapyrus"  die  in  derselben  Handschrift  Z.  2441  ff. 
vereinigte  Sammlung  von  Zaubereien  (meist  Liebeszauber)  mit  sehr 
eingehenden  Anmerkungen  herausgegeben  und  über  eine  in  Werden 
begriffene  Gesamtausgabe  der  griechischen  Zauberpapyri  in  den 
Act.  du  IV.  Congr.  intemat.  d'hist.  des  relig.,  Leiden  1913  be- 
richtet. Eine  Aufzählung  der  25  bis  1911  bekannten  Texte  gibt 
K'.i  ster  a.  a.  0.  S.  1  ff.  —  Die  „milesischen  Worte"  ßedv,  lajAip  usw, 
(KJem.   OTQ.  V,  8,  48,    S.  359  6  St.)   enthalten   gerade   zwei   voll- 


i 


Antiquarische  und  theologische  Schriften  über  Kulte.  295 

ständige  Alphabete,  scheinen  aber  doch  wirkliche  Wörter  zu  sein, 
die  Sturtevant,  Class.  Phil.  VIII,  1913,  034:  z.  T.  zu  erklären 
versucht. 

Schriften  von  Antiquaren  und  Theologen  üher  den  Kult. 

W.  Rowoldt,  Librorum  pontificiorura  Romanorum  de  cae- 
i'iminiis  sacrificiorum  reliquiae,  Diss.,  Halle  1906  erklärt  im  ersten 
Teil  dieser  Wissowa  gewidmeten  Dissertation  (S.  1 — 36)  das  Wesen 
der  Libri  oder  Commentarii  pontificii  und  verfolgt  dann  ihre  Spuren 
bei  den  einzelnen  späteren  Schriftstellern,  besonders  bei  Varro, 
Verrius,  Plinius,  Gellius,  Servius,  dessen  Interpolator  er  mit  Recht 
nicht,  wie  Kretzer,  De  Romanorum  vocabulis  pontif.,  Diss.  Straß- 
burg 1903  wollte,  aus  Macrobius,  sondern  aus  dessen  Quelle  schöpfen 
läßt.  Daß  die  Libri  pontificii  auch  die  sacrificia  iuris  Graeci  be- 
rührten, wird  von  Rowoldt  S.  7  bestritten.  Sie  sind  wegen  ihrer 
vielen  veralteten  technischen  Ausdrücke  früh  unverständlich  ge- 
worden und  bedurften  der  Erklärung ,  der  sich  zuerst  Aelius  Stile 
unterzogen  zu  haben  scheint.  Von  ihm  hängen  Varro  und  Verrius 
Placcus  (S.  17  ff.),  die  deshalb  oft  übereinstimmen,  ab.  Das  zweite 
Kapitel  enthält  eine  Sammlung  der  Bruchstücke.  —  Phil.  Ehr- 
manns Untersuchung,  De  iuris  sacri  interpretibus  Atticis  (RVu.  V, 
IV  3),  Gießen  1908,  wird  mangels  einer  geeigneteren  Stelle  hier 
genannt,  obwohl  sie  in  ihrem  Hauptteil  nicht  literarische  Werke, 
sondern  die  Grundlage  solcher,  die  Auslegungen  der  e^r]yrjzai  und 
diese  selbst,  die  bisher  nur  gelegentlich  meist  im  Anschluß  an 
Inschriften  behandelt  waren,  erörtert.  Wesentliches  Material  boten 
die  delphischen  Inschriften,  die  u.  a.  die  Unterscheidung  zweier 
Klassen  von  Exegeten,  derer  aus  dem  Geschlecht  der  Eupatriden 
und  der  eumolpidischen,  ergaben.  —  C.  0.  Thulin,  „Die  etrus- 
kische  Disziplin"  behandelt  in  II,  1906  die  Haruspicin,  in  III, 
1909,  S.  1  ff.  die  Ritualbücher. — A.  Tresp,  der  schon  in  seiner 
Königsberger  Diss.,  Scriptorum  de  rebus  sacris  Atticis  fragmenta 
1910  gesammelt  hatte,  will  in  seiner  umfassenderen,  L.  Deubner 
gewidmeten  Untersuchung  „Die  Fragmente  der  griechischen  Kult- 
schriftsteller" (RVu.  V,  XV  1,  Gießen  1914)  eine  Vorarbeit  für 
die  so  nötige  neue  Sammlung  der  Fragmenta  historicorum  Grae- 
corum  geben;  das  Thema  ist  glücklich  gewählt,  da  die  Müllersche 
Sammlung  gerade  bei  den  Kultschriftstellern  besonders  unvollständig 
ist.  So  gelingt  es  Tresp  nicht  weniger  als  38  dort  fehlende  Bruch- 
stücke beizubringen;  von  den  übrigen  werden  viele  vollständiger 
oder   in   berichtigter   Fassung   gegeben.      Die   Literaturgattung   er- 


296  Antiquarische  und  theologische  Schriften  über  Kulte. 

wächst  aus  den  in  den  Tempelarchiven  niedergelegten  Opfervor- 
schriften und  diente  (S.  5)  zunächst  praktischen,  erst  später  auch 
wissenschaftlichen  Zwecken.  Schon  um  die  Mitte  des  5.  Jhs.  schrieb 
Pherekydes  über  die  Opfer  an  Dionysos,  sonst  treten  einzelne  Ver- 
fassernamen erst  gegen  Ende  des  5.  Jhs.  in  Athen  hervor.  Mit 
den  Atthidographen  berühren  sich  die  sakralrechtlichen  Schriftsteller 
zwar,  doch  stützen  sich  die  '^r.lt'deg  mehr  auf  die  in  den  Händen 
der  Beamten  befindlichen  Archontenlisten.  Neben  der  sakralrecht- 
lichen Literatur  gab  es  eine  besonders  in  alexandrinischer  Zeit 
blühende  sakralantiquarische.  —  Tresp  gibt  zunächst  die  Bruch- 
stücke der  attischen ,  dann  die  der  übrigen  Schriftsteller.  —  Von 
den  einzelnen  Autoren  ist  namentlich  Varro  auch  in  der  Berichts- 
periode mehrfach  behandelt  worden.  H.  Willem sen,  De  Varroni- 
anae  doctrinae  apud  fastorum  scriptores  vestigiis,  Bonn.  Dias.  1906 
faßt  die  auf  den  Festkalender  bezüglichen  Bruchstücke  ins  Auge. 
Daß  die  Hauptquelle  Censorin  ist,  wird  gegen  erhobene  Zweifel 
sicher  gestellt;  auch  Verrius  Flaccus  hat  nach  Willemsen  in  seinen 
Angaben  über  das  römische  Jahr  und  die  Monate  Varros  Anti- 
quitates  benutzt.  Ovid  schöpft  in  den  Fasti  außer  aus  Varro  auch 
aus  von  ihm  unabhängigen  Fasti,  die  den  inschriftlich  erhaltenen 
ähnlich  waren.  —  Nach  Sihler,  Proc.  Amer.  Phil.  Soc.  XL,  1909, 
S.  LXXXVII  gibt  Macrob.,  wo  er  längst  untergegangene  heidnische 
Kulte  im  Präsens  beschreibt ,  wörtliche  Zitate  aus  Varro ,  dem  er 
auch  in  der  Auslegung  der  Göttermythen  nahesteht.  Die  Annahme 
scheint  mir  bedenklich.  Freilich  sprechen  auch  bj'zantinische  Schrift- 
steller bisweilen  von  altgriechischen  Kulten  in  Präsens,  aber  Ma- 
crobius ,  der  den  Anschein  erwecken  will ,  als  gebe  er  Gespräche 
von  Zeitgenossen  wieder,  läßt  sich  mit  ihnen  nicht  vergleichen: 
da  er  doch  über  den  Untergang  wichtiger  Kulte  unterrichtet  sein 
mußte,  scheint  mir  die  Voraussetzung  unumgänglich,  daß  die  von 
ihm  als  bestehend  geschilderten  Zeremonien  wirklich  noch  wenigstens 
insgeheim  von  Anhängern  des  alten  Glaubens  geübt  wurden,  jeden- 
falls noch  nicht  so  lange  untergegangen  waren ,  daß  sie  nicht  als 
noch  der  Gegenwart  angehörig  bezeichnet  und  als  nur  zeitweilig 
unterdrückt  betrachtet  werden  konnten.  —  Im  übrigen  kann  für  die 
Varronische  Literatur  auf  Mras  {o.  CXLII,  1909,  9dff)  verwiesen 
werden.  — 

Mythographische  Literatur. 
Bethes  Annahme  eines  großen  wissenschaftlichen  Handbuches, 
das,     in     alexandrinischer    Zeit    verfaßt,     mit    seinen    zahlreichen 
Varianten  nicht  allein  die  Grundlage   für  fast  alle  späteren  mytho- 


11 


Mythographen.  297 

graphischen  Angaben ,  sondern  auch  Quelle  für  viele  dichterischen 
Darstellungen  gewesen  sei ,  hat  sich  in  neuerer  Zeit  immer  deut- 
licher als  irrig  herausgestellt.  Sie  wird  geradezu  ausgeschlossen 
in  den  Fällen,  wo  ein  Mythograph,  wie  es  z.  B.  Diod.  IV  64  für 
einen  großen  Teil  der  Oidipussage  tut  (Robert,  Oidip.  I  547), 
lange  Zeit  hindurch  einer  und  derselben  Quelle  folgt ,  die  bei  den 
übrigen  Mythographen  mit  den  andern  zusammen  gearbeitet  ist; 
denn  die  Grundlage  der  ganzen  Hypothese  bricht  zusammen,  wenn 
das  vorausgesetzte  „Handbuch"  eine  Sammlung  von  viioO^tOEtg  war, 
aus  der  erst  später  die  einzelnen  Exzerpenten  sich  einen  zusammen- 
hängenden Bericht  schufen.  —  Weiter,  als  er  es  sich  selbst  ein- 
gesteht ,  entfernt  sich  G  o  e  d  e  1 ,  De  poetarum  Graecorum  epi- 
corum,  lyricorum,  tragicorum  apud  mythographos  memoria,  Diss. 
Halle  1909  von  Bethe.  In  gründlicher  Darlegung  wird  gezeigt, 
daß  bei  den  späteren  Mythographen  zwar  häufig  Quellenvermischung 
eintritt,  daß  aber  namentlich  bei  ApoUodor  (Goedel,  S.  14),  wo 
erhaltene  Dichter  benutzt  sind ,  dem  Verfasser  auch  deren  Wort- 
laut vorlag.  Oft  scheint  der  Dichter  mit  einem  Kommentar  (oder, 
weniger  wahrscheinlich,  dieser  statt  des  Dichters)  gelesen  zu  sein: 
so  erklärt  sich  die  Übereinstimmung  der  Mythographen  mit  der 
ältesten  Scholienmasse  und  auch  untereinander,  wie  z.  B.  (S.  20  ff.) 
zwischen  Apollod.  ep.  7  und  Hj^g.  f.  125  f.,  die  den  Inhalt  der 
Odyssee  wiedergeben.  Aus  dem  Kommentar  entnehmen  Apollodor 
ep.  VII  16  und  Hyg.  f.  125  nach  Goedel,  daß  Odysseus  das  /nioXv 
in  den  Becher  wirft  (was  freüich  sehr  nahe  liegt  und  auch  ohne 
Kommentar  leicht  gefunden  werden  konnte),  ebenso  die  halbe  Vogel- 
gestalt der  Sirenen  (Apoll,  ep.  VII  18;  Hyg.  f.  125,  S.  103,  20  B.» 
Goedel  S.  26  f.).  Diese  und  viele  ähnliche  Fälle  sprechen  gegen» 
nicht  für  die  Annahme  des  mythographischen  Handbuchs,  die  doch 
den  Sinn  hatte  und  auch  allein  haben  konnte ,  daß  sich  innerhalb 
der  mythographischen  Literatur  unbeschadet  einzelner  Abweichungen 
die  Überlieferung  nach  der  literarischen  Form  und  auch  ihrem 
Inhalt  nach  wesentlich  gleich  blieb ,  weil  ein  großes ,  die  ganze 
Literaturgattung  beherrschendes  Werk  den  später  zwar  verschieden 
verkürzten,  aber  wenig  vermehi-ten  Stoff  gesammelt  hatte.  Diese 
Annahme  wird  wesentlich  eingeschränkt,  wenn  die  mythographischen 
Handbücher  so  stark  auch  aus  andern  Quellen,  nämlich  den  Dich- 
tungen selbst  und  deren  Kommentaren  schöpfen.  Und  doch  hatten 
die  mythographischen  Schulbücher  wahrscheinlich  auch  noch  andere 
Vorlagen.  Die  Übereinstimmung  in  der  Reihenfolge  der  mythischen 
Begebenheiten ,    mit   der   noch  jetzt   bisweilen   die  Annahme  eines 


298  Mythographen. 

immer  benutzten,  aber  nie  zitierten  Handbuches  begründet  wird, 
erklärt  sich  auch  ohne  diese  Annahme.  Schon  die  alten  Helden- 
lieder hatten  eine  gewisse  mythische  Chronologie  geschaffen ,  von 
der  auch  die  folgenden  Schriftsteller  nicht  abgehen  konnten;  und 
wo  sie  noch  nicht  vorlag,  mußte  sie  sich  später  einstellen,  als  es 
galt,  die  ganze  mythische  Geschichte  im  Zusammenhang  zu  erzählen. 
Ebenso  mußte  sich,  indem  jedes  Schulbuch  sich  mehr  oder  weniger 
an  seine  Vorgänger  anschloß ,  nach  und  nach  auch  eine  gewisse 
Gleichförmigkeit  in  der  Aneinanderknüpfung  herausbilden,  vergleichbar 
etwa  der  Konstanz,  mit  der  sich  die  Lehre  in  unsern  Schulbüchern 
fortpflanzt,  auch  wenn  kein  größeres  wissenschaftliches  Werk  vor- 
liegt und  sogar  dann,  wenn  ein  solches  den  Stoff  anders  gruppiert. 
Was  die  einzelnen  mythographischen  Schriften  anbetrifft,  so 
geht  die  Tabula  Iliaca,  deren  Inschriften  Mancuso,  ßendic. 
BAL  XIX,  1910,  932  ff.  neu  herausgegeben  hat,  nach  Taccone, 
Riv.  fil.  cl.  XXXVIII,  1910,  515  ff.,  der  auf  die  Totenklage  der 
Thetis  um  Achilleus  mit  einer  Nereide  und  einer  Muse  (nicht  mit 
zwei  Musen,  wie  früher  angenommen  wurde)  hinweist,  unmittelbar 
auf  das  kyklische  Gedicht,  nicht  auf  ein  mythologisches  Handbuch 
zurück.  —  Die  wertvollen  mythogi'aphischen  und  sakralgeschicht- 
lichen Scholien  zu  Old.  ev  KoX.  sind,  wie  Joh.  Richter,  Wien. 
Stud.  XXXIII,  1911,  37  ff.  gegen  v.  Wilamowitz  behauptet,  fast 
unveränderte  Auszüge  aus  Didymos.  —  Die  Zuverlässigkeit  der 
Subscriptiones  in  den  Homerscholien  wird  nach  Robert,  Herrn. 
LII,  1917,  308  durch  eine  Prüfung  der  Pherekydeischen  Melampus- 
sage  (seh.  Od.  o  225)  und  der  auf  Bakchjdides  und  Hesiod  zurück- 
geführten Europasage  (seh.  II.  M.  292)  bestätigt.  In  der  Tat  scheint 
die  Echtheit  der  Subskriptionenangaben  im  allgemeinen  voraus- 
gesetzt werden  zu  dürfen,  jedoch  mit  der  Einschränkung,  daß  ein- 
zelne Züge  aus  andern  Sagenfassungen  in  diese  oft  durch  viele 
Hände  gegangenen  Berichte  eingedrungen  sein  können.  —  Ähnlich 
steht  es  mit  den  Quellenangaben  bei  Parthenios  und  Antoninos 
Liberalis.  Bethes  Vermutung,  daß  die  Verfasser  selbst  die  von 
ihnen  ausgezogenen  Dichtungen  bezeichneten ,  ist  fast  allgemein 
aufgegeben.  Nach  Hartmann,  Untersuch,  über  die  Sag.  v.  Tod 
des  Odyss.  S.  183  f.  rühren  sie  von  einem  Scholiasten  her,  der 
zwar  ohne  zu  schwindeln,  aber  ohne  genaue  Kenntnis  der  von  ihm 
zitierten  Werke  die  Quellen  angab,  so  daß  aus  den  Zitaten  in  der 
Regel  nicht  Parthenios'  und  Antoninos'  wirkliche  Quelle ,  sondern 
nur  der  ungefähre  Inhalt  der  zitierten  Schrift  zu  entnehmen  ist. 
Ahnlich  hatte  schon  Hercher  geurteilt,  und  dasselbe  Ergebnis  stellt 


Mythographen.  299 

sich  für  die  v/cod^eGEig  des  epischen  Kyklos  heraus.  —  Auch 
V.  Wilamowitz,  Berl.  Kl.-T.  V^  24  schreibt  die  Quellenangaben, 
die  sich  über  den  einzelnen  Abschnitten  der  genannten  beiden  Mytho- 
graphen finden,  einem  Gelehrten  zu,  der  sich  nach  Kräften  bemühte 
die  wirklichen  Vorlagen  ausfindig  zu  machen-,  er  schließt  aus  der 
Gleichartigkeit  des  Verfahrens,  daß  alle  diese  Angaben  auf  den- 
selben Grammatiker  zurückgehen,  der,  falls  nicht  etwa  Antoninos 
den  Parthenios  fortsetzte,  schon  beide  Autoren  vereinigt  vor- 
fand (oder  selbst  zusammen  herausgab).  —  Von  den  übrigen  Mytho- 
graphen weichen  sowohl  die  Berichte  des  Parthenios  und  Antoninos 
selbst  meist  erheblich  ab,  und  auch  die  in  den  Quellenangaben 
zitierten  Schriftsteller  sind  dort  nur  ausnahmsweise  benutzt,  daraus 
schheßt  W.  A.  Baehrens,  Studia  Serviana  I,  Gent  1917,  S.  43, 
einer  der  wenigen  Gelehrten,  die  noch  an  das  große  wissenschaft- 
liche mythographische  Handbuch  glauben,  daß  dieses  zur  Zeit  des 
Parthenios  vielleicht  noch  nicht  vorhanden  war. 

Die  lateinischen  Mythographen  hat  der  Berichterstatter  im  An- 
fang seiner  Geschichte  der  Mythologie  behandelt,  der  1914  gedruckt, 
dann  infolge  des  Kriege  zurückgestellt  ist,  aber  beim  Erscheinen 
dieses  Jahresberichtes  voraussichtlich  in  den  Händen  der  sich 
dafür  Interessierenden  sein  wird.  Mit  Kücksicht  darauf,  daß  es 
sich  fast  ausschließlich  um  mittelalterliche  Schriftsteller  handelt, 
die  nur  noch  mittelbar,  als  Fortsetzung  mit  den  antiken  Mytho- 
gi-aphen  zusammenhängen,  verweise  ich  auf  diese  Darstellung  und 
begnüge  mich  hier,  auf  F.  Keselings  Dissertation,  De  Mytho- 
graphi  Vaticani  secundi  fontibus,  Halle  1908,  hinzuweisen,  der  den 
„Mithologiarius"  ähnlich  behandelt  wie  R.  Schulz  in  einer  andern 
Haller  Dissertation  (1905)  die  Quellen  des  ersten  vatikanischen 
Mythographen.  Eine  von  Keseling  verglichene  Wiener  Handschrift 
gehört  dem  15.  Jh.  an;  älter  ist  der  Vaticanus ,  der  nach  Maaß 
aus  dem  10.,  nach  Mai  aus  dem  XI.  oder  XII.  Jh.  stammt:  das 
ist  das  einzige  Datum  zur  Bestimmung  eines  Tennins  ante  quem 
noch  unsicherer  ist  die  Festsetzung  eines  frühesten  Punktes,  da 
die  Übereinstimmung  mit  Isidor  und  den  Schollen,  namentlich  zu 
Vergil  und  Statins,  sich  ebensowohl  aus  einer  Benutzung  von  deren 

Quelle  als  ■ —  was  Keseling  vorzugsweise  in  Betracht  zieht von 

ihnen  selbst  erklärt.  Das  Verhältnis  dieser  Mythographen  zu  den 
Schollen ,  die  wenigstens  für  Vergü  in  ihrem  älteren  Kern  auf  an- 
tike Kommentare  zurückgehn,  und  das  der  verschiedenen  Schollen 
zueinander  ist  überhaupt  noch  recht  dunkel. 

K.   Barwick,   Philol.   LXX,    1911,    106 if.   gelangt   zu  dem 


300  Mythographen.    Der  mjiihologische  Roman. 

Ergebnis,  daß  der  sogenannte  Interpolator  Servii  (derServiusDanielis) 
ursprünglich  einen  eigenen  Vergilkommentar  bildete,  der  aus  älteren 
Kommentaren  Stücke  entlehnte ,  die  ein  irischer  Mönch  im  7.  Jh. 
mit  dem  sogenannten  echten  (kleinen)  Servius  verband,  und  daß 
—  ebenfalls  in  Irland  —  durch  eine  Kompilation  aus  diesem  und 
PhilargjTius  die  Berner  Scholien  entstanden ,  die  später  in  einigen 
Handschriften  mit  dem  vereinigten  Danielscheu  und  kleinen  Servius 
verbunden  wurden.  Mii'  scheinen  in  dem  sogenannten  Interpolator 
mindestens  zwei  verschiedene  Massen  unterschieden  werden  zu 
müssen :  die  eine  enthält  Stücke  eines  Kommentars,  von  dem  auch 
der  „echte"  Servius  einen  Auszug  bietet,  die  andere,  weit  wert- 
vollere, überhaupt  das  Wichtigste,  was  von  der  lateinischen  exege- 
tischen Literatur  erhalten  ist,  stimmt  z.  T.  wörthch  mit  dem  überein, 
was  bei  Macrob.  dem  Servius  in  dem  Mund  gelegt  wird.  —  Über 
den  religiösen  Glauben  des  Servius  und  des  sogenannten  Interpolator, 
die  von  ihm  nicht  geschieden  werden,  handelt  Sihler,  Amer. 
Joum.  Phil.  XXXI,  1910,  6  ff.  Die  neoplatonischen  Elemente 
werden  hervorgehoben,  doch  sollServ.  in  der  Annahme  philosophischer 
Ideen  bei  Vergil  nüchterner  sein  als  Macrobius.  W.  A.  Baehrens, 
Studia  Serviana  ad  litteras  Graecas  atque  Latinas  pertinentia  (Ver- 
öffentlichungen der  Genter  Univ.  I),  Gent  1917  will  nachweisen, 
daß  die  bei  dem  großen  und  kleinen  Servius  überlieferten  Ver- 
wandlungsgeschichten durch  die  Vermittlung  wahrscheinlich  des 
Donatus  aus  einem  VergUkommentar  stammen ,  der  Auszüge  aus 
dem  von  Baehrens  angenommenen  (o.  29ff)  großen  mythologischen 
Handbuch  mit  Angaben  hauptsächlich  Varros  verschmolzen  habe. 

Der  mythologische  Roman. 

Euemeros  wollte,  wie  Jacoby,  R.E.  VI,  952  ff.  zu  zeigen 
versucht,  den  alten  Götterglauben  nicht  zerstören  —  das  wäre 
überflüssige  Mühe  gewesen  — ,  sondern  nur  seine  Entstehung  zeigen. 
Während  die  früheren  Historiker  sich  darauf  beschränkten,  die 
Geschichte  der  Heroen  und  derjenigen  Götter  zu  pragmatisieren, 
deren  ursprüngliche  Menschlichkeit  anerkannt  war,  hat  Euemeros 
(968  f.)  unter  dem  Einfluß  äg3-ptischer  Theologeme  die  Methode 
auf  die  oberen  Götter  angewendet  und  zur  Erklärung  jenes  philo- 
sophischen Problems  benutzt.  Charakteristisch  für  ihn  soll  sein, 
daß  die  Vergötterung  von  den  Machthabem  selbst  ausging,  was 
freilich  in  den  doxographischen  Berichten  nicht  hervortrete  (964). 
In  der  Rahmenerzählung  scheint  Euemeros  (958)  nicht  nur  poe- 
tische,  sondern  wirkhche  Täuschung  beabsichtigt  zu  haben.     Pan- 


Euemeros.  301 

chaia  läßt  sich  zwar  geographisch  nicht  fixieren,  ist  ein  Nirgends- 
land, aber  anderseits  so  nüchtern  und  rationalistisch  geschildert, 
daß  man  immer  wieder  versucht  hat,  es  einem  wirklichen  Lande 
gleichzusetzen.  —  An  Jacoby  schließt  sich  im  wesentlichen  an 
Kaerst,  Gesch.  d.  hellenist.  Zeitalters  II  1,  226  ff.  Er  betont 
noch  stärker  die  didaktische  Tendenz ,  die  sich  namentlich  in  der 
Schilderung  der  staatlichen  und  sozialen  Ordnung  auf  Panchaia  be- 
kunde, lehnt  aber  die  Annahme  einer  Übertragung  der  ägyptischen 
■d-€oXoyOL'i.ieva  des  Hekataios  von  Teos  ins  streng  Griechische  ab. 
Den  Gedanken,  daß  die  Schrift  eine  satirisphe  Tendenz  habe,  ver- 
wirft er  (229)  nicht  ganz ,  warnt  aber  vor  ihrer  einseitigen  Be- 
tonung. Damit  aber  hebt  Kaerst  nur  das  Problem  hervor,  ohne 
es  zu  lösen,  denn  schon  eine  bloß  teilweis  sich  zeigende  Satire  ist 
mit  dem  vermuteten  didaktischen  Zweck  unvereinbar.  Noch  stärker 
tritt  der  Widerspruch  bei  Jacoby  hervor,  nach  dem  Euemeros 
in  der  Rahmenerzählung  nicht  nur  poetische,  sondern  auch  wirk- 
liche Täuschung  beabsichtigt  zu  haben  scheint.  So  häufig  antike 
Philosophen,  auch  als  die  wissenschaftliche  Darstellungsform  sich 
längst  durchgerungen  hatte ,  auf  die  alte  mythische  oder  sonstwie 
phantasievolle  Einkleidung  zurückgriffen ,  so  unerhört  wäre  in  der 
Zeit  des  Euemeros  eine  diesem  Zweck  dienende  Fälschung.  Jacoby 
scheint  zu  seiner  Vermutung  erstens  durch  Zeugnisse  namentlich 
zwei  des  Kallimachos  bestimmt  worden  zu  sein ,  von  denen  aber 
das  wahrscheinlich  ältere  vf4V.  I  8  f.  gar  nicht  auf  Euemeros  geht, 
während  das  andere  (fr.  86),  soweit  sich  bei  dem  Fehlen  des  Zu- 
sammenhanges urteilen  läßt,  nichts  weiter  enthält  als  einen  Pro- 
test gegen  die  Vermenschlichung  des  Gottes.  Zweitens  gründet 
sich  Jacobys  Urteil,  wie  es  (958)  scheint,  auf  der  nüchternen  alles 
Wunderbare  fernhaltenden  Schilderung  von  Panchaia;  die  sich  aber 
aus  dem  rationalistischen  Charakter  des  ganzen  Werkes  genügend 
erklärt.  Diesen  Widersprüchen  entgeht  nur,  wer  in  der  Umformung 
des  überlieferten  Göttermythos  in  einen  hellenistischen  Roman  die 
eigentliche  Absicht  des  Dichters,  die  philosophischen  Lehren  aber 
als  Zutaten  ansieht,  die  sich  teils  aus  dem  Hauptzweck  der  Dich- 
tung von  selbst  ergaben,  teils  aber  in  der  hellenistischen  Denk- 
weise begründet  waren.  Indem  Euemeros  den  Mythos  den  An- 
schauungen seiner  Zeit  entsprechend  umformt,  verfährt  er  im  Grunde 
gar  nicht  anders  als  die  alten  Mythendichter ;  nur  ist  die  Wirkung 
viel  stärker ,  weil  die  Grundlage ,  auf  welcher  der  Mythos  beruhte, 
Busammengebrochen  und  dadurch  ein  Bruch  in  der  Überlieferung 
eingetreten  war,   ähnlich  dem,  der  erfolgte,  als  die  alten  Legenden 


302 


Euemeros.    Ptolemaios  Chennos, 


der  Heiligtümer  in  Heldensage  umgeformt  wurden.  Wird  ein  Stoff 
ans  einer  Stillgattung  in  eine  niedere  übertragen,  so  entsteht  eine 
Parodie.  Komische  Gegensätze  können  nicht  ausbleiben ,  weil  die 
niedere  Kunstform  mit  dem  höheren  oder  wenigstens  bisher  in 
edlerer  Gestalt  bekannten  Inhalt  in  Widerspruch  steht.  Weil  aber 
dieser  nicht  nur  in  eine  andere  Form  gegossen  und  mit  neuen  Ge-r 
danken  erfüllt  werden  soll,  sondern  zu  diesem  Zweck  auch  materiell 
geändert  werden  muß  und  keine  Erfindung  ganz  unabhängig  vom 
Erlebten  und  Wahrgenommenen  ist,  so  spiegeln  sich  in  den  Mythen 
des  Euemeros,  gleichviel,  ob  dieser  es  wußte  und  beabsichtigte  oder 
nicht,  Zeitereignisse.  Bei  seinem  Zeus,  der  von  Griechenland  auszog, 
sich  überall  als  Gott  begrüßen  ließ  und  im  fernen  Orient  begraben 
liegt,  muß  Alexandres  mindestens  insgeheim  schon  dem  Euemeros 
vorgeschwebt  haben.  Gar  nicht  anders  verfuhren  die  Dichter  der 
Heldensage ,  wenn  sie  die  frommen  Männer ,  von  denen  die  alten 
Legenden  erzählten,  zu  Kriegshelden  machten,  in  denen  sich,  die 
Taten  ihrer  Abkömmlinge  reflektieren.  Nur  dient  im  ernsten  Helden- 
lied eine  solche  Spiegelung  der  Verherrlichung  sowohl  des  Ahnen 
wie  des  Nachfahren;  im  Roman  muß  der  leichte  Spott,  mit  dem 
die  Götter  bedacht  werden,  auch  auf  die  irdischen  Machthaber 
fallen,  die  zu  jenen  das  Vorbüd  abgaben.  In  diesem  Sinn  alga 
steht  die  lEQct  dvaygaq^rj  auch  der  eigenen  Zeit  satirisch  oder 
wenigstens ,  da  ihre  Widersprüche  ruhig  hingenommen  werden, 
humoristisch  gegenüber.  Aber  nicht  um  diese  Widersprüche  auf- 
zuzeigen, hat  Euemeros  gedichtet,  sondern  um  die  Mythen  so  zu 
erzählen,  wie  sie  ihm  erschienen. 

Wie  Euemeros  und  seine  zahlreichen  Nachfolger  unterscheidet 
sich  auch  JPtolemaios  Chennos  nicht  prinzipiell,  sondern  nur 
dem  Grade  nach  —  allerdings  in  hohem  Grade  —  von  den  ihm  immer 
entgegengestellten  echten  Mythendichtern.  Schon  diese  schufen 
neue  Mythen,  indem  sie  Angaben  früherer  Dichtungen  durch  freie 
Erfindungen  kombinierten;  der  Unterschied  ist  nur  der,  daß  ihnen 
der  neue  Mythos  nur  die  Form  war,  in  die  sie  die  eigenen  Emp- 
findungen gössen,  während  es  den  prosaischen  Mythenbildnern  der 
Kaiserzeit  vor  allem  auf  die  Neuheit  und  Seltsamkeit  des  von 
ihnen  geschaffenen  Mythos  ankam.  A.  C  h  a  t  z  i  s ,  Der  Philosoph 
und  Grammatiker  Ptolemaios  Chennos,  Leben,  Schriftstellerei  und 
Fragmente  (mit  Ausschluß  der  Aristotelesbiographie)  I.  Einleitung 
nnd  Text  fStud.  zur  Gesch.  u.  Kult  d.  Altert.  VII  2),  Paderborn 
1914,  zeigt,  daß  Hercher,  dem  sich  viele,  z.  B.  Crusius  und  Diels, 
angeschloesen   haben,    mit  Unrecht  den  Ptolemaios    als  Schwindler 


Ptolemaios.    Diktys.    Dares.  qaq 

bezeichnete.  Chatzis  wirft  ihm  nur  Mangel  an  Kritik  und  Soro-- 
losigkeit  in  bezug  auf  die  Auswahl  und  Benutzung  seiner  Quellen 
vor.  Aber  auch  dieser  Vorwurf  bedarf  m.  E.  noch  der  Einschrän- 
kung. Ptolemaios  standen  erlesene  Quellen  zu  Gebot,  und  er  hat 
aus  ihnen  singulare  und  entlegene  Nachrichten  im  ganzen  mit  Sortr- 
falt  zusammengesucht;  aber  sie  rein  wiederzugeben  betrachtete  er 
nicht  als  seine  Aufgabe;  er  kombiniert  sie  und  schafft  so  neue 
Mythenformen,  Das  bestätigt  die  Prüfung  aller  der  Stellen ,  wo 
wir  ihn  einigermaßen  mit  seineu  Quellen  vergleichen  können,  z.  B. 
seine  Angabe  über  den  Tod  des  Odj^sseus,  die  Hartmann,  Unters, 
über  die  Sagen  vom  Tod  des  Od.  S.  169  ff.  zwar  richtig  be- 
handelt, aber  sonderbarerweise  als  Bestätigung  von  Herchers  Urteil 
bezeichnet  hat.  Ptolemaios  ist  deshalb  eine  ebenso  wichtige  als 
gefährlich  zu  benutzende  Quelle ;  es  gilt  aus  den  abstrusen  Mythen 
die  oft  winzigen,  aber  fast  immer  wertvollen  Notizen  herauszuschälen, 
die  der  gelehrte  Peripatetiker  in  seiner  reichen  Bibliothek  gefunden 
hat.  Es  ist  daher  dankbar  zu  begrüßen,  daß  Chatzis  zum  ersten- 
mal die  Bruchstücke  der  v.aivrj  \oioqia  vollständig  gesammelt  und 
Photios'  Auszug  aus  den  „Neuen  Geschichten"  auf  Grund  neuer 
Handschriftenvergleichung  verbessert  herausgegeben  hat. 

Die  übrigen  mythologischen  Romane  —  sie  beschäftigen 
sich  großenteils  nicht  mit  den  Göttern,  sondern  mit  Heroen  —  unter- 
scheiden sich  von  der  y.aivri  laTOQia  hauptsächlich  dadurch,  daß  ihre 
Verfasser  weniger  bestrebt  oder  imstande  sind,  entlegnere  Über- 
lieferungen zu  benutzen  und  deshalb  der  Phantasie  freieren  Spiel- 
raum gewähren,  die  bei  ihnen  freilich  hauptsächlich  zu  dem  Zweck 
wirkt,  das,  was  die  Phantasie  der  alten  Dichter  geschaffen  hatte,^ 
wieder  zu  beseitigen.  Sie  wollen  den  Schein  erwecken ,  als  seien 
sie  die  Quelle  eben  der  Dichter  gewesen,  von  denen  sie  abhängen,  und 
das  ist  ihnen  nicht  ganz  mißlungen.  —  T.  W.  Allen,  Journ.  of  Phil. 
XXXI,  1910,  207  ff.  wül  nachweisen  ,•  daß  Diktys  Originalberichte 
vom  troischen  Krieg  enthält,  die  dann  von  den  Kyklikern  in  Verse 
gebracht  wurden.  Homers  Dichtungen,  die  einzelne  Teile  des  Kyklos 
ausschmückten ,  haben  nach  Allen  wie  diese  so  auch  die  Prosa- 
behandlung während  der  Blütezeit  zurücktreten  lassen ;  aber  sie 
tauchte  wieder  auf,  als  das  Publikum  zur  Kindlichkeit  zurückgekehrt 
war.  Lang  ebd.  XXXII  1912  1  ff.  macht  dagegen  besonders 
geltend,  daß  dann  Homer  sich  eine  von  seiner  Quelle  abweichende 
Kultur  zu  seinem  Privatvergnügen  erfunden  haben  müßte.  —  Ganz 
wertlos  für  den  Mythologen  ist  auch  die  der  Kaiserzeit  und  dem 
frühen  Mittelalter  angehörige  Literatur,   von  der  wir  Proben  z.  B» 


304  Diktys.    Darea.    Philostratos. 

in  dem  sogen.  Dares-  und  Diktys  haben,  nicht;  aber  die  in  ihnen 
verwerteten ,  von  der  erhaltenen  Literatur  unabhängigen  Angaben, 
die  sie  verwendeten ,  sind  seltener  und  noch  schwieriger  heraus- 
zufinden, als  bei  Ptolemaios.  Die  Entstehung  der  einzelnen  Werke 
wird  sich  am  ehesten  feststellen ,  wenn  man  sie  miteinander  ver- 
gleicht. Nach  einem  von  F.  Huhn  hinterlassenen,  von  E.  Bethe 
Herm,  LH,  1917,  613  ff.  herausgegebenen  und  vervollständigten 
Aufsatz  läßt  Philostr.  ii]q,  8  S.  174.  3  K  den  Idomeneus  deshalb 
nicht  mit  gegen  Ilion  ziehen ,  um  seinen  Knappen  Diktys ,  unter 
dessen  Namen  kurz  zuvor  die  uns  in  schlechter  lateinischer  Über- 
setzung und  jetzt  auch  in  der  schon  früher  von  Noack  und  Patzig 
vermuteten  griechischen  Fassung  auf  einem  Tebtunis  Pap.  (II,  1907, 
9  ff.)  bruchstückweise  (IV,  9 — 15)  erhaltene  Darstellung  des  troi- 
schen  Krieges  erschienen  sei,  „unter  den  Tisch  zu  wischen".  Dieses 
Buch,  das  im  13.  Jahre  Neros  in  einem  knossischen  Grabe  aufge- 
funden sein  will ,  soll  nämlich  nicht  vor  dem  Anfang  des  3.  Jhs. 
entstanden  sein.  Auf  etwaige  derartige  literarische  Beziehungen 
ist  gewiß  zu  achten,  aber  so  einfach  liegen  die  Verhältnisse  nicht 
immer  und  vielleicht  auch  hier  nicht.  Der  Tebtunispapyrus  mit 
dem  Diktysbruchstück  entstammt  freilich  dem  3.  Jh.,  sein  Original 
aber  wird  z.  B.  von  Ussani,  Riv.  fil.  cl.  XXXVI  1909  1  ff.  in 
das  2.,  vielleicht  sogar  1.  Jh.  gesetzt.  Ist  das  richtig,  so  wird 
die  Bekämpfung  eines  so  weit  zurückliegenden  Autors  durch  Pto- 
lemaios unwahrscheinlich.  —  Ihm,  Herm.  XLIV,  1909,  5  hatte  es 
unententschieden  gelassen ,  ob  Diktys  aus  Philostratos  schöpfe 
oder  umgekehrt.  —  Über  Aineias  bei  Diktys  und  Dares  handelt 
W.  Konopka,  De  Aenea  postvirgiliano ,  Königsberger  Dissert., 
1913,  58  ff.,  über  Antenors  Geschlecht  Scholz,  De  Antenore  et 
Antenoridis,  Breslau,  Diss.  1911,  S.  7  f.,  59  ff.,  der  beweisen  will, 
daß  Dares  die  Geschichte  von  Antenors  Sendung  zu  Telamon  zum 
Zweck  der  Rückforderung  rfesiones  (C.  4  f.)  aus  Dracontius  VIII, 
239  ff.  oder  dessen  Quelle  schöpfe :  ein  Zusammenhang  der  Über- 
lieferung muß  in  der  Tat  wohl  angenommen  werden,  aber  er  liegt 
vielleicht  erheblich  weiter  zurück.  Die  anderen  Untersuchungen 
über  diese  Literaturgattung,  deren  Bedeutung  wahrscheinlich  größer 
war,  als  die  übrigens  in  verschiedenen  Fassungen  erhaltenen  Reste 
ergeben,  hat  bereits  Münscher  o.  {CIL,  1911,  180  ff.)  besprochen. 
Philostratos.  S.  Katz  Zur  Mythenbehandlung  in  Phil.' 
Heroikos,  Primitiae  Czemowicienses,  Festgr.  zur  4.  Vers,  deutsch. 
Phil,  in  Graz,  Czemowitz  1909  faßt  Philostratos  vor  allem  als 
Sophisten    auf.    Daß    er  den  Heroenglauben  verteidigt,   mag  seiner 


Philostratoti.    Menippos.  305 

Weltauffassung  entsprechen,  hatte  aber  bei  dem  Zuge  der  damaligen 
Zeit  auch  den  Reiz  der  Schwierigkeit.  Sein  erster  und  haupt- 
sächlichster Zweck  war  nach  Katz ,  ein  aktuelles  Thema  in  geist- 
reicher und  amüsanter  Weise  zu  behandeln.  'Wie  der  rv(xvaOTLyf.6c 
und  der  Dialog  jieqI  oQXfjoetog  soll  unsere  Schrift  nichts  sein  als 
eine  Epideixis,  bei  der  die  geschickte  Beweisführung  und  ge- 
achmackvoile  Form  wichtiger  war  als  die  sachliche  Richtigkeit  des 
Resultates.  Es  finden  sich  auch  Widersprüche  ;  so  werden  z.  B. 
(S.  118)  Heroen  und  Dämonen  von  Philostratos  zusammengeworfen, 
aber  trotzdem  wird  (c.  II,  2  S.  144,  10  K.)  dem  Heros  Protesilaos 
ein  Dämon  zugeschrieben.  Dem  Mythos  selbst  steht  Philostratos 
nach  Katz  (S.  128)  ziemlich  frei  gegenüber,  er  ändert  und  modi- 
fiziert alles  Unglaubliche,  der  Vernunft  Widerstrebende,  sowie  alles, 
was  der  Würde  der  Heroen  abträglich  ist.  Daß  die  schrift- 
stellerische Form  bei  Philostratos  wie  bei  den  meisten  Literaten 
seiner  Zeit  eine  Bedeutung  hat,  die  uns  fremdartig  berührt,  hat 
Katz  richtig  hervorgehoben ;  aber  er  unterschätzt  m.  E.  die  Tendenz 
des  kleinen  Werkes ,  die  gerade  im  Zug  der  Zeit  lag  und  gewiß 
nicht  den  Reiz  der  Neuheit  und  Schwierigkeit  hatte. 

Menippos'  Ne-avia  glaubt  R.  Helm,  Lucian  u.  Menipp, 
Leipzig-Berlin  1906,  346  ungefähr  so  wiederherstellen  zu  können: 
Menippos  selbst  kam  im  Traum  oder  sonst  wie  zum  Hades ,  an 
dessen  Eingang  die  Szene  mit  dem  entlaufenen  Sklaven  spielte. 
Nachdem  er  von  Charon  übergesetzt  ist,  der  in  Homerversen  sprach, 
tat  er  sich  mit  dem  geistesverwandten  Mikyllos  zusammen.  Er 
hatte  Gespräche  mit  verschiedenen  Toten,  welche  die  Vergänglich- 
keit alles  Irdischen  und  die  Verkehrtheit  menschlichen  Strebens 
dartaten.  Dies  wurde  weiter  ausgeführt  bei  dem  Prozeß  der  eben 
Herabgekommenen  und  in  einer  Rede ,  in  welcher  Teiresias  den 
Menippos  über  d^n  Inbegriff  aller  Weisheit  belehrte.  In  dem  Gegen- 
stück, der  Himmelfahrt,  soll  Menippos  erdichtet  haben,  wie  er 
zum  Monde  emporflog,  von  wo  ihm  das  Treiben  der  Menschen  in 
seiner  ganzen  Kleinheit,  Torheit  und  Bosheit  erschienen.  Darauf 
flog  er  nach  Helm  weiter  zu  Zeus ,  den  er  durch  seine  Reden  in 
die  Enge  trieb.  Eine  Götterversammlung  wurde  berufen  und  der 
ganze  Götterhimmel  durch  die  allzumenschlichen  Götter  und  durch 
die  unaufhörliche  Schaffung  neuer  Götter  diskreditiert.  Schließlich 
wurde  Menippos  irgendwie  zur  Erde  zurückgebracht  und  ihm  die 
Möglichkeit  des  Wiederkommens  abgeschnitten.  AUes  dies  wird 
hauptsächlich  aus  verschiedenen  Schriften  Lukians  erschlossen. 
Helm  glaubt  nämlich,    daß  Lukian,    der  weder  Philosoph  noch  be- 

Jahresboricht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  186  (Snpiilementbaud).  20 


306  Menippos.    Apuleius. 

sonders  witzig  war,  seinen  Ruhm  fast  ausschließlich  dem  Zufall 
verdankt,  daß  der  in  Rom  zwar  viel  beachtete,  aber  in  Griechen- 
land fast  vergessene  Menipj)  in  seine  Hände  fiel ,  dessen  Frei- 
geisterei und  Abneigung  gegen  ernste  Philosophie  ihm  s^nnpathisch 
waren  und  dessen  Schriften  er  deshalb  auffrischte  und  aufs  neue 
schmackhaft  machte. 

ApnJ eius.  K.  H.  E.  de  Jong,  Das  antike  Mj-sterienwesen 
in  religionsgcschichtlicher ,  ethnologischer  und  psychologischer  Be- 
leuchtung, Leiden  1909,  S.  37  if.,  R.  Rei  tzenstein,  Die  helle- 
nistischen M3'8terienreligionen,  ihre  Grundgedanken  und  Wirkungen, 
Vortr.  gehalten  in  dem  wiss.  Predigerverein  f.  Eis.  -  Lothringen, 
Leipz.-Berl.  1910,  S.  25ff. ,  und  M.  Dibelius,  Die  Isisweihe 
bei  Apuleius  u.  verwandte  Initiationsriten ,  Sitzb.  Heidelb.  AW 
1917,  IV  suchen  nach  der  Darstellung  der  Isism3'^sterien  im  XI.  Buch 
von  Apuleius'  MetamorjiJiosrn  ein  Bild  von  diesen  zu  zeichnen, 
Dibelius  indem  er  in  den  Worten  accessi  confinium  mortis  usw. 
(Apul.  XI,  23),  die  de  Jong  237  ff.  als  eine  Vision  des  Initianten 
psychologisch  verständlich  machen  will,  als  ein  Symbolen  der  Mysten 
zu  erklären  versucht.  Dibelius'  Voraussetzung  wird  durch  die  Worte 
quae,  quamvis  audita,  ignores  tamen  necesse  est  nahe  gelegt  und 
kann  richtig  sein,  obwohl  die  übrigen  aus  dem  Altertum  überlieferten 
Erkennungszeichen  nicht  den  symbolischen  Sinn  der  Aufnahmeriten, 
vielmehr  umgekehrt  Äußerlichkeiten ,  die  bei  diesen  vorkommen, 
mit  verhüllenden  Worten  und  nicht  ohne  Hinweis  auf  den  in  sie 
hineingelegten  Sinn  andeuten.  Dagegen  ist  die  weitere  Voraus- 
setzung, auf  der  alle  drei  Untersuchungen  beruhen,  die  Annahme, 
daß  die  Metamorphosen  eine  zuverlässige  Quelle  für  Mysterien- 
vorstellungen seien,  obgleich  fast  allgemein  geteilt,  nur  schwach 
begründet  ^).  Den  Glauben,  daß  in  den  Mysterien  der  Mensch  neu 
geboren  werde,  konnte  nur  derjenige  zu  der  tollen  Erfindung  be- 
nutzen, daß  der  Grieche  Lucius  durch  die  Weihe  zum  Madaurenser 
Apuleius  geworden  sei ,  der  diese  Weihen  gründlich  verspotten 
wollte.  Denn  anders  ist  doch  der  Prolog  des  Romans  nicht  zu 
verstehen,  so  viele  Versuche  auch  gemacht  sind ,  dieser  scheinbar 
unmöglichen   Folgerung    zu    entgehen    (vgl.  die  Übersicht   bei    C  a  - 


*  Um  größere  Änderungen  im  Druck  zu  vermeiden,  habe  ich  das 
Folgende  so  stehen  lassen ,  wie  es  vor  zwei  Jahren  der  Redaktion  ein- 
gereicht wurde.  Weitergeführt  sind  die  hier  niedergelegten  Ergebnisse 
in  einer  Besprechung  der  zweiten  Auflage  von  Reitzensteins  Mysterien- 
religionen, die  beim  Erscheinen  dieses  .Jahresberichtes  voraussichtlich 
gedruckt  sein  wird  (Philol.  Wochenschr.  1921). 


ApuleiuB.  -07 

longlii  E,iv.  di  fil.  XTjIII,  1915,  Iff.);  ein  Zweifel  ist  bei  dem 
klaren  Wortlaut  der  Einleitung  und  auch  schon  deshalb  nicht 
möglich,  weil  in  der  griechischen  Fassung  des  Romans  (Luk.  ov.  55) 
der  Held  sich  ebenfalls  schließlich  dem  angeblichen  Schreiber, 
nämlich  dem  Romanschriftsteller  {'lavoQiüJv  /mI  aXXwv  avyyQatpevg) 
Lukios  von  Patrai  gleichsetzt.  Bei  näherem  Zusehen  erweist  sich 
auch  der  dann  notwendige  Schluß,  daß  das  Ende  der  Metamorphosen 
nicht  auf  eine  Verherrlichung,  sondern  auf  eine  Verspottung  der 
Mysterien  hinauslaufe ,  als  keineswegs  unwahrscheinlich ,  \aelmehr 
als  schon  aus  andern  Gründen  gefordert.  Der  ganze  Roman  ent- 
hält eine  so  deutliche  Karrikatur  des  Wunderglaubens ,  daß  noch 
niemand  sich  über  den  aufgeklärten  Spötter  Lukian  gewundert 
hat,  unter  dessen  Namen  die  griechische  Fassung  überliefert  ist. 
So  unbegreiflich  die  stark  gepfefferten  Stellen  sowohl  der  griechischen 
wie  der  römischen  Form  wären,  wenn  der  Zweck  eine  Verherr- 
lichung der  Isisweihe  war,  so  leicht  erklären  sie  sich,  wenn  darin 
verkehrte  Zeitrichtungen  verspottet  werden  sollten.  Denn  die 
Satire,  zumal  die  antike,  nimmt  an  der  Zote,  die  für  einen  erbau- 
lichen Zweck  weniger  geeignet  ist ,  keinen  Anstoß ;  bei  Apuleius 
ist  sogar  der  scheinbar  fromme  Schluß  nach  den  vorhergegangenen 
Obszönitäten  von  verblüffender  Komik.  Lucius  Apuleius ,  der  in 
seinem  stupiden  Aberglauben  von  den  schlauen  Mysterienpriestem 
ausgebeutelt  wird  und  schließlich  sogar  seine  Garderobe  verkaufen 
muß,  spielt  auch  eine  wenig  beneidenswerte  Rolle.  Das  Bedenken, 
daß  Apuleius,  der  doch  selbst  in  dem  Rufe  des  Aberglaubens  und 
mystischer  Neigungen  stand  und  sich  in  andern  Schriften  als  in 
viele  Mysterien  eingeweiht  bezeichnet,  unmöglich  die  "Wundersucht 
und  die  Weihen  verspotten  konnte,  ist  (Berl.  Phil.  Wochenschr.  XXXI, 
1911,  932)  durch  den  Hinweis  auf  die  Wahrscheinlichkeit  entkräftet 
worden,  daß  der  Roman,  der  in  der  maßgebenden  Hs.  F.  keinen 
Verfassernamen  hat,  gar  nicht  von  Apuleius  herrührte.  Diesem 
scheint  ihn  zwar  schon  August,  c.  d.  XVIII  18  zuzuschreiben;  allein 
auch  wir  würden  kaum  Bedenken  tragen,  die  Abenteuer,  die  ein 
iSchriftsteller  in  einem  ihm  untergeschobenen  Werk  —  namentlich  wenn 
dessen  Bekanntschaft  vorausgesetzt  wird  —  wie  von  ihm  selbst  erlebt 
erzählt,  als  die  dieses  Autors  zu  bezeichnen  •,  auch  wäre  es  nicht  ohne 
Beispiel,  daß  die  Satire  nachträglich  für  ein  Werk  dessen  gehalten 
wäre,  gegen  den  sie  gerichtet  und  dem  sie  untergeschoben  war.  Hat 
Photios  BißL  96  b,  11  ff.  das  Verhältnis  von  Lukios  und  Lukianos 
richtig  geschildert,  so  hat  dieser  das  Werk  jenes  parodiert;  aber  der 
gelehrte  Patriarch  ist  selbst  unsicher,  und  wahrscheinlich  war  schon 

20* 


308  Apuleius. 

der  im  Kreise  des  Photios  unter  dem  Namen  des  Lukios  verlesene 
£,oman  eine  Parodie  (Lukians?),  und  die  erhaltene  Schrift  ist  nur 
ein  Auszug.  Wenn  R.  ßeit/enstein,  Das  Märchen  von  Amor 
und  Psyche  bei  Apuleius ,  Antrittsrede  an  der  IJnivers.  Freiburg, 
Leipz. -Berl.  1912,  S.  55  mit  Recht  Übereinstimmung  zwischen 
dem  einzigen  Bruchstück  der  Milesiaka  des  Aristeides  und  seines 
Übersetzers  Sisenna  einerseits  und  dem  ytov'KiOQ  )]  ovog  und  Apu- 
leius' Metamorphosen  andrerseits  behauptet,  so  hat  Lukios  oder  der 
Parodist  das  Grundmotiv  und  sogar  Einzelheiten  bei  Aristeides 
oder  Sisenna  vorgefunden;  dies  ist  in  der  Tat  wahi-scheinlich. 
Der  Roman  des  Lukios  oder  die  unter  dessen  Namen  gehende 
Parodie  auf  Lukios'  Romaue  hat  dann  einen  unbekannten  Lateiner 
zu  einer  Erweiterung  veranlaßt ,  in  der  er  auch  andere  Aus- 
wüchse der  Zeit  geißelte ,  den  in  der  römischen  Welt  wenig  be- 
kannten Lukios  aber  durch  den  als  wundergläubig  bekannten 
Apuleius  ersetzte.  Wenn  im  Anfang  des  Romans  das  mangelhafte 
Latein  damit  entschuldigt  wird,  daß  der  Verfasser  erst  seit  kurzem 
und  zwar  ohne  Lehrer  die  Sprache  erlernt  habe ,  so  sieht  das  so 
aus,  als  solle  der  unreine  und  affektierte  Stil  des  Apuleius  ver- 
spottet werden.  Aber  auch  wer  nicht  an  die  Unterschiebung  des 
Werkes  glaubt,  sondern  annimmt,  daß  Apuleius  selbst  die  Isis- 
mysterien aus  nicht  nachweisbaren  Gründen,  z.  B.  weil  sie  mit 
seiner  Mystik  in  Wettbewerb  standen ,  verspottete ,  wird  nun  Be- 
denken tragen,  seinen  Angaben  zu  trauen.  Zwar  hat  der  Verfasser 
wahrscheinlich  Lokalfarbe  aufgetragen ,  um  dem  Phantasiebild  eine 
Scheinwirklichheit  zu  geben ;  aber  wenn  er  dabei  allzu  pedantisch 
verfuhr,  verstärkte  dies  die  Wirkung  des  Schwankes  nicht,  sondern 
machte  ihn  schwerfälliger.  —  Betrachten  wir  den  goldenen  Esel 
als  Satire  nach  Art  von  Immermanns  Münchhausen,  so  erklärt  sich 
auch  die  große  Einlage  des  Psychemärchens,  über  die  auch  in  der 
Berichtsperiode  viel  verhandelt  ist,  vgl.  z.  B.  *Purser  The  Story 
of  Cupid  and  Psyche  as  related  by  Apuleius,  Edited  with  Intro- 
duction  and  Notes,  London  1910.  Für  eine  freie  Erfindung  des 
Platonikers  Apuleius  und  für  den  gleich  ursprünglich  symbolischen 
Gehalt  tritt  ein  *M.  Kawczyüski  Rozprawy  der  Blrakauer  AW 
ph.  Cl.  XLV  Krakau  1909,  1—161  (Auszug  bei  Brückner  Zs. 
des  Vereins  f.  Volksk.  XIX,  1909,  213),  der  die  verwandten 
Märchen  alle  von  Apuleius  ableitet.  Die  zweite  Vermutung  kann 
richtig  sein,  aber  die  erste,  daß  Apuleius  das  Märchen  gleich  als 
Allegorie  gemeint  habe,  nur  dann,  wenn  der  Neoplatoniker  Apuleius, 
der  Dichter  des  Märchens,  von  dem  unter  seinem  Namen  schreibenden 


I 


Psychemärchen.  309 

Verfasser  der  Metamorphosen  getrennt  wird.  Dieser  will  wirklich  nur 
durch  die  rührenden  Leiden  der  Heldin  wirken ;  es  mtissen  in  der  Ge- 
schichte des  Stoffes  zwei  Stufen  unterschieden  werden,  eine,  auf  der 
er  ein  freies  Volksmärchen,  eine  andere,  auf  der  er  eine  Allegorie 
war.  Da  liegt  nun  freilich  die  Annahme  nahe,  daß  die  Allegorie  nach- 
träglich in  die  Erzählung  hineingetragen  wurde,  und  so  urteilt  auch 
noch  in  neuerer  Zeit  Wendland,  De  fabellis  antiquis  earumque 
ad  Christianos  propagatione ,  Gott.  Univers.  -  Progr.  1911,  S.  11. 
Allein  diese  Ansicht  ist,  soweit  Ps.  Apuleius  in  Betracht  kommt, 
irrig,  denn  dessen  Erzählung  läßt  sich,  wie  Reitzenstein  a.  a.  0. 
S.  9  mit  Recht  bemerkt,  gar  nicht  allegorisch  deuten.  Ebd.  S.  20 
heißt  es:  „Ausgeschlossen  ist  also,  daß  Apuleius  oder  ein  gelehrter 
Vorgänger  den  Namen  des  Eros  für  einen  beliebigen  verwunschenen 
Königssohn  eingesetzt  hat ;  mit  dem  Gott  ist  die  Erzählung  von 
Anfang  an  verbunden".  (21)  „Die  gesamte  Erzählung  des  Apuleius 
bietet  dem ,  der  sie  unbefangen  liest ,  im  Grunde  nichts ,  was  auf 
eine  Allegorie  statt  eines  Mythos  wiese,  als  den  Namen  der  Heldin 
Psyche".  Reitzenstein  schließt  daraus,  daß  dem  Märchen  ein 
orientalischer  Göttermj-thos  zugrunde  liege,  in  dem  Psyche  nicht  die 
menschliche  Seele,  sondern  eine  Gottheit  war  und  den  hellenistische 
Erzähler  unter  Anlehnung  an  griechische  Vorbilder  zu  einer  Kunst- 
dichtung umgestalteten.  Dieser  schreibt  er  hauptsächlich  auf  Grund 
verstreuter  Anspielungen,  die  er  in  diesem  Vortrag  (S.  19)  und  mit 
ausführlicherer  Begründung  in  einer  späteren  Untersuchung  (Sitzber. 
Heidelb.  AW  hist.  ph.  Gl.  1914  XTE)  aus  Dai-steUungen  der  Kleinkunst, 
aus  Zauberpapyri  usw.  erschließt ,  folgende  Züge  zu  (22) :  „Eros 
als  Knabe  und  zugleich  als  beflügelter  Drache ,  den  Zauberpalast 
mit  seinem  Lager,  Psyche  von  Aphrodite  und  Eros  gemartert, 
Psyche  und  Eros  in  Liebe  vereinigt,  endlich  wahrscheinlich:  Psyche, 
von  Hermes  z^um  Himmel  emporgeführt ,  bringt  dem  Weltall  die 
Freude".  Ferner  glaubt  er,  daß  Psyche  in  die  Unterwelt  hinab- 
stieg, um  für  den  von  ihr  getöteten  oder  schwer  verwundeten 
Gatten  das  Wasser  des  Lebens  zu  holen.  Mit  der  Herleitung 
aus  einem  orientalischen  Göttermythos  fallen  für  Reitzenstein  so- 
wohl 0.  Jahns  Gedanke  ,  der  die  Anfänge  des  Märchens  über  die 
bildlichen  Darstellungen  von  Eros  und  Psj^che  bis  zu  Piaton  hinauf 
verfolgte,  als  auch  Friedländers  Vermutung,  daß  Apuleius  ein  altes 
Volksmärchen  durch  die  Vermengung  mit  einer  gelehrten  Allegorie 
kläglich  verdorben  habe  (12  ff.),  und  die  Vermutung  des  Referenten, 
der  in  dem  Märchen  letzte  Reste  einer  altgriechischen  Mysterien- 
legende nachzuweisen  versucht  hatte  (Hdb.  871  ff.).    Indessen  ganz 


810  Arärchen  von  Amor  und  Psyche. 

xiifällig  sind  die  Beziehungen ,  die  zu  diesen  drei  Vermutungen 
geführt  haben,  wohl  nicht.  Wer  nicht  alle  die  Märchen  vom  ver- 
wunschenen und  durch  eine  Königstochter  befreiten  Prinzen  von 
dem  Psychemilrehen  abzuleiten  wagt ,  wird  daran  festhalten ,  daß 
bei  der  Erfindung  des  Göttermythos  Märchenmotive  vorbildlich 
gewesen  sind.  Im  Grunde  glaubt  dies  auch  Reitzenstein  selbst; 
er  hebt  S.  24  richtig  hervor,  daß  eine  Göttergeschichte  nicht  des- 
wegen reines  Märchen  zu  sein  braucht,  weil  sie  Motive  bietet,  die 
auch  in  Märchen  vorkommen.  Auch  die  Kunstwerke,  die  Eros  und 
Psyche  verbunden  darstellen ,  stehen ,  auch  wenn  sie  auf  keinen 
wesentlichen  Zug  des  Märchens  hinweisen,  doch  mit  diesem  wahr- 
scheinlich irgendwie  in  Verbindung:  das  Paar  gehört  doch  nicht 
von  Natur  aus  so  zusammen ,  daß  es  leicht  unabhängig  mehr  als 
einmal  zusammengestellt  sein  könnte,  auch  ist  es  gewiß  kein  Zufall, 
daß,  wie  auch  Reitzenstein  annimmt,  das  Märchen  die  Hoffnung 
auf  die  Erlösung  vom  Hades  begründen  soll  und  andrerseits  Eros 
und  Psyche  sich  öfters  in  der  Sepulkralkunst  finden ,  also  wahr- 
scheinlich ebenfalls  als  Andeutung  der  Erlösungshoffuung  aufgefaßt 
wui'den.  In  altgriechischen  Mysterien  lassen  sich  beide  bisher  als 
Paar  nicht  nachweisen,  abey  Eros  kann  mit  Wahrscheinlichkeit 
erschlossen  werden,  und  Psyche  erscheint  projiziert  in  der  Gestalt 
mehrerer  Göttinnen.  Die  Vorstellung  geht  auf  einen  Mysterienritus 
zurück,  bei  dem  sich  die  Seele  mit  dem  Gotte  durch  ein  sinnliches 
iSymbol  ehelich  verbindet,  und  den  Reitzenstein  25  in  seiner 
ausgebildeten  und  vergeistigten  Form  schwerlich  mit  Recht  erst 
hellenistischen,  d.  h.  ursprünglich  orientalischen  Mysterien  zuschreibt. 
Vielmehr  werden  diese  in  dieselbe  Zeit  hinaufreichen  und  ver- 
wandter Art  sein  wie  jene  erschlossenen  alt-  und  vielleicht  vor- 
griechischen. Auch  hier  scheint  Reitzenstein  im  Grund  gar  nicht 
erheblich  anderer  Ansicht  zu  sein ,  und  nur  die  Vermutung  abzu- 
lehnen, daß  die  im  Kult  erstarrten  und  unverstandenen  Reste  jener 
nralten  Vorstellung  Ausgangspunkt  für  das  hellenistische  Märchen 
gewesen  sein  könnten.  Aber  von  den  altgriechischen  Mysterien 
ist  so  wenig  bekannt,  daß  ein  Zusammenhang  zwar  nicht  erwiesen, 
aber  auch  nicht  bestritten  werden  kann.  Endlich  ist  es  keineswegs 
undenkbar,  daß  auch  Piaton,  wenn  er  die  Sehnsucht  nach  dem 
Ideal  Eros  benannte,  zur  Wahl  dieses  Wortes,  dessen  Bedeutung 
er  dadurch  freüich  sehr  vertiefte,  durch  Vorstellungen  geleitet 
wurde,  die  mit  jenen  alten  Mysterien  zusammenhingen.  Wie  weit 
Apnleius  oder  ein  früherer  Gestalter  des  Märchens  —  einen  solchen 
vcimutet  Butler,  Class.  Rev.  XXIV,  1910,  191  in  dem  von  Fulg. 


Psychemärchen.  311 

mit.  III,  0  S.  6S,  3  genannten  Aristophontea  Atheuaeus  —  durch 
altgriechische  Mysterien  oder  durch  hellenistische  bestimmt  wurde, 
auf  die  hingewiesen  zu  haben  Reitzensteius  Verdienst  ist,  bleibt 
vorläufig  zweifelhaft,  da  die  Spuren  beider  bisher  noch  unsicher 
sind  und  das  Verwandte  sich  früh  zusammengefunden  haben  wird; 
allein,  daß  wirklich  eine  Mysterienlegende  der  Keim  ist,  scheint 
mir  sicher.  Aber  mit  dieser  Anschauung,  daß  die  Psychegeschichte 
eine  ihres  religiösen  Charakters  entkleidete  Mysterieulegende  ist, 
steht  Reitzensteins  Voraussetzung  iu  Widerspruch,  daß  der  Roman 
oder  wie  man  das  Buch  sonst  nennen  mag,  in  dem  Apuleius  an- 
geblich Selbsterlebtes  erzählt,  in  vollem  Ernst  auf  eine  Verherr- 
lichung der  Mysterien  hinauslaufe.  Reitzenstein  selbst  empfindet 
diesen  Widerspruch;  er  sagt  (9),  das  große  Mittelstück  des  Werkes, 
die  Erzählung  von  Amor  und  Psyche,  müsse  für  den  Autor  „notwendig 
den  Nebenzweck  gehabt  haben,  zu  zeigen,  wie  die  Menschenseele  nach 
Irrtum  und  harter  Prüfung  zu  Gott  erhoben  wird",  und  findet  es  mit 
Recht  seltsam,  daß  nur  die  Stellung  der  Erzählung  den  tieferen  Sinn  ver- 
rate. Seiner  Ansicht  nach  hat  Apuleius  den  von  ihm  erfundenen  Stoff 
nicht  innerlich  meistern  können.  Das  Seltsamste  hat  Reitzenstein  gar 
nicht  hervorgehoben.  Der  Autor  würde ,  wenn  er  eine  erbauliche 
Absicht  gehabt  hätte ,  diese  mutwillig  vereitelt  haben ,  indem  er 
burleske  Züge  einmengte.  Die  Geschichte  von  Amor  und  Psyche 
enthält  satii'ische  Züge  wie  der  ganze  Roman,  in  den  sie  eingelegt 
ist.  Wenn  der  Verfasser  den  milesischen  Apollon  propter  Milesiae 
conditorem  in  lateinischen  Distichen  weissagen  läßt,  so  sieht 
dies  wie  ein  Hieb  auf  einen  lateinischen  Roman  aus,  in  dem  der 
griechische  Gott  lateinisch  redete.  Der  ganze  Ton  des  Märchens 
ist  übermütig  und  nicht  immer  so  harmlos  wie  hier;  wie  der  ganze 
Roman  verspottet  auch  das  Märchen  die  religiöse  und  literarische 
Mystik.  Es  gibt  zwei  Arten  der  Parodie :  die  Fehler  können  in  der 
Nachahmung  überboten  oder  beseitigt  werden.  Zu  allen  Zeiten  haben 
die  großen  Satiriker  beide  Weisen ,  die  negative  und  die  positive 
Kritik,  zugleich  angewendet.  Wie  Immermann  dem  geschraubten 
Stil  der  von  ihm  verhöhnten  Schriftsteller  das  Idyll  des  Oberhofs 
entgegenstellt,  so  hat  der  Verfasser  des  goldenen  Esels  die  mystische 
Psychegeschichte  in  ein  Märchen,  wie  es  die  Alexandriner  liebten, 
umgewandelt,  und  insofern  die  Übertragung  in  eine  andere  Stilgattung 
Parodie  ist,  können  wir  es  auch  als  Parodie  bezeichnen.  —  Aus 
andern  Gründen  macht  Helm,  Neue  Jahrbb.  XVII,  1914,  170  ff., 
Einwendungen  gegen  Reitzenstein:  der  Geschichte  soU  weder  ein 
altes    Volksmärchen    noch    ein    religiöser    Mythos    zugrundeliegen, 


312  Psychemärchen. 

sondern  ein  frei  erfundener  Göttermythos  eines  hellenistischen 
Dichters,  der  von  Eros  eine  Liebesgeschichte  erzählen  wollte  und 
ihm,  da  eine  Göttin  nicht  disponibel  war,  eine  sterbliche  Geliebte 
gab.  Den  beliebten  Frauennamen  Psyche  wählte  der  Dichter  nach 
Helm  nur  deshalb,  weil  Eros  und  Psyche  als  Paar  bereits  bekannt 
waren.  Es  gelingt  Helm  in  der  Tat,  zu  zahlreichen  Zügen  unsers 
Märchens  Parallelen  aus  der  hellenistischen  Literatur  nachzuweisen; 
das  ist  dankenswert ,  beweist  aber  nur ,  daß  die  Psychegeschichte 
im  Zeitalter  der  Alexandriner  bearbeitet,  nicht,  daß  sie  frei  erfunden 
ist.  Dagegen  spricht  doch  der  Umstand ,  daß  nach  Weglassung 
leicht  abtrennbaren  Beiwerks  ein  erbaulicher  Inhalt  übrig  bleibt, 
der  sich  überdies  in  wichtigen  Punkten ,  namentlich  in  der  Ver- 
wendung der  Gestalten  von  Eros  und  Psyche ,  und  in  der  Höllen- 
und  Himmelfahrt  dieser,  mit  nachweisbaren  Mysterienvorstellungen 
berührt.  —  Die  in  seiner  Antrittsrede  angedeutete  Ansicht,  daß 
Psyche  eine  Göttin  orientalischer,  religiöser  Spekulation  war,  führt 
Reitzenstein,  Sitzungsber.  Heidelb.  AW,  1917,  X  aus,  indem 
f-r  manichäische ,  mandäische  und  gnostische  Schriften  sowie  die 
y.oo^onoiia  vergleicht.  In  dem  persischen  Mythos  finden  wir 
{ 1^8  f.)  nichts  von  Eros ,  nichts  von  der  geheimen  Ehe  oder  dem 
Mordversuch  gegen  den  Gott  oder  der  Wanderung  nach  der  Unter- 
welt und  dem  Lebenswasser.  Aber  in  einem  orientalischen  Märchen 
wird  Psyche  dem  Herrscher  der  Unterwelt  zum  Praß  ausgesetzt, 
und  diesem  werden  von  den  Manichäern  ein  Schlangenleib  und 
Vogelflügel  gegeben.  Auch  von  dem  Zauberpalast  bei  Apuleius 
will  Reitzenstein  in  einem  Leidener  Papyrus  und  in  einem  der 
Bruchstücke  aus  Turfan  Spuren  gefunden  haben.  Es  werden  dann 
weitere  Psychedarstellungen  mitgeteilt  oder  besprochen ,  u.  a.  ein 
von  Visconti  herausgegebener  heidnischer  Sarkophag ,  der  durch 
eine  Stelle  der  Turfanischen  Handschriften  erklärt  wird  (98  fif.). 
Nach  Reitzenstein  hat  sich  ein  iranischer  Schöpfungsmythos,  in 
welchem  eine  Göttin  „Seele"  vorkam,  unter  persischer  Herrschaft 
allmähhch  durch  Vorderasien  verbreitet,  bei  seiner  Verbindung 
mit  andern  Traditionen  verschiedenartig  umgebildet  und  so  aus- 
gestaltet, daß  der  dualistische  Grundcharakter  mehr  und  mehr  ver- 
dunkelt wurde.  Diese  Hinweise  verdienen  gewiß  ernbte  Beachtung, 
aber  selbst  wenn  die  durch  eine  im  einzelnen  nicht  immer  unan- 
fechtbare Ausdeutung  gewonnenen  Kombinationen  alle  genauerer 
Prüfung  standhalten ,  beweisen  sie  nicht  die  an  sich  allerdings 
keineswegs  unwahrscheinliche  Behauptung,  daß  die  dem  Märchen 
zugrunde  liegende  Anschauung  im  Zeitalter  des  Hellenismus  inner- 


Psychemärchep.    Wundererzählungen.    Alexanderroman.        313 

halb  der  orientalischen  Mystik  entstanden  sei.  Gerade  das,  worin 
sich  diese  jüngere  Mystik  von  der  älteren,  für  griechische  Mysterien 
zu  erschließenden  unterscheidet,  die  Verallgemeinerung  der  Psyche 
2ur  Weltseele  und  ihre  Erhebung  zur  kosmischen  Potenz  findet 
sich  im  Märchen  nicht ,  das  verständlich  ist ,  wenn  in  der  ihm 
zugrunde  liegende  Legende  die  Erlösung  der  Einzelseele  beschrieben 
war.  Selbst  wenn,  was  Reitzenstein  annimmt,  was  aber  m.  E. 
zweifelhaft  ist,  Psyche  ursprünglich  Göttin  war,  beweist  dies  nicht 
den  jüngeren  Ursprung  des  vorausgesetzten  Mythos,  denn  schon  die 
altgriechische  und  altorientalische  Eschatologie  gibt  der  in  die 
Unterwelt  hinab  und  dann  zu  den  Göttern  emporsteigenden  Seele 
eine  Gottheit  als  mythisches  Prototyp,  die  zwar  nicht  nachweisbar 
„Seele"  genannt  wird,  aber  doch  leicht  so  heißen  konnte.  Andrer- 
seits darf  freilich  auch  aus  dem  Fehlen  einer  Spur  von  diesen 
jüngeren  Vorstellungen  in  dem  Märchen  nicht  gefolgert  werden, 
daß  dieses  notwendig  nur  an  ältere  und  älteste  Vorstellungen  an- 
gelehnt sei ;  es  ist  glaubHch ,  daß  bei  der  Umwandelung  in  ein 
hellenistisches  Märchen  die  abstrusen  Vorstellungen ,  welche  die 
Mandäer  und  wahrscheinlich  schon  Vorgänger  von  ihnen  mit  der 
Göttin  Seele  verbanden,  wieder  ausgeschaltet  wurden.  —  Reitzen- 
steins  Vermutung  bekämpft  v.  d.  Leyen,  Bayr.  Hefte  f.  Volksk. , 
I,  1914,  58  ff.,  der  in  dem  Psychemärchen  nur  ein  Gebilde  frei 
schaltender  Phantasie  findet. 

Für  die  übrigen  Romane  kann  auf  Münschers  Bericht  o. 
{CIL.  1911}  verwiesen  werden,  insbesondere  für  die  Apollonios- 
biographien  (auf  S.  Ulf.').,  für  Menippos  als  Quelle  der  im 
Hades  spielenden  Dialoge  Lukians  {auf  S.  57  ff.) ,  für  Reitzen- 
stein, Hellenist.  Wundererzählungen,  Leipz.  1906  {auf  S.  6  ff.). 
Die  auch  für  Mythologen  wichtige  Überlieferung  des  Alexander- 
romans {196  ff.)  untersucht  gründlich  A.  Ausfeld,  Der  griechische 
^\lexanderroman.  Nach  des  Vfs.  Tode  herausgegeben  von  W.  Kroll, 
Leipz.  1907.  Diese  Erzählung  ist  nach  Ausfeld  kein  Volksbuch, 
sondern  aus  verschiedenen  literarischen  Quellen  zusammengearbeitet. 
Den  Kern  bildet  ein  unter  Ptolemäus  V.  nach  schlechten  Quellen 
und  mit  willkürlichen  Änderungen  verfaßtes  Geschichtswerk.  Später, 
namentlich  im  2.  Jh.  n.  Chr.,  wurden  nach  anderen  geschichtlichen 
oder  novellistischen  Quellen  Zusätze  gemacht,  die  sich  öfters  durch 
Widersprüche  mit  dem  Grundtext  verraten.  Dieser  Bearbeitung 
sollen  am  nächsten  stehen  der  Pariser  Codex  A  des  Pseudo-Kalli- 
sthenes  und  die  Übersetzung  des  luhus  Valerius.  —  Alexanders 
Zug   nach  der  Lebensquelle  war,  wie  Friedländer,  Arch.  f.  Reli- 


314  Ilomane.    Fhilosophisohes. 

giousw.  XIII,  lylu,  1(51  ti".  nachweisen  will,  dem  Brief  au  Olympias 
bei  Ps.-Kallistlienes  ursprünglich  fremd  und  mußte  stark  zugestutzt 
werden,  damit  er  in  ihm  Aufnahme  finden  konnte.  Die  Geschichte 
sollte  zeigen,  daß  die  Unsterblichkeit  dem  Menschen  nicht  bloß 
unerreichbar,  sondern  auch  nicht  einmal  begehrenswert  sei.  Ent- 
fernter sind  nach  Friedläuder  die  Berührungen  mit  der  babylonischen 
Legende,  in  der  die  Lebeusc|uelle  ganz  fehlt,  doch  können  einzelne 
Züge  der  Volksüberlieferung  wie  auf  Gilgamesch  so  auch  auf 
Alexander  übergegangen  sein.  Im  Koran,  der  aus  mündlicher 
christlicher  Tradition  schöpft,  ist  Alexander  mit  Moses  verwechselt 
und  der  Lebensquell  durch  „die  Vereinigung  der  beiden  Meere" 
(später  auf  die  ISuezenge  bezogen ;  ursprünglich  Straße  von  Gibral- 
tar?) ersetzt.  —  Alexanders  Koch  Andreas  steUt  Brunnhofer, 
Arische  Urzeit,  Bern  1909,  2-tO  zu  Indra  (Andra),  Friedländer, 
Ai'ch.  f.  Eeligionsw.  XIII,  1910,  161  ff.  sieht  in  der  Episode  wieder 
eine  Nachbildung  der  Glaukossage.  —  Über  Olympias  vgl.  Wein- 
reich.  Der  Trug  des  Nektanebos,  Berhu  1911,  der  das  Motiv  bis 
in  die  neuere  Dichtung  verfolgt.  Nachträge  bieten  u.  a.  Hilka, 
Festschr.  der  Schles.  Ges.  f.  Volbsk.  (--  Mitt.  XIII/XIV)  188  ff., 
vgl.  dazu  Mitt.  XVI,  1914,  80  ff. ;  Preisendanz,  Hess.  Bl.  f. 
Volksk.  XI,  1912,  218 ff.;  Weinreich,  Phüol.  LXXII,  1913,  517 ff. 

Philosophen. 

H.  Schmidt,  Veteres  philosophi  quomodo  iudicaverint  de 
precibus  (ßV  u.  V  IV  I),  Gießen  1907  handelt  nicht  nur  von  den 
Lehien  der  Philosophen,  sondern  auch  von  manchen  Dichtern, 
X.  ß.  (4  ff.)  von  Euripides ,  der  philosophische  Bildung  besessen 
habe  (26  ff.) ,  von  Persius  (28  ff.) ,  luvenal  und  den  Stoikern ,  mit 
denen  manche  Äußerungen  von  Horaz  verglichen  werden.  Bei  dem 
geringen  Umfang  der  ganzen  Arbeit  bleibt  für  die  eigentlichen 
Philosophen  nur  wenig  Raum  übrig ,  auf  dem  das  Thema  nicht 
erschöpft,  sondern  nur  durch  einzelne  Bemerkungen  gestreift  werden 
konnte.  —  Über  James  Adam,  The  Religious  Teachers  of 
Greece,  Edinburg  1908  s.  o.  iß.  32).  A.  Dies,  Le  cyclo  mystique 
de  la  divinite ,  Origine  et  fin  des  existences  individuelles  dans 
la  Philosophie  antesocratique  (Collect,  histor.  des  grands  philoa.), 
Paris  1909,  wül  zeigen,  daß  der  Gedanke  von  der  Gottheit  als 
dem  Anfangs-  und  Endpunkt  alles  Einzelseins  wie  am  Ende  so 
auch  am  Anfang  der  griechischen  Mystik  vorherrschte  und  (25  ff.) 
keimhaft  in  der  ältesten  griechischen  ßehgion  gegeben  war. 
Dieser   Keim    wird    (33)    gefunden:    1)    in    der   Allgemeinheit    und 


lleligion  und  Philosophie.  315 

Unbestimmtheit  dei-  unpersönlichen  vorhomerischen  Götter,  welche 
die  Vorstellung  von  ihrer  Verwandlungsfähigkeit  erleichterte  und 
den  Gedanken,  daß  das  Göttliche  sich  in  die  verschiedenen  einzelneu 
Wesen  wandele,  annehmbarer  erscheinen  ließ,  als  wenn  die  Gottheit 
ein  einzelnes  bestimmtes  Wesen  gewesen  wäre;  2)  in  der  Vor- 
stellung von  schädlichen  Einwirkungen ,  die  durch  Reinigung  und 
Sühnungen  zu  beseitigen  seien ;  3)  in  den  ßiten,  die  eine  Erfüllung 
mit  der  Gottheit  bezweckten.  Neben  der  mystischen  Vorstellung 
von  Gott  als  dem  Ziel  und  Ausgangspunkt  alles  Einzelseins  soll 
aber  bei  den  Vorsokratikern  die  rationalistische  oder  eigentlich 
philosophische  Auffassung  bestanden  haben ,  nach  der  Gott  mehr 
Prinzip  und  Bestimmung  als  Anfang  und  Ende  des  Einzelseins  war. 
Nachdem  diese  Sätze  allgemein  hingestellt  sind,  sucht  Dies  an  den 
Orphikern  und  Pythagoreern  (47  ff) ,  an  den  loniern,  Eleaten  und 
den  Atomisten  (62  ff.)  und  an  Empedokles  (83  ff.)  die  einzelnen 
Formulierungen  dieser  Lehre  zu  erweisen.  In  einem  Schlußkapitel 
werden  die  Folgerungen  gezogen.  Sofern  der  Standpunkt,  von  dem 
aus  Dies  die  griechische  Philosophie  betrachtet,  nicht  als  der  einzig 
richtige  und  auch  nicht  als  wichtigste  angesehen  wird,  sind  seine 
Darlegungen  dankenswert;  aber  ganz  neu  sind  diese  nicht,  vielmehr 
ist  vieles  gelegentlich  und  in  anderem  Zusammenhang  schon  von 
andern ,  namentlich  deutschen  Forschern  hervorgehoben  worden, 
deren  Gedanken  Dies  richtig  wiedergibt;  wo  er,  den  Andeutungen 
von  J.  Harrison  folgend,  die  älteste  griechische  Religion  zu  re- 
konstruieren versucht,  verliert  er  sich  ins  Bodenlose. 

Das  nach  dem  Tode  des  Verfassers  erschienene  Werk  Otto 
Gilberts,  Griechische  Religionsphilosophie,  Leipzig  1911,  führt 
die  Entwickelung  der  religiösen  Gedanken  bei  den  griechischen  Philo- 
sophen bis  auf  Epikureer  und  Stoiker  durch.  Während  er  in  der 
„Griechischen  Götterlehre"  <o.  CXXXVIl,  1908,  Suppl.  89)  sich 
auf  einen  jetzt  überwundenen  Standpunkt  stellt,  vertritt  dieses 
letzte  Werk,  an  das  der  Verfasser  gründlicher  vorbereitet  heran- 
getreten ist,  Ansichten,  die  sich  allmähHch  durchzusetzen  scheinen. 
Er  behauptet,  daß  die  griechische  Philosophie  von  Anfang  an  mit 
der  Religion  in  Verbindung  gestanden  und  diesen  Zusammenhang  nie 
vollständig  verloren  habe.  Gegenüber  der  früheren,  unter  dem  nach- 
wirkenden Einfluß  Hegels  stehenden  Betrachtungsweise,  nach  der 
die  Entwickelung  der  griechischen  Philosophie  in  der  Hauptsache 
nur  Begriffsentwickelung  gewesen  war,  gewährt  Güberts  Standpunkt 
einen  weiteren  Ausblick  —  freilich  nicht  einen  so  weiten,  als  es 
zunächst  wohl  scheint.     Denn  er,    der  schon  in  seiner  Götterlehre 


31t)  Religion  und  Philosophie. 

wie  so  viele  natursymbolische  Mythendeuter  bei  der  Mythenbildimg 
dem  Erkenntnistrieb  eine  übertriebene  Bedeutung  beimaß ,  hat  be- 
in-eiflicherweise  bei  den  vorgeschrittenen  Stadien  der  griechischen 
Entwickelung  noch  viel  weniger  Veranlassung,  auf  die  immer 
schwächer  werdenden  Spuren  und  Nachwirkungen  des  wirklich 
religiösen  Lebens  zu  achten.  Was  er  verficht ,  ist  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  nicht  der  religiöse  Charakter  der  griechischen 
Philosophie,  sondern  der  philosophische  der  gi-iechischen  Religion. 
Weil  er  sich  nicht  vollständig  von  der  früheren  Betrachtungsweise 
frei  macht,  gelangt  er  nicht  dazu,  seine  eigenen  Gedanken  folge- 
richtijr  zu  Ende  zu  denken.  Andrerseits  besaß  aber  Gilbert  auch 
nicht  so^•iel  methodische  Klarheit,  um  sich  vor  Übertreibungen  zu 
hüten,  seine  Ansichten  klar  zu  formulieren  und  zu  begründen;  er 
bietet  viele  Angriffspunkte ,  hat  nur  einzelne  überzeugt  und  wird 
daher,  wenn  einmal  die  Grundgedanken,  auf  das  richtige  Maß  zurück- 
geführt ,  Anerkennung  gefunden  haben ,  kaum  als  ein  besonders 
starker  Streiter  für  die  gute  Sache  betrachtet  werden.  Und  doch 
enthält  sein  Buch,  allerdings  mehr  gefühlt  als  gedacht,  Ansichten, 
die  auf  den  ersten  Blick  aller  Wahrscheinlichkeit  widersprechen 
und  sich  doch  bei  eindringender  Betrachtung  als  richtig  oder 
wenigstens  einen  richtigen  Kern  enthaltend  herausstellen. 
Dazu  gehört  z.  B.  die  Meinung,  daß  sich  die  Spekulationen  der 
milesischen  Physiker  nicht  wesentlich  von  denen  unterschieden, 
die  in  den  Theogonien  und  in  orphischen  Liedern  niedergelegt 
waren.  Vergleicht  man  die  bei  den  Doxographen  erhaltenen  Bruch- 
stücke mit  den  erhaltenen  Theogonien  und  Kosmogonien,  so  kann 
man  sich  zunächst  kaum  einen  größeren  Abstand  denken  5  erst 
nach  und  nach  stellt  sich  heraus,  daß  der  Unterschied  weniger  die 
Gedanken  als  die  Ansdrucksform  betrifft  und  daß  auch  Aristoteles 
und  andere,  welche  die  Theologen,  die  m3'thisch  redenden  Dichter 
usw.  den  Philosophen  entgegenstellen,  hauptsächlich  diesen  Unter- 
schied der  Darstellungsweise  ins  Auge  fassen.  Und  selbst  in  diesem 
Punkte  unterscheiden  sich  beide  vielleicht  nicht  unbedingt.  Wie 
noch  Piaton  neben  der  logischen  die  m^-thische  Darlegung  eines 
Gedankens  nicht  verschmäht,  können  auch  die  ionischen  Natur- 
philosophen, von  denen  ja  Herakleitos,  dessen  Sprache  am  besten 
bekannt  ist,  zahlreiche  mythische  Einzelausdrücke  verwendet,  auch 
größere  Mythen  erzählt  haben,  die  in  der  mehr  die  Gedanken  ins 
Auge  fassenden  Doxographie  nicht  mehr  hervortreten.  Andrerseits 
darf  man  sich  auch  von  den  griechischen  Theogonien  nicht  ein 
Bild  nur  nach  der  erhaltenen  Hesiods  bilden,   dessen  M3'then  zwar 


Religion  und  Philosophie.  3^7 

auch  philosophische  Gedanken  enthalten,  aber  sehr  verschiedenai-tige, 
miteinander  nicht  in  Einklang  stehende.  Folgt  daraus  auch  nicht, 
daß  vorher  ein  griechischer  Dichter  ein  philosophisches  System  in 
zusammenhängender,  mythischer  Einldeidung  vorgetragen  habe ,  so 
wäre  es  doch  irreführend,  würde  aus  diesem  die  Überlieferung 
sammelnden  Werk  geschlossen,  daß  die  griechischen  theogonischen 
Dichtungen  von  Haus  aus  so  verworren  waren ,  wie  sie  hier  er- 
scheinen. —  Wie  Gilbert,  glaubt  auch  Fr.  Macdonald  Corn- 
ford,  From  Religion  to  Philosophy,  A  Study  in  the  Origins  of 
Western  Speculation,  London  1912.  daß  die  griechische  Philosophie 
von  der  Religion  ausgegangen  und  mit  rehgiösen  Ideen  erfüllt  «ge- 
wesen sei ;  weil  er  aber  die  Anfänge  der  Reb'gion  an  anderer  Stelle 
als  Gilbert,  nämlich  bei  dem  Gruppenbewußtsein  sucht,  das  sich 
gesteigert  als  Gruppengeist  und  später  als  Gott  projiziere,  und 
weil  er,  %vie  das  jetzt  in  England  und  Frankreich  mehr  als  in 
Deutschland  üblich  ist,  die  ältesten  griechischen  Vorstellungen  aus 
denen  heutiger  Wilden  erschließt,  mxxß  er  im  einzelnen  zu  andern 
Ergebnissen  gelangen  aJs  Gilbert.  In  der  q^ioig  der  lonier  lebt 
Mana  fort  (125),  d.  h.  die  geheimnisvolle  Wunderkraft,  welche  die 
Melanesier  manchen  Gegenständen  zuerkennen;  weil  Mana  der 
Stoff  ist,  aus  dem  bei  höherer  Entwickelung  Menschen  gebildet 
werden,  lehren  Thaies  (134)  die  Göttlichkeit  des  Wassers  und 
seine  Belebung  durch  Dämonen,  Anaximandros  die  GöttHchkeit  und 
Unvergänglichkeit  seines  aneigov.  Der  Grundsatz  der  Hylozoisten, 
daß  Wirkungen  nur  zwischen  Gleichem  möglich  seien ,  wird  von 
dem  vorausgesetzten  Glauben  primitiver  Völker  an  einen  sympathe- 
tischen Zusammenhang  gewisser  Dinge  abgeleitet  (132  f.;  140). 
Die  Beseitigung  der  anthropomorphen  Götter  durch  Xenophanes 
soH  nur  den  alten ,  nie  ganz  überwundenen  präreligiösen  Zustand 
wiederhergestellt  haben  (177;  vgl.  89).  Selbst  der  Materiahsmus 
Demokrits  wird  S.  123  aus  der  Fortbildung  religiöser  Ansichten 
erklärt,  da  jeder,  der  die  Gottheit  nicht  in  der  Xatur  wohnen 
lasse ,  das  Leben  auf  mechanische  Bewegung  zurückfuhren  müsse. 
Dagegen  suchten  die  Mystiker  —  außer  den  Orphikem  besonders 
die  Eleaten,  Pythagoras  und  Herakleitos  —  das  Göttliche  in  der 
Natur  und  hielten  an  der  ursprünglichen  Vorstellung  der  Einheit 
von  Mensch  und  Xattir  fest  (161  ff.).  Die  orphische  und  pytha- 
goreische Mystik  soll  sich  an  Dionysosmysterien  entwickelt  haben, 
Herakleitos  zu  der  noch  älteren  Vorstellung  einer  allgemeinen 
Lebenssubstanz  zurückkehren.  Obwohl  nicht  ohne  Geist  geschrieben 
und   im    einzelnen   beachtenswerte  Anregungen  bietend,    wird  auch 


318  Religion  und  Philosophie. 

dies  Werk  außerbelb  der  Kreise ,  die  schon  vorher  von  ähnlichen 
Auffassungen  ausgingen,  nicht  viele  überzeugt  haben. 

Von  einzelnen  für  die  Religionsgeschichte  wichtigen  antiken 
Schriften  rückt  A.  Delatte,  Kev.  phil.  XXXIV,  1910,  175  ff. 
den  Ieqos  Xoyog  des  ^Ptjthagoras''  bis  in  die  Mitte  des  5.  Jhs. 
hinauf.  Die  Pythagoreer  sollen  damals  vielleicht  noch  eine  große 
in  Enthusiasmus  glühende,  in  Askese  schwelgende  Gemeinde  gebildet 
haben.  Daß  alle  Bruchstücke  derselben  Redaktion  entstammen,  ist 
nach  Delatte  nicht  notwendig.  —  Über  den  Mythos  des  Aristophanes 
in  Piatons  av^noaiov  vom  androgynen  Urmenschen  s.  K.  Ziegler, 
Neue  Jahrb.  XVI,  1913,  529  ff.,  der  darin  eine  (in  Wahrheit  sehr 
entfernte)  Ähnlichkeit  mit  Empedokles  und  Anaximandros  findet 
und  diese  damit  begründet,  daß  eine  altorphische  Kosmognie  allen 
drei  Theorien  zugrunde  liege.  —  C.  Pascal,  Riv.  di  fil.  XXXIV, 
1906,  241  sucht  die  Angabe,  daß  Epilcur  Verehrung  der  Götter 
forderte ,  als  richtig  zu  erweisen  und  mit  der  sonstigen  Welt- 
auffassung des  Philosophen  zu  vereinigen.  Vgl.  auch  R.  Philipp - 
son,  Zur  epikureischen  Götterlehre,  Herm.  LI,  1916,  568  ff.  — 
Eine  dem  „Klemensroman"  und  auch  seinem  Exzerpt,  den  Homilien, 
zugrunde  liegende  jüdische  Schrift,  in  der  ein  zum  Judentum  be- 
kehrter Grieche  gegen  stoische  und  epikureische  Mythendeutung 
mit  Apion,  Athenodor  und  Anubion  disputierte,  erschließt  fHeinze, 
Klemensroman  (Texte  und  Unters.  XL,  2),  Leipz.  1904,  42  ff.  — 
Das  erste  Buch  der  für  die  epikureische  Theologie  wichtigen  Schrift 
Philo  de  ms  neQi  &ei7jv  gibt  mit  einer  von  dem  Rever.  Cohen 
angefertigten  Durchzeichnung  der  Hayterschen  Disegni  H.  Diels, 
Abh.  BAW  1915,  hist.-ph.  Kl.  VII  heraus.  Es  waren  sehr  zahl- 
reiche Ergänzungen  nötig,  von  denen  der  Herausgeber  selbst  viele 
der  Form  nach  für  zweifelhaft  erklärt  und  die  im  allgemeinen  nur  den 
Sinn  verständlich  machen  sollen.  Der  wichtigste  Teil  der  Schrift 
(bei  Diels  II  C  und  D)  steht  am  Ende :  er  handelt  von  den  Lehren, 
durch  welche  die  Todes-  und  Götterfurcht  zu  bekämpfen  ist,  und 
über  die  ^a/MQia  C^)a^  d.  h.  die  epikureischen  Götter.  Verfaßt 
ist  die  Schrift  nach  Diels  S.  100  Ende  44  v.  Chr. 

Die  allegorische  Mythendeutung ,  die  innerhalb  der 
philosophischen  Literatur  des  Altertums  z.  B.  eine  eigene  Gattung  bildet, 
ist  in  der  Berichtsperiode  vielfach  behandelt  worden.  *Anne  Bates 
H  e  r  8  m  a  n ,  Studies  in  Greek  Allegorical  Interpretation,  Diss.  Chicago 
1906,  gibt  nach  dem  Bericht  von  Nestle  Berl.  Phil.  Wochenschr. 
XX Vn,  1907,  1391  im  kleineren  ersten  Teil  eine  Übersicht  über  die 
antike  Mviihendeutung  und  bespricht  dann  ausführlich  die  Stellung, 


Philosophische  Mythendeutung,  31 9 

file    Plutarch    namentlich    in    seiner   Schrift    über   Isis    und    Osiri» 
gegenüber    der    Religion     und     dem     Göttermythos    einnimmt.    — 
F.  Wipprecht,    Zur  Entwickelung  der  rationalistischen  Mythen- 
deutung bei  den  Griechen  II,  Progr.  Donaueschingen,  Tübingen  1908» 
die  Fortsetzung  der  0.  {CXXXVII,  1908,  Suppl  S9T)  besprochenen 
Abhandlung,  wird  hier  erwähnt,  damit  die  Arbeiten  über  die  griechische 
Auslegung    der    Mythen    zusammenstehen ;    der    Verfasser    gelangt 
aber  auch  hier  noch  nicht  bis  zur  systematischen  Mythenauslegung 
der  Stoiker  und  anderer  Philosophen,  sondern  verweilt  hauptsächlich 
bei    den    Geschichtschreibern    des    5.    und    4.    Jh.    sowie    bei    dea 
Dichtern    der   mittleren   Komödie.  —   Eine   umfassende    Darlegung 
der   griechischen    Mythendeutung   gibt   C.  Reinhardt,    De  Grae- 
corum  theologia,  Berlin  1910.    Er  unterscheidet  zwei  Klassen,  von 
denen   die    eine ,    am    reinsten    bei   Eustathios ,    vereinzelt    auch  im 
Vergilkommentar  des  Probus    und  bei  Sextus  Empiricus ,    sehr  ge- 
trübt dagegen  bei  Herakleitos  und  in  Pseudoplutarchs  Schrift  von 
Homers    Leben    und   Dichten    vorliegende    auf  Krates'    von   Mallos 
acpaiQOTioiia  zurückgeführt  wird,  die  nach  Reinhardt  hauptsächlich 
dem   Nachweis    gewidmet   war,    daß    Homer    die    Kugelgestalt   der 
Erde  kannte,  wogegen  die  andere,  am  reinsten  in  Porphyrs  Homer- 
erklärungen, aus  PorphjT  (nicht  wie  Reitzenstein  meinte,  aus  einem 
römischen  Autor,  auch  nicht  aus  lamblichos,  wie  Wissowa  glaubte) 
auch   bei  Macrob.  Sat.  I,    17  ff.,  minder   deutlich    aus  Kornutos  zu 
erkennende ,    auf  Apollodors   großes  Werk  Tiegi  d^eiov   zurückgehen 
soll,    das   die  Götter  nicht  den  Naturerscheinungen  selbst,    sondern 
den    sich   in   ihnen    äußernden  Kräften    gleichgesetzt   und  demnach 
auch  die  Mj^hen  nicht  allegorisch  gedeutet,  vielmehr  aus  den  Riten 
und     den     Kultbeinamen    die    Entstehung    der    einzelnen    Gottes- 
vorstellungen   und    schließlich    die   letzten    Ursachen   des    mensch- 
lichen   Gottesbewußtseins    zu    erklären   versucht   habe.      Reinhardt 
glaubt  (114),  daß  ApoUodor  nicht  nur  das  Höchste  leistet,  was  der 
antiken  Theologie  überhaupt  zu  leisten  bestimmt  war,  sondern  da& 
er    bereits    wie    die    moderne    Religionsphüosophie    nach    Gesetzen 
forschte,  aus  denen  sich  die  geheimnisvollen  Wurzeln  alles  Gottes- 
glaubens in  der  menschlichen  Seele  erklären  lassen.     Vgl.  dagegen 
Berl.  Wochenschr.  XXXI,  1911,  478  f.  —  K.  M  eis  er,   Sitzungs- 
ber.  Ba  AW    1911    hist.-ph.    Kl.  VII    gibt  (3  ff.)  eine   „Würdigung 
der  *0;UJ^ptxa  nQoßliq^ata^  und  dann  S.  13  ff.  Beiträge   „zur  Kritik 
und  Erklärung  einzener  Stellen",    darunter  auch  Berichtigungen  zu 
der  kurz  vorher  erschienenen  Ausgabe ,    welche  die  Mitglieder  des 
Bonner  Philologischen  Seminars  Buecheler  zum  70.  Geburtstag  ge- 


320  Kornutus.    Poseidonios.    Plutarch. 

widmet  hatten.  —  Br.  Schmidt,  De  Cornuti  theologiae  Graecorum 
compendio  capita  duo ,  Hall.  Diss.  1912  verwirft,  abgesehen  von 
einzelnen  kleinen  Zusätzen,  m.  ß.  Langes  Annahme,  daß  die  Schrift 
durch  Interpolation  entstellt  sei,  und  bekämpft  (21  ff.)  mit  beachtens- 
werten Gründen  auch  Reinhardt,  der  in  ihr  einen  durch  Exzerpte 
nus  verschiedenen  Schriften  erweiterten  Auszug  aus  einem  echten 
Werk  des  Kornutos  nachweisen  wollte.  Vielmehr  rührt  nach 
Schmidt  das  ganze  Werk  von  Persius'  Lehrer  Kornutos  her,  der 
hauptsächlich  aus  ApoUodor  schöpfte  (44  ff.)  5  daneben  sollen  ein 
stoisches  Werk,  aus  dem  die  Poseidonioszitate  stammen  (91),  femer 
ein  vielleicht  auf  Krates  zurückgehender  Hesiodkommentar  (96), 
auch  ein  mythologisches  Handbuch,  ähnlich  dem  von  Diodor  be- 
nutzten (97),  herangezogen  und  auch  einige  eigene  Einfälle  (98  ff.) 
hinzugefügt  sein.  Woher  die  mit  Aristoxenos  tibereinstimmende 
Ableitung  von  x^'^Q^j  X^og  und  xtf^wv  stammt,  wird  unentschieden 
gelassen. 

Daß  die  religionsgeschichtliche  Bedeutung  des  Poseidonios 
ein  Menschenalter  hindurch  überschätzt  worden  ist  und  daß  ihm 
nicht  alles  zugeschrieben  werden  darf,  was  lange  auf  ihn  zurück- 
geführt wurde,  wird  allmählich  erkannt,  wie  an  verschiedenen  Stellen 
dieses  Berichtes  bemerkt  ist.  Volkmann.  Jahresber.  der  schles. 
Ges.  für  Vaterland.  Kult.  Breslau  1908  weist  darauf  hin,  daß  der 
Syrer  keineswegs  die  alleinige  Quelle  von  Cicero  Somnium  Seipionis 
gewesen  sein  müsse. 

Plutarch.  J.  J.  Hartmann  De  Avondzon  des  Heiden- 
doms, het  Leven  en  weerken  van  den  wijze  van  Chaeronea,  Leiden 
1910,  2  Bde.,  'gibt  im  zweiten  Band  Erklärungen  und  z.  T.  Über- 
setzungen von  einzelnen  Plutarchischen  Schriften,  z.B.  157  ff.  von 
De  Iside  et  Osiride,  300  ff.  von  Ad  versus  Colotem,  317  ff.  von 
Non  posse  suaviter  vivi  secundum  Epicurum,  397  ff.  von  De  sera 
numinis  vindicta.  —  Von  den  einzelnen  Schriften  ist  in  der  Berichts- 
periode wieder  die  über  Isis  am  eingehendsten  bebandelt  worden. 
Ein  Schüler  von  E.  Schwartz  und  Sethe,  P.  Frisch,  will 
in  der  Göttinger  Dissertation  De  compositione  Hbri  Plutarchei  qui 
inscribitur  Ttegl  'laidog  /.al  'OaiQiöog  1907  nachweisen,  daß 
Plutarch  von  einem  Schriftsteller  abhänge,  der  (c.  41)  sich  schon 
auf  stoische  Mythendeutung  berief  und  aus  verschiedenen  Erklärungen 
des  äg}-p tischen  Mythos  eine  neue  herzustellen  suchte.  —  Scott 
Moncrieff,  Joum.  HeU.  Stud.  XXIX,  1909,  79  ff.  hält  es  für 
nötig,  zu  betonen,  daß  darin  nur  die  ägyptische  Religion  der 
hellenistischen  Zeit  beschrieben  sein  kann.  —  F,ine  gründliche,  auch 


Religion  und  Philosophie.    Labeo.  321 

auf  andere  Teile  von  Plutarchs  Schrift  Rücksicht  nehmende  Erklärung 
von  De  Iside  c.  28  f.,  bietet  Parmentier,  ßecherches  sur  le 
traite  d'Isis  et  d'Osiris  de  Plutarque  (Mem.  publ.  par  la  Classe  des 
lettres  et  des  sc.  mor.  et  polit.  et  la  Classe  des  beaux-arta  de 
TAc.  de  Belg.  I  ser.  XI)  Brüssel  1913.  Die  Vergleichung  einiger 
Handschriften  hat  nichts  Wesentliches  zur  Verbesserung  des  sehr 
verwahrlosten  Textes  beigetragen.  —  Verbesserungsvorschlüge  gil)t 
B.  Michael,  L4i^T]ra  XXIV,  1913,  321  £f.  zu  dieser  Schrift  wie 
ebd.   371  ff.  zu  den  Pythischen  Dialogen. 

Der  lange  Streit  um  den  merkwürdigen,  von  Macrobius,  Lydus 
und  Servius  zitierten ,  auch  von  einigen  Kirchenvätern  benutzten 
Antiquar  und  Philosophen  Cornelius  Labeo  scheint  in  der 
Berichtsperiode  entschieden  zu  sein ,  und  zwar  in  einem  Sinne, 
welcher  der  ersten  Lösung  des  Rätsels  entgegengesetzt  ist.  Zuerst 
versuchte  nämlich  Niggetiet,  De  Cornelio  Labeone,  Diss.  Münster 
1908  auf  Grund  des  Arnobius,  der,  wie  er  meint,  den  Labeo,  ohne 
ihn  zu  nennen,  bekämpft,  diesen  als  Neoplatoniker  zu  erweisen,  der 
von  Porphyr  und  sogar  von  lamblichos  abhänge.  Diese  Ansicht 
fand  zwar  Zustimmung  bei  P.  Wendland,  Berl.  Phil.  Wochenschr. 
XXX,  1910,  39,  aber  dagegen  machte  Br.  Boehm,  Da  Cornelii 
Labeonis  aetate,  Diss.  Königsb.  1913  geltend,  daß  bei  Macrob. 
I,  16,  29  in  einem  wahrscheinlich  auf  Sueton  zurückgehenden  Ab- 
schnitt Labeo  zitiert  wird,  und  folgerte  daraus  und  aus  dem  Fehlen 
neoplatonischer  Elemente  in  den  sicheren  Bruchstücken  Labeos, 
daß  dieser  nicht  ein  Neoplatoniker  aus  der  Wende  des  o./4.  Jhs., 
sondern  (S.  78)  ein  Stoiker  des  1.  Jhs.  gewesen  sei.  Die  Erwähnung 
Traians  (Macr.  I,  23,  14)  stammt  nach  Boehm  nicht  aus  Labeo, 
sondern  wie  der  vorhergehende  Abschnitt  über  Heliopolis  (ebd. 
§  10  f.)  aus  lamblichos.  Schon  Labeo  soll  aber  wissenschaftliche 
Theokrasie  betrieben,  und  zwar  die  Gottheiten,  worin  ihm  die 
Neoplatoniker  folgten,  für  Sonnengötter  erklärt  haben.  Dies  geschah, 
wie  Boehm  glaubt,  in  einem  besonderen  Werk,  das  ein  Neoplato- 
niker mit  einem  ähnlichen  des  lamblichos  zusammengearbeitet  habe. 
Ob  Arnobius,  der  gegen  Labeo  schreibt,  diesen  noch  selbst  las, 
hält  Boehm  für  zweifelhaft.  Labeos  Bedeutung  war  groß,  aber  wir 
kennen  (S.  79)  nicht  einmal  seine  Heimat.  —  Diese  Ansichten  sind 
ziemlich  allgemein  gebilligt  worden  •,  B  o  u  s  s  e  t ,  Arch.  f.  Religionswiss. 
XVIII,  1915,  139  hält  den  Nachweis  für  überzeugend,  und  in  der 
Tat  wiegt  in  diesem  Fall  das  Argumentum  ex  silentio  sehr  schwer.  — 
Nicht  m.  R.  scheint  mir  W.  A.  Baehrens,  Hermes  LH,  1917,  39 
das  Porphyrzitat   bei  Serv.  VE,  V,  66    auf  Labeo    zurückzuführen 

Jahrosbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  186  (Snpplcmentl)an(l).  21 


322  ApoUonios  von  Tyana.    Hermetische  Literatur. 

und  überhaupt  die  große  Übereinstimmung  zwischen  Porph^  r  und 
Labeo  aus  der  Benutzung  jenes  durch  diesen  zu  erklären ,  den  er 
—  zweifelnd  —  sogar  für  die  unmittelbai'e  Quelle  für  Macrob. 
T.  17  ff.  hält. 

M.  Wundt,  Apoll 0  71.  von  Tyana,  Prophetie  und  Mythen- 

•bilduug.  Zeitschr.  f.  wisseusch.  Theol.  XLVIIII,  1906,  309  ff.,  sucht 

ApoUonios    von    dem  Verdacht    der  Täuschung    zu  befreien ;    da  er 

sich  frei  von  den  Fesseln  irdischen  Daseins  fühlte,  sollen  ihm  seine 

Gedanken  göttliche  Offenbarungen  gewesen  sein. 

Für  die  neueren  Schriften  über  die  hermetische  Literatur 
kann  im  allgemeinen  auf  W.  Kroll  E,.  E.  VIII,  793  ff.  verwiesen 
werden ,  nur  einige  für  die  Religionsgeschicbte  wichtige  und  dort 
nur  kurz  behandelte  Punkte  sowie  auf  die  seitdem  erschienenen 
Arbeiten  muß  hier  eingegangen  werden.  Das  Gebet  am  Schluß  des 
Poimandres  ist  in  den  Berl.  Klass.  Text.  VI  von  C.  Schmidt 
und  W.  Schubart  als  liturgisches  Stück  herausgegeben  und  von 
E.  Reitzenstein  und  P.  Wendland  GGN,  1910,  325  (vgl. 
ßeitzenstein  GGA,  1911,  550)  erklärt  worden.  Vgl.  Dibelius, 
Isisweihe  bei  Apul.,  Sitz.Ber.  Heidelb.  AW,  1917,  49  <o.  306).  Nach 
Reitzenstein  GGA,  1911,  564  müssen  die  Gebete  umgelaufen  und  im 
Einzelgebrauch  üblich  gewesen  sein  wie  der  an  verschiedenen 
Stellen  der  Zauberpapyri  wiederkehrende  Hermesh}Tnnos  (Arch.  f. 
Papyrusf.  II,  208  ff.).  —  Eigenartige  Ansichten  über  die  Entstehung 
der  in  den  hermetischen  Schriften  niedergelegten  Lehren  äußert 
Zielinski,  Arch.  f.  Religionswiss.  IX,  1906,  25  ff.  in  der  Fort- 
.setzung  der  o.  {CXXXVII  1908  Sifppl.  226  ff )  besprochenen 
Untersuchung.  Er  trennt  die  niedere  hermetische  Lehre,  den  ganzen 
magischen  Spuk,  der  vielleicht  z.  T.  ägyptisch  ist  (60),  von  der 
höheren,  die,  abgesehen  von  Äußerlichkeiten,  wie  den  Namen  Ammon, 
Tat,  Jsis,  Horos  gar  nichts  Ägyptisches  enthalte.  Den  Keim  aller 
hermetischen  Vorstellungen  sucht  Zielinski  in  Arkadien,  indem  er 
aus  Plat.  Kqäx.  24  S.  408  c  eine  altarkadische  Kosmogonie  er- 
schließt, nach  welcher  Pan- Logos,  Sohn  des  Hermes-Nus  war.  Tu 
Wahrheit  zeigt  schon  der  Ausdruck  Xöyog  Vi  Xöyov  tJog,  daß  Piaton 
in  freiem  Spiel  diesen  Mythos  erst  durch  willkürliche  und  nicht 
ganz  ernst  zu  nehmende  Umdeutung  zu  einem  kosmogonischen  ge- 
macht hat.  Diese  vermeintliche  arkadische  Kosmogonie  und  eine 
aus  der  Odysseussage  erschlossene  arkadische  Eschatologie  (48  ff.) 
sollen  nun  zunächst  nach  Kreta,  dann  wie  Odysseus  nach  Kyrene  ver- 
pflanzt und  dort  Ausgangspunkt  der  Hermetik  geworden  sein,  womit 
der  Titel  Kvoaviöeg   einiger   naturwissenschaftlicher,    dem  Hermes 


Hermetische  Literatur.  ;}23 

beigelegter  Schriften  verglichen  wird  (51).  Hier  trat  (56  ff.)  neben 
die  dualistische  Kosmogonie  eine  pantheistische.  Diese  stammt 
aus  Boiotien,  das,  wie  Zielinski  mit  Studuiczka  annimmt ,  in  alten 
Beziehungen  zu  Kyrene  stand.  Im  dortigen  öffentlichen  Kult  ist 
Hermes  durch  Apollon  ersetzt,  aber  in  den  geheimen  Lehren  der 
hermetischen  Literatur  hat  er  seine  Stelle  behauptet  (51).  Wie 
die  Straßburger  Kosmogonie  zeigt,  die  eine  Mittelstellung  zwischen 
der  „arkadischen"  Kosmogonie  und  dem  Poimandres  einnimmt 
(30  ff.) ,  war  dieser  Hermes  ethisch-politisch ;  er  sollte  z.  B.  die 
erste  Stadt  gegründet  haben.  Der  Kyrenaier  Theophrast  verwob 
in  seinem  „Hermes^  die  hermetisch  kosmogonische  Bedeutung  des 
Gottes  mit  der  allgemein  mythischen  (52  f.).  Von  Kyrene  aus  ge- 
langte der  Hermes  Logos  nach  Alexandreia ,  aber  auf  dem  Wege 
dorthin  erweiterte  sich  seine  Bedeutung;  man  faßte  ihn  meta- 
physisch (55).  Stufenweis  verflüchtigten  sich  die  mit  ihm  im 
Mythos  verbundenen  Gestalten  zu  Begi'iffen,  bis  aus  der  arkadischen 
Göttertrias  Zeus ,  Hermes ,  Pan  (dem  Vater  des  Pelasgos  oder 
Asklepios)  Nus,  Nus  Demiurgos  und  Logos  avd^Qwnog  (56)  werden. 
In  Alexandreia  soll  der  k^u^enaiische  Asklepios  durch  Tat  ersetzt 
sein.  —  Jos.  Kroll,  Die  Lehren  des  Hermes  Trismegistos  (Beitr. 
z,  Gesch.  des  Mittelalters  XII  Heft  2 — 4)  Münster  1914  gibt  nach 
seinem  Lehrer  W.  Kroll  eine  ausführliche  Darstellung  der  Lehre 
des  Hermes  Trismegistos ,  die  er  —  wie  wenigstens  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  auch  W.  Kroll  R.-E.  VIII,  804.  35  ff.  —  als 
einheitlich  faßt.  Gegen  Reitzenstein  macht  J.  Kroll  mit  Recht 
geltend,  daß  der  ägyptische  Einfluß  nicht  allzu  stark  angenommen 
werden  dürfe ;  er  denkt  —  schwerlich  m.  R.  —  an  Poseidonios 
als  Urheber  der  Grundgedanken  dieser  Literatur.  —  Bousset 
GGA  CLXXVI,  1914,  S.  693  unterscheidet  innerhalb  dieser  zwei 
Richtungen.  Die  Grundstimmung  der  einen  ist  pessimistisch:  die 
erste  Quelle  alles  Übels  ist  die  EifiaQinivrj ,  eine  Macht  der  Bos- 
heit. Deshalb  müssen  auch  der  gesamte  ihi-  unterstellte  Kosmos 
(716) ,  die  Gestirne  und  die  ihnen  untergebenen  Dämonen  (723) 
schlecht  sein;  aber  darüber,  jenseits  der  Planetenwelt  und  der 
ei^ttQf^evr]  wohnt  die  höchste  Gottheit,  und  die  wenigen  vom  Nus 
erleuchteten  svoeßelg-,  die  Auserwählten,  sind  von  der  Macht  der 
Heimarmene  frei  (725).  Diese  seiner  Ansicht  nach  ungriechische 
Anschauungsweise  nennt  Bousset  „hellenistische  Gnosis".  Die 
Ahnlichikeit  mit  der  christlichen  Gnosis  findet  er  (713)  z.  B.  darin, 
daß  der  Demiurg  als  minderwertig  unter  den  höchsten  Gott  ge- 
stellt   wird ,   und  in  dem  unstoischen  Gegensatz  von  utIq  {nvsvfia) 

21* 


324  Hermetische  Literatur.    Philo.    Neuplatoniker. 

und  (flog  (^(t»'/)-  t-ier  t>ich  nicht  einmal  in  den  sonst  den  Henuetika 
nahestehenden  Oracula  Chaldaea ,  sondern  nur  bei  (Hippol.  bei 
Duuck.  -  Schneidew.  14G,  681)  den  Naassenern  und  anderen 
Gnostikem  finde.  Auch  führen  nach  Bousset  730  f.  die  Hermetika 
eschatologische  Gedanken  aus,  die  christlich  gnostischen  Elreisen  in 
der  ersten  Hälfte  des  2.  Jhs.  bekannt  waren,  t—  Auf  dem  Stand- 
punkt E,eitzeusteins ,  der  an  den  ägA'ptischen  Ursprung  vieler 
hermetischer  Lehren  glaubt,  stellt  sich  L.  Troje,  Adam  und  Zw»;', 
eine  Szene  der  altchristlichen  Kunst  in  ihrem  religionsgeschichtlichen 
Zusammenhang,  Sitz.Ber.  Heidelb.  AW  191G,  XVII,  bes.  S.  89  fif., 
nach  dessen  Ansicht  eine  frühchristliche  Sekte  durch  die  Ver- 
mittelung  der  hermetischen  Mystik  aus  ägyptischen  Lehren  den 
mystischen  Begriff  des  Lebens  übernommen  und  ihn  auf  Eva,  die 
Mutter  alles  Lebendigen,  übertragen  hat.  So  wird  ein  Freskobild 
in  der  christlichen  Xekropole  von  El  Baganät  am  Rand  der  großen 
Oase  erkläi't,  das  Eva  Zcoij  nennt.  —  Nach  Reitzenstein  ebd. 
1917,  X,  43  f.  wurde  die  xoaju o; rot /a  wahrscheinlich  dem  Asonakes 
(Plin.  n.  h.  XXX  4,  wo  der  Name  in  verschiedenen  Entstellungen 
überliefert  ist),  dem  „Wissenden",   einem  Lehrer  des  Hermippos  zu- 

geschrieben;    der   Name   ist   in   dem  Papyrus   zu  ylllON  entstellt. 

Phil  OS  Verhältnis  zu  Poseidonios  untersucht  M.  Apelt,  De 
rationibus  quibusdam  quae  Philoni  Alexandrino  cum  Posidonio 
intercedunt  (Comm.  Phil.  Ten.  VIII,  1907,  93  ff.)  mit  dem  Ergebnis, 
daß  die  mystischen  Neigungen  des  Poseidonios,  die  immerhin  durch 
seine  reiche  Gelehrsamkeit  in  Schranken  gehalten  werden,  bei  Philo 
infolge  der  hebräischen  Überlieferung  so  in  Aberglauben  ausarten, 
daß  er  kaum  noch  ein  Philosoph  genannt  werden  kann. 

Über  die  Lehre  von  den  Astralseelen  bei  den  Neu- 
j)J atoniJiern  spricht  de  Jong,  Act.  du  IV  Congr.  internat. 
d'hist.  des  relig.  S,  !28ff.  Der  Ausdruck  doigoeiöeg  findet  sich  von 
der  Seele  erst  bei  Damaskios  (Suid.  avyoBid^g  •  •  .  i'xsi  xi  ipvxtj 
aiyoeidig  o'/j^uct  ?.Ey6fjevov,  aoTQoeidig  zt  vml  aidiov  usw.),  aber 
schon  bei  Plotin  und  Porphyr  will  de  Jong  Spuren  dieser  Vor- 
stellung nachweisen.  Die  Neuplatoniker  bezeichnen  nach  ihm  den 
Höhepunkt  der  griechichen  Philosophie.  —  Ein  Schüler  Deubners, 
W.  Bertemann,  versucht  in  seiner  Dissertation  De  lamblichi 
vitae  Pj-thagoricae  fontibus ,  Königsberg  1913,  von  Rohdes  Ver- 
mutung ausgehend,  daß  lamblichos  unmittelbar  aus  Nikomachos  und 
Apollonios  schöpfe  ,  den  Nachweis ,  daß  diese  beiden  viel  aus  Ti- 
maios  genommen  haben,  auf  den  daher,  wie  schon  Kothe ,    De  Ti- 


Julian.  —  Attische  Kulte.  325 

maei  Taaromenitae  vita  et  scriptis  1874  erkannt  hatte,    ein  großer 
Teil  von  lamblichos'  Schrift  zurückgehe. 

Die  beiden  religionsphilosophischen  Reden  JuJians  sind  von 
G.  Man,  (Die  Religionsphilosophie  Kaiser  Julians  in  seinen  Reden 
auf  König  Helios  und  die  Göttermutter.  Mit  einer  Übersetzung 
der  beiden  Reden,  Leipzig  1908),  und  R.  Asmus,  Kaiser  Julians 
philosophische  Werke,  übersetzt  und  erklärt  (Philos.  Bibl.  CXVI 
Leipz.  1908)  gründlich  behandelt  Avorden.  Die  Untersuchungen 
unterscheiden  sich  darin,  daß  A'on  Asmus  mehr  Schriften  des 
Kaisers  übertragen  werden ,  während  Mau  zwar  nur  die  beiden 
Götterreden  übersetzt ,  dafür  aber  Julians  Philosophie  im  ganzen 
nnd  auch  sein  Verhältnis  zu  Plotin ,  Porphyr  und  lamblichos  dar- 
stellt. Julians  System  ist,  wie  Mau  119  auseinandersetzt,  in 
Wahrheit  eine  Religion,  „aber  es  ist  eine  Religion  auf  ein  philo- 
sophisches System  aufgebaut  und  philosophisch  gestützt".  „Julian 
nennt  sich  selbst  einen  Diener  des  Königs  Helios ;  und  die  Wahr- 
scheinlichkeit, daß  der  Kaiser  in  die  M)-sterien  dieses  Gottes  ein- 
geweiht war,  ist  groß."  In  der  Tat  kann  diese  Auffassung  Julians 
nicht  mehr  bezweifelt  werden :  auch  Asmus,  der  in  der  Wochenschr. 
f.  klass.  Phil.  1908,  684  Einzelheiten  in  dem  Werke  seines  Rivalen 
beanstandet  hat,  urteilt  im  wesentlichen  nicht  anders.  Vgl.  über 
diese  Untersuchungen  o.  {Bd.  CIL,  1911,  138  f.),  zu  Maus  Schrift 
auch  Wright,  Class.  pbil.  IV,  1909,  87  ff-,  der  sehr  ungünstig  über 
Julian  urteilt. —  Über  Geffckens  Kaiser  Julianus  s.  o.  {S.  83)- 


VI.    Lokalkulte  und  Mytlien. 

Attika. 

Die  unter  R.  Foersters  Leitung  entstandene  Untersuchung 
von  W.  Scheuer,  De  lunone  Attica,  Diss. ,  Breslau  1914,  be- 
handelt nicht  nur  die  Stellung  Heras  in  der  attischen  Religion, 
sondern  auch  die  gemeingriechischen  Überlieferungen,  soweit  sie  von 
attischen  Schriftstellern  oder  bildenden  Künstlern  behandelt  sind. 
Da  diese  die  Vorstellungen,  die  sich  die  Athener  der  Blütezeit  von 
der  Götterkönigin  machten,  bezeugen  und  z.  T.  gebildet  haben,  ist 
auch  ihre  Betrachtung  lehrreich ;  aber  da  sie  vorzugsweise  fremden 
Dichtungen  und  Werken  der  bildenden  Kunst  folgen ,  verliert  das 
Bild  der  altattischen  Religion  dadurch,  daß  auch  sie  als  Zeugen 
befragt  werden ,  an  Deutlichkeit.  Der  Kult  der  Göttin  ist  nach 
Scheuer   in  Attika  verhältnismäßig  jung,   jünger  z.  B.  als  der  De- 


326  Attische  Kulte. 

meters,  seine  Einführung  —  wahrscheinlich  aus  der  Peloponnes  — 
ftllt  aber  doch  noch  in  die  vorgeschichtliche  Zeit.  Neben  Athena 
hat  Hera  in  Attika  nie  besondere  Verehrung  genossen ,  sie  hat 
nicht  einmal  Dione  als  Gemahlin  des  Zeus  zu  verdrängen  vermocht. 
Im  5.  Jh„  als  der  Gegensatz  zur  Peloponnes  deutlicher  hervortrat, 
verlor  die  attische  Hera  noch  mehr  an  Bedeutung.  Das  wichtigste 
athenische  Herafest  waren  nach  Scheuer  die  ^soycif^ua,  auch  leQog 
yafiog  genannt,  deren  Feier  er  auf  den  24.  Gamelion  setzt;  ver- 
schieden von  ilinen  waren  die  beiden  Riten ,  die  mit  dem  Namen 
yauipua  bezeichnet  wurden  und  von  denen  die  eine  von  den  jungen 
Eheleuten,  die  andere  von  Ephebeu  und  Jungfrauen  am  Apaturien- 
fest  bei  der  Vorstellung  in  der  Phratrie  begangen  wairde.  — 
Fr.  Kutsch,  Attische  Heilheroen  (RV  u.  V,  XII  3),  1913  be- 
handelt den  Heros  latros ,  Aristomachos .  AmjTios ,  Asklepios  und 
den  Amphiaraos,  der  um  420  von  Knopia  nach  Oropos  verpflanzt 
sein  soU  (S.  44  ff.).  Den  größten  Teü  des  Heftes  (S.  48—135) 
füllen  der  Abdruck  der  Inschriften  und  ein  Verzeichnis  der  Skulp- 
turen. —  Nach  Wellmaun,  Herrn.  XLV,  1910,  554  gab  Pherekyde.s 
von  Leros  die  älteste  attische  Königsliste:  1)  Kekrops,  2)  Erech- 
theus,  3)  Pandion,  4)  Aigeus,  5)  Theseus.  Amelesagoras  führte 
im  5.  (nicht  im  4.  Jh.)  Erichthonios  als  Nachfolger  von  Kekrops 
ein :  er  zuerst  behandelte  die  Erichthonioslegende ;  HeUanikos  er- 
weiterte die  Liste  so :  1)  Kekrops,  2)  Erichthonios,  3)  Pandion  I., 
4)  Erechtheus,  5)  Pandion  II.,  6)  Aigeus  und  Nisos,  7)  Theseus, 
8)  Menestheus,  9)  Demophon.  Am  Ende  des  4.  Jhs.  soll  die  neue 
attische  Liste  mit  Kranaos ,  Amphiktj^on  und  Kekrops  II.,  ent- 
standen sein. 

E in z eine  attische  Gemeinden.  Athen:  Burg. 
Petersen,  Die  Burgtempel  der  Athena,  Berlin  1907,  glaubt  mit 
Michaelis,  daß  es  neben  dem  „alten"  Tempel  Dörpfelds,  dem  Heka- 
tompedon,  einen  noch  älteren  nördlich  von  ihm  gegeben  habe,  der 
ungefähr  auf  der  Stelle  des  späteren  Erechtheion  lag,  sein  Adyton 
aber  nicht  unter  der  Poliascella,  sondern  im  Pandroseion  der  Bau- 
urkunden hatte  (18).  Den  zwei  Tempeln  entsprechen  nach  Petersen 
(40)  zwei  schon  von  Jahn  angenommene  Kultbilder,  ein  Sitzbild 
und  ein  bewaffnetes  stehendes.  —  Den  „ürtempel"  Petersens  be- 
streitet G.  Koerte,  GGA  1908,  837.  In  dem  Hekatompedon, 
dessen  Verunreinigung  nach  seiner  Ergänzung  und  Auslegung  der 
Inschrift  vom  Jahre  485/4  verboten  wird,  sieht  er  nicht  Dörpfelds 
.alten"  Tempel,  der  mindestens  72  cm  länger  als  100  attische  Fuß 
gewesen    sein   müsse ,    sondern    einen   heiligen  Bezirk  nördlich  von 


Heiligtümer  der  Akropolis.  327 

ihm,  der  in  naclimykenischer  Zeit,  aber  doch  seLr  früh  geweiht 
wurde.  Die  unter  dem  Erechtheion  gefundenen  Baureste  weist  er 
Schatzhäusern  zu,  die  sich,  wie  aus  den  oly.tf.iata  tu  iv  toi  'Exaco^- 
Tcidoi  der  Inschrift  geschlossen  wird ,  in  dem  riftevog  erhoben. 
Hom.  Od.  1]  80,  wo  Petersen  öofiog  als  Tem])el  gefaßt  hatte ,  und 
II.  B  54:6  ff.  werden  in  die  Peisistrateische  Zeit  gesetzt  und  auf 
den  alten  Tempel  bezogen,  der  im  Anfang  des  6.  Jhs.  -südlich  vom 
Hekatompedon  errichtet  und  von  Peisistratos  umgebaut  wurde, 
seine  Westcella  war  für  den  bildlosen  Kult  des  Erechtheus,  Poseidon 
und  Hephaistos  bestimmt,  die  Ostcella  nahm  das  öi07ceTeg  ^oavor 
auf,  ein  äußerst  rohes ,  kaum  menschenähnliches ,  stehendes  Holz- 
bild,  das  unter  der  Bekleidung  und  dem  abnehmbaren  Goldschmuck 
fast  ganz  verschwand.  Daß  es  daneben  noch  ein  sitzendes  Kult- 
bild der  Göttin  auf  der  Burg  gegeben  habe ,  darf  nach  Koerte  aus 
den  Vbb.  und  Terrakotten  nicht  gefolgert  werden ,  da  diese  nicht 
notwendig  Kultbilder  wiedergeben.  Herod.  VIII  55  beweist  seiner 
Ansicht  nach  nicht,  daß  es  einen  vrpg  ^EgE^d^tog  bereits  im  Jahr 
480  gab,  da  der  Geschichtschreiber  von  seiner  Zeit  sprechen  könne 
und  wahrscheinlich  die  Grundmauern  des  späteren  Erechtheions 
bereits  gesehen  habe.  Der  Parthenon  sollte  nach  Koerte  nicht  den 
„alten"  Tempel  ersetzen,  für  den  vielmehr  später  das  Erechtheion 
eintrat,  sondern  das  alte  räfitvog,  dessen  Größe  es  daher  nachahmte 
und  dessen  Name  auf  ihn  überging.  —  Den  „TJrtempel"  an  Stelle 
des  späteren  Erechtheion  lehnen  auch  G.  N  i  c  o  1  e  ,  Le  vieux  temple 
d'Athena  sur  l'acropole,  Genf  1908  und  Frickenhaus,  Ath. 
Mitt.  XXXIII,  1908,  25,  der  namentlich  auch  das  zweite  Kultbild 
bestreitet,  ab.  —  Die  andern  zahlreichen  auf  die  Burgtempel  be- 
züglichen Untersuchungen  sind  mehr  baugeschichtlich  wichtig  als 
religionsgeschichtlich  5  gelöst  sind  die  hier  angedeuteten  Probleme 
m.  E.  noch  nicht.  Von  Petersens  Gründen  haben  sich  zwar 
mehrere  als  nicht  stichhaltig  erwiesen,  aber  Herod.  VIII  55 
spricht  nicht  von  einem  eben  angefangenen  Tempel  des  Erechtheus, 
sondern ,  da  eine  entgegenstehende  Angabe  fehlt ,  so ,  daß  der 
Leser  den  Tempel  als  bereits  zur  Zeit  des  Persereinfalls  be- 
stehend annehmen  muß.  ^Egsxd-^og  nv/uvo^  d6f.iog,  wohin  sich 
Athena  Od.  r]  81  zurückzieht,  war,  wie  jetzt  wohl  allgemein  zu- 
gestanden wird,  ein  Tempel,  der  auch  der  Athena  heilig  war,  aber 
das  gilt  auch  vom  Erechtheion ;  soll  Erechtheus  hier  nur  als  Erbauer 
bezeichnet  sein,  so  muß  er  von  Athenas  tiUov  vrjog,  in  dem  der 
kleine  Erechtheus  aufwächst,  verschieden  gewesen  sein,  meinte  aber 
der  Dichter ,  daß  Erechtheus  hier  einen  Kult  hatte ,   so  befremdet, 


328  Heiligtümer  der  Akropolis. 

daß  er  den  Tempel  nicht  nach  der  Göttin ,  sondern  nach  einem 
neben  ihr  stehenden  Heros  nennt.  Ist  dies  auch  nicht  geradezu 
entscheidend,  so  erregt  es  doch  zusammen  mit  dem  Zeugnis  Herodots 
Zweifel  an  der  Annahme  nur  eines  einzigen  alten  Burgtempels.  — 
Über  den  iiltesten  Kult  des  Zeus  und  der  Ge,  für  die  später  wahr- 
scheinlich Dione  eingetreten  sein  soll ,  vgl.  die  Vermutungen  von 
Cook,  Class.  Rev.  XX,  1906,  370  f. 

Die  Ahllänge  der  Burg.  Vollgraff,  Mnemos.  XXXVI, 
1908,  211  f.  meint,  daß  Limnal  am  Südabhang  der  Akropolis 
beim  alten  Dionysosheüigtum  lag,  dagegen  das  Lenaion  am  Areopag 
an  der  von  Dörpfeld  ausgegrabenen  Stelle;  vgl.  o.  {CXXXVII, 
1908,  JeS/f-y  —  Ber  Tempel  der  Themis  bei  Paus.  I  22,  1  ist 
nach  Robert,  Pausanias  als  Schriftsteller  204  fif.  gleich  dem  der 
Aphrodite  i(f  'l/tTioXvTf^)  (die  demnach  von  der  Ilävdrjiitog ,  Paus. 
I  22,  3  zu  trennen  ist) ;  neben  dieser  stand,  wie  in  Rhamnus  und 
Epidauros  (Paus.  II  27,  5)  Themis.  Der  Tempel  fiel  nach  Robert 
dem  Odeion  des  Herodes  Atticus  zum  Opfer.  —  Dsls  Eleusinion 
sucht  Bersakis,  f(f.  ctQX-  1912,  43  ff.  auf  der  Südseite  der  Burg, 
■wo  es  sich  vom  Tor  des  Eumenes  ursprünglich  westlich  bis  über  das 
Odeion  hinaus  erstreckt  haben  soll.  Später  fand  hier  Asklepios  zuerst 
Unterkunft:  daher  wurde  später  ein  Teil  vom  Eleusinion  zum  Bau  des 
Asklepieion  verwendet.  —  Über  dieses  vgl.  Arabantinos  ,^axXT;- 
Ttibg  y.al  'via/lrjcitla  25  ff.  —  Die  Lage  des  Agraulion  behandelt 
Ch.  Well  er,  Amer.  Journ.  Phil.  XII,  1908,  68  f.  Die  Gattin  des  Basi- 
leus,  die  sich  im  BuJcolcion  mit  Dionysos  an  den  Anthesterien  ver- 
mählte, vertrat  nach  Pascal,  Dioniso  99  ff.  nicht  eine  Göttin,  sondern 
die  athenische  Gemeinde.  Das  Bukoleion  setzt  E.  Petersen, 
Rh.  Mus.  LXVni,  1913,  239  ff.  dem  Gutshof  des  Basileus  gleich 
und  vermutet,  daß  es  im  Südosten  der  Akropolis,  nahe  dem  älteren 
Dionysostempel  lag.  Hier  soll  der  Gutsherr  mit  seinen  Knechten, 
den  ßovv.oXoL,  gewaltet  haben,  während  das  daneben  gelegene  Frauen- 
haus der  Sitz  der  Basilinna  und  der  14  Ehrendamen  war.  Das 
Ganze  führte  nach  Petersen  später  den  Namen  Dionysion ,  der 
ursprünglich  vielleicht  nur  einen  Teil  bezeichnet. 

Das  übrige  Athen.  Über  die  Heiligtümer  am  Markt 
s.  Robert,  Paus,  als  Schriftsteller  309  ff.  und  dagegen  Robinson, 
Amer.  Journ.  Phil.  XXXI,  1910,  221  f.  —  Für  das  Wesen  der 
Meter  ist  nicht  unwichtig  die  Feststellung  Wilhelms,  Beiträge 
zur  griech.  Inschriftenkunde  230  ff.,  daß  das  athenische  Archiv  sich 
seit  alter  Zeit,  nicht  erst,  wie  v.  Wilamowitz  glaubte,  seit  dem 
■x.  Jh.    im  Metroon    befand   und    daß    im  Buleuterion  nur  Papyrus- 


Athenische  Heiligtümer.  329 

Urkunden  niedergelegt  wurden  (237).  —  Die  Aphrodite  ^yeuovij  xoT 
dtjfiov  (JG  II  5,  Suppl.  no.  1161 'i)  ist  nach  Robert,  Paus,  als 
Schriftsteller  338  f.,  die  alte  Ovgavia,  die  den  neuen  Kult  des  Demos 
und  der  Charites  aufsog,  als  diese  bei  ihrem  Tempel  (dem  „Theseion"  ?) 
ein  Heiligtum  erhielten.  —  Frickenhaus,  Ath.  Mitt.  XXXVI, 
1911,  112  ff.  bestreitet,  daß  das  von  Dörpfeld  ausgegrabene  Heilig- 
tum zwischen  Pnyx  und  Areopag ,  das  des  Dion^-sos  tv  yti(.ivaig 
gewesen  sei,  das  nach  der  Rede  gegen  Neaira  (Demosth.  LIX) 
{5  76  nur  am  12.  Anthesterion  geöffnet  wurde,  während  die  Kelter 
der  von  Dörpfeld  gefundenen  Kultstätte  dem  Gebrauch  diente. 
Diese  hält  Frickenhaus  vielmehr  für  das  Herakleion  h  MeIltTj^ 
das  kein  Tempel,  sondern  nur  ein  Heroon  nach  Art  der  von  Paus, 
II  7,  2  beschriebenen  sikyonischen  Gräber,  d.  h.  ein  sich  auf  einem 
stufenförmigen  Unterbau  erhebender,  von  4  Säulen  getragener  Bau 
irewesen  sei,  wie  ihn  Reliefs  und  Vasenbilder  des  5.  und  4.  Jhs.  oft- 
mals  und  zwar  einmal  mit  der  Aufschrift  '//^a/cAiog  ^^Xe^iKaxOf 
d.  h.  eben  mit  der  Epiklesis  darstellen,  die  Herakles  in  Melite 
hatte.  —  William  Scott  Ferguson,  The  Athenian  Pythais,. 
Klio  IX,  1909,  304  ff.  sucht  die  Unregelmäßigkeiten  in  der  Sen- 
dung der  Pythais  zu  erklären ,  die  sich  bei  Colins  Ansätzen  er- 
geben. —  Das  Heiligtum  der  Demeter  und  Köre  in  Agrai  muß 
nach  Roden waldt,  Ath.  Mitt.  XXXVII,  1912,  148  wegen  des 
Berliner  „Wäschereliefs"  (ca.  350  v.  Chr.)  in  nächster  Nähe  der 
Kalirroe ,  wahrscheinlich  an  der  Stelle  der  heutigen  Kirche  Hagia 
Photini  gelegen  haben ;  es  hieß  auch  Metroon  und  diente  für  die 
kleinen  Mysterien.  Ebendort  hatte  (141  ff.)  Pan  ein  Heüigtum  im 
Gebiete  der  gleich  ihm  mit  dem  Marathonsiege  verknüpften  Artemis 
.AyqoxtQa-  —  Neun  wahrscheinlich  aus  dem  Nymphaion  am  Ke- 
phisos  stammende  Inschriften,  darunter  eine,  die  zahlreiche  Götter 
wie  Hestia,  Kephisos,  ApoUon  IIvd^Log.  Artemis  uioxia,  Ileithyia, 
Acheloos,  Kallirroe ,  Geraistai  Nymphai  Genethliai ,  Rhapso  nennt, 
veröffentlicht  Stais,  E(p,  aqx-  1909,  239  ff.  —  Über  den  Kolonos 
Hippios  spricht  ausführlich  Svoronos,  Ath.  Nation. -Mus. 
I  386  ff.  Hervorgehoben  werden  die  eigentümlichen  Beziehungen 
zum  Areopag;  wie  schon  v.  Wilamowitz ,  Aus  Kydath.  103  vom 
Oidipusgrab  vermutet  hatte,  nimmt  Svoronos  auch  von  den  übrigen 
übereinstimmenden  Heüigtümem  an,  daß  sie  unter  den  Peisistratiden 
vom  Areshügel  nach  dem  Kolonos  übertragen  wurden.  —  Über  den 
Thorikischen  Stein ,  die  eherne  Schwelle ,  den  Birnbaum  und  die 
Theseussage  vom  Kolonos  s.  Arch.  f.  Religionswiss.  XV,  1912, 
359  ff.  —  Ein  xdofxa  auf  dem  Kolonos  bestreitet  Robert,  Oidip., 


330  Kolonos  Hippios.    Eleuais. 

Berliu  1915,  I  29.  Ebd.  25  ff.  wird  x^ovog  r/^ffJe  x«^w/tdviOi'^  oöog 
igeiGfi'  '^4V^t]V(Zp  bei  Soph.  OK  57  f.  auf  den  ganzen  Kolonos  mit 
seinen  Erzschätzen  (s.  Seh.  z.  d.  St.),  wegen  deren  auch  Prometheus 
\ind  später  Hephaistos  dort  einen  Kult  gehabt  habe,  bezogen ;  dieser 
soll  als  „Schwelle  von  Athen'",  als  „Bollwerk  des  Landes"  be- 
zeichnet worden  sein.  Dagegen  denkt  E-obert  I  582  bei  dem 
■AaTaQQd/.iijg  odög  (ebd.  1590)  an  eine  einzelne  abschüssige  Stelle 
an  dem  süd-  oder  nordöstlichen  Teil  des  Kolonos ,  die  auf  der  im 
Nordwesten  des  Hügels  angenommenen  Bühne  nicht  sichtbar  war. 
Der  Poseidonaltar  und  folglich  auch  die  Akademie  lagen  nach 
Robert  da,  wo  sie  vor  Svoronos  immer  angesetzt  wurden,  südlich 
oder  südwestlich  vom  Kolonos,  sonst  hätten  Polyneikes  und  Theseus, 
äIs  er  mit  seinem  Heer  zurückkehrt,  die  Orchestra  passieren  müssen. 
Den  Namen  von  Elcusis  bringt  fde  Saussure,  Melanges 
Nicole  1905,  S.  509  zweifelnd  mit  aXiio  in  Verbindung,  deutet  also 
Eleusis  als  .,Mühlberg",  was,  wenn  es  richtig  wäre,  auch  religions- 
geschichtlich wichtig  sein  würde.  —  Ebd.  S.  531  handelt  f  Tsuntas 
über  die  Opferstöcke  und  die  von  ihnen  zu  unterscheidenden  eigent- 
lichen (yi^oacQoi  von  Eleusis.  —  fPringsheim,  Archäologische 
Beiträge  zur  Geschichte  des  eleusinischen  Kults,  Bonner  Diss.  1905 
bespricht  im  ersten  Kapitel  die  Mysterientracht :  Hierophanten  und 
Daduchen  trugen  ein  langes,  gesticktes  Armeigewand ,  oiol^i]^  das 
dem  Theaterkostüm  zwar  ähnlich  war,  aber  ihm  weder  nachgebildet 
ist ,  noch  als  Vorbild  gedient  hat ,  sondern  einfach  die  Festtracht 
der  peisistrateischen  Periode  war,  die  sich  auf  der  Bühne  und  bei  den 
Mysterienpriestern  erhalten  hat.  Die  Mysten  wai-en  bis  168  n.  Chr., 
wo  Herodes  Atticus  durch  eine  Stiftung  weiße  Festtracht  einführte, 
meist  schwarz  gekleidet  und  kennzeichneten  sich  durcli  einen 
Myrtenzweig  (14).  Im  zweiten  Kapitel  wird  die  Einweihung 
fiurjOig  (39  ff.) ,  die  früher  meistens  und  auch  jetzt  noch  bisweilen 
mit  der  Weihe  verwechselt  wird,  mit  Recht  sowohl  von  den  großen 
wie  von  den  kleinen  Mysterien  getrennt;  sie  war  nicht  an  einen 
einzigen  Ort  und  an  eine  bestimmte  Zeit  gebunden ,  konnte  viel- 
mehr sowohl  in  Eleusis  wie  in  Athen  jederzeit  stattfinden.  Prings- 
heim  hebt  zwar  28  ff.  ihre  Ähnlichkeit  mit  den  Hochzeitsgebräuchen 
hervor  und  vermehrt  die  Zahl  der  Zeugnisse,  welche  die  Ehe- 
.schließung  als  fivaii'giov  oder  x(,'Kexi]  bezeichnen ,  faßt  aber  trotz- 
dem die  [uvr^aig  als  Adoption  und  leitet  sie  (41,  4)  von  der  Zeit 
her,  da  der  eleusinische  Kult  noch  ganz  Geschlechtskult  war.  Das 
folgende  Kapitel  handelt  über  die  Prozession  und  die  Cista  mystica, 
in    der    er    (52)    mit  Ammonios    einen   geflochtenen    Korb    erblickt. 


Eleusis.  331 

wälirend  die  Holzkiste  Äißcorog  heiße.  Kunstwerke  lassen  öfters 
Demeter,  nie  Persephone,  auf  der  „Kiste"  sitzen.  In  ihr  wurden 
(57),  wie  schon  Jahn  vermutet  hatte,  die  'tegd  des  lakchoszuges, 
zu  denen  aber  nicht ,  wie  in  Bakchoskulten ,  eine  heilige  Schlange 
gehörte,  von  y.iaTOcpoQOi  getragen;  ist  das  richtig,  so  ist  die  „Kiste" 
wohl  eingeführt  worden,  als  Athen  den  eleusinischen  Kult  über- 
nahm und  den  von  der  Landeshauptstadt  ausgehenden  lakchoszug 
einführte ;  so  erklärt  sich  die  Nichterwähnung  der  Kiste  im  home- 
rischen Hj-mnos.  Den  eleusinischen  Kalathos  bezweifelt  Pringsheim 
49-,  Klem.  Alex,  ttqotq.  II  21,  S.  18  P.  wird  von  alexandrinischen 
Eleusinien  gesprochen  haben,  für  die  Kallim.  h.  VI  3  den  Kalathos 
bezeugt:  dann  muß  freilich  auch  Ov.  M.  V  393  eine  hier  von  der 
eleusinischen  abweichende  Fassung  geben.  Das  vierte  Kapitel, 
„Mysterienchor"  überschrieben,  kommt  auf  die  aytXaatog  ntTQa, 
die,  wie  Pringsheim  {'oQ,  3)  mit  0.  Eubensohn  annimmt,  nicht  ein 
kleiner  Stein  gewesen  sein  kann,  und  auf  die  yjQxvoi  des  Schatz- 
verzeichnisses vom  Jahr  408/7  zu  sprechen;  die  y.iQyvoi  trennt 
er  (71)  von  den  nur  im  Kybelekult  verwendeten  Mischgefäßen, 
xtQVVj,  die  allerdings  den  von  den  Frauen  in  Eleusis  auf  dem 
Kopf  getragenen,  nach  Pringsheim  brennendes  ßäucherwerk  ent- 
haltenden Gefäßen  ähnlich  gewesen  sein  sollen.  Im  folgenden 
Kapitel  (S.  78  ff.)  sucht  der  Vf.  zu  entscheiden,  wann  der  auf 
eleusinischen  Darstellungen  erscheinende  fackeltragende  Jüngling 
lakchos  und  wann  Eubuleus  zu  nennen  sei.  Er  glaubt,  daß  der 
Typus  in  Peisistrateischer  Zeit  für  lakchos  geschaffen,  aber  später 
auf  Eubuleus  überti'agen  wurde,  der  jedoch  immer  nur  eine,  nicht^ 
wie  jener  oft,  zwei  Fackeln  trage.  Den  in  der  Nordwestecke  des 
Tempelbezirkes  gefundenen  schönen  Kopf  hält  er  mit  Kern  für 
unpraxitelisch  und  bezeichnet  ihn  als  Triptolemos  (92  ff.).  Das 
sechste  Kapitel  (101  ff.)  endlich  enthält  den  Opferkalender.  —  Das 
Jahr  1906  brachte  eine  Zusammenfassung  der  Ergebnisse  früherer 
Ausgrabungen  durch  deren  vieljährigen  Leiter  Philios,  EkEvoig, 
MvGTiJQia ,  egeiTiLa  /.al  /.lovaelov  airrjg,  Athen ,  und  im  Frühling 
dieses  Jahres  unternahm  F.  N  o  a  c  k  eine  genaue  Aufnahme  der 
NiveUierungen  in  den  verschiedenen  Bauperioden  des  Heiligtums, 
über  die  er  in  der  Julisitzung  der  Berl.  Archöol.  Sitzung  (Arch. 
Anz.  1906,  264  ff.,  Berl.  Phü.  Wschr.  XXVI,  1906,  1341  f.)  be- 
richtete. Auf  der  sich  ziemlich  scharf  nach  Osten  senkenden  Fläche 
bestand  hier  schon  im  2.  Jahrtausend  eine  von  einer  „my kenischen " 
Mauer  abgestützte  Opferstätte ,  die  im  Laufe  der  Zeit  immer  ver- 
größert  wurde ,    indem   man  die  Stützmauer  nach  Osten  vorschob ; 


332  Eleusis. 

bei  jedem  Neubau  wurde  der  Grundplan  des  frühereu  und  auch 
die  alte  Bezeichnung  festgehalten ;  der  Vortragende  glaubt  nämlich, 
daß  in  dem  späteren  Telesterion  das  alte  Herrenhaus  {(.liyaQOv^ 
cn'ä/.coQOi')  und  in  dem  Hofe,  davor,  den  der  Kultus  verlaugte,  die 
homerische  avhj  sich  erhalten  habe.  —  Die  Annahme,  daß  der  eleusi- 
nische  Dieust  in  hellenistischer  Zeit  mit  dem  Isisdienst  irgendwie 
verknüpft  gewesen  sei,  weist  Rusch,  De  Serapide  et  Iside  in 
Graecia  cultis,  Berlin,  Diss.  1906,  15  f.  als  auf  der  willkürlichen 
Ausdeutung  zweier  Inschriften  beruhend  zurück.  —  P  h  i  1  i  o  s  ,  iq^. 
agx.  1906,  207  ff.  versucht  mit  Hilfe  des  Bildes  der  Ninniou  eine 
d€utlichei-e  Vorstellung  von  dem  lakchoszug  zu  gewinnen. 

In  seiner  ausführlichen  Darstellung  der  eleusinischen  Kulte  ent- 
hält Farn  oll  (Cults  of  Greek  States  III  120  ff.)  sich  zwar  in  den 
einzelnen  strittigen  Punkten  meist  der  Entscheidung,  bekämpft  aber 
im  allgemeinen  Foucarts  Meinung,  daß  der  Hierophant  magische 
Formeln  lehrte,  durch  die  der  Myste  dem  Tode  entgehen  könne  (192), 
und  Frazers  und  Jevons'  Theorie  von  einer  sakralen  Kommunion 
(194  ff.),  der  gegenüber  er  behauptet,  daß  die  Mysterien  wohl  die 
Freundschaft  mit  der  Gottheit,  nicht  aber  eine  Einigung  mit  dieser 
versprachen.  Nicht  selten  äußert  er  Zweifel  auch  hinsichtlich 
solcher  Angaben,  die  sich  bisher  allgemeiner  Anerkennung  erfreuten. 
Aber  solche  Bedenken  entspringen  nicht  immer  schärferer  Kritik 
an  den  Zeugnissen,  sondern  bisweilen,  wie  die  Unbestimmtheit  der 
gewählten  Ausdrücke  zeigt,  nur  dem  Gefühl  der  Unsicherheit,  das 
der  Vf.  selbst  empfindet,  weil  er  fühlt,  daß  er  weder  die  ganze 
zur  Entscheidung  erforderliche  Überlieferung  noch  die  daran  an- 
knüpfende neuere  Forschung  überschaut.  So  trifft  er  denn  auch, 
wo  er  ein  eigenes  Urteil  wagt,  nicht  selten  daneben,  z.  B.  wenn 
er  aus  dem  „Erechtheus"  des  Euripides  folgert,  daß  Athen  schon  in 
vorgeschichtlicher  Zeit  sich  in  den  Besitz  von  Eleusis  gesetzt  habe, 
und  es  für  eine  phantastische  Ansicht  einiger  weniger  Schriftsteller 
erklärt,  daß  dieser  Vorgang  erst  in  solonischer  oder  peisistrateischer 
Zeit  eingetreten  sei  (154)  oder  wenn  er  annimmt  (134  f.),  daß  der 
homerische  Hymnos  Züge  dem  Thesmophorienritual  entlehnt  habe. 
Den  Angaben  christlicher  Schriftsteller  über  den  Inhalt  der  öqvj- 
jueva,  die  Foucart  in  den  Recherches  sur  l'origina  et  la  nature  des 
mysteres  d'Eleusis  und  in  den  Grands  mysteres  d'El.  {Jahrcshcr. 
CXXXVJI,  1908,  247 f.)  verwendet  hatte,  um  ein  Bild  von  den 
m3-8ti8chen  Begehungen  zu  entwerfen,  zweifelt  Farnell  mit  Lobeck 
an,  weil  bei  ihnen  eleusinische  und  andere  Mysterien  vermischt 
seier;    das    ist    wohl  z.  T.  richtig,    aber  da  die  Heiden  schweigen 


Eleusis.  333 

müssen,  sind  diese  christlichen  Angaben  die  einzige  Quelle,  und  es 
kornndt  darauf  an,  das  Echte  von   dem  Unechten  zu  sondern.    Das 
ist  keineswegs  unmöglich ,    da  diese  späten  Zeugnisse  nicht  selten 
den  Schlüssel  zum  Verständnis,  sonst  unverständlicher  Andeutungen 
älterer  Schriftsteller  geben,   und  sich  so  beglaubigen.     Es  ist  auch 
grundsätzlich    nicht   zulässig,    eine  Angabe  über  eleusinische  Riten 
bloß  deshalb  zu  verdächtigen,  weil  diese  auch  in  andern  Mj'sterien 
bezeugt    sind.     Bei    dem   großen  Einfluß    von  Eleusis    ist    vielmehr 
zu  erwarten,  daß  die  dortigen  Zeremonien  in  andern  Geheimdiensten 
nachgeahmt  wurden.     Sonst  zeigt  Farneil  sich  viel  gläubiger.     Ohne 
Prüfung   wird    fast  alles ,   was  über  Eleusis  überliefert  ist ,    auf  die 
Mysterien    bezogen,    zu   deren  Göttern  er  z,  B.  auch  das  von  ihm 
als  Hades    und  Persephone    gedeutete    Paar    des   „Gottes"  und  der 
^Göttin"    rechnet,    obwohl    diese    in    der  Überlieferung   nichts    mit 
dem    Geheimkult    zu    tun    haben.     Die  Eleusinien    setzt  er  (131  u. 
öfter)  den  Mysterien  gleich,  ohne  die  in  neuerer  Zeit  fast  allgemein 
gebilligte  und  mindestens  in  der  Hauptsache  richtige  Annahme  auch 
nur  zu  erwähnen,  daß  jene  ein  nicht  mystisches  Agonalfest  waren. 
Gelegentlich    wird    (161)    die    Vermutung    aufgenommen,    daß    der 
Eleusinier  Aischylos  das  tragische  Kostüm  den  eleusinischen  Priestern 
entlehnte.  —  Viel  weiter  geht  in  dieser  Beziehung  A.  Dieterich. 
der  im  Arch.  f.  Religionswiss.  XI,   1908,   163  die  attische  Tragödie 
als    aus    den    ÖQc6i.i€va    von    Eleusis    hervorgegangen    zu    erweisen 
versucht.     In  demselben   Jahr  veröffentlichten    Cavaignac    seine 
Untersuchung  ,    Le    tresor    sacre    d'Eleusis    und    Ph.   E  h  r  m  a  n  n 
eine   Abhandlung,    De    iuris    sacri   interpretibus    Atticis    (RV  u.  V 
IV    3);    dieser   unterscheidet    die    i^rjyriTal   tlZv   Evf.ioX7itdiüv,    die 
von    den    alten   Königen    abstammten    und    die    religiöse    Tradition 
fortpflanzten   von   den    aus    dem    Geschlecht   der   Keryken    hervor- 
gegangenen    l^rjyr^Tal     fj^vGTrjQiiov.    —    Durch     die     Vergleichung 
australischer,    melanesischer   und    amerikanischer  Begehungen,    die 
alle   „Übergangsriten"   sein  sollen,  glaubt  A.  van  Gennep,  Rites 
de  passage  126  ff.  eleusinische  Zeremonien,  innerhalb  deren  er  aber 
die  verschiedenen    übereinander   gelagerten  Schichten    nicht  unter- 
scheidet, zu  erklären.  —  Nach  S.  Reinach,  Cultes,  mythes  relig. 
III  101    bestand    das  Mysterien   dagegen  ursprünglich  in  der  ehe- 
lichen Verbindung  des  Priesters  und  der  Priesterin,   die  Zeus  und 
Demeter   vertraten   und    durch  die  magische  Sympathie  ihrer  Ver- 
einigung die  Fruchtbarkeit  der  Erde  —  symbolisch  durch  die  Vor- 
zeigung   der    abgeschnittenen   Ähre    (Hippel,    ref.    V  8    S.  162,  57 
Du.- Sehn.)  angedeutet  —  befördern  sollten.    Diesen  otd^vg  TS&eQia- 


384  Eleusiö. 

ftivog  vergleicht  aber  ß.  Engelmanu,  Berl.  Phil.  Wocbenschr- 
XXVIII,  1908,  361  mit  einer  Zeremonie  der  römischen  Arvalbrtider, 
deren  Ritus  mit  den  OUae ,  wie  er  glaubt,  den  eleusinischen  nh]- 
liioxöcti  entspricht.  —  Über  Denkmäler,  die  sich  auf  die  Gott- 
heiten von  Eleusis  beziehen,  handelt  Ducati,  Rendi  cont.  RAL 
Vxviii  1908,  375  ff.  Der  auf  eleusinischen  Denkmälern  nicht  seltene 
6uq>al6g,  auf  dem  z.  B.  auch  die  Frau  des  Kertscher  Vasenbildes 
mit  der  Einweihung  des  Herakles  sitzen  soll,  ist  nach  Ducati  ein 
Abzeichen  der  Erdgöttin,  die  er  auch  in  der  O^ed  des  Lakrateidas- 
reliefs  erkennt  und  deren  männlicher  Partner,  der  ^eög,  Zeus  sein 
soll.  Die  andere  Seite  der  Kertscher  Pelike  stellt ,  wie  er  meint, 
die  Geburt  des  Dionysos-Iakchos  dar,  während  er  auf  der  rho- 
dischen  Hydria  Plutos'  Geburt  erkennt.  Bei  diesem  Vorgang  sollen 
N}Tnphen  zugegen  sein ,  die ,  geführt  von  Hermes ,  seiner  Ansicht 
nach  zum  eleusinischen  Kult  gehörten  und  in  diesem  bei  der  Götter- 
geburt eine  ähnliche  Bedeutung  hatten,  wie  die  Kekropiden  in  Athen 
bei  der  Geburt  des  Erichthonios  (388  ff.).  —  Svoronos  (zuletzt 
in  der  deutschen  Ausgabe  des  Athen.  Nationalmuseums  I  556)  sieht 
im  eleusininischen  &e6g  Asklepios ,  in  der  Ssd  Hygieia :  aber  der 
epidaurische  Sprachgebrauch  dieser  Wörter ,  die  doch  wenigstens 
vorübergehend  als  Hauptgottheiten  geltende  Wesen  bezeichnen 
können,  darf  für  Eleusis  nicht  maßgebend  sein.  —  Die  in  den 
Berliner  Klassikertexten  V',  1907,  S.  7  ff •  veröffentlichte  Paraphrase 
eines  orphischen,  angeblich  von  Musaios  aufgezeichneten  Gedichtes, 
das,  wie  es  scheint,  ycäd^oöog  betitelt  war  und  Kores  Raub  ähnlich 
wie  Hom.  ifiv.  5 ,  aber  unter  Einführung  z.  B.  Baubos  erzählte, 
untersucht  Malten,  Arch.  f.  Religionswiss.  XII,  1909,  417  ff.  Er 
führt  den  in  einem  Pa])yrus  des  1.  Jhs.  v.  Chr.  überlieferten  Be- 
richt, der  die  Entführung  und  die  Niederfahrt  nach  Eleusis  verlegt 
und  die  Stiftung  des  Kultus  damit  begi'ündet,  daß  Triptolemos  der 
Göttin  die  Stelle  des  Abstiegs  zeigte ,  in  der  Hauptsache  schließ- 
lich auf  ein  orphisches  Gedicht  {s.  o.  285)  des  6.  Jhs.  zurück.  — 
In  demselben  Jahr  erschienen  in  Halle  als  Beigabe  zur  Bekannt- 
machung der  akademischen  Preisbewerbung  vom  Jahre  1908  0.  Kerns 
Eleusinische  Beiträge ,  dessen  erster  Teil  sich  mit  den  ÖQiofxeva 
beschäftigt.  Wie  Dieterich  glaubt  auch  er,  daß  das  attische  Theater 
durch  sie  beeinflußt  sei ,  und  zwar  auch  die  Komödie ,  auf  die 
namentlich  die  yeqwQiOfÄol  eingewirkt  haben  sollen  (14).  Teilweis 
im  Anschluß  an  Foucart  sucht  Kern  die  einzelnen  Szenen  der  Auf- 
führung festzustellen ,  wobei  er  sich  im  ganzen  an  Noacks  Aus- 
grabungsergebnisse hält  und  mit  diesem  sich  eine  Art  Bühne  in  der 


Eleusis.  335 

Mitte  des  Telesterions  denkt,  aber  es  für  möglich  erachtet  (6),  daß 
auch  später  noch  einzelne  dgcj/Lieva  im  Freien,   nicht  weit  von  der 
Grotte  vorgeführt  wurden.     Daß  das  vTralov  die  plötzliche  Erhellung; 
des  großen  Saales  im  Weihetempel  ermöglichen  sollte,  glaubt  er  (7 ) 
mit  0.  Rubensohn.  Die  Frage  TertuUians  Cur  rapitur  sacerdos  Cereris, 
si  non  tale  Ceres  passa  est  ?  (nat.  II  7)  wird  auf  das  Irren  Demeters 
bezogen  (7).    Apollodors  Angabe  bei  Seh.  Theokr.  II  36  '^^rjvriai 
Tov  iEQOCfccvT)]v  Ttjg  '/.oQrjg  i/rrKceXoviiievr^g  t7Tr/.Q0VEiv  xo  Y.aXov(jevov 
rjxBiov  {s.  u.  S.  337)  verbindet  Kern  10  mit  der  Tj-mpanonschlägerin 
auf  dem  Yasenbild  von  Kertsch  und  auf  einer  Capuaner  Mysterien - 
vase  (Sacra  conversazioue) ,  er  meint,  daß  der  Hierophant  sich  als 
Lautenscblägerin    vei-kleidete.     Aus  2  Vasenbildem  und  aus  Klem. 
jiQOTQ.  II 15  (vgl.  seh.  Plat.  Foqy.  497  c)  wird  gefolgert,  daß  Aphrodite 
in  Eleusis  vorkam,  wie  mir  scheint,  nicht  mit  Recht;  mpQOÖioiOL  Gvu- 
jtXo'/iai  ist  nur  ein  dezenter  Ausdruck  für  die  geschlechtliche  Ver- 
einigung, und  es  ist  nicht  einmal  ganz  sicher,  daß  sich  die  Stelle  in 
Klemens'  Quelle  aiif  Eleusis  bezog.   Richtig  wird  Plutos  aus  Hom.  v^v. 
\    V  488  füi'  die  Weihestätte  erschlossen  und  auf  ihn  auch  der  BQi(.i6g 
\   in  dem  von  Hippolytos  überlieferten  Spruch  bezogen  (10).   Der  zweite 
\  Teil  der  Arbeit  (14  ff.)  bespricht  eine  Reihe  von  Sigillatavasen  aus 
I  römischer  Zeit,  die  im  ganzen  übereinstimmend,  aber  mit  Abweichungen 
im  einzelnen,  auch  in  der  Anordnung  und  Auswahl  15  Szenen  aus  dem 
Dionysoskult  darstellen,  —  In  der  Besprechung  von  Kerns  Aufsatz 
j    versucht  L.  Ziehen,    Berl.  Phil.  Wochenschr.  XXX,  1910,  1073 
'    im  Sinn  Lobecks  und  Farnells  den  Wert  der  christlichen  Angaben 
über    die    dQcaf.ieva    herabzusetzen.      Die    Aufführungen    im    Freien 
möchte    er   auf  die  älteste  Zeit  beschränken.     Daß  ein  Teil  dieser 
szenischen  Darstellung  auf  Vasenbildern  wiedergegeben  werde ,   ist 
ihm    unwahrscheinlich  und    auch  das  Zeugnis  des  Hippolytos  nicht 
so    einwandfrei,    daß    daraufhin    Plutos'    Geburt    als    ein    Teil   der 
Mysterienaufführung  angenommen  werden  könnte.  —  In  demselben 
Jahr    versuchte    Thom.    Spencer    Jerome,    Am.   Journ.  Arch, 
XIV  89  f.  zu  zeigen ,    daß  die  eleusinischen  Mysterien  die  Seelen- 
wanderung   lehrten.    —   Mit   Recht   bestreitet   Lawson,    Modern 
Greek  Folklore  562  ff",   diese  Annahme ;    er    sieht  in  den  Mysterien 
nichts   weiter   als    den   von   ihm    den  „Pelasgern"   zugeschriebenen 
Glauben  an  das  Göttlichwerden  des  Menschen  im  Jenseits.    In  dem 
neugriechischen  Osterfest  will  er  (572  ff.)  Erinnerungen  an  das  alte 
Mysterion  gefunden  haben.  —  Pascal,  Rendic.  Reale  Ist.  Lomb. 
IIxLUi,  1910,  124  ff.  (vgl.  Dioniso  193  ff.)  glaubt  aus  Aristophanes' 
ßa%qa%oi ,  der  sich  eng  an  den  Kultus  und  die  Lehre  von  Eleusia 


336  Hou.sis. 

aufgeschlossen  haben  soll,  das  Bild  beider  vervollständigen  zu  können : 
er  foli;ert  z.   B.,   daß  die  Glückseligen  und  Verdammten  dargestellt 
wurden,  —  Oikonomos,    eqp.  ccqx-  1910,    1  ff.  veröffentlicht  eine 
zwei  Jahre    vorher   auf  der  athenischen  Agora  entdeckte  Inschrift, 
welche    in    einigen    Punkten    von   der    schon   früher   bekannten   In- 
schrift des  5.  Jhs.  über  die  eleusinischen  Aparchen  (IG  I.    Suppl. 
no.    27^  ff.,    60  f.)    abweicht   und    diese    erläutert;    vgl.    A.  EU  er. 
Bonner   TJniv.-Progr.    1014;    Bannier,    Berl.    Phil.    Wochenschi'. 
XXXV.   19^5,  1230,  der  daraus  folgert,  daß  im  5.  Jh.  die  jährliche 
Zwangsabgabe  nicht  bestand,  daß  vielmehr  nur  der  Hierophant  und 
der   Daduch    ohne    rechtsverbindliche    Kraft    an    den  Mysterien  die 
Aufforderung  au  die  Gemeinde  richtete,  die  Aparche  zu  liefern.  — 
Ausführlich  handelt  über  das  Ritual  und  die  Legenden  von  Eleusis 
J.    G.    Frazer,    Spirits    of   the    Corn    and    of  the    Wild  (Golden 
.  Bough  Vi)  35  ff.     Der  homerische  Hymnos  drückt,    wie    er  meint, 
symbolisch   dieselbe  Vorstellung   aus    wie    der   von  Hippolytos    be- 
zeugte Ritus    mit    der  abgeschnittenen  Ähre ,    denn  Persephone  ist 
auch    ihm    ein  Korngeist,    ebenso  wie  Demeter.     Ihr  Gemahl  Zeus 
ist,    wie    er  jetzt  Ridgeway  gegenüber  zugibt,    vielleicht  nicht  ein 
ursprünglicher   Bestandteil    der    eleusinischen    Legende    oder   kann 
wenigstens  statt  des  Himmelsgottes  Zeus,  der  unter  den  Kultgöttern 
von   Eleusis    fehlt,    den  Unterweltsgott  bedeuten.     Die  Eleusinien, 
die    im   homerischen  H3-mnos    noch    nicht   erwähnt  sein  sollen  (70 ; 
vgl.  dagegen    v.  265  ff.),    werden    von   ihm  (77)   wegen    Seh.  Pind. 
^Ok.  IX  150    als  ein  Erntefest  gedeutet  und  schwerlich  mit  Recht 
in    den  Mai   gesetzt;    den   TcdiQiog  dyiov   bei   Dittenberger ,    SIG^ 
587,  258    möchte    er  (74)  als  ein  Wettmähen  fassen ,    das ,  wie  er 
(71)  meint,  vielleicht  den  Ausgangspunkt  der  Spiele  bildete.     Daß 
diese    nicht ,    wie    bei   einem  Erntefest  zu  erwarten  wäre ,   jährlich 
gefeiert  wurden,  erklärt  er  (79  ff.)  aus  der  Sitte,  Spielfeste  in  ennae- 
terischen  Zeiträumen  zu  wiederholen.  —  In  demselben  Jahr  erschien 
Foucarts  Aufsatz,  Les  drames  sacres  d'Eleusis,  Comptes  rendus 
AIBL  1912,  123  ff.    Wie  schon  1895  in  den  Untersuchungen  über 
Ursprung    und  Wesen    der   eleusinischen  Mysterien  hebt  er  neben 
der  Darstellung  des  Koreraubes  als  wichtigen  Teil  des  Weihespiels ' 
die  Ehe   des  Zeus  mit  Demeter  hervor,    die  zu  feiern  den  Mysten 
zweiten  Grades,   wie  er  meint,    vorbehalten  war.     Sehr  mit  Recht 
wird    betont,    daß   die  Feier  nicht  erbauen  sollte  (130  ff.),    obwohl 
sie    auf  den  Gläubigen  eine  derartige  Wirkung  hervorbrachte ,    daß 
sie    aber   noch   weniger   als  Darstellung   des  mythischen  Vorgangs 
betrachtet  wurde,    daß  dieser  vielmehr  nach  der  Meinung  der  Ge- 


Eleusis.  387 

weiliten    tatsächlich   unedcrliolt   wurde ,    weil    der  Segen ,    den  man 
sich  von  ihm  versprach,  nur  als  ein  Jahr  dauernd  betrachtet  wurde. 
Zwischen    den    weit    auseinanderstrebenden    Ergebnissen    Foucarts 
und   Frazers    sucht  Loisy,    Rev.    Hist.    et   litter.   relig.    n.  s.  IV, 
1913,  193  fF.  zu  entscheiden;  er  neigt  sich  mehr  auf  die  Seite  seines 
Landmanns,  dessen  Versuch,  die  Weihen  aus  Ägypten  herzuleiten, 
er  jedoch  nicht  als  gelungen  erachtet.    An  dem  ursprünglich  agrari- 
schen Charakter  des  Weihefestes  hält  auch  er  fest :  die  heilige  Ehe 
soll  ursprünglich   zwischen  dem  Vater  und  der  Mutter  des  Kornes 
vollzogen  sein ,  die,  wie  er  meint ,    nie  ganz  mit  Himmel  und  Erde 
ausgeglichen  wurden.    Daß  die  Mysterien  auf  die  alten  agrarischen 
Riten  damals  aufgepfropft  wurden,  als  Dionysos  zu  Demeter  hinzu- 
trat  (224) ,    ist    eine  m.  E.  nicht  glückliche  Vermutung.     Auch  im 
einzelnen    scheinen    mir  Loisys  Vorstellungen   von  den  mystischen 
ÖQCofXEva  anfechtbar.     Er  hält  nicht  genügend  auseinander  die  Ehe, 
die    der  Myste    bei  der  Einweihung  mit  der  Todesgottheit  eingeht, 
und   die  Vermählung   der  beiden  Gottheiten ,    die  bei  der  Epopteia 
vollzogen  wird  und  aus  welcher  der  Heiland  hervorgeht.    Mit  Fou- 
cart  deutet  er  (209)  die  o.  {S.  335}  angeführten  Worte  Apollodors  bei 
Seh.  Theokr.  II  36  als  le  gong  de  Gore  appelant  au  secours ;  aber 
wahrscheinlich   ist   das  Partizip   hier  passivisch  zu  fassen ,   jedoch 
nicht   im    Sinn   Farnells    (Das    sogenannte  Gong  der  mit  Namen 
angerufenen   Köre),    sondern    als    Genet.  absolut,  (der  „Hierophant 
schlägt  das  Echeion,  während  Persephone,  die  Todesgöttin,  herauf- 
beschworen wird");    und  jedenfalls    irrig   ist    Loisys  Vermutung, 
das  Echeion   habe    „Hilferuf  Kores"   geheißen,    weü  das  mystische 
Drama   mit   dem   Raub  Kores    begann.     Aus  Hippol.'  {(fiXoo.  V  8, 
S.  162,  57)    Worten    Xtyovot  .  .  .LdO^r^raloi  .  .  .  iv  aico/ifj  zei^eQia- 
[xivov  otdyvv   liest    er  (215,  1)    heraus;    „die  Athener  nennen  den 
Attis    (d.  h.  den   mit   ihm  ausgeglichenen  Heiland)    die  schweigend 
abgeschnittene  Ähre".     Der  Sinn   ist  vielmehr:    die  Naassener  er- 
kennen den  av 9^ Q(x)7tog  sowohl  in  dem  yXoEQog  ozdyvg  der  Phryger 
wie    in    dem   TEdsQtGfiarog   ara%i"g,    der,    wie  es  scheint,    mit  den 
Worten  ibqov  iTExe  nözvia  y.ovqov  BQif-icu  Bqi/uov  vom  Hierophanten 
den  Epopten    gezeigt   wird    und   den  die  Naassener  dem  7iciqd  xov 
axccQayizrjQiazov  q>coOTiJQ  riXeiog  fiiyag  gleichstellen.  —  Die  Mythen 
von    der    thrakischen  Herkunft  des  Eumolpos  scheint  Calderon, 
Act.  IV  Congr.  internat.  d'hist.  des  relig.  127  als  Beweis  für  den 
thrakischen  Ursprung  der  eleusinischen  Weihen  anzusehen ,    da  er 
mit   diesen   gewisse  Feste    der  heutigen  Slawen  vergleicht,    die  er 
für   die  nächsten  Verwandten  der  alten  Thraker  hält.  —  Über  die 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  186  (Snpplementbanrt).  22 


338  Eleusis. 

eleusinischen  cpgeaca  s.  Cornford,  Ess.  and  Studies  preseut.  to 
Ridgewa}-  1913,  S.  161  f.,  der  unter  Vergleichung  der  kölschen 
Burinaquelle  (Theokr.  elö.  VII  5)  vermutet,  daß  einer  der  Brunnen 
.iurch  die  ayeXaoiog  nerga  gedeckt  war.  —  Paul  Foucart  fsdt 
in  dem  großen  Werk  Les  mysteres  d'Eleusis ,  Paris  1914  in  end- 
gültiger, vielfach  berichtigter  Fassung  seine  früheren  Untersuchungen 
über  Eleusis  zusammen.  Der  erste  Teil  des  Werkes,  das  der  Vf.  seinem 
Sohn ,  dem  Agj-ptologen  George  F.  gewidmet  hat ,  behandelt  den 
äg\-ptischen  Ursprung  der  Mj^sterien.  Um  1500  v.  Chr.  sollen  ägyp- 
tische Flüchtlinge  in  Argos  ein  Reich  gegründet  haben.  Sie  brachten 
Getreide  und  Weinbau  und  deren  Schutzgottheiten,  Isis  und  Osiris, 
mit,  die  in  Griechenland  unter  den  Namen  Hera  oder  Demeter  und 
Dionysos  verehrt  und  von  Argos  aus  vor  der  ionischen  Wanderung, 
wie  aus  ihrem  Auftreten  in  lonien  geschlossen  wird ,  nach  Eleusis 
übertragen  wurden.  Ihr  Kult  war  nach  Foucart  ursprünglich  rein 
agrarisch;  erst  im.  7./6.  Jh.  sollen  griechische  Weise  die  eschato- 
logischen  Lehren  der  Ägypter  auf  ihren  Reisen  kennengelernt  und 
mit  den  urverwandten  Vorstellungen  des  eleusinischen  Kults  ver- 
bunden haben.  Die  Mythen  und  die  aus  ihnen  geschöpften  An- 
gaben der  alten  Geschichtschreiber,  auf  die  Foucart  sich  stützt, 
sind  wertlos.  Ähnlichkeiten  der  ägyptischen  und  eleusinischen  Vor- 
stellungen bestehen  zwar  und  nötigen  zur  Annahme  eines  gewissen 
geschichtlichen  Zusammenhangs,  sie  sind  aber  nicht  größer  als  über- 
haupt die  der  ältesten  griechischen  Kulte,  zu  denen  Foucart  mit  Recht 
den  Kern  der  eleusinischen  Gottesdienste  rechnet,  und  der  orienta- 
lischen, auch  der  ägyptischen,  und  rechtfertigen  daher  die  Annahme 
einer  über  Argos  gehenden  besonderen  ägyptischen  oder  ägyptische 
Kultur  mitbringenden  Besiedelung  von  Eleusis  nicht.  —  Im  zweiten 
Teil  seines  Buches  spricht  Foucart  (141  ff.)  über  das  eleusinische 
Priestertum  und  (340  ff.)  über  die  Orte,  an  denen  der  Kult  stattfand ; 
im  dritten,  wächtigsten  über  die  Riten,  die  er  in  ÖQWueva,  deiY.vv[.itva 
und  Keyä^^va  einteilt.  Wie  schon  früher  hebt  er  mit  Recht  hervor 
(355),  daß  die  liturgischen  Dramen  älter  sind  als  die  Weihen.  Er  nimmt 
ihrer  zwei  an ,  die  er  auf  zwei  Mysteriennächte  verteilt :  in  der 
des  21.  Boedromion,  bei  der  Einweihung  (fivijOLg),  die  er,  obwohl 
schon  Pringsheim  die  entgegenstehende  Überlieferung  hervorgehoben 
hatte,  zu  den  großen  Mysterien  rechnet,  sollen  Demeter  und  Köre, 
in  der  folgenden  Nacht,  an  deren  Feier  nur  die  Epoptai  teilnahmen, 
Demeter  und  Zeus  im  Mittelpunkt  des  Dramas  gestanden  haben. 
Außerdem  sahen  aber  die  Epoptai  nach  Foucart  444  ff.  die  Leiden 
und    den  Triumph  des  Dionysos,    der  an  die  Stelle  des  alten  i^Eog 


Eleusis.  339 

getreten  war,  und  als  dessen  Symbol  der  zed^egiafiivog  ardyvg  galt. 
Im  ganzen  ist  dieser  Teil  von  Foucarts  Werk  wie  der  umfang- 
reichste so  auch  der  wichtigste ;  zwar  sind  viele  Einzelheiten  zu 
berichtigen ,  aber  es  bleibt  das  große  Verdienst  des  französischen 
Forschers ,  daß  er  nachdrücklich  wieder  auf  die  lange  vernach- 
lässigten Angaben  der  christlichen  und  spätheidnischen  Schriftsteller 
hingewiesen,  als  erster  aus  ihnen  ein  zusammenhängendes  und  der 
Wahrheit  schon  ungefähr  nahe  kommendes  Bild  gewonnen  und  so 
der  bloß  negativen  Kritik  Lobecks ,  dem  er  freilich  weder  in  der 
Beherrschung  des  Stoffes  noch  in  der  klaren  Durchführung  des 
einmal  als  richtig  erkannten  Gedankens  gleichkommt,  den  Boden 
entzogen  hat.  Seine  ägyptischen  Lieblingstheorien,  die  sich  wenigstens 
in  dem  Umfang  und  in  der  Formulierung ,  die  er  ihnen  gegeben 
hat,  nicht  durchführen  lassen,  verleiten  ihn  wohl  hier  und  da  zu  Miß- 
deutungen, z.  B.  wenn  er  (311  f.)  die  Ausschließung  der  fftovi]v 
ctOvvETOL  im  Anschluß  an  eine  ägj-ptische  Lehre  daraus  erklärt,  daß 
es  beim  Vortrag  der  heiligen  Formeln  nicht  allein  auf  den  richtigen 
Wortlaut,  sondern  auch  auf  die  richtige  Modulation  ankam;  aber 
im  ganzen  folgt  er  doch  den  Wegen ,  welche  die  Überlieferung 
namentlich  die  Lobeck  großenteils  noch  verschlossene  epigraphische 
weist.  —  Die  ägyptischen  Elemente  der  eleusinischen  Dienste  er- 
kennt Haury,  Das  eleusische  Fest  ursprünglich  identisch  mit  dem 
Laubhüttenfest  der  Juden,  München  1914,  an,  für  die  Vermittler 
hält  er  aber  Juden ;  in  einer  Zeit ,  da  sie  sich  in  Agj^pten  noch 
nicht  zum  Monotheismus  durchgerungen  hatten,  sollen  sie  sich  zu- 
nächst in  der  damals  ionischen  Peloponnes  festgesetzt  und  das 
Volk  wie  sich  selbst  in  12  Stämme  geteilt  haben.  Sie  wurden 
zwar  später  von  den  Griechen  aufgesogen,  aber  ihre  Gedanken  sollen 
sich  u.  a.  auch  in  den  Mysterien  von  Eleusis  erhalten  haben,  die 
wie  das  Laubhüttenfest  ein  Erntedankfest  waren,  zur  selben  Zeit 
wie  dieses  gefeiert  wurden  und  gleich  diesem  die  Erlösung  von 
dem  Schauen  der  Gottheit  herleiteten.  Es  gelingt  dem  Verfasser 
neben  manchem  Irrtümlichen  auch  eine  Reihe  wirklicher  Überein- 
stimmungen vorzubringen,  aber  er  würde  schwerlich  auf  sie  gebaut 
haben,  wenn  er  die  weite  Verbreitung  dieser  Vorstellungen  inner- 
halb der  antiken  Kultur  gekannt  hätte.  —  Gegen  Foucarts  Her- 
leitung der  eleusinischen  Kulte  aus  Ägypten  erhebt  Patroni, 
Atene  e  Roma  XVII,  1914,  874  ff.  Einspruch.  —  Mit  Hufe  der 
„Basis  von  Sorrent"  versucht  Svoronos,  Journ.  intern,  d'archeol. 
numism.  XVI,  1914,  160  ff. ,  neuen  Aufschluß  über  die  Kulte  von 
Eleusis   zu   gewinnen.     Diese  Basis    soll   die  Demeter  ^viyÜMOTog^ 

22* 


340  Eleusis. 

eiu  Werk  des  Praxiteles  für  Megara  (Paus.  I  44,  2,  wo  Jt]iö  oder 
Jiotiü  für  udV/tLo  zu  schreiben  sei),  getragen  haben,  von  dem  sich 
App.  Claudius,  Pompeius'  Freund,  mit  dessen  Hilfe  eine  Kopie  ver- 
schaö'te,  die  er  dann  au  einen  andern  Freund  des  Pompeius,  Vedius 
Pollio ,  zur  Aufstellung  in  der  Grotte  des  navallvTro^  (vgl.  den 
Namen  l4yt?MOTog)  verkaufte.  Auf  der  Basis  sollen  u.  a.  auch 
Plutos  (S.  178)  und  lambe  (184)  dargestellt  gewesen  sein.  Das 
allgemein  für  das  Telesterion  gehaltene  Hauptgebäude  am  Ost- 
abhauge  des  eleusinischen  Burgberges  hält  Svoronos  vielmehr  für 
einen  Demetertempel.  Das  (fQtaQ  FlaQ&eviov,  Ka)J.iyooov  mid^'^vO-iov 
bezeichneten,  wie  er  meint,  denselbeu  auf  dem  Wege  nach  Eleusis 
belegenen  Brunnen. — Nach  Koerte,  Arch.  f.  Religionswiss.  XVIII, 
1915,  116  ff.  ist  der  von  Brimo  geborene  Brimos  der  Myste ,  der 
durch  die  Berührung  der  /.zeig  der  Erdmutter  deren  Kind  geworden 
sei.  Daß  sich  der  Geweihte  als  Sohn  seiner  Gottheit  fühlt,  ist 
eine  an  sich  nicht  unwahrscheinliche  und  auch  in  andern  Mysterien, 
wie  es  scheint ,  begegnende  Vorstellung ,  aber  das  Anfassen  eines 
in  einem  Korbe  getragenen  Abbildes  der  weiblichen  Scham  scheint 
mir  eher  auf  eine  sjTnbolische  Vermählung  als  auf  eine  Adoption 
zu  weisen.  —  Am  28.  11.  191G  sprach  der  Schreiber  dieser  Zeilen 
in  der  ßeligionswissenschaftlichen  Vereinigung  zu  Berlin  über  die 
eleusinischen  Mysterien;  vgl.  DLZ  1917  49  f.  Da  die  Verletzung 
des  die  Weihen  umgebenden  Geheimnisses  auf  das  strengste  be- 
straft wurde ,  sind  deutliche  Angaben  über  sie  erst  bei  Christen 
und  erst  in  einer  Zeit  zu  erwarten,  als  das  Heidentum  nicht  mehr 
imstande  war,  seine  heiligsten  Dienste  zu  schützen;  was  ältere 
Schriftsteller  über  Eleusis,  insbesondere  über  Kores  Raub  berichten, 
kann  sich  überhaupt  nicht  auf  die  Geheimweihen  beziehen.  In- 
dessen spielen  sie  doch  öfters,  den  Eingeweihten  verständlich,  auf 
diese  an,  und  dadurch  gewinnen  die  Angaben  der  Christen,  welche 
solchen  versteckten  Hinweisen  Inhalt  verleihen,  wenigstens  teilweis 
den  Wert  unanfechtbarer  Zeugnisse.  Die  Mysterienlaufbahn  um- 
schloß seit  der  Vereinigung  von  Eleusis  und  Athen  drei  Stufen. 
Nach  der  Einweihung,  die  in  Athen  oder  Eleusis  stattfinden  konnte 
und  an  keines  der  Weihefeste  gebunden  war,  und  nach  der  Feier 
der  kleinen  Mysterien  in  Agrai,  die  ursprünglich  mit  den  eleusini- 
schen Mysterien  nichts  zu  tun  hatte,  aber  als  Vorbedingung  für 
die  Aufnahme  in  diese  gefordert  wurde,  damit  das  athenische  Fest 
durch  das  eleusinische  nicht  in  Vergessenheit  geriete,  jedoch  eben 
dieser  Bestimmung  wegen  als  niedere  Weihe  galt,  erreichten  die 
männlichen    Mitglieder    der    Gemeinde    den    zweiten ,    ursprünglich 


Eleusis.  341 

ersten  Grad  der  Weüie  in  der  heiligen  Nacht  des  Boedromion  durch 
das  Sakrament  der  Vermählung  mit  der  Todesgöttin ,  d.  h.  durch 
einen  symbolischen  Tod.  Das  Symbol,  durch  das  die  Frauen  sich 
weihten,  ist  nicht  bekannt.  Drei  Monat  später  fand  das  Haloeu- 
fest  statt,  an  dem  die  gewaltsame  Ehe  der  Erdgöttin  mit  dem 
Himmelsgott  auf  dreimal  gewendeter  aXiog.,  ursprünglich  vermutlich 
auch  TQLmöXmog  und  daher  später  aXüjg  TQiJtioXefiov  genannt, 
durch  den  Hierophanten  und  die  Demeterpriesterin  erneuert  wurde. 
Wahrscheinhch  seit  Pheidon,  der  sich  der  Kultstätte  bemächtigt 
zu  haben  scheint ,  wurde  der  Überwältiger  der  Göttin  dem  Zeus 
und  sie  selbst  der  Demeter  gleichgestellt ;  ursprünglich  führte  aber 
der  Himmelsgott  hier  den  wahrscheinlich  vorgriechischen  Namen 
Poseidon,  und  der  mystische  Name  der  Erdgöttin  ist  bis  ins  späteste 
Altertum  Eleutho  „Hervorbringerin"  gewesen;  nach  ihr  nannten  die 
Griechen  die  Kultstätte ,  die  vorher  Saisar(i)a  (Hesych.  s.  v.)  ge- 
heißen hatte,  Eleusis.  Es  hatte  sich  iirsprünglich  um  einen  für  zahl- 
reiche andere  griechische  Kultstätten  und  auch  für  andere  Länder 
zu  erschliel3 enden  Zauber  gehandelt ,  bei  dem  zum  Schutze  gegen 
den  gefähi-Iichsten  Feind  des  griechischen  Landbaus,  die  Dürre,  der 
Dämon  des  Regens  und  Segens  ex'zeugt  wurde.  Die  Vermählung 
des  Himmels  mit  der  Erde  dachte  man  sich  im  Blitz  vollzogen-, 
die  Stelle ,  wo  der  Blitz  in  die  Erde  gefahren  war ,  hieß  Elysion, 
Enelysion  „Stätte  des  Gedeihens".  Doch  ist  schon  in  vorgeschicht- 
licher Zeit  dieser  Zauber  zu  einem  regelmäßigen  Fest  ausgestaltet 
und  der  erhoffte  Segen  auch  auf  das  bessere  Los  im  Jenseits,  an 
der  ebenfalls  Etysion  genannten  Stätte,  bezogen  worden.  Neun 
Monate  nach  der  Zeugung  des  Segensdämons  wui'de  dessen  Ge- 
burt im  Boedromion  wahrscheinlich  in  derselben  Nacht ,  in  der  in 
einem  früheren  Jahr  die  Mysten  sich  mit  der  Todesgöttin  vermählt 
hatten,  feierlich  begangen.  Diese  höchste  Weihe,  die  Epoptie,  zu 
der  nur  die  Epopten ,  d.  h.  diejenigen  zugelassen  waren ,  die  min- 
destens ein  Jahr ,  oft  aber  viele  Jahre  zuvor  den  ersten  Grad  der 
Weihe  erreicht  hatten,  wurde  nach  einem  langen  Umherirren  in 
der  Finsternis  wahrscheinlich  vor  der  Höhle  nordöstlich  vom 
Telesterion,  nicht  in  diesem  selbst  begangen;  die  Höhle  wurde  er- 
leuchtet, und  der  Hierophant  verkündete  die  Geburt  des  Heilandes, 
der  an  andern  Stellen  Plutos  hieß  und  so  oder  Pluton  auch  in 
Eleusis  genannt  werden  konnte.  Als  später  die  Gemeinde  auf  dem 
engen  Raum  vor  der  Höhle  nicht  mehr  Platz  fand  und  die  Geburts- 
feier verlegt  wurde,  erklärte  man  die  Höhle  für  die  Stätte,  wo  die 
jetzt   nach  Eleusis   verlegte  Niederfahrt    des  Hades    und    der  Köre 


342  Eleusis. 

stattgefunden  habe,  und  so  ging  der  Name  Pluton  auf  den  jetzt  im 
Plutonion  verehrten  Hades  über.  —  Gegenüber  den  zuletzt  erwähnten 
Vermutungen  verteidigte  F.  Noack  in  einem  am  27.  2.  1917  in 
derselben  Gesellschaft  gehaltenen  Vortrag  die  ältere  Ansicht,  daß 
das  eigentliche  Mysterien  im  Telesterion  gefeiert  sei,  weil  der  kleine 
Raum  vor  der  Höhle  für  die  Aufnahme  der  Mj'steriengemeinde 
—  abgesehen  vielleicht  von  den  frühesten  Zeiten  —  nicht  aus- 
gereicht habe.  Er  ging  dann  anknüpfend  an  Dörpfelds  Unter- 
suchungen und  SLW  seine  eigenen  Aufnahmen  und  Vermessungs- 
arbeiten (ß.  0.  33 f)  auf  die  Gestalt  des  Weihetempels  ein,  der  seiner 
Ansicht  nach ,  wie  auch  Gruppe  angenommen  hatte ,  nicht  zwei 
Stockwerke,  sondern  wenigstens  in  der  Mitte  nur  zwei  übereinander- 
stehende  Säulem-eihen  und  an  den  vier  Seiten  umlaufende  Empore 
gehabt  hat.  Den  während  des  ganzen  Altertums  festgehaltenen 
Grundtypus  des  Telesterions  leitet  Noack  von  dem  Megaron,  dem 
alten  Anaktenhaus,  ab,  auf  das  er  auch  die  Bezeichnung  Anaktoron 
zurückfühi't.  Daß  es  zu  Schaustellungen  diente,  wird  namentlich 
aus  den  Stufen  gefolgert.  —  In  der  sich  an  den  Vortrag  an- 
schließenden lebhaften  Debatte  wurde  allseitig  die  Schwierigkeit 
zugegeben ,  die  in  der  Beschränktheit  des  Raumes  vor  der  Höhle 
liegt  und  die  zu  der  Annahme  nötigen  würde ,  daß  nur  ein  sehr 
kleiner  Teil  der  großen  Mysteriengemeinde  die  oberste  Stufe  der 
"Weihe  erreichte ;  es  wurde  auch  auf  die  von  beiden  Vortragenden 
bereits  angedeutete  Möglichkeit  hingewiesen ,  daß  der  Schauplatz 
verlegt  worden  sei,  als  der  Raum  nicht  mehr  ausreichte.  Zugleich 
aber  traten  in  der  Erörterung  die  Schwierigkeiten  hervor,  die  sich 
der  Benutzung  des  Weihetempels  für  die  Epoptie  entgegenstellten. 
Erstens  war  der  Raum  mit  seinen  vielen  dicken  Säulen  so  ungeeignet 
wie  möglich  für  ein  Ritual,  bei  dem  alles  darauf  ankam,  daß  alle  An- 
wesenden den  Akt  sahen ,  dann  ist  in  dem  Festsaal  kein  Raum 
für  das  mehrfach  erwähnte  Irren,  das  dem  letzten  Akte  der  Weihe 
vorhergegangen  sein  muß ;  endlich  zeigen  die  Reste  des  Telesterions 
keine  Spur  eines  Raumes  in  der  das  ÖQOJfiEvov  hätte  stattfinden 
können,  es  bliebe  also  nur  die  Annahme  übrig,  daß  eine  Art  hölzerner 
Bühne  aufgeschlagen  wurde,  die  in  dem  gewaltigen  und  nur  mit 
einem  Ausgang  versehenen  Räume  bei  dem  großen,  vor  der  Geburt 
des  Segenskindes  angezündeten  Feuer  die  Brandgefahr  auf  das 
äußerste  gesteigert  hätte.  Als  bedenklich  wurde  auch  die  Annahme 
bezeichnet,  daß  die  von  der  Mysterienstätte  gebrauchten  Ausdrücke 
Mesaron  und  Anaktoron  unmittelbar  auf  das  Megaron  der  home- 
rischen Anakten  zurückgeführt  werden  können.    Megaron  bezeichnet 


Eleusis.    Boiotien.  343 

im  attischen  Demeterkult ,  dessen  Terminologie  fiix-  Eleusis  zu- 
nächst maßgebend  sein  muß ,  die  Erdhöhle  {vgl.  0.  S.  109) ,  und 
wird  in  diesem  Sinn  auch  vom  homerischen  Hymnos  379  gebraucht ; 
Anaktoron  aber  muß,  da  das  Wort  im  Plural  auch  von  den  eleusi- 
nischen  uQa  gesagt  wird,  etwa  das  „Hochheilige"  bezeichnet 
haben.  Wenn  also  zwischen  diesen  Bezeichnungen  und  den  home- 
rischen ein  Zusammenhang  besteht ,  kann  dieser  nur  etwa  so  an- 
genommen werden,  daß  die  Fürsten  mit  einem  vielleicht  vorgriechi- 
schen Wort  die  „Heiligen",  avaycTeg,  und  ihre  Residenzen  mit  einem 
Ausdruck  genannt  wurden,  der  vorher  auch  auf  die  Höhlenheilig 
tümer  angewendet  war. 

Boiotien. 

Fast  unbekannte  boiotische  Mythen  behandeln  die  in  den 
Berliner  Klass. -Texten  Vji  19  ff.  herausgegebenen  Korinnafragmente, 
darunter  einen,  der  einen  musischen  Wettstreit  zweier  Riesen, 
Helikon  und  Kithairon  (S.  26  ff.),  einen,  der  die  Schicksale  der 
neun  Asopostöchter  (S.  30  ff.)  und  einen ,  der  die  Besitzer  des 
Ptoion  (S.  33.  68)  betrifft.  —  Den  Helikon  will  R.  Eisler, 
Philol.  LXVIII,  1909,  143  als  Weltachsenberg  erweisen.  —  Die 
t an ag rauschen  Kulte  behandelt  in  Fortsetzung  seiner  unter 
gleichem  Titel  erschienenen  Jenaer  Dissertation  vom  Jahre  1901 
Buslepp,  De  Tanagraeorum  sacris,  Progr.  Weimar  1908.  Ge- 
ordnet nach  dem  Alphabet  der  lateinischen  Namen  werden  be- 
sprochen die  Dienste  des  Amphiaraos,  Asopos,  Atlas  (und  Orion), 
der  Caesares,  der  Demeter  (und  Persephone),  Artemis,  der  großen 
Götter,  Dioskuren,  des  Eunostos,  der  Isis  (und  des  Serapis),  des  Zeus, 
der  Athena,  der  Göttermutter  (der  Satyroi  und  der  Nymphen),  des 
Narkissos,  Poseidon,  Poimandros  (und  Achilleus),  der  Themis,  Aphro- 
dite und  der  Hestia.  Die  Versuche,  einzelne  dieser  Götter  einem  der 
Volksstämme  zuzuweisen,  die  nach  der  Überlieferung  oder  nach 
Vermutungen  Neuerer  auf  dem  Gebiet  von  Tanagra  sich  festsetzten, 
scheinen  mir  nicht  geglückt.  —  In  Theben  hat  Keramopullos 
die  Reste  des  Ismenion  und  dabei  eine  mykenische  Nekropole  ent- 
deckt; vgl.  Karo,  Arch.  f.  Religionswiss.  XVI,  1913,  272.  — 
Seine  früheren  Vermutungen  über  die  7  Tore  Thebens  schränkt 
V.  Wilamowitz,  Aisch.  103  mit  Recht  ein.  Das  Epos  gab  die 
Zahl  der  Tore  und  die  4  Namen,  über  welche  die  Tradition  ein- 
hellig ist.  Drei  Tore,  das  der  Elektra,  des  Proitos  und  das  Neitische, 
hat  es  immer  gegeben-,  aber  die  7  Tore  lagen  in  der  Mauer,  welche 
die  Unterstadt  umgab,   diese   ist  jedoch  nach   v.  Wilamowitz    erst 


344  Boiotien.    Lokris. 

augelegt,  nachdem  die  Boioter  sich  an  die  Stelle  der  Kadmeioi 
gesetzt  hatten,  im  8.  Jh.  Daher  können,  wie  er  glaubt,  die  7  Tore 
in  der  Thebais.  die  vor  der  Ilias  entstand,  noch  nicht  vorgekommen 
sein.  Daß  die  7  Tore  nicht  von  der  Burg,  sondern  von  der  Unter- 
stadt zu  verstehen  sind ,  halte  auch  ich  für  sicher,  wahrscheinlich 
kam  die  Zahl  bereits  in  dem  ältesten,  für  Argos  gedichteten  Lied 
von  der  Überwindung  Thebens  vor.  Auffallenderweise  heißen  von 
den  drei  in  allen  Listen  erscheinenden,  also  mutmaßlich  zuerst  ge- 
nannten Toren  zwei,  das  Proitidische  und  Elektrische,  nach 
mythischen  Gestalten,  die  erst  die  kurze  argivische  Herrschaft  nach 
Theben  verpflanzt  zu  haben  scheint;  doch  läßt  sich  daraus  nicht 
mit  Sicherheit  folgern,  daß  diese  Namen  nicht  schon  in  der  argolischen 
Dichtung  vorkamen,  da  der  Eroberer  den  durch  seinen  Sieg  her- 
gestellten Zustand  als  den  ursprünglichen  und  rechtmäßigen  hin- 
gestellt haben  kann.  Der  Thebais  sind  m.  E.  wenigstens  die  drei 
übereinstimmenden  Namen  bereits  zuzuschreiben,  —  Der  ganze 
Göttei-kreis  vom  thessalischen  Homoleberg,  Zeus  Demeter,  Athena, 
Enyahos  war  nach  Maaß,  Üsterr.  Jahresh.  XI,  1908,  5  in  einem 
thebanischen  Bezirk  vereinigt.  Enyalios  kann  aus  Phot.  u.  Suid. 
^Ofiola'iog  Zevg,  wo  Homoloa,  die  nQOKfrjilg^  Tochter  des  Enyeus 
heißt,  als  in  diesen  Kreis  gehörig  nicht  mit  Sicherheit  erschlossen 
werden;  bei  schol.  Lykophr.  520  ist  statt  üvlaiog  'Ofxolcoig  mit 
Scheer  zu  lesen  7ti:?mi.  'OixoX(oid€g\  von  Enyeus  ist  hier  keinesfalls 
die  Rede. 

Lokris. 

W.  A.  Oldfather  Lokrika,  Philol.  LXVII,  1908,  411  ff. 
(vgl.  die  Münchener  Dissert.  Lokrika,  Sagengeschichtliche  Unter- 
suchungen, Tübingen  1909)  geht  von  dem  "Widerspruch  zwischen 
II.  B  726,  wo  Medon  die  Mannen  des  Magneten  Philoktet  an- 
führt, und  N  693  aus,  wo  er  mit  Podarkes,  dem  Bruder  des 
Protesilaos ,  dessen  Truppen  befehligt  und  in  Phylake  wohnt. 
Letzteres  soll  (S.  419)  das  Ursprüngliche  sein.  In  Hellanikos' 
Stammtafel  Lokros,  Opus,  K3'nos,  Hodoidokos,  Oileus,  Aias  sind 
(441  ff.)  zwei  Glieder  zu  viel,  weil  Patroklos  als  Sohn  von  Opus' 
Bruder  Menoitios  danach  mindestens  zwei  Geschlechter  vor  Aias 
fallen  würde.  In  den  Eoien  fehlten  nach  Oldfather  Kynos  und 
HodoidokoB.  —  Den  Dienst,  welchen  je  zwei  lohris che  Mädchen 
im  Heiligtum  der  ilischen  Athena  verrichten  mußten ,  vergleicht 
J.  Vürtheim,  der  diesen  ganzen  Kult  ausführlich  in  seinem  Buch 
De  Aiacis    origine,    cultu,    patria,   Leiden,    1907,    104  ff.  behandelt, 


Lokrißche  Mädchen.  34.% 

mit  der  Flucht  ehescheuer  Jungfrauen  zu  dem  daunischeu  Heih^- 
tum  Kassandras  (Lykophr.  1123  ff.,  Vürtheim  S.  125  ff.);  er 
meint,  die  lokrischen  Jungfrauen  hätten  sich  wie  in  Salapia  in  den 
Dienst  und  Schutz  der  Göttin  begeben,  um  der  Prostitution  zu 
entgehen,  zu  der  sie  sonst  wie  in  dem  epizephyrischen  Lokroi  ge- 
zwungen gewesen  seien.  Die  Sitte  herrschte  nach  Vürtheim  iu 
Lokris  vor  der  Aussendung  dieser  Pflanzstadt,  man  opferte  einer 
Fruchtbarkeitsgöttin  Jungfrauen,  damit  die  übrigen  verschont  blieben, 
und  erdichtete  zur  Erklärung  des  Gebrauches  die  Legende,  daC- 
die  Göttin  selbst  von  einem  wilden  erdgeborenen  Riesen  Aias  ver- 
gewaltigt worden  sei  (121  f.).  Als  die  Lokrer  nach  Ilion  aus- 
wanderten und  dort  den  Kult  dieser  Gottheit  einführten,  mußte 
das  in  der  Heimat  zurückgebliebene  Geschlecht,  das  die  Jungfrauen 
gestellt  hatte,  sie  nach  Asien  schicken  (123).  Die  Übereinstimmung 
des  Mythos  von  dem  Frevel  und  der  Strafe  des  lokrischen  Aias 
mit  dem  Ritual  wird  hervorgehoben  und  mit  Recht  angenommen 
(117),  daß  nicht  dieses  nach  jenem  eingerichtet,  vielmehr  der 
Mythos  zur  Erklärung  des  Ritus  bestimmt  gewesen  sei.  Bedenken 
aber  erregt  ein  in  der  Kette  der  Beweisführung  unentbehrliches 
Glied,  nämlich  die  Vermutung,  daß  das  in  Lokris  zurückgebliebene 
Geschlecht  seit  der  Anlage  der  Pflanzstadt  am  Hellespont  die 
Mädchen  in  diese,  nicht  mehr  an  die  heimatliche  Kultstätte  weihte : 
es  hatte  doch  schwerlich  das  Heiligtum  mitgenommen,  und  wenn 
es  doch  der  Fall  gewesen  wäre,  hätten  vermutlich  die  nach  IHon 
übergesiedelten  Genneten  die  Pflicht  gehabt,  immer  zwei  ihi-er 
Töchter  der  Göttin  zu  weihen.  —  Eine  der  Hauptstellen  für  das 
Ritual  ist  Plut.  de  sera  numinis  vindicta  12  mit  den  von  Meineke 
vermutungsweise  auf  Euphorions  Chiliaden  zurückgeführten  Versen. 
Dem  chalkidischen  Dichter  werden  z.  T.  auch  die  übrigen  Angaben 
zugeschrieben,  die  Plutarch  a.  a.  0.  über  die  lokrischen  Jung- 
frauen bringt;  allein  diese  Annahme  hält  Scheidweiler,  Euphor., 
Bonner  Diss.,  1908,  43  (vgl.  S.  53)  für  unwahrscheinlich,  glaubt 
aber,  daß  Euphorion,  auf  dessen  Zeit,  250,  die  chronologische  An- 
gabe passe,  das  Beispiel  dieser  Sühnung  angeführt  habe.  —  Ein 
in  Vitrinitsa  gefundener,  um  250  v.  Chr.  geschlossener  Vertrag 
zwischen  den  Aianteiern  und  den  Narykiern  einerseits  und  den 
Lokrern  andrerseits,  in  dem  jene  die  Sendung  der  Mädchen  über- 
nehmen, dafür  aber  wieder  als  Lokrer  anerkannt  werden,  gibt 
A.Wilhelm,  Österr.  Jahresh.  XIV,  1911,  163  ff.  Anlaß  zu  einer 
ausführlichen  Erörterung  der  Sitte,  in  der  er  die  Buße  für  einen 
sehr  alten  wirklichen  Vorgang  findet.  —  A.  Loisy,  Rev.  bist,  et 


346  Lokrische  Mädchen. 

litt,  relig.  n.  s.  II,  1911,  387  vergleicht  sie  mit  den  athenischen 
Arrepboren.  —  Nach  Valeton,  Mneinos.  XL,  1912,  20  ff.  wurden 
die  Mädchen  ursprünglich  geschlachtet  und  erst  später  in  aus- 
wärtige Sklaverei  gegeben.  Erst  als  die  Neuerung  eingeführt  war, 
tlichtete  man  von  dem  Frevel  des  Aias,  das  ist  aber  schon  um  die 
Mitte  des  7.  Jhs.  geschehen.  —  Nach  Corßen,  Sokr.  I,  1913, 
185  ff.,  235  ff.  wurden  die  Mädchen  ursprünglich  nicht  zur  Sühne 
eines  Frevels  nach  Ilion  geschickt  (247),  sondern  um  die  Eeinheit 
des  Kultus  zu  beaufsichtigen.  Der  Vf.  nimmt  nämlich  an,  daß  die 
Lokrer  in  Hissarlik  das  Heiligtum  der  Atheua  gründeten,  die  sie 
nach  ihrer  heimischen  ^Ihag  in  Physkos  'iXia  nannten.  Erst  nach- 
dem dieser  Kult  gestiftet  war,  d.  h.  wie  die  Funde  lehren,  etwa 
seit  dem  Anfang  des  7.  Jhs.,  ist  nach  Corßen  Ilion  in  Hissarlik 
gesucht  worden;  aber  ein  bloß  zufälliges  Zusammentreffen  beider 
Namen  ist  meines  Erachtens  unwahrscheinlich:  sind  die  übrigen 
Vermutungen  des  Verfassers  begründet  —  und  etwas  Richtiges 
scheinen  sie  in  der  Tat  zu  enthalten  — ,  so  ist  die  Stadt,  von 
deren  Untergang  das  Epos  si}igt,  von  den  Lokrern  gegründet  oder 
vielmehr  erobert  und  dann  umgenannt,  die  vorgefundene  Göttin 
aber  der  lokrischen  Athena  Ilias  gleichgesetzt  worden;  das  kann 
aber  vor  700  geschehen  sein,  da  das  Alter  eines  Heiligtums  nicht 
zugleich  das  des  Kultus  beweist.  Nach  Corßen  wurden  ursprünglich 
je  2  Mädchen  aus  zwei  der  100  regierenden  Häuser,  und  zwar 
jährlich  und  je  auf  1  Jahr  geschickt;  so  kennen  die  Sitte 
Ain.  Takt.  XXXI  24,  Strab.  XIII  1,  40,  S.  601,  Ail.  fr.  177  und 
Seh.  Lyk.  1141.  Nach  346  hörte  die  Sendung  auf,  und  ihr  ehe- 
maliges Bestehen  wurde  jetzt  umgedeutet  als  eine  Strafe  für  den 
Frevel  des  Aias;  weil  man  Alexanders  Zug  als  eine  nach  1000  Jahren 
eingetretene  Erneuerung  des  Troerzuges  faßte,  wurde  erdichtet,  die 
Buße  sei  überhaupt  nur  auf  1000  Jahre  festgesetzt  worden  (S.  239). 
Am  Ende  des  4.  Jhs.  wurde  aber  die  Sitte  auf  ein  delphisches 
Orakel  und  die  Entscheidung  des  Antigonos  Monophthalmos  hin 
wieder  aufgenommen ,  jedoch  so ,  daß  zwei  Mädchen  aus  den 
lokrischen  Städten  ausgelost  und  auf  Lebenszeit  nach  Ilion  ge- 
sendet wurden.  Diese  Änderung  soll  in  der  Absicht  erfolgt  sein, 
die  Mädchen  ganz  von  der  Heimat  zu  lösen  und  deren  Einfluß  auf 
den  ihschen  Kult  auszuschließen,  aber  das  ist  wenig  überzeugend, 
da  am  Ende  des  4.  Jhs.  und  lange  vorher  ein  lokrischer  Eingriff 
kaum  emsthch  zu  befürchten  war;  es  kommt  hinzu,  daß  die  von 
Corßen  angegebenen  Unterschiede  der  älteren  und  der  jüngeren 
Sitte    nicht   rein    aus    der   Überlieferung   selbst   genommen  werden 


Lokrische  Mädchen.  347 

können,  in  der  vielmehr  die  meisten  Zeugen  Züge  der  angeblich 
zu  sondernden  Gebräuche  vermischt  bieten.  Die  weiteren  Ab- 
weichungen in  der  seiner  Ansicht  nach  jüngeren  Überheferung  er- 
klärt der  Vf.  daraus,  daß  durch  die  Wiederaufnahme  der  Sendung 
ein  Widerspruch  gegen  die  Erklärung  der  Lokrer  entstanden  war, 
daß  die  lOOOjährige  Frist  nach  dem  dritten  heiligen  Krieg  ab- 
gelaufen sei.  Dieser  Anstoß  konnte  auf  zweifache  Weise  behoben 
werden,  indem  man  nämlich  entweder  die  Echtheit  des  die  Frist 
bestimmenden  Verses  bestritt  (Ail.  fr.  177;  vgl.  Tz.  Lykophr.  1159) 
oder  aber  die  Erneuerung  der  Sitte  ignorierte  (S.  198  ff.).  Nachher 
trat  nach  Corßen  eine  neue  Änderung  ein,  die  in  der  von  Wilhelm 
veröffenthchten  Inschrift  (,9.  0.)  festgesetzt  wird:  das  in  Naryka 
ansässige  Geschlecht  der  Aianteioi  übernahm  gegen  mancherlei  Ver- 
günstigungen die  Verpflichtung,  die  Mädchen  zu  stellen.  In  dieser 
Form  bestand  die  Sitte  bis  in  den  Anfang  der  christlichen  Zeit. 
Eine  Schwierigkeit  bei  diesen  scharfsinnigen,  aber  künstlichen  Kon- 
struktionen scheint  mir  darin  zu  liegen,  daß  durch  sie  eine  ein- 
leuchtende Erklärung  für  die  grausame  Behandlung  der  Mädchen 
nicht  gewonnen  wird.  Diese  ist  schon  ziemlich  früh  eingetreten, 
wenn  Haus  er,  Österr.  Jahresh.  XV,  1913,  168  ff.  in  den  i/.eTideg 
dreier  unteritalischer  Vbb.  mit  Recht  die  ersten  nach  Ilion  gesendeten 
Mädchen  Kleopatra  und  Periboia  erkennt  (dies  bestreitet  V.  Mac- 
chioro,  Neapolis  II,  1914,  254;  aber  auch  Marg.  Bieber,  Berl. 
Winkelmannprogr.,  1915,  S.  1  findet  auf  den  Vbb.  diese  Szene 
wieder)  und  mit  Grund  vermutet,  daß  hier  eine  einheimische  über 
das  epizephyi'ische  Lokroi  nach  TJnteritalien  vei'pflanzte  Sage  vor- 
liegt. —  Die  im  Vorstehenden  gegen  Corßeus  Herleitungsversuch 
hervorgetretenen  Bedenken  scheinen  Lehmann-Haupt,  Klio  XIII, 
1913,  314  f.  bestimmt  zu  haben,  der  glaubt,  daß  bei  der  Eroberung 
Troias  durch  die  Griechen  wirklich  Lokrer  gegen  die  Priesterin  und 
das  Heiligtum  einer  troischen  Gottheit,  die  schwerlich  von  Haus  aus 
als  Athena  bezeichnet  gewesen  oder  ihr  gleichwertig  gewesen  sei, 
einen  Frevel  begingen  und  dafür  in  sehr  alter  Zeit,  vor  der  Gründung 
von  Lokroi  Epizephyrioi,  vom  delphischen  Orakel  mit  der  Buße 
belegt  wurden.  Auch  diese  Lösung  der  Schwierigkeiten  befriedigt 
nicht  vollständig,  weil  zur  Zeit,  als  jene  unteritalische  Ansiedelung 
angelegt  wurde,  Delphoi  schwerlich  soweit  als  höchste  religiöse 
Autorität  anerkannt  war,  daß  es  eine  derartige  schwere  Buße  zu- 
erkennen konnte.  Hauptsächlich  aus  diesem  Grunde  schließt 
v.  Wilamowitz ,  II.  und  Homer  392,  daß  die  Sendung  der  Jung- 
frauen,   die    seiner   Ansicht    nach  von   Haus    aus    eine    Buße    war, 


34S  Lokrische  Mädchen. 

nicht  vor  dem  6.  Jh.  verfügt  sein  könne.  Er  kann  sich  auf 
(Demetrios  von  Skepsis  bei)  Strab.  XIII  1,  40,  S.  GOOf.  berufen,  der 
sagt  Tccg  öi  ^ioy.Qiöag  nefuqidrjvaL  Uegoidv  IjÖTj  XQatovvzwv  ovvißi]. 
Ausgegangen  soll  der  Gedanke  dieser  Sühne  von  dem  delphischen 
Heiligtum  sein,  das  den  Gegensatz  zwischen  den  Griechen  in 
Sigeion  und  den  Asiaten  in  Ilion  nicht  bedachte  und  nicht  voraus- 
sah, daß  die  Mädchen  von  den  griechenfeindlichen  Barbaren  mit 
Mißtrauen  empfangen  wei'den  würden.  So  kam  die  Sitte  nach 
V.  Wüamowitz  allmählich  ali,  wurde  aber  unter  Antigonos,  und  zwar 
nicht  unter  Monophthalmos,  der  über  IHon  nur  wenige  Jahre  ge- 
herrscht hat,  sondern  unter  dessen  Enkel  Gonatas,  unter  dessen 
Machtgebot  die  Lokrer  standen,  erneuert  (384).  Plut.  De  sera  num. 
vind.  12  soU  aus  Poseidonios  schöpfen,  auf  dessen  Zeit  sich  auch 
der  Ausdruck  oc  7cokvg  xqovoq  beziehe  5  daß  der  Gebrauch  bis  in  die 
Kaiserzeit  fortbestand,  ist  nach  v.  Wüamowitz  ein  naiver  Gedanke. 
Dieser  Versuch,  das  Auffallende  des  Gebrauches  aus  dessen  Gesclüchte 
zu  erklären,  beseitigt  zwar  offenbare  Anstöße  früherer  Lösungen, 
läßt  aber  die  wieder  von  Vürtheim  (.5^5)  in  diesem  Zusammen- 
hang verwerteten  Spuren  außer  acht,  dia  auf  eine  sehr  alte  lokrische 
Ansiedlung  in  Ilion  hinweisen ;  auch  ist  nicht  recht  verständlich, 
welchen  Grund  Asiaten  haben  sollten,  Griechenmädchen  so  grausam 
zu  verfolgen,  die  als  niedere  Dienerinnen  zur  Sühne  für  eine  ver- 
meintliche Schuld  zugeschickt  waren.  Schon  zur  Zeit,  da  der 
Dichter  die  Ilias  schuf,  geboten  in  Ilion  Fürsten,  die  sich  von 
einem  ursprünglich  vielleicht  in  der  Peloponnes  heimischen  und 
wahrscheinlich  von  Griechen  in  die  troische  Sage  eingeführten 
Heros ,  Anchises ,  herleiteten ;  die  Entwicklung ,  die  in  der  darauf 
folgenden  Zeit  die  Aineiassage  nahm,  weist  auch  keineswegs  auf 
ein  dauernd  feindliches  Verhältnis  Ilions  zu  den  umwohnenden 
Griechen  hin.  Die  Gottheiten  von  Ilion  wären  im  Epos  kaum  stets 
mit  griechischen  Namen  genannt  worden,  wenn  hier  nicht  schon 
dieselbe  Ausgleichung  zwischen  der  aufblühenden  und  bereits  über- 
legenen griechischen  Kultur  mit  der  barbarischen  stattgefunden 
hätte  wie  seit  dem  Ende  des  7.  Jhs.  im  lydischen  ßeich,  das  in 
seiner  Blütezeit  wahrscheinlich  auch  IHon  mitumfaßte.  Homer 
nennt  die  Stadtgöttin  weit  eher  deshalb  Athena,  weü  diese  Gleichung 
in  seiner  Zeit  allgemein  üblich  war,  als  daß  später  Homer  zuliebe 
der  Kult  der  Göttin  eingerichtet  wurde.  —  Bietet  demnach  auch 
keine  der  hier  besprochenen  Untersuchungen  eine  ganz  befriedigende 
Antwort  auf  die  sich  aufdrängenden  Fragen,  so  ist  in  ihnen  doch 
der  Weg    gewiesen,    den    die    Forschung   künftig   gehen    muß.     Im 


Lokrische  Mädchen.  349 

8.  Jii.  hatten  sich  Lokrer  auf  Hissarlik  festgesetzt  und  die  Stadt 
nach  ihrer  hierher  verpflanzten  und  vielleicht  einer  barbarischen 
Göttin  gleichgesetzten  Athena  llias  Ilion  genannt.  Zum  Dienste 
der  Göttin  wurden  zwei  vornehme  lokrische  Jungfrauen  dorthin 
geschickt.  Das  dauerte  auch  fort,  als  die  lokrische  Herrschaft  am 
Hellespont  gebrochen  war;  aber  die  neuen  Gebieter  mochten  die 
Beaufsichtigung  ihres  Heiligtums  durch  fremde  Priesterinnen  nicht,  sie 
suchten  sie  mit  Gewalt  von  dem  Heiligtum  fernzuhalten  und  zwangen 
die  Mädchen,  wenn  es  ihnen  doch  gelungen  war,  dieses  zu  er- 
reichen, zu  niederem  Dienst.  Daß  die  Sitte  trotzdem  so  lange  be- 
stand ,  ist  freilich  auffällig ,  kann  sich  aber  teils  daraus  erklären, 
daß  die  Lokrer  alte  Ansprüche,  die  sie  mit  der  Sendung  verbanden, 
nicht  aufgeben  mochten,  teils  vielleicht  auch  mit  dadurch  veranlaßt 
sein,  daß  das  delphische  Heiligtum  in  der  zweiten  Hälfte  des 
6.  Jhs.,  als  jene  romantischen  Ansprüche  inhaltslos  geworden  waren, 
bei  irgendeiner  Notlage  den  Lokrern  geraten  hatte,  als  Sühne  die 
Sendung  der  Mädchen  fortzusetzen  oder  wieder  aufzunehmen.  Dann 
würde  sich  auch  Strabons  Angabe  erklären,  daß  die  Mädchen  ge- 
schickt wurden  Tleqowv  r^ör]  '/.garoivTCüv.  Daß  die  Sendung  damals 
begann,  ist  nicht  ausdrücklich  gesagt,  aber  wahrscheinlich  gemeint : 
Strabons  Gewährsmann  lag  wahrscheinlich  ein  Orakel  vor,  in  dem 
der  Dienst  der  Lokrerinnen  geboten  und  der  persischen  HeiTschaft 
in  Ilion  irgendwie  gedacht  war.  —  Endlich  sei  hier  auf  den  Aufsatz 
von  Leaf,  Ann.  Brit.  Seh.  of  Athens  XXI,  1914/6,  S.  148  ff.  hin- 
gewiesen, der  unabhängig  von  den  meisten  deutschen  Untersuchungen 
und  ohne  Rücksicht  auf  die  in  ihnen  aufgeworfenen  Fragen  die 
von  Wilhelm  besprochene  lokrische  Inschrift  eigenartig  erklärt.  Er 
meint,  daß  sie  gerade  mit  der  Aufhehimg  der  Sitte  in  Verbindung 
steht.  Das  Orakel  in  Delphoi  habe  entschieden,  daß  die  Schuld 
abgebüßt  und  die  Aianteioi  ihrer  Strafe  quitt  seien;  sie  sollen 
nach  dieser  Abmachung  wieder  als  vollberechtigte  Mitglieder  des 
lokrischen  Verbandes  anerkannt  sein,  dafür  aber  die  Verpflichtung 
übernommen  haben,  für  den  Unterhalt  der  ungefähr  100  Mädchen 
zu  sorgen,  die  ein  Jahr  in  Hion  als  Priesterinnen  gedient  hatten 
und  bestimmungsgemäß  gezwungen  waren,  ehelos  zu  bleiben. 

Delphoi. 

Auf  Grund  der  französischen  Ausgrabungen,  deren  Ergebnisse 
ungebührlich  lange  der  Wissenschaft  vorenthalten  wurden,  ist  es 
im  Laufe  der  Berichtsperiode  gelungen,  einen  großen  Teil  der  zu- 


350  Delphoi. 

tage  gekommenen  Baureste  sicher  zu  benennen  und  damit  wichtige 
Aufklärungen  auch  über  den  Kultus  zu  gewinnen.  Die  älteren 
Arbeiten,  über  die  Hitzig  und  Blümmer  in  ihrer  Pausaniasausgabe  III 
(1910)  S.  651  Auskunft  geben,  werden  hier  nur  soweit  genannt, 
als  dort  religionsgesclüchtliche  oder  mythologische  Ergebnisse  nicht 
erwähnt  sind ,  oder  soweit  sich  an  sie  später  Untersuchungen  an- 
ireschlossen  haben,  welche  die  Bekanntschaft  mit  ihnen  voraussetzen. 
Daß  über  die  während  des  Krieges  erschienenen  französischen,  eng- 
lischen und  italienischen  Arbeiten  hier  noch  nicht  berichtet  werden 
kann,  bedeutet  eine  für  Delphoi  besonders  empfindliche  Lücke. 
Pomtow  berichtet  Berl.  Phil.  Wochenschr.  XXVI,  1905,  1165  fF. 
über  die  Ergebnisse  der  Ausgrabungen  und  die  von  ihm  bei  einer 
Reise  nach  der  Kultstätte  gezogenen  Folgerungen.  Neu  sind  u.  a. 
die  Vermutungen,  daß  das  vorher  gewöhnlich  südlich  der  Polygon-  • 
mauer  angesetzte  Heiligtum  der  Ge  und  der  Musen  dort  entweder 
überhaupt  nicht  existierte  oder  aber  erst  eine  spätere  Anlage  an 
Stelle  einer  älteren,  weiter  nördlich  auf  der  „Zwischenterrasse" 
irelegenen  Kultstätte  der  Ge  war  (vgl.  dazu  Pomtow,  Berl.  Phil. 
Wochenschr.  XXXII,  1912,  1240)  und  daß  zwischen  dem  Tempel 
der  Pronaia  und  Ergane  in  der  Marmariä  zwei  Tempel  der  ivayelg 
lagen.  —  Die  ),£v/mI  /.ogat,  die  Delphoi  beschützten,  sind  nach 
Weniger,  Arch.  f.  Rehgionsw.  X,  1907,  243  Schneejungfrauen, 
die  den  gipsbeschmierten  Titanen,  „den  Reifriesen",  entsprechen. 
Statt  auf  Naturerscheinungen  ist  m.  E.  der  Mj^thos  auf  Riten  zu 
beziehen.  —  In  demselben  Jahr  schilderte  Farn  eil,  Cults  of 
Gr.  States  IV  179  ff.  eingehend  die  Bedeutung  von  Delphoi 
für  die  griechische  Religionsgeschichte.  —  Über  die  viel  um- 
strittenen Heiligtümer  östlich  vom  Temenos  Apollons,  in  der  sog. 
Marmariä,  handelt  Poulsen,  Overs.  Danske  Vidensk.  Selsk.  Forh.» 
1908,  332  ff.  Hier  wurde  schon  im  7.  Jh.  ein  Tempel  der  Athena 
Jlgovaia^  nachher  aber  um  500  ein  neuer  Tempel  mit  Altären  der 
Athena  Ziootr^gia,  J^agyäva,  'Yyieia  und  Eileithyia  errichtet,  der 
aber  um  400  durch  ein  Erdbeben  zerstört  wurde  und  von  dem 
Paus.  X  8,  6  daher  nur  Trümmer  sah.  In  der  Tholos  westlich 
von  diesen  Ruinen  vermutet  Poulsen  372  ff.  das  Heroon  des  Phy- 
lakos,  Athena  Tlgovaia  aber  soll  später  noch  weiter  westlich  das 
von  Pausanias  beschriebene  Heiligtum  erhalten  haben.  Durch  diese 
Annahme  einer  Verlegung  des  Pronaiatempels  wird  im  voraus  ein 
Teil  der  Bedenken  Roberts,  Pausanias  als  Schriftsteller  277  ff. 
entkräftet,  der  285  diesen  großen  westlichen  Tempel  der  an  den 
Eingang  des  Stadtbezirkes,  also  nach  Osten  gehörigen  Pronaia  ab- 


Delphoi,  ;j5l 

spriclit  und  in  ihm  ein  Schatzhaus  vermutet.  Robert  weist  nämlich 
darauf  hin,  daß  sich  auf  der  Stelle  des  westlichen  Heiligtums  vor 
dem  im  4.  Jh.  errichteten  Bau  höchstens  ein  ganz  unbedeutender 
befunden  haben  könne,  während  das  Pronaiaheiligtum  schon  im 
o.  Jh.  berühmt  war.  Diesen  beiden  Einwänden  Roberts  hatte 
Poulsen  durch  die  Annahme  älterer  Pronaiatempel  im  Osten  bereits 
vorgebeugt;  es  bleibt  aber  das  dritte  Bedenken  Roberts  bestehen, 
daß  nach  Paus.  a.  a.  0.  das  Kultbild  unverhältnismäßig  klein  war, 
während  die  breite  Basis  im  westlichen  Tempel  auf  mehrere  große 
Statuen  schließen  lasse.  —  Die  Hauptergebnisse  der  Ausgrabungen 
stellt  Perdrizet,  Neue  Jahrb.  XI,  1908,  22  ff.  zusammen.  Aus 
den  Funden  werden  Beziehungen  zu  Kreta  schon  in  minoischer 
Zeit  gefolgert,  wogegen  Spuren  eines  Zusammenhangs  mit  Thessalien 
anfangs  fehlen.  Über  den  seltsamen,  vom  Seh.  zu  Pindars  Paiaa 
auf  Pytho  (Oxyrh.  Pap.  V  S.  41)  bezeugten,  aber  schon  für  Alkaios 
(fr.  2 — 4)  zu  erschließenden  Glauben,  daß  der  Kephisos  die  Kastalia 
speise,  spricht  Diels  in  der  Berliner  Arch.  Gesellsch.  3.  3.  1908 
(vgl.  Berl.  Phü.  Wschr.  XXIX,  1909,  443,  479).  Die  VorsteUung 
ist ,  wie  mir  scheint ,  schwerlich  aus  falscher  Naturbeobachtung, 
aber  vielleicht  daraus  entstanden,  daß  in  sehr  alter  Zeit  ein  Heilig- 
tum vom  Kephisos  mit  dem  delphischen  verbunden  wurde ;  die 
Überlieferung  schweigt  darüber,  aber  es  lohnt  sich,  m.  E.  auf 
etwaige  weitere  Spuren  zu  achten.  —  Pomtows  Studien  zu  den 
Weihgeschenken  und  der  Topographie  von  Delphoi,  Eüo  VII,  1907, 
395 ff.;  YIII,  1908,  73  ff.,  186  ff.,  302 ff.,  und  die  zweite  Reihe  seiner 
„Delphica"  überschriebenen  Aufsätze  (Berl.  Phil,  Wochenschr., 
1909 ,  Sp.  156  ff.)  brachte  für  die  Religionsgeschichte  Delphois 
nichts  unmittelbar  Wichtiges;  über  die  Lage  der  Kassotis,  des 
Neoptolemosgrabes  und  des  Pronaiatempels  handelte  Eq>.  oqx-i  1909, 
266  ff.  Keramopullos  {s.  u.).  —  Roberts  Vermutungen  über 
die  Beschreibung  des  Pausanias  bekämpfte  Robinsohn,  Amer. 
Journ.  Arch.  XXXI,  1910,  217  f.  —  Fehrle,  Kultische  Keusch- 
heit 83  f.  glaubt ,  die  Vorstellung  von  dem  evS^ovöiaOfiog  der 
Priesterin  sei  erst  durch  den  Dionysoskult  in  Delphoi  eingeführt 
worden,  und  zwar  habe  man  ihn  anfangs  durch  Lorbeerblätter,. 
Quellwasser,  Berühren  des  Dreifußes  usw.,  später  aber  in  Er- 
innerung an  den  alten  Brauch  des  Erdorakels  durch  die  Dämpfe 
entstehen  lassen.  —  Nach  Perdrizet,  Ann.  de  l'Est  Uli,  1910, 
67  ff.  haben  Thraker  in  Delphoi  den  Dionysos  eingeführt,  an  dessen 
Stelle  erst  später  ApoUon  getreten  sei,  und  dessen  Kult  später 
dadurch  verändert  wurde,  daß  sich  mit  ihm  orphische  Vorstellungen 


352  Delphoi. 

verbanden.  Die  Thraker  sollen  sich,  wie  aus  dem  Geschlecht  der 
Thrakidai  gefolgert  wird,  lange  unvermischt  gehalten  haben;  vielleicht 
erst  später  traten  nach  Perdrizet  an  ihre  Stelle  die  oatot.  —  Nicht  bloß 
für  die  Baugeschichte  und  Topographie  des  pythischen  Heiligtums  ist 
wichtig  die  Abhandlung  von  Frickenhaus,  Athen.  Mitt.  XXXV, 
1910,  235  ff.  In  Marmaria  werden  vier  Tempel  unterschieden:  Um 
700  soll  ein  kleiner  Bezirk  mit  3  Altären  geweiht  und  gegen  650  der 
Bau  des  ältesten  Porostempels  begonnen  sein,  dazu  kamen  etwa 
in  der  Mitte  des  6.  Jhs.  der  große  Porostempel  der  Atheua  und 
die  Marmortempel  der  Hj-gieia  und  Eileithyia,  um  400  die  Tholos. 
Um  300  wurde  nach  Fricj^enhaus  der  Porostempel  aufgegeben  und 
dafür  der  neue  Kalksteintempel  im  Westen  errichtet.  DenNeoptolemos- 
tempel  beim  ApoUonheiligtum  setzt  Frickenhaus  247  südlicher  an, 
als  es  bisher  meist  geschah,  nämlich  unmittelbar  neben  der  Nordost- 
ecke des  Tempelplatzes ,  nicht  höher  hinauf  am  Abhang.  In  der 
Doloneia  sieht  er  (268)  ein  Tor  des  Ischegaon,  durch  das  man 
zur  Kassotis  gelangte,  bei  der,  dicht  am  Neoptolemosgrab,  Apollon 
den  in  der  vccTTr]  jener  Quelle  hausenden  Drachen  erschossen  haben 
sollte.  Daraus  wird  weiter  gefolgert,  daß  die  aAwg,  wo  das 
•Septerion  gefeiert  wurde,  die  Terrasse  nördlich  vom  Tempel  ge- 
\vesen  sein  müsse.  Der  im  Neoptolemosbezirk  aufbewahrte  Stein 
des  Kronos  (271  f.)  war  der  ursprüngliche  Nabelstein  und  diente 
als  Vorbild  für  den  in  einer  Kapelle  des  ApoUontempels  auf- 
gestellten, jetzt  vielleicht  wiedergefundenen  (Arch.  Anz.  XXIX, 
1914,  162)  ofucpalog-^  daher  fäUt  Neoptolemos  auf  Kunstwerken  am 
Omphalos.  Den  Apollonpriestern  waren  die  Reste  des  Kultus  sehr 
ärgerlich;  der  Stein  wurde  als  der  von  Kronos  verschluckte  um- 
gedeutet und  nach  seinem  Vorbild  im  Adyton  des  ApoUontempels 
ein  neuer  Nabelstein  aufgestellt.  —  *Kontoleon  oi  zfeXq^ol  koI 
zö  Ko)Qvy.LOv  avTQOv,  Tlargig  19.  11.  1910.  —  Im  Jahre  1911  wurde 
in  der  Berl.  Phü.  Wochenschr.  XXXI,  1911,  1547  die  dritte  Reihe 
der  Delphica  von  Pomtow  eröffnet,  die  sich  fast  durch  den 
ganzen  folgenden  Jahrgang  der  genannten  Zeitschrift  hinzieht. 
Gleichzeitig  erschienen  mehrere  andere  Untersuchungen  Pomtows, 
von  denen  für  die  Religionsgeschichte  am  wichtigsten  der  über  die 
Kultstätten  der  „andern  Götter"  von  Delphi,  Philol.  LXXI,  1912, 
-30  ff.  und  der  über  die  Tholosbauten  (Klio  XII,  1912,  179  ff.; 
281  ff.)  sind.  Über  diese  Aufsätze,  die  sich  vielfach  berühren  und 
deren  Ergebnisse  sich  am  besten  auf  der  Karte  in  der  Wochenschr. 
1912,  S.  1173  f.  überschauen  lassen,  wird  hier  zusammenfassend 
berichtet   werden.      Das    älteste    Heiligtum    der   Athena    Ugovaia, 


Delphoi.  35;) 

wird  an  der  Stelle  gesucht,  auf  die  der  Name  hinweist  und  an  die 
schon  A.  Mommsen  gedacht  hatte,  vor  dem  ApoIIontempel  (Philol. 
LXXI  S.  52),  wo  auch  die  Statue  oder  Kapelle  des  Poseidon 
Ugöveiog  angesetzt  werden  muß.  Aber  schon  im  7.  Jh.  war  (ebd.  80) 
in  der  Marmaria  statt  dieses  kleinen  Heiligtums  der  große  Poros- 
tempel  errichtet  worden,  der  um  die  Mitte  des  6.  Jhs.  durch  einen 
der  hier  besonders  drohenden  Felsstürze  zerstört  und  an  dessen 
Stelle  gleichzeitig  mit  dem  Alkmeonidentempel ,  also  um  530,  ein 
neuer  Porostempel  erbaut  wurde,  derselbe,  den  noch  Herodot  sah. 
Als  dieses  jüngere  Heiligtum  sein  Ende  im  ersten  Drittel  des 
4.  Jhs.  ebenfalls  durch  einen  Felsrutsch  gefunden  hatte,  wurde  der 
Tempel  hier  nicht  erneuert,  sondern  weiter  nach  Westen  an  eine 
Stelle  verlegt,  die  aber  auch  nicht  größere  Sicherheit  bot,  so  daß 
die  etwa  12  stehenden,  kurz  vorher  ausgegrabenen  Säulen  des 
Heiligtums  1905  ebenfalls  zertrümmert  wurden.  Die  große  im 
4.  Jh.  errichtete  marmorne  &6kog  zwischen  diesem  jüngsten  Tempel 
der  Marmaria  und  den  beiden  älteren  Pronaiaheiligtümern  ist  nach 
Pomtow  das  Buleuterion  mit  der  -/.oivri  fozia  (Wochenschr.  1912, 
1366;  Philol.  LXXI  83  f.;  Klio  XII  295  f.);  ob  schon  der  Porosbau 
aus  dem  6.  Jh.  diesem  Zweck  diente,  wird  wegen  seiner  Eleinheit 
unentschieden  gelassen.  Die  aXwg  und  der  Drachenkampf  werden 
im  Gegensatz  zu  Frickenhaus  wieder  südlich  von  der  Polygonmauer 
angesetzt  (Wochenschr.  1912,  190),  die  Doloneia,  in  deren  Be- 
schreibung bei  Plut.  def.  or.  17  (vgl.  Hesych.  ^loXa)  der  von 
Maaß,  Zs.  f.  vergleichende  Sprachf  XL,  1907,  529  verteidigte 
Geschlechtsname  im  Satze  h'  f^  u4loX(xd{ai)  xbv  a(.iq)i0^aXrj  •/.oqov 
r^fx^xivaig  öqatv  ayovaiv  in  ylaßvädat  verwandelt  wird,  muß  dann 
die  kleine  dort  nach  Süden  führende  Treppe  sein  (Wochenschr.  127); 
dagegen  soll  das  Neoptolemosheiligtum  (ebd.  190;  vgl.  1268,  Philol. 
LXXI  32)  in  dem  Mauerviereck  nördlich  des  layjyaov  liegen; 
ebenso  urteilen  Bulle  und  Keramopullos  (s.  o.).  Das  Heilig- 
tum der  Dioskuren,  denen  nach  der  Labyadeninschrift  ^ioa/.ovQijia 
MsyaXocQXia  gefeiert  wurden,  vermag  Pomtow  (Wochenschr.  1912, 
125;  Philol.  LXXI,  45)  bis  jetzt  noch  nicht  zu  bestimmen;  Zweifel 
herrschen  auch  über  die  Tempel  der  Aphrodite  und  Eileithyia 
(Wochenschr.  1912,  93  f.;  vgl.  127;  Phil.  LXXI  37  ff.).  Das  uqov 
des  Asklepios  vermutet  er  (Wochenschr.  1912,  62;  Philol.  LXXI 
33  ff.)  wie  schon  Keramopullos  in  dem  „weißen  Haus".  Über  die 
Weihung  der  Bürger  von  Hermione  an  Damater,  Phersephona  und 
Klymenos  s.  Wochenschr.  1912,  573  f.,  über  das  Standbild  des 
Apollon  Sitalkas  ebd.  284  ff.  —  Das  Septerionfest  soU  nach  Jane 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  186  (Supplementband).  23 


354  Delphoi.    Thessalien. 

Harriso  u,  Themis  429  den  Übergang  des  Königtums  nach  Ab- 
lauf der  neunjährigen  Periode  bezeichnen,  wobei  der  König  wie 
Kekrops  und  Kychi'eus  als  Schlange  gedacht  gewesen  sei.  —  Das 
Heiligtum  des  Phylakos  vermutet  F.  W.  v.  Bis  sing,  Ath.  Mitt. 
XXXVII,  1913,  219  ff.  wieder  wie  früher  Poulsen  im  Gegensatz 
zu  Pomtow  in  der  Tholos ;  Paus.  X  8 ,  7  soll  es  vielleicht  aus 
Herod.  VIII  39  nachgetragen  haben.  —  Eitrem,  Festskr.  til  Alf 
Torp  1913,  S.  81  f.  hält  das  Septerionfest  für  eine  Nachbildung 
von  Grabriten,  die  sich  in  dem  Kult  des  chthonischen  Dämons  er- 
halten hatten.  —  Über  Traumorakel  in  Delphoi  s.  Haus  er, 
Österr.  Jahresh.  XVI,  1913,  43  f.;  71.  —  Corßen,  Sokrat.  I, 
1913,  501  ff.  setzt  das  Heiligtum  der  Ge  in  die  Nähe  des  Punktes, 
der  seit  Homolle  meist  für  das  Damatrion  in  Anspruch  genommen 
wird,  d.  h.  unweit  des  Gj^mnasions,  also  außerhalb  des  Temeiios, 
an  das  Ostufer  der  Kastalia.  Dort  sollte  auch ,  wie  aus  Kallim. 
i'^iv.  IV  92  f.  und  dem  ihn  nach  Cox'ßen  nachahmenden  Stat.  Theb.  I 
562  gefolgert  wird,  Python,  und  zwar  näher  der  Mündung  als  der 
Quelle  der  Kastalia  (509)  gehaust  und  Apollon  geweissagt  haben; 
daraus  erklärt  Corßen,  daß  das  Orakel  auch  später  so  oft  mit  der 
Kastalia  verbunden  wird,  deren  Eigenschaften  Paus.  X  24,  7  auf 
die  Kassotis  überträgt.  Die  von  Steph.  Byz.  JeX(pOi  224,  22  er- 
wähnte Quelle  Delphusa  stammt  nach  Corßen  aus  einem  Miß- 
verständnis bei  Hom.  v^v.  II  66  und  ist  nur  irrtümlich  nach 
Delphoi  versetzt  worden.  —  Alte  Losorakel  sucht  Weniger, 
Sokr.  V,  1917,  308  ff.  für  Delphoi  zu  erweisen.  Die  Lose  d^Qiaiy 
nach  denen  die  Thriai  heißen,  wurden  in  den  Kessel  des  Dreifußes 
geworfen  {d-Qioßolla)\  erst  nachträglich  soll  die  Pythia,  für  die  ein 
anderes  Gestühl  praktischer  gewesen  wäre,  auf  den  Dreifuß  gesetzt 
sein.  Eine  Nachbildung  soll  das  Würfelorakel  von  Bura,  Kirra 
gegenüber  sein. 

Thessalien. 

Auch  die  Kenntnis  der  thessalischen  Kulte  und  Mythen  ist 
durch  zahlreiche  Ausgrabungen  und  gelegentliche  Funde  vertieft 
worden.  Sie  sind  jetzt  zum  Teil  in  dem  auf  Kosten  von 
Athanasakis  gebauten  Museum  von  Volo  gesammelt ,  zu  dem 
Arvanitopulos'  Q€aaa?uy,a  juv/yjuela  den  Katalog  bilden.  Die 
bis  zum  Jahre  1908  bekannt  gewordenen  Inschriften  hat  0.  Kern 
in  den  Inscriptiones  Thessalicae,  IG  IX,  II  gesammelt.  Die  Be- 
richte Ober  die  neueren  Ausgrabungen  und  die  sich  daraus  er- 
gebenden Folgerungen  finden  sich  zerstreut  in  zahlreichen  Aufsätzen 


Thessalien,  355 

von  A  r  V  a  n  i  1 0  p  u  1  (1)  0  s  (ArbanitopuUos  usw.);  vgl.  z.  B.  über  ein 
Heüigtum  der  Ai'temis  ftoXy.ia  auf  dem  Hügel  bei  Volo,  TlQaxTr/.n 
1908,  S.  221 ;  1909,  155  £f.,  1910,  168  ff.,  über  weitere  Ausgrabungen 
bei  Pagasai  ebd.  1912,  154  ff.,  wo  u.  a.  über  einen  vermutlichen 
Poseidontempel  (172  ff.)  und  (198  ff.)  über  ein  Heiligtum  berichtet 
Avird ,  dem  eine  Weihung  an  Pasikrata  entstammt.  Vgl.  auch 
Arvanitopullos,  Rev.  de  phil.  XXXV,  1911,  123  ff.,  wo  wir  S.  291 
no.  41  von  einem  auch  für  die  ßeligionsgeschichte  nicht  unwichtigen 
Streit  zwischen  Ktimenai  und  Augeiai  um  das  Heiligtum  von  Omphale 
erfaliren. 

Gegen  Busolts ,  ßelochs  und  Cauei's  Vermutung ,  daß  Aga- 
memnon und  Menelaos  ursprünglich  nach  dem  thessah' sehen  Argos 
gehörten,  wendet  sich  Valeton,  Mnemos.  XLI,  1913,  26  ff.  — 
In  den  Nachträgen  zu  seinem  Saggio  di  storia  tessalica  behandelt 
Vinc.  Costanzi,  Riv.  fil.  cl.  XLII,  1914,  529  ff.  auch  mytho- 
logische Fragen.  Er  unterscheidet  z.  B.  eine  thessalische  Phthiotis 
mit  der  Hauptstadt  Pharsalos,  die  Heimat  des  Achilleus ,  von  der 
gleichnamigen  Landschaft  in  Achaia  und  stellt  (537)  zur  Frage, 
ob  Deukalions  Mutter  Pandora  vielleicht  den  Namen  einer  süd- 
thessalischen  Landschaft  (vgl.  Pandosia)  trage.  Wahrscheinlich 
mit  Recht  wii'd  angenommen,  daß  einst  in  Thessalien  Hellenen  und 
Pelasger  nebeneinander  wohnten ,  dabei  aber  nicht  berücksichtigt, 
daß  auch  der  Name  Hellenes  vorgriechich  sein  und  nachträglich 
auf  den  griechischen  oder  hellenisierten  Teil  der  Landesbevölkerung 
übertragen  sein  kann.  Nach  Diod.  V,  61,  der  nach  Costanzi 
588,  1,  die  älteste  Überlieferung  bietet,  wohnten  die  Hellenen  einst 
auf  dem  dotischen  Gefild :  das  weist  eher  auf  ein  freundliches  Ver- 
hältnis zwischen  dem  hellenischen  und  pelasgischen  Bund.  —  Nach 
D.  Mülder,  Die  Ilias  und  ihre  Quellen,  Berlin  1910,  S.  100  sind 
die  thessalischen  Fürstentümer  in  der  Ilias,  namentlich  im  Schiffs- 
katalog in  einer  Weise  verteilt,  wüe  es  mit  der  politischen  Möglich- 
keit nicht  vereinbar  ist.  Man  gewinnt  nach  Mülder  den  Eindruck, 
daß  der  Dichter  aus  seiner  Quelle  eine  Anzahl  unter  Beifügung 
ihrer  Heimat  angeführter  Persönlichkeiten  gesammelt  und  ihre 
Heimatsorte  in  Reiche  umgewandelt  hat. 

Peloponues. 

Über  „Die  mythische  Königsliste  von  Megara  und  ihr  Ver- 
hältnis zum  Kult"  handelt  die  Heidelberger  Dissertation  von 
F.  P fister  1906,  die  den  ersten  Teil  des  , Reliquienkults"  (RVu.  V) 


350  Mcgara.    Achaia.    Elia. 

bildet.  —  P  a  r  e  t  i ,  Studi  siculi  ed  ital.  (Contrib.  alla  scienzia 
deir  antichitä  I,  1914)  sucht  durch  Vergleichung  der  Kulte  me- 
garischer  Kolonien  die  der  Mutterstadt  zu  erschließen.  Er  handelt 
über  den  Dienst  des  Zeus  (230  fif.) ,  Herakles  (234  fF.) ,  Apollon 
(236  ff.),  Poseidon  (241  ff.),  der  Athena  (243  ff.),  Demeter  (245  ff.), 
Hekate  (248  ff.) ,  Hera  (254  ff.) ,  Aphrodite  (und  Eros ,  256),  des 
Dionj'sos  (257)  und  Asklepios  (258);  die  Grenzen,  die  diesem  nur 
bei  eigenartigen  Kulten  zulässigen  Verfahren  gesteckt  sind,  werden 
nicht  immer  beachtet.  —  Auf  die  mj-thischen  Beziehungen  zwischen 
Megara  und  Kephallenia  weist  Hecke  nrath,  Berl.  Phil. 
^Vocheuschr.  XXX,  1910,  1269  hin.  Er  erinnert  an  Nisos  (tt  395, 
o  127  ;  413),  mit  dessen  megarischer  Sage  sich  die  kephallenische 
von  Pterelaos  vergleichen  läßt,  und  an  Pandareos  (Hellad.  bei 
Phot.  ßißX.  531*  21).  Diese  Übereinstimmungen,  denen  vielleicht 
auch  der  ÜTSQsXag  viog  ^EvvaXiov  (AP  IX,  684,  4  Jac. ;  vgl.  das 
megarische  Enj^alion ,  Thuk  IV,  67,  2)  angereiht  werden  darf, 
obgleich  dieser  Name  des  Kriegsgottes  auch  sonst  verbreitet  ist, 
scheinen  darauf  zu  weisen ,  daß  die  Isthmosstadt  sich  bei  ihren 
sizilischen  Unternehmungen  gegen  Ende  des  7.  Jhs.  der  ionischen 
Inseln  als  Stützpunkt  ebenso  bedient  hat ,  wie  ihre  Nebenbuhlerin 
Korinth  Kerkyras.  — 

Die  m3'thische  Königsliste  von  Achaia  behandelt  Pfister, 
Rehquienkult  (RVuV  V)  I,  65  ff.  —  Damatria  in  Alisos  bei  Patrai 
erwähnt  ein  Sakralgesetz,  eq).  oqx-  1908,  95. 

Elis.  Einen  alten  Neunstädtebund  in  der  Pisatis  erschließt 
L.  Dyer  in  dem  erst  nach  seinem  Tode  in  den  Harv.  Stud.  XIX 
1908,  1  ff.  erschienenen  Aufsatz  The  Olympian  Council  House  and 
Council  aus  Str.  VIII,  3,  31  S.  356,  indem  er  annimmt,  daß  zu 
den  dort  gezählten  8  Städten  Pisa  hinzuzurechnen  sei,  das  Haupt 
dieser  arkadopisatischen  Amphiktyonie ,  das  die  aitolischen  Elier 
nach  der  Eroberung  der  Alpheioslandschaft  ausgemerzt  haben  sollen, 
um  als  alte  rechtmäßige  Besitzer  des  Landes  zu  erscheinen.  Der 
Vf.  vermutet  weiter,  daß  sich  die  Reste  der  Bevölkerung,  die  diese 
Amphiktyonie  geschaffen  hatten,  vor  den  von  Norden  herein- 
brechenden Feinden  nach  Triphylien  und  weiter  nach  Messenien 
zurückzogen.  Die  geschichtlichen  Zeugnisse,  auf  die  Dyer  sich 
stützt,  haben  wenig  Wert  (s.  Berl.  Phil.  Wochenschr.  XXIX,  1909 
1594  ff.);  aber  den  in  den  Mythen  liegenden  Andeutungen  entspricht 
diese  Vermutung,  die  freilich  den  schon  in  vorgeschichtlicher  Zeit 
wahrscheinlich  mehrfach  geänderten  Verhältnissen  nicht  genügend 
Rechnung    trägt ,    m.  E.  im   ganzen    besser   als    die    Annahme    von 


Olympia.  357 

B.  Niese,  Genethl.  f.  Robert  1910,  1  ff.,  der  glaubt,  daß  Olympia 
und  die  ganze  Pisatis  abgesehen  von  den  Jahren  365  und  364, 
wo  die  Landschaft  sich  unter  arkadischem  Schutz  selbständig  ge- 
macht hatte,  stets  zu  Elis  gehört  habe.  —  Mit  religionsgeschicht- 
lichen Altertümern  \on  Olympia  beschäftigen  sich  mohi-ere  Auf- 
sätze von  Ij.  Weniger,  die  seine  früheren  Untersuchungen  fort- 
führen. Klio  VI,  1906,  1  ff.  werden  die  Riten  besprochen,  die  im 
Frühjahr  vor  Beginn  der  Saison  vollzogen  werden ;  es  handelt  sich 
hauptsächlich  um  Reinigungen  und  um  Wiederherstellungsarbeiten. 
Das  Prytaneion,  wo  die  nicht  verbrannten  Stücke  der  Zeusopfer  ver- 
zehrt wurden,  ist  nach  Weniger  S.  15  erst  gegen  580  eingerichtet 
worden.  —  Im  3.  Teil  der  „Olympischen  Forschungen"  (ebd.  VII,  1907, 
145  ff.)  behandelt  Weniger  den  „Dienst  der  Muttergöttiu  und  Ver- 
wandtes". Als  das  älteste  Heiligtum  Olympias  wii'd  (147)  das 
Gaion  angenommen ;  hier  waltete  die  Göttermutter ,  die  zugleich 
„Erdgöttin,  idäische  Mutter,  im  Waldgebirge  hausende  und  schaffende, 
im  Baumwuchs  die  Geheimnisse  der  Tiefe  an  das  Tageslicht  fördernde 
Erdkraft"  ist  und  „als  Gemahlin  des  Ej-onos,  des  Bergesalten  der 
Urzeit",  galt  (169).  Ihr  ältestes  Heiligtum  soU  ein  Aschenaltar 
vor  dem  Kronoshügel  gewesen  sein-  später  war  hier  die  Südwest- 
ecke des  Metroon,  das  (165)  nach  dem  Siege  der  Arkader  über  die 
Elier  zusammen  mit  dem  Heiligtum  des  Sosipolis  und  der  Eileithyia 
als  Entschädigung  für  die  Veränderung  der  ehemaligen  idaiischen 
Grotte  gestiftet  sei.  Dieser  Arkadereinfall  (Paus.  VI,  20,  4)  ist 
(158  ff.)  der  vom  Jahr  364;  das  „Hochaltertümliche"  des  Sosipohs- 
kiiltus,  wegen  dessen  Löschke,  Robert  und  Blümmer  an  eine  frühere 
Besetzung  Ohonpias  dui'ch  die  Arkader  denken,  ist  nach  Weniger 
bewußte  Nachahmung.  Die  Frau  mit  dem  Säugling  Sosipolis  ist  (160) 
die  Göttermutter.  Eileithyias  Heiligtum  wird  mit  Robert  nördlich  von 
dem  der  Kureten  angesetzt  (162);  es  ist  die  alte  idaiische  Grotte, 
in  der  einst  Begehungen  gefeiert  wurden ,  die  später  halbver- 
schollen und  unverständlich  geworden  waren.  Sie  hatten  den 
Daktylen  gegolten ,  die ,  wie  aus  ihrer  Fünfzahl  geschlossen  wii'd 
(170),  als  Finger,  zugleich  aber  auch  in  Zwerggestalt  und,  wie  Kaibel 
vermutet  hatte ,  als  Phallen  betrachtet  worden  waren.  Zu  ihnen 
gehörte  Herakles  IlaQaoTdvrjg ,  der  diesen  den  Idaios  von  dem 
Thebaner  unterscheidenden  Beinamen  erhalten  haben  soll,  weil  er 
als  Phallos  neben  der  Göttin  (172,  4)  oder  weil  er  als  Daumen 
neben  den  4  andern  Fingern  stand.  Daß  ganz  Verschiedenartiges 
vereinigt  sein  müßte,  wenn  diese  Vorstellungen  wirklich  bestanden 
haben    sollten ,    wird    von  Weniger   nicht  genügend  hervorgehoben ; 


358  Olympia. 

wt?uu  dio  Daktylen  ihren  Namen  trugen,  weil  sie  nur  einen  Finger 
große  Zwerge  waren,  kann  ihre  Fünfzahl  nur  auf  einem  Zufall  oder 
einer  bewußten  Umdeutung  beruhen,  und  von  dem  Phallos  führen 
beide  Anschauungen  gleichmäßig  ab.  Der  ,Kult  der  Daktylen  soll 
nach  Olympia  über  Kreta  aus  Kleinasien  gekommen  sein  (179),  zum 
Zweck  des  Kultus  wurde  die  idaiische  Grotte  (Demetr.  Skeps.  bei 
Seh.  Find.  0.  V.  42 »  und  b)  am  Kronoshügel  künstlich  hergestellt 
(155  ff).  Verschieden  von  dem  Dienst  der  Daktylen  und  wahr- 
scheinlich älter  als  dieser  war  der  näher  am  Berg  geübte  Kureten- 
kult  (170).  Von  zahlreichen  einzelnen  Vermutungen  Wenigers, 
über  die  z.  T.  noch  in  anderem  Zusammenhang  zu  sprechen  ist, 
sei  hier  nur  noch  auf  das  S.  176  f.  über  die  alte  Orakelstätte  in 
Olympia  Gesagte  hingewiesen.  —  In  zwei  weiteren  Artikeln  (Klio 
IX,  1909,  291  ff.;  XIV,  1914,  398)  handelt  Weniger  auf  Grund 
der  bei  Paus.  V,  14,  4  benutzten  Opferordnung  über  die  monat- 
lichen Opfer  in  Olympia.  Nach  Ausscheidung  der  eigenen  Zusätze 
des  Periegeten  glaubt  er  den  wenig  veränderten  Wortlaut  einer 
obrigkeitlichen  Verordnung  und  in  dieser  Spuren  verschiedener 
Fassungen,  wie  sie  die  zunehmende  Zahl  der  Altäre  erforderlich 
machte ,  nachweisen  zu  können.  Nachdem  er  so  das  Prinzip  der 
Ordnung  zu  ermitteln  versucht  hat,  bespricht  er  die  Begehungen, 
die  bei  den  einzelnen  Altären  vorgenommen  wurden,  und  bemüht 
sich ,  deren  Lage  und  gottesdienstliche  Bedeutung  festzustellen. 
Die  heilige  Handlung,  die  aus  der  Opferung  selbst  und  einem  gegen 
Abend  veranstalteten  Priestermahl  besteht,  soll  in  einer  dritten 
Abhandlung  dargestellt  werden.  — 

Zwischen  diese  beiden  Aufsätze  Wenigers  fällt  der  in  den 
Neuen  Jahrbüchern  XXXI,  1913,  241  ff.  erschienene  über  den 
Hochaltar  des  Zeus.  An  der  früher  angenommenen  Stelle,  hat,  wie 
Dörpfelds  Ausgrabungen  1908  ergaben,  ein  Altar  nicht  gestanden; 
die  vermeintlichen  Reste  gehörten  zu  Wohnhäusern.  Der  AJtar 
zwischen  Heraion  und  Pelopion,  den  Puchstein  und  Trendelenburg, 
obgleich  er  weder  gleichweit  von  den  beiden  genannten  Gebäuden 
lag  noch  .cQO/.eiiiiErog  jrgd  afj.q^oxioojv  (Paus.  V,  13,  G),  für  Zeus, 
Dörpfeld  füi-  Zeus  und  Hera  in  Anspruch  nahmen ,  war  nach 
Weniger  ausschließlich  Hera  geweiht.  Der  wirkliche  Zeusaltar 
lag  nicht  fem  von  dem  früher  vermuteten  Platz ,  nur  ein  wenig 
weiter  nach  Südosten,  östhch  von  der  Südspitze  des  Pelopion, 
westlich  von  der  OToa  tcoikD.tj  (=  Echohalle  und  d^eavQOv^  Xenoph. 
'EU..  VII,  4,  31),  die  zum  Schutze  gegen  die  Morgensonne  für  die 
Zu.schauer  beim  großen  Opfer  erbaut  wurde.    Die  Verehrung  des  Zeus 


Olympia.  359 

in  Olympia  hält  Weniger  (242  flf.,  249)  für  jünger  als  die  der  Meter 
und  Hera-  sein  Kult  soll  von  Aitolien  mitgebracht  sein  (255).  Der 
Altar  war  rechteckig,  vielleicht  quadratisch ;  Pausanias'  Maßangaben 
bedürfen  der  Berichtigung  nicht.  —  Fraz  e  r,  The  dying  God  (Golden 
Bough  III)  89  ff.  untersucht  den  Urs^^rung  der  olympischen  Spiele. 
Daß  sie  aus  einem  Erntefest  hervorgegangen  seien ,  wird  seiner 
Ansicht  nach  (105)  durch  den  vierjährigen  Zwischenraum  und  auch 
dadurch  ausgeschlossen,  daß  das  Fest  im  Hochsommer,  also  halb- 
wegs in  der  Mitte  zwischen  der  Korn-  und  Weinernte,  gefeiert 
wurde;  vielmehr  stellten  der  Sieger  in  dem  für  Zeus  gefeierten 
Männerkampf  und  die  Siegerin  in  dem  für  Hera  gefeierten  Wett- 
kampf das  Gütterkönigspaar  als  astronomische  Potenzen ,  nämlich 
als  Sonne  und  Mond,  nicht  als  Mächte,  die  den  Ackerbau  fördern, 
dar.  Zwischen  der  Ansicht  von  Cook,  der  glaubte,  daß  das  Fest 
ursprünglich  begangen  wurde ,  weil  der  König  nach  4 ,  anfangs 
vielleicht  nach  8  Jahren  sich  einem  Kampf  um  Leben  und  Herr- 
schaft unterziehen  mußte,  und  der  von  Ridgeway,  der  die  griechischen 
Agonalfeste  aus  Totenfeiern  und  Heroenkulten  herleitet ,  glaubt 
Frazer,  zu  dessen  Grundansicht  die  erste  Erklärung  besser  paßt, 
der  aber  die  zweite  durch  zahkeiche  ähnliche  Begründungen  der- 
artiger Messen,  z.  B.  der  irischen  (99  ff.),  für  gesichert  hält,  durch 
die  auf  Paus.  VI,  21,  9  ff .  gestützte  Annahme  vermitteln  zu  können, 
daß  die  Seelen  der  beim  Kampfe  getöteten  Könige  bei  der  Wieder- 
kehr des  Tages  versöhnt  wurden.  —  Gegen  Ridgeways  Ableitung 
der  Spiele  aus  dem  Heroenkult  wendet  sich  F.  M.  Cornford 
im  7.  Kapitel  von  J.  Harrisons  Themis  (S.  212  ff.).  Schon  deshalb, 
meint  er,  kann  das  Agonalfest  nicht  aus  Totenfeiern  für  Pelops 
hervorgegangen  sein,  weil  dieser  in  der  ätiologischen  Legende  eine 
keineswegs  rühmliche  Rolle  spiele  (215).  Aber  auch  Cook,  dessen 
Anschauung  Cornford  weit  näher  steht,  irrt  nach  diesem,  wenn  er 
in  dem  Sieger  oder  dem  ehemaligen  König  die  Verkörperung  eines 
Gottes  sieht,  während  in  Wahrheit  der  Gott  umgekehrt  erst  nach 
dem  Vorbild  des  Siegers  geschaffen  sei  (222)  und  dieser  nur  als 
Träger  des  Mana,  der  vom  Himmel  stammenden  Gewalt  über  Regen 
und  Blitz,  galt.  Diese  Macht  ist  aber  in  ihm  nur  für  eine  be- 
stimmte, kürzere  oder  längere  Frist  —  Iviavzog  —  lebendig ;  daraus 
wird  geschlossen,  daß  die  Olympien  ursprünglich  bei  der  Erneuerung 
einer  solchen  Periode  gefeiert  wurden.  In  dem  Kronosmythos  soll 
die  älteste  ätiologische  Legende  zur  Begi-ündung  dieses  Festes 
vorliegen;  es  wird  hervorgehoben,  daß  Salmoneus,  der  den  König 
und    Sieger   von    Olympia   vertrete ,    auf  einem   Krater   in  Chicago 


360  Olympia. 

(abgebildet  ebd.  S.  80)  an  seinem  linken  Knöchel  eine  Fessel  trägt, 
■womit  schon  Cook  die  (freilich  nicht  auf  OljTiipia  bezügliche) 
Angabe  bei  Macrob.  Sat.  I,  8,  5  verbunden  hatte,  daß  Saturnus  an 
den  Saturnalien  von  der  wollenen  Fessel  befreit  wurde.  Der  Vf. 
nimmt  nun  an ,  daß  wie  in  Rom  so  auch  in  Olympia  das  ent- 
sprechende Fest  des  Kronos  zur  Zeit  der  Wintersonnenwende  ge- 
feiert wurde,  und  erschließt  aus  der  eigenartigen  Berechnung,  durch 
die  nach  Komarchos  bei  Seh.  Find.  'OA.  III,  33  *  der  Termin  der 
Olj-mpien  bestimmt  wurde ,  und  aus  den  Worten  ßg^./evo  TToXXjj 
riq^ädi  bei  Find.  ^OX.  X,  51  (wo  aber  der  Zusammenhang  diesen 
Schluß  nicht  zuläßt),  daß  einst  auch  die  Olympien  in  diese 
Zeit  fielen.  Dies  Fest  war  (238)  ursprünglich  agrarisch  und  galt, 
wie  aus  der  Kuretengeschichte  (Paus.  V,  7,  6  f.)  gefolgert  wird, 
einer  Erdgöttin ;  an  deren  Stelle  soll  aber  früh  die  Mondgöttin 
Hera  Ilaq^tvog  getreten  sein,  als  deren  Vertreterin  die  Siegerin 
bei  den  jungfräulichen  Wettläufen  galt.  Da  der  Monat,  in  dem 
dies  Fest  (die  Heraia)  gefeiert  wurde ,  Parthenios  hieß ,  wird  ge- 
schlossen, daß  der  Agon  in  die  Zeit  des  (von  Cornford  schwerlich 
mit  Recht  angenommenen)  reinen  Mondjahres  hinaufreiche  und 
ursprünglich  jährlich  war.  Mit  der  Einführung  des  Mondsonnen- 
jahres und  der  achtjährigen  Schaltung  läßt  Cornford  die  Wettspiele 
penteterisch,  zunächst  vielleicht  ennaeterisch  werden.  Jetzt  wurde 
der  Sieger  im  Kampf  der  Männer  als  Zeus ,  d.  h.  als  Sonnengott 
und  als  Bräutigam  der  Hera,  d.  h.  der  Siegerin  bei  den  Heraia, 
gedacht.  Eine  andere  mythische  Spiegelung  des  Siegerpaares  sollen 
Pelops  und  Hippodameia  sein  (224  ff.).  Mit  dieser  Kalender- 
veränderung scheint  Cornford  zu  verknüpfen ,  daß  der  Parthenios 
ein  Sommermonat,  der  zweite  des  Jahres  von  Olympia,  wurde ;  er 
sagt  dies  zwar  nicht  ausdrücklich,  da  er  aber  (226)  hervorhebt, 
daß  der  natürlichste  Zeitpunkt  für  ein  Fest  von  Sonne  und  Mond 
in  die  Jahreszeit  falle,  wo  die  Sonne  ihre  höchste  Kraft  entfalte, 
muß  er  v^-ohl  die  Verlegung  des  Festes,  die  Einführung  des  Sonnen- 
mondjahrs und  die  Darstellung  der  Sonne  und  des  Mondes  als 
gleichzeitig  eingeführte  Neuerungen  betrachten.  Die  Heraia  wurden 
bei  der  Neuordnung  am  Neumondtage  belassen ,  dagegen  der  dem 
Zeus  geweihte  Männeragon  auf  den  Vollmond  gesetzt,  und  zwai-, 
da  es  sich  nicht  geschickt  hätte,  den  Göttervater  immer  hinter  der 
Gattin  zu  feiern ,  abwechselnd  auf  den  vorhergehenden  und  den 
nachfolgenden  Vollmond  (230) :  so  soll  sich  die  schon  von  Weniger 
als  auffallend  bezeichnete  Tatsache  erklären,  daß  es  für  die  Ol^onpien 
keinen  festen  Monat  gab.  Auch  die  übrigen  Mythen  von  Olympia  sucht 


Olympia.  361 

Cornford  als  ätiologische  Legenden  im  Sinne  seiner  Auffassung  des 
Festes  zu  erldären.  Leiden  auch  seine  Aufstellungen  z.  T.  an  Unklar- 
heit, Unwahrscheinlichkeit  und  sogar  an  Unrichtigkeit,  so  wird  die 
künftige  Forschung  sie  doch  nicht  unbeachtet  lassen  dürfen.  —  Schon 
öfters  und  wahrscheinlich  m,  R.  ist  die  Vermutung  ausgesprochen 
worden,  daß  die  12  Stücke,  in  die  Hermes  bei  Hom.  vf4v.  III,  128  das 
Opfertier  zerlegt,  mit  dem  Kult  der  12  Götter  in  Olympia  zusammen- 
hänge und  daß  in  der  Legende,  die  mutmaßlich  der  Sage  zugrunde 
liegt,  Hermes,  wie  später  Herakles  als  Stifter  dieses  Zwölfgötter- 
altars und  zugleich  als  hier  in  die  Zahl  der  12  Götter  aufgenommen 
bezeichnet  werden  sollte.  —  Nach  Robert,  Herm.  XLT,  1906,  19  ist 
Myrtilos,  Hermes'  Sohn,  ursprünglich  nicht  Geliebter,  sondern  Gatte 
Hippodameias  gewesen ,  und  das  ist  in  der  Tat  wahrscheinlich. 
Dann  muß  zeitweis  Hermes  in  Olympia  sehr  angesehen,  göttlicher 
Ahn  der  dort  gebietenden  Geschlechter  gewesen  sein.  L  u  d  o  v  i  k  e 
Köttgen,  Quae  ratio  intercedat  inter  Indagatores  fabulam  Sophocl. 
et  hymn.  in  Mercur.,  Bonn.  Diss.  1914,  S.  28  vermutet,  daß  der 
Mythos  vom  Rinderraub  des  Hermes  und  dessen  nachträglicher 
Versöhnung  mit  ApoUon  an  den  gemeinsamen  Altar  beider  Götter 
in  Olympia  (Herodor  bei  Seh.  Find.  0.  V,  10  a;  Paus.  V,  14,  8) 
anknüpft.  Diese  scharfsinnige  Vermutung  ist  wahrscheinlich  richtig ; 
neben  beiden  Göttern  scheint  Aphrodite  gestanden  zu  haben,  auf 
die  sowohl  der  Name  Hippodameia  (Hesych.) ,  als  auch  der  nach 
der  Myrte  genannte  Myrtilos  hinweisen.  Vielleicht  ist  dieser  Drei- 
verein, von  dem  sich  auch  sonst  Spuren  finden,  eben  von  Olympia  aus 
verbreitet  worden.  Aber  schwerlich  hat  noch  der  Dichter  des  Hermes- 
hj^mnos  an  Olympia  gedacht;  bei  eg  IIvXov  -^yad^srjv  (v.  216)  ist 
an  das  homerische  Pylos  zu  denken,  in  dessen  Nähe  von  den  Ge- 
stalten des  Kyllenegebirges  die  Atlantiden  und  Dardanos  durch 
Str.  VIII,  3,  19,  S,  346  bezeugt  sind.  Aus  der  Erzählung  Nestors 
n.  ^/,  670  ff.  ergibt  sich,  daß  die  Herren  von  Pylos  einst  auch  auf 
die  Pisatis  Anspruch  machten:  sie  können  den  Rinderraubmythos 
nach  dem  späteren  Olympia  übertragen  oder  auch  ihn  von  dort 
empfangen  haben.  Einzelne  Züge,  die  ihn  bilden,  finden  sich  auch 
sonst,  z.  B.  auf  dem  Kyllenegebirge,  in  der  Stadt  Kyllene,  in  Pharai 
in  Messenien  {u.  363),  im  thessalischen  Pherai;  die  Gottheiten,  an 
denen  sie  haften,  sind  wahrscheinlich  vorgriechisch.  Der  "Widder- 
oder Bocksgott  der  ägäischen  Kultur  wird  teils  dem  Apollon,  teils 
dem  Hermes  angeglichen  sein ;  indem  in  Olympia  beide  Aus- 
gleichungen vorgenommen  wurden ,  wird  der  Dreiverein  ApoUon, 
Hermes   und   Aphrodite,    die    auch   Sallust   tt.    &ec)v   6,    S.  27   als 


862  Olympia.    Messenien. 

aQftuCoi'ieg  zusauimeufaßt,  uud  danach  in  freier  Erfindung  der  Mythos 
vom  RindeiTaub  entstanden  sein.  Daß  Apollon ,  als  er  seinen 
Siegeszug  aus  Thessalien  autrat,  in  der  Peloponnes  den  Hermes 
vorgefunden  habe ,  den  er  nicht  vei'driüigeu  konnte  und  zu  dessen 
Bruder  er  deshalb  gemacht  sei  (Ludov.  Köttgen  a.  a.  0.  31),  wäre 
m.  E.  auch  dann  nicht  anzunehmen ,  wenn  dieser  Siegeszug  fest- 
stände ;  denn  in  Olympia  hat  sich  nichts  erhalten ,  was  auf  einen 
Versuch,  Hermes  durch  Apollon  zu  ersetzen,  schließen  ließe.  Doch 
ist  Hermes  als  Herdengott  an  manchen  Orten  vielleicht  wirklich 
durch  Apollon  aufgesogen. 

Die  ni  essen  i sehen  Inschriften  sind  in  IG  Vii,  1913  ge- 
sammelt; vorausgeschickt  hat  der  Herausgeber  W.  Kolbe  eine 
Zusammenstellung  der  literarischen  Übei'lieferung,  so  daß,  hier  ab- 
gesehen von  den  poetischen  Mythen ,  fast  alle  für  die  Religions- 
geschichte  und  die  Lokalmythen  wichtigen  Angaben  vereinigt  sind.  — 
Mit  Mythen  und  Kulten  Messeniens  befassen  sich  Fr.  Hill  er 
v.  Gärtringen  und  H.  Latt ermann  in  dem  LXXI.  Berl. 
Winckelmannprogr.  1911.  Aus  den  Ergebnissen  ist  hervorzuheben, 
daß  Aristomenes  eine  geschichtliche  Person  aus  der  Zeit  der 
Perserkiiege  war,  der  von  Hira  aus  gegen  Sparta  ankämpfte.  —  Die 
von  Vollgraff,  Bull.  corr.  heU.  XXXIII,  1909,  175  ff.  heraus- 
gegebene Inschrift  mit  dem  Orakel  des  argivischen  Apollon  ist 
wichtig  für  die  Geschichte  der  Mysterien  von  Andania;  sie  steht 
in  unmittelbarer  Beziehung  zu  der  gi'oßen  Mysterieninschrift,  denn 
die  in  beiden  Inschriften  genannten  Mnasistratos  bezeichnen  den- 
selben Mann ,  und  das  Orakel  genehmigt  eben  die  Reformen ,  die 
durch  die  Mysterieninschi'ift  durchgeführt  werden.  Ausführlich 
behandelt  diese  Neuerungen  G.  Pasquali,  Per  la  storia  del  culto 
di  Andania,  Atti  accad.  Torino  IIL,  1912/3,  9-4  ff.  Nach  ihm  wurden 
die  Mysterien  auf  die  Karneien  erst  durch  Mnasistratos  verlegt 
und  Apollon  Karneios  in  die  Reihe  der  Mj-steriengötter  aufgenommen. 
Mnasistratos  verzichtete  auf  sein  Amt  als  Hierophant,  dessen  Be- 
fugnisse auf  den  Priester  des  Apollon  Karneios  übergingen,  behielt 
«ich  aber  für  seine  Person  lebenslang  die  bisherigen  Privilegien 
vor.  —  Br.  Müller,  Diss.  Hai.  XXI,  1913,  298  vermutet, 
daß  in  Andania  ursprünglich  die  peloponnesischen  Dioskuren  ver- 
ehrt wurden,  die  erst  später  (durch  die  Neuerung  des  Methapos?) 
vielleicht  nach  delischer  Sitte  mit  den  Kabiren  ausgeglichen  und  als  d^eol 
fieyä/.OL  bezeichnet  wurden.  —  Die  mythischen  Beziehungen  zwischen 
Thessalien  und  Messenien,  insbesondere  zwischen  Pherai  und  Pharai, 
sowie  die  zwischen  dem  thessalischen  Oichalia  und  dem  bei  Pharai 


Me8senien.  3Ö3 

liegenden  Oiclialia  -  Karnasion  sind  ,  wie  K  u  i  p  e  r  ,  Mnemos. 
XXXVIII,  1910,  1-13  if.  scharfsinnig  nachweist,  noch  erhebUch 
enger  als  schon  bisher  angenommen  wurde.  Z.  T.  sind  die 
messenischen  Mythen  und  Kulte  älter  als  die  entsprechenden  thessa- 
lischen.  Von  Admetos  erzählte  man,  wie  auch  Kuiper  glaubt,  früh 
in  Pharai;  erst  der  Dichter  von  y  16  ff.  soll  ihn  hier  durch  Orsi- 
lochos  ersetzt  haben  (147).  Auch  Eumelos ,  der  Schwiegersohn 
des  Ikarios  (d  798),  paßt  besser  für  diese  Stadt  als  für  Pherai 
(154),  und  Asklepios,  mit  dessen  Tötung  Apollous  Dienst  bei  Ad- 
metos eingeleitet  wii'd,  hat  (153)  nach  raessenischer  Sage  in 
Messenien  gewohnt.  In  der  Tat  führen  verschiedene  Spuren 
darauf,  daß  Pharai  bereits  im  8.  Jh.  eine  reiche  mythische  Über- 
lieferung besaß  (Handb.  1568,  3).  Für  Pherai  läßt  sich  das  nicht 
mit  Grund  vermuten,  und  deshalb  scheint  es  mir  bedenklich,  diese 
Übereinstimmungen  mit  Kuiper  aus  minyeischen  Wanderungen  zu 
erklären ;  eher  könnten  messenische  Geschlechter  sich  auf  Grund 
der  früh  beobachteten  Übereinstimmungen  in  M}'thos  und  Kult  von 
thessalischen  abgeleitet  haben  oder  umgekehrt.  Aber  freilich  eine 
Ursache  müssen  diese  gewiß  nicht  zufälligen  Übereinstimmungen 
gehabt  haben.  Schon  die  Städtenamen  Pharai  und  Pherai  dürfen 
schwerlich  voneinander  getrennt  werden;  zwar  ist  der  Vokal  in 
beiden  Namen  verschieden ,  aber  in  der  Ilias  heißt  der  Vater  des 
Eumelos  Or^gr^iddr^g,  und  umgekehrt  gehört  zu  Pharai  wahrscheinlich 
Aphai'eus.  Lautgesetzlich  ist  der  Wechsel  bisher  nicht  zu  erklären ; 
aber  wahrscheinlich  ist  der  Name  überhaupt  nicht  griechisch,  und 
dann  ist  eine  genaue  Entsprechung  nicht  zu  erwarten.  Der  Name 
Pharai  findet  sich  außer  in  Messenien  auch  in  Achaia  und  Boiotien ; 
an  allen  drei  Orten  wie  auch  in  Thessalien  erzählt  die  Über- 
liefei'ung  von  einem  Schafgott,  der  in  Tanagra  und  Achaia  Hermes 
ygiocfOQOg  und  ^E7ti/u7Jliog,  in  Messenien  Apollon  Kagveiog  heißt.  In 
Pherai  freilich  hütet  Apollon  Rinder,  und  Eumelos  hat  (II.  B  763)  die 
bestenRosse,  aber  das  scheinenNeuerüngen,  da  Admetos,  dessenHerden 
Apollon  weidet,  in  Sparta,  das  diese  Überlieferungen  wahrscheinUch 
aus  dem  messenischenPharai  an  sich  gezogenhat,  indenÜberlieferuugen 
des  Apollon  Kagrelog  erscheint  und  Eumelos  durch  seinen  Namen  auf 
die  Schafzucht  hinweist.  Es  erhebt  sich  deshalb  die  Frage,  ob  die 
Namen  Phar  und  Karn  in  der  vorgriechischen  Sprache  irgendwie 
mit  dem  Kult  des  Schafgottes  zusammenhängen.  Indessen  sind 
die  Übereinstimmungen  zwischen  Pherai  und  Pharai  doch  wohl  zu 
groß ,  als  daß  sie  aUe  aus  der  vorgriechischen  Zeit  hergeleitet 
werden    könnten ;    vielmehr    scheinen    einzelne    Anklänge ,    die    sich 


:^(J4  Messenien.    Lakonien. 

erhalten  hatten,  die  Fürsten  von  Pherai  und  ihre  Dichter  veranlaßt 
zu  haben,  die  ganze  Überlieferung  der  sagenberühmten  peloponne- 
sischen  Stadt  nach  Thessalien  zu  übertragen. 

In  demselben  Band  (Vii)  der  Inscriptiones  Graecae ,  der  die 
messenischen  Inschriften  enthält ,  werden  von  W.  K  o  1  b  e  die 
lakonischen  gesammelt;  auch  ihnen  sind  die  wichtigsten  Angaben 
über  die  Landesgeschichte  aus  den  Schriften  werken  der  Alten  voran- 
gestellt. Das  ApoUonheüigtum  von  Aniyklai  war  nach  Versakis 
icf  agx-  li*12,  183  ff.  ursprünglich  unterhalb  des  Thrones  gelegen, 
und  hier  stand  auch  das  alte  von  Paus.  III  19,  2  erwähnte  ayaXfta. 
Später  erhielt  Bathj-kles  den  Auftrag ,  ein  Heiligtum  weiter  ober- 
halb und  zwar  so  zu  bauen  ,  daß  ein  (vielleicht  schon  vorher  vor- 
handenes) Hj-akinthosgrab  mit  umschlossen  und  das  alte  Bild 
ApoUons  mit  benutzt  würde.  —  Über  Weihegaben  der  Priesterinnen 
an  den  Dionysos  von  Bryseai  s.  TlQay.Ti/.d  1909,  296  ff.  —  In 
Sjmrta  haben  seit  1906  die  Engländer  gegraben,  vgl.  Ann.  ßrit. 
School  of  Athens  XHI,  1906/7,  44  ff. ;  XIV,  1907/8,  4  ff . ;  XV, 
1908/9,  5  ff.;  XVI,  1909/10,  15  ff.  Das  fast  völlige  Fehlen  myke- 
nischer  Funde  erklärt  sich  nach  Karo,  Arch.  f.  Religionswiss. 
XVI,  1913,  265  f.  daraus,  daß  die  mykenische  Stadt  weiter  südlich 
am  andern  Eurotasufer,  bei  Therapnai  lag,  wo  auch  das  Menelaos- 
gi-ab  gezeigt  wurde.  —  Das  Heihgtum  des  ApoUou  Kaqvüog  Ol- 
y.izac  scheint  nach  Woodward,  Ann.  Brit.  Seh.  Ath.  XV,  1908/9, 
81  (vgl.  Karo,  Arch.  f.  Eeligionswiss.  XVI,  1913,  264)  das 
^Leonidaion"  gewesen  zu  sein.  Über  das  Heiligtum  der  Athena 
nolLOiXO<i  (später  Xalv.ioiv.og)  berichtet  Dickins,  Ann.  Brit. 
Seh.  Ath.  Xni,  1906/7,  137  ff.  —  Besonders  ergebnisreich  waren 
die  unter  Leitung  von  Bosanquet  und  D a w k i n s  vorgenommenen 
Grabungen,  die  zur  völligen  Aufdeckung  des  Theaters  und  des 
Orthiatempels  geführt  haben.  Der  Tempel  lag  in  einem  hufeisen- 
förmigen, theaterähnlichen  Gebäude,  das  in  römischer  Zeit  errichtet 
wurde ,  damit  die  am  Altar  vorgenommenen  heiligen  Handlungen, 
darunter  auch  die  Geißelungen ,  von  der  Menge  gesehen  werden 
konnten.  Der  ältere .  aus  dem  Anfange  des  6.  Jhs.  stammende 
Tempel  selbst  war  früher  —  vielleicht  im  Zusammenhang  mit 
der  Erneuerung  der  lykurgischen  Verfassung  —  wiederhergestellt 
worden.  Das  älteste  Bauwerk .  ein  Häuschen  mit  Ziegelmauern 
lind  Fachwerk,  und  der  dazu  gehörige  Altar  sowie  der  noch  ältere 
in  einer  flachen  Mulde  gehören  der  geometrischen  Zeit  an.  Das 
Tempelbild  scheint  eine  stehende  Frau  mit  anliegenden  Armen  dar- 
gestellt   zu    haben.     Die    älteren   Weihgeschenke    zeigen    sie    meist 


Lakonien.    Argolis.  3gr^ 

geflügelt  mit  zwei  Tieren  —  gewöhnlich  Wassei-vögelu  —  in  den 
Händen,  s.  Thompson,  Journ.  Hell.  Stud.  XXIX,  1909,  286  ff., 
also  als  7c6Tvia  'hjQcov.  Obgleich  dieser  Typus  wenigstens  z.  T. 
wahrscheinlich  an  mykenische  Vorbilder  anknüpft,  hat  sich  auch 
hier,  abgesehen  von  einer  Gemme,  nichts  Mykenisches  gefunden, 
■wohl  aber  eine  Anzahl  geometrischer  und  protokorinthischer  Ware. 
Mit  der  Göttin  zusammen  wurde ,  wie  es  scheint ,  Eileithyia  ver- 
ehrt, s.  Dawkins,  Brit.  Seh.  of  Athens  XV,  lOOS'O,  21  f.  — 
Die  bei  den  Ausgrabungen  gefundenen  Gorgoneia  sind  nach  Schnabel, 
Kordax  S.  50  Masken,  die  beim  Tanz  getragen  wurden.  —  Für  FaarjTC- 
zov  bei  Paus.  III  12,  8  vermutet  Maaß,  österr.  Jahresh.  XI, 
1908,  13  aKrj/ttov  (tan  d^  inorof.ia<löiuevoi'  [^y.]i]TiT6v^  ieqov  yag). 
Das  Wort  soll  ebenso  wie  r^Xcoiov  eine  vom  Blitz  getroffene  Stelle 
bezeichnen. 

Dawkins  Grabungen  bei  dem  Eleusinion,  IV2  Stunden  süd- 
lich von  Sparta  (vgl.  Journ.  Hell.  Stud.  XXX,  1910,  359)  haben 
keine  nennenswerte  Funde  ergeben. 

Das  Menelaosheiligtum  in  Therapnai  am  östlichen  Eurotasufer 
"wiirde  durch  Wace  und  Thompson  freigelegt;  vgl.  die  Aus- 
grabungsberichte ,  Ann.  Brit.  School  of  Ath.  XV,  1908/9,  108  tf. 
Die  älteste  Anlage  scheint  bis  in  spät  mykenische  Zeit  hinauf- 
zureichen, womit  m.  E.  noch  nicht  entschieden  ist,  daß  der  wahr- 
scheinlich vorgi'iechische  Kult  Helenas  hier  in  so  alte  Zeit  hinauf- 
geht; tut  er  es,  so  ist  wahrscheinlich  Menelaos  als  Gatte  der 
Heroine  etwa  im  7.  Jh.  aus  der  argivischen  Kultur  hinzugetreten. 
Das  Heiligtum  in  Therapnai  blieb  bestehen ,  als  die  Stadt  nach 
Norden  auf  das  rechte  Ufer  des  Flusses  verlegt  wurde.  Nach  dem 
großen  Erdbeben  von  464  wurde  ein  Neubau  angelegt.  —  Daß  der 
Unterweltseingang  am  Tainaron  vordorisch  sei,  erschließt  Malten, 
Kyrene  120  aus  der  undorischen  Namensform  Pohoidan. 

Die  Funde  ägyptischer  Kleinkunst,  die  an  verschiedenen  Stellen 
von  Argolis ,  namentlich  am  Heraion  und  in  Mykenai  gemacht 
sind,  werden  von  Foucart  (zuletzt  Mysteres  d'Eleusis  1  ff.)  und 
von  A.  Fick,  Zeitschr.  f.  vergl.  Sprachforsch.  XL  VI,  1914,  119 
als  Beglaubigung  der  griechischen  Mythen  über  ägyptische  An- 
siedelungen in  der  Landschaft  betrachtet;  in  Wahrheit  bestätigen 
sie  nur,  was  die  Funde  auch  an  zahlreichen  anderen  Stätten  ge- 
lehrt haben,  daß  die  ägäische  Kultur  des  zweiten  Jahrtausends,  der 
sie  angehören,  in  Warenaustausch  wie  mit  Westasien  so  auch  mit 
Ägypten  gestanden  hat.  —  Aus  dem  Kuppelgrab  am  Heraion,  das 
unterhalb    einer   Felshöhle  liegt,   schließt  P.  Friedländer,    Ath. 


36G  Argolis.    Arkadien. 

Mitt.  XXXIV,  1909,  69  ff.,  da  die  übrigen  Grabdome  meist  zu 
einer  Burg  gehören,  daß  auch  die  Spitze  des  Heraions,  einst  eine 
Feste  getragen  habe,  nach  deren  Zerstörung  die  Eroberer  entweder 
den  Kult  der  früheren  Herren  beibehalten  oder  ihrer  eigenen 
Göttin  ein  Heiligtum  errichtet  hätten.  Er  dachte  sich  noch  Achaier 
als  Erbauer  der  alten  Burg,  heute  würde  man  eher  an  vorgi*iechische 
Besiedler  denken  und  ihnen  nicht  nur  Hera ,  sordern  auch  die 
Danaiden  und  lo,  die  in  der  Tat  nicht  griechische  Namen  zu  tragen 
scheinen,  zuweisen,  wenn  sie,  wie  Friedländer  meint,  aus  Legenden 
des  Heraion  stammen. 

Auch  auf  der  Larisa  von  Argos  hat  in  der  Zeit  der  mykeni- 
schen  Kultur  eine  Burg  gestanden ,  und  auch  der  Name  dieser 
Stadt  scheint  ungi-iechisch ,  ebenso  wie  die  der  meisten  Phylen 
oder  q>dzQai,  die  eine  von  W.  Vollgraff,  Bull.  corr.  hell.  XXXIII, 
1909,  182  ff.  veröffentlichte,  auch  für  die  Rehgionsgeschichte  und 
die  Mythologie  wichtige  argivische  Insckrift  bietet.  Wir  finden 
hier  u.  a.  Paionidai ,  Olisseidai ,  Arkeidai ,  Aithonidai  und  Vanidai. 
Der  Herausgeber  erinnert  an  Paion  von  Messenia ,  Odysseus  und 
Arkeisios  von  Ithaka,  Aithon  von  Thessalien  und  zweifelnd  an 
Anios  von  Delos.  Diese  Namen  scheinen  demnach  entweder  aus 
argivischen  Stammtafeln  zu  stammen  oder  doch  wenigstens  auch 
in  solchen  gestanden  zu  haben ,  wie  dies  von  Odysseus  bereits 
früher  (Handb.   175,  624)  vermutet  wurde. 

Über  das  'ieqov  von  Epidauros  handelt  der  Arzt  Arabantinos, 
"AayJ.r^nioQ,  Aal  ^a/.Xrj7tieia  32  ff.  —  Die  Kureten  IG,  IV,  996  in 
Epidauros  sind  nach  Poerner,  Dissert.  Hai.  XXII,  1913,  275 
wohl  an  die  Stelle  der  Daktylen  getreten.  —  Über  die  mythische  Königs- 
liste   von    Troizen  s.  Pf  ist  er,  Reliquienkult  I  (RV  u.  V,  V),  50  ff. 

Die  arli  ad  i  sehen  Überlieferungen  stellt  Hill  er  v.  Gär- 
t ringen  in  IG  Vn  ebenso  zusammen,  wie  wir  es  bereits  von  den 
messenischen  und  lakonischen  gesehen  haben.  —  Über  Ausgrabungen 
in  Kaphyai  Methydrion ,  Orchomenos ,  Teuthis ,  Theisoa  berichtet 
Lattermann,  Abh.  BAW  1911,  Anhang  IV,  S.  18  ff.  —  Über 
den  Apollontempel  in  Bassai  s.  Kuruniotis,  scp.  dgx-  1910,  271  ff. 
Unter  dem  Tempel  des  Iktinos  lag,  wie  die  Grabungen  lehren,  ein 
älterer,  bei  dem  der  Kult  bereits  im  7.  Jh.  rege  war.  —  Ebd.  29  ff. 
wird  über  die  Ausgrabungen  am  Heiligtum  des  Apollon  Parrasios 
und  an  der  Kretea  des  Lißiaion  (Paus.  VIII  32,  2)  berichtet  und 
142  ff.  über  die  am  Megaron  von  Lyjiosura  (Paus.  VIII  37,  8),  wo 
zahlreiche  Terrakotten  gefunden  sind.  Sie  stellen  großenteils  ein 
aufrechtstehendes  Schaf  in    einem  Frauenhimation    oder   eine  Frau 


Arkadien.  3(j7 

mit  einem  Schafs-,  seltener  Kuhkopf  (155  ff.)  dar,  die  einen  Korl> 
auf  dem  Kopf  trägt :  so  sollen  die  Verehrer  der  Göttin  ihre  Gaben 
in  Prozession  dargebracht  haben.  Das  von  Pausanias  genannte 
Megaron  wird  in  einem  Bauwerk  wiedergefunden ,  das  dem  Altar 
des  Zeus  Soter  in  Pergamon  sehr  ähnlich  war.  Der  Tempel  ist 
hellenistisch;  über  die  Kultgi'uppe  Demeter,  Despoina,  Artemis, 
Anytos  s.  Dickins,  Ann.  Brit.  Seh.  of  Ath.  XIII,  1906/7,  357 
und  Kuruniotis,  -/.axaloyog  rov  Movodov  yiv/.oooiQag,  Athen 
1911;  die  Artemis  von  Lykosura  behandelt  S.  Reinach,  Cultes 
mythes,  relig.  III  210  ff.  —  Über  StympJialos  vgl.  H.  Latt  er- 
mann und  F.  Hiller  v.  Gärtringen,  Ath.  Mitt.  XL,  1915^ 
71  ff.  Die  alte  Stadt,  w^o  Hera  von  Temenos,  Pelasgos'  Sohn,  auf- 
gezogen sein  sollte,  lag  auf  der  Halbinsel  im  See,  die  von  Pausanias 
allein  gesehene  Neustadt  am  Fluß  Metope ,  wo  der  Artemistempel 
sich  erhob  —  Über  Ausgrabungen  am  Tempel  der  Athena  (H)alea 
in  Tegea  vgl.  Ehomaios,  üquat.  1909,  303  ff.,  Arch.  Anz.  1911, 
131;  Du  gas,  Compt.  rend.  AIBL  1911,  257;  1912,  653;  Rev. 
de  l'art.  anc.  et  mod.  XXIX,  1911,  S.  9  ff .  Der  Tempel  ent- 
stammt der  ersten  Hälfte  des  4.  Jhs.  [Hjalea ,  später  Alea 
Athena  ist  nicht,  wie  R.  Meister,  Ber.  SGW  1889,  83  wollte,  der 
Athena  UoliaTig  gleichzusetzen,  s.  v.  Premerstein,  Österr. 
Jahresh.  XV,  1913,  198  und  besonders  Rhomaios ,  Journ.  intern, 
d'arch.  num.  XIV,  1912,  50  ff. ,  denn  das  Heiligtum  dieser  Göttin, 
die  auf  einer  von  Premerstein  a.  a.  0.  herausgegebenen  In- 
schrift .FaoaTcoxog  heißt  (vgl.  Telephos'  Gattin  Astyoche),  lag  am 
Markt,  das  der  Alea  Athana  über  3  Stadien  entfernt,  an  der  Süd- 
westecke der  Stadtmauer.  Rhomaios  versucht  nach  Mzz.  und 
einem  Relief  vom  Kultbild  eine  Vorstellung  zu  gewinnen ;  die  Göttin 
scheint  mit  einem  langen  gegürteten  Chiton  bekleidet  gewesen  zu 
sein  und  einen  korinthischen  Helm  sowie  eine  Lanze,  dagegen  keinen 
Schild  getragen  zu  haben.  Auf  der  Inschrift  des  Mummius  steht 
neben  ihr  Herakles ,  der  nach  einer  tegeatischen  Legende  von  ihr 
die  Gorgolocke  empfangen  haben  sollte  (ApoUod.  ßißX.  II  144).  — 
Das  Demeterheiligtum  nördlich  von  Tegea  hat  viele  Statuetten  der 
thronenden  Demeter  und  der  stehenden  Persephone  aus  Terrakotta, 
seltener  aus  Bronze  zutage  bringen  lassen ;  vgl,  über  den  Kult,  der 
sich  bis  ins  3.  Jh.  nach  Chr.  erhielt,  JIpaxTixa  1909,  317  ff. 

Die  Nordländer  der  Balkanhalbinsel. 

0.  Hoffmann,  Die  Makedonen,  ihre  Sprache  und  ihr  Volks- 
tum,   Göttingen    1906,    wiU    die    Makedonen    als    echte,    den 


Q^g  Makedonien.     Thrakien. 

Thessaleru  verwandte  Griechen  erweisen,  die  aber  von  den  unter- 
■worfenen  thrakisch  -  phrygischen  und  illjn-ischen  Stämmen  einzelne 
Elemente  aufgenommen  haben.  Ungefähr  auf  demselben  Standpunkt 
steht  Hoffmanns  Rezensent,  F.  S  o  1  m  s  e  n ,  Berl.  Phil.  Wochenschr. 
XXVII,  1007,  270  ff.,  der  aber  den  thrakisch-phrygischen  Einschuß 
stärker  betont  und  auf  ihn  auch  den  im  Griechischen  sich  sonst 
nicht  findenden  Ersatz  der  Aspirata  durch  die  Media  zurückführt. 
Über  die  Kulte  handelt  Hoffmann  S.  92  ff.  —  *Dobruskys, 
Materiaux  d'archeologie  en  Bulgarie,  Sophia  1907. 

Unter  den  von  Kaiinka,  Antike  Denkm.  aus  Bulgarien 
(Schriften  der  Balkankommission,  Antiquar.  Abt.  IV)  Wien  1907 
herausgegebenen  Inschriften  sind  erwähnenswert  die  Weihungen 
ÄU  KvQia  ^AcfQoditi]  (S.  165,  no.  183),  den  KvQiog  ^aßaUog  {\M\ 
die  !x/r€;i<o<  IcoirjQeg  (S.  179,  no.  200),  den  KvQiog  ^ovrj{TovXrjv6g? 
vgl.  no.  202,  KvQiog  "Hgcog  lovizovhjvcg)  ebd.  S.  180,  no.  203.  — 
Eine  Inschrift  aus  Sofia  (Serdica)  Klio  IX,  1909,  254  erwähnt  die 
Stiftung  eines  Heiligtums  der  Mater  deum.  Vielleicht  auf  denselben 
Kult  bezieht  sich  eine  andre  Inschrift  von  Sofia  (ebd.  258),  in  der 
^EvÖQoq^oQOi  der  Göttermutter  (Z.  3)  und  f^varai  (Z.  20)  genannt 
werden.  —  Die  thrakischen  Münzen  sind  im  zweiten  Bande  der  von 
der  BAW  herausgegebenen  Münzen  Nordgriechenlands  gesammelt. 
Dem  Referenten  war  bisher  erst  das  erste  Heft  (Berlin  1912)  zu- 
gänglich in  dem  M.  Strack  unter  Mitwirkung  von  H.  v.  Fritze 
die  Münzen  der  Thraker  und  der  Städte  Abdera,  Ainos  und 
Auchialos  zusammengestellt  hat.  —  Ein  Schüler  von  0.  Kern, 
W.  Baege  (De  Macedonum  sacris ,  Diss.  Hai.  XXIIj,  1913)  gibt 
eine  sorgfältige  Darstellung  der  makedonischen  Kulte.  Der  Haupt- 
wert der  Arbeit  liegt  begreiflicherweise  in  der  Sammlung  der  Zeug- 
nisse ;  aber  der  Verfasser  beweist  auch  in  den  Folgerungen ,  die 
er  aus  ihnen  zieht,  Urteil  und  Verständnis.  In  ethnographischer 
Beziehung  teilt  er  ungefähr  die  Ansichten  Solmsens;  er  glaubt, 
daß  die  Makedonen  sich  mit  der  von  ihnen  beherrschten  haupt- 
sächlich thrakophrj'gischen  Bevölkerung  verschmolzen  haben ;  letzterer 
schreibt  er  z.  B.  den  Dionysos  zu  (105).  Diese  Annahme  liegt 
nahe  und  ist  vielleicht  richtig;  da  aber  einerseits  sehr  alte  mittel- 
griechische Ansiedlungen  an  der  thrakisch-makedonischen  Küste, 
anderseits  enge  Beziehungen  zwischen  dem  thrakisch-phrygischen 
Dionysoskult  und  den  mittelgriechischen  Kolonialstaaten  feststehen, 
und  da  drittens  die  freilich  von  manchen  Forschern  noch  an- 
genommenen thrakischen  Niederlassungen  am  euboiischen  und  ma- 
lischen   Meerbusen    ziemlich    unwahrscheinlich    sind ,    so    scheinen 


Thrakien.  369 

daan  die  Kulte  aus  den  Kolonien  in  deren  Heimat  gewandert  zu  sein. 
Diese  Annahme  mag  zunächst  befremden ,  aber  bei  reiflicherem 
Nachdenken  wird  es  als  nicht  unmöglich  und  auch  nicht  als  un- 
wahrscheinlich erscheinen,  daß  im  8.  Jh.  der  in  Thrakien  vor- 
gefundene orgiastische  Kult  zunächst  bei  den  griechischen  Zu- 
wanderern  Modesache  wurde  und  daß  sich  dann  auch  im  Mutter- 
lande Kult-  und  Geschlechtsgeuossenschaften  bildeten ,  die  sich 
Thraker  oder  mit  einem  thrakischen  Wort  Dyaleis  nannten.  Frei- 
lich konnte  es  dann  kaum  ausbleiben ,  daß  echt  griechische  oder 
von  den  Einwanderern  in  Griechenland  vorgefundene  Elemente, 
eben  die ,  auf  welche  sich  die  Annahme  einer  Übertragung  des 
Dionysoskultus  nach,  nicht  von  Thrakien  stützte,  in  den  barbarischen 
Kult  eindrangen;  und  dann  ist  die  Frage  nach  der  Richtung  der 
Übertragung,  wenn  sie  mehr  bedeutet  als  die  Heimat  des  Namens 
Dionysos,  überhaupt  nicht  glatt  zu  erledigen.  —  G.  Oikonomos, 
^Euiygafpal  xrjg  Maxeöoviag  {ßiß'kioO-rf/.r}  rrjg  sv  ^^(^yvaig  agyaio- 
XoyfKfjg  ezaiQEiag)  I,  Athen  1915,  sammelt  pierische  Inschriften 
hauptsächlich  aus  Dion  (z.  B.  auf  Athena-  und  Asklepioskult  be- 
zügliche no.  6  u.  4)  und  aus  Pydna  (wo  no.  64  einen  Zeuskult 
erwähnt).  —  Von  einzelnen  makedonischen  und  thrakischen  Kult- 
stätten ist  nur  wenig  zu  erwähnen.  In  Abdera  diente ,  wie  sich 
aus  der  im  Bull.  corr.  hell.  XXXVII,  1913,  125  no.  39  veröffent- 
lichten Inschrift  (Z.  34;  vgl.  ebd.  123  no.  39,  23)  ergibt,  das 
Dionysosheiligtum,  das  als  {ß7iiq)aveoT)aTog  Tojco^g)  galt,  zur  Auf- 
stellung von  Urkunden  5  über  einen  Jlovvouov  aycuv  s.  ebd.  S.  123.  — 
Über  eine  lokrische  Ansiedlung  daselbst  handelt  Jure nka,  Philol. 
LXXI',  1912,  173  ff.  auf  Grund  der  Abdei'ossage  in  dem  neuen 
Paian  Pindars.  Die  Abderossage  ist  ihm  eine  Ktisisgeschichte 
in  mythischer  Form,  aus  der  er  als  geschichtliche  Tatsache  ent- 
nimmt, daß  eine  lokrische  Schar  unter  Abderos,  Thronies  Sohn, 
in  der  durch  Herakles  vertretenen  phoinikischen  Handelsstation 
Abdera  landete,  zuerst  die  thrakischen  Barbaren  schlug,  die  durch 
Diomedes  (=  Ares)  und  seine  menschenfressenden  ßosse  repräsen- 
tiert werden,  dann  ihren  Führer  Abderos  bei  einer  blutigen  Em- 
pörung der  Thraker  verlor,  aber  bald  darauf  mit  Hilfe  der  Phoiniker 
Rache  nahm.  —  Der  Bezirk  der  Kampfspiele,  das  Ji]qccivov^  die 
Altis  von  Abdera ,  umschloß  den  Tempel  des  Apollon ,  des 
sTOÜtor/og  der  Stadt,  und  vielleicht  den  der  Aphrodite.  —  Sehr 
ausführlich  verbreitet  sich  über  das  Fang aion  P.  Perdrizet, 
Cultes  et  mythes  du  Pangee,  Ann.  de  l'Est  pubüees  par  la  Faculte 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  186  (Supplementband).  24 


370  Thrakien.    Ägäische  Inseln, 

des  Lettres  de  rUniversite  de  Naccy  Uli,  1910  (auch  als  Sonder- 
druck. Paris.  Nancy  1010  erschienen).  Das  von  Maaß  unterschiedene 
doppelte  Dionysosheiligtum  in  Amphipolis  und  auf  dem  Pangaion 
wird  (S.  30)  geleugnet;  ebenso  der  orphische  Einfluß  auf  den 
Pangaioudienst  und  die  von  Maaß  1.3.^  verteidigte,  auf  Himerios 
fußende  Annahme  eines  Leibethra  am  Pangaion.  Die  Angabe 
Alexanders,  des  Vielwissers,  bei  Macr.-Sat.  I  18,  11  (FHG  III, 
244,  151)  über  den  Kult  des  Helios-Dion^-sos  auf  dem  Zilmissos- 
berg  soll  auf  das  Heiligtum  bei  den  Bessen  gehen  (43).  —  Vgl. 
zu  Perdrizets  Untersuchung  Vollgraff,  Rev.  et.  anc.  XII,  1910, 
429.  —  Svoronos.  Jouru.  intern,  d'arch.  num.  XV,  1913,  252  ff. 
will  pierische  Kulte  am  Pangaion  nachweisen.  Er  verbindet  z.  B. 
den  Eberaltar  makedonischer  Münzen  mit  der  Sage  vom  Sys  am 
Olymp  (Paus.  IX  30,  11). 

Inseln  des  ägäischen  Meeres. 

Das  Ergebnis  seiner  Ausgrabungen  an  dem  Tempel  zu  Aigina 
faßt  A.  Furtwängler  in  dem  großen  Werk  „Das  Heiligtum  der 
Aphaia,  unter  Mitwirkung  von  E.  R.  Fiechter  und  H.  Thiersch", 
München  1906  zusammen.  Wie  Furtwängler  nehmen  auch  Maiuri, 
Rom.  Mitt.  XXV,  1910,  197  ff.,  und  Savignoni,  ebd.,  206  ff., 
welche  aber  in  der  Ergänzung  und  Deutung  der  Widmungsinschrift 
auseinander   gehen ,    an ,  daß  der  Tempel  der  Aphaia  geweiht  war. 

Del  OS.  Kurze  Ausgrabungsberichte  von  Holleaux  finden 
sich  in  den  Comptes  rend.  AIBL  1906,  546;  1907,  335  ff.;  1908, 
163  ff. ;  über  die  Fortsetzung  dieser  Berichte  s.  u.  Seit  1909  er- 
scheint das  große  Werk  Exploration  archeol.  de  Delos  faite  par 
Tecole  franpaise  d'Athenes  et  publice  sousladirectionde  Th.Homolle 
et  M.  Holleaux.  —  Von  einzelnen  delischen  Kulten  bespricht 
A.  Mommsen,  Philol.  LXVI,  1907.  433  ff.  den  des  delischen 
Apollon\  den  Hömeraltar  versetzt  Courby,  Mel.  Holleaux,  Paris 
1913,  59  ff.  in  ein  fast  völlig  zerstörtes  Gebäude  vor  den  Tempeln 
im  Westen  des  heiligen  Weges,  wogegen  0.  Roßbach,  Berl. 
Phü.  Wochenschr.  XXXV,  1915,  361  einwendet,  daß  nach  Od. 
L  162  und  Polyb.  XXVI  1,  11  der  Altar  eher  im  Freien  gestanden 
zu  haben  scheine.  —  Über  das  KahcArion  vgl.  Holleaux,  Comptes 
rendus  AIBL,  1910,  306  ff.  Der  Kult  bestand  bereits  im  3.  Jh., 
aber  der  Tempel  wurde  101  v.  Chr.  erneuert.  —  Über  die  Nym- 
phai  Mivoldeg  und  die  Quelle  Mivoh],  MivwIt]  s.  Holleaux  ebd. 
1909,  413  ff.  Ein  kleines  Gebäude  an  der  Südseite  des  Stadions 
hält  A.  Plassart,  Mel.  Holleaux  1913,  S.  201  ff.  für  die  jüdische 


Delos.    Euboia,  37 1 

Synagoge.  —  Viel  behandelt  ist  das  Temenos  der  fremden  Götter 
an  den  Inoposabhängen ;  vgl.  Rusch,  De  Serapide  et  Iside  in 
Graecia  cultis  S.  38  ff. ;  W.  Scott  Ferguson ,  Klio  VII,  19ü7, 
226;  IX,  1909,  332  ff. ;  Roussel,  Bull.  corr.  hell.  XXXU,  1908, 
186;  Comptes  rend.  AIBL  1910,  521  ff.;  Holleaux,  ebd.  290  ff. 
Ferguson  will  aus  den  Inschriften  feststellen,  daß  die  meisten  dieser 
Kulte  unter  athenischer  Herrschaft  im  2.  Jh.  v.  Chr.  gestiftet  seien, 
daß  aber  ein  Serapis-  und  ein  Isisheiligtum  schon  vor  der  zweiten 
athenischen  Okkupation  bestanden  habe ,  aus  dem  auch  einzelne 
Gegenstände  in  ein  jüngeres  Heiligtum  der  ägyptischen  Götter  über- 
tragen seien.  Ferguson  bestreitet  gegen  Roussel,  daß  dieses 
wegen  der  älteren  dort  gefundenen  Gegenstände  vor  137/6  gestiftet 
sein  müsse.  Mit  den  ägyptischen  und  syrischen  Niederlassungen 
auf  Delos  ist  nach  Ferguson  auch  der  Kult  der  fremden  Götter 
erloschen.  Hiergegen  wendet  sich  Holleaux  a.  a.  0.  Zwar 
nimmt  auch  er  an,  daß  die  „fremden"  Götter  ursprünglich  von 
Fremden  verehrt  seien,  er  meint  aber,  daß  sie  später  in  den  Kreis 
der  Staatsgottheiten  übergingen  und  daher  keineswegs  erloschen, 
als  mit  der  politischen  Blüte  der  Diadochenreiche  auch  ihre  Handels- 
beziehungen zu  Delos  dahinschwanden ,  daß  Rom  den  delischen 
Kult  der  fremden  Götter  sogar  begünstigt  habe.  Es  sind  zwei 
Gruppen  von  Heiligtümern  zu  xmterscheideu ,  von  denen  die  auf 
dem  südlichen  Teil  der  TeiTasse  gelegene  (Holleaux  294  ff.)  den 
ägyptischen  Göttern  geweiht  war.  Hier  erhob  sich  schon  ungefähi- 
200  V.  Chr.,  wie  Weihinschriften  an  Serapis,  Isis,  Anubis,  Ammon 
(aber  auch  an  Artemis  Ocooq)6Qog)  beweisen  (Roussel  a.  a.  0. 
523  f.) ,  ein  ihnen  geweihtes  Heiligtum.  Es  sind  mehrere  Tempel 
einzelner  Gottheiten  auf  der  felsigen  Plattform  über  dem  Inopos 
zu  unterscheiden;  gegen  Ende  des  2.  Jhs.  v.  Chr.  wurde  aber 
weiter  im  Südosten  eine  zusammenfassende  gemeinsame  Kultstätte 
errichtet.  Auf  dem  nördlichen  Teil  der  Terrasse  lag  dann  das 
Heiligtum  der  syrischen  Göttin  Atargatis  (Holleaux  a.  a.  0.  300  ff.), 
der  gegen  Ende  des  2.  Jhs.  ein  kleines  Theater  geweiht  wurde 
(Arch.  Anz.  XXIX,  1914,  155);  ihrem  Kult  schreibt  Roussel, 
Mel.  Holleaux  265,  eine  dehsche  Stele  mit  Reinheitsvorschriften  zu. 
Die  Inschriften  von  Eu hoia  sammelt  E.Ziebarth,IG XII  9, 
1915.  —  Der  Streit  um  die  in  Chdlkis  gefundene,  von  Papabasileios  ecp. 
aqX-  1902,  S.  29  ff.  herausgegebene  Inschrift,  die  nach  Wilhelm 
ebd.  1902,  185  u.  1904,  103  f.  aus  Athen  verschleppt  ist,  hat  auch 
in  der  Berichtsperiode  fortgedauert.  Die  in  der  Inschrift  genannten 
Kulte  sind  meist  attisch ,  und  deshalb  stellt  sich  Ziehen,   Leges 

24* 


372  Euboia.    Ikos.    Keos. 

sacrae  Hi,  S.  42  ff.  entschieden  auf  Wilhelms  Seite ;  aber  Farnell, 
Cl.    Rev.  l'JOG,  27  ff.    glaubt   ihren    euboiischen  Ursprung   mit   der 
Vennutuug  halten  zu  können ,    daß  die  mit  der  Anlage  der  Pflanz- 
stadt   444    neu  eingeführten    attischen  Kulte   (Herakles  iv  ^EXaiel, 
Zeig  TgOTtaJog,  Aphrodite  sq)  ^iTtnolirii))  die  einheimischen  eretri- 
schen  (Eros  und  Glaukos)  überwuchert  habe,  und  Papabas ileios, 
dessen  Gründe  Wilhelm  bereits  zweimal  widerlegt  hatte ,    versucht 
ew.  ciQX-  1911,  81  ff.  seine  Ansicht  noch  einmal  zu  stützen.  —  In 
Ereirin    fanden   Ausgrabungen   am   Heiligtum    des  Apollon  Jag)vrj- 
(fOQog  statt,  die  u.  a.  zahlreiche,  von  Kuruniotis,  icp-  uqx-  1911, 
1  ff.    herausgegebene    Inschriften    zutage    gefördert   haben.      Neben 
dem   großen    ApoUonheiligtum    wurde    ein   kleineres    entdeckt,    das 
wahrscheinlich    die    Perser    zerstört   haben:    vgl.    Karo,    Arch.    f. 
Rehgionswiss.    XVI,    1913,    273.  —  Ein    Tempel  mit    dem    Thes- 
mophorion   ist  jetzt  durch  eine  Weihung  an  Köre  auf  der  Südost- 
seite der  Akropolis  erwiesen;  s.  Arch.  Anz.  1911,  122.    Über  den 
Ort,  an  dem  die  eretrischen  Artemisia  gefeiert  wurden,  vgl.  Papa - 
basileios,  eq^.  oqx-  1911,  94.  —  Ein  Thesmophorion  westlich  von 
Eretria  wurde  durch  Kuruniotis  entdeckt,  vgl.  Arch.  Anz.  1911,  122. 
Für   die    Peleussage    auf  IJcos   erschließt  v.  Wilamowitz 
Herrn.  XLIV  1909,    474  f.    neue  Zeugnisse,   indem   er  nach  Anth. 
Pal.    VII    2,    8    bei    Seh.  Pind.  Hvi^  III  167  «^  und  Seh.  Eur.   Tq. 
1128  für  Kos   einsetzt  Ikos,  was  durch  Kallim.  airia  Oxyrh.  Pap. 
XI,  1915,   no.  1362   v.  23  f.    bestätigt   wird.     Es    fallen   damit  an- 
scheinend festgegründete  Kombinationen,    z.  B.  von  K.  0.  MüUer, 
der  daran  erinnerte,    daß  Peleus'  Gastfreund  Molon  einen  auf  Kos 
häufigen   Namen   trage    und    daher    der   koischen   Peleussage   sogar 
geschichtlichen  Wert  zuerkannte,  von  Dibbelt,  der  zu  dem  koischen 
Abanten  Molon  die  den  chalkidischen  Abanten  gleichnamigen  Koer 
Chalkiope  und  Chalkon  stellte,  und  v.  Wilamowitz  selbst,  der  in  der 
nahen  Beziehung  der  koischen  Abanten  zu  dem  thessalischen  Peleus 
einen   Beweis    für   die   Zusammengehörigkeit   von  Histiaia  auf  dem 
abantischen   Euboia   und   der   thessalischen   Landschaft  Hestiaiotis 
gesehen  hatte.    Alle  diese  scharfsinnigen  Vermutungen  müssen  selbst 
in    dem    Fall   aufgegeben    werden,    wenn   der   koische  Molon  nicht 
auf   einem  sehr  alten  Schreibfehler,  sondern  darauf  beruhen  sollte, 
daß    ein    koisches   Geschlecht    die   Sage    von  Ikos    sich    angeeignet 
und  mit  seinen  eigenen  Überlieferungen  verschmolzen  hat. 

Nachdem  bereits  das  Siegeslied  des  Bakchylides  auf  den 
Keier  Argeios  die  Überlieferung  über  die  mythische  Geschichte 
von  Keos  sehr  bereichert  hatte,  werden  neue  Aufschlüsse  geboten, 


Keos.  373 

freilich  zugleich  neue  Rätsel  aufgegeben  durch  den  vor  kurzem 
entdeckten  Paian  Pindars  und  das  große  Kallimachosbruchstück 
Oxyrh.  Pap.  VII,  1910,  S.  25,  das  den  zweiten  Teil  der  Kydippe- 
sage ,  zugleich  aber  im  Anschluß  daran  (54  ff.)  einen  Auszug  aus 
der  keischen  Geschichte  des  d^x^t^og  X€voi.ajöi]g  bringt,  og  Ttoie 
naaav  vi^aov  ivl  ^ivr^iA]]  yiccTd^eio  f-ivO^oloyo).  Es  ist  dies  offenbar 
derselbe,  der  im  EM  d^tlyei  445,  8  genannt  wird  (!^)£vofA{rJd)jg 
(überl.  ^Evoi-iidrjg)  b  %a{K)eLa  (tiberl.  d^ela)  ygdipag  xal  xovg  Telyj.vag 
STVf^oloyi^aag  einev  ori  Oelylveg  ijaav.  Nach  Xenomedes  werden 
(v.  70  ff.)  als  Stadtgründer  auf  Keos  bezeichnet  Megakles  (von 
Karthaia) ,  Eupylos ,  der  Sohn  der  Nymphe  Chi-(y)so  (von  lulis), 
Akai  .  .  .  (von  Poieessa)  und  Aphrastos  (von  Koression).  Wir 
hören  (v.  62)  von  Karern  und  Lelegern  auf  Keos ,  von  den  Tei- 
chinen und  dem  törichten  Frevler  Demonax,  von  Makelo  und  ihrer 
Tochter ,  die  allein  verschont  blieben,  als  die  Bewohner  der  Insel 
ihrer  Ruchlosigkeit  wegen  zugi-unde  gingen.  Diese  Verse  erläutern 
z.  T.  den  Bericht  des  Bakchylides  I  114  ff.,  Nonn.  J.  XVIII,  35  ff. 
und  die  verworrenen ,  auch  schlecht  überlieferten  Angaben  beim 
Schol.  Ov.  Ib.  473  =  475,  lassen  sich  aber  mit  ihnen  nicht  ganz 
vereinigen.  Es  folgt  die  Euxantioslegende ,  über  die  jetzt  auch 
Pind.  nai.  IV  34  ff.  S.  279  Sehr.  2  =  Oxyrh.  Pap.  VIII  841,  S.  37 
(vgl.  S.  90)  vorliegt:  Zeus  und  Poseidon  haben  mit  Blitz  und 
Dreizack  die  Insel  geschlagen  und  den  OTQazog  in  den  tiefen  Tar- 
taros gestoßen ,  aber  die  Mutter  des  Euxantios  übrig  gelassen.  — 
Diese  Fülle  neuer  Mythen  hat  begreiflicherweise  zahlreiche  Unter- 
suchungen hervorgerufen.  K.  Chr.  S 1 0 r c k ,  Die  ältesten  Sagen 
der  Insel  Keos,  Gießener  Diss.,  Mainz  1912  behandelt,  hauptsäch- 
lich im  Anschluß  an  das  neue  Kydippebruchstück ,  die  Nymphen 
(5  ff.),  Aristaios  und  Zeus  ^AQiOTolog  (8  ff.) ,  Apollon  (13)  und 
Dionysos.  Er  glaubt  aus  den  Sagen  die  Vorgeschichte  der  Insel 
erschließen  zu  können ,  die  er  in  drei  Pex'ioden  einteilt.  Zuerst 
sollen  Leleger,  die  den  Kult  des  Apollon  Sminthios  und  der  Athena 
Nedusia  einführten  und  vielen  Orten  den  Namen  gaben  (KoQi]Go6g 
usw.) ,  auf  der  Insel  gewohnt  haben ,  auf  sie  folgten  nach  Storck 
Karer.  Einen  Lelegerfürsten  sieht  er  (17)  auch  in  dem  Eponymen 
der  Insel,  weil  die  Sage  ihn  gewöhnlich  aus  Naupaktos  stammen 
läßt,  wo  nach  Hesiod.  fr.  115  Rz.2  =  Strab.  VII  7,  2,  322  vielleicht 
Leleger  wohnten;  doch  meint  Kallimachos  mit  seinen  Lelegern 
wirkliche  Kleinasiaten,  da  der  Zeus  'AXaKa^iog ■,  dem  sie  unter 
Trompetenschall  opfern,  dem  karischen  ^TQccTiog  gleichgesetzt  wird. 
Denn   selbst  wenn   hiermit    nicht   nur   die   keischen  Leleger  durch 


374  Keos. 

ihren  Zeus  als  Karer  gekeunzeichnet  sein,  sondern  die  Keier  wirk- 
lich den  ^TQCcTiog  verehrt  haben  sollten,  würde  Kallimachos  dies 
nicht  hervorgehoben  haben,  wenn  er  nicht  die  beiden  Angaben 
über  die  Übervölkerung  der  Insel  und  den  Zeusdienst  verbinden 
und  die  eine  durch  die  andere  beglaubigen  wollte.  Mit  Recht  hebt 
auch  F.  Sitz  1er,  Berl.  Phü.  Wochenschr.  XXXVI  1916,  789 
hervor,  daß  (.terä  zu  Anfang  des  den  Keos  einführenden  Satzes 
„nachher"  bedeuten  könne  und  daß  KalHmachos  den  Keos  vielmehr 
aus  Arkadien  herzuleiten  scheine.  Auf  die  Leleger  folgten  nach 
Storck  Kreter,  die  zur  See  herrschten,  auf  diese  wiederum 
gi'iechische  (dryopische '?)  Stämme.  —  Gunning,  De  Ceorum  fabulis 
antiquissimis  quaestiones  selectae,  Amsterdamer  Diss.  1912  behan- 
delt die  vorgriechischen  lelegischen  und  karischen  Überlieferungen 
an  der  Hand  des  Kydippebruchstückes ,  dessen  Besprechung  den 
ersten  Teil  der  Abhandlung  bildet.  Nachdem  im  zweiten  Teil  die 
ethnogi'aiDhischen  Angaben  über  Keos  geprüft  sind  (26  ff.) ,  wobei 
von  den  Ortsnamen  Karthaia  für  vielleicht  phoinikisch,  Koressos 
und  MeHssos  (40)  für  karisch  erklärt  werden,  handelt  Kap.  3 
(49  ff.)  über  die  Sage  von  dem  Telchinenkönig  Demonax  und  Dexi- 
thea  sowie  (66  ff.)  über  die  korykischen  Nymphen.  —  Jockl, 
Wien.  Stud.  XXXVII,  1915,  151  stellt  die  keische  Sage  in  der 
Quelle  des  Bakchylides  so  her:  als  die  Teichinen  die  Fluren  von 
Keos  verzaubern,  besuchen  Zeus  und  wahrscheinlich  Apollon  (vgl. 
Nonn.  z/.  XVIII,  35)  die  Insel,  wei'den  von  den  Teichinen  nicht 
aufgenommen ,  aber  von  den  Töchtern  ihres  Königs  gastlich  be- 
wirtet. Die  Götter  beschließen,  diese  durch  ein  Traumbild  (Bak- 
chyl.  50)  vor  dem  beschlossenen  Untergang  der  Stadt  zu  warnen; 
während  die  übrigen  Töchter  folgen,  scheint  Makelo  (Ov.  Ib.  475 
=  473)  aus  Gattenliebe  mit  den  andern  Teichinen  umgekommen 
zu  sein.  An  Bakchylides  schloß  sich  Nikander  an.  Kallimachos 
unterscheidet  sich  von  ihnen  dadurch ,  daß  er  erstens  nichts  von 
Minos'  Ankunft  und  der  Geburt  des  Euxantios  sagt  und  zweitens 
Makelo  Gattin,  nicht  Tochter  des  Demonax  (=  Dämon  bei  Seh. 
Ov.  Ib.  475  =  473),  also  Mutter,  nicht  Schwester  Dexitheas  nennt. 
Nach  Jockl  155  bieten  Xenomedes-Kallimachos  die  ältere  Sagen- 
form,  der  auch  Find.  Tlai.  IV  42  folgt.  Bei  Nonnos  a.  a.  0.  sind 
die  Teichinen  durch  die  Phleg}-er  ersetzt,  die  Poseidon  (wie  bei 
Euphorion  Serv.  Aen.  VI  618)  vernichtet.  —  An  bereits  früher 
bekannte  keische  Überlieferungen  knüpft  Malten,  Kyrene  91  f. 
an.  Einer  Andeutung  von  Blaß  (Einleit.  zu  Bakchyl^  S.  LIY) 
und  V.  Wilamowitz  (GGN  1898,  128)  folgend,  will  er  die  „bakchyli- 


Keos.    Kos.    Kreta.  375 

deischen"  (fr.  52)  Telchinennamen  Aktaios,  Megalesios,  Ormenos 
und  Lykos  als  keisch  erweisen.  Er  bringt  den  Namen  Aktaios 
mit  dem  des  Jägers  Aktaion  zusammen,  dessen  Hunde  nach  Arme- 
nidas  in  Teichinen  verwandelt  wurden,  den  also  ursprünglich  Zeus' 
oder  Artemis'  Hunde ,  die  Teichinen  oder  diese  in  Hundegestalt 
zerrissen  haben  soUten.  Allein  die  Namensähnlichkeit  zwischen 
dem  Jäger  und  dem  ihn  zeiTcißenden  Teichinen  ist  doch ,  selbst 
wenn  Malten  die  älteste  Sagenform  richtig  erschlossen  haben  sollte, 
ein  unsicherer  Anhalt;  Bakchylides  selbst  bietet  'Etclv.  I  116  ff. 
eine  ganz  andere  Sagenform,  und  es  ist  leicht  möglich,  daß  Tz. 
Qeoy.  81  irrig  Bakchylides  als  Gewährsmann  nennt,  oder  daß  dieser 
an  anderer  Stelle  eine  andere ,  nicht  keische  Sagenform  erzählte. 
Blinkenberg,  Herrn.  L,  1915,  301  ff.  weist  daraufhin,  daß  die 
von  Tzetzes  gebotenen  Telchinennamen  wahrscheinlich  rhodisch 
sind,  und  daß  für  Aktaios  wahrscheinlich  Antaios  (vgl.  Tz.  /iA. 
YII  124)  zu  lesen  sei.  —  Von  eigenen  Vermutungen  Blinkenbergs 
sei  hervorgehoben,  daß  er  Ov.  Ib.  468  und  473  auf  zwei  Brechungen 
derselben  Sage  zurückführt ,  die  der  Dichter  als  solche  nicht  er- 
kannte, und  daß  er  in  der  Sage  von  Minos  (Bakchyl.  Eniv.  I,  113  ff.), 
der ,  wie  schon  v.  Wilamowitz  angenommen  hatte ,  an  die  Stelle 
des  Zeus  getreten  sein  soll,  eine  Nachbildung  der  Argonautensage  von 
dem  Weibervolke  sieht.  Sollten  den  Frauen  Männer  zugeführt  werden, 
so  bot  sich  das  Seevolk  der  Ki-eter  von  selbst  dar,  deren  König 
Minos  natürlich  die  Prinzessin  Dexione  (Dexithea)  heiraten  mußte. 

Die  Lage  des  Asklepiosheiligtums  von  ICos  erläutert  B.  Herz  og, 
Arch.  f.  Eeligionswiss.  X,  1907,  201  ff. 

Inschriften  aus  Kr eta  veröffentlicht  Xanthudides,  t(p. 
ccQX-  1908,  197  ff. ;  hervorzuheben  sind  no.  1  (aus  dem  Diktaion), 
2,  15  (aus  Lato),  16  (Kjiossos)  ,  17  (Chersonnesos) ,  18  und  19 
(Gortyn).  —  Daß  Epimenides ,  der  Dichter  der  KQtjTi/.d ,  ein 
Alexandriner  war,  will  Neustadt,  De  love  Cretico  40  erweisen.  — 
Zahlreiche  semitische  Orts-  und  mythische  Namen  auf  Kreta  glaubt 
Aßmann,  Philol.  LXVII,  1908,  161  entdeckt  zu  haben-,  so  soll 
z.  B.  Tarra,  wo  ApoUon  nach  der  Sage  von  dem  Drachenmord 
entsühnt  wird,  =  taharah  „Reinigung  von  Sünde"  sein  (166), 
Kastalios  =  Kassath  eli  „Bogenschütze  des  Gottes" ,  AkakaUis 
=  Chakak  el  „Gott  hat  verordnet",  ßhadamanthys  =  radah  methim 
„Herrscher  der  Toten".  Korybas  wird  als  qarob  Ba'^al,  „dem  Ba'al 
nahestehend"  gedeutet.  Spuren  babylonisch  -  assyrischer  Ein- 
wanderung in  Kreta  findet  Aßmann  193  ff.  in  den  Namen  Asterios 
vgl.  Istar),  Kadistos  (vgl.  Kadistu,   Hierodule  Istars),   Kyta  (vgl. 


876  Kreta. 

Kutha),  Lasos  (vgl.  die  babylonische  Göttin  Laz)  u.  aa.  Arabischen 
Einfluß  sollen  die  Namen  Minos  (vgl.  die  Minaei)  und  Rhada- 
manthys  (vgl.  die  Ehadamaei)  u,  aa.  erweisen.  —  Für  ein  Misch- 
volk hält  die  Kreter  Schaefer,  De  love  apud  Cares  culto,  Diss. 
phil.  Hai.  XX,  4,  1912,  S.  377  ff.  Die  kretische  Doppelaxt  wird 
von  Karien  hergeleitet  (382)  und  die  Ableitung  des  Labyrinths 
von  lä^Qvg,  die  Ed.  Meyer,  Gesch.  des  Altertums  I^u,  S.  637 
sehr  problematisch  findet,  gebilligt.  —  Gegenüber  der  Ansicht, 
daß  die  vorgriechischen  Bewohner  Kretas  beim  Eindringen  der 
Griechen  großenteils  nach  Kleinasien,  ihrer  Heimat,  zurückfluteten, 
folgert  E.  Bethe,  Rh.  Mus.  LXV,  1910,  214  aus  dem  Fehlen 
von  Minossagen  daselbst ,  daß  die  vertriebenen  Kefti  dort  keine 
dauernde  Aufnahme  fanden.  —  Die  Beziehungen  Kretas  zu  Olympia 
bespricht  L.  Weniger  Klio  VII,  1907,  177  ff.,  die  zu  Arkadien 
stellen  Aly,  Kret.  Apollonkult  56  und  S.  Rein  ach,  Cultes,  mythes, 
relif.  III  221,  der  die  Schlangengöttin  von  Knossos  in  der  Artemis 
von  Lykosura  fortleben  läßt,  zusammen.  —  Mit  Thessalien  ist 
Kreta,  wie  A.  J.  Rein  ach,  Rev.  bist,  des  rel.  LX,  1909  2,  188  f. 
zeigt,  ebenfalls  durch  gemeinsame  epichorische  Bezeichnungen  wie 
Axios  (Axos),  Boibe ,  Gyrton  oder  Gordynia  (in  Kreta  Gortyn), 
Larisa,  Lethaios,  Magnesia,  Omphalion,  Peneios,  Phaistos,  Phalanna, 
(in  Kreta  Phalasarna),  Pherai  (Pharai),  Pydna  (in  Kreta  Hierapytna), 
Trikka  (Tritta  =  Knossos)  usw.  und  mythische  Namen  wie  Salmo- 
neus  (kret.  Salmonion),  Europa  (in  Thessalien  Europos),  Asterion, 
Itonos  (vgl.  kret.  Itanos)  verbunden.  Um  1200  sollen  thessalische 
Achaier  nach  Kreta  gewandert  sein  und  diese  Namen  und  Sagen, 
die  aber,  was  A.  J.  Reinach  nicht  genügend  beachtet,  zum  großen 
Teil  vorgriechisch  sind,  mitgebracht  haben.  Vgl.  über  die  Be- 
ziehungen zwischen  Thessalien  und  Kreta  AI 3',  Kret.  ApoUonk. 
55  f  Auf  die  Achaier  läßt  A.  Reinach  um  1000  die  Dorier 
folgen  (190  ff.).  —  Nach  einer  argivischen  Inschrift,  von  der  Voli- 
graff,  Neue  Jahrbb.  XXV,  1910,  312  Kunde  gibt,  galt  Knossos, 
dessen  Hafen  Herakleion  hieß ,  im  5.  Jh.  als  Tochterstadt  von 
Argos ,  das  auch  sonst  in  der  Überlieferung  mit  Knossos  verbunden 
erscheint;  vgl.  Aly,  Kret.  Apollonk.  43,  53.  —  Wichtige  Auf- 
klärung hat  die  Berichtsperiode  über  die  dem  Zeus  heiligen  Grotten 
auf  Kreta  gebracht.  Schon  Aly  a.  a.  0.  47,  2  bezweifelte,  daß 
die  diktaiische  Höhle  an  der  bis  dahin  meist  angenommenen  Stelle 
lag;  er  vermutete,  daß  die  Idahöhle  sowohl  diktaiisch  wie  idaiisch 
genannt  wurde,  daß  freilich  Zeus  Diktaios  nur  im  Osten  der  Insel 
bei  Praisos    und    Itanos    zu   Haus   war.     Im   Philol.    LXXI,  1912, 


Kreta.  377 

461  fühi't  er  aus ,  daß  das  clvtqov  i]?JßaTOv  in  dem  Berg  Aigaion 
bei  Lyktos  (Hesiod  0  484)  nicht  in  der  Höhle  von  Psychro  zu 
suchen  sei ,  wo  nur  Weihgeschenke  aus  minoischer  Zeit  gefunden 
sind,  sondern  in  der  Grotte  des  Ida,  wo  Zeus  von  der  Ziege  Amal- 
theia  genährt  sein  sollte ;  Lyktos  soll  Hesiod  nur  genannt  haben, 
um  die  Provinz  zu  bezeichnen.  Aber  es  ist  keineswegs  sicher, 
daß  zur  Zeit  des  Dichters  Lyktos  über  das  Idagebiet  herrschte, 
dagegen  gab  es  in  größerer  Nähe  von  diesem  sicher  Stätten ,  die 
in  der  Sage  berühmter  waren  als  Lyktos  und  sich  mehr  als  dieses 
dazu  eigneten ,  auf  die  Idagrotte  hinzuweisen.  Daß  Aigaion  der 
„Ziegenberg"  sei  und  ursprünglich  zu  der  Amaltheiasage  gehörte,  ist 
mindestens  zweifelhaft;  der  Name  würde  dann  von  Aigaion,  Aigeus, 
den  Aigeiden  usw.  getrennt  werden,  und  es  fragt  sich,  ob  er  über- 
haupt griechisch  ist.  Die  Lösung  wurde  fast  gleichzeitig  von  mehreren 
Forschern  gefunden  im  Anschluß  an  den  inschriftlich  erhaltenen 
Hymnos  von  Palaikastro.  Vgl.  z.  B.  Beloch,  Klio  XI,  1911, 
433  ff.  (s.  auch  Griech.  Gesch.  I^,  1,  112,  2)  und  besonders 
Toutain,  Rev.  bist.  rel.  LXIV,  1911^,  1  ff.,  dem  es  gelungen 
ist,  durch  die  Aufdeckung  eines  sonderbaren  Irrtums  bei  Strabon 
{s.  M.)  die  letzten  Zweifel  zu  zerstreuen.  Es  sind  drei  kretische  Grotten 
mit  altem  Zeuskult  zu  unterscheiden :  1)  die  Höhle  von  Psychro  im 
udLlyalov  oqoq  (Gebirge  von  Lassitti)  östlich  vom  Ida,  4V2  St.  südlich 
von  Lyktos,  untersucht  durch  Halbherr,  Chatzidakis,,  Evans,  Demargne 
und  Hogarth;  die  Funde  reichen  nur  bis  ins  8.  Jh.  hinab;  2)  idaiische 
Höhle ,  südlich  von  Knossos,  1884  entdeckt  und  durch  FabriciuSf 
Halbherr  und  Orsi  untersucht;  3)  die  diktaiische  Grotte  im  Osten 
der  Insel  zwischen  Praisos,  das  Strab.  X,  4,  12  S.  478  mit  Prian- 
sos  verwechselt  hat,  und  Hierapytna.  Diese  Grotte  ist  noch  nicht 
gefunden,  wohl  aber  eine  Abzweigung  östlich  von  Hierapytna,  südlich 
von  Itanos ,  die  durch  die  Ausgrabungen  der  British  School  of 
Athens  1904  entdeckt  (Ann.  1908/9 ,  339  ff.)  wurde  und  bei  der 
sich  die  erwähnte  Inschrift  mit  dem  Hymnos  fand.  Dessen  Auf- 
zeichnung hängt  nach  Aly,  Philol.  LXXI,  1912,  469  mit  der  ge- 
steigerten Bedeutung  zusammen ,  welche  dar  kretische  Zeuskult 
teils  infolge  von  Kretas  Bedeutung  als  Flottenstation,  teils  wegen 
der  wachsenden  allgemeinen  Religiosität  gewann.  Daß  das  Mutter- 
heiligtum dieser  Kultstätte  auf  dem  Gebiet  von  Lyktos  lag,  wird 
sowohl  durch  die  Weite  der  Entfernung  als  auch  dadurch  ausge- 
schlossen, daß  in  jener  Stadt  zwar  Zeus  Biöäzag  [=^Idaiog?)r 
KgrjTayevyg,  MovviTiog,  ^ÖQUigiog,  Tallalog,  aber  gerade  nicht 
der  Jiv.xaiog  verehrt  wurde.  —  Außer  dem  kretischen  Zeusdienst, 


378  Kreta. 

aber  den  Neustadt,  De  love  Cretico  (Berl.  Diss.  1906)  handelt, 
ist  der  ApoUonkult  der  Insel  in  der  Berichtsperiode  ausführlich 
besprochen  worden.  W.  Aly,  Der  kretische  Apollonkult ,  Vor- 
studie zu  einer  Anahse  der  kretischen  Götterkulte ,  Leipz.  1908 
will  den  Letoiden  als  Eindringüng  auf  Kreta  erweisen.  Der 
Pythios  soll  von  Pytho-Delphoi  stammen,  ebenso,  wenn  ich  den 
Vf.  recht  verstehe  (S.  43,  doch  ist  29  von  einem  minyeischen 
E-ulturki-eis  die  Rede ,  und  S.  56  wird  der  Delphinios  unter  den 
Anzeichen  einer  Wanderung  von  Thessalien  nach  Kreta  angeführt), 
der  Delphinios  (43  ff.)  und  der  Tarraios ,  der  Agyieus  (53  ff.)  aus 
Argos,  der  ^Leschenorios  (54)  aus  Thessalien  usw.  —  Von  den 
einzelnen  Städten  Kretas  hat  Arkades,  wie  eine  von  Paribeni, 
Mon.  ant.  RAL  XVIII,  1907.  364,  no.  13  veröffentlichte  Inschrift  zeigt, 
eiu(lf)€p6v  TijQ  Qe^ifoiar^^  besessen.  Der  Herausgeber  glaubt  zweifelnd 
mit  Svoronos,  daß  die  Stadt  vielleicht  an  Stelle  des  heutigen  Ini  lag.  — 
Über  Gortyn  vgl.  Paribeni,  Savignoni,  DeSanctis  u.  aa.  Nuov. 
scoperte  in  Gort.  (ebd.  S.  177  ff.);  die  Ausgrabungen  haben  besonders 
über  das  Pythion  Aufklärung  gebracht  (181  ff.).  Über  ein  Heiligtum 
der  ägyptischen  Götter  s.  Arch.  Anzeig.  XXIX,  1914,  148;  über  zwei 
aus  dem  8.  oder  7.  Jh.  stammende  Tempel  bei  Priniä,  zwischen 
Kandia  und  Gortyn,  in  deren  einem  die  Kult(?)statue  einer 
thronenden  Göttin  in  reichgesticktem  Gewand  gefunden  ist,  be- 
richtet D  a  w  k  i  n  s  ,  Journ.  Hell.  Stud.  XXVIII,  1908, 
329.  —  Den  Kult  in  der  Idagrotte  bespricht  Aly,  Philol.  LXXI, 
1912,  462  ff.  Das  Hauptfest  wurde,  wie  er  meint,  zur  Zeit  der 
Wintersonnenwende ,  zur  Erinnerung  an  die  Gottesgeburt  gefeiert, 
während  die  Epiphanie  des  Gottes  in  die  Zeit  der  Frühliugsgleiche 
zu  setzen  sei.  Diese  Unterscheidung  scheint  mir  zweifelhaft.  In 
der  Darstellung  des  Kultus  verläßt  sich  Aly  m.  E.  zu  sehr  auf 
das  Bruchstück  der  Euripideischen  Kgr/veg,  in  dem  keineswegs 
rehgioDsgeschichthche  Genauigkeit  erstrebt  wird,  sondern  nur  etwas 
Lokalfarbe  gegeben  werden  soU;  die  Verbindung  des  Zeus-  mit 
dem  Zagreuskult ,  die  nach  Aly  die  finstere  Seite  des  Gottes  dar- 
stellt, ist  vielleicht  nur  ein  Einfall  des  Euripides ,  der  sich  an 
Mythen  attischer  Orphiker  anschließen  mochte.  —  Südhch  von 
Knossos  sind  in  den  von  Evans  auf  dem  Gipfel  des  Juktas  auf- 
gedeckten Resten  eines  Heiligtums  geweihte  Ghedmaßeu  aus  Ton 
gefunden  worden,  aus  denen  Karo,  Arch.  f.  Religionswissensch. 
XVI,  1913,  260  folgert,  daß  der  kretische  Himmelsgott  zugleich 
Vorgänger  des  Zeus  "Yipiarog  und  des  Asklepios  war.  —  In  Lato 
bestand  ein  tu  l^O^avaia  tÖ.   JtQafxiTL  y.al  zu  'EXEvi>via  geweihter 


Kreta.    Lemnos.    Lesbos.    Rhodos. 


379 


/'«dg  und  ein  7iSQtßo).og,  deren  Stiftungsurkunde  X  a  n  t  li  u  d  i  d  e  s  , 
iq).  ccQX.  1908,  225,  no.  11,  8  herausgibt.  —  Leben  ist,  wie  Aß- 
rnann,  Phil.  LXVII,  1908,  165  aus  dem  Namen  (=  Löwe) 
schüeßt,  von  Plioinikeru  gegründet  worden.  —  lu  Phaistos  ist  auf 
den  Trümmern  vom  Südflügel  des  Palastes  ein  Heiligtum  erbaut 
gewesen,  über  das  Pernier  in  dem  Sammelband  Saggi  di  storia 
antica  e  di  arch.  ofiferti  a  Beloch  1910  S.  241  tf.  berichtet.  Es 
wurde  in  hellenistischer  Zeit  erneuert,  enthält  aber  auch  Weih- 
geschenke ,  die  denen  aus  der  Idagrotte  ähnlich  sind  und  wie 
diese  etwa  dem  8. — 6.  Jh.  entstammen.  Wegen  der  Darstellungen 
auf  den  geweihten  Schilden  vermutet  Pernier,  daß  die  hier  ver- 
ehi-te  Gottheit  Rheia  war.  Zu  diesem  Heiligtum  gehört  wahr- 
scheinlich die  Inschrift  Mus.  Ital.  III,   735  ff. 

Die  antiken  Zeugnisse  über  Lemnos  sammelt  *  A.  Moschides 
in  dem  ersten  Teil  seiner  Schrift  'H  uiF^f-ivog,  Alexandria  1907.  — 
Auch  vom  raj'thologischen  und  religionsgeschichtlichen  Standpunkt 
aus  spricht  über  die  Insel  der  Herausgeber  der  Inschriften  von 
den  nordägäischen  Inseln,  Fredrich,  Ath.  Mitt.  XXXI,  1906, 
60  ff.;  241  ff.  Die  Sage  von  der  dvooo/.ila  der  Lemnierinnen  soll 
(76)  die  während  der  Feuerlöschung  vorgeschriebene  geschlechtliche 
Abstinenz  erklären.  Vielleicht  fiel  das  Fest  in  den  Frühling  (wenn 
das  Feuer  auf  dem  Mosychlos  sich  neu  entzündet?)  und  war  zu- 
gleich Neujahrsfest. 

T^eshos.  Die  legendäre  Geschichte  von  der  Gründung  des 
Heraheiligtums  von  Mytilene  nach  Troias  Zerstörung  erwähnt  der 
neugefundene  Sapphohymnos,  den  v.  Wilamo  witz ,  Neue  Jahrbb. 
1914,  228  rekonstruiert. 

Rhodos.  Blinkenbergs  im  Auftrag  der  Stiftung  Carlsberg 
ausgeführte  Grabungen  in  der  Umgegend  der  Kirche  Hagios  Stephanos 
nahe  dem  lindischen  Theater  fülirten  zur  Auffindung  der  von  Tima- 
chidas  verfaßten,  99  v.  Chr.  in  Stein  gehauenen  und  ursprünglich 
auf  der  Burg  im  Athenaheiligtum  aufbewahrten  „Tempelchronik", 
die  von  dem  Entdecker  in  Oversight  Danske  vidensk.  selsk.  forh. 
1912,  später  in  Lietzmanns  Kleinen  Texten  131  herausgegeben  ist 
und  jetzt  eine  Hauptquelle  nicht  bloß  für  die  Geschichte  dieses 
einen  rhodischen  Heiligtums ,  sondei'n  überhaupt  füi-  die  der  Insel 
bildet.  Es  sind  erhalten:  1.  ein  Katalog  der  Priester  170 — 47 
T.  Chr.,  2.  Bruchstücke  eines  älteren  Priesterverzeichnisses  und 
3.  die  eigentliche  Tempelchronik.  Diese  enthält  zuerst  den  Be- 
schluß, der  die  Aufstellung  der  Säule  anordnet,  dann  ein  Verzeich- 
nis   der  Weihgeschenke ,    endlich    die    sniifaveiaL   der  Göttin ;   vgl. 


ggQ  Rhodos. 

Blinkeuberg  a.  a.  0.  317  ff.,  der  430  ff.  die  literarischen  Parallel- 
berichte sammelt.  Es  werden  auf  dem  Stein  viele  bisher  unbe- 
kannte Schriftsteller  über  die  Vorgeschichte  von  Rhodos  zitiert; 
nicht  Zenou,  der  die  Sagenzeit  nur  kurz  behandelt  zu  haben  scheint, 
ist  Diodors  Quelle,  sondern  ein  jüngerer  Schriftsteller,  der  u.  a.  auch 
Polyzalos  benutzt  zu  haben  scheint.  Diese  Vermutung  Blinken - 
bergs  billigt  v.  Wilamowitz  in  einem  Vortrag  in  der  Berliner 
Archäol.  Gesellschaft  am  4.  März  1913  (Berl.  Phil.  Wochenschr. 
XXXIII,  1913,  1373),  der  eingehend  die  Quellen  der  Chronik  be- 
handelt. Vgl.  zur  lindischen  Tempelchronik  auch  Holleaux,  Rev. 
et.  gr.  XXVI,  1913,  40  ff.  Ausführlich  beschäftigt  sich  mit  der 
rhodischen  Urzeit  Blink enberg,  Herrn.  XLVIII,  1913,  239  ff. 
Pur  die  älteste  Stammsage  hält  er  die  von  lalysos  und  dessen  Eltern, 
dem  nach  dem  ialysischen  Achaia  gehörigen  (Diod.  V  57)  Kerkaphos 
und  Kydippe.  Lindos  und  Kamiros  sind  als  jüngere  Brüder  des  lalysos 
(Pind.  'OA.  A'^II,  71)  nachträglich  angeschlossen,  als  das  ialysische 
Heliosheihgtum  Zentrum  der  Insel  wurde.  Durch  Zusammenstellung 
von  Strab.  XIV,  2,  8  6-54  mit  Diod.  V,  58  wird  das  Ergebnis  ge- 
wonnen ,  daß  die  in  Rhodos  gestorbenen  Danaiden  die  Eponjonen 
der  drei  Städte  lalj^sos,  Lindos  und  Kamiros  waren.  Mir  scheinen 
in  den  Sagen  der  Insel  drei  Schichten  unterschieden  werden  zu 
müssen,  von  denen  jede  auf  eine  besondere  Besiedelung  der  Insel 
zurückweist:  die  erste  kretische  war  wohl  eher  eine  Rückwanderung; 
wenigstens  scheint  der  Teil  der  vorgriechischen  Bevölkerung 
Kretas ,  der  vor  den  Griechen  nach  Rhodos  entwich ,  der  dort 
ursprünglich  ansässigen  verwandt  gewesen  zu  sein.  Kamiros  hat 
nahe  mythische  Beziehungen  zu  Kreta,  wo  Hierapytna  einst  Kamiros 
geheißen  haben  soll,  und  wo  in  dieser  Stadt  auch  eine  Phyle  Kamiris 
(i(f.  ccQX  1908,  199,  1)  bezeugt  ist.  Es  scheint  sich  daher  die  den 
vorgriechischen  Kretern  verwandte  Bevölkerung  auf  Rhodos  am 
längsten  in  Kamiros  gehalten  zu  haben  und  vielleicht  durch  rück- 
wandernde Kreter  verstärkt  zu  sein.  Die  erste  größere  griechische 
Niederlassung  kam  vermutlich  im  8.  Jh.  aus  Sikyon  und  dem  von 
ihm  beherrschten  Achaia ;  sie  setzte  sich  in  lalysos  fest,  in  dessen 
Nähe  ihr  Hauptheiligtum ,  das  des  Helios,  lag.  Im  7.  Jh.  folgten 
dann  die  Argiver,  die  an  der  Ostküste  in  Lindos  festen  Fuß 
faßten.  —  Aus  einer  Angabe  der  lindischen  Tempelchronik  in  Ver- 
bindung mit  Theogn.  bei  Athen.  VIII,  60,  360  d  (FHG,  IV  514  ^ 
PLG,  in*  671),  Simonid.  fr.  57  und  Diog.  Laert.  I,  89  folgert 
L.  Parmentier,  Acad.  Roy.  de  Beige,  Bull,  de  la  classe  des 
lettres  1914,    353,  daß  Kleobulos    den  Tempel  der  Athena  ylivdia 


Rhodos.    Salamis.     Samos.    Samothrake.    Sikinos.     SkjTOS.     381 

mit  Hilfe  einer  panhellenisclien  Kollekte  erneuerte.  —  N  i  1  s  s  o  n  , 
Timbres  amplioriques  de  Lindos  121  ff.  gelingt  es,  die  auch  für 
den  Kultus  wichtigen  rhodischen  Monatsnamen  festzustellen ;  es 
scheinen  sich ,  von  unserm  Januar  anfangend ,  die  Monate  Peda- 
geitnyos,  Badromios,  Sminthios,  Artamitios,  Agrianios,  Hj'akinthios, 
Panamos,  Karneios,  Dalios,  Thesmophorios,  Diosthyos  und  Theu- 
daisios  gefolgt  zu  sein. 

S al am is  wurde  nach  F i c k ,  Zeitschi*,  f.  vergl.  Sprachf.  XLIV, 
1911,  7  von  Alanten  besiedelt,  welche  die  Insel  nach  einem 
thessalischen  ^uX{a)iii'jv  (vgl.  ^aXf-ttovEcg)  benannten. 

Einen  großen  Mythenlo-eis  von  Samos  sucht  Friedländer, 
Herakl.  S.  83  f.  zu  erweisen.  Außer  dem  Oineus-  und  Deianeira- 
mythos  (65  ff.)  sollen  samisch  sein :  die  Meleagrossage  (84),  Leda, 
Keyx,  Oite  als  Götterberg  (87),  die  Sage  von  Hephaistos'  Geburt, 
die  lemnische  Philoktet-  und  die  Sirenensage  (89 ;  vgl.  die  Samierin 
Parthenope).  Selbst  die  arkadischen  Sagen  von  Ankaios  und  Parthe- 
nopaios  sind  nach  Friedländer  91  wahrscheinlich  unter  samischem 
Einfluß  gebildet  worden.  —  Die  Ausgrabungen  am  Heraion,  über 
die  Wiegand  ,  Abh.  BAW,  1911,  Anh.  V  berichtet,  haben  ergeben, 
daß  zwei  Tempel  zu  unterscheiden  sind.  Der  ältere  wurde  nach 
Wiegand  ca.  517  durch  Otanes  zerstört,  der  jüngere  um  500  als 
Ersatz  gebaut. 

S amothraJce.  Über  ein  vor  der  Einweihung  abzulegendes 
Sündenbekenntnis  s.  Steinleitner,  Die  Beicht,  Münchener  Diss. 
1913,  S.  118.  Auf  Samothi-ake  lag  nach  Della  Seta,  Bendi  conti 
BAL  V  XVI,  1907,  594  ff.,  das  Aigai,  wo  nach  II.  N  21  Poseidons 
Palast  war,  nicht  weit  davon  zwischen  Samothrake  und  Imbros 
wohnt  Thetis ,  ß  78.  Aber  vielleicht  ist  die  Angabe  von  dem 
samothrakischen  Aigai  (Seh.  Od.  £  381)  erst  aus  II.  N  21  er- 
schlossen. Der  Name  Aigai  bedeutet  nach  Della  Seta  ebd.  610 
einen  von  der  Gewalt  der  Wellen  geschlagenen  Ort.  Nach  v.  Wilamo- 
witz,  II.  u.  Homer  445  ist  N  21  Aigai  bei  Karystos  gemeint. 

Die  Buinen  des  Apollontempels  von  SiJcinos  beschreibt 
Dawkins,  Ann.  Brit.  Seh.  Ath.  XVIII,  1911,  30  ff. 

Mit  der  Geschichte  von  SJcyros  beschäftigt  sich  Graindor, 
Histoire  de  l'ile  de  Skyros  jusqu'en  1538  (Bibl.  de  la  fac.  de  phil. 
et  lettres  de  Liege.  XVII)  1906.  Die  AchiUeussage  soll  (25  ff., 
bes.  35)  die  Eroberung  von  Skjoros  durch  die  Doloper  aus- 
drücken, Neoptolemos  die  Verschmelzung  der  neu  Angekommenen 
mit  der  alten  Bevölkerung  symbolisieren.  Die  Amazonen ,  der 
Themiskult  und  die  daran  geknüpften  Vermutungen  (Handb.  584  ff.) 


382  Skyros.     Teuos.     Thasos.     Thera.  —  Kleinaaien. 

■werden  bestritten  (50  ff.)  5  zwischen  ^-/.igiov  und  ^/.igog  soll  nur 
ein  ganz  äußerlicher  Zusammenhang  bestehen,  die  Geschichte  von 
Theseus  nur  eine  geschichtlich  wahre  Ansiedelung  ausdrücken, 
Deidameia  mit  den  Amazonen  nichts  zu  tun  haben  (vgl.  S.  34). 
Der  Vf.  scheint  die  Gründe,  auf  die  sich  die  von  ilim  bekämpfte 
Ansicht  stützt,  nicht  vollständig  zu  überschauen. 

Ani  Ten  OS  haben  (zuletzt  1909)  Ausgrabungen  stattgefunden^ 
über  die  Graindor,  Musee  Beige  XI,  1907,  5  ff.  und  besonders 
XIV,  1910,  1  ff.,  233  ff.  berichtet.  Das  wichtigste  dem  Poseidon 
(XIV  19.  no.  1,  3;  32,  no.  11)  und  der  Amphitrite  (ebd.  27, 
no.  4,  4  Weihung  eines  Spiegels)  errichtete  Heiligtum  [ieqov  ebd. 
35,  no.  16,  34;  39,  no.  18,  7)  hat  zahlreiche  Inschriften  geboten, 
die  u.  a.  eine  erbliche  Priesterin  (ebd.  25,  no.  3,  6)  und  ein  Fest 
JJoaideia  (XI,  12  ff.)  kennen  lehren.  Auch  von  einem  Kult  der 
Aphrodite  (XIV  S.  33)  und  einem  durch  Rhodier  gestifteten  Dienst 
der  Dioskuren  (23)  hören  wir. 

Über  Thasos  handelt  Deonna,  Iq^.  ccqx-  1909,  1  ff.;  er 
bringt  neue  Inschriften,  die  u.  a.  Bendiskult  und  als  Schutzdämon 
eines  Hauses  den  Herakles  bezeugen.  Auf  der  Akropolis  erhob 
sich  ein  Tempel  des  Apollon  Ilvd-iog.,  über  dessen  Ausgrabung 
Picard,  Compt.  rend.  AIBL,  1912,  206  ff.  berichtet;  über  weitere 
Ausgrabungen  s.  Picard  ebd.  655  f.  und  über  ein  Tor  mit  riesigem 
archaischem  Silen  mit  langem  Spitzbart,  der  einen  Kantharos  in  der 
erhobenen  Rechten  hält,  ebd.  1913,  360  ff.,  über  ein  Heiligtum  und 
einen  Priester  des  Anios  Picard,  Rev.  et.  anc.  XV,  1913,  37,  2, 
der  Kallim.  fr.  9  vergleicht,  über  ein  Heiligtum  der  Artemis  /ZiwXw 
Macridy,  Arch.  Jahrb.  XXVII,  1912,  1  ff. 

Gegen  Studniczkas  Annahme  einer  vordorischen  Ansiedelung 
auf  Thera  wendet  Adele  Cortese,  Atti  acc.  Tor.  IL,  1913/4, 
1048,  1  ein,  daß  die  minyeischen  Stammbäume,  auf  die  sie  sich 
gründet,  geschichtlich  wertlos  sind. 

Kleinasien. 

Auch  in  der  Berichtsperiode  hat  Ramsay  die  Religious- 
geschichte  Anatoliens  durch  wertvolle  Untersuchungen  gefördert. 
In  den  Studies  in  the  History  and  Art  of  the  Eastem  provinces 
of  the  Roman  Empire,  Edited  for  the  Quatemary  of  the  University 
of  Aberdeen  (Aberdeen  Stud.  XX,  1906)  setzt  er  S.  305  ff.  das 
Schicksal  der  unafangreichen  Tempelgüter  auseinander,  die  es  seit 
alter  Zeit  in  KJeinasien  gab  und  welche  die  hellenistischen  Könige 
meist  verweltlichten,    bisweilen  um  Kolonien  zu  gründen,    oft  aber 


Kleioasien,  385 

auch,  ohne  das  Abhängigkeitsverhältnis  der  Bewohner  zu  ändern.  — 
Auf  den  sehr  lesenswerten  Artikel  Sketches  in  the  Religious 
Antiquit.  of  Asia  Minor  (Ann.  Brit.  Seh.  Ath.  XVIII,  1911/2,  37  ff.) 
wird  später  noch  öfters  zurückzukommen  sein. 

Den  zur  Mystik  neigenden,  sich  ganz  der  Gottheit  hingebenden 
Charakter  der  Kleinasiaten  zeichnet  Steinlei tner,  Die  Beicht^ 
Münchener  Diss.  1913,  S.  76  ff.  —  Über  die  kleinasiatischen 
Dionysoskulte  in  hellenistischer  Zeit  handelt  die  sorgfältige,  aus 
0.  Kerns  Schule  hervorgegangene  Arbeit  von  W.  Quandt,  De 
Baccho  ab  Alexandri  aetate  in  Asia  minore  culto  (Diss.  phil.  HaL 
XXI  2),  Halle  1913.  Auf  eine  Sammlung  der  einzelnen  bezeugten 
Kultstätten  (S.  107 — 240)  folgt  eine  zusammenfassende  Darlegung 
über  die  Mysterienkulte  und  ihre  Einrichtungen  (241 — 207).  Die 
Beziehungen  zum  orphischen  Hymnenbuch  werden  angedeutet ;  auf 
die  schwierige  Frage  nach  dem  Verhältnis  der  kleinasiatischen 
Mysterien  zu  den  eleusinischen  geht  aber  der  Vf.  nicht  näher  ein. 

Von  den  einzelnen  Landschaften  Kleinasiens  hat  Karten f 
wie  E.  Aßmann,  Philol.  LXVII,  1908,  187  ff.  aus  zahlreichen 
mythischen  und  Ortsnamen  (Astyra,  Chrj^saor,  Kadmos,  Maiandros» 
Maussolos,  Miletos,  Osogoa,  Phoinike,  Tabai  usw.)  erweisen  will, 
unter  semitischem  Einfluß  gestanden.  Über  einen  in  Alahanda  von 
ihm  ausgegi'abenen  Tempel  des  Apollon  (?)  spricht  Edhem  Bey, 
Compt.  rend.  AIBL,  1906,  407  ff.  Über  Gaudins  Ausgrabungen  in 
ApJirodisias  berichtet  G.  Mendel,  Comptes  rend.  AIBL,  1906^ 
158  ff.;  Inschriften  der  Stadt  gibt  Th.  Hein  ach,  Rev.  et.  gr. 
XIX,  1906,  79 ff.;  205  ff.  heraus.  Oft  wird  natürlich  die  Göttin 
genannt,  die  der  Stadt  den  Namen  gegeben  hat  (z.  B.  220,  no.  122; 
223,  no.  126;  232,  no.  138),  sie  h.ei&t^Eniq'av/jg,  OvQavia,  ndvörj^og 
(242,  no.  141,  16  f.),  und  ihr  werden  Strafgelder  überwiesen  (201, 
no.  155,  5;  263,  no.  157,  10;  268,  no.  163,  3;  275,  no.  169,  13); 
außerdem  finden  wir  Artemis  (117,  no.  38),  Asklepios  (109,  no.  29)^ 
Athena  n{ohdg,  206,  no.  83),  Eleutheria  (128,  no.  55),  Helios 
(209,  no.  88,  12;  223,  no.  126,  4)  und  Zeus  Nivsvöiog  (92,  no.  8, 
wobei  an  Steph.  Byz.  476,  6  Nivoi]  ^  sv  Kaqia  ^^qiQodiaio'.g  er- 
innert wird). 

In  loni en  hat  auf  Chios  und  der  gegenüberliegenden 
Mimashalbinsel  seit  langer  Zeit  G.  J.  Zolotas  Inschriften  ge- 
sammelt, die  dessen  Tochter  nach  dem  Tode  des  Vaters  (1906),^ 
um  diesem  die  Priorität  zu  wahren,  unter  dem  Titel  Xiaxiöv  utal 
'EQvd-Qia-Awv  E7TL'yQa(piov  awaycoyy  in  der '^^t^v«  XX,  1908,  113  ff. 
(Nachträge  und  eigene  Verbesserungsvorschläge  ebd.  509  ff.,  XXI» 


384  lonien. 

1909,  4G5  fi".)  herausgegeben  hat.  Inzwischen  hatte  nämlich 
P,  Jacobsthal  die  Inschriften  gesammelt,  nach  dessen  Abschriften 
sie  V.  Wilamowitz,  Abh.  BAW,  1910,  hist.-ph.  Kl.  II  unter  dem 
Titel  „Nordionische  Steine"  weit  besser  als  die  Griechin  heraus- 
gegeben hat.  Vgl.  auch  B.  Haussoullier,  Inscr.  de  Chios  et 
d'Erythrees,  Rev.  de  phü.  XXXIII,  1909,  9  ff.;  XXXIV,  1910, 
119  ff. 

Der  zweite  Band  der  vom  österreichischen  archäol.  Institut 
veröffentlichten  „Forschungen  in  Ephesos"  brachte,  von  Heber- 
dey  herausgegeben,  u.  a.  zahlreiche  Inschriften,  namentlich  vom 
Theater.  —  Mit  Benutzung  der  im  ersten  Band  dieses  Werkes 
enthaltenen  Untersuchungen  Benndorfs  „Zur  Ortskunde  und  Stadt- 
geschichte" (Wien  1905)  behandelt  G.  Radet  in  der  E,ev.  des 
et.  gr.  VIII,  1906,  1  ff .  (vgl.  Ephesiaca,  Bordeaux  1908)  la  coloni- 
sation  d'Ephese  par  les  loniens.  Aus  den  drei  Berichten,  1.  des 
Kreophylos  bei  Athen.  VIII  62,  362  •=  f. ,  2.  des  Paus.  VII  2 ,  6  ff., 
der  auf  Ephoros  zurückgehen  soll,  und  3.  des  Artemidoros  bei 
Str.  XIV  1,  21  S.  640,  deren  geschichtlichen  Wert  der  Vf.  m.  E. 
überschätzt,  wird  die  Wiederherstellung  der  Urgeschichte  von 
Ephesos  versucht.  Die  ephesische  Artemis  war  (14  ff.)  eine  der 
Istar  und  Kybele  verwandte  barbarische  Gottheit,  die  eigentlich 
Upis  hieß ;  die  Stadt  bildete  den  Mittelpunkt  einer  Meerherrschaft 
und  wurde  selbst  von  Tyriern  aufgesucht,  nach  denen  die  Insel 
Syrie  heißen  soll.  —  Hiller  v.  Gaertringen,  Berl.  Phil. 
Wochenschr.  XXIX,  1909,  1274,  der  Badets  Ephesiaca  rezensiert, 
erinnert  aber  mit  Hecht  daran,  daß  ähnhch  wie  in  Ephesos  die 
Namen  Ortygia  und  Sj'rie  auch  in  Od.  o  403  bei  der  Angabe  der 
Heimat  des  Eumaios  zusammen  auftreten,  daß  also  eine  der  auch 
sonst  nicht  ganz  seltenen  Übertragungen  von  geographischen  Namen- 
gruppen vorliege.  —  D.  G.  Hogarth,  Excavations  of  Ephesus, 
The  archaic  Artemision,  London  1908,  spricht  über  die  verschiedenen 
z.  T.  übereinander  liegenden  Tempel,  von  denen  die  drei  ältesten 
zwar  viele  Kleinfunde,  aber  wenig  architektonische  Reste  ergeben 
haben.  —  Heberdey,  Österr.  Jahresh.  XV,  1912,  156  ff.  be- 
richtet über  die  Fortsetzung  der  Grabungen  1907 — 1911.  Aus- 
ftlhrlich  beschäftigt  sich  mit  den  ephesischen  Kulten  Ch.  Picard, 
Rev.  de  phil.  XXXVII,  1913,  77  ff.  hauptsächlich  auf  Grund  der 
von  Heberdey  herausgegebenen  Inschriften.  Während  man  bisher 
die  erbUchen  Könige  aus  dem  Androklidenhaus  wegen  Str.  XIV  1,  3 
S.  633  für  Priester  der  Demeter  ^ElEvoivia  gehalten  hatte,  sieht 
«r   in    ihm   vielmehr  den  toarjv,    der   einem  König  verglichen  wird 


Ephesos.    Erytbrai.  385 

(Etyni.  Magn.  383,  30),  und  ergänzt  daher  in  der  Inschrift  bei 
Heberdey  no.  18,  Z.  4  o  vmI  atrog  ßaaileig  [y.ai  'lEQEig  ^Aqxi- 
(.iidog  iv.  y'\tv[oi]g.  Hicks  und  Heberdey  hatten  J/urjQog  ein- 
gesetzt. Nach  Picai'd  erhielten  sich  die  Vorrechte  dieses  alten 
Königsgeschlechtes  verhältnismäßig  lange ;  noch  im  Anfang  des 
3.  Jhs.  sollen  sie  eine  gewisse  Finanzhoheit  besessen  und  erst 
gegen  die  römische  Zeit  hin  ihren  Einfluß  sehr  beschränkt  ge- 
sehen haben.  —  Auf  die  Mysterien,  welche  die  Kureten  auf  dem 
Solmissosberg  begingen,  bezieht  Picard  86  f.  die  uvgvi/mI  O^vaiat 
und  die  f.ivavt]Qiu  y.al  dioica  der  Inschrift  bei  Heberdey  no.  20. 
Über  die  ephesischen  Kureten  handelt  Poerner,  De  Curetibus 
et  Corybantibus ,  Diss.  phil.  Hai.  XXII,  1913,  285  £f.  Nur  in 
Ephesos  bezeichnet  nach  dem  Vf.  der  Name  ein  Priesterkolleg.  Es 
bestand  aus  6,  seltener  7  Mitgliedern,  deren  Haupt  der  7iQfozo/.OLQrjg 
war ;  dazu  kam  ein  sich  allmählich  vergrößerndes  niederes  Personal. 
Genaueres  erfahren  wir  über  die  Organisation  dieser  zum  Artemis - 
dienst  gehörigen  Priester,  die  sich  selbst  Sioeßeig  nennen,  aus  den 
30  von  Poerner  abgedruckten  Inschriften.  —  Über  Dionysosmysterien 
in  Ephesos  handelt  nach  den  Inscr.  Brit.  Mus.  452,  595,  600  ff. 
Quandt,  Diss.  Hai.  phil.  XXI,  1913,  160  f.  —  Von  dem  Fest 
der  Artemis  Daitis  sucht  Fehrle,  Kultische  Keuschheit  (BV  u.  V, 
VI,  1910,  174  f.  ein  Bild  zu  geben;  es  kann  sich,  wie  er  glaubt, 
kaum  um  etwas  anderes  handeln  als  um  einen  lEQog  ydf.iog.  —  Ein 
Fest  •Kazaycuyia  hatte  Usener  (Progr.  Bonn  1877)  aus  den  Acta 
S.  Timothei  erschlossen.  Diese  Vermutung  erlangt  eine  gewisse 
Bestätigung  durch  ein  Dionysosfest  dieses  Namens  in  Priene  (Inschr. 
V.  Priene  174)  und  Milet  (6.  Vorlauf.  Bericht,  Anh.  I  zu  Abh. 
BAW  1908 ,  S.  23 ,  21),  wonach  auch  das  ephesische  Fest  dem 
Dionysos  geweiht  gewesen  zu  sein  scheint.  Vgl.  Nilßon,  Griech. 
Feste  416;  Arch.  f.  Religionsw.  XI,   1908,  401. 

Inschriften  von  Erythr ai  hatte  der  verstorbene  Gymnasial- 
direktor Zolotas  in  Chios  gesammelt;  mit  den  chiotischen  zusammen 
sind  die  wichtigsten  von  ihnen  von  Jacobsthal  vereinigt  und 
durch  V.  Wilamowitz  in  den  Abh.  BAW  1909,  hist.-phil.  Kl.  II 
veröffentlicht  worden.  Religionsgeschichtlich  bedeutsam  sind  be- 
sonders umfangreiche  Bruchstücke  eines  Opferkalenders  (no.  12, 
S.  48  ff.)  (mit  genauen  Angaben  über  die  Preise  der  zu  beschaffenden 
Opfertiere),  in  dem  eine  Anzahl  bisher  unbekannter  Götter  für 
Erythrai  erwiesen  wird ;  es  befinden  sich  darunter  so  auserlesene 
wie  der  sonst  verschollene,  aber  zu  vermutende  Hermes  ^'Ircniog. 
Zusammen  mit  der  großen  Inschrift  über  den  Verkauf  der  Pi'iester- 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  186  (Siipplementband).  25 


386  Krythrai.     Milet. 

tümer  (Dittenberger  SIG "  600)  erschließen  diese  Inschriftenreste 
uns  die  Kulte  des  schreibseligeu,  aber  bisher  wenig  durchforscliten 
Erythrai  in  einer  Reichhaltigkeit,  wie  sie  bisher  kaum  bei  irgend- 
einer anderen  griechischen  Stadt  erreicht  ist.  Eine  der  Inschriften 
führte  V.  Wilamowitz  darauf,  eine  bisher  unverständliche  Stelle 
der  Inschrift  über  den  Verkauf  der  Priestertümer  (SIG  ^  600,  95) 
richtigzustellen,  nämlich  die  ebenfalls  sinnlose  Zeile  154  hier  ein- 
zuschieben und  die  ganze  Stelle  so  zu  lesen :  Koqvßdvriov  Ev- 
(fQomiior  y.al  Oaleiiov  FTTid^aXEiciOewg  "vfe/e»'  Ttjv  yvrcay.Eiar 
i]yoQCt]a£r  L^VTiTTargog.  Wir  lernen  daraus,  daß  es  männliche  und 
weibliche  Korybanten  gab ;  zu  den  weiblichen  gehören  vielleicht 
die  in  der  neuen  Inschrift  genannten  Herse,  .  .  .  oQt]  und  Phanis, 
doch  bleibt  der  Kult  noch  recht  unklar.  OaXeiovv  kann  nur  heißen 
.zum  QäXeiog  machen",  und  wenn  diese  Korybanten  QdXEioi  sind, 
so  ist  die  ETtid^aheiiooig  nach  v.  Wilamowitz  S.  25  eine  Handlung, 
die  diese  ihre  Eigenschaft  wiederherstellt  oder  auffrischt.  Die  Ge- 
weihten überkommen  die  Eigenschaft  der  Gottheit,  wenn  sie  nicht 
gar  selbst  Götter,  Korybanten  werden;  die  ani^aleiwaig  geht  sie 
also  auch  an.  Bei  Hesych.  {*i/w?.elov)  steht  oder  bei  Diogen.  hat 
doch  wenigstens  gestanden  d^dXsiog'  /.ni^aQog.  —  XJngefär  zur 
selben  Zeit,  da  diese  Inschriften  in  Athen  und  Berlin  veröffentlicht 
wurden,  fanden  in  Erj'thrai  Ausgrabungen  statt,  tiber  die  J.Keil, 
österr.  Jahresh.  XIII,  1910,  Beibl.  1 — 74  berichtet.  Auch  hier 
werden  religionsgeschichtlich  wichtige  Inschriften  veröffentlicht, 
z.  B.  S.  43,  no.  7  eine  Weihung  an  die  Dioskuren,  S.  45,  8  an 
IMijrriQ  Oqv'/ia.  Merkwürdig  ist  S.  42,  no.  6  der  ^aif-icov  rfiX- 
civ&QOTtog  viog  ^^oy.Xi\7Ti6g  iirKfavt-g  {.liyLOTog.  —  Die  auf  S.  45, 
no.  8  mitgeteilte,  aus  der  Kaiserzeit  stammende  Altarinschrift  er- 
gänzt 0.  Kern,  Herm.  XLVI,  1911,  S.  304  f.  [xat  7]a(7«>j  xofc 
Jij/xTjZQi.     Er  denkt  an  den  idaiischen  Daktjden. 

Weitere  Fortschritte  machten  in  der  Berichtsperiode  die  Aus- 
grabungen von  Milet  und  ihre  Veröffentlichung.  Es  wurden  zunächst 
die  „Vorläufigen  Ausgrabungsberichte"  in  den  Schriften  der  BAW 
fortgesetzt  (V  in  den  Sitzber.  1906,  249  ff.;  VI  in  der  Abh.  hist.- 
phil.  Kl.  Anh.,  wo  S.  27  ein  Verzeichnis  der  Götternamen  auf  neu 
gefundenen  Inschriften  gegeben  wird,  VII  ebd.  1911.  Zusammen- 
fassend stellte  die  Ergebnisse  der  Ausgrabungen  v^on  Milet  und 
Didyma,  soweit  sie  ihm  bekannt  sein  konnten,  Arn.  v.  Salis, 
Neue  Jahrbb.  XXV,  1910,  103  ff.  dar.  Das  amthche  Hauptwerk, 
das  die  deutschen  Ausgrabungen  krönen  soll ,  führt  den  Namen 
.Milet,    Ergebnisse    der  Ausgrabungen   und  Untersuchungen";    von 


Milet.    Klares.  387 

den  bisher  erschienenen  Teilen  ist  für  die  Geschichte  der  Kulte 
am  wichtigsten  der  dritte  (Berl.  1914).  —  Nach  Fick,  Zeitschi'. 
f.  vergleichende  Sprachforsch.  XL  VI,  1914.  94  wurde  Milet  ursprüng- 
lich von  Thessalern  gegründet ;  die  Fürsten  sollen  Neleiden  nach 
dem  thessalischen  Neleia  gö3Qannt  sein.  —  Unter  den  Kulten  der 
Stadt  war  schon  früher  Apollon  als  der  angesehenste  bekannt.  Es 
sind  zwei  Heiligtümer  zu  unterscheiden.  Das  eine,  dem  Jelrpiviog 
geweiht,  lag  in  der  Stadt  (G.  Ka  w  e  r  a u  und  A.  R  e  h  m ,  Milet,  Ergebn. 
d.  Ausgr.  in  2).  Hier  wii'kten  die  /.lolTrol,  eine  Tänzergilde, 
welche  die  Staatsprozession  nach  Did3'ma  leitete ;  ihr  Vorsteher, 
der  aiacf^rt^Tr^g,  war  Eponym  der  Stadt.  Im  Gegensatz  zu  diesem 
griechischen  Dienst  war  der  des  Jidif-iEtg  in  Didyma  ursprünglich 
barbarisch  gewesen  und  bewahrte  auch  später  Spuren  dieses  Ur- 
sprungs, obwohl  die  ixoXnoL  auch  bei  ihm  mitwirkten.  Das  Didymaion 
V.  urde  494  zerstört ;  334/3  begann  der  Wiederaufbau,  der  aber  nie 
fertig  wurde  (ßegling,  Sokrat.  IV,  1916,  19if.). —  Für  die  Ab- 
leitung des  Namens  Didyma  von  öiövf.ioi  spricht  nach  Nissen, 
Orientat.  135  f.  der  Umstand,  daß  die  Tempelachse  mit  dem  Früh- 
aufgang von  ß  geminorum  übereinstimmt.  Aber  wahrscheinlich  ist 
das  Zusammentreffen  zufällig,  höchstens  könnte  es  sich  um  eine 
Umdeutung  des  schwerlich  griechischen  Namens  handeln.  —  Ein 
AsJclejpieion  lag  zwischen  dem  Marktbrunneu  und  dem  Südmarkt 
von  Milet  (Sitzungsber.  BAW  1906,  258;  Abh.  BAW.  1908, 
Anh.  I  28),  vielleicht  davon  verschieden  ist  der  Asklepios  tcqo 
rroAcwg,  dessen  Priestertum  in  einer  Inschrift  (Sitzungsber.  BAW, 
1906,  259,  Z.  6)  erwähnt  wird.  —  Über  einen  ÄtlienatevaTpel  s. 
Arch.  Anz.  XXI,  1906,  12.  Ein  altes  Dionysosheiligtnm  stand 
zwischen  dem  Theater  und  dem  Rathaus  (Abh.  BAW  1908, 
Auh.  I  22).  Im  Westen  des  großen  Südmarktes  wurde  von 
Knackfuß  ein  Serapeion  freigelegt  (Abh.  BAW  1911,  Anh.  I 
19  ff.).  —  Seine  Berichte  und  Untersuchungen  über  Notion 
(Österr.  Jalii-esh.  VIII,  1905,  161)  setzt  Macridy  Bey  (ebd.  XV, 
1912,  41  ff.)  fort.  —  Über  den  !n:QO(prjtijg  des  ApoUon  IlvO-tog  (ebd. 
VIII  164,  Z.  5;  167,  Z.  8;  169,  Z.  9  f.)  vgl.  Ramsay,  Ann. 
Brit.  Seh.  of  Ath.  XVIII,  1911/2,  44  ff,  der  namenthch  den  Spuren 
von  Mysterien  im  Dienste  des  Klarischen  Apollon  nachgeht.  Er 
hält  sie  für  gleichartig  den  phrygischen  Mysterien;  das  l(.ij3aTeveLV, 
das  sowohl  von  der  ersten  Weihe  wie  von  dem  Aufstieg  zu  den 
höheren  Stufen  gebraucht  werde ,  soll  sj-mbolisch  den  Eintritt  in 
ein  neues  Leben  bezeichnen.  —  Über  Ausgrabungen  am  Heiligtum 
des  Klarischen  Apollon  berichtet  kurz  Picard  ,  Compt  rend.  AIBL, 

25* 


388  lonien. 

1913,  692.  —  Das  klarische  Orakel,  das  bei  Hungersnot  und  Pest 
den  Einwohnern  des  Indischen  Troketta  gegeben  wurde,  ist  wieder 
aufgefunden  und  wird  besser  herausgegeben  von  Keil  und 
V.  Premerstein,  Reise  in  Lyd.  II  116  f.  —  Nachdem  bereits 
1904  durch  Wiegand  und  Schrader  die  übrigen  Ergebnisse  der 
deutschen  Ausgrabungen  von  Priene  dargestellt  waren,  erfolgte 
li06  durch  Hiller  v.  Gaert ringen,  der  für  den  verstorbenen 
V.  Prott  eingetreten  war,  die  VeröffentUchung  der  Inschriften. 
Vorausgeschickt  ist,  wie  in  den  Inschriftwerken  des  Herausgeber^ 
gewöhnlich,  „die  Stadtgeschichte  und  Wiederentdeckung'',  die  auch 
einzeln  erschienen  sind.  Der  Name  der  Stadt  wird,  wahrscheinlich 
mit  Recht,  als  uugriechisch  erklärt,  zweifelnd  erinnert  der  Verfasser 
an  ki-etisch  Priansos,  hält  aber  auch  einen  thrakischen  Ursprung 
für  möglich,  da  ein  unzweifelhafter  Thraker  als  IlQiaveig  bezeichnet 
werde.  Die  zahlreichen  Boiotien  und  der  Landschaft  südlich  vom 
Mykalekamm  gemeinsamen  mythischen  und  ejjichorischen  Namen 
beurteilt  er  nicht  gleichmäßig ;  während  er  die  Übereinstimmung  von 
Mykale  und  Mykalessos  auf  eine  gemeinsame  vorgriechische  Ur- 
bevölkerung zurückführt,  glaubt  er,  daß  auswandernde  Boioter  den 
Kadmos,  nach  dem  Priene  Kadme  hieß  (Str.  XIV  1,  12,  S.  636), 
und  den  Namen  Thebe  nach  lonien  brachten,  wo  die  Erinnerung 
an  die  boiotische  Heimat  vieler  Ansiedler  immer  lebendig  geblieben 
ist.  Aber  ist  es  nicht  mißlich,  den  Namen  von  Mykalessos,  wo 
man  von  Kadmos  erzählte,  anders  zu  beurteüen  als  den  von  Kad- 
mos oder  diesen,  der  doch  in  dem  boiotischen  Theben  haftet,  von 
Thebe  zu  trennen?  Die  Frage  wird  noch  verwickelter  dadurch, 
daß  die  Übereinstimmungen  loniens  mit  Kreta,  aus  denen  schon 
im  Altertum  kretische  Zuwanderer  in  Karien  erschlossen  wurden 
und  auch  von  Hiller  von  Gaertringen  erschlossen  werden,  großenteils 
dieselben  sind  wie  die  zwischen  lonien  und  Boiotien.  Die  dafür 
im  Handbuch  271,  7  gesammelten  Belege  lassen  sich  sehr  ver- 
mehren; auch  wo  nur  an  zweien  dieser  drei  Landschaften  eine 
Ortsbezeichnung  oder  ein  mythischer  Name  begegnet ,  kann  das 
Fehlen  in  der  dritten  sich  aus  der  Lückenhaftigkeit  der  Überlieferung 
oder  aus  lautlicher  Nameusveränderung  erklären.  So  fehlen  in 
Kreta  Kadmos  und  Mykale,  aber  jener  ist  der  Bruder  der  kretischen 
Europa,  und  zu  Mj'kale  könnte  das  kretische  Amyklaion  gehören. 
Keiner  der  in  Frage  kommenden  Namen  ist  griechisch ,  aber  auch 
dieser  Umstand  gestattet  keine  sichere  Erklärung  der  auffallenden 
Erscheinung.  Es  ist  möglich,  daß  in  sehr  früher  Zeit  ein  südlich 
von  der  M}-ftale   ansässiges  mächtiges  Fürstenhaus  Unternehmungen 


lonien.    Pergamou.  389 

nach  Kreta  und  nach  dem  Euripos  ausgeführt  und  dort  als  Zeugen 
seiner  einstigen  Herrschaft  Ortsbezeichnungen  und  sagenhafte  Er- 
innerungen zurückgelassen  hat,  oder  daß  ein  von  dort  aus  in  einem 
der  beiden  griechischen  Gebiete  gegründetes  Reich  Kolonien  nach 
dem  anderen  ausgesendet  hat ;  es  ist  weiter  möglich ,  daß  ein  Teil 
der  in  Kreta  und  Boiotien  angesiedelten  Karer  in  die  Heimat  ihrer 
Väter  zurückkehrte  und  Überlieferungen  mitbrachte  ,  die  sich  erst 
in  Griechenland  herausgebildet  hatten.  Es  ist  endlich  auch  denkbar, 
daß  die  griechischen  Kreter  und  Boioter  hinter  den  Rückfahreru 
herfuhren  und  als  Feinde  oder  auch  als  Freunde  Beziehungen  zu 
dem  südlichen  lonien  gewannen.  Alle  diese  Möglichkeiten  müssen 
ins  Auge  gefaßt  werden,  aber  es  ist  zurzeit  m.  E.  nicht  gestattet, 
auch  nur  in  einem  Fall  anzugeben ,  aus  welcher  sich  die  Über- 
einstimmung erklärt.  —  Die  mythische  Geschichte  von  Pcrgamon 
behandelt  ausführhch  Schuchhardt,  Altert,  von  Perg.  I  173  ff. 
Über  die  Ausgrabungen  daselbst  berichtet  Hepding  Ath.  Mitt. 
XXXV,  1910,  401  ff.  Es  werden  u.  a.  98  Inschi'ifteu  mitgeteilt, 
darunter  no.  22  —  72  Widmungen.  Eine  Weihinschrift  ist  von  der 
Königin  Apollonis ,  der  Gemahlin  Attalos  I.,  der  Demeter ,  Köre 
als  OeofiocfOQOL  gesetzt  (S.  439,  no.  24 ;  vgl.  449,  no.  28).  Die  In- 
schriften aus  diesem  Heiligtum  (S.  437  ff.)  zeigen,  daß  Philetairos,  als 
er  und  Eumenes  es  um  266  stifteten,  sich  eng  an  Athen  und  Eleusis 
anschloß.  Wir  finden  einen  Hierophanten,  Keryx,  einen  Daduchos, 
einen  e/rt  ßn)f.uij^  Mysten-,  eine  lElexiq  wird  auf  einer  Weihinschrift 
erwähnt.  Vielleicht  wurde  auch  nach  attischen  ]\Iuster  eine  orj)hische 
Sekte  gestiftet.  Die  orphischen  Hymnen  schließen  sich  so  genau 
an  die  Kulte  von  Pergamon  an ,  daß  sie  wahrscheinlich  für  eine 
dortige  Gemeinde  gedichtet  sind.  Vgl.  Kern,  Herrn.  XL  VI,  1911, 
431  ff.  und  0.  {287). —  In  demselben  Jahr  handelte  v.  Fritze  in  den 
Abh.  BAW  1910,  hist.-ph.  KL,  Anli.  I  über  die  Münzen  von 
Pergamon.  Von  Göttern  finden  wir  besonders  dargestellt  Apollon 
(59  f.),  Asklepios  (39  ff.;  47  ff.),  Athena  (35  ff.,  57  ff.),  deren  Kult 
Alexander  eingeführt  oder  belebt  hat ,  Demeter  (63) ,  Dionj^sos 
(60  ff.),  die  Dioskuren,  Herakles  (69  f.),  Hermes,  die  Kabiren  (63)' 
die  Meter  Meyälr.  (64),  Sarapis  (57).  —  Conze  und  Schatz- 
mann  bexnchten  in  dem  Ergänzungsheft  IX  zum  Archäol.  Jahrb. 
1911  über  einen  von  Philetairos  erbauten  Tempel  der  Göttermutter 
auf  der  einsamen  Höhe  des  Mamurth  Kaleh.  —  W.  Dörpfeld 
bringt  Ath.  Mitt.  XXXVII,  1912,  235  ff.  genauere  Angaben  über 
den  heiligen  Bezirk  der  Demeter  (s.  o.)  und  ebd.  256  ff.  über  den 
der  Hera,  wo  Attalos  II.  nach  der  Architravinschrift  einen  Tempel 
der  Hera  Baoileia  weihte. 


390  Troas.     Mysien. 

Troas.  Fr.  Stählin,  Das  hypoplakische  Theben,  Eine 
Sagenverschiebung  l)ei  Homer,  München  1907,  will  nachweisen, 
daß  die  Ihas  nicht  das  troische  Theben  meinen  könne ,  das  erst 
ca.  600  V.  Chr.  von  IMilesiern  gegründet  wurde  und  bei  dem  es 
weder  einen  Berg  Plax  noch  einen  Wald  gab  (Str.  XIII  1,  65, 
S.  614),  daß  Homer  die  Sage  vielmehr  atopisch  erzähle,  und  daß 
die  alte  Sage  das  phthiotische  Theben  meinte ,  das  wirklich  unten 
an  der  waldigen  Ebene  '^YnoTtlay.i^  ih]€aa)]  (Z  42b)  lag  und  Q^ßrj 
'VTron/.a/.h]  {Z  897)  heißen  konnte.  Aber  der  Name  des  Berges 
Piakos  scheint  dem  Nordwesten  Kleinasiens  anzugehören,  wie  Plakia 
östlich  von  Kyzikos  vermuten  läßt  (vgl.  die  Plakiaquelle  bei  Theben, 
die  Jurenka,  Wien.  Stud.  XXXVI,  1914,  217  vermutungsweise 
bei  Sappho  einsetzt),  und  die  Gründung  dieser  milesischen  Pflanz- 
stadt wird  von  Stählin  wahrscheinlich  etwas  zu  weit  herunter- 
gerückt; jedenfalls  ist  nach  ihrer  Anlage  die  Zeit  der  Ilias  oder 
wenigstens  der  "Ey.TOQog  v.ai  '■Avdqouä.yr^g,  bf.iüÄa  zu  bestimmen, 
nicht  umgekehrt  wegen  dieser  das  hypoplakische  Theben  nach 
Thessalien  zu  vei'legen.  —  über  die  Sage  von  den  lokrischen 
Mädchen  und  über  die  sich  daran  anschließenden  Fragen  s.  o. 
(^S.  344  ff.) .  über  die  ilische  Athena  x.  W  i  1  a  m  o  w  i  t  z ,  II.  und 
Homer  379  ff.  —  Aus  den  Untersuchungen  über  den  Schauplatz 
der  Kämpfe  vor  Ilion  seien  als  auch  für  die  Sagengeschichte  wichtig 
hervorgehoben  die  von  A.  Buss'e,  Neue  Jahrbb.  XIX,  1907.  457  ff., 
die  zu  dem  Ergebnis  gelangt,  daß  der  Skamandros  schon  zu  der 
Zeit,  als  die  homerischen  Epen  entstanden,  sein  Bett  an  der  west- 
lichen Seite  der  Ebene  gegraben  hatte,  daß  er  unweit  der  Mündung 
sich  mit  dem  von  Osten  kommenden  Simoeis  vereinigte  und  dann, 
wie  es  scheint ,  ohne  weitere  Gabelung  in  die  Stomalimne  ergoß, 
und  die  von  E.  Obst,  Klio  IX.  1909,  220  ff.,  der.  die  Ansichten 
von  Robert  und  Dörpfeld  vereinigend,  nachweisen  will,  daß  Ska- 
mandros in  der  Ihas  der  Name  des  das  Schlachtfeld  im  Westen 
begrenzenden  Hauptflusses ,  dagegen  Xanthos ,  der  in  der  Mitte 
der  Ebene  fließende ,  durch  eine  Furt  passierbare  Ostarm  sei.  — 
Über  die  Lage  der  in  der  Sage  und  im  Kultus  wichtigen  Orte 
Gergis  und  Marpessos  s.  R.  Kiepert,  Klio  IX,  1909,  10  ff".,  der 
sie  auf  Grund  der  antiken  Angaben  ostnordöstlich  von  Ilion  ansetzt, 
ohne  die  Stelle  genauer  bezeichnen  zu  können.  — 

Mysien.  F.  W.  Hasluc k  CyziJMS,  being  some  Account  of 
the  History  and  Antiquities  of  that  City  and  of  the  District  ad- 
jacent  to  it  with  the  towns  of  ApoUonia  ad  ßhyndacum,  Miletu- 
polis.    Hadrianuthera .    Priapos ,    Zeleia  etc.,  CamVmdge  1910,   be- 


Bithynien.    Paphlagonien.     Pontos.    Lydien.  391 

handelt  im  dritten  Teil  ausführlich  die  Gottesdienste.  Daß  die 
Umgebung  der  Stadt  mit  einbegriffen  ist,  verdient  Anerkennung,  und 
die  ganze  Untersuchung  ist  um  so  mehr  zu  begrüßen,  als  die  Türkei 
bisher  Ausgrabungen  auf  dem  Gebiet  von  Kyzikos  nicht  gestattete ; 
die  Zitate   hätten  aber  sorgfältiger  nachgeprüft  werden  müssen. 

Tj  Ithynien.  Das  Pferd  mit  Menschenbeinen  auf  den  Münzen 
von  NiJcaia  stellt  nach  A.  Rein  ach,  Klio  XIV,  1914,  335  den 
Blen  *^oyai]v6g  oder  Askanios  dar;  Cäsar  hat  es  in  seiner  Jugend 
gesehen  und  als  seineu  Ahnherrn  auf  dem  Forum  abbilden  lassen, 
vgl.  Suet.  div.  lul.  61;  Plin.  n.  h.  VIII  155. 

Paphlagon  l e n.  f  D  a  v i d  M.  Robinson,  Ancient  Sinoi'ie, 
An  historical  Account  with  a  prosoj^ographia  Sinopeensis ,  and  an 
Appendix  of  Inscrij)tions,  Baltimore  190G  faßt  Aufsätze  zusammen, 
die  im  Amer.  Journ.  Phüol.  (wo  über  die  Kulte  XXVII,  1906,  265  ff. 
gehandelt  wird)  und  in  dem  Journ.  Arch.  Inst,  of  Amer.  erschienen 
waren.  Die  Schilderungen  beruhen  auf  eigener  Anschauung ,  die 
der  \i.  sich  auf  einer  von  Ed.  Me3-er  und  Busolt  empfohlenen 
Reise  1903  erworben  hatte. 

Pontos.  Das  zweite  Heft  der  Studia  Pontica  (Vovage  d'ex- 
ploration  archeol.  dans  le  Pont  et  dans  la  petite  Armenie,  Brüssel 
1906)  rührt  von  Fr.  und  Eugen  Cumont  her,  von  denen  jener  die 
archäologischen  Ergebnisse  darstellt,  während  dieser,  Professor  an 
der  Kriegsakademie  in  Brüssel,  die  geographischen  Aufnahmen  ge- 
macht hat.  Religionsgeschichtlich  wichtig  sind  die  Erörterungen 
über  die  zwei  Kultstätten  des  Zeus  ^xq<xtloq  bei  Amasia  (145  f., 
171  ff.),  über  die  Nymphengrotte  ebendort  (171),  über  die  Kulte 
von  Sebastopolis  (202),  über  den  trapezuntischen  Kult  des  Serapis 
und  Hermes  und  ein  in  den  Felsen  gehauenes  Mithraion ,  das  zu 
einer  Kapelle  der  Panagia  Theoskepastos  umgewandelt  worden  ist 
(367  ff.).  An  den  kalkhaltigen  Quellen  bei  Tschennilv  findet  ein 
Jahrmarkt  statt,  den  Fr.  Cumont  283  als  unmittelbare  Fortsetzung 
von  einer  der  oft  mit  Märkten  verbundenen  rcari]yiQeig  betrachtet.  — 

Lydien.  Eine  große  Anzahl  neuer  oder  revidierter  Inschriften 
teilen  auf  Grund  einer  1906  angestellten  Reise  Jos.  Keil  und 
A.  V.  Premerstein,  Denkschr.  WAW  LIII,  1910ii,  LIV,  1911ii 
mit.  Neben  vielem  anderen ,  was  an  verschiedenen  Stellen  dieses 
Berichtes  hervorzuheben  ist,  sind  für  die  Religionsgeschichte  ^vichtig 
die  Inschriften  aus  Philadelphia  (1910,  S.  24  ff.),  die  zwar  fast  nur 
bekannte  Gottheiten  wie  (Artemis  oder  Meter)  lAvaelTig,  Meter 
(DiXelg,  Z.  TaQavr]v6g,  -d^edg  '^'Yipiovog,  den  mit  Mysterien  verehrten 
Dionysos  Kad^r]y€f.ii6v^   Men  Tid/^ou  nennen,  aber  doch  wegen  des 


392  Lydien.    Phrygien. 

I 

ZusammentreflFens  dieser  Gottheiten  und  wegen  der  Mitteilung  einiger 
Einzelheiten  ihres  Kultus  Aufmerksamkeit  verdienen,  ferner  eine 
Insclu'ift  aus  Gjölde,  143'4  n.  Chr.,  in  der  Meter  und  Men  Joqov 
■/.('tin^v  ßaaiXeiovzeg  (1911,  S.  103,  no.  204)  genannt  werden,  und 
eine  ähnliche  Inschrift  aus  Kawakly  (1911,  S.  105),  in  der  Miyag 
JIrjV  JJeiQaeiTr^g  [zrjv  ywUtt^v?  ßajoileLCOv  y.(ai)  I]l[eydl)^  O^eiov] 
IMrjro  TaL[ip^  .  .  .]  erscheint.  Die  Herausgeber  finden  wohl  mit 
Recht  in  dem  Königtum  der  Gottheiten  Reste  alter  Theola-atieu.  — 
Am  wichtigsten  sind  unter  den  Ijdischen  Kulten  natürlich  die  von 
Sarclcs.  Hier  haben  die  Amerikaner  Ausgrabungen  veranstaltet, 
über  die  W.  H.  Buckler  und  Dav.  M.  Robinson,  Amer.  Journ. 
Arch.  XVI,  1912,  11  ff.,  XVII,  1913,  29  ff.  und  353  ff.,  XVIII, 
1914,  Iff.  berichten;  vgl.  auch  H.  C.  Butler  ebd.  XVII,  1913, 
471  ff. ;  Dawkins,  Journ.  Hell.  Siud  1910,  3G1  •,  Arch.  Anz. 
1911,  152  und  Karo,  Arch.  f.  ReligionsAviss.  XVI,  1913,  288. 
Die  Ausgrabungen  galten  begreiflicherweise  besonders  dem  Arte- 
mision ;  hier  wurden  z.  B.  zahlreiche  Ehreninschriften  für  Priesterinnen 
gefunden  (Am.  Journ.  Arch.  XVII  353  ff. ;  vgl.  368  ff.) ,  die  u.  a. 
einen  neuen  Titel  einer  solchen,  -/.aceig,  ergeben.  —  Nach  G.  Radet, 
Cybebe,  Etüde  sur  les  transfigurations  plastiques  d'un  t3^pe  divin 
(Bibl.  Univ.  du  midi  XIII)  und  den  Nachträgen  in  den  Rev.  et- 
anc.  XIII,  1911.  75  ff.  hieß  die  Göttin  von  Sardes  lydisch  Kybebe, 
die  Perser  nannten  sie  Anähita,  die  Griechen  und  zwar  schon 
Xenoph.  avaß.  I  6,  7  anfangs  Artemis ,  in  der  Zeit  der  Antonine 
und  Severe  Köre.  —  Dagegen  bestreiten  Buckler  und  Robinson 
a.  a.  0.  XVII  368,  daß  die  „Artemis"  von  Sardes  in  Anahita  auf- 
ging; die  Göttin  blieb  nach  ihnen  rein  lydisch. 

Über  die  phrygischen  Kulte  und  ihre  Bedeutung  für  die 
griechisch-römische  Welt  handelt  Eisele,  Neue  Jahrbb.  XXIII, 
1909,  620  ff. ,  über  die  Spuren  der  ältesten  phr3^gischen  Kulte 
Brandenburg,  Rev.  hist.  rel.  LIX,  1909^  Iff.  —  Im  Gebiet 
von  Antiocheia  an  der  Grenze  Pisidiens ,  zu  dem  es  oft  gerechnet 
wird,  lagen  zwei  Heiligtümer  des  Men  (vgl.  Str.  XII  3,  31,  S.  557): 
das  ursprüngliche  bei  Saghir,  6  Stunden  nordnordöstlich  von  der 
.späteren  Stadt,  das  jüngere,  von  jenem  abgezweigt,  näher  dieser,  un- 
gefähr 400  m  oberhalb  von  ihr,  s.  Ramsay,  Ann.Br.  Seh.  ofAth.  XVIII, 
1911/2,  37  ff.  Die  Inschriften  (Ramsay,  Stud.  in  the  Art  of  the  Eastem 
Rom.  Provinces  305  ff.,  Journ.  Hell.  Stud.  XXXII,  1912,  151  ff.,  Ann. 
ßrit.  Seh.  of  Ath.  XVIII,  1911/2,  61  ff.)  zeigen,  daß  der  Kult  phrygi- 
j^chesRitual  hatte.  Auch  bei  dem  städtischen  HeiUgtum  sind  Aus- 
grabungen veranstaltet;  das  Heiligtum  des  Gottes,  neben  dem  eine 


Phrygien.  39:i 

hier  gewöhnlich  Demeter,  aber  auch  Artemis  (Ramsaj',  Ann.  XVIII 
55  ff.)  oder  sogar  Selene  genannte  Göttin,  ursprünglich  wohl  Kybele 
steht,  ist  ein  hellenistischer  oder  (wahrscheinlicher)  römischer  Bau ; 
die  älteste  datierbare  Inschrift  stammt  aus  der  Zeit  des  Claudius, 
die  meisten  Inschriften  sind  aber  unter  Maximian  I.  und  Maximin 
gesetzt.  Vgl.  Anderson,  Festivals  of  Men  Askaenos  in  the 
Eoman  colonia  at  Antioch  of  Pisidia,  Journ.  Rom.  St.  III,  1913, 
267  ff.  Aus  den  Ruinen  glaubt  Ramsay ,  Journ.  Hell.  Stud.  a.  a.  0. 
auf  den  Inhalt  der  Mysterien,  die  er  mit  den  Klarischen  (.9.  0. 
S.  38?)  vergleicht ,  schließen  zu  dürfen.  Vgl.  über  den  Menkult 
von  Antiocheia  Miß  Hardie  ebd.  111  ff.,  Hasluck  ebd.  390, 
Calder,  Journ.  Rom.  Stud.  II,  1912,  79  ff.  —  Die  Flutsage,  die 
Sage  von  Anchuros ,  den  Kult  des  Marsyas  und  das  Grab  des 
Aineias  (Fest  269*,  4,  wo  für  Nolon  zu  schreiben  sei  Noricon,  vgl.  Plut. 
5Tor.X2;  Diou.  ^ieq.  321)  in  Apameia  Kihotos  bringt  A.  Reinach, 
Klio  XIV,  1914,  321  ff.  durch  kühne  Kombinationen,  die  bisweilen 
richtige  Quellenabschätzung  vermissen  lassen,  miteinander  in  Ver- 
bindung. —  Die  wichtigsten  Ergebnisse  seiner  Untersuchungen  über 
Hierapolis  faßt  Leo  Weber  in  dem  populären  Buch  „Im  Banne 
Homei-s"  zusammen ,  dessen  Kapitel  „Am  Heiligtum  der  Kybele, 
Geschichte  und  Kulte  einer  Provinzialstadt  Kleinasiens  aus  nach- 
christlicher Zeit"  als  Sondei-abdruck  erschienen  ist;  vgl.  Philol. 
LXIX,  1910,  178  ff.  Als  von  Eumenes  hier  spätestens  190  v.  Chr.  die 
Grenzfestung  angelegt  wurde,  traten  die  urspi'ünglich  an  dem  Erdspalt 
verehrte  Kj-bele  (vgl.  Küster,  RVu.VXIIl2,  S.  91)  undLairbenos 
hinter  dem  pergamenischen  Apollon  zurück,  aber  in  der  späteren  Kaiser- 
zeit, in  der  Hierapolis  seine  höchste  Blüte  erreichte,  wurde  das  bar- 
barische Element  wieder  mächtiger,  der  Kult  der  großen  Göttermutter 
drang  wieder  durch  und  behauptete  sich  bis  in  das  6.  Jh.  n.  Chr.  — 
Eine  Aufzählung  der  auf  den  Münzen  von  Hierapolis  vorkommenden 
Gottheiten  gibt  Weber,  Num.  Chron.  1913,  S.  1  ff .  Vgl.  Xagizeg, 
Fr.  Leo  zum  60.  Geburtstag  dargebracht,  Berlin  1911,  S.  466  ff.  An 
letzterer  Stelle  wird  zuerst  über  die  Neokorie  gehandelt,  die  Hiera- 
polis unter  Caracalla  erhielt.  Die  Stadt  hatte  zwei  Tempel  für  den 
Kaiserkult,  der  eine  galt,  wie  aus  dem  Festnamen  des  Agons  ^/.ria 
gefolgert  wird,  dem  Augustus  und  seinem  Haus,  der  andere,  der  Xeo- 
korie  dienend,  dem  jeweiUgen  Kaiser.  Darauf  (480  ff.)  werden  die 
ApoUontypen  besprochen.  —  Über  Nysa  berichtet  W.  v.  D  i  e  s  t ,  Nysa 
ad  Maeandrum  nach  Forschungen  und  Aufnahmen  in  den  Jahren  1907 
und  1909  unter  Mitwirkung  vonColer,  Graefinghoff,  Hiller 
V.  Gaert ringen,  Pringsheim,  Regling  im  10.  Ergänzungsheft 


394  Phrygien.     Galatia.     Kilikien. 

des  Arch.  Jahrbuchs  1913.  —  Eine  merkwürdige  Mischung  von 
Monotheismus  und  Heidentum .  von  der  sich  in  Kleinasien  auch 
sonst  Spuren  finden ,  verrät  eine  in  den  Denkschr.  WAW  LIV» 
191  In,  S.  110,  no.  211  herausgegebene  luscha-ift  von  S(fitta  in 
den  Worten  aig  ^eog  iv  OLQai'olg  ^teya^,  I\h]i'  Oigäviog.  —  Ein 
eigenartiges  Relief  aus  Kula  in  der  KaTay.eY.avf.ifvv^  das  den  Reiter- 
gott darstellt,  veröfifentlicht  E.  Remy,  Musee  Beige  XI,  1907, 
133 — 142;  es  trägt  die  Widmung  L4ji611vjvl  Tagaüii  Y.ai  MtjtqI 
TctQOivh-  Der  Herausgeber  setzt  jenen  dem  tarsischen  Apollou, 
diese  der  Ateh  (Atergatis)  von  Tarsos  gleich,  obwohl  beide  ihre  ur- 
spi'üugliche  Gestalt  aufgegeben  und  phrygische  angenommen  haben.  — 

In  Galatia  hatPessinus  nach  R.  Eisler,  Philol.  LXVIII,  1909, 
125  den  Namen  von  neooog,  dem  heiligen  Stein  der  Kybele  empfangen. 

Über  mehi-ere  Kulte  Kilikiens,  namentlich  die  von  Olba 
und  Tarsos,  handelt  auch  mit  Rücksicht  auf  ihr  Verhältnis  zu  cheti- 
tischen  und  semitischen  Frazer,  Adonis  Attis  Osiris  (Golden 
Bough  IV ^)  1 142  ff.,  über  andere  (Zeus  ^Olißgiog,  Ai-temis  lleQuoia 
usw.  und  über  die  kilikische  Gigantensage  v.  D  o  m  a  s  z  e  w  s  k  i , 
Numism.  Zeitschr.  XLIV,  1911,  1  ff.  Die  wohlerhaltene  Ruine  des 
Zeustempels  von  Olba,  die  Bent  entdeckt  und  1890  beschrieben  hat, 
schilderte  E.  Herzfeld  am  9.  März  1909  in  der  Berliner  Arch. 
GeseUsch.  (vgl.  Berl.  Phü.  Wochenschr.  XXIX,  1909,  1291  ff.). 
Die  Anlage  rülirt  von  Seleukos  Nikator  her,  eine  teilweise  Er- 
neuerung fand  zwischen  60  u.  50  v.  Chr.  statt,  in  christHcher  Zeit 
wurde  in  den  Tempel,  einen  der  schönsten  Kilikiens,  eine  chi'ist- 
liche  Basilika  hineingebaut.  Von  diesem  Tempel  aus  heiTschte  in 
hellenistischer  Zeit  mehrere  Jahrhunderte  lang  ein  Priesteradel,  der 
sich  auf  die  beiden  Telamonier  der  Ilias,  Aias  und  Teuki-os,  zurück- 
führte und  sich  meist  nach  einem  von  diesen  nannte,  aber  in  Wahr- 
heit ,  wie  auch  Herzfeld  annimmt ,  barbarische ,  vielleicht  bis  auf 
die  chetitische  Zeit  hinaufreichende  Namen,  die  als  Bestandteil 
anderer  küikischer  Namen  vorkommenden  Bezeichnungen  Tarku 
(Troko)  und  lan  trug.  —  Diese  Famihe  erscheint  auch  unter  den 
etwa  10  Geschlechtern,  aus  denen  nach  der  von  Bent  aufgefundenen 
Liste  die  Priester  an  der  Korykischen  „Grotte"  (besser  dem  Kory- 
kischen  „Kessel")  hervorgingen.  Über  diesen  Kult  handelt  Frazer, 
a.  a.  0.  152  ff.  Daß  der  Typhonkampf  hier  lokahsiert  wurde,  ist 
seiner  Ansicht  nach  nur  eine  Folge  der  fossilen  Knochen ,  die  in 
der  Schlucht  entdeckt  wurden;  der  Gott,  der  hier  verehrt  wurde 
und  der  ausdrücklich  dem  Zeus  von  Olba  gleichgesetzt  wird,  war 
nach    Frazer    ein    Dämon    des    in    der    Feuchtigkeit    vermuteten 


Kilikien.     Cypern.     Syrien.  395 

Fruchtbarkeitsprinzipes ,  verwandt  dem  Adonis ,  dem  Sandau  und 
Ba'al  Tars  von  Tarsos  (160  f.).  —  Über  die  Kulte  von  Tarsos  vgl. 
Hans  Böblig,  Die  Geisteskultur  von  Tarsos  im  augusteischen 
Zeitalter  mit  Berücksichtigung  der  Paulinisclien  Schriften  (Forsch, 
zur  Rel.  und  Liter,  des  A  und  NT  n.  F.  II,  Göttiugen  1913) 
S.  8 — 107.  Dem  Theologen  kam  haii])tsäclilich  darauf  an,  die  An- 
regungen darzustellen ,  die  Paulus  aus  dem  Geistesleben  seiner 
Vaterstadt  schöpfen  konnte ,  aber  was  ihm  wirklich  von  dorther, 
nicht  aus  der  allgemeinen  Richtung  der  griechischen  und  besonders 
der  kleinasiatischen  Kultur  zufloß,  läßt  sich  meist  nur  vermutungs- 
weise feststellen,  und  so  bleibt  der  Hauptertrag  der  Schrift  die 
Schilderung  des  religiösen  Lebens  der  Heiden  und  der  Juden  in 
Tarsos;  freihch  tritt  es  oft  zutage,  daß  der  Vf.  sich  aus  äußerem 
Anlaß  an  einen  ihm  eigentlich  femer  liegenden  Stoff  gewagt  hat. 

Auf  Cypern  ist  noch  immer  die  Lage  des  Aphroditeheilig- 
tums von  Golgoi  strittig;  vgl.  über  die  Frage  Menardos,  l4d^r^va 
XXII,  1910,  417.  —  Tremitlms  war  nach  demselben  (419)  eine 
Kultstätte  des  Apollon  und  der  Aphrodite,  die  nach  einer  kühnen, 
aber  wahi^scheinlich  richtigen  Vermutung  zu  Ptolem.  Heph.  198,  11 
in  Westerm.  Mythogr.  Gr.  in  dem  dortigen  Apollonheiligtum  den 
Adonis  fand  <.<?.  o.  S.  127).  Die  bei  Ptol.  Heph.  überlieferte  Stadt 
Argos  hat  es  nach  Menardos  nicht  gegeben ;  es  ist  zu  lesen  Iv 
ccQoei  (kypr.  =  aloei). 

Der  semitische  Orient. 

Außerordentlich  wichtig  auch  für  die  Religionsgeschichte  sind 
die  von  der  katholischen  St.  Josefs-Universität  in  Beirut  heraus- 
gegebenen Melanges  de  faculte  Orientale ,  die  seit  1906  unter  Mit- 
wirkung besonders  von  Jalabert  und  Ronzevalle  erscheinen. 
Von  den  hier  veröffentlichten  Inschriften  sind  mehi'mals  Sonder- 
ausgaben veranstaltet.  Vieles  Neue  bieten  namentlich  für  die  Zeit 
des  absterbenden  Heidentums  die  Publications  of  an  American 
Archaeologic.  Expedition  to  Syria  in  1899 — 1900,  besonders  deren 
dintter  Teil,  die  von  W.  Kelly-Prentice  herausgegebenen  Greek 
and  Latin  Inscriptions  (New  York  1908),  und  die  Publications  of 
the  Princeton  University.  Archaeological  Expedition  to  Syria  in 
1904 — 1905,  besonders  der  Band  mit  den  von  E.  Littmann  ver- 
öffentlichten südsyrischen  und  den  von  W.  Kelly-Prentice 
herausgegebenen  nordsyrischen  Inschriften.  Für  die  antike  Religion 
kommt  besonders  Div.  III  ^  4  mit  den  Inschriften  von  Bosra  in 
Betracht.  —  Über    die   Tempel    der   wichtigsten  Götter  Phöniziens 


896  Syrien. 

spricht  im  Anschluß  an  Münzen  G.  F,  Hill,  Journ.  Hell.  Stud. 
XXXI,  1911,  56  ff.;  vgl.  Brit.  Acad.  191112,  S.  411  ff.  In  einem 
früheren  Aufsatz  Church  Quarterly  Rev.  1908,  118  ff.  hatte  er 
bereits  nachzuweisen  versucht,  daß  Ba'al  und  seine  Kultgenossin 
Astarte  in  doppelter  Auffassung,  als  himmlische  und  als  Seegott- 
heiten erscheinen.  —  Was  die  einzelnen  Kultstätten  anbetrifft,  so 
ward  in  einer  Inschi'ift  von  Beer  seha  eine  Statue  des  Uranos, 
das  ist  wohl  C7rdb5'n  oder  Dhu  '1  Sarra,  erwähnt,  Amer.  Journ. 
Arch.  XIV,  1910,  G8.  —  Auf  Weihungen  von  Deir  el  Qalk  bei 
Benjtos  wird  neben  I(uppiter)  O(ptimus)  M(aximus)  Balmarcodes 
bisweilen  eine  Göttin  genannt,  die  häufig  luno,  einmal  (58)  Regina 
heißt,  Jalabert,  Mel.  de  la  fac.  or.  I  1906,  181  ff.  —  Die  Aus- 
gleichung  des  Adonis  von  Byblos  mit  Osiris  geht  nach  Ed.  Meyer, 
Gesch.  d.  Altert,  l^n ,  S.  394  bis  in  das  mittlere  Reich  zurück  und 
ist,  wie  aus  Darstellungen  des  Erikabaumes  mit  dem  Sarg  früh  von 
den  Ag}-pteru  selbst  anerkannt  worden.  —  Über  die  Geschichte 
und  „die  politische  Bedeutung  der  Religion  von  JEmesa"'  handelt 
v.  Domaszewski,  Arch.  f.  Religionswiss.  XI.  1908,  223  ff.  = 
Abhaudl.  zur  römischen  Religion  197  ff.  Es  sollen  zwei  weibliche 
Gottheiten  ausgeglichen  sein :  die  syrische  Mondgöttin  Oigavia^ 
'u4atQodQyr^  (Herodian.  V  C,  4)  und  die  jungfräuliche  MrjirjQ  d-€0)V 
oder  Athena  der  arabischen  Eroberer.  Elagabal  hat  nach  v.  Do- 
maszewski  Astarte  der  luno  Caelestis ,  Athena  dem  Palladion  des 
Vestatempels  gleichgesetzt  und  sich  mit  ihr  vermählt.  Severus 
schloß  die  Ehe  mit  lulia  Domna ,  weil  sie  ihm  bei  der  überragen- 
den Stellung  der  Religion  von  Emesa  im  Osten  Syriens  eine  Bürg- 
schaft für  das  Gelingen  seiner  hochgespannten  Bestrebungen  zu 
bieten  schien.  In  Rom  wurden  für  den  Sonnengott  Elagabal  zwei 
Tempel  geschaffen,  einer  am  alten  Mundus  der  palatinischen  Stadt, 
im  Bezirke  des  kaiserlichen  Palastes,  ein  zweiter  in  einer  Vorstadt 
(Herod.  a.  a.  0.  §  6).  —  Die  Ergebnisse  der  deutschen  Ausgrabungen 
in  Heliopolis  1900 — 1904  sind  zwar  schon  am  Schluß  der  vorigen 
Berichtsperiode  bekannt  gegeben  worden,  haben  aber  auch  noch  in 
der  jetzigen  nachgewh'kt.  Obwohl  der  Artikel  Heliopolis  der  Real- 
enzj-klopädie  schon  bei  seinem  Erscheinen  dem  Stande  der  Wissen- 
schaft nicht  mehr  entsprach,  braucht  auf  die  den  Lokalkult  be- 
treffenden Fragen  hier  nicht  eingegangen  zu  werden,  da  Winne- 
felds  Aufsatz  „Zur  Geschichte  des  syrischen  Heliopolis",  Rh. 
Mus.  IL,  1913,  139  ff.  dafür  Ersatz  bietet.  Nur  auf  einige  von 
diesem  und  auch  von  Dussaud  in  dem  Artikel  Heliopolitanus  der 
Realenzyklopädie    weniger    berücksichtigte    Punkte    sei    hier    hin- 


Syrien.  ■  397 

gewiesen.  Nachdem  dex-  T3'pus  des  Zeus  von  Heliopolis  schon  vor 
mehr  als  einem  Menschenalter  festgestellt  war  und  die  voi-i^^-e 
Berichtsperiode  die  Erkenntnis  gebracht  hatte ,  daß  in  den  beiden 
Hauptgottheiten  von  Heliopolis  das  alte  syrische  Götterpaar  fort- 
lebe, das  gewöhnlich  Hadad  und  Atargatis  genannt  wurde,  richtete 
sich  in  den  diesmal  zu  besprechenden  Untersuchungen  die  Auf- 
merksamkeit auch  auf  die  Nebengottheiten,  insbesondere  auf  den 
jugendlichen  Gott,  der  in  römischer  Zeit  als  Mercurius  mit  luppiter 
Optimus  Maximus  und  Venus  eine  Dreiheit  bildet.  Eine  Samm- 
lung der  auf  sie  bezüglichen  Inschriften  bietet  Jalabert,  Comptes 
rendus  AIBL ,  1906,  97  if. ,  Mel.  fac.  or.  I,  1906,  175  (darunter 
176  eine  Inschrift  aus  Zellhausen  in  Hessen),  II,  1907,  280  ff.  In 
den  beiden  Aufsätzen  der  Melanges  I  180,  II  283  wird  es  als 
möglich  bezeichnet,  daß  ursprüngHch  in  Heliopolis  nur  das  Paar 
luppiter  und  Venus  verehrt  und  daß  Mercurius  erst  von  Römern 
dorthin  verpflanzt  wurde.  Dagegen  meint  Ronzevalle,  Mel.  I, 
1906,  229,  daß  Hermes  in  der  Trias  von  Heliopolis  an  die  Stelle 
eines  Knaben  getreten  sei ,  der  ursprünglich  neben  Hadad  und 
Atergatis  stand.  Er  glaubt  aber ,  diese  Ansicht  mit  der  Jalaberts 
vereinigen  zu  können ,  da  es  sich  wohl  nur  um  eine  Zeitfrage 
handele.  Die  diesem  Zugeständnis  zugrunde  liegende  Voraussetzung, 
daß  der  Kult  von  Heliopolis  im  Laufe  der  Zeit  große  Umwandelungen 
durchgemacht  hat,  ist  gewiß  richtig;  und  es  versteht  sich  von  selbst, 
daß  die  Bezeichnung  des  jugendlichen  Partners  der  beiden  Hauptgott- 
heiten als  Mercur  neue  Vorstellungen  in  den  Kult  einführte ;  allein 
im  ganzen  ist  doch  der  Mercur  von  Heliopolis  nicht  minder  als 
S3Tischer  Gott  anzusprechen  wie  der  luppiter  Optimus  Maximus 
und  die  neben  ihm  stehende  Venus;  nur  so  viel  ist  einzuräumen, 
daß  er  vielleicht  in  assyrischer  oder  persischer  (schwerlich  in  helle- 
nistischer) Zeit  zu  den  beiden  andern  Göttern  hinzugetreten  ist, 
und  daß  die  Versuche,  ihn  einem  bestimmten  syrischen  Gott,  etwa 
dem  Seimios,  gleichzusetzen  oder  diese  Dreiheit  von  Emesa  als  in 
den  drei  für  die  Ennaeteris  wichtigen  Gestirnen,  Sonne,  Mond  und 
Planet  Venus  (0.  S.  375)  verehrt  zu  erweisen ,  bisher  zu  einem 
sicheren  Ergebnis  nicht  geführt  haben.  —  In  Kanatha  ist  ein  Tempel 
des  Hehos  (?)  aus  dem  2.  Jh.  n.  Chr.  ausgegraben  worden; 
s.  Clarence  Ward,  Amer.  Journ.  Arch.  XI,  1907,  387  ff.  — 
Chapot,  Selencia  de  Piex-ie,  Mem.  soc.  antiqu.  de  France VII vi, 
1906,  149  ff.  spricht  auch  über  die  Kulte  dieser  Hafenstadt  von 
Antiocheia.  Bezeugt  sind  (S.  221)  Zeus  ^0?.i'f.t7Tiog  und  KoQvq>aiog, 
Apollon  von  Daphxie ,  die  ^coT^QSg,  d.  h.  die  verstorbenen  Könige, 


39S  Arabien.    Ägypten. 

der  lebende  König,  (222)  Zeus  Kegatvioc:  und  Kaoiog.  —  In 
G.  Dalmauns  Werk  Petra  und  seine  Felslieiligtümer,  Leipzig 
I90S  handeln  S.  49  ff.  über  die  Religion  der  Nabatäer. 

Ägypten. 

Den  hellenistisclien  Kulten  des  Nillandes  widmen  fast  alle 
äg3'ptologischen  Zeitschriften  einen  Teil  ihres  Raumes ,  auch  das 
Ai-chiv  für  Papyrusforschung  enthält  Aufsätze  über  die  Religion 
Ägyptens  unter  griechischer  Herrschaft.  Allein  die  meisten  dieser 
und  auch  ähnlicher  einzeln  erschienener  Untersuchungen  fassen 
entweder  den  Kult  einzelner  Gottheiten  ohne  Rücksicht  auf  eine 
bestimmte  Kultstätte  ins  Auge  oder  befassen  sich  mehr  mit  der 
Religionsgeschichte ,  sind  also  ebenfalls  an  dieser  Stelle  nicht  zu 
besprechen.  Walter  Ottos  Buch,  Priester  und  Tempel  im  helle- 
nistischen Äg3-pteu,  ein  Beitrag  zur  Kulturgeschichte  des  Hellenis- 
mus, von  dem  der  zweite  Band  Leipzig  und  Berlin  1908  erschienen 
ist,  bietet  für  die  Priesterordnung,  die  Verwaltung  der  Tempelgüter, 
die  soziale  Stellung  der  Priesterschaft  und  das  Verhältnis  von 
Kirche  und  Staat  mehr  als  für  die  Religion,  für  die  nur  zahlreiche 
einzelne  besonders  zu  erwähnende  Bemerkungen  in  Betracht  kommen. 
Hier  sind  nur  wenige  Arbeiten  zu  nennen.  Perdrizets  Auf- 
satz Le  fragment  de  Satyros  sur  les  demes  Älexandr.  (Bull. 
SOG.  arch.  d'Alex.  n.  s.  III,  1910,  53  ff.)  wird  durch  die  Demen- 
namen mehrfach  auch  auf  den  Kultus,  insbesondere  den  des  Dionysos 
geführt.  —  Daß  in  Eleusis,  dem  Vorort  von  Alexandreia,  Mysterien 
gefeiert  wurden,  bestreitet  Otto,  Priester  u.  Tempel  II  265,  1; 
nur  einen  Kult  der  mit  Isis  ausgeglichenen  Demeter  gesteht  er 
zu.  Hier  scheint  mir  ein  richtiger  Gedanke  überspannt.  Von  einer 
förmhchen  Nachbildung  der  eleusinischen  Geheimweihen  kann  aller- 
dings nicht  die  Rede  sein,  denn  der  von  diesen  erhoffte  Segen 
haftete  an  der  Scholle ;  das  schließt  aber  nicht  aus ,  daß  auch  im 
äg}-ptischen  Eleusis  Mysterien  gefeiert  und  daß  diese  wie  aller- 
orten in  der  Welt  des  Hellenismus  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
den  attischen  angeähnelt  wurden.  —  Über  den  Tempel  des  Zeus 
Kaoiog  am  Sirbonischen  See  s.  Cledat,  Compt.  rend.  AIBL, 
1909,  764  ff. ,  der  ihn  bei  Mahemdiah  am  Westende  des  Sees  an- 
setzt. —  Die  Kulte  von  Ptolemais  bespricht  ausführlich  Gerhard 
Plaumann,  Ptolemais  in  Oberägypten,  Ein  Beitrag  zur  Geschichte 
des  Hellenismus  in  Ägypten  (Leipz.  hist.  Abhandl.  XVIII)  1910, 
S.  39  ff.  Die  Stadt  und  ihre  Kulte  waren  rein  griechisch ;  Isis  hat 
(S.  35,  58;  zwar  einen  Tempel,  aber  außerhalb  der  Stadtmauer.  — 


Ägypten.    Kyrene.  39t> 

Einen  (kleiuasiatisclien ?)  Kultverein  eines,  wie  es  scheint,  nicht- 
griechischen  Apollon  in  Hernmpohs  magna  bespricht  auf  Grund 
eines  Papyrus    in  Gießen   P.  M.  Meyer,    Klio  YIII,  1908,  427  fF. 

Kyrene. 

Z  i  e  1  i  n  s  k  i  s  Vermutungen  über  einen  Zusammenhang  der  kyrenäi- 
schen  Kulte  mit  der  hermetischen  Literatur  sind  o.  {S.  322)  er- 
wähnt. —  Gercke,  Herm.  XLI ,  1906,  447  will  nachweisen, 
daß  in  der  afrikanischen  Ansiedluug  wie  auch  in  Thera ,  von  wo 
aus  sie  gegründet  sein  soll,  vor  den  Spartanern  aiolische  Myrmidouen 
saßen,  die  von  den  nachdrängenden  Doriern  nach  Tainaron  ver- 
trieben seien.  Hier  soll  Euphamos  zum  Poseidonkult,  aber  auch 
als  Totengott  zum  Hadeseingaug  gehört  und  hier  ursprünglich  die 
Sage  von  der  Überreichung  der  Erdscholle  gespielt  haben.  Von  dort 
aus  sollen  sie  im  4.  Glied,  w'ie  auch  nach  der  Meinung  Gerckes  die 
Ehoie  gedichtet  hat,  nach  Kyrene  ausgewandert  sein,  wo  sie  unter 
Euphamiden  ansässig  wurden,  bis  die  spartanischen  Battiaden  sich  der 
Stadt  bemächtigten  und  die  Überlieferung  umgestalteten.  Mit  diesen 
Konstruktionen  wird  der  mj'thischen  Überliefei'ung  ein  unmittelbarer 
Geschichtswert  beigelegt,  den  sie  m.  E.  nicht  besitzt.  Vor  dieser  Über- 
schätzung der  Stammwanderungssage  sollte  schon  deren  Unbestimmt- 
heit und  Vieldeutigkeit  abhalten,  die  es  gestattet,  sie  mit  sehr  ver- 
schiedenen einzelnen  Angaben  zusammenzustellen  und  daher  zu 
andersartigen  und  sogar  entgegengesetzten,  in  Wahrheit  ebenfalls 
zweifelhaften  Schlüssen  zu  verwerten.  Das  zeigt  in  diesem  Fall  die 
scharfsinnige  Untersuchung  von  L.  M al  te n  ,  Kyrene,  Sagengeschicht- 
liche und  historische  Untersuchungen  (Philol.  Unters.  XX),  Berlin  1911 . 
Malten  gibt  zwar  auch  thessalische  Elemente  in  der  kyrenaiischen 
Sage  zu:  er  glaubt,  daß  Einwanderer  aus  dem  südlichen  Thessalien 
den  Guneus,  Prothoos,  Ladon,  Triton,  Euphemos,  Eurypylos  und 
Aristaios  nach  der  südlichen  Peloponnes  überbracht  hatten  und 
daß  diese  mit  den  dort  heimischen  Sagen  von  Pasiphae,  Atlas  und 
Poseidon  nach  Libyen  übernommen  wurden,  als  um  1000  v.  Chr., 
von  Tainaron  aus  sich  Ansiedler  dorthin  begaben.  Allein  die  Aus- 
gestaltung der  Beziehungen  zwischen  Kyrene  und  Thessaüen. 
die  Verlegung  des  Löwenkampfes  der  Ortseponyme ,  in  dem  der 
Kampf  der  griechischen  Ansiedler  gegen  die  Löwen  der  libyschen 
Wüste  projiziert  war,  nach  Thessalien  und  die  Umänderung  der 
Stammtafel ,  durch  die  der  thessalisch-keische  Hirtengott  ein  Sohn 
des  Apollon  und  der  Kyrene  wurde,  sollen  das  Werk  des  Dichters 
der   Kyreneehoie    sein,    der    um    die   Wende   des    7./6.    Jhs.    den 


400  Kyreue. 

SagenstofF  in  delphischem  Interesse  umgestaltete.  Auf  dem  Au- 
tenoridenhügel,  unterhalb  des  Hochplateaus  wohnten  die  Pelopon- 
nesier,  die  vom  Tainaron  ausgefahren  waren,  unter  Führern,  die 
sich  von  Euphemos,  einem  von  den  thessalischen  Zuwanderern  mit- 
gebrachten, mit  dem  ebenfalls  thessalischen  Eurypylos  und  mit  Poseidon 
alternierenden  Gott  herleiteten,  nach  Malten  mehrere  Jahrhunderte 
lang,  bis  sich  um  631  theraiische  Dorier,  die  unter  Aristoteles  in- 
folge einer  Hungersnot  auswanderten,  auf  dem  obersten  Rande  des 
Hochplateaus,  und  zwar  auf  der  westlichen  der  dort  erhebenden 
Kuijpen,  niederheßen.  An  ihrem  Fuß  entspringt  eine  Quelle,  von 
den  Libyern  K3Ta  genannt,  nach  der  die  Dorier,  die  sich  bald  zu 
Herren  auch  der  älteren  griechischen  Niederlassung  machten ,  ihre 
Stadt  und  deren  Heroine  Kyrana  nannten.  Anfangs  nannten  sich 
Aristoteles  und  seine  Nachkommen ,  die  sich  mit  Benutzung  des 
einheimischen  Wortes  für  König  von  Battos  herleiteten,  Abkömm- 
linge des  Odysseus ,  bald  aber  knüpften  sie ,  um  ihre  Legitimität 
zu  beglaubigen,  ihren  Stammbaum  an  Euphamos,  ließen  diesen  aber 
nicht  mehr  unmittelbar  von  Tainaron  kommen,  sondern  leiteten  sich 
von  theraiischen  Euphamiden  her,  die  auf  den  Sohn  des  Euphamos 
und  einer  Lemnierin  zurückgehen  sollten.  Diese  Theraier  verehrten 
als  Hauptgott  den  Karneios ,  ihm  bauten  sie  auf  einer  Terrasse, 
die  sie  am  Kyraquell  aufschütteten,  ein  Heiligtum,  und  ihn  machten 
sie  zum  Gemahl  der  Kyrana.  Von  Sparta  ist  diese  theraiische 
Besiedelung  unabhängig,  dies  gewann  erst  im  6.  Jh.  Einfluß  auf 
Thera,  als  die  auch  in  Kyrene  sich  findenden  Aigeiden  nach  der 
Insel  auswanderten.  Malten  glaubt,  die  von  ihm  erschlossenen 
Wanderungen  und  An  Siedlungen  durch  Mischformen  in  der  Mund- 
art von  KjTene  bestätigen  zu  können ;  er  folgt  darin  einer  m.  E. 
irreleitenden  Richtung  der  neueren  griechischen  Dialektforschung, 
die  mit  Benutzung  der  aus  erdichteten  Stammbäumen  erwachsenen, 
historisch  wertlosen  Stammwanderungssagen  eine  Ordnung  in  die 
Mundarten  bringen  will,  die  in  Griechenland  so  wenig  als  sonst 
wo  erwartet  werden  kann ,  weil  alle  dialektischen  Erscheinungen 
aus  sich  überschneidenden  Kreisen  bestehen ;  er  vermehrt  aber  die 
Fehler  dieser  Methode,  indem  er  orthographische  Eigenheiten  gleich 
als  mundartliche  auffaßt ,  und  auch  dadurch,  daß  er  (vgl.  S.  69  f.) 
mit  den  neueren  Ergebnissen  der  griechischen  Etjonologie  nicht 
vollständig  vertraut  ist.  Von  diesem  Teil  seiner  Beweisführung 
kann  also  hier,  entsprechend  dem  Zweck  dieses  Berichtes,  abgesehen 
werden  ,  ohne  daß  damit  das  Gewicht  der  von  ihm  vorgebrachten 
r;ri-,r,riö  vermindert  wird.    Aber  auch  seine  Sagenkritik,  an  die  sich 


Kyrene.  401 

großenteils  A.  Ferrabino,  Atti  Acc.  Torino  XLVII,  1911/2,  505  ff., 
IL,  1913/4,  1063  ff. ,  Kalypso  (Piccola  bibl.  di  scienze  moderne 
no.  234),  Turin  1914,  207  ff. ,  421  ff.  anschließt,  ist  anfechtbar. 
Zwar  ist  die  auch  schon  früher  aufgestellte  Vermutung  nicht  un- 
wahrscheinlich, daß  in  den  kyrenaiischen  Mythen  und  Kulten  echt 
Libysches  mit  den  Bestandteilen  verbunden  sei ,  die  aus  ver- 
schiedenen griechischen  Gemeinden  stammten ;  aber  M  a  1 1  e  n  s  Ab- 
grenzung dieser  Elemente  überzeugt  nicht  immer.  Wenn  erst  die 
Theraier  die  Stadt  nach  dem  Quell  Kyra  benannten,  wie  selbst 
der  gegen  Maltens  mythologische  Kombinationen  sonst  mißtrauische 
Costanzi,  Auson.  VI,  1912,  27  ff.  annimmt,  so  müssen  die  anderen 
griechischen  Heroinen  dieses  Namens  als  nur  zufällig  überein- 
stimmend erklärt  oder  beseitigt  werden,  wie  dies  Malten  wirk- 
lich schon  früher  versucht  hat  und  jetzt  S.  63  durchführen  will, 
indem  er  für  Kyrene  bei  Apollod.  II  96 ,  Tz.  Lj'kophr.  499  und 
Intp.  Serv.  Aeu.  III  552,  wo  M.  Mayer,  Apul.  388  [Cerjcyra 
vermutet  hatte,  Pyrene,  bei  Hyg.  f.  14,  S.  41,  19  B.  aber  auf 
Grund  sehr  verwickelter  Schlußfolgerungen  Corone  einsetzt.  Bei 
dem  Zustand  des  Textes  ist  mit  dem  Zeugnis  Hygins  nichts  an- 
zufangen ,  von  den  übrigen  Änderungen  ist  nur  die  schon  von 
Hoefer  empfohlene  bei  Tzetzes  wahrscheinlich;  sicher  ist  auch 
sie  nicht,  weil  ebenso  wie  aus  der  Kyknossage  auch  aus  dem 
Mythos  von  Diomedes  ein  Name  in  die  verwandte  Lykaongeschichte 
eindringen  konnte ,  so  daß  nicht  ein  Abschreibefehler  vorliegen 
würde,  sondern  eine  vielleicht  alte  Sagenvermischung.  Die  Änderung 
bei  Apollod.,  an  die  ebenfalls  Hoefer  gedacht  hat,  ist  willkürlich; 
weil  Eurip.  !^Ax.  501  ff.  die  Söhne  zusammen  nennt,  brauchen  die 
Mütter  nicht  gleichgesetzt  zu  werden.  Ihrem  Ursprung  nach  haben 
Lykaon  und  Diomedes  nichts  miteinander  zu  tun.  Es  ist  auch 
schwerlich  ein  Zufall,  daß  die  drei  Namen  Euphemos,  Aristaios  und 
Kyrene  der  libyschen  Stadt  mit  der  Küste  von  Abdera  und  Maroneia 
gemeinsam  sind.  Aus  ähnlichem  Grund  ist  auch  die  Änderung  bei 
Intp.  Serv.  Aen.  III  552  unwahrscheinlich.  In  Kroton,  wohin  der 
dort  genannte  Sohn  Kyrenes  Lacinius  gehört,  haben  wir  Aristaios 
als  Personennamen  (lambl.  v.  Pyth.  36  S.  265),  den  sein  Träger 
einem  mythischen  Krotoniaten  zu  Ehre  empfangen  zu  haben  scheint, 
da  in  derselben  Stadt  auch  der  Name  des  mit  dem  Aristaios  eng 
im  Mythos  verbundene  Orpheus  auftritt.  Ein  Zufall  wird  bei  diesem 
gruppenartigen  Zusammenstehen  mythischer  und  epichorischer  Namen 
freilich  nur  dann  ganz  ausgeschlossen ,  wenn  es  geschichtlich  er- 
Märt   werden   kann.     Aber  dies  ist  der  Fall.     Engere  Beziehungen 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  186  (Snpplementband).  26 


402  Kyrene. 

verbinden  Kyrene  mit  Troizen,  wo  Aigeus,  der  gleichnamig  dem  Ahn- 
herrn der  Aigeiden,  ferner  die  mit  Poseidon  gepaarte  Athena,  endlich 
der  nach  luba  FHG  III  472,  23  in  Ijibyen  landende  Diomedes 
zu  Hanse  sind.  Auch  Aristaios  und  Orpheus  gehören  in  diesen 
Kreis :  jener  begegnet  in  Keos ,  dieser  bei  der  kikonischen ,  d.  h. 
vorchiischen  Bevölkerung  von  Maroueia.  Eben  diese  leitete  sich 
aber  über  Keos  von  Troizen  ab;  das  sagt  IL  B  845  f.,  wo  der 
Eakonenkönig  Euphemos  viög  Tgoi^'^voio,  diorgecftog  Ktdöoio  heißt. 
Dadurch  wird  zugleich  ein  Zufall  bei  dem  Zusammentreffen  des 
Aristaios  und  Euphemos  in  Thrakien  fast  ausgeschlossen,  denn 
beide  Namen  haben  einst  in  verdunkelten ,  aber  noch  erkennbaren 
Beziehungen  zu  Orpheus  gestanden,  mit  dem  zusammen  Euphemos 
auch  in  Kyi-ene  und  am  Tainaron  erscheint,  und  in  dessen  Genea- 
logie er  festsitzt.  Auf  dem  Helikon,  dessen  Mythen  überhaupt  den 
troizenischen  nahe  stehen,  begegnet  eine  Musenamme  Eupheme ;  die 
Vermutung  ist  schwer  abzuweisen,  daß  der  auch  auf  dem  boiotischen 
Berg  lokalisierte  Orpheus  einst  durch  den  Hadeseingang  auf  dem 
troizenischen  Markt  in  die  Unterwelt  hinabstieg  und  daß  er  in  den 
Legenden  des  angrenzenden  (Paus.  II  31,  3)  Heiligtums  der  Musai 
'^QÖa?jd€g  vorkam.  Daß  ein  berühmtes  Kikonengeschlecht  sich 
aus  Troizen  ableitete ,  bestätigt  der  Name  des  Kikonenpriesters 
Euanthes  (Od.  t  197),  der  an  die  troizenischen  Antheaden  anknüpft. 
Direkt  oder  mittelbar  stammte  also  aus  Troizen  auch  der  thrakische 
Diomedes.  Durch  troizenische  Ansiedler  sind  alle  diese  Namen  auch 
nach  Sybaris  und,  als  diese  Stadt  zerstört  war,  von  dort  oder  viel- 
leicht auch  gleich  von  Troizen  aus  nach  Kroton  und  Thurioi,  die 
Erben  von  Sybaris'  Kulten  und  Mythen,  gelangt.  In  Kroton  findet 
sich  der  berühmte  Musenkult ,  zu  dem  auch  die  aus  den  krotonia- 
tischen  Orphikem  erschlossene  Sage  von  Orpheus  und  die  nach 
einem  Personennamen  vermutete  von  Aristaios  gehören;  in  Thurioi 
erzählte  man  auch  von  dem  troizenischen  Diomedes.  Wenn  also 
von  dieser  Namengruppe,  die  teilweise  in  verschollenen  Mythen  ver- 
kuppelt gewesen  sein  muß,  erhebliche  Reste  in  Troizen,  auf  Keos, 
in  Thrakien,  am  Helikon,  in  UnteritaUen  und  in  Kyrene  erscheinen, 
so  ist  ein  Spiel  des  Zufalls  so  gut  wie  vöUig  ausgeschlossen ;  und 
es  fragt  sich  nur,  ob  die  Mj'then  und  die  ihnen  zugrunde  liegenden 
Kulte  zusammen  mit  ihren  Trägern  gewandert  oder  unabhängig  von 
Stammwanderungen  und  Kolonialpolitik  sind.  Troizen  muß  im 
8.  Jh.  viele  Pflanzstädte  ausgesendet  haben,  und  für  Keos  sowie 
für  die  thrakischen  und  unteritalischen  Orte,  an  denen  diese  Namen- 
gruppen sich  finden,  darf  unbedenklich  Verbreitung  durch  Ansiede- 


Kyrene.  403 

lungen  angenommen  werden.  Schwieriger  ist  das  Urteil  über  die 
Orte  des  Mutterlandes,  an  denen  sich  Reste  dieser  Komplexe  finden. 
Ihre  Zahl  vergrößert  sich ,  wenn  auch  solche  Stätten  in  Betracht 
gezogen  werden,  welche  in  Kyrene  nicht  bezeugte  Namen  mit  Troizen 
gemeinsam  haben,  z.  B.  Anthedon:  die  Möglichkeit,  daß  die  mit 
Troizen  sich  im  Kult  und  Mythos  eng  berühi-enden  Heiligtümer  des 
Mutterlandes  nach  troizenischem  Vorbild  -eingerichtet  und  daß  die 
Legenden  dieses  auf  die  Nachahmungen  übergegangen  sind ,  ist 
nicht  ganz  auszuschließen ;  aber  ungleich  wahrscheinlicher  ist  doch, 
daß  die  Troizenier  sich  auf  ihren  Kolonialfahrten  so  wichtiger 
Küstenpunkte  wie  Anthedons  und  Tainarons,  dessen  Eponj'm 
Bruder  des  Kalabros,  d.  h.  des  Kalauros,  des  Eponymen  der  troi- 
zenischen  Insel  Kalaureia,  heißt  (Steph.  Byz.  Taivaqoq  598,  7),  be- 
mächtigten und  daß  ihre  Ansiedler  wie  von  Keos  aus  nach  Thrakien, 
so  von  Anthedon  aus  auch  in  das  boiotische  Binnenland  vordrangen 
und  von  Tainaron  aus  Kyi'ene  besetzten.  Dann  hatte  der  Spartiaten- 
adel  Grund  und  Recht,  als  er  die  letzten  Reste  der  troizenischen 
Ansiedlung  am  Tainaron  beseitigte ,  auch  deren  Kolonie  sich  an- 
zueignen. Wahrscheinlich  geschah  dies  am  Anfang  des  6.  Jhs., 
und  zwar  wird  sich  Sparta  auf  seine  etwas  ältere  theraiische  Pflanz- 
stadt gestützt  haben;  daß  schon  vor  der  spartanischen  Ansiedlung 
auf  Thera  von  dort  Kolonisten  nach  Libyen  gegangen  seien,  ist 
wenig  wahrscheinlich,  das  Gründungsjahr  631  ist  geschichtlich  wert- 
los. Früh  scheint  die  spartanisch- theraiische  Kolonie  Beziehungen 
zu  Delphoi  gehabt  zu  haben,  das  vielleicht  wirklich,  wie  Herod. 
IV  150  sagt,  die  Gründung  von  Kyrene  angeregt  hat;  so  kam  die 
libysche  Kolonie  auch  in  Beziehung  zu  den  an  Delphoi  sich  an- 
lehnenden thessalischen  Fürstentümern.  Wahrscheinlich  damals 
wurde  mit  Benutzung  vorhandener  Sagen  Kyrene  auch  mythisch 
mit  Thessalien  verbunden,  wo  von  Aristaios  schon  vorher  erzählt 
I  war.  Daß  Kyrenes  Herkunft  aus  Thessalien  erst  in  der  Ehoie  aus- 
1  gestaltet  wurde ,  vermutet  Malten  wahrscheinlich  mit  Recht ,  auch 
gehört  diese  wohl  wirklich  dem  delphischen  Kreise  an,  aber  von 
einer  delphischen  Religion  sollte  dabei  nicht  gesprochen  werden, 
noch  weniger  von  einem  Bestreben  dieser  Religion,  den  Polytheismus 
einzuschränken.  —  Den  Korobios  der  kyrenaiischen  Gründungssage 
hält  A.  I  Reinach  Rev.  hist.  rel.  LX,  1909^,  176  zweifelnd  für 
eine  Bezeichnung  des  Seegottes  von  Itanos;  er  vergleicht  die 
Namen  von  Korope  in  Thessalien,  vom  argivischen  Koroibos  und 
von  Apollon  Koqvdog. 

26* 


404  Afrika.    Tunis. 

Das  nordwestliche  Afrika. 

Zu    den    bereits    bestehenden    Sammelstätten    füi'   die   Berichte 
über  Entdeckungen    auf  dem  Gebiet    des    französischen  Nordafrika     j 
kommen  jetzt  die  Notes  et  documents  publies  par  la  Direction  des    < 
antiquites    et   arts    de    Tunis.     Das    erste    Heft,    A.    Merlin,    Le    ' 
temple  d'Apollon  ii  Bulla  Regia,    enthält  die  ausführliche  Beschrei- 
bung der  Funde,  über  die  derselbe  Gelehrte  bereits  in  den  Comptes 
rendus    AIBL ,    1906,    547  ff.    berichtet   hatte.     Aus    dem    Beiwort 
deus  patrius,  das  Apollon  in  der  am  Eingänge  der  Gella  gefundenen 
Weihinschrift   führt,    schließt   der  Direktor    der  tunesischen  Alter- 
tümer,  daß  der  Apollon  Kid^agcijödg,    dessen  Züge  das  Tempelbild 
trägt,  an  die  Stelle  des  Ba'al  getreten  sei,  der  sonst  als  Saturnus 
wiedergegeben  wird,  und  daß  unter  den  neben  ihm  in  der  Inschrift 
genannten    dei   Augusti    Ceres-Tanit   und    Aesculapius-Esmun   ver- 
standen werden  müssen,  deren  Statuen  im  Heiligtum  gefunden  sind, 
daß    also    der    Tempel    ursprünglich    der   punischen    Götterdreiheit 
geweiht   war.     Ein  Standbild    zeigt    die  Göttin  in  der  Haltung  und 
mit  den  Attributen  verschiedener  Gottheiten ;  sie  ist  im  Typus  der     j 
Parthenos   dargestellt,    trägt   aber   ein   Füllhorn   wie    sonst   Tyohe    | 
und    Flügel    wie    Nike.     Ebenso    erscheint   Ba'al    im    Typus    ver- 
schiedener    griechisch  -  römischer     Gottheiten ;     ein     Schleier     am 
Hinterhaupt    bezeichnet    ihn    als    Saturn,    ein   Füllhorn    als    Bonus 
Eventus,    er   trägt    eine  Mauerkrone.  —  Von  den  weiteren  Heften 
der  Notes    et  documents ,    von  denen  ich  aber  nicht  alle  habe  ein- 
sehen  können,    ist   für   die  Religionsgeschichte  wichtig  das  vierte,   i 
in  dem  Merlin ,    Le  sanctuaire  de  Ba'al  et  de  Tanit  pres  de  Siagu 
(Paris    1910)    beschreibt.      Der    Ort   liegt    etwa   60  Kilometer   von 
Tunis.    Das  Heiligtum  wurde  etwa  im  Beginn  unserer  Zeitrechnung 
erbaut.    Gefunden  ^vurden  zahlreiche  Statuen  und  Statuetten,  auch 
lateinische    und    punische    Inschriften ,    unter    den    letzteren    eine 
längere    Konsekrationsinschrift.      Es    handelt    sich     bei   Siagu    um 
einen    Lokalkult ;     die     Weihgeschenke ,     meist     von     Terrakotta,  . 
rühren      von      kleinen      Leuten      her,      aber     sie     sind     lehrreich 
weil  sie   in  ihrer  Gesamtheit  deutlicher  als  die  der  großen  Tempel :  * 
die    karthagische    Kultur,    wie    sie    sich   in    5./4.    Jh.    v.  Chr.    aus  ■ 
sjTisch-phoinikischen,    ägyptischen  und  griechischen  Elementen  ge-  \ 
bildet  hatte,  zeigen  und  die  verschiedenen  übereinander  gelagerten   , 
Kulturschichten  unterscheiden  lassen.    Die  wichtigsten  Göttertypen  j 
sind  (S.  51  f.)  von  Künstlern,    die    in  Karthago    lebten,  im  5.  und  j 
4.  Jh.    für   die    einheimischen    Götter   nach   ausländischen  Mustern  ) 


Tunis.  405 

geschaffen  worden.  Der  Gott  heißt  in  einei*  Inschrift  (S.  22)  bloß 
Ba'al,  nicht,  wie  gewöhnlich  Ba'al  Hamman,  die  Göttin  Tanit  brs—'iE- 
Über  die  andern  hier  verehrten  Gottheiten  s.  S.  35  ff-,  wo  aber 
das  Bestreben,  alle  mit  Weihgaben  bedachten  Gottheiten  auf  Ba'al 
und  .Tanit  zurückzuführen ,  m.  E.  übertrieben  wird.  —  Die  sehr 
zahlreichen  in  anderen  periodischen  Veröffentlichungen  erschienenen 
Untersuchungen  über  afrikanische  Lokalkulte  können  hier  nicht 
einzeln  aufgeführt  werden ,  da  dieser  Jahresbericht  ohnehin  schon 
so  umfangreich  ausfällt.  Im  allgemeinen  legen  die  französischen 
Forscher  besonders  darauf  Wert ,  das  Verhältnis  zwischen  den 
einheimischen  und  den  griechisch-römischen  Namen  der  afrikanischen 
Gottheiten  festzustellen  und,  wo  jene  nicht  bekannt  sind,  sie  aus  diesen 
zu  erschließen,  um  so  ein  Bild  von  der  vorrömischen  Kultur  des  Landes 
zu  gewinnen.  So  bemüht  sich  Toutain  in  seinem  Werke  Les 
cultes  paiens  dans  l'empire  romain,  I.  Les  provinces  latines,  1.  Les 
cultes  officiels,  Les  cultes  romains  et  grecoromains ,  Paris  1907, 
nachzuweisen ,  daß  Venus,  Aesculapius,  Cereres  und  Hercules  in 
Afrika  meist  karthagischen  Ursprungs  sind.  Ganz  im  allgemeinen 
wird  dies  richtig  sein ,  wie  es  ja  schon  vorher  auch  in 
Deutschland,  z.  B.  von  Richter,  De  deorum  barbarorum  inter- 
pretatione  Romana,  Hall.  Diss.  1906  ausgesprochen  war;  zu  einer 
Nachprüfung  der  Einzelergebnisse  würde  eine  vollständige  Kenntnis 
der  Einzelfunde  gehören.  Allein  auch  ohne  diese  läßt  sich  nach 
dem,  was  über  die  Romanisierung  der  Religion  in  anderen  Provinzen 
bekannt  ist ,  die  Frage  aufwerfen ,  ob  nicht  die  vorrömischen  Be- 
standteile der  neuen  Kulte  überschätzt  sind.  Selbst  im  Orient  sind 
die  griechischen  Kulte  nur  mit  wenigen  einheimischen  so  ver- 
schmolzen, daß  deren  ursprüngliches  Wesen  noch  erkennbar  ist; 
wie  wenig  würden  wir  vollends  von  der  ursprünglichen  römischen 
Religion  wissen  ohne  die  Tätigkeit  der  römischen  Altertumsforscher! 
In  den  Westprovinzen  des  Römischen  Reiches ,  wo  eine  starke 
nationale  Kultur,  von  einer  fast  allgewaltigen  politischen  Macht 
unterstützt,  den  einheimischen  Gottesdiensten  gegenübertrat,  war 
das  Schicksal  dieser,  sobald  einmal  ein  Ausgleich  erstrebt  wurde, 
besiegelt.  Mit  dem  Namen  Saturnus  und  Pluto  erhielten  die 
barbarischen  Götter  zugleich  viel  von  dem  Wesen  dieser  gi'iechisch- 
römischen  Gottheiten  5  und  selbst  in  den  kleinen  Gemeinden ,  wo 
nicht  gleich  eine  starke  römische  Ansiedlung  sich  festsetzte ,  wo 
also  die  Aussichten  für  die  Erhaltung  des  ursprünglichen  Kultus- 
charakters günstiger  waren,  liegen  die  Verhältnisse  verwickelter, 
als  man  annehmen  könnte.     Das  zeigen  z.  B.  die  Ausgrabungen  iu 


406  Tunis.  —  Westgriechenland. 

Thuburnica,  über  die  Cartou  in  den  Comptes  read.  AIBL,  1907, 
380  berichtet.  Hier  müssen  verhiiltuismäßig  viel  Griechen  gelebt 
haben,  die  z.  B.  auch  den  Priaposdienst  eingeführt  haben  werden.  — 
Über  die  äg}'ptischen  Dienste  in  Nordwestafrika  spricht  S t.  Gsell 
auf  dem  Archäologeukougreß  in  Cairo,  Rev.  hist.  rel.  LIX,  1909*, 
149  ff.  Vielleicht  schon  im  2.  Jahrtausend  soll  Ammon  in  echt 
äg}'ptis^rer  Foi'm.  d.  h.  als  Widder,  gekrönt  von  dem  von  zwei  Uräus- 
schlaugen  umgebenen  Sounendiscus  nach  Numidien  gebracht  sein, 
sich  aber  früh,  nach  Unterbindung  des  Zusammenhangs  mit  Ägypten 
in  den  punischen  Ba'al  Hamman  verwandelt  haben  und  später  dem 
Saturn  angeglichen  sein.  Die  ägyptischen  Götter  des  Hellenismus, 
Sai-apis  und  sein  Kreis,  haben  nach  Gsell  in  Nordwestafrika  weder 
einen  namhaften  noch  einen  eigenartigen  Kult  genossen. 

Der  Nordwesten  der  fialkanhalbiusel. 

Während  es  W.  Hohmann,  Atolicn  und  die  Ätoler  bis 
zum  Lamischen  Ki*iege,  Hall.  Diss.  1908  ablehnt,  die  mythische 
Geschichte  des  Landes  in  Betracht  zu  ziehen,  da  die  Angaben  der 
Alten  lediglich  aus  Mythen  erschlossen  seien,  diese  aber,  wie  der 
Verfasser  offenbar  meint  und  z.  B.  von  den  Kureten  ausdrücklich 
ausspricht,  freie  Erfindungen  der  Dichter  seien  und  auch  uns  Schlüsse 
nicht  gestatten,  beschäftigt  sich  E-eitz,  De  Aetolorum  et  Acar- 
nanum  sacris,  Hall.  Diss.  1911  ausführlich  auch  mit  den  Mythen 
der  von  ihm  behandelten  beiden  Länder.  Er  hält  die  Kureten, 
deren  Streit  mit  den  Aitolem  er  für  älter  als  das  Meleagroslied 
der  IHas  und  erst  nachträglich  mit  der  Sage  vom  Kalydonischen 
Eber  verknüpft  betrachtet  (14),  für  ein  kretisches  Volk,  das,  wie 
Archemachos  angibt,  erst  nach  Euboia,  dann  nach  Aitolien  gezogen 
eei  und  in  Olenos  den  Kult  des  kretischen  Zeus  eingerichtet  habe. 
Die  Übereinstimmung  der  aitolischen  Kulte  und  Mythen  mit  elischen 
werden,  wie  dies  üblich  ist,  aus  Wanderungen  der  Aitoler  nach 
der  Peloponnes  erklärt.  Die  Aufzählung  der  einzelnen  Gottesdienste 
AitoHens  und  Akarnaniens ,  über  dessen  mythische  Vorgeschichte 
der  Verfasser  keine  eigenen  Vermutungen  äußert,  erfolgt  in  der- 
selben Anordnung  wie  bei  den  übrigen  aus  der  Hallenser  Schule 
hervorgegangenen  Arbeiten  über  die  Kulte  einzelner  griechischer 
Landschaften.  Die  Götter  und  Heroen  bilden  das  obere,  die  Kult- 
stätten das  untere  Einteilungsprinzip.  Wenn  das  Verzeichnis  etwas 
dürftig  ausgefallen  ist ,  so  liegt  das  in  der  Hauptsache  daran,  daß 
für   beide  Landschaften   nur  spärliche  Zeugnisse  vorliegen-,    daraus 


Westgriechenland.  407 

erklärt  sich  auch  die  verbreitete  Ansicht,  daß  die  Bevölkerung 
Jbeider  Landschaften  vor  der  Gründung  der  korinthischen  Pflanz- 
städte,  deren  Einfluß  auf  die  Küste  beschränkt  wird,  vor  der  helle- 
nistischen Zeit  halbe  Barbaren  gewesen  seien.  Bei  dieser  An- 
schauung bleibt  die  Bedeutung  unerklärt,  die  Aitolien  und  Akar- 
nanien  nicht  nur  in  jungen  Sagen,  in  die  sie,  wie  Vollgraff, 
Nikander  und  Ovid,  Groningen  1909  meint,  Nikanders  ^IxioXi/.d 
oder  andere  hellenistische  Dichtungen  eingeführt  haben  könnten, 
sondern  auch  in  unzweifelhaft  alten  Teilen  der  griechischen  Helden- 
sage, insbesondere  in  den  Mythen  des  Tydeus-  und  Meleagroskreises 
haben.  Mehrere  dieser  Sagenzüge  sind  diesen  westgriechischen  Land- 
schaften mit  Argos  gemeinsam,  von  wo  wahrscheinlich  auch  Odysseus, 
der  Eponym  der  argivischen  Ollisseidai  nach  Ithaka  kam  und  Da- 
masippos  der  Eponym  der  cpdiQa  der  Dmahippides  Penelopes  Bruder 
wurde.  (Vollgraff,  Bull.  corr.  heU.  XXXIII,  1909,  193).  Einen 
Hinweis  auf  das  Alter  dieser  Sagenübertragungen  und  Verknüpfungen 
bietet  der  Name  Pheidon,  den  in  dem  neu  gefundenen  Bruchstück 
eines  hellenistischen  Epos  (Berl.  Klass.  Texte  V,  I,  69  v.  20)  der 
ätolische  Verwalter  auf  dem  Landgut  des  Diomedes  führt.  Er 
heLßt  ^^Q/,eaidrjg,  sein  Vater  also  ähnlich  wie  der  Großvater  des 
Odysseus,  und  gewiß  hat  der  Dichter  beide  Bezeichnungen  der  von 
ihm  vielleicht  frei  erfundenen  Person  deshalb  beigelegt,  weil  sie  in 
älteren  aitolischen  Sagen  vorkamen,  wie  dies  von  einem  Namen 
aus  dem  Stammbaum  des  Odj^sseus  auch  nicht  wundernehmen 
kann.  Selbst  wer  in  dem  Thesproterkönig  Pheidon  (Od.  ^  316", 
T  287)  nicht  gleich  eine  Erinnerung  an  den  argivischen  TjTannen 
sehen  mag,  wird  zugeben,  daß  diese  Namen  derselben  Kultur  ent- 
stammen, in  der  dieser  seinen  Namen  empfing,  daß  also  um  die 
Wende  des  8./7.  Jhs.  Argiver  in  Aitolien,  Akarnanien,  Südepeiros 
und  den  vorgelagerten  Inseln  saßen,  das  amphilochische  Argos 
gründeten,  Herakles'  Vater  gegen  die  Taphier  ziehen  ließen  und, 
entweder  um  die  Rechtmäßigkeit  ihres  Besitzes  zu  erweisen, 
mythische  argivische  Fürsten  wie  Diomedes  und  Odj-sseus  und  den 
Großvater  ilu-er  Helena  aus  dem  nordwestlichen  Griechenland  her- 
leiteten oder  dort  vorgefundene  Gestalten  in  die  argivische  Sage 
verflochten.  Denn  schon  vor  der  argivischen  Kolonisation  scheinen 
mittelgriechische  Ansiedler,  Boioter,  Phoker,  Euboier  in  jenen  West- 
ländern eine  Kultur  mit  ausgebildeten  Sagen  geschaffen  zu  haben; 
so  stammen  z.  B.  die  aitolisch-akarnanischen  Kureten  wahrscheinlich 
aus  Chalkis  und  sind  in  den  argivischen  Stammbaum  des  Phoroneus 
erst  nachträglich   aufgenommen;    auch   Odysseus   kann   Ahn   eines 


408  Epeiros. 

Stamines  oder  Geschlechtes  in  Argos  geworden  sein,  weil  ihn  die 
Argiver  auf  der  von  ihnen  beherrschten  Insel  vorgefunden  hatten. 
Jedenfalls  haben  Aitolien  und  Akarnanien  schon  im  ältesten 
griechischen  Mythos  eine  bedeutende  Rolle  gespielt,  und  wir 
kommen  um  die  Annahme  nicht  herum,  daß  den  Zeiten  verhältnis- 
mäßiger Barbarei  in  diesen  Gegenden  eine  Periode  hoher  griechischer 
Kultur  vorausgegangen  ist. 

Über  Sagen  von  Epeiros  handelt  Martin  P.  Nilßon, 
Studien  z.  Gesch.  des  alten  Epeiros  (Acta  Universitatis  Lund.  VI, 
I,  1910,  S.  17  ff.)-  i^icks  Vermutung,  daß  Pielos  der  Eponym  von 
Pieleia  sei,  und  Müllers  Kombination,  daß  die  Herakleidin  Leonassa 
in  den  epeirotischen  Stammbaum  wegen  Pyrrhos'  Gemahlin  Lanassa 
eingeführt  wurde ,  werden  m.  R.  gebilligt ;  man  muß  dann  freilich 
wohl  annehmen,  was  aber  bei  dem  Tyrannen  von  Syrakus  nicht 
schwer  fällt,  daß  Lanassas  Vater,  der  Plebejer  Agathokles,  sich 
einen  Stammbaum  hatte  machen  lassen,  in  dem  er  von  Herakles 
abgeleitet  wurde.  Bedenklicher  ist  es ,  wenn  Nilßon  aus  der  Ein- 
führung des  Pielos  in  den  Stammbaum  der  Molosserkönige  (lustin 
XVII,  3,  f  Piales;  vgl.  Paus.  I,  11,  1)  folgert,  daß  die  Aiakidensage 
das  Peneiostal  hinauf  nach  Epeiros  wanderte ;  es  handelt  sich  doch 
nicht  um  alte  Volkssage ,  sondern  um  einen  künstlichen ,  freilich 
früh  entstandenen  Stammbaum.  Nicht  m.  B.  wird  ferner  von 
Nilßon  die  Genealogie ,  die  Eurytos ,  den  Eponym  der  Eurytanes, 
und  Ambrakia  zu  Kindern  des  Melaneus  machte ,  aus  der  Zu- 
gehörigkeit Ambrakias  zum  aitolischen  Bund  erklärt;  diese  Stamm- 
tafel konnte  jederzeit  entstehen,  wenn  sich  sowohl  die  epeirotischen 
Dryoper  (GGM  I,  229  v.  30 ;  Plin  n.  h.  IV,  2)  als  auch  die  Eury- 
tanen  von  den  Dryopern  am  Oeta  und  dem  dortigen  Oichalia  ab- 
leiteten, denn  dessen  König  Eurytos,  Sohn  des  Melaneus,  war  durch 
die  Sage  gegeben.  Daß  die  offizielle  Genealogie  des  molossischen 
Königshauses  auf  P}T-rhos'  Hofhistoriographen  zurückgeht,  hat  nach 
Lenschau,  Berl.  Phil.  Wochenschr.  XXXII,  1912,  341  Nilßon 
erwiesen;  mir  scheinen  mindestens  die  Anfänge  dieses  Stammbaumes, 
die  Gleichsetzung  des  Neoptolemos  mit  Piales  oder  Pielos  und  die 
nach  Nilßon  GGA  1912,  383  jüngere  des  Achilleus  mit  Aspetos, 
bis  in  das  5.  Jh.  hinaufgerückt  werden  zu  müssen.  —  Während 
Nilßon,  dem  sich  Lenschau  a.  a.  0.  anschließt,  die  Epeiroten  für 
ein  ungriechisches,  wenn  auch  mit  Griechen  vermischtes  Volk  hält, 
will  Costanzi,  Atti  acc.  Tor.  XLVII,  1911/12,  969  ff.  sie  aus 
den  Heroennamen  Kadmos ,  Gropos ,  Aspetos  und  Pyrrhos ,  von 
denen  aber  der  erste  und  vierte  gewiß  erst  von  Griechen  eingeführt, 


Epeiros.    Malta.     Sardinien.     Sizilien.  409 

die  beiden  mittleren  wahrscheinlich  nicht  griechischen  Ursprungs 
sind,  und  aus  dem  Namen  JEirtatvQog^  den  nach  Hesych.  ein  Gott 
bei  den  Tjmiphaiern  führte,  der  m.  E.  aus  dem  Griechischen  (vgl. 
Zeus  narr^Q)  entlehnt  oder  übersetzt  ist,  erweisen.  —  C.  K 1  o  t  z  s  c  h ; 
Epeirotische  Geschichte  bis  zum  J.  280  v.  Chr.,  Berlin  1911  handelt 
nur  wenig  über  die  Sageugeschichte.  —  Über  die  Spekulationen, 
die  L.  Colane-elo  in  seinem  Aufsatz  Oracolo  di  Dodona  Riv. 
stör.  ant.  XI,  1906,  491  ff.  über  pelasgische  und  indogermanische 
Arten  der  Weissagung  anstellt,  ist  bereits  o.  {18)  berichtet. 

Über  eine  figürliche  Darstellung  der  illyrisch  -  thrakischen 
Götterdreiheit  (Silvanus,  Diana,  Apollo?)  s.  Reeb,  Festschr.  zur 
Feier  des  50jähr.  Bestehens  des  Eöm.-German.  Zentralmuseums 
zu  Mainz  1907. 

Italische  Inseln. 

A.  Mayer  faßt  seine  langjährigen  von  Oberhummer  angeregten 
und  von  der  Bayrischen  Akademie  der  Wissenschaften  unterstützten 
Untersuchungen  über  Malta  zusammen  in  dem  Buch  „Die  Insel 
Malta  im  Altertum",  München  1909,  in  dem  er  S.  120  ff.  die  Kulte 
bespricht. 

Auf  S ar  dinie n  sind  nach  P  a  i  s  ,  ßendicont.  RAL  Vxviii^ 
1909,  13  ff.  die  lolaier  und  liier  Vertreter  desselben  libyschen 
Namens;  für  einen  altafrikanischen,  „sei  es  punischen,  sei  es, 
was  näher  liegt,  libyschen  Namen"  hält  v.  Baudissin, 
Adon.  und  Esmun  S.  290  b-^,  bx"',  by,  d.  i.  lolaos.  Unabhängig 
von  der  Frage  nach  der  Herkunft  des  barbarischen  Gottes  ist 
natürlich  die  nach  seiner  Ausgleichung  mit  dem  griechischen  Heros, 
dem  Neffen  des  Herakles;  wahrscheinlich  steht  die  Sage  von  seiner 
und  der  Thespiaden  Ankunft  in  Beziehung  zu  Perikles'  Plänen  im 
tyrrhenischen  Meer  (Berl.  Phil.  Wochenschr.  XXXI,  1911,  999  ff.).  — 
Viel  hat  sich  in  der  Berichtsperiode  Pettazzoni  mit  den  Sagen 
und  Gottesdiensten  von  Sardinien  beschäftigt.  In  einem  Aufsatz 
Rendicont.  RAL  Vxix,  1910,  88  ff. ,  217  ff.  spricht  er  über  den 
dortigen  Totenkult ,  über  Inkubation  und  Götterbilder.  Vgl.  La 
religione  primitiva  in  Sardegna,  Piacenza  1912.  Nachträge  dazu 
bietet  ein  Vortrag  auf  dem  vierten  religionsgeschichtlichen  Kongreß  zu 
London  1913;  vgl.  I  Primordi  della  Religione  in  Sardegna,  Arch. 
f.  Religionsw.  XVI,  1913,  321  ff.,  wo  u.  a.  über  neue  Funde  bei 
Tonara  in  der  Mitte  der  Insel  berichtet  wird. 

Sizilien.  Ciaceri,  Culti  e  miti  nella  storia  deU'  antica 
Sicilia,  Biblioteca  di  filologia  classica  II,    Catania  1911  gibt  nicht, 


410  Sizilien. 

wie  der  Titel  verspricht,  eine  Übersicht  über  die  für  die  Geschichte 
wichtigen  sizilischen  Kulte,  wozu  er  als  Kenner  seiner  Heimatinsel 
wohl     berufen    gewesen    wäre ,    sondern   Ansichten   über   Herkunft, 
Geschichte  und  Bedeutung  vieler  von  ihnen  und  auch  solcher,   die 
für   die  Geschichte    der  Insel    keine  Bedeutung   haben.     Im  ersten 
Kapitel  werden  die  Kulte  der  sikanischen,  sikelischen  und  elymischen 
Bevölkerung,  die  er,  vielleicht  m.  R.  für  gleichartig  hält,    mit  dem 
Ergebuis  dargestellt,   daß  ein  verhältnismäßig  großer,    m.  E.  etwas 
zu    großer    Teil   der   späteren    Gottesdienste    der   Insel   aus    dieser 
Quelle    hergeleitet    wird.      Im    zweiten    Kapitel    bestreitet    Ciaceri, 
was  A.  J.    Reinach,    Rev,  hist.   rel.  LXIV,  1911 2,    360    als  ein 
sehr  wichtiges  Ergebnis  bezeichnet,  mit  Pais,  den  einst  von  Movers 
und  Holm  behaupteten  Einfluß  der  Phoiniker  auf  die  Mythen  und  Kulte 
Siziliens,  und  auch  (107  ff.)  den  des  minoischen  Kreta,  den  Bethe, 
Rh.    Mus.    LXV,    1910,    208    erweisen    w^ollte.      Ausführlicher   be- 
gründet Ciaceri  seine  Bedenken  gegen  diese  Ansicht  Studi  storici 
per   l'antichitä    class.  V,    1912,    177;    und   zwar   gewiß  mit  Recht, 
soweit    der    kretische   Einfluß    auf    Sizilien    aus    den    Sagen    von 
Daidalos    und    Ikaros    gefolgert    wird ,    denn    diese    Sagen    reichen 
weder  in   so    alte  Zeit   hinauf,    noch   sind  sie  überhaupt  in  Sizilien 
entstanden.      Im    dritten    Kapitel    seiner    Culti    e    miti    behandelt 
Ciaceri  die  großen  griechischen,  d.h.  die  zwölf  von  Ennius  zusammen- 
gefaßten, im  vierten  die  kleinen  Gottheiten,  auch  Dionysos,  Askle- 
pios  sowie  nichtgriechische  wie  lanus,  die  syrische  Göttin,  Isis  usw., 
im   fünften   die  Heroen   und    sonstige   Gestalten    des    Mythos.     Im 
ganzen   folgt   der  Vf.  guten   Führern,    und  seine  Urteile  entfernen 
sich  nicht  oft  weit  von  dem,  was  auch  in  guten  Büchern  zu  lesen 
ist;  aber  seine  Quellenangaben  sind  zu  wenig  zuverlässig,    und  die 
bisweilen    nötige    Verweisung    auf   Verhältnisse    des    griechischen 
Mutterlandes    zeigt   zu   große   Lücken   in    der   Kenntnis    der   alten 
Geschichte,    als    daß   das  Buch  wie  andere  Monographien  über  die 
Kulte    einzelner   Landschaften    als    Vorarbeit    und    Entlastung    für 
eine  Geschichte  der  griechischen  Religion  empfohlen  werden  könnte. 
Um  diesem  Zwecke  zu  dienen,  müssen  derartige  Arbeiten  das  vor- 
handene   Material ,    was    der  Verfasser   nicht    einmal    erstrebt   hat, 
soweit   erreichbar,    vollständig   aufarbeiten.      Vgl,  über  die  Mängel 
der  Schrift  Berl.  Phü.  Wschr.  XXXII,    1912,    879  ff.  —  Von   den 
einzelnen    Gemeinden    ist    in    Akragas    der    Tempel    der   Demeter 
und   Köre    durch   zahlreiche    Terrakotten  jetzt   an   der   Stelle    der 
Kirche    S.    Biagio    festgestellt ,    wo    ihn    schon  Schubring   vermutet 
hatte;  siehe  Rizzo,  Österr.  Jahresh.  XIII,  1910,  64  ff.  —  Die  Lage 


Sizilien.  411 

von  Enna  beschi-eibt  0.  Roßbach  in  einem  Vortrag,  der  u.  d.  T. 
„Castrogiovanni,    das    alte    Henna    in    Sizilien    nebst    einer   Unter- 
suchung über  griechische  und  italische  Todes-  und  FrtlhUngsgötter 
und  neun  Abbildungen",  Leipz.-Berl.   1912  unter  Hinzufügung  zahl- 
reicher Anmerkungen  herausgegeben  ist.  —  Ferrabino,  Kalypso 
378  ff.    erkennt   in   der   Demetersage    von  Enna   einen  ursprünglich 
sikelischen  Kern,    welcher   der  griechischen  Sage  sehr  ähnlich  war 
und  (S.  385)    von    der  Ackergöttin ,    ihrer  Tochter  und  deren  Ent- 
führung  durch    den    Unterweltsgott    erzählte.      Irgendeinen   Anhalt 
für  die  Wahl  Ennas  als  Kultstätte  Demeters  werden  die  Griechen 
in    einem    einheimischen    Gottesdienst    schon    gehabt    haben;    aber 
der    spätere    Legendenschatz    des    Ortes    und    die    dazu    gehörigen 
Riten    sind    wahrscheinlich    nach    dem    nicht   geheimen    und    des- 
halb    übertragbaren     Teil     der     eleusinischen     Sagen     und     Kulte 
entstanden,    und    zwar   vermutlich  unter  Gelon,    nach  dessen  Plan 
Enna   für    seine  Residenz  Syrakus ,    wie   es   scheint,    eine  ähnliche 
Bedeutung    haben    sollte    wie    Eleusis    für   Athen.  —  Die  Berichte 
über  die  Ausgrabungen  Orsis  in  Geld  1900 — 1905  füllen  den  Band 
XVII  der  Monumenti  antichi  RAL,  1906;  vgl.  Pareti,  Studi  sie. 
ed  ital.  (Contrib.  alla  scienza  delF  ant.  I,  1914)  S.  199  ff.,  wo  211 
über  den  Athenakult  gesprochen  wird.    Über  die  Städte  des  Namens 
Hifhla  vgl.  Ciaceri,   Studi    storici  per  Tantichitä  class.  II,  1909, 
163  ff. ;  vgl.  Culti  e  miti  S.  15  ff.  (beide  Ai'beiten  sind  von  Ziegler 
Real-Enzykl.  IX.  25  ff.  nicht  benutzt).    Ciaceri  stellt  mit  Schubring 
bei  Steph.  Byz." Yßlai  644  25  MeyaQeXg  hinter '^YßlaloL  und  gewinnt 
so  drei  Städte    1)  Megara  Hyblaia,    2)  Hybla  am  Aetna,    3)  Hybla 
Heraia.    Zuerst  soll  das  Städtchen  am  Aetna  diesen  Namen  geführt 
haben ,    und   zwar   nach    einer   Göttin ,    die ,    wie    aus    einer  in  der 
Gegend   gefundenen  Weihinschrift  an  Venus  Victrix  Hyblensis  ge- 
folgert wird,  Fruchtbarkeit  verleihen  soUte;  von  den  yaQa,  d.  h.  den 
avÖQEia    '/.dl    yvvaiy.ela    /.lögLa    soll    die    Stadt    auch    den    Namen 
Gereatis  (Paus.  V  23,  6)  geführt  haben,  der  später,  als  Gelon  hier 
Megarer  ansiedelte,  zunächst  in  Geleatis  (Thuk.  VI  62,  5)  und  dann, 
als    die  Hyblaier   von  Gelon  in  das  von  ihm  zerstörte  Megara  ver- 
pflanzt wurden,  und  die  hyblaüschen  Megarer  sich  den  megarischen 
Galeotai  gleichsetzten,    Galeotis  umgenannt  wurde.     Diese  Galeotai 
soUen   mit   den   „Schwertfischen"   (yalecoTaL)    von    Zankle-Messana 
verwechselt  und  deshalb  selbst  für  Zanklaier  gehalten  worden  sein. 
Gegen  den  megarischen  Ursprung  der  Megarer,  dem  Ciaceri  selbst 
die  Grundlage  durch  die  Umstellung  von  MeyaQSig  bei  Steph.  Bjz. 
entzogen    hat,    vgl.    Pareti    a.  a.  0.  333  f.,  337  ff.;    s.  auch  Berl. 


412  Sizilien  und  ünteritalien, 

PhU.  Wschr.  XXXII,  1912.  884  ff.  —  Über  Selinus  vgl.  Jean 
Hulot,  La  ville,  TAcropole  et  les  Temples  releves  et  restaures, 
texte  par  G.  Fougeres,  Paris  1910;  L.  Pareti,  Studi  sie.  ed  ital., 
Contrib.  alla  scienza  dell'  ant.  I,  1914,  227  ff.  spricht  ttber  die 
Herkunft  der  selinuntiscben  Kulte,  die  er,  nicht  immer  mit  über- 
zeugenden Gründen ,  oft  auch  dann  aus  Megara  ableitet ,  wenn  es 
sich  um  weit  verbreitete  Vorstellungen  handelt ,  die  nicht  aus  der 
Mutterstadt  mitgebracht  zu  sein  brauchen. 

Unteritalien. 

Für  Untersuchungen  über  die  Altertümer,  auch  über  die  antike 
Rehgionsgeschichte  Unteritaliens,  ist  eine  neue  wichtige  Sammel- 
stelle in  der  Zeitschrift  Neapolis,  Rivista  di  archeologia  e  scienze 
affini  per  l'Italia  meridionale  e  la  Sicilia  geschaffen  worden,  die 
seit  1913  erscheint.  — Byvanck,  De  Magnae  Graeciae  historia 
antiquissima ,  Leiden  1912  behandelt  namentlich  die  Gründungs- 
sagen von  Tarent  (63  ff.),  Siris  (73  ff.),  Sybaris  (76  f.),  Kreton  (77), 
Lokroi  (78),  Kyme  (81),  Rhegion  (82) ;  im  aUgemeinen  neigt  auch 
er  dazu,  die  Kulte  und  Mythen  der  griechischen  Kolonien  als  auf 
einheimische  aufgepfropft  zu  betrachten.  —  Über  die  Mythen  und 
Kulte  Apuli ens  spricht  M.  Mayer,  Apulien  vor  und  während 
der  Hellenisierung  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Keramik, 
Leipzig-Berlin  1914.  Mayer  trennt  die  lapyger  oder  lUyrier  von 
den  Messapiern ,  die  besonders  in  der  Peloponnes  gesessen  haben 
und  (377  ff.)  später  über  Ki'eta,  Rhodos  und  Kos  nach  Unteritalien 
ausgewandert  sein  sollen.  So  werden  die  mythischen  Verbindungen 
zwischen  Apulien  einerseits,  Kreta  (Sallentiner,  Rhadamanthys)  und 
Rhodos  anderseits  erklärt.  Es  fehlt  dem  Vf.  auch  auf  dem  Gebiet  der 
Religionsgeschichte  nicht  an  Gelehrsamkeit  undKombinationsgabe,  aber 
er  sucht  in  den  Mythen  unmittelbare  Geschichtserinnerungen,  die  sie 
nicht  enthalten  können.  Die  von  ihm  verwerteten  Sagen  knüpfen  wahr- 
scheinlich großenteils  an  Ereignisse  einer  weit  späteren  Zeit  an,  z.  B. 
die  Überlieferung  von  der  Auswanderung  der  von  Theseus  nach 
Brentesion  geführten  Kreter  nach  Bottiaia  (Sltr.  VI  3 — 6,  S.  282), 
die  Mayer  385  als  Beweis  für  eine  thrakisch-makedonische  Wande- 
rung nach  Unteritalien  anführt,  an  die  athenisch-makedonischen  und 
athenisch-messapischen  (Thuk.  VII  33,  4)  Beziehungen  im  5.  Jh.  — 
Daß  in  minoischer  Zeit  Kreter  nach  Italien  gekommen  seien,  wird 
übrigens  auf  Grund  der  mit  der  ägäischen  Kultur  übereinstimmen- 
den italischen  Funde ,  die  doch  in  Wahrheit  nur  einen  Kultur- 
austausch   zwischen    der   Balkan-    und  Apenninhalbinsel    beweisen, 


Unteritalien.  413 

auch  von  anderen  Forschern  angenommen  und  zur  Erklärung  von 
Mythen  und  Kulten  verwendet.  So  glaubt  A.  Rein  ach,  Neapolis 
1914,  S.  244,  daß  durch  vorgriechische  Kreter  die  ursprünglich 
kuhgestaltige  Göttin  nach  Italien  kam ,  die  am  Lakinion  und ,  wie 
aus  der  tarentinischen  Europa  des  Pj'thagoras  (Overbeck,  Ant. 
Schriftquellen  no.  502  ff.)  gefolgert  wird,  in  Tarent  verehrt  wurde, 
und  daß  der  tarentinische  Phalanthos  dem  kretischen  ApoUon  Del- 
phinios  entspreche. — Hennings' Aufsatz  „DieHeimat  derPhaiaken", 
Zeitschr.  f.  d.  österr.  Gymn.  1910,  197  ff.,  der  Scheria  nach  Ainaria 
setzt,  hat  bereits  Mülder  (ö.  Bd.  CLXI,  191S,  111)  besprochen.  — 
Aus  geometrischen  Vasen,  die  in  Kymc  gefunden  sind,  schließt 
Maragliano,  Atti  RAN  ant.  XXV,  1908  ^  1  ff.,  daß  Griechen  schon 
gegen  Ende  des  9.  Jhs.  in  der  Stadt  wohnten.  —  Daß  in  Kj-me  Artemis 
neben  Apollon  stand,  folgert  Boll,  Arch.  f.  Religionswissensch.  XIII, 
1910,  567  ff.  aus  einem  Schol.  zu  Aug.  c.  d.  II  23,  nach  dem  das 
Bild  von  dort  gestohlen  und  in  Minturnae  als  Marica  verehrt  wurde. 
Nach  Boll  572  stammt  die  kjonaiische  Göttin  aus  Euboia;  sie  wurde 
nach  dem  Scholion  auch  der  Fascelina  (0ay.i?ATig)  gleichgesetzt. 
Nach  Röscher,  Philol.  LXI,  1912,  307  f.  ist  diese  Artemis,  die 
mit  Phoebus  verbundene  Trivia,  der  die  Sibylle  nach  Verg.  Aen. 
VI  35  dient.  —  Einen  Dionysosverein ,  der  einen  gemeinsamen 
Begräbnisplatz  hatte,    erschließt  fiausso ullier,  Rev.  phil.  n.  s. 

XXX,  1906,  141  f.  aus  der  zuerst  von  Sogliano  jetzt  am  besten  von 
Comparetti,  Laminette  orfiche  S.  47  herausgegebenen  Inschrift 
ov  ^6/U'S  iiTaid^a  y.elad^ai  el  (.itj  (überlief,  i^ie)  xov  ßeßay.yevfAtvov. 
Haussoullier  vergleicht  die  Inschrift  der  tanagraiischen  Dionj^siasten 
IG  VII  686.  —  Heraorakel  würden  sich  für  Kyme  ergeben,  wenn 
A.  Maiuri,  Auson.  VI  Iff.  auf  dem  dort  gefundenen  Diskos  richtig 
liest  und  deutet *^'lfo?^  ow  fäi  'i]oi  {.lavtevead^ai,  „Hera  erlaubt  nicht, 
Orakel  am  Vormittag  einzuholen".  Nach  Maiuri  wurde  Hera  als 
Mondgöttin  am  kymaiischen  Nekromanteion  angerufen.  V.  Mac- 
chioro,  Neap.  I,  1913,  90  billigt  diese  Vermutungen,  aber  Haus- 
soullier, Rev.  de  phil.  XXXIV,  1910,  137  war  zu  einer  anderen 
Lesung  und  Auslegung  der  Inschrift  gelangt  {s.  o.  244}.  —  Die 
kymaiische  Heraklessage  ist  nach  Friedländer,  Herakl.  142 ff. 
durch    Rhodier    übertragen;    s.    dagegen    Berl.    Phil.    Wochenschr. 

XXXI,  1911,  1002,  wo  die  Sage  zwar  mittelbar  ebenfalls  auf  rho- 
dische  Ansiedler  zurückgeführt ,  aber  wegen  der  Einflechtung  der 
Thespiadensage  unmittelbare  Nachahmung  einer  ki-otoniatischen  Über- 
lieferung erschlossen  wird.  —  Nach  P.  Corßen,  Sokr.  II,  1913, 
1  ff.  ist  zu  scheiden  zwischen  der  kimmerischen  Sibvlle  am  Averner- 


414  Unteritalien. 

see ,  die  bei  Naevius  dem  Aeneas  die  Totenbeschwörung  vollzieht, 
und  der  in  der  Grotte  am  Burghügel  von  Kyme  am  südösthchen 
Burgfuß.  Vergil  folgt  nach  Corßen  dem  Naevius  insoweit,  als 
er  die  Burg-Sibylle  den  Aeneas  durch  die  Grotte  am  Avernersee 
in  die  Unterwelt  führen  läßt.  Die  Avemer  Sibylle  scheint,  wie 
Corßen  meint ,  auch  Albunea  geheißen  zu  haben ,  da  die  Orakel- 
stätten der  Albunea  ähnlich  wie  die  jener  beschrieben  werden.  — 
Über  die  Ausgrabungen  am  Heratempel  des  Lakinions  vgl.  Orsi, 
Not.  degli  scavi  VIII,  Suppl.  1911,  77  ff.  Eine  einheimische,  in 
Kuhgestalt  am  Lakinion  verehrte  Göttin ,  der  eine  vorgriechisch- 
kretische  gleichgesetzt  wurde ,  nimmt  A.  J.  Reinach,  Neapolis 
1914,  242  ff.  an.  —  Die  Ausgrabungen  in  dem  epizephyrischen 
Lokroi,  die  nach  einer  Anregung  v.  Duhns  von  der  italienischen 
Regierung  unter  Orsis  Leitung  vorgenommen  wurden  (Orsi,  Not. 
degli  sc.  1909,  321),  haben  zwar  zahlreiche  Weihgeschenke  (Pagen- 
stecher, Sitzungsber.  der  Heidelb.  Akademie  1911,  IX,  10  ff.), 
die  vom  8.  (?)  bis  5.  Jh.  reichen  sollen ,  darunter  schöne  Ttivav.eg 
ans  Licht  gebracht,  die  teils  (Quagliati,  Auson.  III,  1909,  136  ff. ; 
vgl.  Oldfather,  Phü.  LXIX,  1910,  114)  nach  Tarent,  teils  (Orsi, 
Boll.  d'Art.  del  minist,  della  pubbl.  instruz.  III,  1909,  406  ff.,  463  ff.; 
Not.  degli  sc.  1910,  319,  326;  vgl.  den  Aufsatz  Appunto  di  pro- 
tistoria  e  storia  Locrese  in  den  Saggi  di  storia  antica  e  di  archeol. 
offerti  a  G.  Beloch  1910,  S.  155)  nach  SjTakas  gekommen  siud; 
dagegen  ist  die  alte  Streitfrage  nach  der  Lage  des  berühmten 
Persephoneheiligtums ,  soweit  sich  von  Deutschland  aus  nach  dem 
Aufhören  direkter  Mitteilungen  urteilen  läßt,  noch  immer  nicht  zu 
endgültiger  Entscheidung  gekommen.  Wenigstens  bezweifelt  Old- 
father a.  a.  0.  122  und  ebd.  LXXI,  1912,  321  ff-,  daß  der  von 
Orsi  in  der  Unterstadt  ausgegrabene  Tempel ,  in  dem  nun  endlich 
das  Hauptheiligtum  der  Stadt  gefunden  zu  sein  schien ,  dieses  ge- 
wesen sei.  Im  Giebel  waren  zweifellos  die  Dioskuren  dargestellt, 
und  es  fehlt  am  Gebäude  selbst  ein  Hinweis  auf  Persephone.  Der 
berühmte  Haupttempel  der  Göttin  lag  nach  ausdrücklichem  Zeugnis 
außerhalb  der  Stadt,  eine  städtische  Filiale  nimmt  zwar  auch  Old- 
father an ,  aber  er  setzt  sie  auf  die  Akropolis ,  von  wo  die  von 
Quagliati,  Auson.  III  1909,  136  herausgegebenen  Kunstwerke 
heruntergeworfen  seien.  Ebenso  wie  die  Lage  des  Heiligturas  ist 
auch  die  Herkunft  des  Kultus  umstritten.  Orsi  denkt  an  syrakusa- 
nischen  Ursprung,  scheint  aber  auch,  worin  ihm  Lens ch au,  Berl. 
Phil.  Wochenschr.  XXXII,  1912,  1350  folgt,  einen  vorgriechischen 
(sikelischen)   Kult    anzunehmen;    da    aber    ein   vieUeicht    in  Lokroi 


ünteritalien.  415 

gefundener  Helm  in  Neapel  die  Aufschrift  TlriQKpova  (IG  XIV  631) 

trägt,  also  eine  Namensform  der  Göttin  anwendet,  die  an  die  sparta- 
nische Ilr^Qicporeia  erinnert,  so  meint  Oldfather,  Philol.  LXVIIi 
1908,  435,  daß  der  Kult  zu  den  Lokrern  von  Sparta  aus  gelangt 
sei,  von  wo  aus  nach  Paus.  III  3,  1  Lokroi  gegründet  sein  soll 
und  dessen  Kolonie  Tarent  den  Lokrern  ebenfalls  den  Kult  über- 
liefern konnte.  Nach  Ostlokris,  wo  auf  Münzen  der  Kaiserzeit  der 
Hadeskopf  erscheint,  gelangte  der  Kult,  wie  Oldfather  meint,  erst 
von  Italien  aus.  —  Über  Dionysoskult  in  Lokroi  s.  Oldfather,  Phil. 
LXIX,  1910,  115.  —  Bart.  Capas so  hinterließ  auf  dem  Toten- 
bett seinen  Freunden  ein  fast  vollendetes  Werk  über  das  antike 
Neapel  mit  der  Erlaubnis  zu  Änderungen;  dieses  hat  G.  de  Petra 
im  Auftrag  der  Societä  Napolitana  di  storia  patria- (Jahrg.  XXX) 
u.  d.  T.  fNapoli  Greco-ßomana  esposita  nella  topografia  e  nella 
vita  1905  herausgegeben.  Über  Kulte  handeln  u.  a.  S.  58  ff. 
(Apollon),  Gl  (Zeus),  77  (Demeter),  79  ff.  (Dioskuren),  92  Parthe- 
nope),  93  f.  (Artemis),  97  (Herakles?),  98  (Orion).  —  Gegen 
Mommsen  CIL  X  170,  der  eine  alte  Stadt  Parthenope  (Strab.  XIV 
2,  10,  S.  654;  Plin.  n.  h.  III  62;  Sil.  Ital.  XII  33;  PhüargjT. 
Georg.  IV  a.  E.)  an  der  Stelle  Neapels  bestritten  hatte,  will  f  Petra, 
Le  Origini  di  Napoli,  Atti  EAN  XXIII,  1905  (arch.,  lett.  e.  b.  a.), 
S.  37  ff.  nachweisen,  daß  Parthenope  im  6.  Jh.  von  den  Kymaiern 
gegründet,  dann  aus  Eifersucht  von  denselben  zerstört,  aber  im 
5.  Jh.  als  Neapolis  wieder  aufgebaut  wurde.  Doch  soll  die  neue 
Stadt  östlich  von  der  alten,  die  den  modernen  Ansprüchen  nicht 
entsprach,  angelegt  worden  sein  und  die  alte  unter  dem  Namen 
Palaiopolis  bis  zum  Bündnis  mit  Rom  bestanden  haben.  Später 
hat  Petra  in  dem  Aufsatz  Le  Sirene  del  mar  Tirreno  (ebd.  XXV, 
1908,  16)  und  Miscell.  ded.  ad  Salin.  81  ff.  seine  Ansicht  ge- 
ändert. Er  gibt  die  vorher  von  ihm  bestrittene  rhodische  Nieder- 
lassung wegen  der  neolithischen  Funde  bei  Sa.  Lucia  zu  und 
nimmt  an,  daß  die  Kymaier  erst  nach  den  Rhodiern  Neapolis 
am  Molo  Piccolo  bis  S.  Giovanni  Maggiore  gründeten.  Diese 
kymaiische  Stadt  soll  den  Namen  Palaiopolis  erhalten  haben ,  als 
nach  der  Besetzung  von  Ischia  durch  Hieron  die  Kymaier  und 
Chalkidier  eine  dritte  Stadt,  das  neue  Neapolis,  gründeten,  in  das 
Athener  Pithekusier  und,  weil  man  Parthenope  als  selbständige 
Gemeinde  nicht  neben  sich  haben  mochte ,  auch  die  Einwohner 
dieser  Stadt  aufgenommen  wurden.  Doch  fand  eine  völlige  Ver- 
schmelzung der  drei  Städte,  von  denen  jede  das  Grab  der  Parthenope 
besitzen  wollte,  nach  Petra  nicht  statt.    Der  Kult  der  Sirenen  wird 


416 


Unteritalien. 


Teleboern  oder  Tapliiern  zugeschi'ieben,  die  sich  auf  Capri  nieder- 
gelassen (Verg.  Aen.  VII  733  f.;  Tac.  ann.  IV  67;  Stat.  silv.  III 
5,  100;    Sil.    Ital.  VII  418)    und    dorthin   den  Kult   der  Acheloos- 
töchter    verpflanzt    haben    sollen.      Sowohl    die    früheren    wie    die 
späteren  Konstruktionen   des    Vfs.    sind    ziemlich   verwickelt;    ein- 
facher wird  die  mythische  Besiedelung  der  Stadt,  wenn  Parthenope 
nicht  eine  eigene  Stadt,  sondern  eine  aus  dem  Hauptkult  geschöpfte 
dichterische    Bezeichnung    der   Stadt   war.   —  Eine   Priesterin   der 
Athena  ^ly.shj   nennt  eine  neapolitanische  Inschrift.     Nach  Pais, 
Ric.  stör,  e  topograf.  275  ff.  lag  der  Tempel  bei  Punta  di  Campa- 
nella gegenüber  Capri.     Der  Tempel  wurde  nach  Pais  wahrschein- 
lich von  Lipara  oder  Syrakus  aus  als  Ersatz  für  das  alte  Sirenen- 
heiligtum gegründet ;  die  Göttin  sollte  die  dort  operierenden  Kriegs- 
schiffe   beschützen.    —   Über    das    Dioskurenheiligtum    in    Neapel 
handelt  v.  Duhn,    Sitzungsber.    Heidelb.  AW  h.-phil.  Kl.  1910,  I 
im  Anschluß   an   Correra,    II  tempio  dei  Dioscuri  a  Napoli,  Atti 
EAN  XXIII,  1905,  212  ff.    Der  Bau,  durch  einen  libertus  Augusti 
geweiht,    lag  am  Mercato  Vecchio.  —  Über  die  Beziehungen,    die 
im  5.  Jh.  zwischen  Athen  und  Neapel  bestanden,  s.  Pais,  Rendi- 
conti  RAL  Vxvi  1906,  184  f.  —  Die  Ansiedlung  der  lonier  in  Siris 
verteidigt   Pais,    Ric.    stör,    topograf.  91  f.;    er   setzt  die  Kolonie 
der  Kolophonier  (S.  101)    in   die    erste  Hälfte  des  7.  Jh.  —  Über 
Sybaris  vgl.  E.  Galli,  Per  la  Sibaritide,  Studio  topograf.  e  storico, 
Acireale  1907.  —  Adele  Cortese,    Le   origini  di  Taranto,   Atti 
acc.     Torino     IL    1913/14,     1037  ff.    bestreitet    Studniczkas     An- 
Annahme   griechischer    vordorischer  Ansiedelungen  in   Tarent;    die 
von    den    Doriem    vorgefundenen    lapyger,    mit    griechischer    Be- 
zeichnung  Messapioi   genannt,    sollen    lUyrier   gewesen   sein;   den 
mythischen  Erzählungen  wird  mit  Recht  Geschichtswert  abgesprochen. 
Die  Spartaner  ließen  sich  nach  A.  Cortese  gegen  Ende  des  8.  Jhs. 
in  Taras  nieder,  eine  Änsetzung,  die  m.  E.  noch  um  ein  Jahrhundert 
heruntergerückt  werden  muß.  —  Maaß,    Der  Kampf  um   Temesa 
Arch.  Jahrb.  XXII,    1907,    18  ff.  sieht  in  dem  bösen  Heros  Alibas 
(Suid.  s.  Euüviiog,  wo  ^yiXvßaq  überliefert  ist)  eine  Personifikation 
der  barbarischen  Alibanten ,   die  ihr  Gebiet  von  Metapont  bis  nach 
Westcalabrien  ausgedehnt  hatten,  die  Überlandtransporte  von  ßruttien 
und  Calabrien  nach  dem  tvrrhenischen  Meer  hinderten,  die  griechi- 
schen Niederlassungen    brandschatzten   und   ihnen   die  Entrichtung 
eines  Menschentributes  abzwangen,  von  dem  sie  Euthymos  befreite. 
Das  Gemälde,    dessen   Kopie    Paus.  VI  6,  11  beschreibt,    soll  die 
Bezwingung   dieses  Volkes    durch    den   neuen   lokrischen  Heros  in 


ünteritalien :  Temesa.  417 

Gegenwart  der  umwohnenden  Griechenwelt  dargestellt  haben,  — 
Ähnlich  urteilt  Pais,  Ric.  stör,  e  topogr.  43  ff.,  Klio  IX,  1909, 
385,  der  aber  erstens  glaubt,  daß  der  Tribut  von  den  Temesaiern 
nicht  den  Alibanten,  sondern  den  Krotoniaten  geliefert  werden  mußte, 
und  zweitens  in  den  Einzelheiten  der  Euthymossage  nicht  symboli- 
sierte Geschichte,  sondern  einen  Mythos  erkennt,  der  auf  Euthymos 
übertragen  sei  und  den  er  bis  in  die  mittelgriechische  Heimat  von 
Lokroi  verfolgen  zu  können  glaubt.  Der  Name  des  geretteten 
Mädchens,  Sybaris,  soll  (Ric.  53)  an  die  mit  Lokroi  47G  verbündete, 
sich  z.  T.  ebenfalls  auf  lokrischen  Ursprung  zurückführende  (ebd.  51) 
gleichnamige  Stadt,  zugleich  aber  an  das  phokische  Ungeheuer  er- 
innern, das  nach  einer  der  temesaiischen  Geschichte  ähnlichen  Sage 
(Nikandr.  bei  Anton.  Lib.  8)  Eurybatos  erlegte.  Die  Bedingungen 
für  die  Übertragung  dieser  phokischen  Sage  nach  Unteritalien  waren 
gegeben,  als  das  epizephyrische  Lokroi  sich  476  oder  472  mit 
den  Deinomeniden  verbündete  und  das  den  Krotoniaten  zinspflichtige 
Temesa  eroberte  und  „befreite".  Eben  auf  dies  Bündnis  wird  das 
von  Pausanias  beschriebene  Bild  bezogen.  Gegen  die  geschicht- 
lichen Folgerungen,  die  Maaß  aus  dem  Namen  der  Alibanten  ge- 
zogen hatte ,  wendet  Pais  ein,  daß  der  Name  Alibas ,  Alybas  auch 
in  anderen  Teilen  Unteritaliens  vorkomme,  und  daß  auch  Kalabros, 
der  nach  Pausanias'  Beschreibung  auf  dem  Gemälde  dargestellt  war, 
nicht  notwendig  auf  die  östliche  Halbinsel  Süditaliens  hinweise.  — 
Dagegen  will  Patroni,  Atti  accad.  Tor.  XLV,  1909/10,  494  ff. 
erweisen,  daß  Apheidas'  Stadt  Alybas  (Od.  co  304)  wii-klich  an  der 
Südküste  Italiens  lag,  und  daß  Metapont  gemeint  sein  könne,  dem 
es  im  Altertum  gleichgesetzt  wurde.  —  Sowohl  gegen  Maaß  wie 
gegen  Pais  wendet  sich  De  Sanctis  ebd.  164  ff.  Er  sondert  die 
Berichte  und  sucht  ihre  Unterschiede  zu  erklären.  Der  älteste  ist 
der,  dem  das  von  Pausanias  beschriebene  Bild  folgte :  hier  galt  als 
Bezwinger  des  Ungeheuers,  als  Retter  des  Mädchens  Sybaris  (S.  179), 
dessen  Name  nicht  mit  dem  des  phokischen  Ungeheuers  verglichen 
werden  dürfe ,  weil  dieses ,  eigentlich  Lamia  genannt ,  jene  zweite 
Bezeichnung  nur  zur  Erklärung  der  in  ganz  Griechenland  häufigen 
Qu^llbezeichnung  erhalten  habe.  Erst  nach  der  Zerstörung  von 
Sybaris  soll  in  der  unteritalischen  Sage  der  Stadteponjon  durch 
Euthymos  ersetzt  sein ;  Kallimachos  (Seh.  Paus.  III  221  Spiro, 
Plin.  n.  h.  VII  152:  vgl.  Schneider,  Call.  II  579  fr.  399  und  Seh. 
X  56  TB)  bot  die  Fassung  von  der  geopferten  Jungfrau ,  die 
Euthymos  befreite  und  heiratete.  Die  Version,  nach  der  Euthymos 
Temesa   bloß    von    einer  Geldlieferung  befreite  und  einen  größeren 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  186  (Supplemeuthand).  27 


418  Temesa.  —  Latium. 

Betrag  zurückforderte,  gebt  nach  de  Sanctis  auf  eine  Phlyakenposse 
zurück.  Str.  VI  6,  1,  S.  255  und  Ael.  v.  h.  VIII  18  sollen  eine 
rationalistische  (?)  Umwandelung  geben.  Ein  sjonbolischer  Gehalt 
der  Sage  wird  abgelehnt;  der  Vf.  glaubt,  daß  die  Temesaier  wirk- 
lich einst  einem  Dämon  Mädchen  opferten ,  der  seinen  Namen 
Alybas  lediglich  nach  Odyss.  (o  304  empfing  und  von  l4X{ßag  „Ge- 
spenst" ganz  zu  trennen  ist.  Ein  Volk  (Bekker,  Anecd.  1317  s.  v.) 
Alybantes  hat  es  nach  de  Sanctis  nicht  gegeben ,  sondern  nur 
jenen  Ort,  dessen  Eponym  aus  unbekannten  Gründen  dem  Gespenst 
von  Temesa  gleichgesetzt  worden  sei.  —  Gegen  die  Beziehung  der 
etruskischen  Reliefs  mit  dem  aus  dem  Brunnen  steigenden  Wolf 
auf  den  Kampf  des  Ungeheuers  gegen  Euthymos ,  an  die  wegen 
des  Namens  Lykas  auf  dem  mehrerwähnten  Gemälde  gedacht 
worden  ist,  erklärt  sich  Anziani,  Mel.  d'arch.  et  d'hist.  XXX, 
1910,  268  ff. 

Latium. 

Die  Diana  von  Ar i ein  war  nach  F.  Marx,  Sitzungsber.  SGW 
1906,  112  von  Ephesos  fihiert,  das  ein  Asyl  für  entlaufene  Sklaven 
war  und  solche  z.  T.  als  Hierodulen  verwendete.  Gleichartig  war 
die  römische  Diana  auf  dem  Aventin ;  Fest.  343  *,  8  bezieht  sich 
auf  Sklaven ,  die  sich  an  ihren  Altar  gerettet  hatten  —  die  zwei- 
bärtigen mit  Eichenlaub  als  Attribut  und  Fischfiossen  versehenen 
Köpfe,  die  1885  in  Nemi  ausgegraben  wurden,  hält  Fr.  Granger, 
Cl.  Rev.  XXI,  1907,  194  für  Darstellungen  des  alten  und  des  ihn 
angreifenden  neuen  Rex  sacrorum. 

Die  Gründungs  sagen  von  Lavinium,  Alba  und  Rom  kritisiert 
E.  Pais,  Storia  critica  di  Roma  I  197 — 377.  —  Über  die  systema- 
tischen Ausgrabungen,  die  seit  1907  von  dem  itahenischen  Unter- 
richtsministerium in  Ostia  angestellt  wurden,  gibt  außer  den  regel- 
mäßigen Fundberichten  in  den  Notizie  degli  scavi  und  anderen 
italienischen  Veröffentlichungen  eine  zusammenfassende  Darstellung 
Th.  Ashby,  Journ.  Rom.  Stud.  II,  1912,  153  ff.,  der  S.  180  über 
den  Cerestempel,  181  über  ein  Mithraeum,  184  über  den  Vulcan- 
dienst,  190  über  das  Metroon  handelt.  Speziell  die  religionsgeschicht- 
liche Ausbeute  dieser  Ausgrabungen  würdigt  Lily  Roß  Taylor, 
The  Cults  of  Ostia  (Bryn  Mawr  Coli.  Monogr.  XI),  Bryn  Mawr 
1912.  Hauptgott  der  Stadt  war  Vulcanus ,  dessen  Kult  (S.  19) 
älter  ist  als  die  Hafenanlage  und  deshalb  nicht,  wie  Wissowa  noch 
in  der  zweiten  Auflage  des  Handbuchs,  Rel.  u.  Kult,  der  Römer 
S.  230   angibt,  hier  aus  dem  Grunde  eingerichtet  sein  kann,  weil  er 


Latium.  4^9 

die  Docks  und  Magazine  vor  Feuersgefahr  schützen  sollte,  sondern 
vielleicht  aus  dem  von  Ancus  Martius  vor  der  Gründung  von  Ostia 
zerstörten  Ficana  stammt.  —  Über  das  Heiligtum  des  luppiter 
Optimus  Maximus  und  das  des  Numen  Caeleste  (AnAhita?)  be- 
richtet Vaglieri,  Comptes  rend,  AIBL  1909,   184  fF.  — 

In  Pr aenestr  ist  eine  alte  Weihung  an  Inno  Palosticaria 
gefunden,  deren  Beinamen  Marucchi,  Bull.  comm.  arch.  comm. 
XLI,  1913,  22  ff.  zweifelnd  von  ncclog  und  ozixog  ableitet  und 
auf  die  Ordnung  der  Sortes  beim  Orakel  der  Fortuna  bezieht. 

Da  über  die  römisch  c  Religionsgeschichte  in  einem  besonderen 
Abschnitt  berichtet  ist  und  auch  die  vor  1912  erschienenen  Arbeiten 
über  Gottesdienste    von    wesentlich  lokaler  Bedeutung  meist  schon 
in    der   zweiten   Auflage    von    Wissowas    Religion   und  Kultus   der 
Römer  verzeichnet  sind ,    habe  ich  hier  nur  weniges  dieser  Art  zu 
erwähnen.     Über   die   Triumphalstraße    auf  dem  Marsfeld   und   die 
Zeit,  in  der  die  an  ihr  befindlichen  Tempel  gestiftet  wurden,  spricht 
v.  Domaszewski,  Arch.  f.  Religionswiss.  XII,  1909,  67  ff.    Der 
Fries   im  Louvre ,    der    schon   von  Furtwängler  zum  Neptunusfries 
im    Palazzo    Sa.  Croce    gestellt   ist,    soll    eine   Lustratio    exercitus, 
jedoch  nicht  bei  der  Missio ,    wie  Furtwängler  wollte ,   sondern  bei 
dem  Census  darstellen.  —  Daß  die  Bronzemünze  des  Caligula,  die 
nach  allgemeiner  Annahme  den  Tempel  divi  Augusti  darstellen  soll, 
vielmehr   den    des  Apollo    Palatinus   wiedergibt,    will  Richmond, 
Essays    and    Stud.    present.    to    Ridgeway    1913,    198  ff.    erweisen. 
Vorher  hatten  die  Opfer  an  Augustus  vor  dem  von  diesem  erbauten 
Tempel    des  Mars  Ultor  stattgefunden-,    Tiberius  baute  das  novum 
templum  divi  Augusti.     Vgl.  o.  (^S.  94  f.).  —   Über   den   römischen 
Castortempel  vgl.  A.  W.  v.  Buren,  Class.  Rev.  XX,  1906,  77  ff. ; 
s.  auch  184.  —  Mit   den    mythischen   arkadischen  Zuwanderem  in 
Rom   bringt   S.  Rein  ach,    Cultes ,    mythes,    relig.  III  210  ff.    zu- 
sammen ,    daß  Diana ,  wie  er  aus  einer  Nachbildung  auf  dem  Altar 
von  Mavilly  folgert,  im  Typus  von  Lykosura  dargestellt  war.    Daß 
tegeatische    Handelsherren    im    6.    Jh.    eine   Niederlassung    in    der 
Tiberstadt    hatten,    ist   m.    E.    nicht   ganz    unwahrscheinlich,    aber 
schwerlich    wurde    ein    damals    übertragener   Tj'pus    so    lange    er- 
kennbar konserviert.  —  Am  Südende  des  laniculum,  wo  schon  1803 
C.  D.  F.  J.  Fea  Ausgrabungen   veranstaltet   und   eine  Inschrift  an 
den  I.  0.  M.  H(eliopolitanus) ,    den    Conservator   imperii    (CIL  VI 
422)  gefunden  (Mel.  d'arch.  et  d'hist.  XXIX,  1909,  263)  und  später 
Lanciani    1888    geforscht   hatte,    wurden    beim  Bau   eines  Gärtner- 
häuschens   im  Sommer  1906  5  m  unter    der   von  der  Höhe  herab- 

27* 


420  Rom. 

geschwemmteu  Erde  iu  der  \'illa  Wm-ts  (früher  Sciarra)  viele  Mai-mor- 
inscliriften  mit  Weihuugeu  an  die  Nymphae  Furriuae  und  an  ver- 
scliiedeue  orientalische  Gottheiten,  ferner  iSkulpturen,  bleierne  Wasser- 
leituugsröhren  und  ein  Kanal  aus  Ziegelsteinen  entdeckt.  Alles 
stammte  aus  der  Zeit  der  Antonine  und  Severe.  Durch  diese 
Funde  angeregt,  welche  die  Notiz,  degli  sc.  1906,  S.  248,  433; 
1907,  S.  88ff.;  Gatti-Vaglieri,  Bull.  comm.  arch.  comm.  XXXIV, 
1906,  332;  P.  Gauckler,  Compt.  rend.  AIBL  1907,  135  ff.  und 
ausführlicher,  gegen  Hülsen,  Rom.  Mitt.  XXII,  1907,  225  ff.  sich 
verteidigend,  Bull.  comm.  arch.  comm.  XXXV,  1907,  45  ff.,  ferner 
Clermont  Ganneau,  Compt.  rend.  AIBL  1908,  250  ff. ,  ßec. 
d'arch.  orient.  VIII,  1907,  51  ff.  beschrieben  und  zu  erklären  ver- 
suchten, wurden  in  den  Jahren  1908  und  1909  systematische  Aus- 
grabungen auf  Kosten  des  Genfers  H.  Darier  vorgenommen ,  über 
die  P.  Gauckler,  Les  fouilles  du  Lucus  Furrinae  au  Janicule, 
Compt.  rend.  AIBL  1908,  510  ff. ,  La  source  du  Lucus  Furrinae, 
Mel.  d'arch.  et  d'hist.  XXVIII,  1908,  283  ff.;  G.  Nicole  und 
G.  Darier,  Le  sanctuaire  des  dieux  orientaux  au  Janicule,  ebd. 
XXIX,  1909,  Iff. ;  P.  Gauckler,  Le  couple  Heliopolitain  et  la 
triade  Solaire  dans  le  sanctuaire  Syrien  du  Lucus  Furrinae ,  ebd. 
239  ff.,  Comptes  rendus  AIBL  1909,  225  ff.,  617  ff.,  1910,  378  ff.; 
Salv.  Aurigemma,  II  bosco  sacro  delle  ninfe  Furrine  e  il  san- 
tuario  degli  dei  Siri  sul  Gianiculo,  Auson.  IV,  1909,  18ff. ;  Pasqui, 
Not.  degli  sc.  VI,  1909,  389  f.;  A.  J.  Reinach,  Rev.  et.  gr. 
XXIII,  1910,  344  Mitteilungen  machen.  Die  Literaturangaben  sind 
hier  zwar,  entsprechend  dem  Ziele  dieses  Jahresberichtes,  nicht 
vollständig,  aber  doch  etwas  reichlicher  als  sonst  gegeben,  weil  die 
an  sich  sehr  dankenswerte  schnelle  Veröffentlichung,  welche  die 
Veranstalter  der  Ausgrabungen  von  deren  Ergebnissen  gemacht 
haben,  doch  insofern  einen  unvermeidlichen  Übelstand  mit  sich 
bringt,  als  nun  die  sich  an  die  Entdeckungen  anschließenden  Fest- 
stellungen und  Vermutungen,  die  sich  erst  im  Laufe  der  Zeit  über- 
sehen ließen,  sehr  zerstreut  sind.  Zu  unterst  liegen  die  Reste  von 
Stütz-  und  Umfassungsmauern  des  aus  der  Geschichte  vom  Untergang 
des  C.  Gracchus  bekannten  Heiligtums  der  Furrina  (nach  Gauckler 
=  Feronia).  Die  Kultstätte  diente  anscheinend  auch  als  Heilbad;  bei 
der  Geringfügigkeit  der  erhaltenen  Teile  dieses  ältesten  Baues  ist 
begreiflich,  daß  über  seine  Einrichtung  zwischen  Hülsen  und 
Gauckler  Meinungsverschiedenheit  herrschte  und  dieser  z.  B. 
für  eine  Brunnenöffnung  hält,  was  nach  jenem  der  Deckel  eines 
Opferstockes    ist.     Als    sich    in  Trastevere   ein  neuer  Stadtteil  ge- 


Eom.    Etnirien.    Nordländer.  421 

bildet  hatte ,  der  besonders  von  Orientalen  bewohnt  war ,  traten 
neben  Furrina  oder  die  Fnrrinae,  die  jetzt  hier  verehrt  wurden, 
die  syrischen  Götter,  und  zwar  nach  Gauckler,  Compt.  rend.  1909, 
645  wahrscheinlich  schon  unter  Nero ,  der  nach  Suet.  v.  Ner.  56 
eine  Vorliebe  für  Atergatis  hatte  (daß  auch  sie  hier  einen  Kult 
hatte,  vermutet  Doelger,  ^lyß^tg  I  444);  doch  blieb  das  Heilig- 
tum unbedeutend ,  bis  bei  der  Erhebung  des  Commodus  zum  Mit- 
regenten 176  V.  Chr.  der  Cistiber  (d.  h.  Mitglied  des  Kollegs  der 
quinque  viri  eis  Tiberim)  Augustorum  M.  Antonius  Gaionas  ein 
prächtigeres  Heiligtum,  nach  Wissowa,  Berl.  Phil.  Wochenschr. 
XXIX,  1909,  1538  f.  den  Tempel  des  luppiter  Heliopolitanus  bauen 
ließ.  Unter  den  Severen  blühte  das  Heiligtum ,  zu  dem  nach 
Gauckler  a.  a.  0.  225  ff.  die  schönen  Statuen,  Inschriften  und 
Exvotos  der  Villa  Wurts  gehörten,  mächtig  auf,  verfiel  dann  aber 
und  wurde  durch  die  Aureliansmauer  von  Trastevere  abgeschnitten. 
Am  Ende  der  Kaiserzeit  wurde  schräg  zur  Längsachse  dieses 
Tempels  eine  Art  Basilica  mit  Apsis ,  Seitenschiffen  und  Vorraum 
eingerichtet ;  welchem  Gott  dies  zu  oberst  liegende  und  seiner 
ganzen  Länge  nach  freigelegte  Gebäude  geweiht  war,  ist  oder  war 
wenigstens  zu  der  Zeit,  aus  der  die  letzten  mir  zugänglichen  Nach- 
richten stammen,  nicht  sicher  zu  bestimmen;  daß  es  ebenfalls  Kult- 
zwecken diente ,  ist  aber  trotz  seines  seltsamen  Grundrisses  an- 
zunehmen, und  wahrscheinlich  mit  Recht  setzt  Gauckler  es  in  die 
Zeit  JuKans ,  unter  dem  das  Heiligtum  eine  kurze  Nachblüte  er- 
lebt habe.    — 

Über  die  Tempel  in  Ve  litrac  handelt  A. Pelzer-Wagen  er, 
Amer.  Journ.  Arch.  XVII,  1913,  403  f.  Es  gab  in  der  Stadt 
Heihgtümer  des  Apollo  und  Saneus ,  des  Hercules ,  Mars ,  des  Sei 
und  der  Luna,  der  Fortuna. 

Etrurieu. 

Über  einen  Tempel,  wahrscheinlich  des  Dionj'sos  (?  Inschrift 
BaoilLTiov  xov  JlovvoLov),  der  unter  der  Basilica  di  S.  Alessandro 
in  Faesulae  lag,  berichtet  Galli,  Mon.  ant.  RAL  XX,  1910,  921  ff. 

Nordländer. 

Clifford  H.  Moore,  Transact.  Am.  Philol.  Assoc.  XXVIII, 
1907,  109  ff.  gibt  die  Vorstudien  zu  einer  gi'ößeren  Arbeit  über 
die  orientalischen  Kulte  im  römischen  Reich,  die  vielleicht  inzwischen 
vollständig  erschienen,  mir  aber  nicht  zugänglich  ist.  In  dem  mir 
vorliegenden  Stück  sind  Gallien  und  Germanien  behandelt.  —   Die 


422  Gallien  und  Germanien. 

Mythen  und  Kulte  der  Griechenstädte  S  ü  dg  alli  ens  behandelt 
E.  Maaß,  Österr.  Jahresh.  IX,  1906,  139  ff.,  X,  1907,  85  ff.  Vor 
der  phokaiischen  Niederlassung  in  Massalia  setzt  er  dort  in  ßienna 
eine  kretische  (vgl.  den  Fluß  Massalias  und  die  Stadt  Bienna  auf 
Kreta)  und  in  Arelate  (*^Elivrj)  eine  rhodische  Ansiedelung  an.  — 
Über  die  Gründuugssage  von  Massalia  (Aristot.  fr.  508),  nach 
welcher  Nanos'  Tochter  dem  zufällig  bei  ihrer  Gattenwahl  an- 
wesenden Euxenos  zu  trinken  reicht,  ihn  dadurch  zu  ihrem  Gemahl 
bestimmt  und  ihm  den  Alinherrn  der  Protiaden  gebiert,  s.  L.  Rader- 
m acher,  Rh.  Mus.  LXXI,  1916,  Iff. ,  der  ähnliche  Sagen  ver- 
gleicht {n.  S.  425).  Die  im  Jahr  1905  ausgegrabene  Stele,  welche 
Athena  opfei'nd  vor  Zeus,  Herakles  und  Tyche  darstellt,  soll 
von  Bürgern  der  Stadt  Arelate  (colonia  lulia  Sextanorum) ,  die 
im  Emporium  von  Mainz  wohnten,  gesetzt  sein;  in  der  „dori- 
schen" Trias  Athena,  Zeus,  Herakles  und  in  dem  dorischen  Künstler- 
namen Samus  wird  eine  Bestätigung  dafür  gesehen,  daß  Arelate 
eine  alte  dorische  Pflanzstadt  gewesen  sei.  —  Einen  Würfelsteiu 
aus  Mainz ,  dessen  vier  Seiten  je  ein  göttliches  Paar  darstellen, 
veröffentlicht  von  neuem  v.  Domaszewski,  Arch.  f.  Religions- 
wissensch.  IX,  1906,  149  (=  Abh.  zur  römischen  Relig.  129  ff.). 
Die  Götterpaare  sind:  1)  Nantosvelta  (als  Diana,  nicht  wie  auf 
dem  Saarburger  Relief  als  luno  gebildet)  und  Sucellus  (Silvanus), 
der  Himmelsgott  mit  dem  „Himmelsszepter"  ;  2)  Genius  und  Fortuna ; 
3)  Grannus  (Apollo)  und  Sirona  (Salus ,  nicht ,  wie  in  Wiesbaden 
Diana);  4)  Mercur,  von  Victoria  gekrönt.  Die  Zusammenstellung 
gerade  dieser  Gottheiten  sucht  v.  Domaszewski  aus  den  örtlichen 
Bedingungen  des  damaligen  Mainz  zu  erklären.  —  Auf  dem  Mont 
Auxois  bei  Alise  (Alesia)  ist  der  achteckige  Tempel  einer  Quell- 
göttin, nach  der,  wie  C.  Jullian  vermutet,  Alesia  hieß  (Esperandieu, 
Compt.  rend.  AIBL  1909,  498  ff.) ,  und  das  Heiligtum  einer  mit 
einem  Ährenkranz  dargestellten  Heilgöttin  (Ceres?  Hygieia?  ebd. 
522)  entdeckt  worden. 


VII.   Mythologie. 

1)  Verwandte  Züge  in  verschiedenen  Mythen. 

Im  Anschluß  an  Rohde ,  Kl.  Sehr.  U  173  schält  P.  Wend- 
land.  De  fabellis  antiquis  earumque  ad  Christianos  propagatione 
1  ff.  aus  der  Geschichte  der  „Braut  von  Korinth"  (Phleg.  u.  (>avfi. 
1  •,    Prokl.    Tiol.    W.ai.    bei    Schoell-Studem.  Anecd.    var.  11  64  = 


Verwandte  Motive  in  verschiedenen  Mythen.  423 

II  116  Kr.)  ein  Märchen  heraus,  indem  er  alles  abstreift,  was  bei 
Phlegon  nur  zur  äußeren  Beglaubigung  der  Geschichte  erfunden 
ist.  Daß  zu  den  echten  Bestandteilen  auch  die  Lokalisierung  in 
Makedonien  gehört,  wird  S.  10  aus  der  spezifisch  makedonischen 
Begräbnissitte,  der  AufsteDung  derydivt]  im  Kammergrab,  gefolgert.  — 
Hartland,  Primitive  Paternity.  The  Myth  of  Supernatural  Birth 
in  Relation  to  the  History  of  the  Family.  London  I  1909,  II  1910 
bietet  zwar  Parallelen  zu  griechischen  Gebräuchen ,  z.  B.  zu  dem 
Fruchtbarkeitszauber  auf  dem  Felsen  (1 125  ff.),  zu  der  Austreibung  der 
Unfruchtbarkeitsgeister  durch  Schläge  (I  102  ff.  {vgl.  o.  S.186;  231)), 
zum  Essen  der  Quitten  bei  der  Hochzeit  (I  41),  zu  der  Befruchtung  der 
Weiber  durch  Quellen  und  Flüsse  (1 83),  aber  nichts  unmittelbar  für  die 
griechischen  Kulte  oder  Mythen,  die  er  auch  nur  durch  abgeleitete 
Quellen  kennt,  Verwertbares.  —  Verschiedene  Mythen  über  die 
wunderbare  Geburt,  Aussetzung  und  Eettuug  sowie  über  das  schnelle 
Wachstum  von  Helden  stellt  C.  Fries,  Stud.  zur  Od.  I  71  ff.  zu- 
sammen. —  Über  die  Sagen  von  der  Ernährung  eines  aus- 
gesetzten Götter-  oder  Heldenhindes  durch  ein  Tier 
handelt  ausführlich  W.  Aly,  Der  kretische  Apollonkult,  Leipzio- 
1908,  S.  44  ff.  Das  Motiv  findet  sich  in  mannigfacher  Ausprägung, 
auf  verschiedene  Götter  und  Menschen  bezogen,  in  ganz  Kreta,  ist 
aber  auf  dem  griechischen  Festland,  wo  es  von  Telephos,  Asklepios, 
Boiotos  und  Aiolos  erzählt  wird ,  ziemlich  selten ;  doch  läßt  sich 
vorgriechischer  Ursprung  dieses  auch  in  der  römischen,  oskischen, 
persischen  und  germanischen  Sage  überlieferten  Zuges  nicht  nach- 
weisen ,  zumal  sich  griechische  Beispiele  gerade  in  Arkadien  und 
Boiotien,  den  Fundstätten  allerältesten  (griechischen)  Gutes  an- 
treffen. —  Mit  demselben  Zug  beschäftigt  sich  ein  Teil  des  Char- 
lottenburger Programms  von  Leß mann.  Die  Kyrossage  in  Europa 
1906,  über  das  o.  {S.  40)  gesprochen  ist.  —  Saintyves,  Vierges 
meres  160  ff.  erklärt  die  Häufigkeit  des  Zuges  aus  einer  alten  Sitte. 
die  Spurii  durch  die  Aussetzung  einem  Gottesurteil  zu  unterwerfen.  — 
Von  den  klassischen  Sagen  dieses  Typus  gilt  die  von  der  Aus- 
setzung des  Romulus  und  Remus,  deren  griechische  Parallelen  z.  B. 
Pais,  Storia  crit.  di  Roma  I  289  ff.  sammelt,  jetzt  meist  als  Er- 
findung des  Naevius ,  der  in  seiner  Alimonia  Remi  et  Romuli  die 
Sophokleische  Tyro  nachgeahmt  habe;  s.  z.  B.  Soltau,  Anf.  der 
röm.  Geschichtschreibung  1909,  21  ff. 5  Rasch,  Sophocles  quid 
debeat  Herodoto,  Comm.  phil.  Jenens.  X  1,  1913,  55  ff.  Die  Wölfin 
mit  den  ZwiUingen  am  Lupereal  bezog  sich  nach  Petersen, 
Klio  VIII,   1908,   444  ursprünglich  nicht  auf  die  Aussetzungssage, 


424  Knabenliebe. 

sondern     sollte     die     konsularische    Doppelherrschaft     ausdrücken. 
Erst   im    Anschluß    an    die    Gruppe    soll    die  Aussetzungssage   auf- 
gekommen   sein.    —    Aus    dem    Namen    Ilia   folgert  Rasch    (56,  3), 
daß  ein  Grieche  zuerst  den  dem  Epos  fehlenden  und,  wie  er  meint» 
von  Sophokles  der  Herodoteischen  Kyrossage  (Herod.  I  110)  nach- 
gebildeten   Zug    (S.    30)    von    der    Aussetzung    der   Zwillinge    auf 
Romulus    und  Remus  übertrug ;    doch  muß ,    wie  ihm  die  Kenntnis 
Roms  wahrscheinlich   macht,    ein    Römer    die  Sage    der  römischen 
Örtlichkeit    angepaßt  haben.  —  Über  die  von  Göttern  geliebten 
Knaben   in  Ovids  Metamorphosen  handelt  Castiglioni,    Studi 
intorno    alle  Fonti  e  alla  compos.  delle  Metam.  164  ff.  —  Die  von 
E.  Bethe  angeregte  Leipziger  Dissertation  von  P.  Beyer,  Fabulae 
Graecae    quatenus    quave    aetate    puerorum  amore  commutatae  sint 
(1910)  geht  von  der  bekannten  Tatsache  aus,  daß  die  Päderastie 
dem    ältesten  Griechentum   und   den   ältesten   griechischen  Mythen 
fehlt,  in  diesen  sogar  z.  T.  wie  in  den  Sagen  von  Chrysippos  und 
Arg}'nnos    als    etwas  Frevelhaftes    behandelt   wird,    bestreitet  aber 
die  Einführung    der  häßichen  Sitte  aus  Kleinasien ,    sucht  vielmehr 
nachzuweisen ,    daß    sie    bei    den   Doriern    aufgekommen   und   zwar 
früh    von    den  loniern   und  Aiolern  aufgenommen ,    aber  doch  auch 
später  vorwiegend  in  den  dorischen  Gebieten ,   in  Boiotien ,  Sparta 
und    auf  Kreta    üblich   gewesen    sei    und    deshalb    besonders    dem 
dorischen  Apollon    und   dem  Herakles  zugeschrieben  werde.     Nach 
B.  (41)  sind  Hyakinthos,  Branchos,  Melampus  u.  a.  frühe  6(jcöfiEV0L 
Apollons  geworden  •,   Admetos ,  Kyparissos  ,  Hymenaios  usw.  haben 
freihch    erst  Alexandriner,    die    überhaupt    das  Motiv  der  Knaben- 
liebe gern  verwendeten,    zu  seinen  Lieblingsknaben  gemacht.     Die 
meisten  dieser  Ergebnisse  sind  nicht  neu,  aber  unanfechtbar ;  zweifel- 
haft   erscheint   mir,    ob    das  Alter  der  Institution  —  nur  um  eine 
solche   handelt    es    sich,  als  Perversität  hat  die  Homosexualität  zu 
allen  Zeiten  bestanden  —  so  hoch  hinaufreicht,   daß  man  von  der 
Eigentümlichkeit   eines    einzelnen  Stammes   sprechen  kann.     Nach- 
dem die  Heere  des  7.  Jhs.  einen  so  großen  Weibertroß  mitgeführt 
hatten,    wie  wir  es  z.  B.  in  der  Ilias  sehen,    könnte  man  sich  im 
6.  Jh.,  um  die  Strategie  beweglicher  zu  machen,  entschlossen  haben, 
die    Befriedigung     des    Geschlechtstriebes    innerhalb    des    gleichen 
Geschlechtes    gutzuheißen;    es   ist   möghch,    daß    der   Anschauung 
Bethes    und    Beyers    insofern    etwas   Richtiges   zugrunde  liegt,    als 
der  dorische  Spartanerstaat,  der  wenigstens  einen  stehenden  Offiziers- 
stand besaß,  durch  sein  Beispiel  viel  zur  Ausbreitung  der  unnatür- 
lichen Sitte  beitrug.     Ist  dies  richtig,   so  haben  wir  in  dem  Motiv 


Motiv  der  Gattenwahl  und  des  Betrugs  des  Nektanebos.        425 

der  Knabenliebe  ein  nicht  unwichtiges  Kennzeichen  für  das  Alter 
mancher  Sagen.     Vgl.  u.  (437). 

Der  Selbstmord  aus  Vaterlandsliebe  oder  aus  unglücklicher 
Liebe  ist  nach  Hirzel,  Arch.  f.  Rlw.  XI,  1908,  75  ff.  erst  im 
5.  Jh  ein  beliebtes  Motiv  des  griechischen  Mj'thos  geworden.  — 
Das  Motiv  der  G aitenwahl  und  ihrer  Entscheidung  durch  ein 
Geschenk  (z.  B.  einen  Strauß,  Apfel  usw.)  oder  durch  einen  Trank, 
den  das  Mädchen  dem  erkorenen  Freier  darbietet,  handelt  L.  llad  er- 
mach er,  Rh.  Mus.  LXXI,  1916,  1  ff.  Er  versucht  die  orienta- 
lischen Formen  der  Geschichte ,  in  denen  öfters  am  Anfang  ein 
drittes  Motiv,  der  Doppeltraum  der  beiden  für  einander  Bestimmten 
steht,  zu  trennen.  Die  Überreichung  eines  Bechers  in  der  aristo- 
telischen Sage  aus  Massalia  Athen.  XIII  36,  576 '^  soll  ungriechisch 
und  aus  Aristoteles  von  Chares  (ebd.  35,  575^)  in  die  Sage  von 
Zariadres  eingeführt  sein. 

Über  die  Darstellungen  der  verschiedenen  Sagen  von  der 
Äuss  et  s  ung  einer  F  r  au  in  einem  Kasten  handelt 
R.  Engelmann,  Österr.  Jahresh.  12,  1909,  165  ff.  —  Für  den 
Märchenzug,  daß  eine  Frau  verleumdet  und  vom  Gatten  zum  Tode 
verurteilt,  aber  von  ihren  unerkannten  Söhnen  gerettet  wird  (vgl. 
die  Antiope-,  Melanippe-,  Tyrosage)  bringt  G.  Huet,  Rev.  d'ethnogr. 
et  de  soc.  I,  1910,  210  ff.,  II,  1911,  189  ff.  aus  alter  und  neuer 
Zeit  zahlreiche  Beispiele  aus  den  drei  "alten  Erdteüen  und  Poly- 
nesien bei.  Die  meisten  dieser  Geschichten  —  aber  gerade  nicht 
die  griechischen  —  stimmen  mit  dem  Anfang  eines  ägyptischen 
Romans  überein ,  der  in  einem  Papyrus  aus  der  Zeit  des  Kaisers 
Claudius  erhalten  ist:  H.  hält  daher  für  die  Heimat  dös  Märchens 
Ägj'pten  oder  ein  Nachbarland.  Den  Zug,  daß  Mädchen  oder  Frauen 
durch  die  Vorspiegelung  der  Vereinigung  mit  einem  übernatürlichen 
Wesen  gewonnen  werden,  verfolgt  durch  die  Weltliteratur  Otto 
W  e  i  n  r  e  i  c  h  ,  Der  Trug  des  Nektanebos.  Wandlungen  eines 
Novellenstoffs.  Leipzig  -  Berlin  1911.  Die  griechischen  Ge- 
schichten dieser  Art  —  es  werden  außer  der  Geschichte  von 
Nektanebos  und  Olympias  die  von  Muudus  und  Paulina,  Tyrannus, 
Kimon  und  Kalirroe  besprochen  —  sind  teils  novellistische  Er- 
findungen, teils  können  sie  auf  wirkliche  Vorkommnisse  zurück- 
gehen. Zugrunde  liegen  schließlich  Vorstellungen  heUenistisch- 
ägA'ptischer  Mysterienkulte  (schon  Ausfeld  hatte  ägj^jtischen  Ur- 
sprung des  Motivs  angenommen),  doch  sind  allmählich  immer  mehr 
griechische  Elemente  eingedrungen ,  verhältnismäßig  am  wenigsten 
in  die  Fassung  B  (des  lulius  Valerius)  und  in   die  sj-rische  Über- 


426       Verwandte  Motive :  Ti*ug  des  Nektanebo8,Frauenraub, Verwandlung. 

Setzung.  Von  Griechenland  ist  das  Motiv  nach  Indien  gelangt, 
oder  es  ist  hier  selbständig  gefunden  (155  ff.).  Die  mittelalterlichen 
Novellen  lehnen  sich  nach  Weinreich  der  Mehrzahl  nach  an  antike 
Quellen ,  einzelne  vielleicht  an  die  arabischen  Bearbeitungen  der 
indischen  Sagen  an.  —  Der  Wert  der  Arbeit,  die  das  Fortleben 
des  Zuges  bis  in  die  neuere  Zeit  verfolgt  (vgl.  auch  Philol.  LXXII, 
1913,  517  ff.),  liegt  vornehmlich  in  den  literarhistorischen  Unter- 
suchungen ,  die  von  sehr  anerkennenswerter  Kenntnis  des  z.  T. 
abgelegenen  Schrifttums  zeugen.  —  Beispiele  aus  den  Zauber- 
papyri für  die  Überlistung  eines  Weibes  durch  einen  sich  als 
Gott  gebenden  Mann  sammelt  Preisendanz,  Hess.  Blatt,  f. 
Volksk.  XI,  1912,  213  ff.  —  Einen  von  Weinreich  übersehenen 
Erfurter  Text  des  Nektanebosabenteuers  veröffentlicht  H  i  1  k  a  , 
Festschr.  der  Schles.  Ges.  f.  Volksk.  1911  (=  Mitteil.  XIII/XIV) 
S.  188  ff.  Vgl.  auch  Mitt.  XVI,  1914,  80  ff.  —Über  die  zahl- 
reichen Sagen  und  Novellen ,  in  denen  eine  Frau  einen  sie  ver- 
schmähenden Mann  bei  ihrem  Gatten  des  Versuches ,  sie  zu  ver- 
führen bezichtigt,  s.  Wendland,  De  fabellis  antiquis  earumque 
ad  Christianos  propagatione,  Götting.  Universitätsschr.  1911  S.  15  ff. 
—  Auf  die  Verlemdung  des  Phrixos  durch  seine  Stiefmutter  spielt 
nach  Pearson,  Class.  Rev.  XXIII,  1909,  255  vielleicht  schon 
Find.  Pyth.  IV  162  an. 

Über  das  Motiv  der  Entführung  einer  Frau  und  des 
darauffolgenden  Zwcihampfes  handelt  Mülder,  Die  Ihas 
u.  ihre  Quellen  25  ff.  M.  R.  nimmt  er  an ,  daß  es  als  Ursache 
des  troischen  Krieges  nicht  aufgekommen  sein  könne,  als  dieser 
bereits  als  Weltkrieg  der  Griechen  gegen  die  Barbaren  galt;  er 
schheßt  daraus,  daß  es  entweder  aus  einer  Zeit  stamme,  in  welcher 
der  troische  Krieg  noch  nicht  so  großartig  gedacht  war,  oder  nach- 
träglich aus  einer  anderen  Sage  herübergenommen  sei.  Was  Helenas 
Entführung  anbetrifft,  so  ist  m.  E.  beides  zusammengekommen ;  sie 
ist  einerseits  einer  Legende  nachgebildet,  in  welcher  die  Dioskuren 
die  Schwester  zurückführten,  andrerseits  aber  früh  als  Anlaß  für 
den  troischen  Krieg  verwendet  werden ,  als  die  Dichtung  diesen 
noch  nicht  zu  einem  Nationalkampf  erweitert  hatte.  Dagegen  ist 
der  Zweikampf  zwischen  Menelaos  und  Paris  nicht  notwendig  mit 
der  Entführung  verbunden;  er  kann  auch  eine  freie  Erfindung  des 
Dichters  unserer  Ilias  sein. 

Über  die  griechischen  Ve  rwandlungsmythen  will 
W.  Bubbe  in  einem  Buche  handeln,  von  dem  ein  Teil  u.  d.  T. 
De  metamorphosibus  Graecorum  capita  selecta  als  Hallenser  Disser- 


Verwandte  Motive:   Verwandlungen.     Unverwundbarkeit.        427 

tation  1913  (Diss.  Hai.  24.  1)  erschienen  ist.  Es  wex'den  zuerst 
die  Tierverwandlungen  (Aktaios  lo ,  Kallisto ,  Lykaon ,  Odysseus, 
Taygete,  Hekabe),  dann  die  Versteinerungen,  und  zwar  zunächst  die 
auf"  einen  Kult  zurückgehenden,  dann  die  von  Dichtern  erfundenen, 
ferner  die  Ornithogonien ,  und  zwar  zunächst  die  allbekannten, 
darauf  die  nur  bei  jüngeren  Dichtern  erzählten,  endlich  die  Pflanzen- 
verwandlungen besprochen.  Die  Versteinerungssagen  werden  (23  ff.) 
großenteils  aus  der  Form  der  Steine  erklärt.  Mit  der  Annahme 
von  Hypostasen  geht  B.  ziemlich  freigebig  um,  so  sollen  z.  B. 
Taygete  Artemis  (20),  Odysseus  Poseidon  (18),  lo  die  argivische 
Hera  (6  ff.),  Kallisto  die  später  der  Artemis  gleichgesetzte  Bären- 
göttin (12  ff.)  sein.  —  Die  Sagen  von  der  Verwandlung  eines  Gottes 
bei  einem  Liebesabenteuer  erklären  sich  nach  Frazer,  The  dying  God 
82  f.  meist  daraus,  daß  das  Geschlecht,  das  sich  von  solchem  Bunde  her- 
leitete, ursprünglich  das  Tier,  in  dessen  Gestalt  der  Gott  der  Ahnfrau 
genaht  sein  sollte,  für  sein  Totem  hielt.  Aus  der  Pytho-  Kadmos-  Kych- 
reus-  und  Erichthoniossage  folgert  Frazer  ebd.  105,  daß  in  Delphoi, 
Theben ,  Salamis  und  Athen  einst  Könige  herrschten ,  die  eine 
Schlange  im  Wappen  führten.  Mit  der  totemistischen  Erklärung  hält 
Frazer  111  ff.  jedoch  eine  kosmologische  für  vereinbar 5  er  glaubt, 
daß  der  Schlangenkampfmythos  in  einem  religiösen  Drama  aufgeführt 
wurde,  das  die  Besiegung  des  in  Schlangengestalt  vorausgesetzten 
Winter-  und  Sturmdämons  darstellen  und  beschleunigen  soUte,  und 
daß  der  abtretende  und  zum  Tode  bestimmte  König  die  Rolle  des 
unterliegenden  Dämons  spielen  mußte.  Ähnlich  sollen  in  Kreta 
(112)  das  Rind  und  in  Ägypten  der  Habicht  zugleich  Wappen  oder 
Bezeichnung  des  Königs  und  Sinnbild  der  Sonne  gewesen  sein.  — 
Über  die  Blendung  als  Strafe  der  vßgig  handelt  J.  Vürt- 
heim,  Versl.  en  Meded.  Vn,  1916,  409,  ebd.  407  über  die 
Blendung  eines  ungetreuen  Liebhabers  durch  eine  Biene  (s.  0.  131.). 
Dies  Motiv  soll  zuerst  von  Stesichoros  benutzt  worden  sein ,  und 
zwar  in  bezug  auf  Daphnis,  der  schon  vorher  von  Bienen  genährt 
sein  sollte  (Seh.  Theokr.  VII  83)  und  auf  den  wegen  seiner  vßQig 
der  Zag  gut  paßte.  Spätere  haben  den  Zug  auf  Anchises  und 
Rhoikos  übertragen.  — 

Berthold,  Die  ünv  erivundbarJceit  in  Sage  und  Aber- 
glauben der  Griechen  mit  einem  Anhang  über  den  TJnverwundbarkeits- 
glauben  bei  andern  Völkern,  bes.  den  Germanen  (RVuV  XL  1, 
Gießen  1911)  will  aus  literarischen  Zeugnissen  und  aus  Kunst- 
darstellungen nachweisen ,  daß  Achilleus ,  Aias,  die  Aloaden ,  die 
Harpyien ,    Kaineus ,    Kyknos,    Messapos   und  der  nemeische  Löwe 


^28  Vorwandte  Motive. 

erst  seit  dem  Ende  des  6.  Jhs.  als  unverwundbar  galten,  und  daß 
dieser  Zug  bei  Aias,  Kaineus  und  vielleicht  auch  bei  Kyknos  auf- 
kam,  weil  sie  ursprünglich  Erdgeister  waren,  die  lebendig,  also 
unverwundet  in  die  Erde  gestoßen  sein  und  deshalb  in  dieser  fort- 
leben sollten.  Die  Erklärung  ist  scharfsinnig  und  bei  Kaineus  und 
Aias  vielleicht  richtig;  aber  im  allgemeinen  ist  es  bedenklich,  nach 
der  ersten,  leicht  zufälligen  Erwähnung  oder  bildhchen  Darstellung 
das  Alter  eines  Sagenzuges  zu  bestimmen ,  namentlich  eines  so 
märchenhaften,  wie  ihn  die  männliche  Heldensage,  auch  wo  sie  ihn 
vorfand,  zu  verschmähen  pflegte.  Es  ist  daher  wenig  Gewicht 
darauf  zu  legen,  daß  z.  B.  die  Unverwundbarkeit  des  Achilleus 
erst  in  hellenistischer  Zeit  begegnet.  Die  auffallende  Spärlichkeit 
der  Hieb-  und  Stichfestigkeit  in  der  späteren  Magie  ist  der  An- 
nahme ,  daß  dieser  Sagenzug  erst  in  junger  Zeit  aufgekommen  sei, 
nicht  günstig. 

Zahlreiche,  darunter  auch  mythologische  Parallelen  zu  der  Sage 
vom  Ring  des  Polykrates  sammelt  Saintyves,  Rev.  bist, 
rel.  66,  1912-,  49.  —  G.  Paris  wollte  in  einem  1874  in  der 
AIBL  gehaltenen,  aber  erst  jetzt  in  der  ßev.  hist.  rel.  LV,  1907  ', 
151  ff.  u.  d.  T.  Le  conte  du  tresor  du  roi  Rhampsinit  veröffent- 
lichten Vortrag  zeigen,  daß  von  den  18  in  13  Sprachen  erhaltenen 
Fassungen  der  Sage  vom  Meist  er  (lieh,  die  im  griechischen 
Mythos  von  Trophonios  und  Agamedes  eine  bekannte  Entsprechung 
hat,  die  Herodoteische  nicht  die  älteste  ist.  Indien,  an  das  man 
mit  Benfe}'  denken  müßte,  kommt  als  Heimat  der  Novelle  ebenso 
wenig  in  Betracht  als  Äg^^pten.  Eher  ist  mögHch,  daß  die  Sage 
oder  Novelle  in  Assyrien  entstand.  —  Die  Erzählungen  vom  ver- 
borgenen Schatz  zählt  auf  Lock  wo  od,  Transact.  Amer.  Phil. 
Assoc.  XLIV,  1913,  215  ff.  — 

Über  das  Märchen  vom  lahmen  oder  dreih einigen  Hoß 
vgl.  Leßmann  und  Hü  sing.  Die  iranische  Überlieferung  (Myth. 
Bibl.  II  2,  1909)  73  ff.  —  Ebd.  S.  43  ff.  behandelt  Hüsing  das 
Motiv  der  liätselwette.  —  Klinger,  „Zur  Märchenkunde", 
Philol.  LXVI,  1907,  336  bringt  neugriechische  Parallelen  zur 
Glaukossage  (337),  zur  Vorstellung,  daQ  die  Styx  nur  in  einem 
Huf  aufgefangen  werden  können  (339)  und  zur  ^S^r^^ew  Vorstellung 
(342  ff.).  —  Neben  die  Geschichte  von  der  Verzauberung  des 
Geschwisterpaares  Mantinias  und  Derkyllis,  die  am  Tage  tot 
sind,  steUt  Anderson,  PhUol.  hlLYl,  1907,  606  ff.  einige 
Märchen;  ob  genetische  oder  bloß  Gedankenverwandtschaft  vorliege, 
läßt   der   Vf.  unentschieden.  —   Das  Motiv   von  Mi  das'   Ohren 


Verwandte  Motive.  —  Kosmogonien.  429 

vei-folgt  in  der  Märchen-  ixnd  Sagenwelt  C  r  o  o  k  e  ,  Folklore  XXII, 
1911,  183  fiP. 

Die  Mythen  und  Sagen  vom  WiedrrerfjrHncn  eincft 
trocknen  Holzes,  das  in  die  Erde  gesteckt  wird,  teilt  Saint- 
yves,  Rev.  hist.  litt.  rel.  n.  s.  III,  1912,  330  ff.,  421  ff.  in  zwei 
Ellassen:  1)  Sagen,  in  denen  ein  Orakel,  z.  B.  über  die  Unschuld 
eines  schwer  belasteten  Angeklagten  gegeben,  2)  Sagen,  in  denen 
die  Besitzergreifung  eines  Landes  bezeugt  wird.  Zur  zweiten  Art 
werden  429  ff.  z.  B.  die  Mythen  vom  Ergrünen  von  Herakles' 
Keule  und  Athenas  Lanze  gestellt.  S.  443  werden  Parallelen  zu 
dem  Gebrauch  gesammelt,  an  der  sommerlichen  oder  winterlichen 
Sonnenwende  Weinreben  mit  reifen  Trauben  zu  zeigen, 
womit  Saintyves  Begehungen  der  Oschophoria  und  Skirophoria  ver- 
gleicht. 

Wegen  ihi-er  Beziehungen  zu  mehreren  griechischen  Mythen 
gehört  schlieljlich  in  diesen  Kreis  auch  die  Geschichte  von  Charit e 
(Apul.  m.  8.  1  ff.),  die  sich  grausam  an  dem  Verräter  ihres  auf  der 
Eberjagd  verunglückten  Gatten  rächt.  Zahlreiche  Parallelsagen 
sammelt  W.Anderson,  Philol.  68,  1909,  537  ff.;  die  meisten 
Übereinstimmungen  berechtigen  jedoch  nicht  zur  Annahme  eines 
mythologischen  oder  literarischen  Zusammenhangs.  —  Zu  der  Sage, 
daß  Rhampsinit  in  der  Unterwelt  mit  Demeter  würfelte  (Herod. 
II  122),  sammelt  Radermacher,  Zeitschr.  f.  österr.  Gymnasien 
LXIII,  1912,  196  Analogien;  meistens  wird  das  Leben  als  Preis 
eingesetzt,  dementsprechend  ist  es  nicht  selten  der  Todesgott,  mit 
dem  der  Held  würfelt. 

2)  Sagenkreise. 

Zur  Welt-  und  Menschensc1iö])fung.  Das  wissen- 
schaftliche Ansehen,  dessen  sich  der  frühere  Präsident  der  Univer- 
sität Boston  W.  Fairfield  Warren  noch  jetzt  in  Amerika  zu 
erfreuen  scheint,  erfordert  eine  kurze  Erwähnung  seines  neuesten 
Werkes  The  Earliest  Cosmologies.  New- York  o.  J.  (1909),  das 
Ergebnis  40  jähriger  Arbeit  (S.  14) ,  mit  dessen  Veröffentlichung 
er  bereits  1881  in  The  Trae  key  to  Ancient  Cosmolog}^  and 
Mythical  Geography  begonnen  hatte.  Der  Vf.  denkt  eine  Einleitung 
in  das  Studium  der  vergleichenden  Kosmologie  und  damit  aller 
Religion  zu  geben ;  denn  Weltanschauung,  world  view,  steht  seiner 
Ansicht  nach  im  Hintergrund  aller  Religion  und  aller  Philosophie, 
und  zwar  eine  wesentlich  übereinstimmende  Vorstellung,  die  von 
Babylon   zu  Juden,    Ägj'-ptern,    Griechen,    Eraniern  und  Indem  ge- 


430    Sagen  von  der  Weltschöpfung  und  von  den  Menschenaltern. 

bracht  sein  soll.  Nach  diesem  Weltbild  besteht  die  Erde  aus  zwei 
mit  den  Basen  zusammengeschweißten  Pyramiden,  deren  untere 
die  Unterwelt  bilden  soll  und  die  beide  durch  den  Weltenstrom 
in  Verbindung  stehen  sollen.  Für  die  Einzelheiten  dieser  sich  zu- 
letzt ins  Bodenlose  verlierenden  Hypothese,  die  aber,  wie  der  Vf. 
selbst  sagt ,  die  Zustimmung  der  größten  Kenner  gefunden  hat, 
sei  auf  die  eingehende  Besprechung  bei  Gobi  et  d'AlvieUa, 
CroA'ances,  rites,  institut.  I  336  ff.  verwiesen.  —  Eine  reichhaltige 
Zusammenstellung  kosmogonischer  und  anthropogonischer  Vor- 
stellungen, namentlich  solcher,  die  von  den  biblischen  abhängen  oder 
sich  mit  ihnen  wenigstens  vergleichen  lassen,  bietet  Dähnhardt, 
Natursagen  I  1  ff.— K.  Ziegler,  Neue  Jabrbb.  XXXI,  1913,  529  ff. 
will  nachweisen ,  daß  der  Aristophanische  Mythos  im  Sj'mposion 
durch  eine  Mittelquelle  auf  einen  orphischen  Mj^thos  zurückgeht, 
von  dem  auch  Empedokles  abhänge  und  dessen  letzte  Quelle  derselbe 
babylonische  Mythos  sei,  von  dem  auch  Genes.  II  18  ff.  abhänge. 
^Der  Grundstock  der  Anthropogonie ,  die  Piaton  parodiert,  war 
orphisch  und  im  Stil  mj'thisch,  aber  im  Anschluß  an  Empedokles 
überarbeitet  und  einigermaßen  rationalisiert  . .  .  Den  Namen  des 
Orphikers  zu  ermitteln,  der  orphische  Mystik  mit  Empedokleischer 
Spekulation  vereinigt  hat  und  so  zu  der  Ehre  gekommen  ist ,  von 
Piaton  parodiert  zu  werden,  dazu  fehlt  uns  jeder  Anhalt"  (570).  — 
Viele  kosmogonische  Vorstellungen  bespricht  C.  Fries,  Die  griech. 
Götter  und  Heroen  S.  93  ff.  Den  Mittelpunkt ,  von  dem  sie  aus- 
gestrahlt sind,  vermutet  er  in  Babylon. 

Die  Hesiodeische  Sage  von  den  Menschenaltern  wiU 
Ed.  Meyer  (Hesiods  Erga  und  das  Gedicht  von  den  5  Menschen- 
geschlechtern, Genethliacon  für  K.  Robert,  Berlin  1910,  159  ff.) 
gegen  die  Mißverständnisse  der  Neueren  verteidigen,  welche  den 
großartigen  Grundgedanken  der  Dichtung  nicht  erkannten  und  des- 
halb töricht  ändern.  Der  Dichter  will  nach  Meyer  180  nicht 
Sagengeschichte  geben,  sondern  Betrachtungen  über  die  Bedingungen 
und  Aufgaben  des  menschlichen  Lebens.  Das  heroische  Geschlecht 
unterbricht  zwar  den  logischen  Fortschritt,  ist  auch  insofern  über- 
flüssig ,  als  die  Helden  bereits  in  dem  vorhergehenden ,  ehernen 
einbegriffen  sind,  ist  aber  vom  Dichter  hinzugefügt,  weil  er  durch 
eine  ältere  Überlieferung  gebunden  war  (183)  und  überdies  das 
Erzalter  nur  von  der  rohen  Seite  geschildert  hatte.  Die  übrigen 
4  Geschlechter  zerfallen  in  2  Gruppen  (1)  das  goldene  und  silberne, 
(2)  das  eherne  und  eiserne,  die  den  Regierungen  des  Kronos  und 
Zeus    entsprechen.      Zeus    führt    gleichzeitig    den    Untergang    des 


Sagen  von  den  Weltaltern  und  der  Sintflut.  431 

silbernen  Geschlechtes  und  der  Titanen  herbei.  Der  Sinn  des 
Mythos  vom  silbernen  Zeitalter  ist  nach  M.,  daß,  wenn  es  ein 
goldenes  Geschlecht  gegeben  hat,  das  nächste  ganz  anders  aussehen 
muß,  weil  Wohlstand  und  Üppigkeit  notwendig  zur  VerweichlichuDg, 
zum  Nachlassen  der  körperlichen  und  geistigen  Kraft  führen  (179) ; 
das  goldene  Zeitalter  soll  also  als  Utopie  hingestellt  werden  (186).  — 
Nach  V.  Wilamowitz,  Aisch.  139  ist  die  Geschichtsphilosophie, 
die  aus  der  Sage  von  den  Weltaltern  zu  uns  spricht,  aus  dem 
ntergang  der  hohen  kretisch-mykenischen  Kultur  abstrahiert.  — 
Eine  Reihe  von  Artikeln  in  Hastings  Encyclop.  of  Relig.  I  183  ff. 
behandelt  die  Sage  von  den  Weltaltern  in  den  Literaturen  ver- 
schiedener Völker ;  die  babylonischen  Sagenformen  stellt  A.  J  e  r  e  - 
mias  dar,  die  ägyptische  Griffith,  die  griechisch-römische 
K.  F.  Smith.  —  Assyrischen  Ursprung  der  indischen 
Sage  von  den  vier  Weltaltern  folgert  aus  den  dabei  genannten 
Zahlen  F.  Rock,  Zs.  f.  Assyr.  XXIV,  1910,  818  f. 

Sintflutsage.  Dem  assyrischen  Sintfluthelden  Utnapistim 
werden  Weisheitssprüche  in  den  Mund  gelegt  (Ebeling,  KT  AR 
no.  27);  vgl.  Zimmern,  Zs.  f.  Assyr.  XXX,  1915/0,  185.  — 
Einen  von  ihm  1909  gefundenen  babylonischen  Sintflutbericht  gibt 
H.  V.  Hilprecht,  The  Earliest  Version  of  the  Babylonian  Deluge 
Story,  Philadelphia  1909  heraus;  vgl.  L.  Delaporte,  Rev.  hist. 
rel.  LXI,  1910  ^  343  ff.  Die  Erzählung  berührt  sich  z.  T.  mit 
der  des  Priesterkodex,  deshalb  setzt  Hilprecht  sie  auf  Grund  einer 
irrigen  Vorstellung  von  dessen  Alter  ungefähr  in  das  Jahr  2000 ; 
s.  dagegen  Loisy,  Rev.  hist.  litt.  rel.  n.  s.  I,  1910,  306;  in  einer 
zweiten  Veröffentlichung  „Der  neue  Fund  zur  Sintflutgeschichte 
aus  der  Tempelbibliothek  von  Nippur"  Leipz.  1910  verzichtet  Hil- 
precht auf  seine  Zeitbestimmung.  Eine  phrygische  Sintflutlegende 
versucht  A.  Rein  ach,  Noe  Sangarion.  Etüde  sur  le  deluge  en 
Phrygie  et  le  syncretisme  judeo  -  phrygien ,  Paris  1913  wieder- 
herzustellen auf  Grund  einer  auf  Thasos  gefundenen  Grabinschrift 
Nöri  ^ayyaQiov  yvvri  und  der  bekannten  phrygischen  Münzen  oder 
Medaillons  aus  der  Zeit  des  Septimius  Severus,  Macrinus  und 
Philippus;  er  meint  nämlich,  daß  die  auch  von  ihm  angenommene 
\md  in  den  Schluß  des  3.  Jhs.  v.  Chr.  gesetzte  Übertragung  der 
jüdischen  Noahgeschichte  nach  Phrj^gien  dadurch  erleichtert  wurde, 
daß  die  Phrj^ger  bereits  vorher  infolge  uralter  Verbindungen  mit 
Armenien  Überlieferungen  über  eine  große  Flut  hatten,  die  an  den 
später  mit  Henoch  ausgeglichenen  Annakos  oder  Nannakos  und 
dessen  Tochter,  die  Wassergottheit  Na,  Nae,  Nana  oder  Noe,  eine 


432  Sintflutsage. 

Hypostase  der  großen  Göttermutter,  anknüpfte.  Vgl.  dagegen 
Wide,  Berl.  Phil.  Wscbr.  XXXV,  1915,  499.  —  Ohne  von  den 
neuen  assyrischen  Texten  Kenntnis  zu  haben ,  mustert  Georg 
Gerland,  Der  M3-thos  von  der  Sintflut,  Bonn  1912,  von  den 
\vestasiatisch-semitischen  Erzählungen  ausgehend,  die  Verbreitung 
der  Sage  in  dieser  Reihenfolge :  Afrika ,  Australien ,  Melanesien, 
Miki'onesien,  Pol3'nesien,  Malaisien,  Zentraleuropa,  Ostasien,  Eskimo- 
länder, Nord-  und  Südamerika,  Indien.  Griechenland  wird  mit 
einem  Hinweis  auf  Useners  Buch  kurz  abgetan.  Daß  den  Sagen 
die  Erinnerung  an  ein  Ereignis  der  Urzeit  oder  an  örtliche  Über- 
schwemmungen zugrunde  liege,  bezweifelt  Gerland  wie  Usener,  aber 
mit  der  eigenartigen  Begrtlndung,  daß  ihre  verhältnismäßige  Gleich- 
förmigkeit als  gemeinsame  Grundlage  eine  Naturerscheinung  erfordere, 
die  dem  Menschen  in  allen  Teilen  der  Erde  wesentlich  gleichartig 
entgegentrete.  Als  solche  kann  er  sich  nur  das  Himmelsgewölbe 
denken:  Dieses  wird  „in  seiner  Einheit,  in  seiner  leuchtenden  Ver- 
schiedenheit gegenüber  der  sonstigen  Welt  von  der  gesamten  Ur- 
menschheit,  die  nur  anthropomorphisch  auffassen  kann,  einheitlich 
zusammengefaßt  in  den  ursprünglich  anthropomorphisch  empfundenen 
und  gedachten  Gottesbegriff,  der  hier  seinen  Ursprung  hat  für 
alle  Völker,  die  ihn  über  die  ganze  Erde  hin  alle  gleichmäßig  be- 
sitzen und  gleichmäßig  projizieren".  Während  Usener  die  Sintflut- 
mythen hauptsächlich  auf  die  Sonne  deutete,  erklärt  Gerland  sie 
aus  einem  mit  dem  primitiven  Gottes-  und  Tabubegriff  eng  zu- 
sammenhängenden Mondmythos.  S.  dagegen  Wünsch,  Berl. 
Phil.  Wschr.  XXXIII,  1913,  617.  Über  Andr6e  hinaus 
ist  ein  Fortschritt  durch  die  Vermehrung  der  Sagen  bei 
heutigen  Wilden  erzielt  worden;  leider  läßt  die  Genauigkeit 
in  der  Wiedergabe  der  Berichte  zu  wünschen  übrig,  vgl. 
H.  Greßmann  ZDMG  LXVI  503  ff.  —  Die  Sintflut- 
sagen heutiger  wilder  Völker ,  die  Dähnhardt,  Natur- 
sagen I  257  ff.  sammelt,  gehen  großenteils  auf  den  biblischen 
Bericht  zurück,  der  freilich  oft  willkürlich  erweitert  oder  verkürzt 
und  auch  verändert  wird.  —  Die  griechischen  Sintflutberichte  leitet 
C.  Fries,  Die  griechischen  Götter  und  Heroen  60  ff.  von  den 
babylonischen  her,  glaubt  aber,  daß  sie  insofern  altertümlicher  als 
dessen  uns  vorhegende  Fassungen  und  auch  als  die  biblische  seien, 
als  sie  den  aus  rationalistischen  Bedenken  hinzugefügten  Zug  von 
der  Einsperrung  der  Tiere  in  der  Arche  nicht  kennen.  Deukalion 
und  die  wenigen ,  die  sich  auf  die  Berge  retten ,  sind  nach  Fries 
alte    Götter ,    Deukalion    eins    mit   Prometheus ;    es    soll    sich    ur- 


Sintflut-  und  Argonautensage.  433 

sprünglich  nicht  um  eine  Vernichtung  der  Menschen ,  sondern 
um  eine  Zerstörung  der  Welt  gehandelt  haben.  —  Nach  Baeh- 
rens  ,  Stud.  Serv.  I  24  hat  vielleicht  Akusilaos  zuerst  die 
Deukalionische  Flut  von  der  Ogygischen  unterschieden  und  jene 
mit  Lykaons  Frevel  begründet.  Ov.  Metam.  I  2G0  führt  Baehrens 
auf  ein  mythologisches  Handbuch  (vgl.  Apollod.  bibl.  3.  99)  zurück, 
vielleicht  dasselbe ,  aus  dem  auch  Interpol.  Serv.  Aen.  6 ,  41 
schöpfe;  Vollgraff,  Nikand.  und  Ov.  I  99  hatte  für  v.  313—415 
an  Nikandros  gedacht.  Die  Landung  auf  dem  Athos  beim  Interpol. 
Serv.  a.  a.  0.  stammt  nach  Baehrens  ebd.  26  f.  aus  Varros 
Schrift  de  gente  popuh  Romani  und  mittelbar  aus  Hegesippos,  der 
(27)  vor  Nikandros,  aber  nach  Ephoros  lebte,  und  die  Überlieferung 
dieses  von  den  Giganten,  den  ruchlosen  Bewohnern  Pallenes,  durch 
die  Sage  entkräften  woUte ,  daß  von  der  Chalkidike  vielmehr  das 
Geschlecht  der  frommen  neuen  Menschheit  ausgegangen  sei. 

Die  Untersuchungen  über  die  Argonautensage  wurden  zu- 
meist im  II.  Hauptteil  dieses  Berichtes  besprochen,  der  aus  Raum- 
mangel weggelassen  werden  muß ;  hier  seien  nur  einige  Arbeiten  er- 
wähnt. Das  goldene  Vließ  war  nach  Svoronos,  Journ.  intern,  d'arch. 
num.  XVI,  1914, 148f.  Abzeichen  (az^ooro/ltov)  und  Totem  des  Schiffes, 
auf  dem  Phrixos  nach  Kolchis  fuhr;  als  Totem  mußte  es  von  den 
Thessalern  zurückerobert  werden.  Argo  „die  Weiße"  soll  zum  Tauben- 
heros Pelias  {neXeia  „wilde  Taube")  gehören,  aber  auch  der  Tauben- 
totem von  Dodona  sein  und  daher  eine  Taube  der  Argo  voraus  durch  die 
Symplegaden  vorausfliegen.  —  Zur  Erklärung  des  Ausdrucks  ^^gyct) 
■näoi  (uaXovaa  (.t  70  erinnert  P.  Maas  bei  Kranz,  Herm.  L,  1915, 
102,  5  an  Pind.  JTt;^.  4,  327  xov  de  7tai.i7tEi&^  yXvy.vv  7jfiid^E0iGiv 
Ttod-ov  evdaiev  "Hga  vadg  lAqyovg.  Die  Landung  der  Argonauten 
auf  Lemnos  mizß  nach  Robert,  Herm.  XLIV,  1909,  380  f.  bei 
Eurip.  ^YxpiTT.  vor  dem  Männermord  erfolgt  sein.  Thoas  ist  noch 
König;  seine  Tochter  verbindet  sich  mit  lason  in  legitimer  Ehe, 
und  dieser  nimmt  nach  zwei  Jahren  die  ihm  von  Hypsipyle  ge- 
borenen Kinder  Thoas  und  Euneos  von  der  Mutter  Brust  nach 
Kolchis  (nicht  nach  lolkos ,  wie  Mahaffy  einsetzen  wollte)  mit. 
Erst  nachher  soU  Hypsipyle  ihren  Vater  töten ,  rettet  ihn  und 
flüchtet  an  die  Küste ,  wo  sie  von  Piraten  aufgegriffen  und  nach 
Nauplia  als  Sklavin  verkauft  wird.  Um  Hypsipyle  nach  Nemea  zu 
führen  und  sie  der  in  den  früheren  Darstellungen  nach  Robert 
wahrscheinlich  unbenannten  Amme  des  Opheltes  gleichzusetzen, 
mußte  Euripides  den  Männermord  nach  dem  Argonautenabenteuer 
ansetzen ;  in  der  alten  Sage  hatte  sie  zwar  auch  ihren  Vater  ver- 
Jahresbericht für  Altertumswissenschaft.    Bd.  186  (Snpplementband).  28 


434  Argonautensage.    Thebanischer  Kreis. 

schont,  war  aber  nibig  in  Lemnos  Königin  geblieben,  weil  niemand 
•wußte,  daß  Thoas  durch  Dionysos  (nach  dem  Taurerland?)  gerettet 
war.  Indem  die  Mythographen  (Apollod,  I  114;  Hyg.  f.  15)  ver- 
suchten ,  die  Euripideische  Reihenfolge  mit  der  älteren  zu  ver- 
einigen, ergaben  sich  nach  ßobert  S.  397  Ungereimtheiten.  Auch 
im  folgenden  hat  EuripiJes  nach  Robert  eine  eigentümliche  Fassung 
der  Sage  geboten.  lason  bezwingt  den  Drachen  nicht,  sondern 
wird  von  diesem,  der  erst  nachher  dem  Herakles  erliegt,  ver- 
schlungen. Nach  dem  Tode  des  Vaters  bringt  Orpheus  beide 
Kinder,  die  dann  die  Mutter  retten,  nach  Thrakien.  Daß  Hypsipyle 
Kebsweib  des  Lykurgos  war,  ist  nach  Robert  386  unwahrschein- 
lich. —  Eine  argivische  Form  der  Argonautensage  erschließt  Voll - 
graff ,  Neue  Jahrbb.  XXV,  1910,  315  aus  den  argivischen  Heroen  auf 
der  Argo.  Nach  Friedländer,  Rh.  Mus.  LXIX,  1914,  299  flF. 
ist  die  Sage  erst  in  Milet,  aber  mit  Benutzung  mutterländischer 
Sagen  geformt  worden:  Phrixos  soll  aus  Thessalien,  Medeia  aus 
der  östlichen  Peloponnes ,  die  Sage  von  den  Kämpfen  in  Kolchis 
aus  der  mUesischen  Kadmossage  stammen.  Kolchis  wurde  an 
die  Stelle  des  mythischen  Aia,  nach  dem  Aietes  heißt,  gesetzt, 
als  die  Milesier  an  die  Ostküste  des  Schwarzen  Meeres  ge- 
langten. Die  fertige  Argonautensage  wurde  (312  ff.)  aus  dem 
milesischen  Epos  nach  Korinth  übernommen,  wo  man  schon  vorher 
von  Medeia,  der  göttlichen  Gattin  eines  SterbHchen,  vielleicht  auch 
schon  von  lason  erzählte. 

Thebanischer  Sag enhr eis.  fLeon  Legras,  Les  legendes 
thebaines  dans  l'epopee  et  la  tragedie  grecques,  Paris  1905.  Der 
Vf.  versucht  unter  Benutzung  auch  der  Lyriker  (114  ff.),  der  Logo - 
graphen  (121  ff.)  und  der  bildlichen  Überlieferung  den  Inhalt  der 
einzelnen  Epen  festzustellen.  Die  Sage  selbst  ist  seiner  Ansicht 
nach  in  den  Haupttatsachen  geschichtlich,  boiotische  Anführer  sind 
z.  B.  wirklich  wie  Polyneikes  in  die  Peloponnes  gekommen,  da- 
gegen sind  die  Namen  aus  Legenden  und  andern  örthchen  Über- 
lieferungen genommen;  Oidipus  z.  B.  wird  als  Schlangenfuß,  also 
als  chthonischer  Dämon  erklärt.  —  Daß  ursprünglich  nur  ein  Zug 
gegen  Theben  überliefert  war,  folgert  Valeton,  Mnemos.  XLI, 
1913,  35  aus  £412  ff-,  wo  statt  Tydeus  (5*120)  Diomedcs  Schwieger- 
sohn des  Adrastos  heißt.  Es  gab  ursprüngHch  zwei  Sagenfassungen, 
nach  der  einen  hatte  Diomedes ,  nach  der  andern  Tydeus  an  der 
Eroberung  Thebens  teilgenommen.  Erst  durch  die  Vereinigung 
beider  Sagen  ist  nach  Valeton  auch  Tydeus  Schwiegersohn  des 
Adrastos    geworden.  —  Daß  der  Zug  der  Sieben  gegen  Theben  in 


Thebanisclie  Sage.  435 

der    Kaikosebene    gedichtet  sei,    folgert  Friedländer,  Rh.  Mus. 
1914,  327  ff.  daraus,  daß  1)  Theben  nie  siebentorig  war  (doch  hat 
V.  Wilamowitz,    der  dies  behauptete,  jetzt  seine  Aufstellungen 
eingeschränkt ,    s.    0.    {343}) ;    2)  Thersandros ,    Polyneikes'    S. ,    in 
Elaia   begraben    sein    sollte ;    3)  die   Bestechung  Astyoches    in  der 
kleinen   Ilias    der   Eriphyles    nachgebildet    ist;    4)  Aristagoras    von 
Tenedos  sein  Geschlecht  auf  Melanippos  zurückführte  (Pind.  Nem. 
11,  37);    5)  nach    der   Homervita   des   Ps.-Herod.    die  'yifAcpioQÜov 
i^eXaaig  in   Neonteichos   entstanden    ist.  —  Über   die  Listen    der 
Teilnehmer  am  Zuge  der  Sieben  und  am  Epigonenzug,   welche  die 
Thebais  und  die  Alkmaionis  boten,  kommt  zu  ähnlichen  Ergebnissen  wie 
E.  Bethe  Pomtow,  Klio  VIII,  1908,  321  f.    Auf  die  Thebais  sollen 
zurückgehen,  wenigstens  deren  Katalog  voraussetzen,  die  den  Tra- 
gikern vorliegenden  Verzeichnisse,  die  Liste  bei  Seh.  z/  404,  endhclj 
auch  die  argivische  Reihe  von  Statuen  der  Epigonen  in  Argos  (Paus. 
II  20,  5)   und   auch    die    Reihe    von  Teilnehmern    am    ersten  Zug, 
welche    die  Argiver   nach   der  Schlacht   bei  Oinoe    in  Delphoi    ge- 
widmet  hatten   (Paus.  X  10,  3);    nur    soll   hier  Parthenopaios    als 
Nichtargiver  ausgelassen  und  dafür  zwar  nicht  HaKtherses,  der  nur 
zu  Amphiaraos'  Wagen ,    nicht    unter   die  Zahl   der  sieben  Fürsten 
gehöre,  eingetreten ,  wohl  aber  die  überlieferte  Siebenzahl  dadurch 
bewahrt    sein ,    daß   Adrastos ,    der   in    der  Thebais    außerhalb  und 
über  der  Reihe  der  sieben  Fürsten  stand,  mitgezählt  wurde.     Da- 
gegen folgten  die  Argeier,  als  sie  im  4.  Jh.  in  Delphoi  die  Statuen 
der  Epigonen   weihten,    nach   Pomtow    der   damals   berühmter  ge- 
wordenen Alkmaionis  (Paus.  X  10,  4) ;  so  soll  es  sich  erklären,  daß 
in  den  beiden  argivischen  Reihen  in  Delphoi,  die  Paus,  überliefert, 
nicht  jeder  Epigone    einen    der  Sieben   zum  Vater  und  umgekehrt 
nicht  jeder  Teilnehmer   am    ersten  Zug  einen  Epigonen  zum  Sohn 
hat.    Die  Liste  der  Alkmaionis  bietet  nach  Pomtow  auch  Apollod. 
TTT  81  ff.  —  Zu  ähnlichen  Ergebnissen  gelangt  Cat.  Corbellini, 
Studi  ital.  fil.  class.  XIX,  1912,  337  ff.    Die  'ETtiyovot  ließen,  wie 
Corbellini  nachweisen  will,  die  Söhne  der  in  der  Orjßaig  getöteten 
Argiver  gegen  Theben  ziehen.    Diese  Liste  lag  dem  Dichter  der  Ilias 
und  auch  Aisch.  vor;  sie  erscheint  ferner  Seh.  ^  404.    Eine  andere 
Liste  bot  die  lAhz-i-iaitovlg ,    aus  welcher  der  Schiffskatalog,  ferner 
Paus.  X  10,  4  und  ApoUod.  ßißX,  3,  82  schöpfen.    Die  Argeier  haben 
in   ihrer    Stadt    Statuen    nach    der   Liste    der  'Eniyovot    (Paus.  II 
20,  5),  andere  in  Delphoi  (ebd.  X  10,  4)  nach  der  der  L^Xyifuaicovlg 
gestiftet,  die  zu  Diomedes  und  Sthenelos  auch  Euryalos  als  argivischen 
Fürsten  stellt.  —  Im  Gegensatz  dazu  führt  Robert,  Oid.  1 244  die  del- 

28* 


436  Thebanischer  Sagenkreis. 

pilische  Epigoneugrujjpe  der  Ai'geier  auf  die  Thebais,  die  Gruppen 
in  Argos  aber  auf  Eurip.  (Doivioaai  zurück.  —  Wenn  trotz  dieser 
Abweichungen  im  einzelnen  über  das  Quellenverhältnis  in  den  Haupt- . 
punkten  eine  gewisse  Übereinstimmung  heiTscht,  wenn  insbesondere 
ziemlich  allgemein  angenommen  wird,  daß,  wie  auch  Robert  Oid. 
I  240  glaubt,  die  Liste  der  Sieben  bei  den  Tragikern  auf  die 
Thebais  zurückgeht ,  so  ist  das  scheinbar  eine  Gewähr  dafür ,  daß 
dieses  Ergebnis  jetzt  gesichert  sei;  aber  dabei  ist  vorausgesetzt, 
daß  es  nur  wenige  in  den  großen  Epen  überlieferte  Sagenformen 
gab.  Allein  jede  Dichtung,  die  den  Sagenkreis  ausführlich  be- 
handelte oder  auch  nur  berühi'te ,  konnte ,  selbst  wenn  sie  bald  in 
Vergessenheit  geriet,  unter  der  Gunst  unberechenbarer  Umstände 
in  Gestaltung  des  Stofifes  Nachfolger  finden ;  deshalb  ist  die  Zahl 
der  Möglichkeiten  größer  als  die  durch  die  Überlieferung  gebotene. 
Wie  Sophokles  und  Euripides  wahrscheinlich  durch  Aischylos'  ^ErtTa 
bestimmt  wurden,  so  kann  diese  Dichtung,  die  überdies  auch  selbst 
den  Stoff  im  einzelnen  verändert  haben  wird,  von  einer  uns  un- 
bekannten Vorlage  abhängen.  Versteckte  Beziehungen  scheinen 
darauf  zu  weisen,  daß  das  Verhältnis  der  Sagenfassungen  nicht  so 
einfach  ist,  als  gewöhnlich  angenommen  wird.  Halitherses  hat  viel- 
leicht ursprünglich  zu  Parthenopaios  und  Atalante  gehört,  die  in 
der  alten,  von  einem  samischen  Dichter  geplünderten  Sage  vom 
Kalydonischen  Eber  neben  einem  Ankaios  stand;  es  ist  doch  wohl 
kein  Zufall,  daß  nach  Asios  bei  Paus.  VII  4,  1  der  samische 
Ankaios  einen  Sohn  Halitherses  hat.  Aus  den  beiden  wahrschein-, 
lieh  unabhängigen,  jedenfalls  früh  getrennten  Nachbildungen,  der 
samischen  und  der  argivisch-arkadischen,  die  beiden  zugrunde  liegende 
Urform  zu  erschließen  oder  gar  anzunehmen,  daß  der  argivische 
Halitherses  Atalantes  Sohn  und  Bruder  des  Parthenopaios  war,  ist 
natürlich  nicht  gestattet,  aber  die  Übereinstimmung  in  dem  seltenen 
Namen  zeigt  recht  anschaulich,  was  freilich  ohnehin  angenommen 
werden  muß,  daß  neben  den  bekannten  Faktoren  bei  der  Entstehung 
des  Sagenstoffes  auch  unbekannte  mitgewirkt  haben  können.  —  Da- 
durch wird  zugleich  einer  anderen  Vermutung  der  Boden  entzogen. 
Nach  V.  Wilamowitz  Aischyl.  100  wurde  Parthenopaios  durch  fort- 
wuchernde Erfindung  zum  Jungfernsohn,  zu  Atalantes  Sohn,  zum 
Arkader  gemacht,  also  nicht  mehr  als  Argeier  gezählt  und  deshalb  im 
5.  Jh.  durch  den  früher  nicht  hervortretenden  Eteoklos  ersetzt  (zuerst 
bei  Aisch.  tnt.  457).  Von  vielen  anderen  Vermutungen  von  v.  Wilamo- 
witz sei  hier  nur  noch  erwähnt,  daß  die  „Labdakidensage",  d.  h.,  wenn 
ich  ihn  recht  verstehe ,    die  Sage  von  dem  Fluche ,    der  auf  Laios 


Thebanischer  und  troischer  Sagenkreis.  437 

und  Oidipus  lastet,  nicht  älter  sei  als  das  7.  Jh.,  und  zwar  auch 
darum,  weil  sie  moralische  Probleme  behandelt,  wenn  auch  der 
delphische  Gott  nicht  von  Anfang  an  die  Geschicke  lenkte.  Diese 
Zeitbestimmung  erscheint  mir  richtig,  sie  führt  aber  zu  der  von 
dem  Verfasser  wohl  nicht  gezogenen  Folgerung,  daß  die  Knaben- 
liebe als  gesetzhche  oder  wenigstens  nach  dem  allgemeinen  Urteil 
zugestandene  Einrichtung  noch  jüngeren  Ursprungs  ist,  da  eine 
Fassung  der  Sage  den  auf  Laios  ruhenden  Fluch  mit  dem  Raub 
des  Chrysippos  begründet.  —  Über  v.  Wilamowitz'  weitere  Ver- 
mutungen s.  o.  {436). 

Innerhalb  des  troischen  Sagenkreises  unterscheidet 
Valeton,  Mnemos.  XL,  1912,  1  ff.,  285  ff.,  XLI,  1913,  26  ff., 
243  ff.  acht  Bestandteile :  Der  älteste  troische  Kyklos ,  etwa  im 
12.  Jh.  entstanden  (XL  314),  ließ  hauptsächhch  Boioter  und  Lokrer 
unter  Führung  des  Aias,  dessen  Vater  bald  Oileus,  bald  Telamon 
genannt  wird ,  von  Aulis  nach  Troia  fahren ,  wo  Patroklos  von 
Euphorbos ,  Hektor  von  Aias  getötet  wird.  Reste  oder  Nach- 
wirkungen dieses  Bestandteils  sollen  sich  Jf  271  und  H411  finden 
(ebd.  15).  Der  Phoker  Epeios  kam  schon  in  dieser  Sagenform  vor, 
ebenso  Hektors  Flucht  um  die  Stadtmauer,  weil  sie  (ebd.  19)  im 
Gegensatz  zu  den  späteren  Sagen,  die  den  Krieg  zehn  Jahre  dauern 
und  die  Hilfsvölker  während  der  ganzen  Zeit  in  Troia  wohnen 
ließen,  den  kleineren  Umfang  der  Stadt  voraussetzt.  Außer  Aias 
sollen  dieser  ältesten  Sage ,  wie  aus  dem  Schiffskampf  in  N  ge- 
folgert wird,  fast  alle  großen  Helden,  insbesondere  Achilleus  (statt 
dessen  Medon  und  Podarkes  in  Phthia  geboten ,  N  699) ,  Aga- 
memnon, Dioraedes,  Elephenor,  Eurypylos,  Idomeneus,  Leonteus, 
Machaon,  Menelaos,  Meriones,  Nestor  und  seine  Söhne,  Odysseus, 
Philoktetes,  Podaleirios,  Polypoites  und  Tlepolemos  gefehlt  haben. 
Die  geschichtliche  Grundlage  dieses  ältesten  Sagenbestandes  ist  die 
Besiedelung  der  troischen  Landschaft  durch  Mittelgriechen,  die 
bald  mit  den  Urbewohnem,  den  Dardanern  und  den  griechenfreuud- 
lichen,  ihren  Eponymos  zu  Aias'  Bruder  machenden  Teukrern  ver- 
schmolzen (XL  26).  Daß  auch  attische  Ansiedler  sich  in  der 
Pflanzstadt  niederließen,  wird  (ebd.  23  f.)  aus  der  Gestalt  des 
Erichthonios  (dessen  Name  aber  in  Wahrheit  attisch  wahrschein- 
lich Arichthonios  gelautet  hätte)  und  aus  dem  Namen  Troia  ge- 
folgert, den  die  Stadt  nun  erhielt  und  der  aus  dem  Tqwiov  6rjf.iogf 
d.  h.  Xypete  (Str.  XIII  1,  48,  S.  604)  stammen  sollte;  sonder- 
barerweise erinnert  sich  Valeton  nicht  des  Begleiters  des  Hesiodos 
Troilos    und  der  gleichnamigen   lokrischen  Klippe  (Plut.  conv.  VII 


438  Troischer  Sagenkreis. 

sap.  19;  cert.  Hesiodi  3,  236  Ez.);  der  andere  Name  J=ihov 
■^nirde  der  Ansiedluiig  nach  dem  lokrischen  Apollon  .FiXsvg  ge- 
geben. Beide  Benennungen  wurden  aber  von  den  neuen  Bewohnern 
auch  auf  die  frühere  Stadt  übertragen,  auf  deren  Trümmern  ihre 
Häuser  lagen,  und  Apollon,  unter  dessen  Schutz  sie  ausgefahren 
waren,  wurde,  weil  sein  Name  von  dem  der  Stadt  unzertrennlich 
war,  sogar  Schirmer  der  früheren  Bewohner.  Dagegen  stand  Ares 
in  dem  lokrisch-boiotischen  Kyklos ,  wie  Valeton  ebd.  35  aus  der 
Überwindung  seines  Sohnes  durch  Deiphobos  {N  518)  folgert,  auf 
Seite  der  Griechen.  Daß  der  Telamonier  Aias  Boioter  war,  ergibt 
sich  nach  Valeton  ebd.  8  aus  Tychios  von  Hyle,  dem  Verfertiger 
seines  Schildes  (H  220  f.),  und  aus  seinem  Hervortreten  beim 
Scliiflfskampf,  bei  dem  hauptsächlich  boiotische  Helden  beteiligt 
sind.  Ein  ziveiter  Bestandteil  der  troischen  Sage  spielt  ursprüng- 
lich in  Thessalien ;  er  erzählte  von  der  Zerstörung  des  phthiotischen 
Thebens  und  dem  Tode  des  Achilleus  durch  Alexandros,  der  selbst 
dem  Philoktet  erliegt.  Dieser  Sagenkreis  wurde  etwa  im  11.  Jh. 
geschaflfen,  er  muß  nach  Valeton  ebd.  314  jünger  sein  als  der  erste, 
boiotisch-lokrische,  denn  er  setzt  Achilleus,  der  eigentlich  wie  sein 
Vater  Peleus,  seine  Mutter  Thetis  und  sein  Erzieher  Chiron  an 
das  Peliongebirge  gehört,  bereits  in  Phthia  voraus,  während  der 
boiotische  Sagenkreis  zwar  andere  Phthioten,  aber  noch  nicht 
Achilleus  gegen  Troia  ziehen  läßt.  Zu  diesem  Kyklos  gehört 
(ebd.  307)  auch  Machaons  [A  505)  und  Eurypylos'  {A  581) 
Verwundung  durch  Alexandros ,  der  ursprünglich  Thessaler  war. 
Ein  dritter  Kyklos  berichtete  nach  Valeton  von  Achilleus'  Zügen 
nach  Lesbos  und  den  Kämpfen  gegen  den  Dardanerkönig  Aineias, 
den  Lelegerkönig  Altes ,  von  der  Eroberung  von  Pedasos  und 
Lymessos.  Den  Kämpfen  um  Pedasos  am  Satnio[ei]s  ist  (ebd.  290) 
die  i^ccxr;  TiaQanOTai^ia  nachgebildet;  eigenthch  soll  Achilleus 
Sieger  über  den  Satnios  (H  442)  gewesen  und  Lykaon  ursprüng- 
lich am  Satnio[ei]3  vor  der  Stadt  seines  Großvaters  Altes  gefallen 
sein.  Eine  Nachwirkung  des  Flußkampfes  bei  Pedasos  soll  auch 
Z  21  vorliegen,  wo  aber  für  Achilleus  Euryalos  und  für  den 
Satnio[ei]s  der  Aisepos  eingetreten  ist.  Diese  Kämpfe  des  Achilleus 
in  der  Umgegend  von  Troia  führten  leicht  dazu,  ihn  in  die  troische 
Sage  zu  verflechten;  er  zog  dahin  seinen  Überwinder  Alexandros, 
der  mit  Paris  ausgeglichen  wurde,  und  dieser  wiederum  den  Philoktet, 
dem  er  in  der  thessalischen  Sage  erlegen  war  (ebd.  308),  nach  sich. 
Aineias  wurde  Troer,  und  der  Plußkampf  sollte  nun  am  Skamandros 
erfolgt  sein.     Das  ist  nach  Valeton  die  vierte  Sagenschicht.     Eine 


Troischer  Sagenkreis.  439 

fünfte-,  in  der  Peloponnes  entstanden,  berichtete  von  dem  Raube 
Helenas  durch  Paris,  der  aber  noch  nicht  Troer  war,  und  ihrer 
Rückführung  durch  Agamemnon  und  Menelaos.  Ein  sechster  Kyklos 
umfaßte  Diomedes'  Kämpfe  mit  ApoUon,  Pandaros ,  Aphrodite, 
Aineias,  ein  siebenter,  in  der  Doris  entstanden,  Tlepolemos'  Kampf 
gegen  die  Lykier,  ein  achter,  kretischer,  Idomeneus'  und  Meriones' 
Kämpfe  in  Kreta.  lonier  haben  Helenas  Räuber  nach  Troia  ge- 
setzt und  Sarpedous  Sieg  über  Tlepolemos  hinzugefügt.  Auch  die 
peloponnesischen  Helden  sind  nach  Valeton  (XLI  41  ff.)  erst  in 
lonien ,  wohin  viele  Peloponnesier  ausgewandert  waren ,  in  die 
troische  Sage  gekommen,  und  zwar  von  ihren  Erlebnissen  zuerst 
der  Zweikampf  des  Paris  und  Menelaos ,  dann  Menelaos'  und 
Odysseus'  Gesandtschaft  in  Troia,  darauf  die  ctQioteia  Agamemnons 
und  Agamemnons  Verzweiflung  (/  17  ff.),  der  dann  ein  jüngerer 
Dichter  die  didnBiQa  B  110  ff.  nachgebildet  habe.  Das  Verhält- 
nis der  Ilias  zu  ihren  Vorlagen  denkt  sich  Valeton  (XLI  287  f.) 
so,  daß  die  Dichter  namentlich  von  ihren  älteren  Quellen  nur  den 
Stoff  und  auch  diesen  oft  stark  verändert  beibehielten ,  dagegen 
von  den  jüngeren  ganze  Verse,  ja  längere  Episoden,  z.  B.  Menelaos' 
fiovo/^iaxicc ,  Agamemnons  Entschluß ,  nach  Haus  zu  fahren ,  und 
seine  aQLOzeia. 

W.  R.  Paton,  Class.  Rev.  XXVII,  1913,  45  ff.  erschließt 
eine  alte  Form  der  troischen  Sage,  nach  der  Achilleus  12  Inseln 
und  11  Städte  auf  dem  Festland  eroberte  und  nach  der  er,  weil  er 
fallen  mußte,  wenn  er  auch  die  zwölfte,  Troia,  selbst  einnahm,  dem 
Lokrer  Petroklos ,  der  nicht  sein  Freund  ist ,  seine  Waffen  lieh. 
Dieser  aber  unterliegt,  und  die  Leiche  wird  nicht  geborgen.  Da 
zieht  Achilleus  aus ,  um  die  Waffen  wiederzugewinnen ;  Hektor 
wird  getötet  und  seine  Leiche  dreimal  um  die  Stadt  geschleift  wie 
bei  Ymt.IAvÖq.  107;  Verg.  Aen.  1,  483.  Erst  Homer  soll  die 
Freundschaft  des  Achilleus  mit  Patroklos  sowie  die  /uijvig  und 
Hektors  Schleifung   um   Patroklos'  Grabhügel    eingeführt  haben.  — 

Die  älteste  Überheferung  vom  troischen  Krieg,  die  seiner  An- 
sicht nach  einen  geschichtlichen  Kern  enthält,  erblickt  Schuchardt, 
Zeitschr.  f.  Ethnol.  1908,  S.  949  in  den  Versen  K  428  ff. ,  die, 
wie  er  meint,  den  Voraussetzungen  der  Doloneia  widersprechen 
und  daher  älter  als  diese  sein  müssen.  Die  am  Meere  lagernden 
Karer,  Paioner,  Leleger,  Kaukonen  und  Pelasger  sollen  die  klein- 
asiatischen Seevölker,  dagegen  die  in  Thymbra  lagernden  Libyer, 
Myser,  Phryger  und  Maioner  die  Bewohner  des  Tantalidenreiches 
zwischen  Hermos  und  Propontis  sein;  und  zwar  werden  die  ältesten 


440  Troischer  Sagenkreis. 

Wohnsitze  der  ersten  drei  Völker  an  den  benachbarten  Flüssen 
Lykos,  Plirygios  und  Mysios,  der  der  Maioner  am  Hermos  gesucht. 
Jünger  soll  die  Aufzählung  B  816  ff.  sein,  wo  Paphlagonier  und 
Halizonen,  die  in  Wahrheit  nicht  mitgefochten  haben  können,  hinzu- 
gekommen sein  sollen,  während  die  Einteilung  in  See-  und  Land- 
völker beibehalten  ist.  —  — 

Leeuwen,  über  dessen  später  unter  dem  Titel  Commen- 
tationes  Homericae,  Leiden  1911,  gesammelte  hierhergehörige  Ab- 
handlungen D.  Mülder  o.  {CLVII,  1912,  236)  berichtet  hat, 
will  Mnem.  XXXIV,  1906,  193  ff.  zeigen,  daß  die  Ilias  am 
Anfang,  nicht  am  Ende  des  troischen  Ki-ieges  spielt,  den  sich 
der  Dichter  nur  als  einen  einzigen  Sommerfeldzug  denke ,  und 
daß  die  Stellen ,  die  eine  vorhergegangene  längere  Dauer  des 
Krieges  bezeugen  {B  325;  327;  328  xooavx  bis  329  lut  dexdup  (Je; 
Z  419  f.;  M  15),  nachträglich  eingeschoben  sind.  S.  dagegen 
Mülder  <o.  CLVII,  1912,  236  f.),  Gau  er,  Berl.  phil.  Wochenschr. 
XXXn,  1912,  611  ff.  und  John  A.  Scott,  Class.  Phüol.  VIII, 
1913,  445  ff.,  der  hervorhebt,  daß  der  Stil  der  lUas  und  Odyssee 
im  Verlauf  der  epischen  Handlung  keine  Altersunterschiede  an- 
erkenne. —  Für  Leeuwens  Ansicht  glaubt  dagegen  B.  0.  Fester, 
Am.  Joum.  Phil.  XXXV,  1914,  294  ff.  eine  neue  Stütze  gefunden 
zu  haben,  indem  er  im  Anschluß  an  Leaf,  Troy,  an  Essay  in 
Hom.  Geogr.,  London  1912,  die  in  der  Ilias  erwähnten,  vor  dem 
Beginn  der  Handlung  liegenden  Züge  der  Griechen  vor  Troia  zu 
einem  großen  Raubzug  zusammenfaßt.  In  der  Mnemos.  XXXVIII, 
1910,  338  meint  Leeuwen,  daß  Hektors  Abschied  von  Andromache 
als  letzte  Begegnung  der  beiden  Gatten  gedacht  sei,  und  daß  daher 
entweder  0  58  f.  eingeschoben  und  die  Worte  xara  rttdXiv  H  478, 
0  55  für  -/.Uta.  argatov  eingesetzt  oder  die  6/uiXia  nachträglich  an 
dieser  Stelle  hinzugefügt  sei.  Valeton  ebd.  XL,  1912,  317  ff. 
vermutet ,  daß  Homer  ein  ganzes  früheres  Gedicht  wegen  seiner 
Schönheit  übernommen  habe. 


Naiiieiiverzeicliiiis. 


Abt  100.  110.  125.  132.  145.  167.  170. 

184  f.  214  f.  288. 
Adam  32.  283.  314. 
Adamantios  171. 
Adamow  191. 
Aigremont  121.  224. 
Allen  45.  285.  303. 
Alline  289  f. 
Altmann  107. 
Aly  49.  132.  141.  156.  279.  291.  376. 

423. 
Amelung  178. 
Anderson  393.  428  f. 
Andree  168. 
Ankermann  14. 
Anziani  53.  154.  256.  418. 
Appel  292. 

Arabantinos  146.  328.  866. 
Arvanitopulos  354  f. 
Aahby  418. 
Asmus  325. 

Aßmann  43,  143.  375.  379.  383. 
Audollent  294. 
Aurigemma  420. 
Ausfeld  313.  425. 

Bäckström  221. 

Baege  264. 

Baehrens  299  f.  322.  432  f. 

Baüey  29.  249. 

Bannier  336. 

Bartels,  v.  222. 

Bartbolomae  273. 

Barwick  300. 

Basset  197. 

Bassi  218. 

Baudisein,  v.  153.  409. 

Bechtel  235. 

Becker  223. 

Beloch  26  f.  134.  201.  205.  252.  377. 

Berger  115. 

Bergmann  166. 

Beriedale  (Keith)  40. 

Berkusky  170. 

Bersakis  328. 

Bertemann  324. 

Berthold  232.  427  f. 

Beseler  268. 

Betbe  52  f.  130.  252.  304.  376.  410. 

Beyer  424. 

Bezoid  220.  263. 

Bianchi  122.  144.  166.  170. 


Bieber  347. 

Bissing,  v.  354. 

Blaufuli  270. 

Bleck,  van  250. 

Blinkenberg  119.  156.  163.  171.  375. 

379  f. 
Bloomfield  37. 
Bludau  96. 

Blümner  160.  209.  225.  229  f.  232. 
Blum  95.  130. 
Blumenthal  91. 
Bock  50. 
Böhlig  395. 
Boehm  147.  321. 
Böklen  19.  21.  282. 
Bötzke  160. 
Boisacq  46.  107.  127. 
Boll  100.  128  f.  133.  214  f.  216.  218  f. 

222.  224.  271.  277.  280  ff. 
Bonner  115  f.  227. 
Bosanquet  291. 
Boudreaux  218. 
Bousset  260.  322  ff. 
Brandenburg  53.  110.  116.  148.  392. 
Braun  292. 
Breasted  251. 
Breccia  224. 

Brückner  225.  241.  247.  308. 
Brugmann  44. 
Brugnola  43. 

Brunnhöfer  38.  125  f.  282.  314. 
Bubbe  426. 
Buckler  287.  392  f. 
Budde  113. 
Buecheler  285. 
Bugge  53. 
Bulard  112. 
Bulle  353. 
Buslapp  343. 
Busse  390. 
Butler  310.  392. 
Byvanck  52. 
Byzantinos  160. 


Caland  200.  253. 
Calder  132.  393. 
Calderini  253. 
Calderon  48.  337  f. 
Calonghi  306. 
Campanet  43. 
Campbell  Bonner  115  f. 
Capasso  415. 


227. 


442 


Namenverzeichnis . 


Capelle  259. 

Carolidis  127. 

Carter  67.  76. 

Carton  405. 

Case  48. 

Casson  58. 

Castiglioni  424. 

Cauer  440. 

Cavaignac  333. 

Chadwick  57  f. 

Changarnier  144. 

Chapot  116.  397. 

Chase  132. 

Chatzis  302. 

Chudzinski  235. 

Ciaceri  145.  409  ff. 

Cirilli  197. 

Cledat  398. 

Clemen  199.  208  f.  231. 

Clermont  Ganneau  141  f.  420. 

Colangelo  18.  409. 

Coler  393. 

Comparetti  126.  129.  289.  413. 

Convbeare  114.  119. 

Conze  389. 

Cook,  A.  B.  53.  99.   136.   156.  180. 

197.  209.  215.  328. 
Cooke  (nicht  Cook)  195.  215. 
Corbellini  435. 

Cornford  122.  126.  248.  316.  338.  -359  f. 
Correra  416. 

Corssen  112.  346.  354.  413  f. 
Cortese  416. 

Costanzi  15.  355.  401.  405. 
Courby  370. 
Crook  130. 

Crooke  145.  152.  163.  428. 
Cnisius  122.  131.  201.  208.  256. 
Cumont,  Fr.  84  f.  93.  96.  128.  138  ff. 

163.  170.  215  ff.  259.  277.  391. 
Cumont,  Eug.  391. 

Dähnhardt  22.  430.  432. 

Dalmann  .398. 

Danielsson  293. 

Darier  420. 

Dawkins  180.  208.  364,  378.  381. 

Dechelette  18.  47.  118.  134. 

Delaporte  431. 

Delatte  147.  2-59.  290.  317. 

Delehaye  105. 

Delines  53. 

Densusian  47. 

Deonna  16.  174.  260.  382. 

Deubner   71.   93.  95.   125.   1.39.   147. 

177.  179.   181.   183.    186.   212.  232. 

241.  257.  266.  279. 
Dibelius  116,  306. 
Dickins  364.  367. 
Diels  286.  288.  318.  351. 
Dies  283.  314  f. 


Diest,  V.  393. 

Dieterich,   A.  29.  154.  178.  201.  333. 

Dieterich,  K.  98. 

Dieudonnö  157. 

Dittenberger  191. 

Döhring  18. 

Dölger  91.  421. 

Dörfler  283. 

Dörpfeld  238.  358.  389. 

Domaszewski,  v.  68.  74.  85.  94.  188. 

269.  279  f.  394.  396.  419.  422. 
Mc  Dougall  221. 
Douglas  135.  139  f. 
Drews  122.  167. 
Ducati  53.  154.  256.  334. 
Dümmler  209. 
Dufourcq  34. 

V.  Duhn  244.  252.  414.  416. 
Durkheim  10.  16. 
Durrbach  (Dürrbach)  90. 
Dussaud  15.  45.   116.   140.   177.  185. 

213.  396. 
Dyer  356. 

Ebeling  431. 

Edhem  Bey  383. 

Eerdmana  113. 

Eggleston  Robbins  222. 

Ehrenreich  19  ff.  23. 

Ehrlich  36.  146.  235. 

Ehrmann  295.  333. 

Eisele  96.  180.  392. 

Eisler  43.  99.   113  ff.   132.   150.  158. 

192.   197.   199.  216.  263.  284.  288. 

343.  394. 
Eitrem  102.  123.  147.   152.  160.  169. 

172.  183  f.  243.  255.  264.  354. 
Elter  336. 

Engelmann  334.  425. 
Esdaile  177.  191. 
Esperandieu  422. 
Evans  47.  136.  146.  378. 

Fairbanka  33. 

Farnell  16.  29  f.  33.  35  f.  40  f.  74.  112. 

150.  1.52.   156.  187.  203.  332.  337. 

350.  371. 
Fedde  121. 
Fehrle  124.  126.  131.  140.  160.  180  f. 

196.  208.  209.  247.  263.  351.  385. 
Ferguson  329.  371. 
Ferrabino  401.  410. 
Fick  50.  52.  57.  144.  234.  365.  381.  387. 
Fimmen  261. 
Fischer  46  f. 

Fitzhugh  197;   vgl.  Hugh. 
Fletcher  12. 
Flickinger  205.  208. 
Förster  125. 
Foster  440. 
Foucart  7.' 43.  336.  338.  365. 


Namenverzeichnis. 


443 


Fourriere  42. 

Fowler  6.  69  ff,  74  ff.  79.  103  ff.  122. 

181.  188.  188.  211.   221.  248  f.  263. 

270.  281. 
Fox  167.  171. 
Fränkel  206. 
Frank  172. 
Frazer  6  ff.   14.   18.  76.   121  ff.   126. 

128.  134.  136  f.  141.  143.  14.5  f.  149  f. 

152.  154  ff.  163.  168.  170.  176.  18-5. 

187.   193.   199.   210.  263.   272.  280. 

336.  359.  394.  427. 
Fredrich  53.  379. 
Frickenhaus  133.  198.  205.  327.  329. 

352. 
Friedländer  313  f.  366.  381.  413.  434. 
Fries  24.  38.  116.  150.  196.  198.  204. 

279  ff.  282.  423.  430.  432. 
Frisch  320. 
Fritze,  v.  389. 
Fröhner  230.  234. 
Frost  58. 

Frothingham  107.  268. 
Furtwängler  51  f.  370. 

Galli  416.  421. 

Gardiner  138. 

Gardner  116. 

Garstang  148. 

Gauckler  115.  218.  420  f. 

Geffcken  82. 

Gehrich  84. 

Gennep,  v.  14.  16.  18.   186.  188.  193. 

209.  253.  333. 
Gercke  399. 
Gerhard  204.  232. 
Gerland  431  f. 
GianneÜi  192. 
Gilbert  315. 

Güdersleeve  134  f.  148.  204. 
Girard  47.  190. 
Glotz  61. 
Glover  29.  82. 

Goblet  d'Alviella  5.  159.  480. 
Goedel  297. 
Goldenweiser  14. 
Goldziher  113.  184.  245. 
Gomme  14. 
Gothein  158.  281. 
Goudy  281. 
Gräbner  4  f.  9.  14. 
Gräfinghoff  393. 
Graindor  228.  281  f. 
Granger  63.  122.  222.  418. 
Greßmann  113.  259. 
Grienberger  293. 
Griffith  431. 
Grimme  273.  277. 
Gruppe  113.  232.  330.  340  ff. 
Gsell  405  f. 
Gubernatis  78. 


Güntert  169. 

Gundel  216.  219.  259.  ä 

Gunuing  1-54.  374. 

Habert  34. 
Hackl  151. 
Hadzsits  89. 
Hahn  148. 
Halliday  46.  209. 
Hardie  393 

Harrisou    12.   15.   24  f.   49.   60.    111. 
123.  136.  139  f.  142  f.  248.  266.  284. 
291.  354. 
Hartland  14.  102.  179.  423. 
Hartmann  2-30  f.  298.  303.  320. 
Hasluck  263.  390  f.  393. 
Hatch  165. 
Hauck  287. 
Haury  42.  .339. 

Hauser  122.  135.  178.  241.  347.  354. 
Haussoullier  244.  259.  384.  413. 
Hautecoeur  126.  139. 
Havers  166.  185. 
Hay  81. 
Head  131. 
Heberdey  158.  384. 
Hebert  16. 
Heckenbach  177  ff . 
Heckenrath  356. 
Heden  137.  214. 
Heeg  218. 
Heinen  94. 
Heinevetter  223. 
Heinze  318. 
Helm  99.  305.  311. 
Hempel  39. 
Hennings  43.  413. 
Henry  125. 
Hepding  99.  389. 
Herbig  243. 
Hersman  318. 
Hertling,  v.  105. 
Hertz  231. 
Herzfeld  294. 
Herzog  135.  146.  253.  375. 
Hewitt  61.  110.  188.  213.  267. 
Hev  37. 
Hilka  426. 

Hill  51.  143.  148.  396. 
Hillebrand  197. 
Hiller  von  Gärtringen  362.  366.  384. 

388.  398. 
Hilprecht  431. 
Hincks  207. 
Hirzel  187.  424  f. 
Hock  183. 
Höfler  176. 
Hönn  260. 

Hoffmann,  0.  107.  368. 
Hoffmann-Kutschke  39  f. 
Hogarth  131.  384. 


444 


Namenverzeichnis. 


Hohmann  406. 

Holleaux  870  f.  380. 

Homolle  370. 

Hoops  6.  100.  181. 

Hooton  191.  248. 

Hose  'J'21. 

Hovorka  v.  128.  176.  184.  230. 

Howerth  69. 

Hubert  15. 

Hülsen  420. 

Hüsing  19.  21  ff.  37.  39  f.  428. 

Huet  425. 

Fitz  Hugh  (Fitzhugh)  291. 

Huhn  304. 

Hulot  411. 

Hunger  135.  141  f.  146.  148.  150.  152. 

219  f. 
Husband  79. 
Hutchinson  291  f. 

Ihm  304. 
Uberg  102. 
Immisch  129. 

Jacobsohn  234. 

Jacobsthal  119  384  f. 

Jacoby  128.  300  ff. 

Jalabert  85.  190.  395  ff. 

Jamar  96. 

.Janiewitsch  245. 

Jastrow  jr.,  Morris  54.  216.  220.  222. 

Jeanmaire  197. 

Jeremias  431. 

Jerome  335. 

Jevons  6  f.  100.  166. 

Jockl  374. 

.Johnson  150. 

de  Jong  141.  194.  .306.  324. 

.Jubainville,  Arbois  de  39. 

JuUian  121.  174. 

Jurenka  369.  390. 

Kaerst  6-5.  89.  301. 

Kagarow  2.  118.  120. 

Kahle  188. 

Kannengießer  52.  .54. 

Kappus  118.  221. 

Karo  343.  364.  372.  378.  392. 

Karsten  9.  61.  117.  120. 

Katz  304  f. 

Kawerau  387. 

Kawczynski  308. 

Kazarow  208.  213.  263. 

Keü  291  f.  386.  388. 

Keith  40. 

Keller  144. 

KeramopuUl)08  343.  351.  .3-53. 

Kern   101.   201.   264.   287.  291.  3:34. 

3.54  f.  .386.  389. 
Keseling  299. 
Kiepert  390. 


Kircher  128.  163.  172.  183.  245. 

Klapper  101.  154. 

Klein  179.  240. 

Klinger  100.  129.  428. 

Klotzsch  408  f. 

Kmoskü  219. 

Knackfuß  387. 

Kobbert  104. 

Koechling  179. 

König  282. 

Körte,  A.  197.  340. 

— ,  G.  78.  222.  326. 

Koettgen  361  f. 

Kohler  122.  163.  230.  239. 

Kolbe  362.  364. 

Konopka  304. 

Kontoleon  352, 

Kornemann  93. 

Kranz  259.  433. 

Kraus  43. 

Krauß  99. 

Kretschmer  56.  107.  213. 

Kroll,  Jos.  323. 

Kroll,  W.  103.  167  f.   191.  218.  313. 

322  f. 
Kronfeld  128.  176.  184.  230. 
Kropatschek  120.  174. 
Kühnau  137.  151. 
Küster  133.  393. 
Kugener  82. 
Kugler  217.  280. 
Kuhn,  A.  17.  41.  150.  16-3. 
—   E.  17.  41. 

Kuiper   149.  209.  225.  227.  230.  363. 
Kuruniotis  109.  366.  372. 
Küster  294. 
Kutsch  326. 

Lagrange  16.  43.  48   51.  112.  1'56. 

Laing  73. 

Lajay  260. 

Lang  6.  10.  14.  212.  303. 

Lanzani  35. 

Laqueur  267. 

Latte  195.  291  f. 

Lattermann  362.  366. 

Lawson  97  f.  185.  192.  237.  242.  245. 

249.  277.  335. 
Leaf  349.  440. 
Ledl  235. 
Leeuwen  106.  440. 
Lefebure  131.  186. 
Legras  434. 

Lehmann-Haupt  273.  294.  347. 
Lenschau  408.  414. 
Leo  227. 
Leonhard  (nicht  Leonhardt)  49.  148. 

158. 
Leroux  110. 

Leßmann  20  ff.  40.  423.  428. 
Levi  205. 


Namenverzeichnis. 


445 


Leyen,  v.  d.  313. 

V.  Lichtenberg  47.  116. 

Lidzbarski  115.  138  f.  149.  259  f.  275. 

Lieblein  62. 

Lietzmann  90  f. 

Link  105. 

Linke  161. 

Littmann  395. 

Lockwood  428. 

Loi.sy  13.  34.  194.  244.  337.  346.  431. 

Ludwich  280. 

Luschan,  v,  47  f.  54. 

Maas  292.  4:33. 

Maaß  111.  204.  266.  344.  353.  417.  422. 

Macc.hioro  -53.  240.  250.  258.  347.  413. 

MackaU  256. 

Macridy  382.  387. 

Maourdy  160. 

Mahaffy  433. 

Majuri  (Maiuri)  149.  370.  413. 

Malten  46.  56.  119.  124.  137.  146. 
1.50  f.  257  f.  285.  334.  365.374.  399. 
401. 

Mancuso  298. 

Manley  143. 

Maragliano  413. 

Marett  6  f.  10. 

Mariani  170. 

Marmorstein  221.  232. 

Marshall  68.  140.  155. 

Martini  218. 

Marucchi  223.  419. 

Marx  115.  418. 

Mau  325. 

Maurice  81,  85. 

Mauß  15. 

Mayer,  A.  409. 

—    M.  .53.  237.  401.  412. 

Mayeur  126. 

Meinet  39. 

Meiser  319. 

Meißner  219. 

Meister  55. 

Menardos  127.  129.  395. 

Mende  255. 

Menrad  19. 

Meringer  39.  107.  117.  224. 

Merlin  115.  148.  171.  211.  404. 

Meyer,  Ed.   25.  48  ff.   54.  251.    376. 

396.  430. 
— .  P.  M.  399. 
— ,  Rieh.  M.  7.  171. 
Michael  321. 

Michel  100.  114.  118.  120.  167. 
Michon  243. 
Milchhöfer  61  f. 
Milne  167. 
Modestov  53. 
Mommsen  370. 
Monceaux  293. 


Moncrieff  320. 

Montelius,  v.  157. 

Moore  84.  421. 

Morgenstern  135. 

Morpurgo  268. 

Moschides  379. 

Mot,  de  236. 

Motzo  95. 

Mowat  82. 

Mras  296. 

Mülder  235.  237.  355.  413.  426.  440. 

Müller,  A.  208.  279. 

— ,  Br.  362. 

— ,  F.  53. 

— ,  W.  A.  177.  239. 

— ,  V.  K.  159. 

Münscher  304.  313. 

Münzer  78.  116. 

Murray  6.  35.  173.  204.  263.  291. 

Nazari  191. 

Nestle  284.  318. 

Neustadt  131.  152.  155.  208.  375.  378. 

Nicole  327.  420. 

Nielsen  275. 

Niese  357. 

Niggetiet  321. 

Nilsson  36.  67.  109.   1.34  f.   137.  14.5. 

147.  180.  185.  187.  198.  201  ff.  208. 

216.  223.  239.  247.  264  f.  268.  270  f. 

277.  279.  281.  381.  385.  408. 
Nissen  1071  156.  387. 
Noack  331.  342. 
Nöldeke  114. 
Norden  294. 

Obst  390. 

Ogle  125.  188.  224.  237. 

Oikonomos  336.  369. 

Oldfather  141.  258.  344.  414  f. 

Oliphant  100.  140. 

Olivetti  89. 

Olivieri  218.  291. 

Oppenheim  100.  166.  177. 

Oppenheim,  v.  160. 

Orsi  .52.  414. 

Ostheide  265. 

Otto,  W.  (oder  W.  F.)  75.  87.  90.  94. 

104.   147.   154.   156.   177.   186.   188. 

191.  212.  398. 

Paffrath  161. 

Pagenstecher  148.  170.  241.  414, 

Pais  52.  77  f.  409.  416  ff.  423. 

Pancrizius  144.  154. 

Papabasileios  372. 

Pareti  52.  356.  411. 

Paribeni  47.   60.  86.  183.  244  f.  252. 

378. 
Paris  428. 
Parmentier  101.  236.  320.  380. 


446 


Namenverzeichnis. 


Pascal  9J.  94.  237.  240.  245.  249  f. 

252.  259.  318.  328.  336. 
Pasquali  60.  362. 
Paton  121.  123.  175.  185.  190.  439. 
Patroni  339  f.  417. 
Pease  187. 
Pedersen  33. 
Peet  48. 

Pelzer-Wagener  421. 
Penka  48. 

Penquitt  170.  178.  224. 
Perdrizet  15.  96.  140.  163.  172  f.  188. 

194.  283.  351  f.  369.  398. 
Pernice  224. 
Pernier  54.  379. 
Pestalozza  47. 
Peter  81. 

Petersen  120.  123  f.  144.  252.  326.  328. 
Petra,  de  415. 

Pettazzoni  45.  171.  219.  409. 
Pfeiffer  216.  259. 

Pfister  62.  232.  234.  245  f.  356.  366. 
Pfuhl  186.  236. 
Philios  331  f. 
Philippson  318. 

Picard  135.  158.  166.  382.  384.  387. 
Pichon  289. 
Pinza  120. 
Plassart  370. 
Plavimann  90.  92.  398. 
Pley  1.52.  183.  240. 
Poerner  291.  366.  385. 
Pohorilles  19. 
Poland  33. 
Politis  98. 

Pomtow  292.  350  ff.  435. 
Postgate  282. 
Pottier  140. 
Poulsen  43.  49.   53.  117  f.   160.   162. 

2.38.  266.  350.  354. 
Poussin  34. 
Pradel  175.  283. 
Prausnitz  163. 

Preisendanz  101.  166.  224.  283.  426. 
Premerstein,  v.  367.  388.  391. 
Prentice  395. 
Preuß  200. 
Prichard  12. 
Pringsheim  330  f.  393. 
Prinz  49.  134.  143.  148.  239. 
Prott,  V.  60. 
Puech  227. 
Purser  .308. 
Putorti  230. 

QuagUati  141.  242.  414. 
Quandt  287.  383.  385. 

Rahehl  293. 

Ptadennacher  114.  134.  145.  149.  159. 
209.  224  f.  2.53.  257.  289.  422. 42-5. 429. 


Radet  384.  392. 

Ramsay  140.  193.  195.  243.  382.  387. 

392  f. 
Randolph  125. 
Rasch  146.  423. 
Reeb  409. 
Regling  387.  398. 
Rehm  387. 
Reiclielt  39. 
Reid  76.  125.  172.  212. 
Reinach,  A.  (A.  I.)    15.  43  f.  48.  53. 

60.   112.   115.  119.    126  f.   128.   132. 

134.  139.  141  f.  146  ff.   149  f.  155  f. 

161  f.  166.  172.  196.  263  f.  267.  269. 

376.  391.  403.  409.  412.  414.  420. 

431. 
— ,   S.  7.    15.  29.  47,   102.  114.   123. 

132.    135.    138  f.    146  f.    154  f.    163. 

169.  171.  190.  212.   221.  231  f.  239. 

266.  282.  333.  419. 
— ,  Th.  383. 
Reinhardt  319. 
Reisch  33. 
Reitz  406. 
Reitzenstein  62  f.  64  f.  66.  190.  259  f. 

306.  309  ff.  322.  324. 
Remy  394. 
Rescher  283. 
Reuterskiöld  7.  14.  210. 
Rhomaios  243.  367. 
Richmond  94  f.  419. 
Richter,  Fr.  83.  405. 
— ,  Joh.  298. 
Ricklin  135. 

Ridgeway  55.  78.  202.  237. 
Riewaldt  92. 
Riffer  123. 
Rivers  14. 
Rizzo  124.  410. 
Robert   121.    159  f.   254.   297  f.   ,328» 

.330.  351.  361.  433  f.  435. 
Roberts  278. 
Robbins  222. 

Robinson  86  f.  -328.  351.  391  ff. 
Rodenwaldt  .329. 
Rock  431. 
Röder  15. 
Rohein  134. 

Ronzevalle  116.  139.  395.  397. 
Rosanquet  364. 
Röscher  111.  216.   271.  275  f.  281  ff. 

413. 
Rose  60  f.  75.  120.  161.  166.  266. 
Rosenberg  73. 
Roßbach  25.  266.  370.  410. 
Rouge  237. 
Roussel  243.  371. 
Rowoldt  295. 
Rubensohn  91.  2.38. 
Ruelle  218. 
Rusch  190.  332.  .371. 


Namenverzeichnis. 


447 


Saintyves  122.  124  f.  174.  230  f.  423. 

428. 
Salis,  V.  386. 

Samter  209.  212  f.  225  f.  229.  231  f.  270, 
Sanetis,  de  124.  250.  417. 
Saussure,  de  330. 
Savignoni  370. 
Schäfer  376. 
Schatzmann  389. 
Scheftelowitz  101.  132.  141.  164.  175. 

184.  252. 
Scheidweiler  345. 
Scheuer  325. 

Schmidt,  Bernh.  98.  171.  180.  184. 
— ,  Er.  319. 
-,  C.  322. 
— ,  E.  294. 
— ,  H.  214.  314. 
— ,  K.  32.  48. 
— ,  P.  W.  10  f. 
—   K.  Fr.  W.  45. 
— ,  W.  92.  155.  232.  278.  280. 
Schnabel  186.  197.  206.  209. 
Schöne  233.  235. 
Scholz  304. 

Schrader  39  f.  45.  141.  236.  238.  256. 
Schremmer  157. 
Schredelseker  168. 
Schröder,  v.  37  ff.  133.  150.  153.  179. 

196.  199  f. 
Schubart  322. 
Schuchhardt  389.  439. 
Schultz,  W.  19.  21.  37.  122.  126. 
Schulz,  R.  299. 
Schulze,  W.  75. 
Schurtz  193. 
Schwartz  82. 
Schwenn    161.    163.    167.    169.    171. 

185  f.  198.  213.  264. 
Schwering  94. 
Sciava  16. 
Scott  440. 
Sechan  169.  225. 
Seeck  87. 
Segerstedt  261. 
Seifert  134. 
Seligmann  170  f. 
Seilin  113.  119. 
Sergi  275. 

Seta,  della  16.  54.  381. 
Sethe  128.  191. 

Siecke  19  f.  23.  76. 118. 188. 157  ff.  164. 
Sihler  82.  296.  300. 
Silberer  214. 
Sittig  40.  233. 
Sitzler  374. 
Skutsch  170.  174. 
Smith  431. 
Sola  132. 
Solmsen  36.  56. 
Soltau  77.  154.  428. 


Sommer  168. 

Sonny  240. 

Sourdille  43. 

Spani  268. 

Sperber  7.  210. 

Spiegelberg  128.  160.  190. 

Spör  99. 

Stähelin  52.  96. 

Stählin  390. 

Steindorff  251. 

Steinhauser  219. 

Steinleitner  93.  189.  381.  383. 

Stengel  150.  172.  182.  236.  247.  264. 

Stewart  155. 

Stolz  74. 

Storck  373  f. 

Stow  asser  174. 

Stuart  229. 

Studniczka  114. 

Sturtevant  295. 

Sudhaus  214. 

Süß  197. 

Svoronos  15.  112.  126.  140.  151.  161. 

175.  223  f.  232.   243.  329.  334.  340. 

370.  433. 
Swanton  14. 
Szymanski  264. 

Taccone  298. 

Tamborino  101.  119.  144. 

Tarbell  126. 

Taylor  93.  418. 

Terzaghi  43.  104.  119.  186. 

Thiersch  162.  164. 

Thompson,  Campbell  184. 

— ,  M.  S.  48.  103.  365. 

Thomsen  186.  210.  244. 

Thulin  217.  220  f.  248.  295. 

Thumb  56. 

Thurnwald  14. 

Tillyard  157. 

Tittel  37. 

Tolmann  53.  250. 

Tonks  137. 

Toutain  6.   16.  29.  80.  89.  91  f.   95. 

109.  215.  377.  405. 
Tresp  295. 
Troje  120.  126.  324. 
Tsuntas  330. 
Tümpel  100. 

TJssani  304. 

"Vaglieri  419. 

Valeton  346.  355.  484.  437.  440. 
Verrall  130. 
Versakis  364. 

Ville  de  Mirmont,  de  la  218. 
Volkmann  320. 

Vollgraff    124.    184.    189.   328.    362. 
366.  370.  376.  407.  432.  484. 


448 


Namen  verz  e  ichnis . 


Vtlrtheim    131.    141.    145.    186.    207. 
232.  265.  345.  348.  427. 

Wace  48.  ^ 

"Wackernagel  40. 

Wächter  120.  131.  153.  155. 178. 182. 

231.  2:«. 
Pelzer-Wag:ener  421, 
Wainwright  52. 
Walter  214. 
Ward  397. 
Warren  429. 

Waser  129.  134.  136  f.  168  f.  252. 
Weber,  L.  135.  393. 
— ,  W.  66.  81.  88.  95. 
—  120. 
AVeege  195. 
AVeicker  252. 
Weinreich   82.    93.    115.    135.    164  f. 

173  f.   175.  178.  214.  280.  282.  288. 

314.  425. 
Weller  328. 
Wellmann  326. 
AVelter  155. 
Wendland  5.  62  ff .   100.  309.  321  f. 

422.  426. 
Weniger  98.  131.  164.  175.  219.  222  f. 

271.  350.  3.54.  357  ff.  376. 
AVestermarck  6.  166  f.  213. 
AVetter  66.  158. 
AVide    102.   123.   134.   136.   143.   157. 

431. 
AViedemann  15.  51.  174.  200.  255. 
Wiegand  381. 


Wieten  129.  290. 

AA'ilamowitz,  v.  45.  205  f.   254.   259. 

267.  292.   344.  348.  372.  879  f.  381. 

384  ff.  390.  431.  434.  436  f. 
Wilcken  81.  91.  95  f.  172.  190  f. 
AVilhelm  328.  346.  349. 
Willemsen  296. 
AVilson  128. 
Winnefeld  396. 
Winternitz  200. 
Wipprecht  318. 
AVissowa  72.   76.  83.   107.   128.    142. 

182.  184.  197.  213.  421. 
Wölcke  266. 
AVolf  68. 
Woodward  364. 
AVright  325. 
AVünsch  29.  100.  103  f.  167.  170.  174  f. 

187.  224.  288.  294.  432. 
Wundt,  M.  322. 
— ,  W.  14  f.  180. 
Wyß  149.  164.  245.  290. 

Xanthudidis  375.  379. 

Zacher  206. 
Zehetmaier  236. 
Ziebarth  371. 
Ziegler  318.  411.  430. 
Ziehen  31.  281.  3:35.  371. 
Zielinski  44.  143.  322  f.  399. 
Zimmermann  149. 
Zimmern  279.  431. 
Zolotas  383. 


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3  schritte  der  klassischen 

J3  Altertumsvdssenschaf t 
Bd. 136 


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